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E-Mail-Beschlagnahme beim Provider rechtmäßig?

Landgericht Hanau

Az.:3 Qs 149/99

Beschluß vom 23.09.1999


(Solange E-Mails noch nicht im Empfänger PC angekommen sind, unterliegen sie dem Fernmeldegesetz!)


 

Beschwerde der Deutschen Telekom Online Service GmbH

hat das Landgericht Hanau – 5. Strafkammer – als Jugendschutzkammer

ohne mündliche Verhandlung am 23. September 1999 beschlossen:

Der Beschluß des Ermittlungsrichters des Amtsgerichts Hanau vom 12. Juli

1999 wird aufgehoben.

 

Gründe:

Durch Beschluß vom 12. Juli 1999 (Blatt 241 d. A.) hat der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts auf Antrag der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hanau gemäß § § 94, 99 und 162 Abs. 1 Satz 2 StPO die Beschlagnahme der an den Beschuldigten gerichteten und bis 30.09.1999 eingegangenen sowie bisher abgesandten (noch nicht gelöschten) e-Mails („Elektronische Postsendungen“) unter der E-Mail-Adresse „schxxxt@online.de“ auf dem Surfer der Firma T-Online GmbH, Julius-Reiber-Straße 37, 64293 Darmstadt, angeordnet. Er hat zur Begründung ausgeführt, aus dem Inhalt der e-Mails könnten sich Hinweise auf eventuelle Bestellungen oder Lieferungen von fotografischen Aufnahmen mit kinderpornografischem Inhalt ergeben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Deutschen Telekom Online Service GmbH vom 29.07.1999 (BI. 289 d. A.). Sie trägt vor, der Beschluß des Amtsgerichts ziele auf die Überwachung der e-Mail-Kommunikation des Beschuldigten. Rechtliche Grundlage dafür könnten jedoch nicht die § § 94, 99 und 162 Abs. 1 Satz 2 StPO, sondern allenfalls § 100 a StPO sein. Denn das e-Mail-System sei ein System der Nachrichtenübermittlung mit Zwischenspeicherung im Sinne des § 14 TDSV und falle insoweit in den Bereich des Fernmeldeverkehrs. Dies gelte auch für zwischengespeicherte Nachrichten.

Wegen der Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf das Schreiben vom 29.07.1999, Blatt 289, 290 d. A., ergänzt mit Schreiben vom 7.9.1999, BI. 353, 354 d. A., Bezug genommen.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hanau hat sich zur Beschwerde mit Schreiben vom 12.08.1999, Bl. 300 d. A., geäußert. Sie vertritt die Auffassung, E-Mails, die auf einem Server zur Abholung bereitstünden, seien mit einem in einem Telefax-Gerät gespeicherten Telefax vergleichbar. Beide könnten vom Absender nicht mehr „zurückgeholt“ oder sonst beeinflußt werden. Ein Beschluß auf der Grundlage des § 100 a StPO wäre nur dann erforderlich, wollte man bereits die Absendung beim Absender überwachen.

Der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts hat sich dieser Ansicht der Staatsanwaltschaft angeschlossen und der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hanau hat die Akten dem Landgericht zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt und beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

Sie hat sodann Anklage zur Jugendschutzkammer des Landgerichts Hanau erhoben. (Anklageschrift vom 27.08.1999, BI. 366 ff. d. A.).

Durch die Anklageerhebung ist die Zuständigkeit für Beschlagnahmeanordnungen vom Ermittlungsrichter des Amtsgerichts auf das mit der Sache befaßte Gericht übergegangen. Verliert jedoch der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts seine Zuständigkeit durch Anklageerhebung, so entfällt auch die Zuständigkeit des Landgerichts Hanau als Beschwerdegericht. Die Beschwerde ist in einen Antrag auf Überprüfung der Beschlagnahme nach § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO durch das nunmehr zuständige Gericht umzudeuten (vgl. BGHSt 29, 200; Karlsruher Kommentar – Nack, 4. Auflage, § 98 Randnummer 33; sowie für den Fall des § 1 1 1 a StPO Löwe/Rosenberg‑Schäfer, 24. Auflage, § 1 11 a Randnummer 90).

Die erkennende Kammer, der als Jugendschutzkammer sowohl die Beschwerde wie auch die Anklageschrift vorgelegen haben, hat diese Umdeutung der Beschwerde vorgenommen und als mit der Sache befasstes Gericht entschieden.

Danach war die Anordnung des Ermittlungsrichters vom 12. Juli 1999 aufzuheben.

Denn der Maßnahme fehlt die erforderliche Rechtsgrundlage.

Das e-Mail-System ist ein System der Nachrichtenübermittlung mit Zwischenspeicherung im Sinne des § 14 TDSV und fällt insofern in den Bereich des Fernmeldeverkehrs. Die Kammer teilt die Ansicht der Beschwerdeführerin, wonach auch die zwischengespeicherten Nachrichten wie Texte, Töne, Sprache, Bilder, Daten usw. Inhalte der Telekommunikation sind und deshalb insofern dem durch Artikel 10 Grundgesetz geschützten Bereich des Fernmeldegeheimnisses unterliegen. Eine Einschränkung dieses Grundrechts (Fernmeldegeheimnis) ist nur über § 100 a StPO möglich.

Eine Katalogtat im Sinne dieser genannten Vorschrift liegt jedoch nicht vor. Vielmehr wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten Vergehen und Verbrechen strafbar gemäß § § 176 a. F., 176, 176 a und 184 n. F. StGB vor.

Die Beschlagnahme gemäß § § 94 ff. StPO ist auch nicht zulässig, soweit das „Ruhen“ der Nachricht im Speicher des die Mail-Box betreibenden Providers in Rede steht. Soweit in der Literatur (vgl. Karlsruher Kommentar Nack, 4. Auflage, § 100 a Randnummer 8; Palm/Roy, NJW 1996, 1791, 1793) die Auffassung vertreten wird, der Provider sei quasi der Empfangsbote des Empfängers und deshalb sei die einfache Beschlagnahme nach § 94 StPO möglich, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Denn der Übermittlungsvorgang vom Absenden der Nachricht bis zum Ankommen im Speicher des Mailbox-Betreibers, das „Ruhen“ der Nachricht bzw. die Speicherung der Homepage im Internet auf dem Speichermedium des Mailbox-Betreibers und das Abrufen der Nachricht durch den Empfänger vom Netzzugang des Mailbox-Betreibers bis zum Netzzugang des Empfängers kann rechtlich nicht in unterschiedliche Phasen aufgeteilt werden, so daß das „Ruhen“ der Nachricht auf dem Speichermedium des Mailbox-Betreibers begrifflich nicht mehr als Übermittlung anzusehen wäre. Sämtliche den Betreibern von Telekommunikationsnetzen zur Übermittlung anvertrauten Kommunikationsvorgänge und -inhalte genießen den Schutz des Artikel 10 Abs. 1 GG. Dieser Schutz kann nicht zufällig davon abhängen, zu welchem Zeitpunkt der Empfänger einer Nachricht diese vom Speichermedium des Mailbox‑Betreibers abruft. Der gesetzliche Schutz des Fernmeldegeheimnisses endet erst dann, wenn die Nachricht bei dem Empfänger angekommen ist. Dies ist im Falle von e-Mails erst dann der Fall, wenn sie am PC des Empfängers zur Entgegennahme zur Verfügung steht. Bedingt diese Entgegennahme noch die Übermittlung vom Speicher des Mailbox-Betreibers zum Empfänger-PC, so ist sie vorher noch nicht beim Empfänger angekommen. Eine Aufspaltung des komplizierten Übermittlungsvorganges würde dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses zuwiderlaufen.

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