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Dieselskandal – lineare Nutzungsersatzberechnung technisch mögliche Gesamtlaufleistung

OLG München – Az.: 5 U 2386/20 – Urteil vom 26.01.2021

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 25.03.2020, Az. 33 O 2149/18, wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 16.612,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 24.01.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs A. A4 mit der Fahrgestellnummer …19 zu zahlen.

2. Im Übrigen bleibt die Klage ab- und wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 37% und die Beklagte 63%.

4. Das Urteil ist ebenso wie das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 25.03.2020, Az. 33 O 2149/18, nach Maßgabe von Ziffer 1., vorläufig vollstreckbar.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal.

Der Kläger kaufte am 22.08.2015 bei der A. H. GmbH das Fahrzeug A. A4 Avant, 2,0 TDI, zum Preis von 26.500 €. Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs, dieses war mit einem Motor des Typs EA189 der V. AG ausgestattet. Der Kilometerstand betrug beim Kauf 44.115 km und im November 2020 102.280 km.

Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 erteilt. Die Steuerungssoftware des Motors erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus, in dem die Stickoxidgrenzwerte eingehalten werden, während dies außerhalb dieses Modus nicht der Fall ist. Nach dem die V.-AG im September 2015 öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software eingeräumt hatte, erging am 15.10.2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung, der auch das Fahrzeug des Klägers betrifft.

Mit Schreiben vom 23.10.2018 (Anlage K 10) forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die sich aus der Formel Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer / Rechtslaufleistung berechne, aber in dem Schreiben nicht konkret angegeben wurde, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs unter Fristsetzung zum 30.11.2018 auf. Dabei bot er das Fahrzeug zur Abholung an.

Der Kläger hat vor dem Landgericht gemeint, die Beklagte sei aufgrund des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit einem Dieselmotor mit einer illegalen Programmierung der Motorsteuerung zur Manipulation der gemessenen Abgaswerte zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet, der auf Rückabwicklung des Vertrages gerichtet sei. Insbesondere habe die Entwicklungsabteilung der Beklagten nicht ohne Kenntnis des Vorstands entschieden, den Motor mit der streitgegenständlichen Software in die Fahrzeuge der Beklagten einbauen zu lassen. Aufgrund der festgelegten, streng hierarchisch angeordneten und durch die Dokumentation in allen Bereichen der Entwicklung und Planung abgesicherten Organisationsstruktur der Beklagten für derartige Entscheidungen, die gemäß DIN EN ISO 9001 zertifiziert sei, hätten die erforderlichen Entscheidungen nicht auf untergeordneten Ebenen ohne Anweisung, Planung und Genehmigung durch die Unternehmensführung veranlasst werden können. Zudem gebe es Überkreuzregelungen im Vorstand der Beklagten und der V. AG, es bestehe auch Personenidentität der Vorstände. Die Entscheidung zum Einbau des Motors mit der streitgegenständlichen Software sei sowohl vom Vorstand der Beklagten als auch von dem der V. AG getroffen worden. Die im Rahmen der EU-Typ Genehmigung ausgestellte EU-Konformitätsbescheinigung habe die Beklagte bewusst falsch ausgefertigt. Da die Beklagte durch ihre verfassungsmäßigen Vertreter gehandelt habe und diese auch den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hätten, hafte die Beklagte für deren unerlaubte Handlung gemäß § 31 BGB.

Zudem ist der Kläger der Auffassung, ihm stehe für die außergerichtliche Interessenwahrnehmung durch seinen Rechtsanwalt ein Schadensersatz in Höhe einer 2,0 Geschäftsgebühr zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer zu.

Der Kläger hat daher vor dem Landgericht beantragt:

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei 26.500 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 23.08.2015 bis 03.12.2018 (gem. außergerichtlichem Schreiben) und seither 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich einer im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs A. A4 mit der Fahrgestellnummer …19, zu zahlen.

I. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 03.12.2018 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstandes in Annahmeverzug befindet.

I. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.077,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat vor dem Landgericht beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist u.a. der Auffassung, das Fahrzeug sei technisch sicher und uneingeschränkt gebrauchstauglich. Sie habe Maßnahmen zur technischen Überarbeitung des Fahrzeugs entwickelt, die das Kraftfahrtbundesamt freigegeben habe. Insbesondere habe der Kläger keinen Schaden erlitten, es fehle an Kausalität zwischen etwaiger Täuschung und dem Vertragsabschluss. Zudem habe das Fahrzeug keinen Wertverlust erlitten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Einbau und das Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung stelle kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten dar. Es könne – vom damaligen Kenntnishorizont des Klägers – nicht von einer Täuschung des Verbrauchers über das tatsächliche Abgasverhalten gesprochen werden. Einen Schaden als merkantilen Minderwert habe der Kläger nicht schlüssig dargestellt. Im Übrigen wäre der beim Kläger eingetretene Schaden nicht vom Schutzzweck der verletzten EU-Verordnung 715/2007 umfasst.

Gegen das ihm am 31.03.2020 zugestellte Ersturteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 17.04.2020, eingegangen am selben Tag, Berufung eingelegt, die er mit Schriftsatz vom 02.06.2020, dem Dienstag nach Pfingsten, eingegangen am selben Tag, begründet hat.

Der Kläger trägt vor, das Landgericht habe u.a. verkannt, dass ihm der geltend gemachte Anspruch insbesondere aus § 826 BGB zustehe. Das Handeln der Beklagten sei u.a. angesichts des Ausmaßes der Täuschung, nämlich des Einsatzes des Motortyps in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen sowie aus Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden als sittenwidrig einzustufen. Es sei davon auszugehen, dass die Installation der Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware mit Wissen und Wollen eines oder mehrere Mitglieder des Vorstands der Beklagten erfolgt sei und dieses oder diese Mitglieder des Vorstands in der Vorstellung handelten, dass die so ausgestatteten Motoren in Fahrzeugen der Beklagten eingebaut und für diese unter Täuschung der zuständigen Behörde die EG-Typgenehmigung beantragt werde, obwohl die materiellen Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen, und die Fahrzeuge sodann veräußert werden würden. Der Beklagten sei es ohne weiteres möglich und zumutbar, die eingebundenen Verantwortlichen bis zu den Bereichsvorständen und den Vorständen zu benennen. Insoweit treffe die Beklagte hinsichtlich der unternehmensinternen Entscheidungsprozesse eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, substantiiert darzulegen, dass nach ihren Recherchen die in Betracht kommenden Repräsentanten keine Kenntnis von der Verwendung der Manipulationssoftware gehabt hätten. Zudem habe das Landgericht verkannt, dass der Kläger den geltend gemachten Schaden schon durch den Erwerb des mit der streitgegenständlichen Software ausgerüsteten Fahrzeugs erlitten habe. Die  zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs betrage mindestens 350.000 km.

