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Eigenbedarf – Gehörsrüge


Gehörsrüge

Zusammenfassung:

Im anliegenden Nichtzulassungsbeschwerde setzte sich der Bundesgerichtshof mit den Anforderungen an die Unterstellung von Behauptungen einer Partei als wahr auseinander und hob eine berufungsgerichtliche Entscheidung auf, nachdem durch das Berufungsgericht auf die Vernehmung eines Zeugens zur Frage, wann der Eigenbedarfswunsch entstanden ist, abgelehnt worden war.


Bundesgerichtshof

Az: VIII ZR 178/15

Beschluss vom 23.08.2016


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe – Zivilkammer VII – vom 10. Juli 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Streitwert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren wird auf 7.902 € festgesetzt.


Gründe

I.

Die Beklagten sind seit dem 1. September 2000 Mieter einer im ersten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vierzimmerwohnung des Klägers in K.    . Der Mietvertrag wurde mit der im Jahr 2010 verstorbenen Mutter des Klägers abgeschlossen; der Kläger ist als ihr Alleinerbe in den Mietvertrag eingetreten.

Mit Schreiben vom 25. Oktober 2012 kündigte der Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zum 31. Juni 2013. Die Kündigung wurde vom Kläger damit begründet, sein damals 22 Jahre alter Sohn, der ein Studium an der Dualen Hochschule in K.      aufgenommen habe und im September 2013 von einem dreimonatigen Auslandspraktikum in China zurückgekehrt sei, beabsichtige, nun auch in Deutschland einen eigenen Hausstand zu gründen und mit mindestens einem Mitbewohner zusammenzuziehen.

Die Beklagten akzeptierten die Kündigung nicht. Daraufhin hat der Kläger Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung erhoben und ergänzend angeführt, sein Sohn wolle die Wohnung mit seinem langjährigen Freund M.      M.   beziehen, der ein ähnliches Studium absolviere. Das Amtsgericht hat der Klage nach Vernehmung des Sohnes des Klägers stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, es liege ein weit überhöhter und damit rechtsmissbräuchlicher Wohnbedarf vor, die Absicht, eine Wohngemeinschaft einzugehen, rechtfertige keinen höheren Eigenbedarf und schließlich sei von einem nur auf die Dauer des Studiums bezogenen, vorübergehenden Bedarf auszugehen.

Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers die Revision gegen dieses Urteil zugelassen und anschließend unter Aufhebung der Entscheidung den Rechtsstreit mit Urteil vom 4. März 2015 (VIII ZR 166/14, BGHZ 204, 216) an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen. Dabei hat er dem Berufungsgericht aufgegeben, die im Berufungsverfahren bislang unterbliebenen Feststellungen zu der Frage der Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches und zu dem von den Beklagten geltend gemachten Einwand nachzuholen, für die Befriedigung des Eigenbedarfswunsches habe eine vor dem 1. Mai 2012 freigewordene, baugleiche Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss desselben Anwesens zur Verfügung gestanden.

Im erneuten Berufungsverfahren haben die Beklagten hinsichtlich der von ihnen angeführten Möglichkeit, die freigewordene und am 1. Mai 2012 weitervermietete Erdgeschosswohnung zur Befriedigung des Eigenbedarfs heranzuziehen, ergänzend ausgeführt, aus den Bekundungen des in erster Instanz vernommenen Zeugen H.   sei abzuleiten, dass schon längere Zeit vor dem Freiwerden dieser Wohnung im Rahmen eines Gesprächs mit seinem Freund M.      M.    der Entschluss gefasst worden sei, von zu Hause aus- und zusammenzuziehen, und dies auch mit dem Kläger besprochen worden sei. Zum Nachweis dieser Behauptung haben sie sich im Berufungsverfahren erstmals auf das Zeugnis von Herrn M.    berufen. Das Landgericht hat von einer Beweisaufnahme abgesehen und die Berufung der Beklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil zurückgewiesen. Die Revision hat es nicht zugelassen. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:

Dem geltend gemachten Eigenbedarf stehe nicht entgegen, dass gegebenenfalls vor dem 1. Mai 2012 eine gleichwertige Alternativwohnung im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Anwesens zur Verfügung gestanden habe. Denn den glaubhaften Angaben des Zeugen H.    lasse sich entnehmen, dass in ihm der Wunsch, eine eigene Wohnung in Gemeinschaft mit einem guten Freund zu beziehen, erst im September 2012 nach seinem Auslandsaufenthalt in China und den dort gemachten Erfahrungen gereift sei. Allein die Behauptung der Beklagten, der Zeuge H.   habe sich mit seinem Freund M.       M.    schon im Jahre 2012 über etwaige Auszugsabsichten unterhalten, bedeute nicht, dass bereits vor seiner Abreise nach China ein fester Entschluss gefasst worden wäre, für den es schon eine konkrete Planung gegeben hätte. Im September 2012, dem Zeitpunkt, in dem der Nutzungsentschluss gefasst worden sei, sei die Erdgeschosswohnung aber schon seit nahezu fünf Monaten weitervermietet gewesen.

2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass die angefochtene Entscheidung den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat, indem es dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Einvernahme des Zeugen M.   zur Behauptung nicht nachgegangen ist, der Entschluss zur Gründung einer Wohngemeinschaft mit dem Zeugen M.   sei schon vor dem 1. Mai 2012 gefasst worden.

a) Die Nichterhebung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (st. Rspr.; siehe etwa BVerfGE 50, 32, 36; 65, 305, 307; 69, 141, 144; BVerfG, WM 2009, 671, 672; BVerfG, Beschluss vom 14. März 2013 – 1 BvR 1457/12, juris Rn. 10 mwN; BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 2014 – VIII ZR 34/14, NJW-RR 2015, 910 Rn. 13; vom 16. Juni 2016 – V ZR 232/15, juris Rn. 5; jeweils mwN). So liegen die Dinge hier. Die Vernehmung des Zeugen M.  konnte weder aus den von dem Berufungsgericht angestellten Erwägungen noch aus anderen Gründen zurückgewiesen werden.

aa) Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag in seinen Urteilsgründen nicht ausdrücklich abgelehnt. Seinen Ausführungen lässt sich jedoch entnehmen, dass es die zum Beweis gestellte – und offenbar als wahr unterstellte – Tatsachenbehauptung für unerheblich gehalten hat. Es hat die Auffassung vertreten, die Behauptung der Beklagten, der Zeuge H.    habe sich mit seinem Freund M.   schon im Jahr 2012 über etwaige Auszugsabsichten unterhalten, bedeute nicht, dass es schon vor der Rückkehr aus China eine konkrete Planung gegeben hätte und ein fester Entschluss über die Gründung einer Wohngemeinschaft gefasst worden wäre. Hierbei missachtet das Berufungsgericht die Grundsätze der Wahrunterstellung und verletzt damit den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör.

