Ein Dieselfahrer forderte 31.990 Euro Schadensersatz, nachdem er sein manipuliertes Fahrzeug nach 57.000 Kilometern weiterverkauft hatte. Das Gericht musste klären, inwieweit die Anrechnung des Verkaufserlöses den eigentlichen Differenzschaden vollständig aufzehrte.
Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wann frisst der eigene Vorteil den Schadensersatz im Dieselskandal auf?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wann frisst mein hoher Verkaufserlös den Schadensersatz im Dieselskandal auf?
- Wie wird die Nutzungsentschädigung für meine gefahrenen Kilometer berechnet?
- Verliere ich meinen Schadensersatzanspruch, wenn ich das manipulierte Auto verkaufe?
- Wann bleibt bei einem Differenzschaden kein ersatzfähiger Schaden mehr übrig?
- Welche Rolle spielt die erwartete Gesamtlaufleistung meines Motors für die Berechnung?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 32 U 2799/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht München
- Datum: 04.08.2025
- Aktenzeichen: 32 U 2799/22
- Verfahren: Hinweisbeschluss
- Rechtsbereiche: Zivilrecht, Schadensersatzrecht
- Das Problem: Ein Käufer verlangte vom Fahrzeughersteller Schadenersatz, weil sein gekauftes Dieselfahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielt. Er machte geltend, das Auto sei deshalb weniger wert (Differenzschaden).
- Die Rechtsfrage: Verbleibt ein ersatzfähiger Schaden, wenn der Käufer das betroffene Fahrzeug bereits weiterverkauft und zusätzlich intensiv genutzt hat?
- Die Antwort: Nein. Das Gericht hält die Berufung des Klägers für aussichtslos. Der geltend gemachte Schaden des Käufers wird vollständig durch den Verkaufserlös und die Anrechnung der gefahrenen Kilometer aufgezehrt.
- Die Bedeutung: Ein Anspruch auf Schadenersatz im Dieselskandal wird hinfällig, sobald der Vorteil aus der Nutzung und dem späteren Verkauf des Autos den entstandenen Minderwert übersteigt.
Der Fall vor Gericht
Wann frisst der eigene Vorteil den Schadensersatz im Dieselskandal auf?
Ein Autokäufer fühlt sich vom Hersteller getäuscht, weil sein Fahrzeug mit einem sogenannten „Thermofenster“ ausgestattet ist – einer umstrittenen Abschalteinrichtung. Er klagt auf Schadensersatz. Doch was passiert, wenn er das Auto über Jahre intensiv nutzt und es am Ende für einen guten Preis weiterverkauft?

Kann ein finanzieller Schaden dann überhaupt noch bestehen? Mit genau dieser Frage beschäftigte sich das Oberlandesgericht München in einem Hinweisbeschluss vom 04. August 2025 (Az.: 32 U 2799/22) und kam zu einem für den Kläger ernüchternden Ergebnis. Die Entscheidung destilliert die kalte Logik des deutschen Schadensersatzrechts: Wer unterm Strich keinen finanziellen Nachteil erlitten hat, kann auch keinen Ersatz verlangen – selbst wenn im Kern eine Pflichtverletzung des Herstellers vorgelegen haben mag.
Was genau war der Auslöser des Rechtsstreits?
Ein Mann erwarb ein gebrauchtes Dieselfahrzeug des Typs 3.0 l TDI für 31.990,00 €. Der Kilometerstand betrug zu diesem Zeitpunkt 79.000 Kilometer. Später gelangte der Käufer zu der Überzeugung, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines „Thermofensters“ verbaut sei. Diese Technologie regelt die Abgasreinigung abhängig von der Außentemperatur und steht im Zentrum vieler juristischer Auseinandersetzungen im Dieselskandal.
Der Käufer verklagte den Fahrzeughersteller und forderte Schadensersatz. Nachdem seine Klage vor dem Landgericht Ingolstadt zunächst abgewiesen worden war, ging er in Berufung. Im Laufe des Verfahrens vor dem Oberlandesgericht konzentrierte er seinen Anspruch auf den sogenannten „kleinen Schadensersatz“, auch Differenzschaden genannt. Er wollte das Auto also nicht zurückgeben, sondern eine finanzielle Entschädigung dafür, dass das Fahrzeug aufgrund der Abschalteinrichtung von Anfang an weniger wert gewesen sei, als er dafür bezahlt hatte. Diesen Minderwert bezifferte er pauschal mit 15 % des Kaufpreises.
