Bundesarbeitsgericht
Az: 1 ABR 54/08
Beschluss vom 10.11.2009
Auf die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 23. April 2008 – 10 TaBV 131/07 – teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 24. Oktober 2007 – 6 BV 32/07 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zusteht, soweit die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer anweist, außerhalb ihrer durch Arbeitseinsatzplanung festgelegten Arbeitszeit die von ihr gestellte Firmenkleidung an- und auszuziehen.
Von Rechts wegen!
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats, soweit die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer anweist, die von ihr zur Verfügung gestellte Firmenkleidung außerhalb der erfassten Arbeitszeit an- und abzulegen.
Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit Einrichtungshäuser. Der antragstellende Betriebsrat ist in der Niederlassung B gebildet.
Nach der bei der Arbeitgeberin geltenden Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) „Firmenkleidung“ sind die Mitarbeiter verpflichtet, in den in Nr. 1.1 der GBV genannten Bereichen Möbel, Satellit, Kasse, Kundenservice, Warenausgabe, Restaurant und KOMEIN die ihnen gestellte Arbeits-, Berufs- bzw. Schutzkleidung zu tragen. Mit Ausnahme der Bereiche Restaurant und KOMEIN erhalten die Arbeitnehmer Kleidungsstücke in den Farben „blau/gelb“. In einem „Staff-Clothing-Ordner“, auf den in der GBV „Firmenkleidung“ Bezug genommen wird, sind im Einzelnen Form, Farbe, Schnitt und Material der Kleidung festgelegt. Die GBV gestattet den Arbeitnehmern, die Firmenkleidung bereits auf dem Weg zur und von der Arbeitsstätte zu tragen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, sich im Betrieb der Arbeitgeberin umzukleiden.
Für die Niederlassung B sind des Weiteren in der Betriebsvereinbarung (BV) „Arbeitszeiten“ Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit, Lage und Dauer der regelmäßigen wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit sowie die Grundsätze für die Aufstellung der Arbeitseinsatzpläne geregelt. In der BV „Arbeitszeiterfassungsanlage“ ist die elektronische Erfassung und Buchung der Arbeitszeiten vereinbart. Danach werden die „Kommt-/Gehtzeiten“ entsprechend der BV „Arbeitszeit“ in näher bestimmten Terminals erfasst.
Die Arbeitgeberin ermahnte im März und April 2007 Arbeitnehmer, weil sie erst nach dem Umkleiden das Arbeitszeitende in das Zeiterfassungsgerät eingegeben hatten. Daraufhin leitete der Betriebsrat das anhängige Beschlussverfahren ein. Er macht geltend, das Umkleiden gehöre zur Arbeitszeit und habe daher innerhalb der erfassten „Kommt-“ und „Gehtzeiten“ zu erfolgen. Mit ihrer Anweisung zur zeitlichen Lage der Umkleidezeit habe die Arbeitgeberin einseitig Beginn und Ende der Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG geändert.
Der Betriebsrat hat – soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Bedeutung – beantragt
festzustellen, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht zusteht, soweit die Arbeitgeberin die Arbeitnehmer anweist, außerhalb ihrer durch Arbeitseinsatzplanung festgelegten Arbeitszeit die von ihr gestellte Firmenkleidung an- und auszuziehen;
hilfsweise
die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihre Anweisung, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer iSv. § 5 Abs. 1 BetrVG des Betriebes der Arbeitgeberin in B mögen vor dem Beginn und nach dem Ende der Arbeitszeit die Arbeitskleidung anziehen bzw. ausziehen bis zu dem Zeitpunkt zurückzunehmen oder in sonstiger geeigneter Weise außer Kraft zu setzen, bis zu welchem der Betriebsrat dem vorstehenden Regelungsgegenstand der Anweisung zustimmt bzw. bis zu welchem die Zustimmung des Betriebsrates hierzu durch einen Spruch einer Einigungsstelle ersetzt wird
sowie
der Arbeitgeberin aufzugeben, es zukünftig zu unterlassen, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer iSv. § 5 BetrVG ohne Zustimmung des Betriebsrates bzw. ohne den die Zustimmung des Betriebsrates ersetzenden Spruch einer Einigungsstelle anzuweisen, diese mögen ihre Arbeitskleidung vor dem Beginn und nach dem Ende der Arbeitszeit anziehen bzw. ausziehen.
Die Arbeitgeberin hat die Abweisung der Anträge beantragt.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens hat die zwischenzeitlich zur Regelung der Frage, an welchem Ort die Arbeitszeit iSd. BV „Arbeitszeiten“ beginnt und endet, eingesetzte Einigungsstelle beschlossen, das Einigungsstellenverfahren bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens ruhen zu lassen. Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die um die Hilfsanträge sowie einen weiteren Antrag erweiterte Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat den erstinstanzlichen Hauptantrag sowie die Hilfsanträge weiter.
