Bundesfinanzhof
Az: VI R 94/04
Urteil vom 15.03.2007
Gründe:
I. Streitig ist, ob im Lohnsteuer-Haftungsbescheid Vorteile aus der Privatnutzung von Dienstfahrzeugen anzusetzen und mangels ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs nach der 1 %-Regelung zu ermitteln waren.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) führte bei der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) eine Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum Januar 1999 bis Mai 2001 durch. Das FA stellte dabei fest, dass die Klägerin einem Arbeitnehmer einen Firmen-PKW zur Verfügung gestellt hatte. Der im Außendienst tätige Arbeitnehmer begann und beendete seine Dienstreisen regelmäßig zu Hause. Die Klägerin hatte dem Arbeitnehmer mit Schreiben vom 31. Januar 1992 mitgeteilt, dass das Fahrzeug ausschließlich geschäftlich genutzt werden solle und zum Nachweis der Fahrten ein Fahrtenbuch zu führen sei.
Die Klägerin überließ dem Arbeitnehmer in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis 26. September 1999 einen Opel Vectra und vom 27. September 1999 bis 31. Mai 2001 einen VW Passat. Für den PKW Opel Vectra konnte die Klägerin kein Fahrtenbuch vorlegen. Nach Vorlage der für den VW Passat geführten Fahrtenbücher gelangte das FA zu der Ansicht, dass diese nicht ordnungsgemäß geführt worden seien, da inhaltliche Angaben teilweise nicht mit den dazu vorgelegten Belegen und Unterlagen übereinstimmten. Das FA berechnete daher für den gesamten Prüfungszeitraum den geldwerten Vorteil aus der Überlassung der Kraftfahrzeuge nach der 1 %-Regelung und erließ am 6. September 2001 über die abzuführende Lohnsteuer einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid nach § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 940 veröffentlichten Gründen ab.
Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Sie beantragt sinngemäß, das Urteil des FG, den angefochtenen Haftungsbescheid und die Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO–). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der streitige Lohnsteuer-Haftungsbescheid die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Das FA konnte die Klägerin nach § 42d EStG für die zu niedrig einbehaltene Lohnsteuer in Haftung nehmen.
1. Die unentgeltliche oder verbilligte Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zu einem nach § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu erfassenden Lohnzufluss (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 6. November 2001 VI R 62/96, BFHE 197, 142, BStBl II 2002, 370; vom 7. November 2006 VI R 95/04, BFH/NV 2007, 329).
a) Nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG gilt für die private Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu privaten Fahrten die in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG getroffene Regelung zur Nutzungsentnahme entsprechend. Danach ist der Wert dieser Nutzung für jeden Kalendermonat mit 1 v.H. des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer anzusetzen und noch gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG für jeden Kalendermonat um 0,03 v.H. des vorgenannten Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu erhöhen, wenn das Fahrzeug für solche Fahrten genutzt werden kann. Diese pauschalierende und stark typisierende Bewertungsregelung ist grundsätzlich zwingend (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 329, m.w.N.).
Abweichend davon kann nach § 8 Abs. 2 Satz 4 EStG der Wert der Nutzung auch mit dem auf die private Nutzung entfallenden Teil der gesamten Kraftfahrzeugaufwendungen angesetzt werden, wenn die durch das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten Fahrten und der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2007, 329).
Die Bestimmungen über die Bewertung des Vorteils aus einer unentgeltlichen oder verbilligten Fahrzeugüberlassung kommen allerdings nicht zur Anwendung, wenn eine Privatnutzung ausscheidet. Jedoch spricht nach der Rechtsprechung des BFH aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung der Beweis des ersten Anscheins für eine auch private Nutzung des Dienstwagens. Der Anscheinsbeweis kann entkräftet oder erschüttert werden, ohne dass es hierzu des Beweises des Gegenteils bedarf. Es genügt vielmehr, einen Sachverhalt darzulegen, der die ernstliche Möglichkeit eines anderen als des der allgemeinen Erfahrung entsprechenden Geschehensablaufs ergibt (vgl. BFH-Urteil vom 7. November 2006 VI R 19/05, BFH/NV 2007, 136, m.w.N.; weiter zum Anscheinsbeweis P. Fischer, juris PR-SteuerR 5/2007, Anm. 1).
b) Nach diesen Maßstäben konnte die Vorentscheidung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Würdigung gelangen, dass eine private Nutzung der Kraftfahrzeuge durch den Arbeitnehmer der Klägerin nicht auszuschließen war.
Die Klägerin kann insbesondere nicht mit Erfolg einwenden, dem für eine Privatnutzung sprechenden Anscheinsbeweis stehe im Streitfall entgegen, dass ihr Arbeitnehmer über ein vergleichbares privates Fahrzeug verfüge, in nur geringer Entfernung zum Arbeitsort wohne und vom Arbeitgeber die Privatnutzung untersagt worden sei. Denn auch die formelle Vereinbarung eines Nutzungsverbotes und das Vorhandensein eines Zweitwagens schließen nicht aus, dass nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises eine Privatnutzung für erwiesen gehalten werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2005 VI B 59/04, BFH/NV 2005, 1300). Im Streitfall kommt hinzu, dass die Klägerin ihrem Arbeitnehmer zwar schriftlich aufgegeben hatte, das Fahrzeug nur geschäftlich zu nutzen, ihn aber mit dem entsprechenden Schreiben zugleich zum Führen eines Fahrtenbuchs verpflichtet hatte. Auf dieser von der Klägerin selbst so vorgegebenen besonderen Tatsachengrundlage konnte das FG im Rahmen seiner insoweit umfassenden Tatsachenwürdigung zu dem Ergebnis gelangen, dass angesichts des für den Opel nicht vorgelegten und des für den VW jedenfalls lückenhaften Fahrtenbuchs der für eine private Nutzung sprechende Anscheinsbeweis weder entkräftet noch erschüttert war.
Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, dass die Klägerin selbst mit einem vom FG im Tatbestand der Entscheidung in Bezug genommenem Schriftsatz eingeräumt hatte, dass ihr Arbeitnehmer mit ihrer Erlaubnis im Juli 2000 das Fahrzeug zu einer privaten Urlaubsfahrt genutzt hatte.
2. Das FG hat auch zu Recht entschieden, dass der geldwerte Vorteil nach der 1 %-Regelung zu bewerten ist, weil das Verhältnis der privaten Fahrten zu den übrigen Fahrten nicht gemäß § 8 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen war.
a) Der Begriff des ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs ist zwar gesetzlich nicht näher bestimmt. Aus dem Wortlaut und aus dem Sinn und Zweck der Regelung entnimmt aber die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH-Urteile vom 9. November 2005 VI R 27/05, BFHE 211, 508, BStBl II 2006, 408; vom 16. November 2005 VI R 64/04, BFHE 211, 513, BStBl II 2006, 410; vom 16. März 2006 VI R 87/04, BFHE 212, 546, BStBl II 2006, 625), dass die dem Nachweis des zu versteuernden Privatanteils an der Gesamtfahrleistung dienenden Aufzeichnungen eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit bieten und mit vertretbarem Aufwand auf ihre materielle Richtigkeit hin überprüfbar sein müssen. Deshalb muss ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch zeitnah und in geschlossener Form geführt werden. Die zu erfassenden Fahrten einschließlich der dann erreichten Gesamtkilometerstände müssen im Fahrtenbuch vollständig und in ihrem fortlaufenden Zusammenhang wiedergegeben werden. Jede einzelne berufliche Verwendung ist grundsätzlich für sich und mit dem so erreichten Gesamtkilometerstand des Fahrzeugs aufzuzeichnen. Aus mehreren Teilabschnitten bestehende berufliche Reisen können zu einer zusammenfassenden Eintragung verbunden werden. Es genügt dann die Aufzeichnung des am Ende der gesamten Reise erreichten Gesamtkilometerstands, wenn zugleich die einzelnen Kunden oder Geschäftspartner im Fahrtenbuch in der zeitlichen Reihenfolge aufgeführt werden, in der sie aufgesucht worden sind.
Wird aber der berufliche Einsatz des Fahrzeugs durch eine private Verwendung unterbrochen, so stellt diese Nutzungsänderung wegen der damit verbundenen unterschiedlichen steuerlichen Rechtsfolgen einen Einschnitt dar, der im Fahrtenbuch durch Angabe des bei Abschluss der beruflichen Fahrt erreichten Kilometerstands zu dokumentieren ist. Weisen die Fahrtenbücher inhaltliche Unregelmäßigkeiten auf, kann dies die materielle Richtigkeit der Kilometerangaben in Frage stellen.
b) Daran gemessen ist die dem FG im Rahmen seiner tatrichterlichen Würdigung obliegende Beurteilung, dass die vorgelegten Aufzeichnungen mehrfach unrichtige und unvollständige Eintragungen enthielten und die Fehler daher in ihrer Gesamtheit bewirkten, dass die Aufzeichnungen nicht mehr als ordnungsgemäße Fahrtenbücher zu qualifizieren seien, ebenfalls revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Das FG konnte in seine Würdigung den von der Klägerin selbst eingeräumten Umstand einbeziehen, dass gelegentlich Fahrten zu Werkstätten und Tankstellen nicht eingetragen worden waren. Es konnte berücksichtigen, dass für einzelne Tage die Eintragungen für Fahrten zum Waschen, Tanken oder zur Reparatur des PKW ganz fehlten und daher für diese Zeiten überhaupt keine Nachweise vorlagen sowie, dass auch einzelne Fahrten zu Kunden nicht eingetragen waren. Auch die Würdigung, dass Umwegstrecken wegen angeblich vergessener Ware teilweise ebenso wenig erfasst waren, wie Fahrten zu Hotels für Übernachtungen des Arbeitnehmers, konnte in die Gesamtbeurteilung der Aufzeichnungen als unvollständiges und daher nicht ordnungsgemäßes Fahrtenbuch einfließen. Dasselbe gilt für die Feststellung, dass Eintragungsfehler unterlaufen seien, ohne dass die vergessenen Eintragungen am nächsten Morgen bemerkt und korrigiert worden wären sowie für widersprüchliche Fahrtenbucheintragungen, welche die Klägerin nach den Feststellungen des FG selbst nicht hatte erläutern können.