KG Berlin – Az.: 20 U 160/16 – Beschluss vom 12.12.2018
Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das am 07. November 2016 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin – 6 O 66/16 – durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, binnen eines Monats ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die zulässige Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, weil sie unbegründet ist.
1.
Die Berufung ist gemäß § 511 ZPO statthaft und zulässig, insbesondere gemäß § 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
2.
Sie ist jedoch offensichtlich unbegründet. Die Berufung zeigt weder Rechtsfehler des angegriffenen Urteils auf noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung als die ergangene (§ 513 ZPO).
Der geltend gemachte Duldungsanspruch steht der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
a)
Zu Recht verneint das Landgericht einen unmittelbaren vertraglichen Anspruch der Klägerin auf Duldung ihres Durchgangs durch die Praxisräume der Beklagten unter Mitführung ihrer Hündin. Ein Anspruch auf unentgeltliche Nutzung der Räume der Beklagten zum Zwecke ihrer Durchquerung lässt sich, wie das Landgericht zutreffend ausführt, weder aus einem Behandlungsvertrag noch aus einem Leihvertrag herleiten.
aa)
Soweit das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagten wollten sich durch das vor dem Gebäude errichtete Schild mit Richtungspfeilen betreffend die Erreichbarkeit der physiotherapeutischen Praxis bei Auslegung des objektiven Erklärungsgehalts dieses Schildes nicht über eine tatsächliche Duldung des Durchgangs durch ihre Praxis hinaus rechtlich binden und weder Einstandspflichten übernehmen noch sich Sekundäransprüchen aussetzen, wird dies von der Berufung nicht angegriffen und unterliegt keinen Beanstandungen. Auf die überzeugende Begründung der erstinstanzlichen Entscheidung wird Bezug genommen. Entscheidend ist, dass es sich nicht um den einzigen Zugangsweg zur Physiotherapiepraxis handelt, so dass die Nutzung des Durchgangs von einem Ausnahmefall wie demjenigen der Klägerin abgesehen nur einer Erleichterung und nicht darüber hinausgehenden Interessen der Patienten der Physiotherapiepraxis dient.
bb)
Auch der Umstand, dass die Klägerin in der Vergangenheit den Durchgang durch die Praxisräume der Beklagten unstreitig wiederholt mit ihrem Hund genutzt hatte, um zu der Physiotherapiepraxis zu gelangen, rechtfertigt nicht die Annahme eines konkludent zustande gekommenen, auf eine wiederkehrende Durchquerung der Räume gerichteten Leihvertrages. Nur ein solcher könnte aber einer „gewohnheitsrechtlich“ entstandenen Nutzungsmöglichkeit, wie die Klägerin sie für sich in Anspruch nimmt, zugrunde liegen. Die Klägerin macht bereits keine Angaben dazu, wie oft sie den Durchgang genommen hat, ohne darauf hingewiesen worden zu sein, dass dies nicht erwünscht sei, worauf es für die Annahme eines konkludenten Vertragsschlusses aber ankäme. Die Beklagten haben vorgetragen, dass sie die Durchquerungen des Wartezimmers durch die Klägerin mit dem Hund gerade nicht gebilligt, sondern sie darauf hingewiesen hätten, den Hund nicht mitzubringen. Ob sie dies bereits von Beginn an taten, haben sie allerdings ihrerseits nicht dargelegt. Selbst wenn die Beklagten die Klägerin jedoch deren Vortrag entsprechend mehrere Male mit dem Hund durch die Praxisräume gehen ließen, ohne sie auf die Unerwünschtheit dieses Verhaltens hinzuweisen, stellt sich dies vom objektiven Empfängerhorizont aus nicht als rechtlich verbindliche, auch für die Zukunft geltende Zusicherung dieser Durchgangsmöglichkeit dar. Einer solchen Sichtweise steht entgegen, dass die Beklagten erkennbar kein eigenes Interesse an dieser Durchquerung hatten, die den wartenden Patienten möglicherweise missfallen würde, während die Klägerin aus Sicht der Beklagen ihrerseits nicht auf den Durchgang angewiesen war.
b)
Nicht zu beanstanden ist im Ergebnis auch, dass das Landgericht einen Anspruch der Klägerin auf Durchquerung der Praxisräume der Beklagten in Begleitung ihrer Blindenführhündin auch nicht dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) entnimmt.