Die Klägerin beantragt daher, das Ersturteil aufzuheben, und verfolgt seine in erster Instanz gestellten Anträge mit der Maßgabe weiter, dass von der im Antrag zu 1. genannten Hauptforderung eine Nutzungsentschädigung von 5.039,06 € abzuziehen sei.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Dieselskandal - lineare Nutzungsersatzberechnung technisch mögliche Gesamtlaufleistung
(Symbolfoto: Von Maren Winter/Shutterstock.com)

Sie trägt insbesondere vor, sie bzw. ihre Vorstandsmitglieder hätten keine Kenntnis von der Programmierung und der Verwendung der als unzulässig gerügten Software gehabt und eine Schädigung der Klagepartei nicht billigend in Kauf genommen, da sie den Motor EA189 nicht entwickelt, sondern diesen einschließlich der Motorsteuerungssoftware als Zulieferprodukt, wie andere Zulieferteile auch, eingekauft habe. Im Volkswagenkonzern habe die Verantwortlichkeit für die Entwicklung des Motors EA189 im Rahmen der sog. Baukastenstrategie bei der V. AG gelegen. Insbesondere treffe sie auch keine sekundäre Darlegungslast, die Entscheidung des BGH vom 25.05.2020 (VI ZR 252/19) könne nicht übertragen werden.

Mit Ladungsverfügung vom 04.08.2020 hat der Senat gemäß § 139 ZPO darauf hingewiesen, dass der Vortrag zur Entwicklung des EA189 und der Unkenntnis einzelner Personen im Unternehmen der Beklagten unzureichend sei. Ebenso fehle es an der Exkulpation hinsichtlich einzelner Mitarbeiter, die nicht Repräsentanten o.ä. waren.

Mit Schriftsatz vom 12.10.2020 hat die Beklagte ihren Vortrag insbesondere dahingehend ergänzt, dass auch im Ergebnis aller neuen Recherchen keine Anhaltspunkte für Kenntnisse der Vorstandsmitglieder oder sonstiger als Repräsentanten im Sinne von § 31 BGB (analog) einzuordnender Personen unterhalb des Vorstands vom Einsatz der Umschaltlogik in den EA189-Motoren der Fahrzeuge der Beklagten im relevanten Zeitpunkt bestanden hätten. Den Bereichsleitern kämen unter eine Haftungszurechnung analog § 31 BGB fallende Funktionen typischerweise nicht zu, da diese trotz ihrer hohen Position in der Unternehmenshierarchie den Weisungen und der Kontrolle des jeweiligen Vorstandsmitglieds unterstellt und in das hierarchische Anweisungs- und Berichtssystem eingebunden seien. Soweit gegenüber bestimmten Vorstandsmitgliedern noch nicht einmal ein Anfangsverdacht für eine solche Kenntnis vorgelegen habe, sei der Aufsichtsrat nicht nur zu keinen weiteren Aufklärungsmaßnahmen verpflichtet gewesen, sondern mit Blick auf den mit solchen Untersuchungen einhergehenden Eingriff in die Unternehmensleitung durch den Vorstand sogar gehindert. Vertiefende Untersuchungen seien nur insoweit durchgeführt worden, als aufgrund des Tätigkeitsprofils Anhaltspunkte für eine potentielle Kenntnis bestanden hätten. Befragungen sämtlicher Einzelpersonen seien weder erforderlich noch praktisch umsetzbar gewesen, da beispielsweise zur Ebene der Bereichsleiter bei der Beklagten im relevanten Zeitraum 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Eine Grundlage für eine sekundäre Darlegungslast bestehe daher nicht.

Die Motoren des Typs EA189 einschließlich der Motorsteuerungssoftware seien ausschließlich von der V.AG entwickelt und die Software so verriegelt worden, dass die Mitarbeiter der Beklagten hierauf hätten keinen Einfluss mehr nehmen können. Der Herstellungsvorgang in den Produktionsstätten der Beklagten beim Einbau der Motoren des Typs EA189 in die Fahrzeuge der Beklagten habe sich in der Herstellung von Schraubverbindungen und dem Zusammenführen von Kabeln erschöpft. Mit Ausnahme des Motors und der Motorsteuerungssoftware habe die Beklagte die alleinige Verantwortung für die Entwicklung des hier streitgegenständlichen Fahrzeugs getragen. Für die EA189-Motoren habe die V.-AG für sämtliche Marken des Konzerns das für die Emissions-Typgenehmigung erforderliche Zulassungsverfahren, einschließlich der erforderlichen Tests, durchgeführt. Ein Anlass für die Beklagte, die Motoren eigenständig zu überprüfen, habe nicht bestanden, sie habe ohne eine detaillierte Prüfung auf die Gesetzeskonformität der Motoren vertrauen dürfen. Die Übereinstimmungserklärungen für Fahrzeuge der Marke A., in die ein Motor des Typs EA189 eingebaut und die für den europäischen Markt bestimmt waren, seien im relevanten Zeitraum durch den jeweiligen Vorstandsvorsitzenden, Prof. Dr. W. (bis 05.12.2006) bzw. danach Prof. S., unterzeichnet worden. Es bestünden keine belastbaren Anhaltspunkte dafür, dass diese bei der Unterzeichnung Kenntnis von der Steuerungssoftware des Motors gehabt hätten.

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Der Kläger hat erklärt, der gesamte neue Vortrag, insbesondere zu internen Vorgängen der Beklagten und der V. AG, werde mit Nichtwissen bestritten und als verspätet gerügt. Die Ausführungen zu einer fehlenden Kenntnis der maßgeblichen Personen insbesondere des Vorstands seien bereits durch die unstreitigen Vorstandsüberschneidungen in den verschiedenen Unternehmen des V.-Konzerns widerlegt. Zudem dürfte eine auf der sog. Baukastenstrategie beruhende Arbeitsteilung mehrerer juristischer Personen im Ergebnis nicht zu einer ungerechtfertigten Begünstigung von Großbetrieben führen.

Der Senat hat im Termin vom 24.11.2020 den Kläger zur Sache gehört und Hinweise erteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Ersturteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Ladungsverfügung vom 04.08.2020 sowie die Sitzungsniederschrift vom 24.11.2020 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat nur im tenorierten Umfang Erfolg. Die Beklagte haftet dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des ungewollten Vertragsschlusses aus § 826 BGB. Dabei ist der Anspruch darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 12 ff.). Die Beklagte hat dem Kläger Zug um Zug gegen die Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs jedoch nur 16.612,12 € zu erstatten, da sich der Kläger aufgrund des Gebrauchs des Fahrzeugs einen Nutzungsvorteil in Höhe von 9.887,88 € anrechnen lassen muss.

