LG Bückeburg – Az.: 1 O 18/21 – Urteil vom 21.05.2021
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger … € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs … mit der FIN: ….
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger 557,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts #### entstandenen Mehrkosten werden dem Kläger auferlegt.
Im Übrigen werden die Kosten des Rechtsstreits zu 2/3 der Beklagten und zu einem Drittel dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des 1,2fachen vom zu vollstreckenden Betrag. Der Kläger kann eine Vollstreckung der Beklagten durch Leistung einer Sicherheit in Höhe des 1,2fachen vom vollstreckbaren Betrag abwenden, es sei denn die Beklagte leistet ihrerseits vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des 1,2fachen vom zu vollstreckenden Betrag.
Streitwert: bis 6.000 €
Tatbestand
Der Kläger kaufte am 27. März 2013 bei der D. Automobile …in … den … TDI mit der FIN: … zu einem Kaufpreis von … € (brutto). Das erstmals am … .2012 zum Straßenverkehr zugelassene Fahrzeug hatte seinerzeit eine Laufleistung von … km. Seit dem Kauf benutzt der Kläger das Fahrzeug. Bei Klageerhebung hatte es eine Laufleistung von etwa … km (Bl. 55). Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von … km.
Die Beklagte stellte das Fahrzeug her und bescheinigte die Übereinstimmung des Fahrzeugs mit dem genehmigten Fahrzeugtyp. Aufgrund der Typgenehmigung und der erteilten Übereinstimmung wurde das Fahrzeug zum Straßenverkehr zugelassen. Es ist in die Schadstoffklasse Euro 5 eingestuft und verfügt über einen Dieselmotor vom Typ EA 189. Der Motor ist vom sogenannten „Dieselskandal“ betroffen.
Die Zulassung war aufgrund der Erteilung einer Typgenehmigung und der Bescheinigung des Herstellers erfolgt, dass das Fahrzeug dem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht.
Die Typgenehmigung war aber nur erteilt worden, weil bei der Prüfung auf dem Prüfstand der Verbrennungsmotor mit einer eigens dafür vorgesehenen stickoxidoptimierten Einstellung betrieben worden ist, die im späteren Fahrbetrieb überhaupt nicht zum Einsatz kam. Betrieben wurde das Fahrzeug mit einer anderen, bei der Prüfung verheimlichten Motoreinstellung, nämlich im sogenannten partikeloptimierten Modus. Die Umschaltung zwischen den Betriebsmodi erfolgte dabei nicht manuell mittels eines vom Fahrer zu betätigenden Schalters, sondern automatisch und unbemerkt. Die verbaute Motorsteuerungssoftware erkannte aufgrund ihrer Programmierung selbstständig, ob sich das Fahrzeug im Straßenverkehr bewegte (dann partikeloptimierte Einstellung) oder sich zwecks Einhaltung von Laborbedingungen auf einem Prüfstand befand (dann stickoxidoptimierte Motoreinstellung). Abhängig von der Prüf- und Fahrsituation schaltete die Motorsteuerung entsprechend um (Modus 0 oder 1).
Die automatische Änderung der Motoreinstellungen auf den Modus 0 (die Beklagte nennt dies Umschaltlogik), wurde dem Prüfer im Verfahren auf Erteilung der Typgenehmigung nicht offenbart.
Gegenüber der durch Messung nachgeprüften und genehmigten Motoreinstellung (Modus 1) führt die veränderte Einstellung für den Fahrbetrieb zu einem höheren Ausstoß von Stickoxiden, mit denen die Grenzwerte auf dem Prüfstand nicht eingehalten worden wären.