Zwei Fakten wurden im weiteren Verlauf entscheidend: Der Mann hatte das Auto intensiv genutzt und war damit 57.000 Kilometer gefahren. Schließlich hatte er es zu einem Preis von 22.000,00 € wieder verkauft. Damit stand nicht mehr nur die Frage nach dem Fehlverhalten des Herstellers im Raum, sondern vor allem die nach dem tatsächlichen, finanziellen Schaden des Käufers.
Welche juristischen Prinzipien stehen im Zentrum des Dieselskandals?
Um die Logik des Gerichts nachzuvollziehen, müssen Sie zwei zentrale Konzepte des deutschen Schadensersatzrechts verstehen, die in Diesel-Fällen immer wieder aufeinandertreffen: den Differenzschaden und den Vorteilsausgleich.
Der Differenzschaden: Stellt sich heraus, dass eine gekaufte Sache einen Mangel hat, gibt es oft zwei Wege für den Käufer. Er kann die Sache zurückgeben und sein Geld zurückverlangen („großer Schadensersatz“). Alternativ kann er die Sache behalten und den Betrag fordern, um den die Sache wegen des Mangels weniger wert ist. Das ist der Differenzschaden. Der Käufer wird so gestellt, als hätte er von Anfang an einen angemessenen, geminderten Preis bezahlt. Im Dieselskandal hat der Bundesgerichtshof (BGH) einen solchen Anspruch gegen Fahrzeughersteller grundsätzlich anerkannt, wenn sie durch falsche Angaben zur Gesetzeskonformität getäuscht haben (§ 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den Vorschriften der EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, EG-FGV).
Der Vorteilsausgleich: Ein fundamentaler Grundsatz im deutschen Recht lautet, dass ein Geschädigter durch den Schadensersatz nicht bessergestellt werden darf, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Er soll entschädigt, aber nicht bereichert werden. Deshalb müssen alle Vorteile, die ihm aus dem schädigenden Ereignis erwachsen sind, von seinem Anspruch abgezogen werden. Im Dieselskandal sind das vor allem zwei Positionen:
- Die gezogenen Nutzungen: Jeder Kilometer, den der Käufer mit dem Auto gefahren ist, stellt einen geldwerten Vorteil dar. Dieser Vorteil wird ihm angerechnet.
- Der Restwert oder Verkaufserlös: Wenn der Käufer das Fahrzeug behält, wird ihm sein Restwert angerechnet. Verkauft er es, tritt der erzielte Verkaufserlös an die Stelle des Restwerts.
Die entscheidende Frage in diesem Fall war also: Was bleibt vom theoretischen Differenzschaden übrig, wenn man die erheblichen Vorteile – 57.000 gefahrene Kilometer und 22.000 € Verkaufserlös – gegenrechnet?
Warum sah das Gericht keinen ersatzfähigen Schaden mehr?
Das Oberlandesgericht München prüfte die verschiedenen vom Kläger angeführten Anspruchsgrundlagen, kam aber bei jeder zum selben Ergebnis: Am Ende der Rechnung stand keine Zahl mehr, die der Hersteller hätte ausgleichen müssen. Die Argumentation des Senats folgte einer klaren, schrittweisen Logik.
Der entscheidende Hebel: Wie der Vorteilsausgleich den Anspruch zunichtemachte
Das Herzstück der Entscheidung war eine nüchterne Berechnung. Das Gericht stellte die finanziellen Positionen des Klägers gegenüber. Auf der einen Seite stand der Kaufpreis von 31.990,00 €. Auf der anderen Seite standen die Vorteile, die der Kläger aus dem Geschäft gezogen hatte.
- Der Verkaufserlös: Dieser war mit 22.000,00 € klar beziffert.