Eine Duldungspflicht der Beklagten könnte sich aus §§ 19 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alternative, 21 Abs. 1 S. 1 AGG herleiten lassen. Jedoch greift dieser Anspruch im Ergebnis nicht durch.
aa)
Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung, ob Ansprüche gemäß § 21 AGG im Verhältnis zwischen der Klägerin und den Beklagten überhaupt Geltung haben.
Vorsorglich macht der Senat darauf aufmerksam, dass der Anwendungsbereich des Benachteiligungsverbotes des § 19 AGG jedoch abweichend von der Auffassung des Landgerichts grundsätzlich eröffnet sein dürfte.
(1) Zutreffend verneint das Landgericht zwar – wie gezeigt – das Zustandekommen eines Behandlungs- oder Leihvertrages zwischen den Parteien.
(2) Auch findet die Annahme der Klägerin, sie sei Begünstigte eines Vertrages zugunsten oder mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zwischen den Beklagten und den Inhabern der Physiotherapiepraxis geworden, keine hinreichende Grundlage. Hierbei geht sie zwar zutreffend davon aus, dass das zivilrechtliche Benachteiligungsgebot des § 19 AGG auch die Ausübung vertraglicher Rechte Dritter erfasst (Erman/Armbrüster, BGB, 15. Aufl. 2017, § 19 Rn. 11a; Staudinger/Rolfs (2018) AGG § 19 Rn. 5). Selbst wenn man aber unterstellt, dass die Anbringung der beiden Richtungspfeile auf dem vor dem Gebäude befindlichen Wegweiserschild auf einer Absprache zwischen den Betreibern beider Praxen beruht, und selbst wenn man diese – trotz ihrer Einbettung in ein kollegial-nachbarschaftliches Verhältnis und der eher geringen Bedeutung der Angelegenheit insgesamt, jedoch mit Blick auf ein gewisses Interesse der Physiotherapeuten an einer verlässlichen Zusicherung (BGH, Urteil vom 10. Juli 2015 – V ZR 206/14 -, juris, Rn. 28, = NJW 16, 317) – nicht nur als informelle Absprache, sondern sogar als verbindliche Regelung ansieht, lässt sich weder begründen, dass den Patienten der Physiotherapiepraxis als begünstigten Dritten der Durchgang durch die Nachbarpraxis verbindlich zugesichert werden sollte, noch dass sie erkennbar in den Schutzbereich der betreffenden Absprache einbezogen worden sind. Ein Vertrag zugunsten Dritter gemäß § 328 Abs. 1 BGB scheitert daran, dass sich die Absprache nicht in erster Linie als Fürsorgemaßnahme der Physiotherapeuten im (ausschließlichen) Interesse der Patienten darstellt (Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Auf. 2018, § 328 Rn. 3), sondern ihr vorrangig deren eigenes Interesse zugrundeliegt, einen barrierefreien Zugang zu den eigenen Praxisräumen anbieten zu können. Mangels einer Rechtsbeziehung mit dezidiert personenrechtlichem Einschlag zwischen den Betreibern der Physiotherapiepraxis und ihren Patienten, die eine Verantwortlichkeit für deren „Wohl und Wehe“ beinhalten würde (BGH, Urteil vom 17. November 2016 – III ZR 139/14 -, juris, = NJW-RR 2017, 888 – 892) ist auch von einer Einbeziehung der Klägerin in die Schutzwirkung der Absprache nicht auszugehen. Es bestehen Bedenken, physiotherapeutische Behandlungsverträge in dieser Hinsicht mit familienrechtlichen oder arbeits- oder mietvertraglichen Regelungen gleichzusetzen.
(3) Jedenfalls stellt aber die Be- oder Verhinderung der Möglichkeit geschäftlicher Kontakte – im Grundsatz – eine Benachteiligung dar, für die das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot des AGG gilt. Die Klägerin hat ihre Behandlung durch die Physiotherapeuten der in Rede stehenden Praxis seit dem Vorfall Ende September 2014 unterbrochen und bisher nicht wieder aufgenommen, obwohl sie sich nach ihrem Vorbringen gerne wieder dort therapieren lassen würde; sie hat dies damit begründet, dass ihr der nach ihren – bestrittenen – Angaben für sie einzig mögliche Zugang zu der Praxis zusammen mit ihrer Führhündin durch die Räume der Beklagten versagt werde. Ungeachtet der Streitfrage, ob sie mit ihrem Hund den Zugang mit der Stahlgittertreppe bewältigen kann oder nicht, stellt diese Einschränkung der Möglichkeiten des Zugangs zu der Praxis … ein Erschwernis hinsichtlich der Wiederaufnahme ihrer physiotherapeutischen Behandlung in der dortigen Praxis und damit grundsätzlich eine Benachteiligung im Sinne des § 19 AGG dar.
