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Fahrerlaubnisentzug: Drogenscreening mit Haaranalyse

THÜRINGER OBERVERWALTUNGSGERICHT

Az.: 2 EO 421/02

Beschluss vom 28.08.2002

Vorinstanz: VG Weimar – 2. Kammer – 2 E 701/02.We


In dem Verwaltungsstreitverfahren wegen Recht der Fahrerlaubnisse einschließlich Fahrerlaubnisprüfungen, hier: Beschwerde nach §§ 80, 80a VwGO hat der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts am 28. August 2002 b e s c h l o s s e n :

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 6. Juni 2002 – 2 E 701/02.We – abgeändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 14. Mai 2002 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2002 (Az. 32-04-4401 E 41/02) wird wieder hergestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.000,00 EURO festgesetzt.

G r ü n d e

Der Antragsteller wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sein Begehren abgelehnt wurde, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die mit der Anordnung des Sofortvollzugs versehene Entziehung seiner Fahrerlaubnis wieder herzustellen.

Der Antragsteller wurde am 23. Juni 2001 bei einem Musikfest in Würzburg von Polizeibeamten beobachtet, wie er zusammen mit anderen Personen eine Marihuana-Zigarette rauchte. Das daraufhin gegen ihn eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt.

Mit Schreiben vom 18. Juli 2001 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, ein amtsärztliches Gutachten in Form eines Drogenscreenings mit Haaranalyse über die Eignung zur Führung von Kraftfahrzeugen der Klasse A und C 1E bis zum 20. September 2001 vorzulegen. Das Gesundheitsamt der Antragsgegnerin konnte die Haaranalyse nicht durchführen, da die Haarlänge des Antragstellers hierfür nicht ausreichte. Die durchgeführte Kontrolle einer Urinprobe ergab ein negatives Ergebnis.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2001 forderte die Antragsgegnerin daraufhin den Antragsteller auf, eine Haaranalyse bis zum 28. März 2002 vorzulegen; bis dahin sei der Antragsteller im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet, sicherzustellen, dass eine Haarlänge von mindestens 4 bis 6 Zentimeter vorhanden sei. Der Antragsteller verwahrte sich hiergegen. Dies sei ein unangemessener Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte. Darüber hinaus stehe einem längeren Haarwuchs entgegen, dass er wegen eines Kopfhautekzems behandelt würde. Er sei jedoch zu anderen Untersuchungen im Rahmen eines Drogenscreenings bereit.

Mit Bescheid vom 6. Mai 2002 entzog die Antragsgegnerin dem Antragsteller die Fahrerlaubnis aller in seinem Besitz befindlichen Klassen und ordnete den Sofortvollzug an. Die Ungeeignetheit des Antragstellers zur Führung von Kraftfahrzeugen sei anzunehmen, da er seiner Verpflichtung zur Klärung von Eignungsbedenken nicht nachgekommen sei.

Gegen diesen ihm am 10. Mai 2002 zugestellten Bescheid legte der Antragsteller am 17. Mai 2002 Widerspruch ein.

Gleichzeitig hat er bei dem Verwaltungsgericht Weimar das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren eingeleitet. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass der Entzug der Fahrerlaubnis rechtswidrig sei. Eine Verletzung von Mitwirkungspflichten und einer darauf gestützten Annahme der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen könne nicht festgestellt werden. Bei dem Vorfall in Würzburg habe es sich um einen einmaligen Vorfall des bloßen Mitrauchens ohne jeden konkreten Bezug zum Straßenverkehr gehandelt. Die Anordnung der Vorlage des Gutachtens als einschneidende und belastende Maßnahme in seine Rechte sei vor diesem Hintergrund nicht gerechtfertigt gewesen. Weiterhin sei die Anordnung, sich die Haare auf eine Länge von 4 bis 6 Zentimetern wachsen zu lassen, grundrechtswidrig und unverhältnismäßig. Dem geforderten Haarwachstum stehe im Übrigen die Behandlung seiner Kopfhauterkrankung entgegen.

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2002 wieder herzustellen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen die Gründe des angefochtenen Bescheides wiederholt.