1.

Die Beklagte hat im Verhältnis zum Kläger sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB gehandelt.

a.

Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 15 m.w.N.).

b.

Vor diesem Hintergrund ist das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger aufgrund einer Gesamtschau ihres Verhaltens unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen als sittenwidrig anzusehen. Die Beklagte hat aufgrund einer grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den von ihrer Konzernmutter entwickelten Dieselmotor der Baureihe EA189 in großen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden ebenso einher wie die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge – gleichgültig, ob das Fahrzeug neu oder gebraucht erworben wird – in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung arglos erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 16 ff. m.w.N.).

2.

Dieses sittenwidrige Verhalten ist der Beklagten auch zuzurechnen.

a.

Die Beklagte haftet für dieses sittenwidrige Handeln auch selbst gemäß §§ 826, 31 BGB, da sie nach ihrem eigenen Vortrag die Verantwortlichkeit für die Entwicklung und Herstellung des Motors EA189 einschließlich der Motorsteuerungssoftware im Rahmen der sog. Baukastenstrategie an ihre Konzernmutter, die V. AG, übertragen und diesen in der Folge absprachegemäß in die von ihr hergestellten Fahrzeuge eingebaut hat. Denn insoweit ist die Konzernmutter der Beklagten hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung des Motors EA189 als Repräsentantin der Beklagten anzusehen.

(1)

Als Repräsentant einer Körperschaft, für dessen Verhalten diese unbedingt einzustehen hat, ist jedermann anzusehen, dem durch allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind. Denn dies entspricht dem Sinn der §§ 30, 31 BGB, die dem Verkehrsschutz dienen sollen. Entscheidend ist deshalb, ob der „Berufene” für einen Geschäftskreis bestellt ist, der eine dem Vorstand ähnliche Selbständigkeit bzw. Verantwortlichkeit verlangt. Dabei bemessen sich die Voraussetzungen für §§ 30, 31 BGB am Verkehrsschutz im Außenverhältnis, nicht am internen Rang des Berufenen, der „besondere Vertreter” kann durchaus im Innenverhältnis weisungsabhängig sein, sofern nur sein Aufgabenkreis nach außen sich als für das Unternehmen „repräsentativ” qualifiziert (vgl. BGH, Urteil v. 12.07.1977, VI ZR 159/75, NJW 1977, S. 2259, 2260 unter III 2. a. m.w.N.; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, Rn. 53 zu § 826 BGB, Rn. 120 zu § 823 BGB; siehe für die Eigenschaft des Leiters der Entwicklungsabteilung der Konzernmutter der Beklagten insbesondere auch BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 33 m.w.N.).

Hinzu kommt, dass ein körperschaftlicher Organisationsmangel dann vorliegt, wenn die Leitung eines Teilbereichs des Unternehmens bzw. die Erfüllung deliktischer Verhaltenspflichten einer Person anvertraut wird, die nicht die Stellung eines verfassungsmäßigen Vertreters erhält. Denn dies ist mit Blick auf das Ausmaß von Schäden unumgänglich, die aus der Verletzung derartiger Pflichten in besonderem Maße drohen und die deshalb auch einen gesicherten Haftungsschutz fordern. Grundsätzlich muss daher in besonders bedeutsamen oder gefahrgeneigten Bereichen entweder ein verfassungsmäßiger Vertreter selbst die Verantwortung tragen oder ein damit beauftragter Dritten Organstellung i.S. von §§ 30, 31 BGB erhalten, so dass die Körperschaft für das Verschulden dieses Dritten ohne Entlastungsmöglichkeit einzustehen hat. Verstößt die juristische Person gegen diese Pflicht, wird sie so gestellt, als hätte sie der mit der Aufgabe betrauten Person Organstellung eingeräumt (vgl. BGH, Urteil v. 08.07.1980, VI ZR 158/78, NJW 1980, S. 2810, 2811 unter II. 1. b) bb) m.w.N.; BGH, Urteil v. 12.06.1997, I ZR 36/95, NJW-RR 1998, S. 250, 252, unter II. 4.; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, Rn. 121 zu § 823 BGB; BeckOGK/Offenloch, 15.11.2020, Rn. 119 zu § 31 BGB).

(2)

Hiernach ist die Konzernmutter der Beklagten als deren Repräsentantin hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung der Motoren des Typs EA189 samt deren Steuerungssoftware anzusehen. Denn die Herstellung und Programmierung des Motors wurde dieser nach dem Vorbringen der Beklagten als für die betreffenden Fahrzeuge wesentliche Funktion im Rahmen der Konzernvereinbarungen zu Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten auf Grundlage der sog. Baukastenstrategie zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen.

Dabei verlangt die ausschließliche Zuständigkeit für Herstellung und Entwicklung eines Motors als einem der Kernstücke eines Fahrzeugs, das in ganz wesentlicher Weise prägend insbesondere für dessen Fahrleistungen, Verlässlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Umweltfreundlichkeit ist, eine dem Vorstand ähnliche Selbständigkeit und beinhaltet ein großes Maß an Verantwortlichkeit. Insoweit hat die Beklagte selbst vorgetragen, die Motoren des Typs EA189 einschließlich der Motorsteuerungssoftware seien ausschließlich von der V. AG entwickelt und die Software so verriegelt worden, dass die Mitarbeiter der Beklagten hierauf hätten keinen Einfluss mehr nehmen können. Der Herstellungsvorgang in den Produktionsstädten der Beklagten beim Einbau der Motoren des Typs EA189 in die Fahrzeuge der Beklagten habe sich in der Herstellung von Schraubverbindungen und dem Zusammenführen von Kabeln erschöpft. Zudem habe die V.-AG für sämtliche Marken des Konzerns das für die Emissions-Typgenehmigung erforderliche Zulassungsverfahren, einschließlich der erforderlichen Tests, durchgeführt.

Somit ist die Beklagte einerseits nach außen insgesamt als Herstellerin der Fahrzeuge ihrer Marke A. aufgetreten und hat diese – mit Ausnahme des Motors und der Steuerungssoftware – auch komplett selbst entwickelt, andererseits war nach außen auch erkennbar, dass die Herstellung der Motoren des Typs EA189 aufgrund einer im Konzern getroffenen Entscheidung im Rahmen der sog. Baukastenstrategie für alle Fahrzeuge des Konzerns, in der diese Motoren eingesetzt worden, durch die Konzernmutter der Beklagten erfolgte. Daher ist die Konzernmutter auch nach außen als Repräsentantin der Beklagten in diesem Sinne hinsichtlich der Entwicklung und Herstellung der Motoren des Typs EA189 samt der dazugehörigen Steuerungssoftware insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes anzusehen, mit der Folge, dass sich die Beklagte deren Handeln gemäß § 31 BGB zurechnen lassen muss.