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats hat Erfolg.
I. Der Hauptantrag des Betriebsrats ist zulässig.
1. Der Antrag bedarf der Klarstellung. Nach Wortlaut und Vorbringen des Betriebsrats bezieht sich das Feststellungsbegehren ausschließlich auf Arbeitnehmer, die nach der GBV „Firmenkleidung“ verpflichtet sind, während der Arbeit die von der Arbeitgeberin gestellte Firmenkleidung iSd. Nr. 1 dieser Gesamtbetriebsvereinbarung zu tragen. Allein bei diesen Beschäftigten geht der Betriebsrat davon aus, dass es sich bei den jeweiligen Umkleidevorgängen um Arbeit handele, deren Erbringung außerhalb der mitbestimmten Lage der Arbeitszeit nicht einseitig von der Arbeitgeberin festgelegt werden könne.
2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Er betrifft die Feststellung eines betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses (§ 256 ZPO). Dem Betriebsrat geht es nicht um die Feststellung eines Mitbestimmungsrechts bei der Anweisung der Arbeitgeberin, sondern bei der damit einhergehenden Änderung der zeitlichen Lage der Arbeitszeit. Hierfür besteht auch das erforderliche Feststellungsinteresse. Die Arbeitgeberin stellt das vom Betriebsrat in Anspruch genommene Mitbestimmungsrecht in Abrede. Dem Feststellungsinteresse steht nicht entgegen, dass im Betrieb der Arbeitgeberin durch die BV „Arbeitszeit“ Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit geregelt sind, denn diese Betriebsvereinbarung enthält keine Regelung bezüglich der Umkleidezeiten. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Einsetzung einer Einigungsstelle zur Regelung der Frage, an welchem Ort die Arbeitszeit beginnt bzw. endet. Hierdurch entfällt das rechtliche Interesse des Betriebsrats an der beantragten gerichtlichen Feststellung eines Mitbestimmungsrechts schon deshalb nicht, weil die Einigungsstelle ihr Verfahren bis zum Abschluss des vorliegenden Verfahrens zum Ruhen gebracht hat (vgl. Senat 1. Juli 2003 – 1 ABR 20/02 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 107, 1).
II. Der Hauptantrag ist begründet. Die mit der Anweisung der Arbeitgeberin, sich vor Beginn bzw. nach dem Ende der durch die Zeiterfassungsanlage erfassten Arbeitszeit umzuziehen, einhergehende Änderung der zeitlichen Lage der Arbeitszeit unterliegt nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Das An- und Ausziehen der Firmenkleidung ist Arbeitszeit im Sinne dieses Mitbestimmungstatbestands.
1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit. Der Arbeitszeitbegriff in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist nicht deckungsgleich mit dem Begriff der vergütungspflichtigen Arbeitszeit und dem des Arbeitszeitgesetzes oder der Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 4. November 2003 (ABl. EG Nr. L 299 S. 9). Vielmehr bestimmt sich der Arbeitszeitbegriff in § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts. Dieser besteht darin, die Interessen der Arbeitnehmer an der Lage ihrer Arbeitszeit und damit zugleich ihrer freien und für die Gestaltung ihres Privatlebens nutzbaren Zeit zur Geltung zu bringen. Dementsprechend betrifft das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG die Lage der Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG ist deshalb die Zeit, während derer der Arbeitnehmer die von ihm in einem bestimmten zeitlichen Umfang vertraglich geschuldete Arbeitsleistung tatsächlich erbringen soll. Eine mitbestimmungspflichtige Änderung der Lage der Arbeitszeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeit außerhalb des festgelegten Zeitraums erbringt oder erbringen soll (Senat 14. November 2006 – 1 ABR 5/06 – Rn. 26 f., BAGE 120, 162).
2. Umkleidezeiten gehören zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt. Das Ankleiden mit vorgeschriebener Dienstkleidung ist nicht lediglich fremdnützig und damit nicht Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auch auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann (BAG 11. Oktober 2000 – 5 AZR 122/99 – BAGE 96, 45, 51).