(1) Voraussetzung einer zulässigen Wahrunterstellung ist, dass die Behauptung so übernommen wird, wie die Partei sie aufgestellt hat (BGH, Beschluss vom 24. September 2015 – IX ZR 266/14, juris Rn. 8). Eine Auslegung des im erneuten Berufungsverfahren gestellten Beweisantrages ergibt aber, dass die Beklagten den Zeugen M.    zum Beweis der Tatsache benannt haben, der Entschluss zur Gründung einer Wohngemeinschaft sei vom Zeugen H.     bereits vor dem Freiwerden der zum 1. Mai 2012 weitervermieteten Wohnung im Erdgeschoss fest getroffen worden. Die Beklagten haben in ihrem in zweiter Instanz ergänzten Vorbringen ausgeführt, der Zeuge H.   habe bei seiner Vernehmung in erster Instanz angegeben, er habe mit seinem Freund M.    bereits 2012 darüber gesprochen, dass sie von zu Hause ausziehen wollten. Aus diesen Angaben und dem Umstand dass zwischen der Weitervermietung der freigewordenen Erdgeschosswohnung und der Eigenbedarfskündigung für die Obergeschosswohnung nur ein Zeitraum von rund fünf Monaten lag, ziehen sie den in das Wissen des Zeugen M.   gestellten Rückschluss, dass „der Entschluss von zuhause auszuziehen und zusammenzuziehen, […] schon längere Zeit vor dem Freiwerden der Wohnung im EG stattgefunden und gefasst worden und vom Zeugen H.    mit seinem Vater, dem Kläger, besprochen worden sein [müsse]“. Hieraus ergibt sich, dass der Zeuge M.    nicht nur – wie vom Berufungsgericht angenommen – für ein bloßes Gespräch über etwaige Auszugsabsichten angeboten wurde, sondern zum Beweis der Tatsache, dass zu diesem Zeitpunkt der Entschluss, eine Wohngemeinschaft zu gründen, bereits endgültig gefasst war.

(2) Eine Wahrunterstellung, die es erlaubt hätte, auf die Vernehmung des Zeugen M.   zu verzichten, hätte also auch die Behauptung umfassen müssen, dass schon vor dem 1. Mai 2012 der Entschluss zur Gründung der Wohngemeinschaft gefallen sei. Das Berufungsgericht hat demgegenüber – wie sich aus dem auf Seite 5 seines Urteils verkürzt wiedergegebenen Vortrag der Beklagten ergibt – den Beweisantrag allein auf ein zwischen dem Zeugen H.   und dem Zeugen M.    geführtes Gespräch über etwaige Absichten, gemeinsam eine Wohnung zu beziehen, verengt und dann entgegen der Behauptung der Beklagten und ohne Vernehmung des Zeugen M.    festgestellt, der endgültige Entschluss sei erst nach der Rückkehr des Zeugen H.    aus China getroffen worden.

(3) Die von den Beklagten aufgestellte Tatsachenbehauptung kann nicht als wahr unterstellt werden, weil die zwischen den Parteien streitige und bislang nicht hinreichend geklärte Frage, wann der Nutzungswunsch des Sohnes des Klägers endgültig feststand und dem Kläger bekannt gegeben worden war – nach Darstellung des Klägers erst im September 2012, nach der Auffassung der Beklagten schon vor der Weitervermietung der Erdgeschosswohnung – für die Wirksamkeit der ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung eine entscheidende Rolle spielt. Der Zeitpunkt des endgültigen Entstehens des Nutzungswunsches kann sowohl für die – vom Kläger nachzuweisende – Frage der Ernsthaftigkeit der auf die Wohnung im ersten Obergeschoss bezogenen Nutzungsabsicht (bei einem vor dem 1. Mai 2012 bestehenden Nutzungswunsch hätte möglicherweise ein Bezug der freigewordenen Erdgeschosswohnung nahegelegen) als auch unter dem Gesichtspunkt einer – von den Beklagten zu beweisenden – Rechtsmissbräuchlichkeit der Kündigung wegen einer vor dem 1. Mai 2012 beziehbaren gleichwertigen Alternativwohnung von Bedeutung sein.

(a) Zwar gehört zu der sich aus dem Eigentumsgrundrecht ergebenden Befugnis des Vermieters auch die Entscheidung darüber, von welchem Zeitpunkt an ein Wohnbedarf Anlass für eine Eigenbedarfskündigung geben soll (BVerfG, NZM 1999, 659, 660; Senatsurteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 154/14, BGHZ 204, 145 Rn. 31). Dabei ist auch zu beachten, dass der Wunsch, eine bestimmte Wohnung zu nutzen, sich nicht ausschließen oder in erster Linie an objektiven Kriterien messen lässt (BVerfGE 79, 292, 305; BVerfG, NJW 1994, 309, 310; Senatsurteil vom 4. Februar 2015 – VIII ZR 154/14, aaO).