Mit Beschluss vom 6. Juni 2002 – 2 E 701/02.We – hat das Verwaltungsgericht Weimar den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Die Fahruntauglichkeit habe festgestellt werden können, da der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht, nämlich der Vorlage eines Drogenscreenings, nicht nachgekommen sei. Eine solche Anordnung sei bei Konsum von Betäubungsmitteln, hierzu gehöre auch Cannabis, gerechtfertigt. Der Anordnung stehe nicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht entgegen. Die Angaben des Antragstellers seien im Übrigen nicht glaubhaft. Ausweislich des Lichtbildes in seinem 1994 ausgestellten Führerschein habe er schulterlanges Haar getragen. Des Weiteren sei es ihm unbenommen, eine Schamhaaranalyse vornehmen zu lassen.

Am 26. Juni 2002 hat der Antragsteller gegen diesen ihm am 13. Juni 2002 zugestellten Beschluss beim Verwaltungsgericht Weimar Beschwerde erhoben und am 12. Juli 2002 gegenüber dem Oberverwaltungsgericht begründet. Er trägt vor, das Verwaltungsgericht habe die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens in Fällen der vorliegenden Art bestehen, nicht genügend gewürdigt. Die Anordnung eines Drogenscreenings bei nur einmaligem Gebrauch von Cannabis sei unverhältnismäßig, wie dies auch die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts deutlich mache. Unverhältnismäßig sei insbesondere die Forderung, das Haar auf eine bestimmte Länge wachsen zu lassen. Das Bild im Führerschein datiere aus den Jahren vor 1994. Die Durchführung einer Schamhaaranalyse scheitere bereits daran, dass die Antragsgegnerin kein geeignetes Institut hierfür benennen könne.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den Beschluss des Verwaltungsgerichts Weimar vom 6. Juni 2002 – 2 E 701/02.We – abzuändern und die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Mai 2002 wieder herzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Sie verteidigt im Wesentlichen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die neue Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei zur alten Rechtslage ergangen und nicht ohne Weiteres übertragbar.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze Bezug genommen. Die Akte des Verwaltungsgerichts Weimar und ein Hefter Behördenakte liegen dem Gericht vor. Sie waren Gegenstand der Beratung.

Die Beschwerde ist zulässig (vgl. §§ 147, 146 Abs. 4 VwGO).

Sie ist auch begründet. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist abzuändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 6. Mai 2002 wiederherzustellen. Die Voraussetzungen für den Entzug der Fahrerlaubnis des Antragstellers liegen nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage nicht vor.

Gegenstand der Prüfung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts durch den Senat sind nach neuem Recht nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 4 VwGO n. F.). Der Antragsteller hat in Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts dargelegt, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mit seiner Weigerung, sich einer Haaranalyse zu unterziehen, begründet werden könne. Damit hat er nicht nur die tragenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses, sondern auch des angefochtenen Verwaltungsaktes substantiiert angegriffen.

Sowohl Widerspruch als auch Anfechtungsklage haben regelmäßig aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO). Die Behörde kann jedoch ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs dadurch beseitigen, dass sie die sofortige Vollziehung einer Verfügung anordnet. Sie ist zu einer solchen Anordnung nur berechtigt, wenn die sofortige Vollziehung der Verfügung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten erscheint (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Dies bedeutet, dass die Behörde vor Erlass der jeweiligen Anordnung die Interessen der Öffentlichkeit gegen die entgegenstehenden Interessen des Betroffenen abwägt und nicht nur formelhaft, sondern auf den konkreten Fall bezogen begründet (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Dies hat die Antragsgegnerin vorliegend im Schreiben vom 6. Mai 2002 getan. Sie hat nicht nur ein besonderes Vollzugsinteresse dargetan, sondern die öffentlichen Interessen auch mit dem privaten Interesse des Antragstellers, weiterhin von der Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können, abgewogen.

Eine ähnliche Interessenabwägung wie die Verwaltungsbehörde hat das Gericht anzustellen, wenn es im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung angerufen wird (§ 80 Abs. 5 VwGO). Einem solchen (vorläufigen) Rechtsschutzantrag ist stattzugeben, wenn der Verwaltungsakt gegen den Widerspruch erhoben wurde, offensichtlich rechtswidrig ist. In einem solchen Fall kann regelmäßig kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung bestehen. Dagegen ist der Rechtsschutzantrag grundsätzlich abzulehnen, wenn der angefochtene Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist. Sind die Erfolgsaussichten dagegen offen, hat das Gericht eine eigenständige, sorgsame Abwägung aller in Streit stehender Interessen vorzunehmen und zu prüfen, welchem Interesse für die Dauer der Hauptsacheverfahren der Vorrang gebührt.

