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Eingeparkt – umliegende Fahrzeuge beim Wegschieben beschädigt – zahlt Kfz-Haftpflichtversicherung?

OLG Hamm, Az.: 20 U 262/92. Urteil vom 12.02.1993

Tatbestand

Der Kläger unterhält bei der Beklagten eine Kfz.- Haftpflichtversicherung. Er behauptet: Am 30.05.1991 gegen 2.00 Uhr habe er mit dem versicherten Fahrzeug die Zeugin D. nach Hause bringen wollen. Das Fahrzeug sei jedoch in einer Parklücke eingeklemmt gewesen. Deshalb habe er das hinter ihm parkende Fahrzeug vom Typ Opel Corsa des Zeugen N. zunächst an der einen, dann an der anderen Seite jeweils am hinteren Kotflügel angehoben und durch Druck mit dem Gesäß verschoben, um auf diese Weise die Parklücke zu vergrößern. Erst am nächsten Tag habe er festgestellt, daß dabei Beschädigungen am Fahrzeug N. entstanden seien. Die erforderlichen Reparaturkosten habe der Sachverständige S. in einem für den Zeugen N. erstatteten Gutachten vom 27.06.1991 (Bl. 48 ff. d.A.) ermittelt. Daraufhin habe er, der Kläger, an N. insgesamt 6.145,75 DM (Reparaturkosten, Minderwert, Leihwagenkosten und Auslagenpauschale in Höhe von insgesamt 5.500,– DM; Sachverständigenkosten von 571,37 DM sowie Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung der Sachverständigenkosten in Höhe von 74,38 DM) gezahlt.

Eingeparkt – umliegende Fahrzeuge beim Wegschieben beschädigt – zahlt Kfz-Haftpflichtversicherung?
Symbolfoto: photazz/ Bigstock

Die Beklagte, der der Schadensfall erstmals durch Schreiben des Klägers vom 05.07.1991 gemeldet worden ist, hat mit Schreiben vom 16.09.1991 Versicherungsschutz abgelehnt.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger die Erstattung des angeblich an den Zeugen N. gezahlten Betrages von 6145,75 DM.

Die Beklagte macht geltend, die schadensstiftende Handlung falle nicht unter den Versicherungsschutz, da der Schaden nicht durch den Gebrauch des versicherten Fahrzeuges entstanden sei. Darüber hinaus bestreitet sie den behaupteten Schadenshergang unter Hinweis auf eine von ihr eingeholte Stellungnahme der DEKRA AG Niederlassung D. vom 09.08.1991 (Bl. 60 f. d.A.), wonach die Angaben des Klägers, er habe das Fahrzeug N. angehoben und mit dem Gesäß verschoben, nicht nachvollziehbar seien, mit den tatsächlichen Schäden in keinem Zusammenhang stünden und so technisch auch nicht möglich seien. Sollte der Schaden durch eine Handlung des Klägers entstanden sein, habe es sich um eine vorsätzliche Handlung im Sinne des § 152 VVG gehandelt.

Durch das angefochtene Urteil hat das Landgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, der geltend gemachte Schaden falle nicht unter das in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung versicherte Risiko, da er nicht durch den Gebrauch des versicherten Fahrzeuges verursacht worden sei.

Nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils hat der Kläger durch Schriftsatz vom 18.07.1992 seinem Privathaftpflichtversicherer den Streit verkündet. Dieser ist durch Schriftsatz vom 24.08.1992 dem Rechtsstreit auf seiten des Klägers beigetreten und hat gegen das angefochtene Urteil rechtzeitig Berufung eingelegt.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat überwiegend Erfolg. Die Beklagte ist dem Kläger zur Erstattung eines Betrages von 5.795,71 DM, den er dem Geschädigten N. als Schadensersatz anläßlich des Schadenereignisses vom 30.05.1991 geleistet hat, verpflichtet. Im übrigen ist die Klage unbegründet.