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Dies bedeutet aber nicht, dass in dem Falle, in dem – wie hier – wenige Monate vor dem geltend gemachten Eigenbedarf eine geeignete Alternativwohnung frei geworden ist, nicht der Frage nachzugehen wäre, wann der die Eigenbedarfssituation auslösende Nutzungsentschluss konkret gefasst worden ist. Denn wenn ein bereits endgültig feststehender Nutzungsentschluss nicht in einer vergleichbaren und freigewordenen Wohnung im selben Anwesen realisiert, sondern erst nach der Weitervermietung einer solchen Alternativwohnung in die Tat umgesetzt worden wäre, könnte dies Zweifel an der vom Tatrichter unter Würdigung aller Gesamtumstände zu prüfenden Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches aufkommen lassen. Anders lägen die Dinge, wenn es plausible Gründe für das Hinausschieben der Umsetzung eines feststehenden Nutzungsentschlusses gäbe oder die Nutzungsabsicht aus nachvollziehbaren Gründen erst zu einem Zeitpunkt endgültig gefasst worden wäre, als eine geeignete Alternativwohnung nicht mehr zur Verfügung stand.

(b) Im Falle eines schon vor der Weitervermietung einer freigewordenen geeigneten Alternativwohnung endgültig gefassten Nutzungsentschlusses käme zudem eine Rechtsmissbräuchlichkeit der ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung in Betracht. Zwar ist bei der Kündigung einer Mietwohnung wegen Eigenbedarfs grundsätzlich die Entscheidung des Vermieters, welche der ihm gehörenden Wohnungen er nutzen will, zu respektieren (Senatsurteile vom 13. Oktober 2010 – VIII ZR 78/10, NJW 2010, 3775 Rn. 14; vom 9. Juli 2003 – VIII ZR 276/02, NJW 2003, 2604 unter II 2). Ausnahmsweise ist eine (berechtigte) Eigenbedarfskündigung aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn dem Vermieter eine vergleichbare andere Wohnung zur Verfügung steht, in der er seinen Wohnbedarf ohne wesentliche Abstriche befriedigen kann (Senatsurteil vom 4. März 2015 – VIII ZR 166/14, BGHZ 204, 216 Rn. 15; BVerfG, NJW 1994, 309, 310; NJW 1993, 1637, 1638; NJW 1994, 994 f.; NJW 1995, 1480, 1481).

bb) Der Beweisantritt hätte auch nicht aus anderen Gründen zurückgewiesen werden dürfen.

(1) Die erstmalige Benennung des Zeugen M.    im Berufungsverfahren ist zwar – im Gegensatz zu dem unter Beweis gestellten Vorbringen an sich – ein neues Verteidigungsmittel und damit nur unter den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig. Denn auch nach der Zurückverweisung eines Rechtsstreits darf das Berufungsgericht neue Angriffs- und Verteidigungsmittel nur in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen (BGH, Urteil vom 2. April 2004 – V ZR 107/03, NJW 2004, 2382 unter II 4 a), es sei denn, es handelt sich um unstreitiges Vorbringen (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom 20. Mai 2009 – VIII ZR 247/06, NJW 2009, 2532 Rn. 15; Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2015 – VIII ZR 288/14, WuM 2016, 98 Rn. 11; jeweils mwN). Dieses hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung ohne weiteres gemäß § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legen.

(a) Neu im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO ist ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel, wenn es bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz nicht vorgebracht worden und daher im erstinstanzlichen Urteil unberücksichtigt geblieben ist (BGH, Urteil vom 2. April 2004 – V ZR 107/03, aaO unter II 1 a; Beschluss vom 15. Juli 2014 – VI ZR 176/13, juris Rn. 3). Gleiches gilt für Vorbringen, das einen sehr allgemein gehaltenen oder nur angedeuteten Vortrag im ersten Rechtszug erstmals substantiiert (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 – VI ZR 199/03, BGHZ 159, 245, 251; Beschluss vom 15. Juli 2014 – VI ZR 176/13, aaO). Dagegen ist Vortrag in zweiter Instanz dann nicht neu, wenn ein bereits schlüssiges Vorbringen aus erster Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2004 – VI ZR 199/03, aaO; vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 15; vom 19. Februar 2016 – V ZR 216/14, NJW 2016, 2315 Rn. 27; Beschluss vom 10. Mai 2016 – VIII ZR 214/15, WuM 2016, 426 Rn. 18; jeweils mwN).

(b) Gemessen daran ist der dem Beweisantrag zugrunde liegende Vortrag der Beklagten ohne die Beschränkungen des § 531 Abs. 2 ZPO berücksichtigungsfähig. Die Beklagten haben bereits im erstinstanzlichen Verfahren behauptet, schon bei der Weitervermietung der Erdgeschosswohnung zum 1. Mai 2012 habe festgestanden, dass der Sohn des Klägers aus China zurückkehre, so dass er diese Wohnung hätte beziehen können. Diese Behauptung haben sie in zweiter Instanz dahin konkretisiert, aus den erstinstanzlichen Angaben des Zeugen H.   sei abzuleiten, dass der Entschluss, eine Wohnungsgemeinschaft mit Herrn M.    zu gründen, schon vor dem Freiwerden der Erdgeschosswohnung gefasst und mit dem Kläger besprochen worden sei. Das ergänzte und vom Kläger bestrittene Vorbringen als solches ist damit – weil nicht neu – ohne weiteres gemäß § 529 Abs. 1 ZPO berücksichtigungsfähig.

(c) Dagegen stellt die für die beschriebenen Behauptungen erst in der Berufungsinstanz erfolgte Benennung des Zeugen M.    ein neues Verteidigungsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO dar. Ein erstmals im zweitinstanzlichen Verfahren angetretener Zeugenbeweis für einen schon in erster Instanz gehaltenen Vortrag bildet stets ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel, und zwar unabhängig davon, ob in erster Instanz schon ein Zeuge mit „NN“ bezeichnet (Musielak/Voit/Ball, ZPO, 13. Aufl., § 531 Rn. 15; BeckOK-ZPO/Wulf, Stand: März 2016, § 531 Rn. 12) oder – wie im Streitfall – noch gar kein Beweisantritt erfolgt ist. Die für die Konkretisierung eines bereits erbrachten Vortrags geltenden Grundsätze finden hier keine Anwendung, weil der Zeugenbeweis gemäß § 373 ZPO erst dann angetreten ist, wenn ein Zeuge benannt ist (Musielak/Voit/Huber, aaO, § 373 Rn. 10; vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2014 – IX ZR 88/14, NZI 2015, 191 Rn. 6).

(2) Der erstmals in der Berufungsinstanz erfolgte Beweisantritt ist jedoch nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO berücksichtigungsfähig.

(a) Nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren zuzulassen, wenn sie einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt betreffen, der von dem Gericht des ersten Rechtszugs erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel schon in erster Instanz hätte vorgebracht werden können. Denn diese Bestimmung soll verhindern, dass Prozessparteien gezwungen werden, in der ersten Instanz vorsorglich auch solche Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzutragen, die vom Standpunkt des erstinstanzlichen Gerichts unerheblich sind (BGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 166/11, aaO Rn. 18; vom 14. Juni 2016 – XI ZR 76/14, juris Rn. 18; jeweils mwN). Allerdings findet die genannte Vorschrift nur unter der ungeschriebenen Voraussetzung Anwendung, dass die Rechtsansicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag beeinflusst hat und daher, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit-)ursächlich dafür geworden ist, dass sich das Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 166/11, aaO Rn. 19; vom 1. Juli 2015 – VIII ZR 226/14, NJW 2015, 3455 Rn. 25; vom 14. Juni 2016 – XI ZR 76/14, aaO; jeweils mwN). Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs die Partei durch seine Prozessleitung oder seine erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten hat, zu bestimmten Gesichtspunkten (weiter) vorzutragen (BGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 166/11, aaO, Rn. 20; vom 19. Februar 2004 – III ZR 147/03, WM 2004, 2213 unter II 2 a).

(b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Amtsgericht hat die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Sohn des Klägers aufgrund eines schon damals im Wesentlichen abgeschlossenen Entscheidungsprozesses in die zum 1. Mai 2012 weitervermietete Erdgeschosswohnung hätte einziehen können oder ob diese Möglichkeit deswegen ausgeschlossen war, weil der Entschluss des Sohnes des Klägers erst im September 2012 endgültig gefasst und an den Kläger herangetragen worden ist, ausgehend von dem von ihm eingenommenen Rechtsstandpunkt für unerheblich gehalten. Es hat in seinen Urteilsgründen das Freiwerden der zum 1. Mai 2012 weitervermieteten Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss nur unter dem Gesichtspunkt in den Blick genommen, ob ein Bezug dieser baugleichen Wohnung eine sinnvollere Alternative für den Kläger dargestellt habe, und hat sich an einer solchen Prüfung gehindert gesehen, weil aus Art. 14 GG folge, dass dem Vermieter nicht vorgeschrieben werden könne, welche Wohnung er nutzen wolle. Dementsprechend hat es weder im Rahmen der Befragung des Zeugen H.   ausreichend aufgeklärt, wie weit dessen Pläne, mit dem Zeugen M.    eine Wohngemeinschaft zu gründen, schon vor der Abreise nach China gediehen waren, noch weitere Beweisantritte zu dieser Frage für erforderlich gehalten.

Die Rechtsansicht des Amtsgerichts, das der aufgeworfenen Streitfrage keine rechtliche Bedeutung beigemessen hat, ist damit auch (mit-)ursächlich dafür geworden, dass die Beklagten nicht bereits in erster Instanz ihr Vorbringen zu einem schon frühzeitig gefassten Nutzungsentschluss des Sohnes des Klägers konkretisiert und durch Benennung des Zeugen M.   unter Beweis gestellt haben.

b) Die in der unterbliebenen Beweiserhebung liegende Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht nach Vernehmung des Zeugen M.   und einer – dann gegebenenfalls gebotenen – ergänzenden Anhörung des Zeugen H.    zu einer anderen Beurteilung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Nutzungswunsches oder der Möglichkeit, den Eigenbedarf in der zum 1. Mai 2012 weitervermieteten Erdgeschosswohnung zu befriedigen, gelangt wäre.

3. Die von der Nichtzulassungsbeschwerde weiter gerügten Gehörsverstöße liegen dagegen nicht vor. Insbesondere hat das Berufungsgericht nicht unter Verletzung des Anspruchs der Beklagten auf rechtliches Gehör deren erstmals nach der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht erfolgtes Bestreiten des – bislang von allen Instanzen ihren Entscheidungen als unstreitig zugrunde gelegten – Mitnutzungswillens des Studienkollegen M.  und die von den Beklagten angeführten Indizien für einen vorgeschobenen Eigenbedarf unberücksichtigt gelassen. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 ZPO abgesehen.

III.

Das Urteil des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO), damit dieses durch Vernehmung des Zeugen M.    (und gegebenenfalls einer ergänzenden Anhörung des Zeugen H.   ) der streitigen Frage nachgeht, ob die Entscheidung, eine Wohnungsgemeinschaft zu gründen, erst im September 2012 gefallen oder bereits vor dem 1. Mai 2012 getroffen worden ist. Der Senat macht dabei von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch, der auch im Beschlussverfahren nach § 544 Abs. 7 ZPO entsprechend herangezogen werden kann (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2007 – V ZR 200/06, NJW-RR 2007, 1221 Rn. 12). Gerichtskosten für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren werden gemäß § 21 GKG nicht erhoben.


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