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E-Scooter – Beförderungspflicht


Seniorenmobil

Zusammenfassung:

Wann haben Menschen mit Körperbehinderungen einen Anspruch auf Beförderung im öffentlichen Busnahverkehr einschließlich der von ihnen genutzten E-Scooter? Inwieweit wird dieser Anspruch auf Beförderung mit einem E-Scooter eingeschränkt? Mit diesen Fragen setzte sich das Landgericht Kiel auseinander. Der Beförderungsanspruch ist demnach abzuwägen mit dem gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Recht aller Fahrgäste auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht geht dem Anspruch der Menschen mit Körperbehinderungen auf Mitnahme einschließlich ihrer E-Scooter vor. Ein Transport von E-Scootern scheidet also aus, wenn eine Gefährdung der Fahrgäste durch den E-Scooter beim Transport nicht ausgeschlossen werden kann.


Landgericht Kiel

Az: 17 O 108/15

Urteil vom 12.08.2016


Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

Die Parteien streiten über die Pflicht zur Beförderung von Fahrgästen mit sog. E-Scootern im Linienbusverkehr.

Der Kläger ist eine Vereinigung von Menschen mit Körperbehinderungen. Zweck des Klägers ist nach seiner Satzung, die Teilhabe, Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Körperbehinderungen am Leben in den Gemeinschaften und in der Gesellschaft zu fördern, zur Selbstverwirklichung von Menschen mit Körperbehinderungen in der Gesellschaft beizutragen und den Abbau sozialer und gesellschaftlicher, die Mobilität und Kommunikation einschränkender Barrieren voranzutreiben. Er ist in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG an Nr. 8 eingetragen.

Die Beklagte ist eine Verkehrsdienstleisterin für den öffentlichen Personennahverkehr in Kiel. Sie ist Mitglied des Verbandes der deutschen Verkehrsunternehmen (im folgenden VDV). Sie ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ihre Alleingesellschafterin ist die Landeshauptstadt Kiel.

Im Jahre 2014 ließ der VDV mögliche Gefährdungspotenziale bei der bis dahin allgemein üblichen Beförderung von Elektromobilen (E-Scooter) in Linienbussen überprüfen und beauftragte die Studiengesellschaft für unterirdische Verkehrsanlagen e.V. (im folgenden STUVA), durch den Dr. Ing. … (Projektleitung) und den Dipl.-Phys.-Ing …, ein Gutachten zu erstellen. Dieses wurde im Mai 2014 vorgelegt. Im Folgenden kam es zu einem sogenannten Runden Tisch am 22. Oktober 2014 in Düsseldorf mit dem Thema „Mitnahme von Elektro–Scootern im ÖPNV“. Teilnehmer dieser Gesprächsrunde war neben dem VDV auch der Kläger. In dieser Gesprächsrunde wurde vereinbart, das Gefährdungspotenzial weiter zu untersuchen und eine tragbare Dauerlösung zu erarbeiten. Des Weiteren wurde ein Moratorium erörtert, wonach die E-Scooter wie bisher im öffentlichen Personennahverkehr weiterhin transportiert werden sollten. Zu einem solchen Moratorium fand sich die Beklagte jedoch nicht bereit.

In einer Pressekonferenz vom 16. Februar 2015 erklärte die Beklagte – wie bereits mit Presseinformation vom 13. Februar 2015 angekündigt – keine E-Scooter mehr in ihren Bussen zu befördern.

E-Scooter werden auch Elektromobile oder Seniorenmobile genannt. In Deutschland sind ca. 400 unterschiedliche Typen von E-Scootern erhältlich. Es werden drei- und vierrädrige Fahrzeuge angeboten. Ihre Höchstgeschwindigkeit beträgt 6-15 km/h. Sie haben eine Reichweite von 10 km bis zu über 70 km. Ihre Länge beträgt ca. 90 cm bis 161 cm. Die gesamte Breite liegt zwischen ca. 49 cm bis 78 cm. Sie haben Wendekreise von ca. 160 cm bis 330 cm. Ihr Leergewicht inklusive Batterie variiert von ca. 45 kg bis 230 kg. Die zulässige Zuladung bewegt sich zwischen ca. 100 kg bis 220 kg. Die zulässigen Gesamtgewichte liegen zwischen ca. 210 kg bis 450 kg. In der Regel dienen sie dem Transport eines Fahrzeugführers, sie werden aber auch als Doppelsitzer mit einem geschlossenen Wetterschutz angeboten. In der Regel sind E-Scooter frontgelenkt.

Von den E-Scootern ist der Elektrorollstuhl zu unterscheiden. Er ist in der Regel deutlich kürzer und beansprucht damit weniger Platz im Fahrzeug. Er erreicht eine maximale Geschwindigkeit von 6 km/h in der Stunde. Er hat mindestens 4 Räder, kann auf der Stelle gedreht werden und wird über einen Joystick gesteuert. Zudem haben Elektrorollstühle wegen der anderen Sitzposition der Nutzer einen anderen Schwerpunkt als E-Scooter.

Die Beklagte hatte nach ihrer Erklärung, keine E-Scooter mehr in ihren Bussen zu befördern, zunächst folgende Beförderungsmöglichkeiten für E-Scooter-Fahrer angeboten:

Zum einen konnte eine Mitnahme bei der Beklagten beantragt werden, wenn der E-Scooter nicht versicherungspflichtig ist, Hersteller oder Vertriebspartner bescheinigen, dass der entsprechende Typ bauartbedingt hinsichtlich der Standstabilität einem E-Rollstuhl herkömmlicher Bauweise gleichkommt, ein Arzt die Notwendigkeit der Benutzung eines E-Scooters bescheinigt und er eine Gesamtlänge von 1,20 m nicht überschreitet.