Abweichend von der Auffassung des Landgerichts dürfte die ihr nach ihrem Vorbringen verwehrte, jedenfalls aber erschwerte Wiederaufnahme der physiotherapeutischen Behandlung in der Praxis … einen einem „Massengeschäft“ im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG ähnlichen Vertrag betreffen. Es wird unterschiedlich beurteilt, ob Behandlungsverträge „Massengeschäfte“ oder diesen gleichgestellte Geschäfte im Sinne der genannten Norm sind. Ein Vertrag ist in diesem Sinne ein Massengeschäft oder diesem gleichgestellt, wenn das „Ansehen der Person“ bei seinem Zustandekommen keine oder nur nachrangige Bedeutung hat. Das ist dann der Fall, wenn die inkriminierenden Merkmale gemäß § 19 Abs. 1 AGG für das Schuldverhältnis typischerweise keine oder nur eine geringe Rolle spielen (Däubler/Bertzbach/Franke/Schlichtmann, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 3. Aufl. 2013, § 19 Rn. 29; Erman/Armbrüster a.a. O. Rn. 16, Palandt/Weidenkaff, Grüneberg, 77. Aufl. 2018, AGG § 19 Rn. 2; vgl. auch Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 16/1780, S. 41), beziehungsweise weitergehend, wenn ein Anbieter seinen Vertragspartner nicht individuell nach vielfältigen Kriterien aus einem Bewerberkreis auswählt (Hey/Forst/Weimann, a. a. O. Rn. 67; Staudinger/Rolfs a. a. O. Rn. 24; vgl. auch Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/178, S. 42). Während dieser Charakter eines ärztlichen Behandlungsvertrages mit der auch seitens des Landgerichts unter Berufung auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/1780 S. 32) vertretenen Begründung teilweise verneint wird, im Regelfall fehle es hier an der erforderlichen Standardisierung (MüKoBGB-Thüsing, § 2 AGG Rn. 31), bejahen andere bei ärztlich-therapeutischen Dienstleistungen ungeachtet dessen ein Geschäft im Sinne des § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG (Däubler/Bertzbach/Franke/Schlichtmann a. a. O. Rn. 34 a; differenzierend: Erman/Armbrüster, a.a.O. Rn. 20). Der letztgenannten Auffassung ist jedenfalls bezogen auf die hier in Rede stehende physiotherapeutische Behandlung zuzustimmen, die die Betreiber der Praxis im Rahmen der dortigen Kapazitäten grundsätzlich jedem Patienten ohne individuelle, vielfältige Kriterien berücksichtigende Auswahl zur Verfügung stellen.
Soweit die Beklagten in diesem Zusammenhang die Aktivlegitimation der Klägerin in Abrede stellen, greift dieser Einwand nicht durch. Diesbezüglich reicht die Behauptung der Klägerin, an der physiotherapeutischen Behandlung durch die Beklagten interessiert zu sein, aus.
bb)
Die in der Untersagung ihres Durchgangs durch die Praxisräume in Begleitung ihrer Blindenführhündin liegende Benachteiligung der Klägerin ist jedoch doch nicht von § 19 Abs. 1 AGG erfasst, weil es sich weder um eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 1 AGG noch um eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG handelt.
