LG Gießen – Az.: 2 O 481/10 – Urteil vom 07.03.2012
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagten verpflichtet sind, eine von der Klägerin beabsichtigte Dämmmaßnahme an der zum Beklagtengrundstück ausgerichteten Hauswand zu dulden.
Die Klägerin ist Eigentümerin und Besitzerin des Reihenendhauses Straße2 in Stadt1. Die Beklagten sind Eigentümer des benachbarten Reihenmittelhauses Straße1. Die Seitenwände der benachbarten Gebäude stoßen aneinander, sind jedoch seitlich um etwa einen Meter versetzt (vgl. die als Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 30.12.2010 vorgelegten Lichtbilder = Bl. 49/50 d. A.).
Die Klägerin beabsichtigt, die Grenzwand zum Anwesen der Beklagten entsprechend dem Angebot des Malermeisters M vom 11.04.2010 (Anlage K 6 = Bl. 24 ff. d. A.) mit 90 mm dicken Resol-Hartschaumplatten WLZ022 dämmen zu lassen. Die Beklagten weigern sich, eine solche Maßnahme zu genehmigen bzw. zu dulden.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten seien gemäß § 10 a des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes dazu verpflichtet, es der Klägerin zu gestatten, das Beklagtengrundstück zu betreten und die Dämmmaßnahmen vornehmen zu lassen. Die Klägerin behauptet, die von der Klägerin beabsichtigten und vom Malermeister M angebotenen Wärmedämmungsmaßnahmen würden nicht über die Bauteilsanforderungen der Energieeinsparverordnung vom 24.07.2007, geändert durch die Verordnung vom 29.04.2009, hinausgehen. Hinzu käme, dass eine vergleichbare Wärmedämmung nicht auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden könne. Eine Wärmedämmung im Innenbereich des Gebäudes sei technisch nicht möglich. Außerdem könnten durch eine Dämmung im Innenbereich keineswegs die Werte erreicht werden, die durch die beabsichtigte Außendämmung erreicht würden.
Die Klägerin beantragt, die Beklagten zu verurteilen,
1.) der Klägerin zu genehmigen, das Grundstück der Beklagten in Stadt1, Straße1, zu betreten, um an dem Gebäude der Klägerin, gelegen im Straße2, Stadt1, Wärme isolieren zu können,
2.) der Klägerin zu gestatten an der zum Grundstück der Beklagten gelegenen Seite eine Wärmedämmung, bestehend aus Resol-Hartschaumplatten WLZ022 mit Glasvlies kaschiert nach DIN EN 13166 und den Anforderungen des Fachverbandes WDV-Systeme e. V. in einer Stärke von 8 cm zu genehmigen, wobei die Dämmplatten mit Armierungsmörtel entsprechend den Herstellerverarbeitungshinweisen im Verbund verklebt und in größeren Abständen verdübelt werden sollen und sodann ein einmaliger Egalisationsanstrich mit Siliconharz-Fassadenfarbe erfolgen soll.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten bestreiten, dass das Bauvorhaben der Klägerin den Vorgaben des § 10 a des Hessischen Nachbarrechtsgesetzes entspricht.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze – nebst Anlagen – der Klägerseite vom 04.10.2010 (Bl. 1 ff. d. A.), 11.10.2010 (Bl. 21 ff. d. A.), 28.01.2011 (Bl. 57 ff. d. A.), 20.04.2011 (Bl. 64 ff. d. A.), 22.08.2011 (Bl. 88 ff. d. A.), 28.12.2011 (Bl. 159 ff. d. A.), 13.01.2012 (Bl. 167 ff. d. A.) und 17.02.2012 (Bl. 182/183 d. A.) sowie der Beklagtenseite vom 30.12.2010 (Bl. 46 ff. d. A.), 16.03.2011 (Bl. 60 d. A.), 04.05.2011 (Bl. 74/75 d. A.), 08.12.2011 (Bl. 154 d. A.), 10.02.2012 (Bl. 180/181 d. A.), 29.02.2012 (Bl. 184/185 d. A.) und 07.03.2012 (Bl. 193 ff. d. A.) Bezug genommen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. … vom 21.11.2011 (Bl. 102 ff. d. A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 07.03.2012 (Bl. 186 ff. d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist hinsichtlich beider Klageanträge nicht begründet.
