AG Bremen, Az.: 9 C 200/18, Urteil vom 03.05.2019
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 750,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.07.2018 zu zahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 139,83 € für vorgerichtlich angefallene, nicht festsetzungsfähige Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.08.2018 zu zahlen; Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Kläger macht aus eigenem und abgetretenem Recht Ansprüche auf Ausgleichszahlung geltend.
Der Kläger buchte für sich, Herrn … und … den am 18.06.2018 um 14.35 Uhr abgehenden Flug … von Florenz via Frankfurt mit dem um 17:00 Uhr abgehenden Anschlussflug … nach Bremen; die planmäßige Ankunft am Endziel war auf 17:55 Uhr avisiert.
Am 16.06.2018 erfolgte durch die Beklagte eine Umbuchung der Reisegruppe auf entsprechende Flüge des Folgetages.
Da sich der Flug von Florenz nach Frankfurt am 19.06.2018 verspätete (Ankunft 17:23 statt 16.10 Uhr) erreichte die Reisegruppe nicht mehr den Anschlussflug nach Bremen und wurde nochmals umgebucht auf die Flüge … (Frankfurt-München) und … (Weiterflug nach Bremen). Sie erreichte das Endziel Bremen schließlich am Folgetag um 22:30 Uhr (statt gemäß Umbuchung 17:55 Uhr).
Die Mitreisenden … und … traten dem Kläger etwaige Ansprüche aus diesem Vorgang am 13.08.2018 ab.
Mit Anwaltsschreiben vom 25.06.2018 forderte der Kläger – nach Zahlungsforderung zum 10.07.2018 mit Schreiben vom 25.06.2018 – ergebnislos Ausgleichszahlung.
Der Kläger ist der Ansicht, dass ihm wegen der Annullierung des ursprünglich – einheitlich – gebuchten Fluges ein Anspruch in Höhe von 3 x 250 € zustünde. Aufgrund der weiteren Annullierung bzw. erheblichen Verspätung des gleichfalls nicht planmäßig durchgeführten Ersatzfluges bestünde ein weiterer Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 3 x 250 €.
Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt,
1. 1.500,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 750,00 € seit dem 11.07.2018 sowie weiteren 750,00 € seit dem 28.08.2018
2. 139,83 € für vorgerichtlich angefallene, nicht festsetzungsfähige Rechtsanwaltsgebühren nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.08.2018
an den Kläger zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die Wirksamkeit der Abtretung und trägt vor, dass am 18.06.2018 die Flughafenmitarbeiter an den Flughäfen Florenz und Pisa die Arbeit niedergelegt hätten und die Umbuchung insofern auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen sei; bezüglich der Ersatzbeförderung könne die entfallene Haftung nicht wieder aufleben. Die Ersatzbeförderung sei im Übrigen durch das Luftfahrtunternehmen … ausgeführt worden, weshalb die Beklagte nicht passivlegitimiert wäre. Zudem seien die weiteren Verspätungen auf eine Überlastung des Luftraums zurück zu führen.
Das Gericht hat den Parteien im Termin vom 15.03.2019 einen rechtlichen Hinweis erteilt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Es besteht in tenorierter Höhe ein Anspruch auf Ausgleichszahlung gemäß Art. 5, 7 Abs. 1 Nr. 1a Flugastrechteverordnung (EG Nr. 261/04).
Der Kläger kann auch aus abgetretenem Recht Ansprüche geltend machen. Denn nach Vorlage der Abtretungsverträge wurde die Aktivlegitimation im Termin zur mündlichen Verhandlung zuletzt unstreitig gestellt.
Entgegen der Rechtsansicht der Klägerseite (ebenso: LG Kronberg, RRa 2019, 91; AG Frankfurt, RRa 2018, 130 und RRa 2014, 47), scheidet die mehrfache Begründung eines Ausgleichszahlungsanspruchs für denselben gebuchten Flug nach Auffassung des erkennenden Gerichts aus. Andernfalls könnte die Annullierung eines Fluges dazu führen, dass der Fluggast im Falle des Scheiterns von (ggf. mehreren) Umbuchungen trotz einmalig erfolgter Bezahlung einen doppelten Anspruch oder ggf. sogar beliebig viele Ansprüche auf Ausgleichszahlung(en) hätte. Dies entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Fluggastrechteverordnung. Vielmehr soll demnach dem Fluggast nach (ausgleichszahlungspflichtiger) Annullierung eines Fluges – statt der Rückzahlung des Flugpreises – die frühestmögliche Ersatzbeförderung zum Zielort ermöglicht werden (Art. 8 Abs. 1 a VO). Die Unannehmlichkeiten während der Wartezeit sind durch Gewährung von Betreuungsleistungen – etwa die kostenlose Hotelunterbringung nebst Verpflegung – zu mildern (Art. 9 VO). Wird eine zumutbare Ersatzbeförderung vom Luftfahrtunternehmen nicht zeitnah angeboten, kann der Fluggast in Eigenregie seine Beförderung zum Endziel organisieren und dem Luftfahrtunternehmen die diesbezüglichen Ersatzbeförderungskosten in Rechnung stellen (Art. 12 Abs. 1 VO i.V.m. § 280 BGB).
Bei Zusprechung einer weiteren Ausgleichszahlungsverpflichtung im Fall der annullierten oder erheblich verspäteten Ersatzbeförderung könnte sich das Luftfahrtunternehmen nach Annullierung/Verspätung des ursprünglich gebuchten Fluges aber gehalten sehen, dem Fluggast nicht die zeitnächste Ersatzbeförderung anzubieten. Denn diese ist gerade im Fall einer Störung des Luftraums (z.B. Fluglotsenstreik) in der Regel auch die riskanteste, weil sich der Flugverkehr/Flugplan dann oftmals noch nicht vollständig normalisiert haben könnte.