Technisch war im Prüfmodus (Nr. 1) gegenüber dem Betriebs- oder Fahrmodus 0 die Abgasrückführungsrate erhöht und damit die Menge Abgas, die der Verbrennungsfrischluft zur erneuten Verbrennung zugeführt wurde. Dies führte zu einer Verringerung der bei der Verbrennung entstehenden Stickoxide. Im Fahrbetrieb wurde gegenüber der Prüfstandeinstellung die Abgasrückführungsrate reduziert. Dies hatte zwar einen Anstieg der Stickoxide zur Folge, dafür bewirkte es aber eine Reduzierung der emittierten Rußpartikel im freigesetzten Abgas und damit eine Entlastung des Dieselpartikelfilters, der nunmehr eine geringe Menge an Rußpartikeln absorbieren musste. Die Beklagte nennt diesen Modus deshalb auch den partikeloptimierten Modus.
Zur Vermeidung einer Stilllegung musste der Kläger das Fahrzeug einem Update der Motorsteuerung unterziehen. Dies geschah in einer Vertragswerkstatt. Das Motor-Update ist vom Kraftfahrtbundesamt genehmigt. Es gibt die Unterscheidung zwischen den beiden Betriebsmodi auf. Die Software der Motorsteuerung kennt nunmehr nur noch einen Betriebsmodus und soll zu einer Reduzierung der Stickoxidemissionen im Fahrbetrieb führen. Die Erlaubnis, das Fahrzeug im Straßenverkehr zu betreiben, wurde nicht entzogen.
Der Kläger meint, die Beklagte habe ihn in sittenwidriger Weise Schaden dadurch zugefügt, dass sie das von ihm gekaufte Gebrauchtfahrzeug ursprünglich in Verkehr gebracht habe obwohl die erforderliche Typgenehmigung von ihr erschlichen worden sei, das Fahrzeug an sich zum Straßenverkehr nicht hätte zugelassen werden dürfen. Bei Kenntnis von diesen Umständen, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ….€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. August 2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von … € zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des im Tenor des Urteils bezeichneten Fahrzeugs.
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Entgegennahme des im Klageantrag zu 1 genannten Fahrzeugs seit dem 1. August 2020 in Annahmeverzug befindet,
3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.570,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. August 2020 zu zahlen für die vorgerichtliche Rechtsverfolgung.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage für unbegründet und meint, etwaige Ansprüche seien im Übrigen verjährt.
Der Kläger hat Ansprüche im Musterfeststellungsverfahren 4 MK 1/18 vor dem Oberlandesgericht Braunschweig am 17. Dezember 2018 geltend gemacht. Nach Mitteilung des Bundesamtes für Justiz vom 6. Oktober 2020 enthält das Klageregister folgende Angaben:
„Gegenstand und Grund: (…)“
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf das Sitzungsprotokoll vom … .2021 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist dem Grunde nach insgesamt und in der Höhe teilweise begründet.
1.
Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Erstattung des an das Autohaus … gezahlten Kaufpreises aus § 826 BGB (vergleiche dazu LG Bückeburg, Urteil vom 30. August 2019, 1 O 238/18; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19).
2.
Der Anspruch ist auch nicht verjährt. Denn bei Erhebung dieser Klage Ende Oktober 2020 war der Anspruch nicht verjährt.
Vor dem 1. Januar 2017 ist die 3-jährige Verjährungsfrist nicht angelaufen, denn im Jahre 2015 musste der Kläger den nunmehr geltend gemachten Anspruch noch nicht verfolgen, auch nicht in Form einer Feststellungsklage. Durch die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage im Dezember 2018 ist der Fristlauf gehemmt worden, und zwar bis November 2020. Denn die Musterfeststellungsklage ist erst durch am 4. Mai 2020 erklärte Einwilligung der Beklagten zur Klagerücknahme beendet worden.
Der unverbrauchte Teil der Verjährungsfrist von mehr als einem Jahr war deshalb bei Klageerhebung im Oktober 2020 noch nicht abgelaufen.
Den in diesem Klageverfahren geltend gemachten Anspruch hat der Kläger auch im Musterfeststellungsklageverfahren geltend gemacht, mag er in seiner Anmeldung zur Musteranfechtungsklage auch weder das gekaufte Fahrzeug nach Fahrgestellnummer exakt bezeichnet haben noch das genaue Kaufvertragsdatum und den Kaufvertragspartner bezeichnet haben.
Allerdings muss sich der Kläger die erlangten Vorteile aus der sittenwidrigen Schädigung anrechnen lassen. Er muss das Fahrzeug an die Beklagte herausgeben und sich den Wert der gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Beides will der Kläger auch.
Der Wert der Nutzungsentschädigung wird auf 11.300 € bemessen (§ 287 ZPO). Der Kläger ist mit dem … in 8 Jahren (03.2013 bis 03.2021) knapp 80.000 km gefahren. Das entspricht einer jährlichen Fahrleistung von etwa 10.000 km. Ausgehend von der bisherigen durchschnittlichen Fahrleistung hätte das Fahrzeug nach 20 Jahren eine Laufleistung von etwa 200.000 km erreicht. Die von dem Kläger angesetzte Laufleistung von 300 Tkm berücksichtigt diesen Umstand nicht. Nach 20 Jahren hat das Fahrzeug nahezu keinen Nutzwert mehr. Abgesehen davon, dass der Motor in einem Zeitraum von 20 Jahren die vom Kläger angesetzte Laufleistung offensichtlich nicht erreichen kann, unterliegt nicht nur der Motor, sondern das Fahrzeug insgesamt gewissen Verschleiß- und Alterserscheinungen. Die Lebensdauer eines Fahrzeugs ist nicht allein von der Lebensdauer des Motors abhängig, sondern natürlich vom Alter und Zustand des Fahrzeugs insgesamt, insbesondere von den Fahrwerksteilen.
Ausgehend von der von dem Kläger angewandten Berechnungsformel ergäbe sich eine Nutzungsentschädigung von etwa 8.516 € (20.225 x ca. 80.000 : ca. 190.000). Dies sind 42 % vom Anschaffungspreis für knapp 80.000 gefahrene Kilometer, was etwa 0,5 % vom Anschaffungspreis pro 1.000 km entspricht (42 % geteilt durch 80). Im Allgemeinen wird die Nutzungsentschädigung auf 0,3 bis 1 % Prozent vom Anschaffungspreis pro 1.000 km angesetzt (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 346 Rn. 10). Im Streitfall darf die Nutzungsentschädigung aber nicht linear über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs verteilt werden, vielmehr muss berücksichtigt werden, dass der Nutzwert des Fahrzeugs mit zunehmendem Alter abnimmt, ein nahezu neues Fahrzeug einen deutlich höheren Nutzwert hat, als ein vergleichsweise altes und verschlissenes Fahrzeug. So gesehen erscheint es angemessen, für die ersten 10 Jahre einen höheren Nutzwert anzunehmen, als für die restliche Nutzungszeit. Die Kammer schätzt den Nutzungsvorteil auf 0,7 % vom Anschaffungswert für gefahrene 1.000 km. Das sind 141,575 € je 1.000 km und bei knapp 80.000 km etwa 11.300 € (genau: 11.326 €).
Die Klage auf Feststellung des Annahmeverzugs ist unbegründet. Mit ihrem 25-seitigen Schreiben vom 24. Juli 2020 (Blatt 40 ff) haben die Klägervertreter die Beklagte nicht in Annahmeverzug gesetzt (§ 293 BGB). Insbesondere ergibt sich aus dem Anspruchsschreiben nicht die Höhe des Betrages, gegen dessen Zahlung der Kläger zur Herausgabe des Fahrzeugs an die Beklagte bereit ist (Blatt 55).