- Der Nutzungsvorteil: Um den Wert der gefahrenen Kilometer zu berechnen, griff das Gericht auf eine vom BGH etablierte Formel zurück (vgl. BGH, Az. VI ZR 354/19). Der Wert der Nutzung berechnet sich wie folgt:
(Bruttokaufpreis / Erwartete Restlaufleistung) x gefahrene Kilometer- Bruttokaufpreis: 31.990,00 €
- Erwartete Gesamtlaufleistung: Das Gericht schätzte diese für einen 3.0 l TDI-Motor auf 250.000 km.
- Erwartete Restlaufleistung bei Kauf: 250.000 km (Gesamt) – 79.000 km (bei Kauf) = 171.000 km.
- Gefahrene Kilometer: 57.000 km.
Die Rechnung des Gerichts lautete also:
(31.990,00 € / 171.000 km) x 57.000 km = 10.663,33 €
Zählt man nun die Vorteile des Klägers zusammen, ergibt sich ein Gesamtwert von 22.000,00 € (Verkaufserlös) + 10.663,33 € (Nutzungsvorteil) = 32.663,33 €.
Dieser Betrag übersteigt den ursprünglich gezahlten Kaufpreis von 31.990,00 €. Damit war für das Gericht klar: Selbst wenn man dem Kläger einen theoretischen Differenzschaden von beispielsweise 10 % des Kaufpreises (3.199,00 €) zugestehen würde, wäre dieser durch die enormen angerechneten Vorteile vollständig aufgezehrt. Finanziell hatte der Kläger keinen Schaden erlitten.
Warum der Vorwurf des Betrugs ins Leere lief
Der Kläger hatte seine Klage auch auf Betrug gestützt (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB). Diesem Argument erteilte das Gericht eine klare Absage. Ein strafrechtlich relevanter Betrug erfordert nicht nur eine Täuschung, sondern auch die Absicht des Täters, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, der spiegelbildlich dem Schaden des Opfers entspricht (sogenannte „Stoffgleichheit„). Das Gericht sah diese strengen Voraussetzungen, gestützt auf die Rechtsprechung des BGH (Az. VI ZR 5/20), nicht als erfüllt an.
Anerkannter Anspruch, aber ohne finanzielle Folgen: Die Haftung aus EU-Recht
Am ehesten hätte der Kläger mit seinem Anspruch auf Basis des EU-Typgenehmigungsrechts Erfolg haben können. Der BGH hat in jüngeren Urteilen (Az. VIa ZR 335/21) entschieden, dass Fahrzeughersteller für den Differenzschaden haften können, wenn sie ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr bringen. Das OLG München ließ diesen Punkt zugunsten des Klägers auch grundsätzlich offen. Es spielte am Ende aber keine Rolle. Denn auch dieser Anspruch unterliegt dem Prinzip des Vorteilsausgleichs. Und da die Gegenrechnung bereits einen „Gewinn“ für den Kläger ergab, blieb auch auf dieser Grundlage kein ersatzfähiger Schaden übrig.
Warum die Argumente des Klägers nicht überzeugten
Der Kläger wandte ein, dass die Anrechnung von Vorteilen europarechtlich unzulässig sei und nicht zu einer angemessenen Entschädigung führe. Doch auch hier folgte das Gericht der Linie des BGH und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Diese haben bestätigt, dass die Anrechnung von Nutzungsvorteilen und Verkaufserlösen grundsätzlich zulässig ist, solange eine angemessene Wiedergutmachung sichergestellt bleibt. Da der Kläger das Fahrzeug aber so lange und intensiv genutzt und zudem einen hohen Verkaufserlös erzielt hatte, sah das Gericht diesen Grundsatz nicht verletzt.
Auch das Argument, ein drohender Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) würde einen höheren Minderwert begründen, verfing nicht. Das Gericht stellte trocken fest, dass für das konkrete Fahrzeugmodell kein Rückruf angeordnet worden war und somit auch keine Betriebsbeschränkungen zu befürchten seien, die den Wert zusätzlich mindern könnten.
Was bedeutet dieses Urteil für Sie als Autokäufer?