Außerdem erfolgt die Ersatzbeförderung kostenlos, weshalb die diesbezügliche Zusprechung eines mehrfachen Ausgleichsanspruchs wirtschaftlich unangemessen wäre. So hat der BGH entschieden, dass ein Anspruch auf Ausgleichszahlung ausscheide, wenn der (ursprüngliche) Flug kostenlos erfolgte (BGHNJW-RR 2015, 823-825 für kostenlos befördertes Kleinkind). Nichts anderes kann insofern für den kostenlosen Ersatzflug gelten.
Auch dogmatische Gründe sprechen gegen eine mehrfache Ausgleichszahlungsverpflichtung (hierzu: AG Bremen, Urt. v. 20.03.2019, 1 C 201/18). Denn auf die Dauer oder den Grad der Unannehmlichkeiten kommt es bezüglich der Höhe der zu gewährenden Ausgleichszahlung gerade nicht an; maßgeblich ist allein die Distanz der gebuchten Flugstrecke (vgl. Art. 7 Abs. 1 VO).
Die Ersatzbeförderung ist jedoch als Verkörperung des ursprünglich gebuchten Fluges zu bewerten. Dies folgt bereits aus Art. 5 Abs. 1 c ii iii VO: Denn eine weniger als 2 Wochen vor dem Flugtermin bekannt gemachte Annullierung nebst Ersatzbeförderungsangebot kann den Ausgleichszahlungsanspruch entfallen lassen. Deshalb lebt nach Ansicht des erkennenden Gerichts die Ausgleichszahlungsverpflichtung sehr wohl wieder auf, wenn nach Annullierung des gebuchten Fluges wegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 VO die „anderweitige Beförderung“ annulliert wird bzw. der Fluggast mittels der angebotenen Ersatzbeförderung das Endziel mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden erreicht, ohne dass hinsichtlich der Ersatzbeförderung außergewöhnliche Umstände erweislich wären. Das Gericht folgt insofern nicht den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des LG Frankfurt, Beschl. v. 06.09.2018, 2-24 S 132/18; LG Darmstadt, Urt. v. 18.04.2012, 7 S 247/11; AG Frankfurt, Urt. v. 20.12.2013, 30 C 2165/13 und v. 11.04.2014, 29 C 2205/13; AG Rüsselsheim, Urt. v. 08.11.2013, 3 C 3018/13.
Zudem geht es vorliegend nicht um das kumulative Zusammentreffen außergewöhnlicher und sonstiger Umstände, die denselben Flug beträfen. Ein Wiederaufleben der Haftung ist daher grundsätzlich möglich. Das erkennende Gericht vertritt somit eine vermittelnde Lösung, wonach eine mehrfache Begründung von Ausgleichszahlungsansprüchen für einen gebuchten Flug ausscheidet, die einmalige Ausgleichszahlungsverpflichtung jedoch wieder aufleben kann, wenn der sich verspätende Ersatzflug von außergewöhnlichen Umständen nicht mehr betroffen ist.
Folglich kann im streitgegenständlichen Fall dahinstehen, ob der ursprüngliche Flug wegen des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände annulliert wurde. Denn jedenfalls der von der Beklagten sodann angebotene Ersatzflug wurde annulliert, weshalb eine Ausgleichszahlungsverpflichtung in Höhe von insgesamt 750 € besteht. Die insofern darlegungs- und beweispflichtige Beklagte (vgl. Art. 5 Abs. 3 VO) trug nicht vor, weshalb auch der mit Buchungsänderung vom 16.06.2018 bestätigte Ersatzflug annulliert werden musste und sich im Ergebnis die im Wege der Ersatzbeförderung erfolgte Ankunft am Zielort um mehr als drei Stunden verzögerte. Sie bleibt insofern zumindest beweisfällig. Denn es ist davon auszugehen, dass die ggf. ursprünglich aufgetretenen außergewöhnlichen Umstände am Folgetag des 19.06.2018 nicht mehr vorlagen. Andernfalls hätte die Beklagte diesen Termin schließlich nicht bestimmt.
Somit kann dahinstehen, ob die ursprüngliche Annullierung auf einen sogenannten wilden Streik des Flughafenpersonals zurückging und ob dieser überhaupt einen außergewöhnlichen Umstand begründen würde (vgl. EuGH, NJW 2018, 1592-1595).
Unerheblich ist der Umstand, dass die Rückbeförderung mit der Airline D… – wohl ein Tochterunternehmen der Beklagten – erfolgt sein soll. Denn auch die Ersatzbeförderung erfolgte – bestätigt – unter dem Buchungskürzel der Beklagten „…“ (vgl. hierzu AG Bremen, NJW-RR 2018, 1592-1595).
Die vorgerichtlichen anwaltlichen Kosten sind erstattungsfähig (§§ 286, 249 BGB). Die Beklagte wurde vor der Mandatierung in Verzug gesetzt; auf eine Hinweispflichtverletzung nach Art. 14, 12 VO i.V.m. § 280 I BGB kommt es mithin nicht an (vgl. BGH RRa 2016, 183). Eine 1,3 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagen und MwSt beträgt auf einem begründeten Streitwert von 750 € 147,56 €; es gilt jedoch die Antragsbindung nach § 308 ZPO.
Die Nebenentscheidungen basieren auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.