(1) Es besteht in diesem Zusammenhang keine Notwendigkeit, über die Behauptung der Klägerin, die Beklagten gewährten Patienten der Physiotherapiepraxis generell die Durchgangsmöglichkeit durch ihre Praxisräume, durch Vernehmung der von ihr benannten Zeugen Beweis zu erheben. Zwar haben die Beklagten eine Benachteiligung der Klägerin bereits im Grundsatz bestritten, indem sie vorgebracht haben, sie gewährten den Durchgang überhaupt nur ihren eigenen Patienten und nicht praxisfernen Personen. Auch bei Zugrundelegung des davon abweichenden Vorbringens der Klägerin steht ihr der verfolgte Duldungsanspruch aus den nachfolgenden Gründen aber nicht zu:
(2) Eine unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 1 AGG scheidet aus, weil die Klägerin – die selbst gar nicht daran gehindert wird, die Praxisräume zu Durchgangszwecken zu nutzen, sondern sich wegen des Mitführungsverbots betreffend ihre Führhündin dazu gezwungen sieht – nicht wegen ihrer Blindheit an der Durchquerung der Praxis gehindert wird. Zwar tragen die Beklagten selbst nur pauschal vor, eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen liege ihnen fern, nennen aber nicht die konkreten Gründe des den Hund betreffenden Verbotes. Ein solcher Grund im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG lässt sich aber dem Schreiben der Bevollmächtigten der Beklagten vom 21. Januar 2015 an die Amtsanwaltschaft Berlin (Bl. 165 f. d. A.) entnehmen, das die Klägerin mit der Berufungsbegründung zu den Akten gereicht hat. Danach dürften Tiere „aus hygienischen Gründen“ nicht in die Arztpraxis mitgebracht werden. Dieser Grund hat mit der Behinderung der Klägerin nichts zu tun. Er erscheint schon deshalb nicht „vorgeschoben“, weil die Beklagten der Klägerin selbst – ohne den Hund – den Durchgang durch ihre Praxis ungeachtet ihrer Behinderung ausdrücklich angeboten haben.
(3) Eine mittelbare Benachteiligung im Sinne des § 3 Abs. 2 AGG ist dadurch gekennzeichnet, dass eine unterschiedliche Behandlung nicht aufgrund eines Merkmals gemäß § 1 AGG, sondern als rein tatsächliche Folge der aus anderen Gründen getroffenen Entscheidung eintritt, ohne dass es einer Diskriminierungsabsicht bedarf (Hey/Horst a. a. O § 3 Rn. 50, 55), es sei denn, die die Benachteiligung auslösenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich. Gemessen an diesen Kriterien ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsgebot im Sinne des § 21 Abs. 1 AGG nicht feststellbar.
Die Klägerin wird – die Richtigkeit ihres Vortrages unterstellt – benachteiligt, indem sie sich im Gegensatz zu anderen Patienten der Physiotherapiepraxis an der Durchquerung der Praxisräume der Beklagten zum Zwecke der Erreichung der hinter dieser liegenden Therapiepraxis dadurch gehindert sieht, dass ihr untersagt worden ist, die Praxis mit ihrer Führhündin zu betreten, die sie – wobei die Einzelheiten teilweise streitig sind – für ihre Mobilität benötigt. Grund für die unterschiedliche Behandlung ist also nicht ihre Blindheit, sondern die Vorgabe der Beklagten, sie dürfe ihren Hund nicht in die Praxis bringen.
Diese Vorgabe ist jedoch als sachlich gerechtfertigt im Sinne des § 3 Abs. 2, 2. Halbs. AGG anzusehen.
Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin für das Nichtvorliegen eines solchen sachlichen Grundes – das dann als einschränkende Tatbestandsvoraussetzung zu betrachten wäre – darlegungs- und beweispflichtig ist, wie es unter Berufung auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/1780, S. 33) teilweise vertreten wird (Erman/Armbrüster a. a. O. § 3 Rn. 16; Staudinger/Rolfs a. a. O., AGG § 3 Rn. 10, Hey/Forst/Hey a. a. O § 3 Rn. 54), oder ob die Beweislastregel des § 22 AGG anwendbar ist, wonach die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines solchen Grundes zu tragen haben (BAG, Urt. vom 22. Juli 2010 – 8 AZR 1012/08 -, juris, Rn. 51, = DB 2011, 177; Däubler/Bertzbach/Schrader/Schubert a. a. O. § 3 Rn. 65). Zwar hat – wie gezeigt – keine der Parteien näher dargelegt, warum die Beklagten der Klägerin und ihrem Hund den Durchgang durch die Praxis verwehren. Aus dem vorerwähnten Schreiben der Bevollmächtigten der Beklagten vom 21. Januar 2015 an die Amtsanwaltschaft Berlin (Bl. 165 f. d. A.), das die Klägerin in den Prozess eingeführt hat, ist jedoch bekannt, dass dem Verbot „hygienische Gründe“ zugrundelagen.
Dies ist ausreichend. Die Wahrung einer möglichst umfassenden Hygiene in einer Arztpraxis entspricht einem berechtigten Ziel der Inhaber dieser Praxis. Diese Hygiene dient nicht nur der in gesundheitlicher Hinsicht zentralen Vermeidung von Infektionen, sondern darüber hinaus dem wirtschaftlichen Interesse, dass die Praxis bei den Patienten einen möglichst sauberen, ja „sterilen“ Eindruck erweckt, der das Vertrauen der Patienten in einen einwandfreien Praxisbetrieb stärkt.
Dadurch, dass die Mitarbeiter der Beklagten der Klägerin untersagten, ihre Praxis unter Mitführung des Hundes zu durchqueren, ergriffen sie eine Maßnahme, die zur Erreichung des Ziels geeignet, erforderlich und angemessen, mithin als verhältnismäßig anzusehen ist.
Die Geeignetheit steht außer Frage.
Auch die Erforderlichkeit ist zu bejahen, denn selbst ein gepflegter Hund kann die Sauberkeit der Räume, in die er mitgeführt wird, beeinträchtigen, sei es durch mitgetragenen Schmutz oder Feuchtigkeit, Haarverlust oder Parasitenbefall. Dass diese Beeinträchtigung angesichts des Umstandes, dass die Klägerin mit dem Hund das Wartezimmer der Beklagten lediglich kurz durchqueren und sich dort nicht aufhalten würde, aller Wahrscheinlichkeit nach allenfalls eine äußerst geringfügige Verunreinigungs- und möglicherweise zu vernachlässigende Infektionsgefahr mit sich bringen würde, ist unerheblich, da bereits das Anliegen der Einhaltung größtmöglicher Hygiene und die Vermittlung des Eindrucks einer entsprechend sauberen Praxis legitime Ziele der Beklagten sind.
Schließlich ist es auch als angemessen anzusehen, dass die Beklagten die Klägerin hinderten, ihre Praxisräume unter Mitnahme des Hundes zu betreten. Angemessen ist eine Maßnahme, wenn das angestrebte Ziel im Verhältnis zu der bewirkten Beeinträchtigung schwerer wiegt (Hey/Forst/Hey a. a. O § 3 Rn. 54). Vorliegend erweist sich das seitens der Beklagten ausgesprochene Verbot nicht als so einschneidend für die Klägerin, dass das mit ihm verfolgte Ziel hinter ihre berechtigten Interessen zurücktreten müsste. Der Klägerin wird nicht die Option genommen, sich überhaupt in der von ihr bevorzugten physiotherapeutischen Praxis behandeln zu lassen. Sie kann dies nur nicht nach Durchquerung der Praxis der Beklagten unter Mitnahme ihrer Blindenhündin tun. Zum einen bleibt ihr die Möglichkeit, den anderen Eingang zu der Praxis über die Außentreppe zu nehmen. Für ihre bestrittene Behauptung, dass ihr Hund diese Treppe nicht betrete beziehungsweise betreten könne, hat sie keinen Beweis angeboten. Dass er dazu auch nicht durch entsprechendes Training oder mit Strenge, erforderlichenfalls unter Verwendung geeigneter Hilfsmittel wie Abdeckungen der Stahlgitterstufen veranlasst werden könne, hat sie nicht behauptet. Dem Vortrag der Beklagten, sie habe die Treppe am 16. September 2014 mit ihrer Hündin problemlos bewältigt, ist sie nicht explizit entgegengetreten. Selbst wenn aber zutrifft, dass der Hund die Treppe nicht betritt, besteht für die Klägerin noch die Möglichkeit, ihn in geeigneter Weise am Fuß der Treppe anzubinden oder zu -ketten und die sechs Stufen mit Hilfe des Geländers allein zu überwinden. Dafür, dass sie dazu nicht in der Lage ist, hat sie nichts vorgetragen. Dass sie anschließend nach dem Erreichen des Treppenabsatzes keine Möglichkeit hat, sich in der Praxis in einer Weise bemerkbar zu machen, die dazu führt, dass sie hineingeleitet wird, ist ebenfalls nicht vorgetragen. Ausweislich des Schreibens vom 21. Januar 2015 an die Amtsanwaltschaft Berlin gilt schließlich auch das Betretungsverbot betreffend die orthopädische Praxis nicht für die Klägerin selbst, sondern nur für sie in Begleitung ihres Hundes. Sie könnte also, wie dort vorgeschlagen, den Hund auch vor der dortigen Praxis zurücklassen und sich durch Mitarbeiter der Beklagten die Physiotherapiepraxis begleiten oder fahren lassen, was die Beklagten ebenfalls angeboten haben.