Die Entscheidung des OLG München ist kein generelles Urteil gegen Diesel-Klagen, aber sie zeigt sehr deutlich die wirtschaftlichen Grenzen des Schadensersatzrechts auf. Ein juristischer Anspruch allein führt nicht automatisch zu einer Zahlung. Am Ende entscheidet eine kaufmännische Rechnung darüber, ob ein finanzieller Schaden verbleibt. Für Käufer, die eine Klage wegen eines „Thermofensters“ erwägen, dient der Fall als eine Art Realitätscheck.
Checkliste: Wann wird ein Differenzschaden wahrscheinlich aufgezehrt?
Prüfen Sie Ihre Situation anhand der folgenden Kriterien. Je mehr Punkte auf Sie zutreffen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein potenzieller Schadensersatzanspruch durch den Vorteilsausgleich stark reduziert oder vollständig aufgezehrt wird.
- [ ] Hohe Eigennutzung: Sind Sie seit dem Kauf eine erhebliche Strecke mit dem Fahrzeug gefahren? Als Faustregel gilt: Je mehr Kilometer Sie im Verhältnis zur erwarteten Restlaufleistung gefahren sind, desto höher ist der angerechnete Nutzungsvorteil.
- [ ] Hoher Verkaufserlös erzielt: Haben Sie das Fahrzeug bereits verkauft und dabei einen Preis erzielt, der (zusammen mit dem Nutzungsvorteil) in die Nähe des ursprünglichen Kaufpreises kommt?
- [ ] Geringer Kaufpreis: War der ursprüngliche Kaufpreis relativ niedrig? In diesem Fall wird der absolute Betrag eines potenziellen Differenzschadens (z.B. 5-15 %) ebenfalls geringer sein und kann schneller durch die Vorteile aufgezehrt werden.
- [ ] Hohe erwartete Gesamtlaufleistung: Handelt es sich um ein Fahrzeugmodell mit einer bekanntermaßen hohen Lebenserwartung (wie im Fall des 3.0 l TDI mit 250.000 km)? Dies senkt den Wert jedes einzelnen gefahrenen Kilometers in der Berechnungsformel, aber bei sehr langen Haltedauern summiert sich der Vorteil dennoch.
- [ ] Kein behördlicher Rückruf: Wurde für Ihr konkretes Fahrzeugmodell kein verpflichtender Rückruf durch das KBA angeordnet? Dies schwächt das Argument eines drohenden Wertverlusts durch Stilllegung.
Diese Entscheidung unterstreicht, dass der deutsche Schadensersatzprozess keine Strafexpedition ist, sondern ein Instrument zum Ausgleich eines realen, nachweisbaren Vermögensnachteils. Wo dieser Nachteil durch eigene Vorteile kompensiert wurde, läuft eine Klage – auch bei einem möglichen Fehlverhalten des Herstellers – ins Leere.
Die Urteilslogik
Das deutsche Schadensersatzrecht folgt der kalten Logik der Kaufmannschaft: Wer unterm Strich keinen Vermögensnachteil erleidet, kann keine Entschädigung fordern, selbst wenn der Vertragspartner eine Pflicht verletzt hat.
- Der Vorteilsausgleich neutralisiert den Anspruch: Das Schadensersatzrecht verhindert strikt eine Bereicherung des Geschädigten; alle Vorteile, die der Käufer aus der Anschaffung zieht – insbesondere der Nutzungsvorteil und der Verkaufserlös – gleichen den theoretischen Schaden gegen und können ihn vollständig aufzehren.
- Die Nutzung des Produkts besitzt einen klaren Geldwert: Gerichte berechnen den geldwerten Vorteil, den der Käufer durch die gefahrenen Kilometer zieht, anhand einer festgelegten Formel; diese setzt den Bruttokaufpreis proportional zur geschätzten Gesamtlaufleistung des Motors in Bezug.
- Nur ein verbleibender Differenzschaden löst Zahlungen aus: Selbst bei grundsätzlich anerkannter Haftung des Herstellers entsteht keine Zahlungspflicht, wenn die Summe der dem Kläger angerechneten Vorteile den ursprünglich bezahlten Kaufpreis übersteigt.