Die im Rahmen einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt hier zunächst – anders als das Verwaltungsgericht meint – zu der Feststellung, dass die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis nicht offensichtlich rechtmäßig ist.

Die Antragsgegnerin wie auch das Verwaltungsgericht sind generell zu Recht davon ausgegangen, dass die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen, die die Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt, dann angenommen werden kann, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt (§ 3 Abs. 1 StVG, §§ 46 Abs. 1; 11 Abs. 2 und 8; 14 Fahrerlaubnisverordnung – FeV -).

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Dies setzt aber voraus, dass die Behörde eine entsprechende Anordnung zu Recht erlassen konnte. Die Voraussetzungen zur Einholung eines Gutachtens sind im vorliegenden Fall aber wohl nicht erfüllt. Grundsätzlich gilt, dass die Behörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen kann, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass die Einnahme von Betäubungsmitteln i. S. d. Betäubungsmittelgesetzes vorliegt (§ 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV). Dazu gehört auch ein sog. Drogenscreening. Zwar hat der Antragsteller Marihuana – ein Cannabis-Produkt, das zu den Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes gehört – in Form des Rauchens einer Zigarette konsumiert. Es spricht aber viel dafür, dass die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens mit den damit verbundenen grundrechtlichen Eingriffen in Fällen eines nur einmalig nachgewiesenen Konsums von Cannabis ohne Bezug zum Straßenverkehr den verfassungsrechtlichen Anforderungen wegen des Eingriffs in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gerecht wird.

Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 20. Juni 2002 – 1 BvR 2062/96 -, NJW 2002, 2378) unter umfassender Auswertung und Würdigung von aktuellen Stellungnahmen (Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen namens der Bundesregierung, mehrere Landesregierungen, Stadt Freiburg i.Br. sowie Bundesverwaltungsgericht und Bundesgerichtshof, ferner die Bundesanstalt für Straßenwesen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, der Deutsche Verkehrssicherheitsrat, die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin, die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, die Gesellschaft gegen Alkoholund Drogengefahren und der Fachverband Drogen und Rauschmittel als sachkundige Dritte) und Gutachten (Prof. Dr. B Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln – und Prof. Dr. K- Interdisziplinäres Zentrum für Verkehrswissenschaften an der Universität Würzburg -) zu den fahrerlaubnisrelevanten Auswirkungen des Cannabis-Konsums auf die Leistungsfähigkeit des Konsumenten im Ergebnis festgestellt:

„ … dass aus dem Konsum von Cannabis zwar erhebliche Gefahren für die Sicherheit des Straßenverkehrs hervorgehen können, dass aber je nach der Art und Intensität des Konsums zu unterscheiden ist, so dass weder ein pauschaler Gefährdungsausschluss noch eine pauschale Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Die Gefahren sind in früheren Jahren zum Teil überschätzt worden.

Nach aktuellem Erkenntnisstand ist es bei einmaligem oder gelegentlichem Haschischkonsum auch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Betroffene außer Stande ist, eine drogenkonsumbedingte zeitweilige Fahruntüchtigkeit rechtzeitig als solche zu erkennen oder trotz einer solchen Erkenntnis von der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr abzusehen. In der einschlägigen Fachliteratur wird zwar darauf hingewiesen, dass der Verlauf eines Haschischrauschs und die Dauer seines Abklingens von zahlreichen Faktoren bestimmt werden, weshalb sie vom Konsumenten im Vorhinein kaum zuverlässig abgeschätzt werden können. Es gibt allerdings keine hinreichend verlässlichen Anhaltspunkte dafür, dass der einmalige oder gelegentliche Cannabiskonsument im Regelfall drogenkonsumbedingt außerstande ist, die seine Fahrtüchtigkeit ausschließenden Wirkungen des Haschischkonsums als solche zu erkennen oder besserer Erkenntnis zuwider eine Teilnahme am Straßenverkehr zu unterlassen.“

Aus diesen Erkenntnissen hat das Bundesverfassungsgericht für die Verhältnismäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis und der dieser vorgelagerten Anordnung eines ärztlichen Gutachtens im Falle des einmaligen Konsums von Cannabis ohne Bezug zum Straßenverkehr gefolgert:

„b) Dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs steht das private Interesse eines Bürgers am Erwerb und Bestand einer Fahrerlaubnis gegenüber. Ihr Wegfall kann die persönliche Lebensführung und damit die Wahrnehmung grundrechtlicher Freiheiten des Erlaubnisinhabers und seiner Familie nachhaltig beeinflussen. Die Fahrerlaubnis hat für den Bürger nicht selten existenzsichernde Bedeutung (vgl. BVerwG, NJW 2002, S. 78 <79>). Ihre Entziehung kann insbesondere dazu führen, dass die Ausübung des Berufs eingeschränkt oder ganz aufgegeben werden muss.

c) Diese absehbaren Folgen einer Fahrerlaubnisentziehung muss der Betroffene hinnehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass aus seiner aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr eine Gefahr für dessen Sicherheit resultiert. Das Sicherheitsrisiko muss deutlich über demjenigen liegen, das allgemein mit der Zulassung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr verbunden ist.

Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbare Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben (vgl. BVerfGE 46, 160 <164>) gebieten es, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stellen. Eine darauf bezogene präventive Kontrolle von Kraftfahrern, wie sie in § 4 Abs. 1 StVG, § 15b Abs. 2 StVZO vorgesehen war, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 89, 69 <85>). Auch darf der Fortbestand der Voraussetzungen einer einmal erteilten Erlaubnis überprüft werden. Setzt die Überprüfung belastende, in Grundrechte eingreifende Maßnahmen voraus, ist bei der Prüfung ihrer Rechtmäßigkeit das Spannungsverhältnis zu berücksichtigen, das zwischen dem Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs einerseits und dem Interesse des Fahrerlaubnisinhabers andererseits besteht, von Gefahrerforschungseingriffen verschont zu bleiben, die mit erheblichen Belastungen für ihn verbunden sind (zu den Belastungen vgl. BVerwG, NJW 2002, S. 78 <79>).

Mit Blick auf dieses Spannungsverhältnis kann auf das Erfordernis eines hinreichenden Verdachts fehlender Fahreignung nicht schon allein deshalb verzichtet werden, weil es für die zuständigen Behörden schwer ist, verdachtsauslösende Momente zu entdecken, noch bevor es zu einem drogenkonsumbedingten Verkehrsunfall oder einer Verkehrsgefährdung gekommen ist. Vorangegangener Cannabiskonsum lässt sich am Verhalten des Konsumenten zwar regelhaft schwerer erkennen als Alkoholkonsum. Polizeibeamten ist es jedoch bei entsprechender Schulung in der Regel möglich, Anzeichen des Cannabiskonsums – etwa bei einer Fahrzeugkontrolle – anhand des Aussehens und Verhaltens des Konsumenten festzustellen und dies dann zum Anlass weiterer Aufklärungsmaßnahmen zu nehmen. Die entsprechenden Verdachtsmomente sind zwar andere als beim Alkoholkonsum und die Anforderungen an deren Feststellung dürfen auch unter Berücksichtigung der Schwierigkeit der Erkennbarkeit von Mängeln der Fahrtüchtigkeit und -eignung festgelegt werden. Ein gänzlicher Verzicht auf hinreichende Verdachtsindikatoren ist in einem Rechtsstaat jedenfalls bei einem für die persönliche Lebensführung gewichtigen Eingriff ausgeschlossen. Besteht ein hinreichender Verdacht und können mögliche Eignungsmängel nur unter aktiver Mitwirkung des Fahrerlaubnisinhabers aufgeklärt werden, ist es unbedenklich, diese Mitwirkung einzufordern und bei ihrer Verweigerung die dadurch bewirkte Vereitelung der abschließenden Aufklärung zum Nachteil des Betroffenen zu würdigen.

Die gesetzlichen Anforderungen an die Art und Intensität des Verdachts, der solche Folgen auslösen kann, müssen allgemein und ihre Rechtsanwendung muss im Einzelfall dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden. Die Beschränkungen sind nur angemessen, wenn die Behörde im Zuge der Ausübung der gesetzlichen Ermächtigung zur Fahreignungsüberprüfung hinreichend konkrete Verdachtsmomente feststellt, die einen Eignungsmangel als nahe liegend erscheinen lassen (vgl. BVerfGE 89, 69 <85 f.>). Es trägt dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Angemessenheit der eingreifenden Maßnahme im Verhältnis zum Anlass des Einschreitens Rechnung, wenn das Bundesverwaltungsgericht in seiner neueren Rechtsprechung davon ausgeht, dass der einmalige oder nur gelegentliche Cannabiskonsum ohne Bezug zum Straßenverkehr nicht als hinreichendes Verdachtselement zu bewerten ist (vgl. BVerwG, NJW 2002, S. 78 <80>).“

Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zwar zu der vor dem Inkrafttreten der Fahrerlaubnisverordnung ergangenen Rechtslage ergangen (§ 4 Abs. 1 StVG a. F., § 15b Abs. 2 StVZO a. F.). Sie ist jedoch auch auf die hier dem Streit zugrunde liegende neue Rechtslage zu übertragen. Das Verfassungsgericht hat mit seinen Erwägungen gerade nicht an das nach der alten Rechtslage den Behörden eingeräumte Ermessen angeknüpft, sondern allgemeine verfassungsrechtliche Anforderungen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an Anordnungen der vorliegenden Art gestellt. Die Entziehung der Fahrerlaubnis und der dieser vorgelagerten Maßnahmen, wie die Anordnung eines medizinischen Gutachtens, muss verhältnismäßig zu dem Eingriff in die Grundrechtspositionen des Betroffenen, also dessen Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und möglicherweise des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) sein. Diese Anforderung ist unabhängig davon zu stellen, ob der Eingriff auf einer Ermessensentscheidung der Behörde oder auf einer vom Verordnungsgeber getroffenen Entscheidung beruht.

Es bedarf im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens keiner abschließenden Klärung, ob diese verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen die Rechtmäßigkeit einer Anordnung des Drogenscreenings in den Fällen, in denen nur ein einmaliger oder nur gelegentlicher Cannabis-Konsum ohne Bezug zum Straßenverkehr vorliegt, sprechen, zu einer teilweisen Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FeV führen, oder ob diese Norm verfassungskonform ausgelegt werden kann.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken greifen auch im vorliegenden Fall. Bei dem Antragsteller wurde nur ein einmaliger Cannabis-Konsum festgestellt; Anhaltspunkte für einen weitergehenden Cannabis-Konsum bestehen nicht, insbesondere fehlen einschlägige Ermittlungen. Ein Bezug zwischen dem Cannabis-Konsum und dem Straßenverkehr ist ebenfalls nicht festzustellen. Der Antragsteller hat Marihuana in keinem nachgewiesenen Zusammenhang mit dem Straßenverkehr konsumiert. Nach seinen unwiderlegten Angaben ist er zu dem Musikfestival, in dessen Zusammenhang der Cannabis-Konsum festgestellt wurde, mit der Bahn gereist.

Kann daher nicht ohne weiteres von der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Drogenscreenings und der darauf aufbauenden Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis ausgegangen werden, spricht dies bereits für den Erfolg des vorliegenden Rechtsschutzantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO. Dies entspricht auch dem Ergebnis einer allgemeinen Interessensabwägung. Zwar kann für den Entzug der Fahrerlaubnis grundsätzlich die ansonsten bestehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs, insbesondere der Schutz von Leib und Leben unbeteiligter Dritter, streiten. Jedoch lassen sich solche Gefahren im vorliegenden Fall gerade nicht feststellen. Zwar ist der Drogenkonsum des Antragstellers nachgewiesen, es fehlen aber vor dem Hintergrund der vom Bundesverfassungsgericht ausgewerteten Stellungnahmen und Gutachten Anhaltspunkte dafür, aus der einmaligen Feststellung des Konsums einer kleinen Menge Marihuana auf das ständige Vorhandensein fahreignungsrelevanter körperlich-geistiger Leistungsdefizite zu schließen. Die Feststellung rechtfertigt auch nicht den Schluss, dass der Antragsteller entweder nicht in der Lage oder nicht willens ist, zuverlässig zwischen dem Drogenkonsum und der aktiven Teilnahme am Straßenverkehr zu trennen. Ergänzende Anhaltspunkte etwa derart, dass der Antragsteller unter Drogeneinfluss ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt oder über einen längeren Zeitraum erheblichen Drogenmissbrauch geübt hat oder eine der besonders gefährdeten Personengruppen angehört, sind von der Antragsgegnerin nicht ermittelt worden. Es gibt auch keine Anzeichen für den Konsum „harter Drogen“ durch den Antragsteller und darauf aufbauender Zweifel an der Fahreignung. Der bloße Verdacht auf Haschisch-Konsum rechtfertigt für sich allein nicht den Schluss auf bereits erfolgten oder absehbaren Konsum „harter Drogen“ (vgl. hierzu BVerfG a. a. O.).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 20 Abs. 3 i. V. m. § 14 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu wird Bezug genommen.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

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