Zum anderen konnte ein E-Scooter-Fahrer, der im Besitz einer gültigen Fahrkarte im SH-Tarif oder eines Schwerbehindertenausweises mit gültiger Wertmarke für die Nutzung des ÖPNV ist, in der Zeit von 6:00 Uhr bis 24 Uhr einen Rufbus benutzen, der alle Haltestellen im Liniennetz der Beklagten anfährt. Der Rufbus musste jeweils angefordert werden und hatte eine Vorlaufzeit von 30-60 Minuten. Er war nicht an die Abfahrtzeiten der Linienbusse nach dem Fahrplan gebunden.

Der Kläger nahm die Beklagte zunächst in einem einstweiligen Verfügungsverfahren (17 O 79/15 LG Kiel; 1 U 64/15 OLG Schleswig) auf Mitnahme der E-Scooter in Anspruch. In diesem Verfahren legte die Beklagte ein Gutachten der DEKRA, erstellt durch den Sachverständigen … , mit Datum vom 19. Mai 2015 über Fahrversuche zum Transport von E-Scootern in Kraftomnibussen vor. Als Versuchsfahrzeuge wurden ein Mercedes Benz Citaro Kraftomnibus, Erstzulassung 2013 und ein MAN Kraftomnibus Typ A2, Erstzulassung 2004 sowie ein Orthopädia-Krankenfahrstuhl Cityliner 2014, Typ 2.664 verwendet. Der Sachverständige kam zu folgenden Ergebnissen:

„Für das Erreichen der vorgesehenen Position für Rollstühle entgegen der Fahrtrichtung kann es erforderlich sein, dass das Elektromobil rückwärts in den Bus eingefahren wird.

Ein Kippen eines besetzten Elektromobil bei Ausweichvorgängen oder starker Bremsung ist möglich.

Ein unbesetztes Elektromobil kann sich, insbesondere bei Nässe, durch einwirkende Quer- oder Längsbeschleunigungen im Innenraum des Kraftomnibusses bewegen.

Sowohl die zulässige Belastung der Einfahrrampen als auch die Belastungsvorgaben der Haltelinie für Rollstühle im Kraftomnibus werden bei Ausnutzung des zulässigen Gesamtgewichts des gegenständlichen Elektromobil überschritten.“

In der Berufungsinstanz des einstweiligen Verfügungsverfahrens legte der Kläger einen vom Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein – Westfalen in Auftrag gegebenen Schlussbericht der STUVA über die Untersuchung der Mitnahmemöglichkeiten von E-Scootern in Linienbussen aus dem Oktober 2015 vor. In dem Schlussbericht wird unter anderem auf den Seiten 10 und 73 folgendes ausgeführt:

(S. 10)

„Alle bisher durchgeführten Versuche haben gezeigt, dass vierrädrige Elektromobile bei einem Transport im Linienbus kippsicher stehen, wenn die in den obigen Empfehlungen dargestellten Regeln der Aufstellung eingehalten werden (können).

Darüber hinaus haben sich auch die Elektromobile selbst in Versuchen mit extremen Fahrsituationen bis hin zu Crash-Tests von Bussen mit Personenkraftwagen als ausreichend stabil erwiesen, um die durch die Fahrmanöver an der Prallplatte bzw. Rückenlehnen auftretenden Kräfte grundsätzlich ohne Schaden aufzunehmen (vgl. Kap. 6). Dabei traten bei extremen Fahrmanövern (Gefahrbremsung) im Bus Kräfte von max. 0,8 g auf, beim Zusammenstoß des Busses mit einem PKW maximal 3 g. Auch die eventuell lateral auf die Seite der Rückenlehne wirkenden Kräfte von etwa 0,3 g führten in verschiedenen Versuchen nicht zu einem Versagen der Bauteile am Elektromobil. Die im Bus an der Prallplatte auftretenden Kräfte sind damit deutlich geringer, als die Kräfte, die bei Verwendung als Fahrzeugsitz bei einem in Fahrtrichtung gerichteten Transport für den Stabilitätsnachweis auf das Hilfsmittel wirken (20 g).

Ein Absteigen des Nutzers und Umsetzen auf einen festen Fahrzeugsitz ist nicht erforderlich. Unter Sicherheitsaspekten ist dies sogar eher kritisch zu sehen, da der Weg vom Hilfsmittel zum Fahrzeugsitz (nach dem Einstieg) bzw. vom Fahrzeugsitz zurück zum Hilfsmittel (vor der Ausfahrt aus dem Bus) in die Zeit der Anfahrt bzw. des Abbremsens des Busses fallen kann. Zudem kann der Nutzer das Elektromobil zusätzlich stabilisieren, indem er sich während der Fahrt an der auf der Wandseite des Aufstellplatzes vorgeschriebenen Haltestange festhält. Dadurch können auch die konstruktionsbedingt gegebenenfalls auftretenden Schwankbewegungen des Elektromobils gemindert und sogar unterbunden werden.

(S. 73)

Die Testfahrt auf dem Betriebshof Nord der Kölner Verkehrs-Betriebe AG (KVB) dauerte ca. 6,5 Minuten. In dieser Zeit wurden im Wechsel unterschiedliche Fahrmanöver im Grenzbereich durchgeführt und auf Video dokumentiert:

– Kurvenfahrt (überwiegend Linkskurve, um ein Kippen zum Gang zu erzwingen),
– Gefahrbremsung,
– Lastwechsel (Kurvendurchfahrt rechts und links im Wechsel),
– Gefahrbremsung mit Kurvenfahrt links.