(3)

Darüber hinaus würde die Beklagte auch dann, wenn ihre Konzernmutter im Hinblick auf die Entwicklung und Herstellung der Motoren des Typs EA189 samt Steuerungssoftware nicht als Repräsentantin anzusehen wäre, jedenfalls wegen eines körperschaftlichen Organisationsmangels haften. Denn angesichts der wesentlichen Bedeutung des Motors als Kernstück eines Fahrzeugs und insbesondere der damit verbundenen (Haftungs-)Risiken wäre es nach den dargelegten Grundsätzen unumgänglich gewesen, die Verantwortung in diesem Bereich entweder einem eigenen verfassungsmäßiger Vertreter oder einem hiermit beauftragten Dritten (hier die Konzernmutter) eine Organstellung im Sinne der §§ 30, 31 BGB zu übertragen. Wäre beides nicht der Fall gewesen, wäre die Beklagte infolge eines Verstoßes gegen diese Pflicht so zu stellen, als hätte sie der mit der Aufgabe betrauten Person Organstellung eingeräumt, und würde ebenfalls gemäß §§ 826, 31 BGB haften.

b.

Eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB ergibt sich auch daraus, dass nach dem eigenen Vortrag der Beklagten die Übereinstimmungserklärungen für Fahrzeuge der Marke A., in die ein Motor des Typs EA189 eingebaut und die für den europäischen Markt bestimmt waren, im relevanten Zeitraum durch die jeweiligen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten unterzeichnet wurden. Als Herstellerin der A.-Fahrzeuge ist die Beklagte gegenüber der Typ-Genehmigungsbehörde für alle Belange des EG-Typgenehmigungsverfahren und die Übereinstimmung der Produktion verantwortlich, und zwar auch dann, wenn sie nicht an allen Stufen der Herstellung des Fahrzeugs, des Systems, des Bauteils oder der selbstständigen technischen Einheit unmittelbar beteiligt ist, Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG.

Auch wenn die Beklagte die Motoren des Typs EA189 und die dazugehörige Steuerungssoftware nicht selbst hergestellt hat, so hat sie doch die Entscheidung getroffen, diese in ihre – im Übrigen nach ihrem eigenen Vortrag komplett von ihr entwickelten –  Fahrzeuge einzubauen. In dieser Form waren die Fahrzeuge dann Gegenstand des in der Verantwortung der Beklagten als Herstellerin stehenden EG-Typgenehmigungsverfahrens, in dem diese von ihren jeweiligen Vorstandsvorsitzenden unterzeichnete Übereinstimmungserklärungen vorlegte, die auch die in den Fahrzeugen verbauten Motoren samt Steuerungssoftware umfassten. Die damit zumindest konkludent erfolgte – und jedenfalls im Hinblick auf die verbaute Motorsteuerungssoftware unzutreffende – Erklärung der Übereinstimmung der Fahrzeuge mit den gesetzlichen Vorgaben muss sich die Beklagte daher zurechnen lassen. Soweit die Beklagte die Herstellung der Motoren EA189 und die Programmierung der Steuerungssoftware im Rahmen der sog. Baukastenstrategie des Konzerns zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung ihrer Konzernmutter zugewiesen hat, muss sie auch insoweit dafür einstehen.

c.

Zudem haftet die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB, weil davon auszugehen ist, dass die grundlegende strategische Entscheidung, die von der Konzernmutter der Beklagten entwickelten Motoren des Typs EA189 samt der unzulässigen Software in den Fahrzeugen der Beklagten, insbesondere auch im hier streitgegenständlichen Fahrzeug, einzusetzen, von den im Hause der Beklagten verantwortlichen Personen, insbesondere dem bzw. den dafür zum damaligen Zeitpunkt verantwortlichen Vorstand bzw. Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit deren Kenntnis und Billigung, getroffen und umgesetzt worden ist. Denn der entsprechende Vortrag des Klägers ist gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, da die Beklagte insoweit ihrer sekundären Darlegungslast nicht in hinreichendem Maße nachgekommen ist.

(1)

Nach den allgemeinen Grundsätzen trägt zunächst derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände. Der Anspruchsteller hat daher auch darzulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) des in Anspruch genommenen Unternehmens die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. Dabei kann den Bestreitenden aber eine sekundäre Darlegungslast treffen, wenn die primär darlegungsbelasteten Partei keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dem Bestreitenden obliegt es im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast, Nachforschungen zu unternehmen, wenn ihm dies zumutbar ist. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die beweislastete Klagepartei hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen und als Außenstehender besondere Schwierigkeiten hat, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 35 ff. m.w.N.).

(2)

Auf dieser Grundlage ist vorliegend von einer sekundären Darlegungslast der Beklagten im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers auszugehen. Der Kläger hat insbesondere vorgetragen, die Entscheidung, den Motor mit der streitgegenständlichen Software in die Fahrzeuge der Beklagten einzubauen, sei sowohl vom Vorstand der Beklagten als auch von dem der V. AG getroffen worden. Aufgrund der hierarchischen, durch die Dokumentation in allen Bereichen der Entwicklung und Planung abgesicherten und gemäß DIN EN ISO 9001 zertifizierten Organisationsstruktur der Beklagten hätten die erforderlichen Entscheidungen nicht auf untergeordneten Ebenen ohne Anweisung, Planung und Genehmigung durch die Unternehmensführung veranlasst werden können. Zudem gebe es Überkreuzregelungen im Vorstand der Beklagten und der V. AG, es bestehe Personenidentität der Vorstände.

Damit hat der Kläger hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands der Beklagten von der Verwendung der unzulässigen Abschaltung vorgetragen. Denn bei der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung handelt es sich um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge der Beklagten mit Motoren der Serie EA189 betreffende Strategieentscheidung, die sowohl mit erheblichen Risiken für die Beklagte als auch mit persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen verbunden war und zugleich große Bedeutung für die Geschäftstätigkeit der Beklagten mit Hinblick auf die technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zur Einhaltung gesetzlicher Grenzwerte hatte. Wegen der besonderen Schwierigkeiten des Klägers, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt, reicht dieser Darlegung gegenüber die Einlassung nicht aus, nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines der Vorstandsmitglieder der Beklagten an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung und Verwendung der Software in Auftrag gegeben oder davon gewusst habe. Vielmehr wäre der Beklagten möglich und zumutbar, mitzuteilen, welche Ermittlungen mit welchem Ergebnis sie insoweit angestellt hat und über welche Erkenntnisse sie insoweit verfügt (BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 39).

(3)

Die Beklagte ist der sie vor diesem Hintergrund treffenden sekundären Darlegungslast nicht in hinreichendem Maße nachgekommen, so dass der klägerische Vortrag als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO.