Dieses Prinzip unterstreicht, dass die juristische Feststellung eines Fehlverhaltens nicht automatisch einen monetären Ausgleich garantiert, solange der Geschädigte wirtschaftlich neutral oder im Vorteil dasteht.
Benötigen Sie Hilfe?
Wird Ihr Schadensersatzanspruch ebenfalls durch Nutzungsersatz oder Verkaufserlös aufgezehrt? Kontaktieren Sie uns für eine unverbindliche Ersteinschätzung Ihres individuellen Falls.
Experten Kommentar
Ein juristischer Anspruch auf Schadensersatz ist noch lange kein garantierter Gewinn, das zeigt das OLG München hier konsequent. Wer sein manipuliertes Fahrzeug lange und intensiv nutzt und es dann noch zu einem guten Preis verkauft, dem frisst der sogenannte Vorteilsausgleich den theoretischen Differenzschaden restlos auf. Die klare Botschaft lautet: Vorteile aus der Eigennutzung und der Verkaufserlös werden gnadenlos gegengerechnet, um eine Überkompensation zu verhindern. Diese nüchterne kaufmännische Rechnung kann selbst bei nachgewiesenem Herstellerfehlverhalten dazu führen, dass am Ende des Prozesses kein Cent übrig bleibt.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wann frisst mein hoher Verkaufserlös den Schadensersatz im Dieselskandal auf?
Ein hoher Verkaufserlös kann Ihren gesamten Anspruch auf Schadensersatz im Dieselskandal vollständig neutralisieren. Gerichte rechnen den erzielten Verkaufspreis im Rahmen des Vorteilsausgleichs voll auf den Schaden an. Übersteigt dieser Verkaufserlös zusammen mit der angerechneten Nutzungsentschädigung den ursprünglichen Kaufpreis, gilt der finanzielle Nachteil als kompensiert. Selbst bei einer nachgewiesenen Pflichtverletzung des Herstellers ist dann kein Schaden mehr vorhanden.
Wenn Sie das manipulierte Fahrzeug veräußern, tritt der Erlös als konkret bezifferter Vorteil an die Stelle des theoretischen Restwerts. Dieser Betrag wird anschließend zu dem bereits entstandenen Nutzungsvorteil addiert – dem geldwerten Vorteil, den Sie durch das Fahren des Wagens gewonnen haben. Der Hersteller muss Ihnen lediglich den Differenzschaden ersetzen. Wenn der kumulierte Vorteil die ursprüngliche Investition rechnerisch übersteigt, verhindert der Grundsatz, dass Sie durch den Schadensersatz bessergestellt werden, als Sie ohne die Täuschung stünden.
Ein konkretes Beispiel verdeutlicht die Gefahr: Kauft ein Kläger ein Auto für 31.990 Euro, muss er den Nutzungswert für die gefahrenen Kilometer anrechnen lassen, der schnell über 10.000 Euro liegen kann. Erzielt er beim Verkauf zusätzlich 22.000 Euro, summiert sich der angerechnete Vorteil auf über 32.000 Euro. Damit übersteigt der Gesamtbetrag den ursprünglichen Kaufpreis, und die Klage auf finanziellen Ausgleich läuft ins Leere.
Suchen Sie umgehend alle Kauf- und Verkaufsunterlagen heraus, um die exakte Differenz zum ursprünglichen Kaufpreis bestimmen zu lassen.
Wie wird die Nutzungsentschädigung für meine gefahrenen Kilometer berechnet?
Die Nutzungsentschädigung, die von Ihrem Schadensersatzanspruch abgezogen wird, folgt der Formel, die der Bundesgerichtshof (BGH) für solche Fälle festgelegt hat. Diese Rechnung ermittelt den geldwerten Vorteil, den Sie durch die Nutzung des manipulierten Fahrzeugs gezogen haben. Die juristisch anerkannte Berechnung lautet: (Bruttokaufpreis / Erwartete Restlaufleistung) multipliziert mit den gefahrenen Kilometern.