1. Ein Versicherungsfall nach § 10 Abs. 1 b AKB ist am 30.05.1991 eingetreten.

a) Unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, daß der Kläger am frühen Morgen des 30.05.1991, um die Zeugin D. mit dem versicherten Fahrzeug nach Hause bringen zu können, das in einer Parklücke zwischen zwei anderen Fahrzeugen eingeklemmte versicherte Fahrzeug dadurch freibekommen hat, indem er das hinter seinem Wagen geparkte Fahrzeug des Zeugen N. (Opel Corsa) zunächst auf der einen, dann auf der anderen Seite am hinteren Kotflügel hochgehoben und durch Druck mit dem Gesäß verschoben hat. Durch diese Aktion sind Schäden am hinteren Teil der Seitenwände des Fahrzeugs N. entstanden. Die Zeugin D. hat den Klagevortrag in vollem Umfang bestätigt. Zweifel an der Richtigkeit ihrer Aussage haben sich nicht ergeben. Der Zeuge N. hat bekundet, am Morgen des 30.05.1991 bis dahin nicht vorhandene Schäden an beiden Seiten seines Fahrzeugs festgestellt und deshalb bei der Polizei Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet zu haben. Der Kläger – so der Zeuge – sei ihm bis dahin nicht bekannt gewesen. Der Sachverständige hat gemeinsam mit dem Kläger die von jenem behauptete Vorgehensweise an einem anderen Fahrzeug rekonstruiert und dabei nicht nur festgestellt, daß das Versuchsfahrzeug vom Kläger nach hinten hin bewegt werden konnte, sondern daß dadurch auch gleiche Beschädigungen, wie sie am Fahrzeug des Zeugen N. auf den vom Sachverständigen S. gefertigten Lichtbildern dokumentiert wurden, entstanden sind. Daß diese Beschädigungen am Fahrzeug des Zeugen N. von einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug oder Gegenstand stammen, hat der Sachverständige nach der Art der Beschädigung (keine Eindrücke von außen nach innen) ausgeschlossen.

b) Die Aktion des Klägers stellte auch einen bedingungsgemäßen Versicherungsfall im Sinne des § 10 Abs. 1 b AKB dar. Insbesondere ist der Schaden am Fahrzeug des Zeugen N. durch den Gebrauch des versicherten Fahrzeuges entstanden. Das versicherte Fahrzeug selbst war zwar unmittelbar an der Schadensstiftung nicht beteiligt. Dies ist aber auch nicht erforderlich. Da vom Versicherungsschutz die typische, vom Gebrauch des Kfz selbst und unmittelbar ausgehende Gefahr umfaßt werden soll (BGH VersR 1977, 418, 419; 1980, 1039, 1040), können auch Handlungen des Fahrers der vom Gebrauch des Fahrzeugs ausgehenden Gefahr hinzugerechnet werden, wenn es sich um typische Fahrerhandlungen handelt. Eine solche liegt vor, wenn sie in den gesetzlichen oder durch die Verkehrsauffassung bestimmten Aufgabenkreis eines Kraftfahrers fällt und im Zusammenhang mit einer bestimmten Fahrt geschieht (BGH VersR 1980, 1039, 1040). Im Streitfall ist eine derartige typische Fahrerhandlung schadensursächlich geworden. Der Kläger hat, um das versicherte Fahrzeug wegen einer unmittelbar bevorstehenden Fahrt (Heimbringen der Zeugin D.) aus einer zu kleinen Parklücke hinausmanövrieren zu können, das hinter seinem Wagen parkende Fahrzeug des Zeugen N. angehoben und weggeschoben, um auf diese Weise die Parklücke zu vergrößern. Das Beseitigen von Hindernissen, die den mit dem Fahrzeug beabsichtigten Weg versperren, gehört nach der Verkehrsauffassung zum Aufgabenkreis eines Fahrzeugführers und wird deshalb zu Recht dem Gebrauch des Fahrzeugs zugerechnet (Prölss-Martin, VVG, 25. Aufl., § 10 AKB Anm. 3 B; Stiefel- Hofmann, AKB, 15. Aufl., § 10 Rdn. 102 m.w.N.; Schmalzl, VersR 1992, 732). Die Auffassung des Landgerichts, das von dem Kläger behauptete Anheben und Zur-Seite-rücken des Pkw N. sei derart ungewöhnlich und außerhalb des nach der Lebenserfahrung normalen Handelns eines Fahrers, so daß von einem adäquaten Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Kfz nicht ausgegangen werden könne, verkennt, daß es entscheidend auf die Zweckrichtung des Handelns des Klägers (= Beseitigen eines Hindernisses) ankommt. Ob die Verwirklichung dieses Zwecks möglicherweise grob fahrlässig ist, ist – wie immer im Haftpflichtversicherungsrecht – unbeachtlich.