Die Beklagten sind nicht verpflichtet, die von der Klägerin beabsichtigte Dämmungsmaßnahme zu dulden (§ 10 a Hessisches Nachbarrechtsgesetz).
Der Anspruch der Klägerin scheitert bereits an der ersten in § 10 a Abs. 1 Hessisches Nachbarrechtsgesetz genannten Voraussetzung. Danach erstreckt sich die Duldungspflicht nur auf Wärmedämmungsmaßnahmen, die nicht über die Bauteilanforderungen der Energieeinsparverordnung vom 24. Juli 2007, geändert durch Verordnung vom 29. April 2009, in der jeweils geltenden Fassung, hinausgehen.
Dies ist vorliegend allerdings nicht gegeben. Wie sich den nachvollziehbaren, detaillierten und daher überzeugenden Ausführungen / Berechnungen des Sachverständigen … entnehmen lässt, wird der Wärmedurchgangskoeffizient, der sogenannte U-Wert, nämlich nach Durchführung der beabsichtigten Baumaßnahme mit 0,22 W/m2K geringer und damit besser sein als der in der Energieeinsparverordnung genannte Grenzwert von 0,24 W/m2K (vgl. Seite 10 des Gutachtens = Bl. 111 d. A.).
Hinzu kommt, dass die Kammer zum Nachteil der beweisbelasteten Klägerin auch nicht davon überzeugt ist (§ 286 ZPO), dass eine vergleichbare Wärmedämmung nicht auf andere Weise mit vertretbarem Aufwand vorgenommen werden kann (§ 10 a Abs. 1 Nr. 2 Hessisches Nachbarrechtsgesetz).
Unter Zugrundelegung der sachverständigenseits getroffenen Feststellungen ist vielmehr zunächst davon auszugehen, dass auch eine innenseitige Dämmung technisch möglich ist (Seite 11 des Gutachtens = Bl. 112 d. A.). Diese Angabe hat der Sachverständige im Rahmen seiner Anhörung nochmals bestätigt und – in Kenntnis der ortsüblichen Preise für Innendämmmaterialien – zudem ausgeführt, dass eine Innendämmung auch unter Berücksichtigung der Umbaumaßnahmen in der Küche mit den gleichen Kosten verbunden wäre wie eine Außendämmung. Wenn man im Innenbereich Dämmplatten aufbringe und diese später spachtele oder tapeziere, sei dies ungefähr preisgleich mit dem Aufbringen der Dämmplatten im Außenbereich, welche verputzt werden müssten.
Auch die mit einer Innendämmung verbundene fachlich kompliziertere Planung wirkt sich nach Aussage des erfahrenen Bausachverständigen preislich nicht aus.
Die Klägerin kann sich nach Ansicht der Kammer auch nicht darauf berufen, dass eine Innendämmung mit höheren Risiken verbunden sei. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012 erklärt hat, können die Risiken der Feuchtigkeitsbildung sowie die Beschädigung einer einzubringenden Dampfsperre vermieden werden, wenn die Arbeiten von einer Fachfirma entsprechend den Regeln der Technik ausgeführt würden.
Die Innendämmung ist nach Ansicht der Kammer schließlich auch nicht deshalb unvertretbar, weil sich gewisse Einschränkungen in der Küche ergeben. Die Kücheneinrichtung würde sich, so der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 07.03.2012, gerade einmal um 8 cm nach vorn verlagern. Hinzu kommt die Verkleinerung des Heizkörpers und der Rückbau der Dunstabzugshaube.
Der Rechtsstreit ist letztlich auch entscheidungsreif. Der Klägerseite war keine weitere Frist zur schriftlichen Stellungnahme einzuräumen. Im Rahmen der Beweisaufnahme haben sich nach Ansicht der Kammer keine Gesichtspunkte ergeben, die nicht bereits (zumindest im Ansatz) im schriftlichen Sachverständigengutachten angesprochen worden sind. Hinzu kommt, dass die Klägerseite ausweislich der Schriftsätze vom 28.12.2011 und 13.01.2012 fachlich informiert und gut vorbereitet zur Beweisaufnahme erschienen ist, so dass es im Ergebnis ausreichend war, der persönlich anwesenden Klägerin und dem Klägervertreter Gelegenheit zu geben, unmittelbar im Anschluss an die Beweisaufnahme mündlich Stellung zu nehmen (§ 285 Abs. 1 ZPO).
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.