Die Testfahrt zeigte, dass das Elektromobil am Aufstellplatz während der gesamten Fahrt kippstabil stand. Bewegungen durch Bremsen wurden durch die Abstützung an der Prallplatte wirksam unterbunden. Bei den Kurvenfahrten zeigte sich, dass das vor allem der Sitz des Elektromobils zeitweise schwankende Bewegungen in seitlicher Richtung machte (vgl. auch [14]). Bei extremen Fahrmanövern kam es auch vor, dass die Räder auf einer Seite wenige Zentimeter vom Boden abhoben, ein Kippen wurde jedoch wirksam durch die Abstützung an der Fahrzeugwand bzw. den auf der Gangseite angebrachten Haltebügel (Bild 40b) verhindert.

Die Testfahrt zeigte somit vor allem, dass für die sichere Aufstellung eines Hilfsmittels am Rollstuhlplatz eine 3-seitige Abstützung bzw. Sicherung erforderlich ist, um Rutschen und Kippen wirksam zu verhindern. Vor allem die Rückhalteeinrichtung auf der ganzen Seite spielt eine bedeutende Rolle bei der Sicherung gegen Kippen. Damit die Haltestange wirksam ist, sollte sie von der Prallplatte gemessen mindestens so weit parallel zum Rollstuhlstellplatz in Richtung Aufstellfläche geführt werden, dass eine seitliche Abstützung im Bereich der Rückenlehne des Elektromobils gewährleistet werden kann. Damit dies leicht zu erreichen ist, sollten auch keine auskragenden Zusatzeinrichtungen oder Transportgüter an der Rückenlehne angebracht werden, damit das Elektromobil möglichst nah an der Prallplatte abgestellt werden kann und die Abstützung somit sicher gewährleistet wird.

Dass die an dieser Stelle durch die Querbeschleunigung auftretenden Kräfte durch eine Rückenlehne abgefangen werden können, ohne zu Schäden an dieser zu führen, konnte in einer parallel laufenden Untersuchung gezeigt werden [5]. Hier wurde die Stabilität der Elektromobile zwar in Stadtbahnen überprüft, aber es wurden auch Versuche mit quer zur Fahrtrichtung aufgestellten Elektromobilen durchgeführt, die über den seitlichen Bereich der Rückenlehne gegen Kippen abgestützt wurden. Die dort gemessenen Kräfte, die bei einer Gefahrbremsung der Stadtbahn in Längsrichtung auftreten, liegen mit 0,35 g sogar geringfügig über den Kräften, die bei einem Bus bei extremen Fahrsituationen in Querrichtung auftreten (0,3 g) [14, S. xvi].

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Die Bedeutung der ganzseitigen Haltestange wurde auch noch einmal bei Tests der DEKRA deutlich, die diese im Auftrag der Kieler Verkehrsgesellschaft durchgeführt hat [9]. Bei den dort getätigten Fahrversuchen war ein vierrädriges Elektromobil bei der Testfahrt während einer Kurve in den Gang gekippt. In dem Bus älteren Baujahrs (2004) war auf der Gangseite keine Haltevorrichtung gemäß UN/ECE Nr. 107 vorhanden.

Die UN/ECE Nr. 107 gestattet „eine umklappbare Haltestange oder gleichwertige Einrichtung“(Nr.3.8.4.1.5. der Regelung). Bei der Testfahrt der STUVA wurde ein Bus mit einer festen Haltestange verwendet (vgl. Bild 40). Eine feste Haltestelle bietet den Vorteil, dass sie immer einsatzfähig ist und nicht weggeklappt werden kann. Sie sollte daher bei der Ausrüstung der Busse erste Wahl sein.“

Die Beklagte legte daraufhin einen videodokumentierten Fahrversuch vom 19. November 2015 vor, den der Senat in Augenschein nahm und dazu auf Seite 11 seines Urteils vom 11. Dezember 2015 folgendes ausführte:

„Die Verfügungsbeklagte hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Ergebnisse dieser Studie infrage zu stellen sind. Das ergibt sich nicht aus dem Fahrversuch vom 19.11.2015, in dem es trotz eines Haltesystems zum Kippen des E-Scooters gekommen ist, wobei als wahr unterstellt werden kann, dass der E-Scooter den Parametern, wie sie im Abschlussbericht der STUVA beschrieben sind, entsprach und der Bus so fuhr, wie er im Straßenverkehr fahren würde. Auf den Videoaufnahmen, die der Senat in Augenschein genommen hat, ist zu erkennen, dass die Testperson, die auf dem E-Scooter aufsaß, dass Kippen hätte verhindern können, wenn er sich festgehalten hätte. Er hielt die meiste Zeit die Lenkerstange des E-Scooters umfasst, was nachvollziehbar zu einer Stabilisierung nicht beitrug. Als sich der E-Scooter zum ersten Mal seitlich bewegte und zu kippen drohte, konnte die Testperson das Kippen durch Festhalten an den vorgesehenen Haltestangen des Busses vermeiden. Als der E-Scooter kippte, hielt sie sich gerade nicht fest, sondern hatte trotz der Seitbewegung die Haltestange losgelassen. Dass man sich in einem Bus während der Fahrt festhalten muss, solange man nicht auf einem Sitz des Busses mitfährt – und zum Teil auch dort – ist eine ganz naheliegende Überlegung. Jeder, der etwa stehend mitfährt, tut das. Aus welchem Grund für den Nutzer eines E-Scooters etwas anderes gelten sollte, leuchtet nicht ein.

Ob der „Runde Tisch“ in Nordrhein-Westfalen es unter Beteiligung des Verfügungsklägers am 16.11.2015 für notwendig angesehen hat, nach dem Abschlussbericht der STUVA eine weitere Studie einzuholen, ist ohne Bedeutung. Nicht der Verfügungskläger muss nämlich die Ungefährlichkeit des Transports von E-Scootern nachweisen, sondern die Verfügungsbeklagte muss eine Gefährdung durch den Transport nachweisen.“

Das OLG Schleswig verurteilte die Beklagte in dem einstweiligen Verfügungsverfahren am 11. Dezember 2015, es zu unterlassen, ohne Differenzierung die Beförderung von E-Scootern in ihren Bussen auszuschließen. Der Kläger hat die Klage in der Hauptsache vom 13. April 2015 parallel zu dem einstweiligen Verfügungsverfahren eingereicht. Die Beklagte änderte nach der Verurteilung in dem einstweiligen Verfügungsverfahren ihre Mitnahmepraxis von E-Scootern und nimmt diese zum Teil unter bestimmten Bedingungen (Anlage B2, Bl. 47 der Akte) mit.