Das deutsche Schadensersatzrecht verlangt, dass Sie sich den Wert der gefahrenen Kilometer als Nutzungsvorteil anrechnen lassen, um eine unzulässige Bereicherung zu vermeiden. Die Berechnung startet mit dem ursprünglichen Bruttokaufpreis des Wagens. Dieser wird durch die sogenannte erwartete Restlaufleistung geteilt. Die Restlaufleistung ergibt sich, indem man den Kilometerstand beim Kauf von der geschätzten Gesamtlaufleistung des Motors abzieht.
Der resultierende Wert aus dieser Division ist Ihr Kilometerwert – also der Betrag, den der Wert des Fahrzeugs pro gefahrenem Kilometer abgenommen hat. Multiplizieren Sie diesen Wert anschließend mit der exakten Anzahl der von Ihnen selbst gefahrenen Kilometer. Gerichte rechnen jeden Kilometer akribisch an; bei einer Fahrleistung von 57.000 Kilometern kann der errechnete Nutzungsvorteil schnell über 10.000 Euro liegen.
Notieren Sie den Bruttokaufpreis und die exakten Kilometerstände, um die Kalkulation mithilfe der branchenüblichen Gesamtlaufleistung für Ihren Motor selbst vorzunehmen.
Verliere ich meinen Schadensersatzanspruch, wenn ich das manipulierte Auto verkaufe?
Nein, der Verkauf des manipulierten Fahrzeugs löscht Ihren juristischen Anspruch auf Schadensersatz nicht unwiederbringlich. Wenn Sie den sogenannten Differenzschaden geltend machen, bleibt die Klage gegen den Hersteller grundsätzlich bestehen. Allerdings verändert der erzielte Verkaufserlös die Berechnung des Anspruchs grundlegend und wird zum wichtigsten Faktor im Vorteilsausgleich.
Der Verkauf dient als wichtiges Instrument zur Bezifferung der Vermögensvorteile, die Sie aus dem Geschäft gezogen haben. Im Schadensersatzrecht darf der Geschädigte durch die Entschädigung nicht bessergestellt werden. Deshalb müssen sämtliche Vorteile von Ihrem ursprünglichen Kaufpreis abgezogen werden. Ein positiver Nebeneffekt des Verkaufs: Die Anrechnung weiterer Nutzungsvorteile, basierend auf zusätzlich gefahrenen Kilometern, endet sofort.
Der konkret erzielte Verkaufserlös ersetzt den theoretischen Restwert des Wagens und wird als klar bezifferter Vorteil behandelt. Dieser Erlös wird zum Nutzungsvorteil addiert, der für alle bis zum Verkauf gefahrenen Kilometer anfällt. Die Summe dieser beiden Positionen wird anschließend dem Kaufpreis gegenübergestellt. Ist die Summe Ihrer Vorteile höher als der ursprünglich gezahlte Preis, bleibt kein ersatzfähiger finanzieller Schaden mehr übrig.
Bewahren Sie den Kaufvertrag, den Verkaufsvertrag und alle Belege über den Zustand des Wagens zum Verkaufszeitpunkt auf, um die Anrechnung des Erlöses beweissicher zu belegen.
Wann bleibt bei einem Differenzschaden kein ersatzfähiger Schaden mehr übrig?
Die Klage auf einen Differenzschaden läuft wirtschaftlich ins Leere, sobald der gesamte Kaufpreis durch die Ihnen entstandenen Vorteile neutralisiert wurde. Dies geschieht, wenn die Summe aus dem Nutzungswert der gefahrenen Kilometer und dem aktuellen Restwert oder Verkaufserlös den ursprünglich gezahlten Bruttokaufpreis übersteigt. Entscheidend ist hier die kaufmännische Gesamtbilanz, nicht nur die juristische Feststellung der Täuschung.
Das deutsche Schadensersatzrecht folgt dem Prinzip des Vorteilsausgleichs. Geschädigte dürfen durch eine Entschädigung nicht bessergestellt werden, als sie ohne das schädigende Ereignis stünden. Selbst wenn der Hersteller die Pflichtverletzung begangen hat, wird nur ein tatsächlicher Vermögensnachteil ausgeglichen. Ist der kumulierte Vorteil – also die Nutzungsentschädigung und der Restwert des Wagens – höher als der Kaufpreis, verbleibt rechnerisch kein Differenzschaden mehr.