Rechtsverfolgungskosten stehen dem Kläger nicht in der geltend gemachten Höhe (Blatt 9), sondern lediglich in Höhe von 557,03 € zu, nämlich nach einem Gegenstandswert von bis zu 6.000 € und einer 1,3fachen Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und 16 % Umsatzsteuer. Mehr als eine durchschnittliche Geschäftsgebühr ist im Streitfall nicht gerechtfertigt. Entgegen der Auffassung des Klägers (Blatt 9) war zum Zeitpunkt der vorgerichtlichen Geltendmachung im Juli 2020 (Blatt 40) die Sach- und Rechtslage weitestgehend geklärt durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020. Der Geschäftswert ergibt bei Anrechnung der vom Kläger abgesetzten Nutzungsentschädigung (dann 13.490,29 €) und ferner bei Absetzung des Wertes des Fahrzeugs (8.000 €), das der Kläger an die Beklagte herauszugeben beabsichtigt. (siehe unten).
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 92, § 281, §§ 708 ff ZPO.
Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 3 ZPO.
Streitwertbestimmend ist zum einen der Zahlungsantrag (gezahlter Kaufpreis abzgl. Nutzungsentschädigung für gefahrene Kilometer). Aber auch der Wert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der Klageerhebung ist als Abzugsposten zu berücksichtigen. Denn sowohl die Nutzungsentschädigung als auch der Wert des Fahrzeugs sind bei der Bemessung des Schadens im Wege der von Amts wegen zu beachtenden Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen (BGH, 23. Juni 2015, XI ZR 536/14 Rn. 22 ff). Nur führt die Berücksichtigung des Fahrzeugwertes – anders als die Nutzungsentschädigung – mangels Gleichartigkeit von Vor- und Nachteil nicht zu einem betragsmäßigen Abzug, sondern lediglich zu einer Zug-um-Zug-Verurteilung. Denn der Streitwert ist nach dem Interesse des Klägers zu bemessen. Das Interesse des Klägers, der vom Beklagten Zahlung verlangt und das Fahrzeug an ihn herausgeben will, ist aber ein deutlich geringeres, als das Interesse desjenigen, der das Fahrzeug behalten möchte.
Dem steht auch nicht entgegen, dass bei einer Zug-um-Zug-Verurteilung – etwa nach Rücktritt oder Rückabwicklung – der Wert der Gegenleistung bei der Streitwertbemessung nicht berücksichtigt wird. Denn damit wird lediglich eine Hinzurechnung des Wertes der Gegenleistung ausgeschlossen (vgl. auch Rechtsgedanke von § 45 GKG), weil der Streitgegenstand ausschließlich vom Kläger bestimmt wird und nicht etwa von geltend gemachten Gegenansprüchen des Beklagten. Bezüglich geltend gemachter Gegenrechte erwächst die Entscheidung auch nicht in materielle Rechtskraft, es sei denn, der Beklagte macht widerklagend oder aufrechnungsweise Gegenansprüche geltend (§ 322 Abs. 2 ZPO, § 45 GKG). Richtigerweise ist auch bei einer Zug-um-Zug-Verurteilung der Wert der Gegenleistung dann von dem Wert der Klageforderung abzusetzen, wenn der Kläger das Gegenrecht zur Vermeidung einer Teilklageabweisung bereits in seinem Klageantrag aufnimmt und er damit zu erkennen gibt, dass er die erhaltene Gegenleistung an den Beklagten herausgeben will (str. LG Köln, Beschluss v. 22.1.1980, JR 1980,245).
Überdies handelt es sich hier um einen von Amts wegen zu beachtenden (Abzugs-) Posten bei der Schadenberechnung und nicht – wie bei der Rückabwicklung – um den Wert des Gegenrechts des Beklagten.
Das Fahrzeug des Klägers hat die Kammer nach seinen Angaben unter Zuhilfenahme von Fahrzeugbewertungsprogrammen (Deutsche Automobil Treuhand und ADAC) zum Zeitpunkt der Klageerhebung (10.2020), das Fahrzeug war etwa … Jahre alt, auf 8.000 € geschätzt (§ 3 ZPO).