Der Kläger verfolgt seine Klage in vollem Umfange weiter. Er ist der Meinung, dass die Weigerung der Beklagten, Personen mit E-Scootern die Beförderung zu verweigern eine unzulässige Benachteiligung nach dem allgemeinen Gleichheitsgesetz sei. Eine Erledigungswirkung sei durch das Urteil des OLG Schleswig in dem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht eingetreten, weil die Beklagte keine Abschlusserklärung abgebe. Im Übrigen beruft er sich auf den Abschlussbericht der STUVA und begehrt nach ausdrücklicher Erklärung seines Prozessvertreters im Termin eine Entscheidung der Kammer auf Basis der bisherigen Gutachten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an dem Geschäftsführer, zu unterlassen, Fahrgästen mit E-Scootern in ihren Fahrzeugen die Beförderung zu verweigern;

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, es bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen, ohne Differenzierung die Beförderung von E-Scootern in ihren Bussen auszuschließen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, dass sie ihre Praxis bereits geändert habe und E-Scooter unter bestimmten Bedingungen mitnehme. Gegen eine allgemeine Mitnahmepflicht würden Sicherheitsbedenken sprechen. Insbesondere sei ein Transport von E-Scootern durch die Hersteller nicht zugelassen worden. E-Scooter seien Medizinprodukte. Sie müssten vom Hersteller mit einer CE-Kennzeichnung versehen werden. Dies erfordere, dass der Hersteller ihre Konformität mit den gesetzlichen Anforderungen bescheinige und dafür die Verantwortung übernehme. Das sei für die Mitnahme in Bussen nicht geschehen.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Kammer hat das einstweilige Verfügungsverfahren mit dem AZ: 17 O 79/15 LG Kiel bzw. 1 U 64/15 OLG Schleswig beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.


Entscheidungsgründe

Die Klage ist zum Teil zulässig.

Gemäß § 13 GVG liegt eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit vor, so dass die ordentliche Gerichtsbarkeit, und damit das Landgericht Kiel, für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig ist. Der Verwaltungsrechtsweg mit der Folge der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts Schleswig ist gemäß § 40 VwGO nicht eröffnet. Denn es liegt keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 40 VwGO vor.

Das Ziel der Klage ist es, die Beklagte zur Mitnahme von E-Scootern zu verpflichten. Die Fassung des Klagantrages als Unterlassungsanspruch steht dem nicht entgegen. Denn dient ein Unterlassungsantrag der Durchsetzung eines Individualanspruchs, wird tatsächlich eine Leistung verlangt (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 940 Rn. 1 a. E.). Das ist nach dem tatsächlichen Klagbegehren der Fall, weil der Kläger nicht lediglich Handlungen abwehren will, sondern mit der Klage durchsetzen möchte, dass die Beklagte mit E-Scooter-Fahrern Beförderungsverträge abschließt und diese einschließlich ihrer E-Scooter transportiert. Diesem Begehren hat sich die Beklagte zunächst insgesamt verweigert, indem sie in der Pressekonferenz vom 16. Februar 2015 erklärte, keine E-Scooter mehr in ihren Bussen zu befördern. Dies gilt nach wie vor hinsichtlich der E-Scooter, die nicht den von der Beklagten jetzt geforderten Bedingungen entsprechen. Dabei handelt es sich um eine Anweisung an ihre Busfahrer, Personen mit E-Scootern gar nicht erst in den Bus zu lassen, also den Abschluss von Beförderungsverträgen mit diesen Personen zu verweigern. Dies entspricht auch dem tatsächlichen Geschehen. Denn die betroffenen Personen, die auf E-Scooter angewiesen sind, nützt ein Bustransport ohne ihre Hilfsmittel nicht, so dass sie – wie geschehen – nicht ohne ihren E-Scooter in den Bus einsteigen. Beförderungsverträge kommen in diesen Fällen also nicht zustande.

Die betroffenen E-Scooter-Fahrer haben aber gemäß § 22 PBefG grundsätzlich einen Anspruch auf Beförderung durch die Beklagte. Danach ist ein (auch privatrechtlich organisierter) Unternehmer zur Beförderung verpflichtet, soweit die weiteren dort genannten Bedingungen eingehalten sind. Dabei handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, der – wenn die Beförderung von einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft durchgeführt wird – den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, auch wenn die vertragliche Ausgestaltung der Durchführung der Beförderung privatrechtlich erfolgt. In diesem Fall wären nur Streitigkeiten, die die Durchführung der Beförderung betreffen, vor den ordentlichen Gerichten auszutragen (sog. Zweistufentheorie). Dies gilt jedoch nicht, wenn – wie hier – eine juristische Person des Privatrechts die Beförderung durchführt, wobei es unerheblich ist, ob eine öffentlich-rechtliche Körperschaft Alleingesellschafterin dieser juristischen Person ist. Denn juristische Person des Privatrechts können nur dann vor den Verwaltungsgerichten verklagt werden, wenn sie mit der Durchführung hoheitlicher Aufgaben durch einen besonderen Beleihungsakt beauftragt werden. Andernfalls sind gegen sie gerichtete Klagen auf Abschluss des Vertrages vor den ordentlichen Gerichten zu führen, die verwaltungsrechtliche und verfassungsrechtliche Vorschriften dabei gegebenenfalls ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen haben. Zusätzlich haben die Anspruchsteller die Möglichkeit, die öffentlich-rechtliche Körperschaft, die als Gesellschafterin eine bestimmende Einflussmöglichkeit auf die privatrechtliche juristische Person hat, vor dem Verwaltungsgericht auf Ausübung einer entsprechenden Einflussnahme in Anspruch zu nehmen. (vgl. BVerwG Beschlüsse v. 06.03.1990; AZ.: 7 B 120/89; 29. Mai 1990, AZ.: 7 B 30/90)

Die Klage ist nur zum Teil zulässig, weil dem Kläger für den von ihm gestellten Klagantrag nur zum Teil die Prozessführungsbefugnis (Klagebefugnis) zusteht.