Dieses Szenario tritt typischerweise bei einer sehr langen Haltedauer in Verbindung mit hoher Kilometernutzung ein. Konkret: Wurde das manipulierte Fahrzeug viele Jahre genutzt und zusätzlich zu einem noch relativ hohen Preis verkauft, ist die finanzielle Nullgrenze schnell erreicht. Selbst wenn ein Gericht die Täuschung bestätigt, wird die Entscheidung für Sie bedeutungslos, da dem Hersteller kein ausgleichspflichtiger Betrag verbleibt. Die juristische Rechtfertigung des Anspruchs allein garantiert also keine Auszahlung.
Prüfen Sie anhand des Kaufpreises und der kalkulierten Vorteile genau, ob sich eine Klage auf den Differenzschaden finanziell überhaupt noch lohnt.
Welche Rolle spielt die erwartete Gesamtlaufleistung meines Motors für die Berechnung?
Die erwartete Gesamtlaufleistung ist die zentrale Stellschraube in der Berechnung der Nutzungsentschädigung nach der BGH-Formel. Sie bestimmt, wie viel Ihr Fahrzeug pro gefahrenem Kilometer an Wert verliert. Je höher dieser Wert angesetzt wird – oft 250.000 Kilometer bei großen Motoren – desto kleiner fällt der rechnerische Wertverlust aus. Das reduziert den Betrag, den Sie als Nutzungsvorteil angerechnet bekommen.
Die Gesamtlaufleistung dient als Nenner zur Ermittlung der sogenannten Restlaufleistung des Fahrzeugs. Hierfür zieht das Gericht den Kilometerstand Ihres Autos beim Kauf von der geschätzten Gesamtlaufleistung ab. Dieser verbleibende Wert teilt dann den ursprünglichen Bruttokaufpreis, um den tatsächlichen Wertverlust pro Kilometer zu bestimmen. Gerichte schätzen diesen Gesamtwert in der Regel konservativ und zugunsten des Klägers hoch ein, da dies den Nutzungsvorteil pro Kilometer senkt und somit Ihren Schadensersatzanspruch erhöht.
Konkret setzte das Oberlandesgericht München für einen 3.0 l TDI-Motor beispielsweise eine erwartete Lebenserwartung von 250.000 Kilometern an. Wäre der Motor auf eine kürzere Lebensdauer von nur 150.000 km geschätzt worden, würde der Abzug pro Kilometer deutlich höher ausfallen. Sie profitieren in der Regel davon, wenn Ihr Motor als besonders langlebig gilt. Die richterliche Schätzung ist allerdings nicht unveränderlich; sie kann in juristischen Auseinandersetzungen mit spezifischen Sachverständigengutachten angegriffen werden.
Sollten Sie eine Klage erwägen, sprechen Sie mit Ihrem Anwalt darüber, ob spezifische Gutachten eine geringere Gesamtlaufleistung für Ihren Motortyp belegen, um die Berechnungsgrundlage gezielt zu beeinflussen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Differenzschaden
Der Differenzschaden ist die finanzielle Entschädigung, die ein Käufer fordert, um den Minderwert einer Sache auszugleichen, wenn er diese trotz des Mangels behalten will (auch „kleiner Schadensersatz“ genannt). Juristen wenden dieses Prinzip an, um den Käufer so zu stellen, als hätte er von Anfang an nur den tatsächlichen, geminderten Wert bezahlt. Das Gesetz bietet damit eine faire Alternative zur kompletten Rückabwicklung des Kaufvertrages.
Beispiel: Der Kläger konzentrierte seinen Anspruch im Dieselskandal bewusst auf den Differenzschaden, um das manipulierte Fahrzeug nicht an den Hersteller zurückgeben zu müssen, sondern eine finanzielle Entschädigung zu erhalten.