(a)

Die Einlassung der Beklagten, auch im Ergebnis aller neuen Recherchen bestünden keine Anhaltspunkte für Kenntnisse der Vorstandsmitglieder oder sonstiger als Repräsentant im Sinne von § 31 BGB (analog) einzuordnender Personen unterhalb des Vorstands vom Einsatz der streitgegenständlichen Software in den EA189-Motoren der Fahrzeuge der Beklagten im relevanten Zeitpunkt, nicht ausreichend. Der Senat hat in der Verfügung vom 04.08.2020 auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Vortrag zur Unkenntnis einzelner Personen im Unternehmen der Beklagten, insbesondere auch zu einzelnen Mitarbeitern, die nicht Repräsentanten waren, unzureichend sei.

Zwar hat die Beklagte umfangreich allgemein zu ihrer Organisationsstruktur, der Arbeitsorganisation (insbesondere der sog. Baukastenstrategie) und technischen Vorgängen bei der Produktion vorgetragen, nicht aber u.a. dazu, welche Personen im Vorstand der Beklagten und darüber hinaus konkret an den streitgegenständlichen Entscheidungen beteiligt waren, welche Kenntnisse sie über den streitgegenständlichen Motor und dessen Steuerungssoftware hatten und welchen Austausch mit welchem Inhalt es über diesen Motor und die dazugehörige Steuerungssoftware mit der Konzernmutter gegeben hat. Ebenso wenig wurde dargelegt, welche konkreten Ergebnisse die von ihr veranlassten Ermittlungen – gerade auch angesichts der bestehenden Berichts- und Dokumentationspflichten – hatten.

Soweit die Beklagte insbesondere angibt, die grundsätzliche Entscheidung, den Motor EA189 zu verwenden, sei von einem „Produkt-Strategie-Komitee“ getroffen worden, dem einzelne Mitglieder des Vorstandes sowie einzelne Mitglieder aus den Fachabteilungen angehört hätten, bleibt offen, um welche konkreten Personen es sich gehandelt hat und über welche Informationen diese im Hinblick auf diese konkrete Entscheidung verfügt haben. Weiterhin ist anhand des Vortrags der Beklagten nicht nachvollziehbar, warum entsprechende Kenntnisse trotz der bei der Beklagten nach eigenem Vortrag bestehenden strengen Unternehmenshierarchie nicht vorhanden gewesen sein sollen. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, dass insbesondere die Bereichsleiter trotz ihrer hohen Position in der Unternehmenshierarchie den Weisungen und der Kontrolle des für das jeweilige Vorstandsressort zuständigen Vorstandsmitglied im aktienrechtlichen Sinne unterstellt und in das hierarchische Anweisungs- und Berichtssystem eingebunden gewesen seien. Vor diesem Hintergrund ist nicht nachvollziehbar, dass die strategisch wichtige, mit erheblichen Risiken verbundene und für die Geschäftstätigkeit der Beklagten bedeutsame Entscheidung, die von der Konzernmutter hergestellten Motoren als Kernstück in ihre Fahrzeuge einzubauen, ohne hinreichende Informationen insbesondere darüber erfolgt sein soll, wie es gelungen ist, die der Beklagten als Hersteller von Dieselmotoren bekannte Problematik, ihre Fahrzeuge möglichst wirtschaftlich bei Einhaltung der strengen Abgasvorgaben zu produzieren, bzw. die entsprechenden Informationen nicht an die Entscheidungsträger bzw. zumindest an einen hierfür verantwortlichen Repräsentanten gelangt sein sollen.

(b)

Auch ist nicht dargelegt worden, welche Ermittlungen zu diesen Punkten gegenüber welchen Personen anhand des Berichtswesens oder in anderer Weise durchgeführt wurden und welche Ergebnisse diese erbracht haben. Es sind auch keine Umstände ersichtlich, aus denen sich ergeben würde, dass derartige Ermittlungen unmöglich bzw. unzumutbar gewesen wären. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Beklagte vorbringt, belastbare Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder im aktienrechtlichen Sinn oder von potentiellen Repräsentanten bestünden nicht, weshalb vertiefende Untersuchungen auch hinsichtlich potentiell als Repräsentanten einzuordnen Personen nur durchgeführt worden seien, wenn Anhaltspunkte für eine potentielle Kenntnis bestanden hätten. Allein zu der Ebene bei der Bereichsleiter bei der Beklagten hätten im relevanten Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört, Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien weder erforderlich noch praktisch umsetzbar gewesen. Vielmehr erscheint es gerade angesichts der Bedeutung dieser Fragestellung für das Unternehmen der Beklagten nicht unangemessen, erforderlichenfalls auch eine Vielzahl möglicherweise beteiligter Personen in die Ermittlungen einzubeziehen. Stattdessen ist hier überhaupt kein Vortrag zu derartigen Ermittlungen erfolgt. Ganz unabhängig davon, welche Schwierigkeiten im Rahmen etwaiger Ermittlungen aufgetreten sein mögen, wäre es der Beklagten ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, mitzuteilen, welche Ermittlungen mit welchem Ergebnis sie insoweit angestellt hat und über welche Erkenntnisse sie insoweit verfüge (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 40; OLG Koblenz, Urteil v. 8.10.2020, 6 U 1715/19, Rn. 11, zit. nach juris; OLG Hamm, Urteil v. 14.08.2020, 45 U 22/19, Rn. 115, zit. nach juris).

(c)

Soweit die Beklagte angibt, gegenüber bestimmten Vorstandsmitgliedern habe nicht einmal ein Anfangsverdacht für eine solche Kenntnis vorgelegen, so dass der Aufsichtsrat nicht nur zu keinen weiteren Aufklärungsmaßnahmen verpflichtet, sondern mit Blick auf den mit solchen Untersuchungen einhergehenden Eingriff in die Unternehmensleitung durch den Vorstand sogar daran gehindert gewesen sei, überzeugt dies ebenfalls nicht. Denn es ist zu keinem Vorstandsmitglied konkreter Vortrag erfolgt. Dass aber hinsichtlich keines einzigen Vorstandsmitglieds nähere Aufklärung angezeigt gewesen wäre, erscheint angesichts der nach Angaben der Beklagten strengen Unternehmenshierarchie sowie der Anbindung der Bereiche durch das Anweisungs- und Berichtssystem im Hinblick auf Weisungen und Kontrolle an das für das jeweilige Vorstandsressort zuständigen Vorstandsmitglied sowie angesichts der dargelegten Bedeutung der betreffenden Entscheidung ausgeschlossen.

3.

Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden, §§ 826, 249 Abs. 1 BGB, der in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug liegt (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 44 ff.).

a.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Schaden nicht nur dann gegeben, wenn sich bei dem vorzunehmenden Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Vielmehr ist eine wertende Überprüfung des anhand der Differenzhypothese gewonnenen Ergebnisses gemessen am Schutzzweck der Haftung und an der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes erforderlich. Vorliegend ist der Kläger infolge des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Dabei ist ein Schaden eingetreten, weil der Vertragsschluss als unvernünftig anzusehen ist und der Kläger durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten hat, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war. Denn bei einem zur eigenen Nutzung erworbenen Kraftfahrzeug sind dessen Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit für den Eigentümer von so großer Bedeutung, dass die vorübergehende Entziehung eines Kraftfahrzeugs auch bei der Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs einen Vermögensschaden darstellt. Der Verlust der Nutzungsmöglichkeit wirkt sich typischerweise als solcher auf die materiale Grundlage der Lebenshaltung signifikant aus, da Anschaffung und Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs in erster Linie um des wirtschaftlichen Vorteils willen erfolgen, der in der Zeitersparnis liegt (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 45 ff. m.w.N.).

b.

Der Senat ist aufgrund der Anhörung des Klägers in der Verhandlung vom 20.10.2020 insbesondere auch davon überzeugt, dass der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass dessen Abgaswerte manipuliert waren. Er hat im Termin vom 24.11.2020 angegeben, dass er das Fahrzeug definitiv nicht erworben hätte, wenn er damals gewusst hätte, dass an dem Motor Manipulationen vorgenommen worden seien. Es kollidiere mit seinem Befinden, dass das Fahrzeug nicht dem entspreche, was er ursprünglich gewollt habe. Er nehme mit dem Fahrzeug nur noch Fahrten vor, die unbedingt erforderlich seien. Diese Angaben sind glaubhaft, weil im Regelfall nicht anzunehmen ist, dass ein Fahrzeug erworben wird, obwohl berechtigte Zweifel daran bestehen, ob es für seinen Zweck, nämlich die Verwendung im öffentlichen Straßenverkehr, tatsächlich geeignet ist, bzw. dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar ist, ob dieses Problem behoben werden kann (BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 49, 51). Der Kläger hat auch einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen, dabei hat der Senat in seine Überlegungen miteinbezogen, dass er als Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeuges naturgemäß am Ausgang des Rechtsstreits interessiert ist. Seine Angaben haben aber inhaltlich keinen Zweifel geweckt, auch sonst haben sich im Verhalten des Klägers bei seiner Befragung keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dieser den Senat bewusst oder aus Fahrlässigkeit mit der Unwahrheit bedient hätte.

c.

Das streitgegenständliche Fahrzeug war aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung und der damit einhergehenden Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar. Der daraus resultierende Schaden ist auch nicht durch spätere Umstände wie etwa die Aufdeckung des verdeckten Sachmangels oder das Update entfallen (BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 52 ff.).

 

4.

Der Beklagten war der Schädigungsvorsatz der handelnden Personen auch zuzurechnen.

a.

Gemäß §§ 826, 31 BGB ist erforderlich, dass der Handelnde die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben muss. Dabei genügt nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen oder sie sich ihm sogar hätten aufdrängen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich Fahrlässigkeit gegeben. Es kann aber durchaus gerechtfertigt sein, im Einzelfall aus dem Wissen einer natürlichen Person auf deren Willen zu schließen bzw. es kann sich aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns die Schlussfolgerung ergeben, dass mit Schädigungsvorsatz gehandelt worden ist (BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 61, 62).

b.

Vor diesem Hintergrund handelten die betreffenden Personen vorliegend mit auch auf den Kläger als Käufer eines mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs bezogenem Schädigungsvorsatz. Insoweit hat die Beklagte – wie dargelegt – für das sittenwidrige Handeln ihrer als Repräsentantin anzusehenden Konzernmutter bzw. der für diese handelnden Personen ebenso einzustehen wie für die Angaben ihrer jeweiligen Vorstandsvorsitzenden im Rahmen der EG-Typgenehmigungsverfahren sowie dafür, dass die grundlegende und sittenwidrige Entscheidung über den Einbau der Motoren des Typs EA189 samt der unzulässigen Software in ihren Fahrzeugen von den bei ihr verantwortlichen Personen, insbesondere dem bzw. den dafür zum damaligen Zeitpunkt verantwortlichen Vorstand bzw. Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit deren Kenntnis und Billigung, getroffen und umgesetzt worden ist. Denn sowohl bei der V. AG bzw. den bei dieser handelnden Personen als auch bei den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten und den bei ihr für die Entscheidung über den Einbau der Motoren des Typs EA189 samt der unzulässigen Software verantwortlichen Personen ist schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass ihnen aufgrund ihrer zentralen Rolle bei der Entwicklung und dem Inverkehrbringen der betreffenden Fahrzeuge bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand – ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 63).

5.

Allerdings hat die Beklagte dem Kläger nur 16.612,12 € Zug um Zug gegen die Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erstatten, da sich der Kläger einen Nutzungsvorteil durch den Gebrauch des Fahrzeugs in Höhe von 9.887,88 € anrechnen lassen muss.

a.

Grundsätzlich muss sich der Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 64 ff.). Dabei steht dem Tatrichter gemäß § 287 ZPO ein Ermessen dahingehend zu, die Höhe des Schadensersatzanspruchs unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu bemessen. Im Rahmen der Vorteilsausgleichung kommt es dabei auf die aus dem erworbenen Fahrzeug (tatsächlich) gezogenen Vorteile an, die vorliegend darin liegen, dass der Kläger das Fahrzeug genutzt hat. Dabei kann eine Schätzung grundsätzlich auch in der Weise erfolgen, dass der von dem Käufer gezahlte Bruttokaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 79 ff.).

b.

Wie hingewiesen, kann nach Auffassung des Senats jedoch im Einzelfall zu berücksichtigen sein, dass eine solche rein lineare Berechnung des Nutzungsersatzes nur nach gefahrenen Kilometern und technisch möglicher Gesamtlaufleistung die aus der Nutzung des Fahrzeugs gezogenen Vorteile nicht immer vollständig abbildet. Denn gerade dann, wenn ein Fahrzeug nur in verhältnismäßig geringem Umfang, also mit einer geringen durchschnittlichen Jahreslaufleistung genutzt wird, ist zu sehen, dass innerhalb der Gesamtnutzungsdauer eines Fahrzeugs die grundsätzlich technisch mögliche Gesamtlaufleistung gegebenenfalls nicht erreicht wird. Zudem ist zu bedenken, dass ein Kfz aufgrund der spezifischen Gebrauchsvorteile eines neuen Fahrzeugs insbesondere im Zuge der technischen Weiterentwicklung auf dem Fahrzeugmarkt gerade in den ersten Jahren allein durch die Alterung in höherem Umfang an Wert verliert als im weiteren Verlauf des Fahrzeuglebens. Vor diesem Hintergrund kann es in derartigen Fällen geboten sein, diese Faktoren bei der Berechnung des Nutzungsersatzes zu berücksichtigen.

Vorliegend ist der Senat daher im Rahmen des Ermessens des § 278 ZPO zunächst davon ausgegangen, dass der Kläger das Fahrzeug von August 2015 bis November 2020, mithin etwas mehr als fünf Jahre, ausgehend von einem Anfangskilometerstand von 44.115 km bis zu einem Kilometerstand von 102.280 km am Tag der letzten mündlichen Verhandlung, bei also insgesamt 58.165 gefahrenen Kilometern mit einer durchschnittlichen Jahreslaufleistung von ca. 10.000 km genutzt hat.

Da bei Fortschreibung dieser Jahreslaufleistung beispielsweise eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km erst nach ca. 25 Jahren erreicht würde, ist nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Nutzungsdauer des klägerischen Fahrzeugs auch unabhängig von der tatsächlichen Fahrleistung zeitlich limitiert ist. Als Vergleichswert kann hier etwa Bezug genommen werden auf Ziffer 4.2.1 der AfA-Tabelle für die allgemein verwendbaren Anlagegüter des Bundesministeriums der Finanzen, 15.12.2000, IV D 2-S 1551-188/00, FANR565000000. Dort wird davon ausgegangen, dass für die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von Anlagegütern beruhend auf Erfahrungen der steuerlichen Betriebsprüfung, die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von Pkw 6 Jahre beträgt. Da nach Auffassung des Senats davon ausgegangen werden kann, dass die Nutzung eines Fahrzeug im außerbetrieblichen Bereich auch über einen längeren Zeitraum möglich ist, erscheint es angemessen, hier unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls für die Schätzung der Nutzungsentschädigung eine Nutzungsdauer von 20 Jahren anzunehmen und daher von einer rechnerischen Gesamtlaufleistung von 200.000 km auszugehen ist. Von dieser sind die vor dem Kauf durch den Kläger gefahrenen 44.115 km in Abzug zu bringen, so dass hier für die Berechnung der Nutzungsentschädigung eine voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 155.885 km zugrunde gelegt wird.

Hieraus ergibt sich nach der vom BGH anerkannten Berechnung in der Weise, dass der Bruttokaufpreis des Fahrzeugs (hier 26.500 €) durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (hier 155.885 km) geteilt und dieser Wert mit den gefahrenen Kilometern (hier 58.165 km) multipliziert wird, eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.887,88 €. Zieht man diese vom Kaufpreis ab, verbleibt ein Anspruch des Klägers in Höhe von 16.612,12 €.

6.

Die Voraussetzungen für die Feststellung des Annahmeverzugs sind nicht gegeben. Der Kläger hat die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen er sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Zudem hat er die Rückgabe nicht am richtigen Ort angeboten.

a.

Vorliegend hat der Kläger im Schreiben vom 23.11.2018 (Anlage K10) die Erstattung des Kaufpreises zwar unter Anrechnung von Nutzungsersatz begehrt. Allerdings hat er in diesem Zusammenhang lediglich in allgemeiner Weise jeweils für Neu- und Gebrauchtwagen eine Berechnungsformel für den Nutzungsersatz angegeben. Ein konkreter Wert, in dessen Höhe aus seiner Sicht ein Abzug gerechtfertigt ist, wurde ebenso wenig angegeben wie der zur Berechnung der Nutzungsentschädigung notwendige Kilometerstand des Fahrzeugs. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger die Zahlung nicht in der Weise angeboten, dass der Gläubiger nur noch zuzugreifen braucht (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, Rn. 3 zu § 294 BGB). Schon die Höhe des tatsächlich begehrten Betrags ist nicht angegeben, diese hätte vom Gläubiger auch nicht berechnet werden können. Die dem Schreiben betragsmäßig zu entnehmende Summe (also der vollständige Kaufpreis) ist jedenfalls deutlich höher, als der Kläger hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Annahmeverzug auf Seiten der Beklagten geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 85 m.w.N.).

b.

Darüber hinaus hat der Kläger der Beklagten auch das Fahrzeug nicht in einer den Annahmeverzug begründenden Weise nach §§ 293 bis 297 BGB angeboten. Denn die Rückgabepflicht des Klägers ist mangels anderweitiger Vereinbarung eine Bring- oder Schickschuld, die der Schuldner dem Gläubiger an dessen Wohnsitz anbieten oder an ihn absenden muss (BGH, Urteil v. 27.10.2020, XI ZR 498/19, Rn. 24). Im Schreiben vom 23.11.2018 hat der Kläger der Beklagten das Fahrzeug jedoch lediglich zur Abholung angeboten, so dass dieses Angebot zur Herbeiführung eines Annahmeverzugs der Beklagten nicht ausreichend war.

7.

Ein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht nicht. Denn ein Schädiger hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur jene durch das Schadensereignis verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Ist der Gläubiger bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Forderungsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig. Insoweit kommt es auf die (Gesamt-)Umstände des Einzelfalls an, deren Würdigung dem Tatrichter obliegt. Vorliegend war bekanntermaßen eine Zahlung der Beklagten auf ein außergerichtliches Schreiben wie das im vorliegenden Fall nicht zu erwarten. Soweit die Kläger bzw. deren Prozessbevollmächtigte, die nach ihren eigenen Angaben „eine der führenden Anwaltskanzleien im Abgasskandal“ sind, ein solches für erforderlich hielten, wäre dies bei entsprechendem Mandat mit einem sofortigen Klageauftrag durch die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG mit abgegolten gewesen, worauf der Kläger hätte hingewiesen werden müssen (vgl. BGH, Urteil v. 26.2.2013, XI ZR 345/10, Rn. 37, 38 m.w.N.).

8.

Ein Zinsanspruch besteht lediglich ab dem auf die Klagezustellung folgenden Tag gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, mithin ab dem 24.01.2019.

Soweit der Kläger ab dem 04.12.2018 mit Hinblick auf das vorgerichtliche Rechtsanwaltsschreiben vom 23.11.2018 mit Fristsetzung zum 30.11.2018 (Anlage K10) Verzugszinsen beansprucht, besteht ein solcher Anspruch nicht. Denn ein Schuldner kann nur in Verzug geraten, wenn der Schuldner den geschuldeten Betrag zuverlässig ermitteln kann, insbesondere auch keine weit übersetzte Forderung geltend gemacht wird (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, Rn. 20 zu § 286 BGB m.w.N.) und wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 86 m.w.N.). Beides war – wie darlegt – vorliegend nicht der Fall.