Die Prozessführungsbefugnis ist von Amts wegen zu prüfen. Sie liegt nur vor, wenn der Kläger berechtigt ist, über das behauptete (streitige) Recht einen Prozess als die richtige Partei im eigenen Namen zu führen, ohne dass eine eigene materiell-rechtliche Beziehung zum Streitgegenstand vorzuliegen braucht (vgl. Vollkommer a. a. O. vor § 50 Rn. 18/19). Der Kläger macht keinen eigenen Anspruch geltend, sondern will durch eine sogenannte Verbandsklage Rechte von Menschen mit Körperbehinderungen schützen. Um zu diesem Zweck eigenständig Prozesse führen zu können, bedarf es einer besonderen gesetzlichen Regelung, ohne die nicht nur die in der Begründetheit zu prüfende Aktivlegitimation fehlt, sondern es auch bereits an der Prozessführungsbefugnis mangelt (vgl. Köhler in Köhler /Bornkamm, UWG, 34 Aufl. § 3 UKlaG Rn. 3). Zur Geltendmachung von Ansprüchen nach den §§ 3 und 7 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerbs (UWG) sowie zur Geltendmachung von Ansprüchen gemäß den §§ 1 und 2 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) liegt diese gemäß den §§ 8 Abs. 3 Ziff. 3 UWG, 3 Abs. 1 UKlaG vor, weil der Kläger als qualifizierte Einrichtung in die Liste der qualifizierten Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen ist.

Die Prozessführungsbefugnis des Klägers folgt im vorliegenden Fall aus § 2 UKlaG i. V. m. § 22 PBefG; Art. 9 Verordnung (EU) Nr. 181/2011.

§ 22 PBefG verpflichtet Unternehmer, jeden Antrag auf Abschluss eines bürgerlich-rechtlichen Beförderungsvertrages anzunehmen, sofern die Voraussetzungen des § 22 Nr. 1-3 PBefG erfüllt sind. Eine unbeschränkte Beförderungspflicht besteht insbesondere im Omnibuskraftfahrzeuglinienverkehr (vgl. Lampe in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand März 2016, Rn 1 – 14). Gemäß Art. 9 der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 dürfen Beförderer sich nicht allein aufgrund der Behinderung oder eingeschränkten Mobilität einer Person weigern, sie an Bord des Fahrzeugs zu nehmen. Dies gilt auch hinsichtlich der Beförderung von erforderlichen Mobilitätshilfen. Denn nach Art. 17 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 ist eine Entschädigung für deren Verlust oder Beschädigung vorgesehen. Gemäß dem Anhang II ist eine Schulung der unmittelbar mit den Fahrgästen in Kontakt kommenden Mitarbeitern hinsichtlich eines sorgfältigen Umgangs mit Rollstühlen und anderen Mobilitätshilfen, einer Vermeidung von Beschädigungen sowie der Hilfeleistungen für Rollstuhlfahrer beim Umsetzen in den und aus dem Rollstuhl sowie der Arten von Hilfsmitteln für behinderte Menschen oder Personen mit eingeschränkter Mobilität und des Umgangs mit diesen Hilfsmitteln vorgesehen. Daraus ergibt sich, dass vorausgesetzt wird, dass Menschen mit Körperbehinderungen Mobilitätshilfen benötigen, die grundsätzlich mitzutransportieren sind (vgl. Hilpert-Janßen, MDR 2014, 508 – 513). Hierzu gehören auch E-Scooter.

Es handelt sich hierbei um ein Verbraucherschutzgesetz im Sinne des § 2 UKlaG. Eine Vorschrift dient dem Verbraucherschutz, wenn dieser ihr eigentlicher Zweck ist. Die Vorschrift kann neben dem Verbraucherschutz auch andere Zwecke verfolgen. Es genügt jedoch nicht, wenn dem Verbraucherschutz in der Vorschrift nur eine untergeordnete Bedeutung zugemessen wird, er also quasi eine zufällige Nebenerscheinung des eigentlichen Hauptzwecks darstellt (vgl. Micklitz in Münchener Kommentar zur ZPO, 4 Aufl., § 2 UKlaG Rn. 21). Der Schutz hat den Zweck, Verbraucher vor für sie nachteilige Gestaltungen von Verträgen oder Durchführung von Rechtsgeschäften zu schützen. Die unterlegene Marktstellung der Verbraucher soll dadurch ausgeglichen werden. Dabei kann die Regelung auch dem Schutz bestimmter Verbrauchergruppen dienen.

Das ist der Fall. § 22 PBefG, Art. 9 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 räumen einen Anspruch auf Beförderung ein, wobei die Menschen mit Körperbehinderungen eine Verbrauchergruppe bilden, deren Anspruch auf Beförderung besonders betont wird. Ausdrücklich wird in den Gründen der Verordnung (EU) Nr. 181/2011 u. a. ausgeführt, dass überall ein hohes Schutzniveau für Fahrgäste sichergestellt und ferner den allgemeinen Erfordernissen des Verbraucherschutzes in vollem Umfang Rechnung getragen werden soll (1). Busverkehrsdienste sollten den Bürgern allgemein zugutekommen. Daher sollten behinderte Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität unabhängig von der Ursache der Beeinträchtigung Busreisemöglichkeiten haben, die mit denen anderer Bürger vergleichbar sind. Behinderte Personen und Personen mit eingeschränkter Mobilität haben das gleiche Recht auf Freizügigkeit, Entscheidungsfreiheit und Nichtdiskriminierung wie alle anderen Bürger (7). Um behinderten Menschen und Personen mit eingeschränkter Mobilität Busreisemöglichkeiten zu eröffnen, die denen anderer Bürger vergleichbar sind, sollten über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Regeln für die Gleichstellung dieser Personen und für ihre Unterstützung während der Reise festgelegt werden. Die Beförderung dieser Personen sollte daher akzeptiert und nicht wegen ihrer Behinderung oder eingeschränkte Mobilität verweigert werden (8).

Diese Rechte von Personen mit Körperbehinderungen sind betroffen, wenn ihnen – wie hier – eine Beförderung von vornherein verweigert wird. Der Kläger ist daher legitimiert, die Rechte von Personen mit Körperbehinderungen prozessual wahrzunehmen.

Dies gilt allerdings nur, soweit er Rechte dieser Personen einklagt. Der von ihm gestellte Antrag ist aber auf diesem Personenkreis nicht beschränkt, und zwar unabhängig davon, wie eng oder wie weit die betroffene Personengruppe definiert wird. Denn nach der Fassung des Antrages ist jede Person, also auch eine Person, die keinerlei körperlichen Einschränkungen unterliegt, mit einem E-Scooter zu transportieren. Für die Geltendmachung der Rechte dieser Personen fehlt dem Kläger die Klagebefugnis, so dass die Klage insoweit unzulässig ist.

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet.

Wie oben bereits dargelegt, haben Menschen mit Körperbehinderungen gemäß § 22 PBefG, Art. 9 Verordnung (EU) Nr. 181/2011) Anspruch auf Beförderung im öffentlichen Busnahverkehr einschließlich der von ihnen genutzten E-Scooter. Damit wird das Recht der Menschen mit Körperbehinderungen auf Freizügigkeit, Entscheidungsfreiheit und Nichtdiskriminierung gewährleistet. Er dient der Inklusion und Gleichstellung von Menschen mit Körperbehinderungen in der Gesellschaft. Dieser Anspruch gilt jedoch nicht unbeschränkt. Er ist abzuwägen mit dem gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich garantierten Recht aller Fahrgäste auf körperliche Unversehrtheit. Dieses Recht geht dem Anspruch der Menschen mit Körperbehinderungen auf Mitnahme einschließlich ihrer E-Scooter vor. Ein Transport von E-Scootern scheidet also aus, wenn eine Gefährdung der Fahrgäste durch den E-Scooter beim Transport nicht ausgeschlossen werden kann.

Der Vorrang der Sicherheit der Fahrgäste ist auch gesetzlich berücksichtigt. Nach § 22 PBefG ist der Unternehmer zu Beförderung nur verpflichtet, wenn die Beförderungsbedingungen eingehalten werden, die Beförderung mit den regelmäßig eingesetzten Beförderungsmitteln möglich ist und die Beförderung nicht durch Umstände verhindert wird, die der Unternehmer nicht abwenden und denen er auch nicht abhelfen kann. Nach Art. 10 Verordnung (EU) Nr. 181/2011 können Beförderer sich aufgrund der Behinderung oder der eingeschränkten Mobilität einer Person weigern, diese an Bord des Fahrzeugs zu nehmen, um geltenden Sicherheitsanforderungen nachzukommen, die durch Vorschriften des internationalen Rechts, des Unionsrechts oder des nationalen Rechts festgelegt sind, oder um Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen nachzukommen, die von den zuständigen Behörden erlassen wurden oder wenn es wegen der Bauart des Fahrzeugs physisch nicht möglich ist, die Beförderung des behinderten Menschen oder der Personen mit eingeschränkter Mobilität auf sichere und operationell durchführbare Weise vorzunehmen. Diese Sicherheitsanforderungen haben in § 15 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr (BOKraft) eine Regelung gefunden, wonach Sachen so unterzubringen sind, dass die Sicherheit und Ordnung des Betriebs durch sie nicht gefährdet und andere Fahrgäste nicht belästigt werden können. Von der Beförderung sind gefährliche Gegenstände ausgeschlossen, insbesondere unverpackte oder ungeschützte Sachen, durch die Fahrgäste verletzt werden können.

Auf Grund des STUVA-Gutachtens vom Mai 2014 und des Abschlussberichts der STUVA vom Oktober 2015 sowie der Fahrversuche gemäß dem Gutachten der DEKRA vom 19. Mai 2015 und dem von der Beklagten dem Senat per Video vorgelegten Fahrversuch vom 19. November 2015 steht fest, dass E-Scooter in Linienbussen rutschen und kippen können, wenn sie ungesichert transportiert werden. Das ergibt sich auch aus dem dem Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 14. Mai 2009, AZ.: 15 U 13/08 bzw. dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. August 2008, AZ.: 331 O 111/08 zugrunde liegenden Sachverhalt. Danach kam es am 29. Juni 2007 zu einem Unfall wegen eines mitgeführten E-Scooters in einem Linienbus. Der E-Scooter kippte dabei um, als der Bus mit einer Geschwindigkeit von 22 bis 23 Km/h eine Linkskurve durchfuhr. Der auf der Bank sitzende, aufgrund eines Hüftleidens gehbehinderte Fahrgast versuchte, seinen E-Scooter mit beiden Händen festzuhalten, kam dabei zu Fall und verletzte sich.

Damit steht fest, dass der ungesicherte Transport von E-Scootern zu einer erheblichen Gefährdung der körperlichen Integrität der Fahrgäste führt. Angesichts der Größe, des Materials und des Gewichts der E-Scooter kann es zu ganz erheblichen Verletzungen (z. B. Knochenbrüchen, Verletzungen innerer Organe) kommen, wenn Fahrgäste von einem sich bewegenden oder kippenden E-Scooter getroffen werden. Aufgrund der Situation in den Linienbussen sind die Fahrgäste auch nur eingeschränkt in der Lage, auf eine solche Gefahr zu reagieren. Der Bus befindet sich in Bewegung, sodass schon deshalb ein schnelles und sicheres Reagieren durch die Fahrgäste erschwert ist. Des Weiteren ist der Raum in den Bussen häufig beengt, mit der Folge der fehlenden Möglichkeit der Fahrgäste, einer solchen Gefahr auszuweichen. Die Linienbusse werden insbesondere auch von Menschen mit Körperbehinderungen ohne E-Scooter sowie von älteren Menschen und Kindern genutzt, die von vornherein geringere Möglichkeiten haben, auf solche Gefahren zu reagieren, was ihnen durch die dargestellte Situation im Bus noch zusätzlich erschwert wird. Schließlich sind auch die E-Scooter-Fahrer selbst vor den dargestellten Gefahren zu schützen.

Deshalb ist es unvertretbar, E-Scooter ohne Sicherheitsvorkehrungen in Linienbussen zu transportieren. Dementsprechend geht es in dem Abschlussbericht der STUVA vom Oktober 2015 nicht mehr um die Frage, ob E-Scooter ungesichert mitgenommen werden können, sondern um die Frage, welche Sicherungseinrichtungen in den Bussen vorhanden sein müssen, um bestimmte E-Scooter sicher transportieren zu können. Es geht also um die Entwicklung von Unfallverhütungsvorschriften und deren Umsetzung.

Die Annahme des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, dass aufgrund des Abschlussberichtes der STUVA vom Oktober 2015 trotz des gegenteiligen Fahrversuches vom 19. November 2015, den der Senat in Augenschein genommen hatte, ein sicherer Transport bestimmter E-Scooter auf Grund zum Teil vorhandener Sicherungssysteme in Bussen gewährleistet sei, ist unzutreffend. Denn angesichts der Gefahr, die von einem E-Scooter für die Fahrgäste ausgeht, ist es nicht vertretbar, seine Sicherung von dem Verhalten, insbesondere der rechtzeitigen Reaktion und der Körperkraft des körperbehinderten E-Scooter-Fahrers abhängig zu machen. Die Gefahr, die von einem E-Scooter ausgeht, ist ungleich höher als die, die von einer Person ausgeht, die sich nicht richtig festhält. Aufgrund des zum Teil erheblichen Gewichts und der unterschiedlichen Stabilität von E-Scootern ist es auch nicht gewährleistet, dass diese im Falle eines Aufschaukelns von dem Nutzer kräftemäßig überhaupt gehalten werden können, zumal es sich um Menschen mit unterschiedlichen körperlichen Einschränkungen handelt. Es ist auch nicht lebensnah, davon auszugehen, dass sich ein Nutzer während einer normalen Fahrt, gerade wenn er sitzt, ständig an der Seitenstange am Bus festhält. Vielmehr ist es naheliegend, dass er davon bei ruhiger Fahrt keinen Gebrauch macht, sondern bequem und ohne besondere Aufmerksamkeit auf seinem E-Scooter sitzt. Kommt es dann zu einer plötzlichen, für einen Mitfahrer eines Busses in der Regel nicht vorhersehbaren Gefahrensituation, erscheint es fraglich, ob der E-Scooter-Fahrer geistesgegenwärtig und auch körperlich in der Lage ist, entsprechend schnell zu reagieren. Soweit der Senat unterstellt, dass der Bus so gefahren sei, wie er im Straßenverkehr fahren würde, übersieht er, dass es darauf bei der Frage der Prüfung der Sicherheit der Fahrgäste gar nicht ankommen kann. Denn bekanntermaßen kann es im Straßenverkehr zu gefahrenträchtigen Situationen kommen, in denen auch Busfahrer nicht nur durch Bremsen, sondern auch durch plötzliche Ausweichbewegungen reagieren müssen. Des Weiteren kann der Bus in Verkehrsunfälle verwickelt werden, in denen es insbesondere zu seitlichen Kollisionen kommen kann. Auch in diesen Fällen muss eine Sicherheit der Fahrgäste vor einem sich durch den Anstoß bewegenden E-Scooter gewährleistet sein. Das ist offensichtlich nicht der Fall, weil der E- Scooter schon bei „normaler Fahrt“ zusätzlich durch Körperkraft des Nutzers stabilisiert werden muss.

Öffentlich-rechtliche Vorschriften über die Befestigung von E-Scootern in Linienbussen sind bisher nicht vorhanden. Es gibt zwar internationale Empfehlungen, auf die auch die STUVA Bezug nimmt, sie sind jedoch nicht mit staatlichen Unfallverhütungsvorschriften vergleichbar. Zudem ergibt sich aus dem Schlussbericht der STUVA vom Oktober 2015, dass die in den Bussen anzubringenden Sicherungssysteme auf die unterschiedlichen Typen von E-Scootern abgestimmt sein müssen. Da verlässliche und staatlich geprüfte Sicherungssysteme nicht einmal für einige Typen von E-Scootern vorhanden sind, ist die Sicherheit der Fahrgäste bei einem Transport von E-Scootern derzeit nicht gewährleistet, so dass die Klage abzuweisen ist.

Zwar trägt die Beklagte die Beweislast dafür, dass ein sicherer Transport von E-Scootern nicht möglich ist. Diesen Beweis muss sie jedoch vorliegend nicht erbringen, weil diese Tatsache aufgrund der vorstehenden Ausführungen bereits feststeht. Eine weitergehende Vortrags- und Beweislast obliegt der Beklagten nicht. Insbesondere muss sie nicht darlegen, dass die von ihr verwendeten Linienbusse nicht mit Vorrichtungen versehen werden können, die einen sicheren Transport von E-Scootern erlauben würden.

Die Beklagte ist weder Herstellerin von Bussen noch Herstellerin von E-Scootern. Es ist auch nicht ihre Aufgabe bzw. Befugnis, Vorschriften zu entwickeln, die einen Unfall mit in Bussen transportierten E-Scootern vermeiden. Aufgrund des sogenannten Vorsorgeprinzips ist es Aufgabe des Staates, die Bürger vor Gefahren zu bewahren. Dies ergibt sich auch aus Art. 10 Verordnung (EU) Nr. 181/2011, der ausdrücklich auf Vorschriften des internationalen Rechts, des Unionsrechts und des nationalen Rechts sowie auf Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen der zuständigen Behörden Bezug nimmt. Es ist deshalb Aufgabe der Bushersteller und der Hersteller von E-Scootern, Sicherungssysteme für den Transport von E-Scootern zu entwickeln, die vor ihrer staatlichen Zulassung zum Beispiel durch den TÜV auf ihre Wirksamkeit geprüft werden. Erst sobald solche Systeme auf dem Markt zur Verfügung stehen, wäre die Beklagte verpflichtet, im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren entsprechende Busse zu erwerben, um eine Benachteiligung von Menschen mit Körperbehinderungen zu vermeiden.

Würde die Vortrags- und Beweislast eines Busunternehmens in einem Zivilprozess so weit gehen, dass der Busunternehmer selbst entsprechende Sicherungssysteme einrichten bzw. beweisen müsste, dass solche nicht eingerichtet werden können, würde dies nicht nur zu einer Zersplitterung der Beförderungspraxis der unterschiedlichen Unternehmen führen, sondern auch zu einer Gefährdung der Sicherheit der Fahrgäste. Denn wenn das Busunternehmen seiner Vortrags- und Beweislast nicht nachkommt oder nachkommen kann, würde es schon aus diesem Grunde unterliegen und wäre verpflichtet, E-Scooter zu transportieren, obwohl objektiv ein sicherer Transport nicht gewährleistet ist. Dies ist in der Relativität des Zivilprozessrechtsverhältnisses begründet. Der Zivilprozess dient nicht dazu, eine den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit genügende Regelung zu treffen, sondern es soll nur eine Streitigkeit zwischen den jeweiligen Prozessparteien entschieden werden. In diesem Rahmen ist es gerechtfertigt, dass eine Partei auch die Nachteile zu tragen hat, die ihr aufgrund ihrer unzureichenden Prozessführung oder eben aufgrund der ihr materiell-rechtlich auferlegten Beweislast entstehen. Dem Busunternehmen drohen hier jedoch nur die sekundären Folgen, nämlich eine mögliche Schadensersatzpflicht gegenüber den Fahrgästen, gegen die es sich versichern kann. Die primären Folgen, nämlich unter Umständen erhebliche Verletzungen ihrer körperlichen Unversehrtheit und Gesundheitsbeeinträchtigungen, haben die an dem Rechtsstreit unbeteiligten Fahrgäste zu tragen, was mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar ist.

Dies stünde auch im Widerspruch mit der in § 22 PBefG geregelten Beförderungspflicht. Danach besteht bundesweit Anspruch auf Beförderung, und zwar unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Fahrgäste. Dem würde nicht Rechnung getragen werden, wenn einzelne Busunternehmer aufgrund verschiedener Zivilprozesse zu unterschiedlichen Bedingungen verpflichtet werden, E-Scooter zu transportieren bzw. das Recht erhalten, einen solchen Transport verweigern. Es kann auch nicht im Interesse der Menschen mit Körperbehinderungen liegen, dass es bundesweit keine einheitliche Regelung gibt, unter welchen Bedingungen sie mit E-Scootern im Linienbusverkehr transportiert werden können. Schließlich haben auch die Busunternehmen Anspruch auf eine einheitliche Regelung, auf die sie ihre Beförderungspraxis ausrichten können. Nach Auffassung der Kammer ist daher der Gesetzgeber gefordert, entsprechende Regelungen einzuführen, um eine diskriminierungsfreie Beförderung von Menschen mit Körperbehinderungen einschließlich der von ihnen genutzten E-Scooter zu gewährleisten.

Ein Anspruch aus § 19 AGG ist nicht zu prüfen. Die oben genannten Vorschriften haben bereits das Ziel, eine diskriminierungsfreie Beförderung von Menschen mit Körperbehinderungen im öffentlichen Nahverkehr zu gewährleisten. Sie sind daher gegenüber dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz die spezielleren Vorschriften. Dieses räumt den Menschen mit Körperbehinderungen auch keine weitergehenden Rechte ein, weil nach § 20 AGG eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes nicht vorliegt, wenn für eine unterschiedliche Behandlung ein sachlicher Grund gegeben ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn die unterschiedliche Behandlung der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient. Dies ist aus den oben genannten Gründen der Fall.

Schließlich ist es unerheblich, dass auch von anderen in Bussen transportierten Gegenständen, wie E-Rollstühle, Kinderwagen, Rollatoren Gefahren ausgehen können. Zum einen haben diese andere Ausmaße und Gewichte und sind damit mit E-Scootern nicht vergleichbar. Zum anderen ist die Prüfung des Gerichts auf den vorgetragenen Prozessstoff, hier den Transport von E-Scootern, prozessual beschränkt.

Damit ist die Klage mit den Nebenentscheidungen aus den §§ 91, 709 ZPO abzuweisen.


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