Erwartete Gesamtlaufleistung
Die Erwartete Gesamtlaufleistung bezeichnet die juristisch geschätzte maximale Lebensdauer eines Motors in Kilometern, die als entscheidende Berechnungsgrundlage für den Nutzungsvorteil dient. Gerichte nutzen diesen Wert, um den Verschleiß des Autos und damit den tatsächlichen Wertverlust pro gefahrenem Kilometer kalkulierbar zu machen. Je höher diese Gesamtlaufleistung geschätzt wird, desto geringer fällt der rechnerische Abzug pro Kilometer für den Kläger aus.
Beispiel: Bei der Kalkulation des Nutzungsvorteils setzte das Oberlandesgericht München eine erwartete Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometern für den 3.0 l TDI-Motor an, um den Kilometerwert zu bestimmen.
Hinweisbeschluss
Ein Hinweisbeschluss ist eine gerichtliche Mitteilung, die eine höhere Instanz (wie das Oberlandesgericht) an die Verfahrensparteien sendet, um auf rechtliche Bedenken oder die klare Tendenz der beabsichtigten Entscheidung hinzuweisen. Dieses Instrument verschafft den Parteien vor der eigentlichen Urteilsverkündung die Möglichkeit, ihre Argumentation noch einmal gezielt anzupassen oder über eine gütliche Einigung nachzudenken. Das Verfahren soll damit beschleunigt und die Transparenz erhöht werden.
Beispiel: Das Oberlandesgericht München fasste die nüchterne Logik der Vorteilsausgleichsrechnung in einem Hinweisbeschluss zusammen und deutete damit das negative Ergebnis für den klagenden Autokäufer an.
Nutzungsvorteil (Gezogene Nutzungen)
Den Nutzungsvorteil nennen Juristen den geldwerten Vorteil, den ein Käufer durch die tatsächliche Nutzung des mangelhaften Gegenstands (z. B. die gefahrenen Kilometer mit einem Auto) aus dem Geschäft gezogen hat. Dieser Vorteil muss im Rahmen des Vorteilsausgleichs zwingend vom Schadensersatzanspruch abgezogen werden, weil der Geschädigte durch die Nutzung des Autos zeitgleich einen Verbrauchsvorteil gewonnen hat. Das Prinzip schützt den Schädiger vor einer unzulässigen Bereicherung des Klägers.
Beispiel: Der Kläger musste sich einen Nutzungsvorteil von über 10.000 Euro anrechnen lassen, da er das Dieselfahrzeug bis zum Verkauf 57.000 Kilometer gefahren war.
Stoffgleichheit
Stoffgleichheit ist eine zwingende Voraussetzung im deutschen Strafrecht beim Betrug (§ 263 StGB), die besagt, dass der vom Täter angestrebte Vermögensvorteil dem Schaden des Opfers unmittelbar entsprechen muss. Dieses strenge Kriterium grenzt den strafrechtlich relevanten Betrug von reinen Pflichtverletzungen oder zivilrechtlichen Mängeln ab. Es muss eine direkte Kausalität zwischen der Täuschung, der Bereicherungsabsicht und dem Schaden des Opfers vorliegen.
Beispiel: Das Oberlandesgericht München verneinte die Stoffgleichheit, da es im Verhalten des Fahrzeugherstellers keine direkte Absicht sah, sich auf Kosten des einzelnen Käufers einen spiegelbildlichen Vermögensvorteil zu verschaffen.
Vorteilsausgleich
Der Vorteilsausgleich ist ein zentraler Grundsatz im Schadensersatzrecht, der vorschreibt, dass sämtliche positiven Effekte, die dem Geschädigten aus dem schädigenden Ereignis erwachsen sind, von seinem eigentlichen Anspruch abgezogen werden müssen. Das Gesetz verfolgt damit das Ziel, dass niemand durch einen Schadensersatzanspruch bessergestellt werden darf, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Der Anspruch wird somit auf den tatsächlich erlittenen Netto-Schaden begrenzt.
Beispiel: Im Fall des Dieselskandals führte der strikte Vorteilsausgleich dazu, dass der hohe erzielte Verkaufserlös und der Nutzungsvorteil den theoretischen Schadensersatzanspruch des Klägers vollständig aufzehrten.
Das vorliegende Urteil
OLG München – Az.: 32 U 2799/22 – Hinweisbeschluss vom 04.08.2025
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz





