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Dreißigjähriger Eigenbesitz im Fall von Straßen, Wegen und Wassergräben

Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 12 Wx 9/17 – Beschluss vom 14.08.2017

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oschersleben vom 19. März 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1) trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Eigentumsverhältnisse an den im Grundbuch von E. Blatt 1573 (zuvor Blatt 375) verzeichneten Grundstücken sind ungeklärt. In Abteilung 1 des betreffenden Grundbuchs enthält die Eintragung „Nicht ermittelte Eigentümer“. Mit Bestallungsurkunde vom 24. Februar 2009 bestellte der Landkreis B. den Beteiligten zu 2) zum gesetzlichen Vertreter für den (unbekannten) Eigentümer des vorbezeichneten Grundbesitzes.

Unter dem 27. Februar 2014 beantragte die Beteiligte zu 1) die Einleitung und Durchführung eines Aufgebotsverfahrens. Zur Begründung führte sie aus, dass es sich um öffentlich genutzte Grundstücke handele, die bereits Anfang des letzten Jahrhunderts einer öffentlichen Nutzung unterlegen seien. Alle Grundstücke seien in einem ca. 1900 angelegten Artikel der Grundsteuerverwaltung enthalten und seien dort als „öffentliche Wege und Gewässer“ bezeichnet. Diese Nutzung sei beibehalten worden. Die Flächen würden ohne Unterbrechung seit über 100 Jahren öffentlich genutzt. Es sei ausgeschlossen, dass private Voreigentümer bzw. Erben einen Anspruch anmeldeten.

Mit Beschluss vom 7. April 2014 forderte das Amtsgericht Oschersleben die bisherigen Eigentümer auf, spätestens zum 31. Mai 2014 ihre Rechte als Grundstückseigentümer anzumelden, da ansonsten die Ausschließung dieser Rechte erfolge. Das Aufgebot wurde im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht und an der Gerichtstafel für sechs Wochen ausgehängt. Das Amtsgericht Oschersleben beschloss sodann – nach Fristablauf – am 8. Juni 2014, dass der unbekannte Eigentümer als bisheriger Eigentümer der im Grundbuch von E. Blatt 1573 eingetragenen Grundstücke mit seinen Rechten ausgeschlossen ist. Der Beschluss wurde im elektronischen Bundesanzeiger veröffentlicht und an der Gerichtstafel in der Zeit vom 16. Juni 2014 bis zum 17. Juli 2014 ausgehängt.

Mit einem am 16. Oktober 2014 bei dem Amtsgericht Oschersleben eingegangen Schriftsatz legte der Beteiligte zu 2) gegen jenen Beschluss Beschwerde ein, verbunden mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist. Zur Begründung führte der Beteiligte zu 2) aus, dass ihm Wiedereinsetzung gewähren sei, weil er erstmalig am 7. Oktober 2014 durch Einsicht der Verfahrensakte Kenntnis von dem Verfahren habe. Die Beteiligte zu 1) sei auch nicht antragsberechtigt, weil diese keine Rechtsnachfolgerin früherer Gebietskörperschaften sei und schon deshalb die Voraussetzungen für das Aufgebotsverfahren in Ermangelung eines 30-jährigen Eigenbesitzes nicht erfüllt seien. Darüber hinaus sei einem Aufgebotsverfahren durch seine Bestellung als gesetzlicher Vertreter der Boden entzogen. Überdies habe die Beteiligte zu 1) das Gericht getäuscht. Es sei bei der Antragstellung verschwiegen worden, dass für die betroffenen Grundstücke ein gesetzlicher Vertreter bestellt sei. Zudem habe die Beteiligte zu 1) ihre Behauptungen nicht in geeigneter Weise nachgewiesen. Das Aufgebot genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil Angaben fehlen würden. Die Beteiligte zu 1) habe es versäumt, sich die Flächen bis zum 30. Juni 2007 auf der Grundlage des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes zu übereignen und versuche nunmehr – aus seiner Sicht rechtswidrig – diesen Fehler zu beheben. Die Beteiligte zu 1) trat der Beschwerde unter dem 12. Dezember 2014 mit der Begründung entgegen, dass der Beteiligte zu 2) keine ausreichende Entschuldigung im Sinne von § 233 ZPO vorgebracht habe. Das Amtsgericht hat darauf dem Beteiligten zu 2) mit Beschluss vom 21. Januar 2015 Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt, weil er ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, Rechte im Verfahren anzumelden.

Das Amtsgericht hat den Antrag der Beteiligten zu 1) vom 27. Februar 2014 mit Beschluss vom 19. März 2015 als unzulässig mit der Begründung zurückgewiesen, dass sich herausgestellt habe, dass die Voraussetzungen für die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens nicht vorgelegen hätten.

Hiergegen erhob die Beteiligte zu 1) mit Schriftsatz vom 1. April 2015 – eingegangen bei dem Amtsgericht am gleichen Tage – Beschwerde mit der Begründung, dass der Beteiligte zu 2) für Beschwerde und Wiedereinsetzung nicht antragsbefugt sei, da der Landkreis B. für dessen Bestallung nicht zuständig gewesen sei. Die Beschwerde und der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 14. Oktober 2014 genügten nicht der erforderlichen Form. Der gesetzliche Vertreter der unbekannten Grundstückseigentümer sei nicht ohne sein Verschulden verhindert gewesen, dem Antrag der Beteiligten zu 1) zum Ausschluss des unbekannten Eigentümers entgegen zu treten. Der Wiedereinsetzungsantrag enthalte weder Angaben zu Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung begründen könnten, noch seien solche glaubhaft gemacht.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und zur Begründung ausgeführt, dass die Voraussetzung eines dreißigjährigen Eigenbesitzes der Beteiligten zu 1) nicht vorliegen würde. Dies scheide schon deshalb aus, weil der Beteiligte zu 2) die Grundstücke in Besitz genommen habe.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (§§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1 FamFG), hat in der Sache aber keinen Erfolg.

Im Ausgangspunkt stand eine Entscheidung über den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Durchführung eines Aufgebotsverfahrens vom 27. Februar 2014 an, obwohl zwischenzeitlich durch den Beschluss vom 7. April 2014 das Aufgebot und durch den Beschluss vom 8. Juni 2014 die Ausschließung der unbekannten Eigentümer angeordnet worden war. Denn das Amtsgericht hatte dem Beteiligten zu 2) mit Beschluss vom 21. Januar 2015 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Anmeldefrist nach § 438 FamFG gewährt. Die Antragsbefugnis des Beteiligten zu 2) hierzu unterliegt keinen Zweifeln. Er ist von dem zuständigen Landkreis B. am 24. Februar 2009 zum gesetzlichen Vertreter für die nicht ermittelten Eigentümer der fraglichen Grundstücke bestellt worden. Die einmal vorgenommene Bestellung ist auch bindend, ihre Voraussetzungen werden von den Gerichten nicht geprüft, soweit der Verwaltungsakt – wofür es hier keinerlei Anhaltspunkte gibt – nicht nichtig ist (z. B. OLG Rostock, VIZ 2004, 537; Staudinger/Rauscher, Rdn. 59 f. zu Art. 233 § 2 EGBGB; Palandt/Bassenge, Archiv Teil II, Rdn. 6 zu Art. 233 § 2 EGBGB).

Der Wiedereinsetzungsbeschluss vom 21. Januar 2015 ist nach § 19 Abs. 2 FamFG nicht anfechtbar und daher mit seinen Wirkungen im weiteren Verfahren hinzunehmen. Insofern kann dahinstehen, ob die Wiedereinsetzung im Falle der Versäumung der Anmeldefrist nach § 438 FamFG überhaupt in Betracht kommt (kritisch BGH, NJW 2016, 3664) oder ob schon formale Defizite hinsichtlich Form, Frist und Begründung des Antrags des Beteiligten zu 2) der Gewährung der Wiedereinsetzung entgegen gestanden hätten.

Ist danach das Aufgebotsverfahren infolge der Wiedereinsetzung unanfechtbar wieder in das Stadium vor dem Ablauf der Anmeldefrist zurückversetzt worden, standen dem Amtsgericht nach seinem Ermessen mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung. Es ist nicht zu beanstanden, dass es dabei nicht nach § 440 FamFG verfahren ist, also das Aufgebotsverfahren ausgesetzt oder das angemeldete Recht in einem Ausschließungsbeschluss vorbehalten, sondern den Antrag der Beteiligten zu 1) auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens zurückgewiesen hat (z. B. Bahrenfuss/Waldner, Rdn. 3 zu § 439 Fam FG; Dutta, in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, Rdn. 4 zu § 438 FamFG).

Dabei hat das Amtsgericht allerdings nur im Ergebnis zutreffend die Antragsberechtigung der Beteiligten zu 1) nach §§ 443, 444 FamFG in Verbindung mit § 927 BGB verneint. Denn ein dreißigjähriger Eigenbesitz ist nicht bereits durch die Bestellung des Beteiligten zu 2) am 24. Februar 2009 zum gesetzlichen Vertreter für die unbekannten Eigentümer der im Grundbuch von E. Blatt 375 eingetragenen Grundstücke ausgeschlossen worden. Für die Annahme, dass dieser die verfahrensgegenständlichen Verkehrsflächen tatsächlich in Besitz genommen hat, findet sich nach Aktenlage jedenfalls keine Grundlage und wurde auch nicht geltend gemacht. Ebenso wenig ist es zu einer Inbesitznahme allein durch die Übernahme des Amtes als gesetzlicher Vertreter der nicht ermittelten Grundeigentümer gekommen. Amtliche Treuhänder bzw. gesetzliche Vertreter haben zwar grundsätzlich an den von ihnen beherrschten Sachen unmittelbaren Besitz (z. B. Erman/Lorenz, Rdn. 7 zu § 854 BGB). Die Besitzergreifung vollzieht sich jedoch nicht kraft Gesetzes, sondern setzt die Erlangung der tatsächlichen Gewalt voraus (z. B. BGH, NJW 2008, 2580 für Insolvenzverwalter).

Allerdings hat die Beteiligte zu 1) nicht glaubhaft gemacht, dass sie die fraglichen Grundstücke seit 30 Jahren in Eigenbesitz hat. Dabei sind sämtliche Beweismittel zulässig, auch die Versicherung an Eides statt (§ 294 ZPO, § 31 FamFG). An die Glaubhaftmachung sind im Hinblick auf die einschneidenden Rechtsfolgen strenge Anforderungen zu stellen. Die bloße – hier sogar fehlende – Angabe der Ausübung des Eigenbesitzes genügt hierfür nicht. Es ist vielmehr substantiierter Vortrag dahin erforderlich, wie der Eigenbesitz an dem Grundstück in den letzten 30 Jahren konkret ausgeübt worden ist (z. B. Senatsbeschluss vom 16. März 2015, Gesch. Nr.: 12 Wx 74/14, veröffentlicht in Juris). Eigenbesitzer ist nach § 872 BGB, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt. Gemeint ist die subjektive Willensrichtung, auf das Eigentum kommt es nicht an. Es genügt, dass der Besitzer die tatsächliche Sachherrschaft so ausüben will wie ein Eigentümer für sich selbst unter Ausschluss anderer Personen, selbst wenn er weiß, dass er dazu nicht berechtigt ist (z. B. Senatsbeschluss vom 26. Februar 2016, Gesch. Nr.: 12 Wx 30/15, veröffentlicht in Juris; Münchener Kommentar/Jost, Rdn 3 zu § 872 BGB). Sein Ausdruck im Rechtsverkehr ist der Anspruch, die Sache selbständig und andere Personen ausschließend zu besitzen (z. B. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2012, V ZB 38/12, zitiert nach Juris; BGH, NJW 1996, 1890), wofür selbst die – hier nicht einmal behauptete – Position als Träger der Straßenbaulast allerdings für sich genommen nicht ausreicht (z. B. Senatsbeschluss vom 24. Juli 2013, Gesch. Nr.: 12 Wx 36/13, veröffentlicht in Juris).

Diesen Anforderungen genügen die Darlegungen der Beteiligten zu 1) nicht. Ihr Vorbringen beschränkt sich auf den Vortrag, dass es sich hier um langjährig von ihr öffentlich genutzte Grundstücke handele, nämlich innerörtliche Straßen, Feldwege und Wassergräben. Diese Nutzungsart deckt sich zwar überwiegend mit den Angaben aus den vorgelegten Grundbuchunterlagen, die allerdings zum Teil auch schon älter als dreißig Jahre sind. Damit ist aber weder nachvollziehbar dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Beteiligte zu 1) seit mindestens dreißig Jahren die Sachherrschaft über die fraglichen Grundstücke wie ein Eigentümer ausgeübt hat, obwohl es sich doch um öffentlich genutzte, also grundsätzlich jedermann zur Nutzung offen stehende Flächen handelt. Hierfür hätte im Einzelnen mit den zulässigen Mitteln der Glaubhaftmachung vorgetragen werden müssen, dass die Beteiligte zu 1) bzw. ihre Rechtvorgänger die Straßen, Wege und Wassergräben durchgehend verwaltet, gesichert, instand gehalten, saniert und in diese investiert haben, wie dies ein Eigentümer getan hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 79 Abs. 1, 61 Abs. 1, 36 Abs. 1 GNotKG.

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