3. Mit ihrer Anweisung, die Firmenkleidung vor Beginn bzw. nach dem Ende der durch die Zeiterfassungsanlage erfassten Arbeitszeit an- und auszuziehen, hat die Arbeitgeberin die Lage der Arbeitszeit einseitig geändert. Die Arbeitnehmer werden hierdurch angehalten, Arbeit außerhalb des durch die Betriebsvereinbarungen „Arbeitszeit“ und „Arbeitszeiterfassungsanlage“ festgelegten Zeitraums des Beginns und Endes der Arbeitszeit zu erbringen.
a) Das An- und Ablegen der in der GBV „Firmenkleidung“ sowie dem „Staff-Clothing-Ordner“ näher beschriebenen Firmenkleidung ist lediglich fremdnützig und damit Arbeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG 1972.
aa) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Firmenkleidung sei nicht besonders auffällig, weil etwa die Hälfte der Belegschaft sie bereits zu Hause anlege, ist für den Senat nicht bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Unabhängig davon, ob das Landesarbeitsgericht die darauf gerichtete sehr grobe Schätzung der Arbeitgeberin ohne eigene Festestellungen im Beschlussverfahren seiner Entscheidung zugrunde legen durfte, rügt die Rechtsbeschwerde zu Recht, dass die besondere Auffälligkeit einer Firmenkleidung im öffentlichen Raum objektiv zu bestimmen ist und nicht von dem Verhalten eines Teils der Belegschaft abhängt. Einer Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht bedarf es nicht. Der Senat kann die Auffälligkeit der Firmenkleidung selbst beurteilen (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil der entscheidungserhebliche Sachverhalt feststeht und eine weitere Tatsachenfeststellung nicht erforderlich ist.
bb) Das Tragen einer einheitlichen Kleidung iSd. Nr. 1 GBV „Firmenkleidung“ ist nach dem Sinn und dem Zweck dieser Gesamtbetriebsvereinbarung einerseits Ausdruck einer bestimmten Firmenkultur der Arbeitgeberin und einer darauf gerichteten Identifikation der Beschäftigten. Andererseits dient es vor allem dem Zweck, den Kunden ihrer Einrichtungshäuser das Auffinden und Ansprechen ihrer Mitarbeiter in den weitläufigen Verkaufsräumen und Selbstbedienungslagern zu erleichtern. Dazu ist die von der Arbeitgeberin zu stellende Oberbekleidung grundsätzlich in einem markanten und signalgebenden „blau/gelb“ gehalten. Dieser Farbenkombination bedient sich das Unternehmen deutschlandweit einheitlich in allen Niederlassungen. Die Farbgebung selbst ist Teil des Marketings des Unternehmens, das auf eine unverwechselbare Assoziation mit seinem skandinavischen Ursprungsland gerichtet ist. Darüber hinaus ist der Name des Unternehmens deutlich sichtbar auf der Vorderseite der Hemden, Shirts und Westen soweit auf den Gesäßtaschen der Hosen angebracht. Ein Beschäftigter, der diese Firmenkleidung auf dem Weg von und zur Arbeit trägt, ist im öffentlichen Raum ohne Weiteres als ein solcher der Arbeitgeberin identifizierbar und damit auffällig gekleidet.
cc) Soweit die Arbeitgeberin meint, der besonderen Auffälligkeit stehe entgegen, dass das Tragen der Firmenkleidung nach Farbe, Form und Schnitt zumutbar sei, berücksichtigt sie nicht, dass nicht die subjektive Zumutbarkeit dieser Merkmale, sondern die Uniformität der Farbgebung sowie der angebrachte Name des Unternehmens für die Auffälligkeit der Kleidung im öffentlichen Raum maßgebend sind. An einer damit zwangsläufig verbundenen Offenlegung des Arbeitgebers gegenüber Dritten sowie einer Verbreitung des Bekanntheitsgrades des Unternehmens besteht kein objektiv feststellbares eigenes Interesse der Arbeitnehmer; vielmehr dient das Tragen der Firmenkleidung auf dem Weg von und zur Arbeit, zu dem auch die Betriebsparteien die Arbeitnehmer wegen des damit verbundenen Eingriffs in die private Lebensführung nicht verpflichten könnten, allein dem Interesse der Arbeitgeberin.
b) Da nicht nur das Tragen der von der Arbeitgeberin gestellten Firmenkleidung, sondern auch deren An- und Ablegen fremdnützig ist, zählt auch die Zeit des Umkleidevorgangs im Betrieb zur Arbeitszeit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG. Nachdem gem. § 3 Nr. 2 BV „Arbeitszeiterfassungsanlage“ die Arbeitszeit des Beschäftigten mit der Eingabe seiner „Kommtzeit“ beginnt und mit der Eingabe der „Gehtzeit“ endet, hat die Arbeitgeberin mit ihrer Anweisung, die Firmenkleidung außerhalb dieser Zeiten an- und auszuziehen, einseitig die Lage der Arbeitszeit geändert. Eine solche Änderung unterliegt deshalb gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats.
III. Die Hilfsanträge sind nicht zur Entscheidung angefallen. Sie hat der Betriebsrat nur für den Fall der Unzulässigkeit des Hauptantrags gestellt.