Soweit der Kläger bereits für den davor liegenden Zeitraum Zinsen beansprucht, steht ihm ein Anspruch nicht zu. Insbesondere besteht kein Anspruch auf Deliktzinsen gemäß § 849 BGB. Diesem steht bereits entgegen, dass der Kläger als Gegenleistung für die Hingabe des Kaufpreises ein in tatsächlicher Hinsicht voll nutzbares Fahrzeug erhalten hat. Dass der Kläger durch den ungewollten Vertragsschluss einen Schaden erlitten hat, weil dem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. -untersagung drohte und im Zeitpunkt des Erwerbs nicht absehbar war, ob überhaupt, wann und wie dieser Mangel ohne Nachteil für den Käufer behoben werden kann, steht dem nicht entgegen, weil das streitgegenständliche Fahrzeug gleichwohl tatsächlich nutzbar war, da sich diese Gefahr nicht realisierte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Kläger die tatsächliche Fahrzeugnutzung im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen lassen muss, denn der kompensierende Leistungsaustausch (Geld gegen Fahrzeug) fand unabhängig davon statt, ob und in welchem Ausmaß das Fahrzeug später tatsächlich genutzt wurde. Maßgebend ist hier die Möglichkeit der Nutzung (vgl. dazu BGH, Urteil v. 30.07.2020, VI ZR 354/19, Rn. 18 ff).

III.

1.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 ZPO. Dabei ist der Senat von einem Obsiegen des Klägers in Höhe des zugesprochenen Betrags im Verhältnis zum vollständigen Kaufpreis ausgegangen. Die erstmals im Termin vom 24.11.2020 durch den Kläger bezifferte Nutzungsentschädigung war nach Auffassung des Senats in diesem Zusammenhang nicht zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Denn der Kläger hat zu diesem Zeitpunkt erstmals einen konkreten Betrag genannt, obwohl bereits früher die Möglichkeit bestanden hätte, die aus Sicht des Klägers anzunehmende Nutzungsentschädigung – wenn auch nur in dem für den jeweiligen Zeitpunkt angesichts der fortdauernden Nutzung durch den Kläger möglichen Umfang – konkret zu beziffern. Im vorgerichtlichen Schreiben vom 23.11.20118 wurden lediglich in allgemeiner Weise jeweils für Neu- und Gebrauchtwagen Berechnungsformeln für den Nutzungsersatz angegeben, ohne einen konkreten Wert oder den zur Berechnung erforderlichen Kilometerstand anzugeben. Im gerichtlichen Verfahren wurde zwar im Antrag zu 1) die Bestimmung der Nutzungsentschädigung in Aussicht gestellt, allerdings zugleich durchgehend die Auffassung vertreten, eine solche sei nicht geschuldet (vgl. etwa Schriftsatz vom 4.12.2019 S. 52 ff.; Berufungsbegründung vom 02.06.2020 S. 31 ff.) bzw. diese in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht mit „0,00 €“ beziffert.

2.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts aus §§ 3, 4 ZPO, 47, 48 GKG. Dabei kommt insbesondere der Feststellung des Annahmeverzugs im Falle einer Zug-um-Zug-Verurteilung ein eigener wirtschaftlicher Wert nicht zu, weil die Frage des Annahmeverzugs nur ein rechtlich unselbständiges Element der umstrittenen Leistungsverpflichtung und deshalb mit dieser wirtschaftlich identisch ist (BGH, Beschluss v. 13.10.2020, VIII ZR 290/19, Rn. 7 f.).

3.

Es besteht kein Grund, die Revision zuzulassen.

a.

Der Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist dann gegeben, wenn eine Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, bzw. auch dann, wenn andere Auswirkungen der Sache das Allgemeininteresse in besonderem Maße berühren und eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern. Dabei ist eine Rechtsfrage klärungsbedürftig, wenn zu ihr unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (vgl. (BGH, Beschluss v. 27.03.2003, V ZR 291/02, unter II. 1. a); Zöller/Heßler, ZPO, 33. Aufl. 2020, Rn. 11 zu § 543 ZPO m.w.N.; MüKoZPO/Krüger, 6. Aufl. 2020 Rn. 6 zu § 543 ZPO).

Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Revision dann zuzulassen, wenn das Berufungsgericht insbesondere von einer höherrangigen Entscheidung des BGH oder von einer gleichrangigen Entscheidung eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen Berufungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt nur vor, wenn die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt. Bloße Fehler bei der Anwendung der insbesondere vom BGH entwickelten Grundsätze genügen nicht, zudem muss die Abweichung für die Entscheidung tragend geworden und für das Urteil ursächlich sein. Ebenso ist eine Abweichung zu verneinen, wenn sich ein Widerspruch nur aus einer Hilfsbegründung oder einem obiter dictum ergibt (vgl. BGH, Beschluss v. 27.03.2003, V ZR 291/02, unter II. 3. a; MüKoZPO/Krüger, 6. Aufl. 2020, Rn. 13 ff. zu § 543 ZPO; Musielak/Voit/Ball, 17. Aufl. 2020, Rn 8 ff. zu § 543 ZPO).

b.

Vor diesem Hintergrund ist vorliegend ein Anlass, die Revision zuzulassen, nicht ersichtlich. Der Senat hat den vorliegenden Einzelfall anhand der zitierten Rechtsprechung des BGH entschieden. Soweit es um die Frage einer Haftung der Beklagten geht, hatte der BGH – soweit ersichtlich – im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal bisher zwar nur über Ansprüche gegen die Konzernmutter der Beklagten zu entscheiden. Jedoch wurde auch diese Frage vorliegend anhand der Rechtsprechung des BGH – wenn auch nicht konkret im Hinblick auf die hier Beklagte – entschieden. Dass insoweit eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im dargestellten Sinne vorliegen würde oder andere Auswirkungen eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderten bzw. dass in dieser konkreten Rechtsfrage eine divergierende höher- oder (insbesondere seit der Entscheidung des BGH über die Haftung der Konzernmutter der Beklagten im Urteil v. 25.05.2020, VI ZR 252/19) gleichrangige Entscheidung vorliegen würde, in der diese Rechtsfrage anders beantwortet und dies für die Entscheidung tragend geworden und für das Urteil ursächlich wäre, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dies gilt insbesondere auch für die von der Beklagten insoweit vorgetragenen anderen OLG-Entscheidungen (Bl. 411, 412). Diesen liegen – soweit diese recherchierbar waren – zum Teil andere tragende Erwägungen zugrunde. Soweit diese teilweise eine Haftung von Konzernunternehmen der Konzernmutter der Beklagten deswegen nicht annehmen, weil eine Wissenszurechnung allein aufgrund der Verbundenheit in einem Konzern nicht bestehe, liegt eine solche Erwägung der hiesigen Entscheidung nicht zugrunde.

 

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