Der Senat verkennt nicht, dass es für die Klägerin eine spürbare Einschränkung hinsichtlich ihrer Selbständigkeit und Mobilität bedeutet, sich ohne ihre Führhündin orientieren und bewegen zu müssen. Er geht auch davon aus, dass dies für sie mit einem Gefühl von Unsicherheit verbunden ist. In die Abwägung hat auch einzufließen, dass das Zurücklassen eines wertvollen Hundes im öffentlich zugänglichen Bereich ein gewisses Diebstahls- oder Verlustrisiko beinhaltet, das die Klägerin nachvollziehbarerweise zu vermeiden trachtet. Diese Einschränkungen wiegen jedoch im Verhältnis zu dem mit dem Verbot der Beklagten verfolgten Ziel nicht so schwer, dass sie hier zu der Eröffnung der Möglichkeit zwingen, den Hund durch die Praxisräume mitzuführen. Die Klägerin hält sich gegebenenfalls jeweils nur für die verhältnismäßig kurze Dauer einer physiotherapeutischen Behandlungssequenz ohne ihre Hündin in einem ihr vertrauten und geschützten Umfeld auf. Es erscheint auch denkbar, das Personal der beiden Praxen um eine gewisse Beaufsichtigung des Hundes zu bitten.
Der Hinweis der Klägerin darauf, dass es sich bei dem Hund um ein medizinisches Hilfsmittel im Sinne des § 33 SGB V handelt, unterstreicht zwar die Bedeutung der Führhündin für die Alltagsbewältigung der Klägerin. Diese tritt jedoch in der konkreten Situation hinter das legitime Anliegen der Beklagten zurück, zumal sich die Klägerin, wenn sie den Hund für die Dauer ihrer Behandlung vor einer der Praxen zurücklassen würde, in Räumen und auf Wegstrecken bewegen würde, in denen sie begleitet würde und geschützt wäre, etwa vor Gefahren des Verkehrs und des Stürzens oder Stolperns, so dass sie des Hundes in dieser Situation nicht zwingend bedürfte.
Aus demselben Grund geht der Hinweis der Klägerin fehl, dass sie berechtigt ist, den Hund in einem Krankenhaus mitzuführen. Schon die Größe und Unübersichtlichkeit eines Krankenhauses und das dortige Fehlen einer individuellen Begleitung und Unterstützung lässt die Bedeutung, sich dort in Begleitung des Führhundes fortzubewegen, ungleich größer erscheinen.
c)
Soweit die Berufung geltend macht, das gegenüber der Klägerin ausgesprochene Verbot stelle einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG dar, vermag diese Feststellung einen zivilrechtlichen Anspruch auf Duldung des Durchgangs nicht zu begründen. Es ist bereits umstritten, ob die verfassungsrechtlichen Gleichheitssätze, die das Verhältnis des Bürgers zum Staat prägen, im Wege einer „mittelbaren Drittwirkung“ Wirksamkeit für Rechtsverhältnisse zwischen Privaten haben (zum Streitstand: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke, GG, 14. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 13). Soweit die Klägerin das Erfordernis der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe des bürgerlichen Rechts im Lichte der Grundrechtsordnung hervorhebt, bleibt offen, welchen Rechtsbegriff in welcher Norm sie mit ihrem Hinweis in Bezug nimmt. Vor allem aber gilt der Vorrang des einfachen Rechts vor dem Verfassungsrecht, weshalb der Sachverhalt hier nach den Regelungen des AGG zu beurteilen ist, ohne dass Raum für einen Rückgriff auf Art. 3 GG ist.
3.
Die Aussichtslosigkeit der Berufung ist offensichtlich. Dies ist nach der Gesetzesbegründung dann der Fall, wenn für jeden Sachkundigen ohne längere Nachprüfung erkennbar ist, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können. Offensichtlichkeit setzt dabei nicht voraus, dass die Aussichtslosigkeit sozusagen auf der Hand liegt. Sie kann auch das Ergebnis vorangegangener gründlicher Prüfung sein (BT-Drucks. 17/6406, S. 9, linke Spalte). Vorliegend ist bei gründlicher, nicht längere Zeit in Anspruch nehmender sachkundiger Prüfung erkennbar, dass die vorgebrachten Berufungsgründe das angefochtene Urteil nicht zu Fall bringen können.
II.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, und die Entscheidung des Berufungsgerichts ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO. Die Problematik des Falles betrifft tatsächliche, nicht rechtliche Fragen. Schließlich erscheint die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch nicht aus sonstigen Gründen geboten, § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO.
III.
Auf die kostenrechtliche Privilegierung der Berufungsrücknahme wird hingewiesen.