2. Eine Leistungsfreiheit der Beklagten wegen Verspätung der Schadenanzeige (§§ 7 I Nr. 2 S. 1, V Nr. 4 AKB; 6 Abs. 3 VVG) ist nicht eingetreten. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, er habe den Schaden zunächst seinem Privathaftpflichtversicherer, der Streitverkündeten, gemeldet. Erst nach dessen Ablehnung unter Hinweis darauf, eintrittspflichtig sei die Kfz.-Haftpflichtversicherung, habe er die Beklagte in Anspruch genommen. Damit ist Vorsatz widerlegt. Ob die verspätete Schadenanmeldung bei der Beklagten grob fahrlässig war, braucht nicht entschieden zu werden, da der Kausalitätsgegenbeweis geführt ist.

3. Die Beklagte ist auch nicht nach § 152 VVG leistungsfrei geworden. Es läßt sich nicht feststellen, daR der Kläger den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Das vorsätzliche Anheben des beschädigten Fahrzeugs bedingt nicht gleichzeitig den Vorsatz hinsichtlich der Beschädigung. Für die Annahme eines zumindest bedingten Beschädigungsvorsatzes auf seiten des Klägers spricht nichts.

4. Der Höhe nach ist der Erstattungsanspruch des Klägers allerdings auf 5.795,71 DM begrenzt.

Der Zeuge N. hat glaubhaft bestätigt, vom Kläger am 09.07.1991 den Betrag von 5.429,96 DM erhalten zu haben (vgl. Quittung – Bl. 45 d.A.). Darüber hinaus habe der Kläger Gutachterkosten in Höhe von 571,37 DM sowie Rechtsanwaltskosten von 74,38 DM (vgl. Kostenberechnung -Bl. 7 d.A.) bezahlt. Diese Gesamtkosten von 6.075,71 DM sind jedoch nicht in voller Höhe von der Beklagten zu erstatten. Der gerichtliche Sachverständige hat bestätigt, daß die in Höhe von 4.604,96 DM ausgewiesenen Reparaturkosten lt. Rechnung des G. Autohauses vom 10.03.1991 (Bl. 46 ff. d.A.) in voller Höhe auf die Beseitigung der am 30.05.1991 entstandenen Schäden entfallen. Der Ansatz eines merkantilen Minderwertes von 300,– DM sei bei einem unfallfreien Fahrzeug, um das es sich unstreitig gehandelt hat, nicht zu bestanden. Die Nutzungsausfallentschädigung belaufe sich allerdings nur auf 215,– DM (5 Tage x 43,– DM), da die Reparatur des Schadens in fünf Arbeitstagen ohne weiteres möglich gewesen wäre. Alles in allem ergibt sich somit folgende Abrechnung:

Reparaturkosten 4.604,96 DM

Minderwert 300,– DM

Nutzungsausfallschaden 215,– DM

Aufwandspauschale 30,– DM

Gutachterkosten 571,37 DM

Rechtsanwaltskosten des Zeugen N.74,38 DM

———-

Su. 5.795,71 DM.

5. Der Zinsanspruch ist aufgrund des Ablehnungsschreibens der Beklagten vom 16.09.1991 seit dem 17.09.1991 in Höhe von 4 % gerechtfertigt. Die bestrittene Inanspruchnahme von Bankkredit zu einem Zinssatz von 12,75 % ist nicht belegt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Beschwer der Beklagten beträgt 5.795,71 DM, die des Klägers 350,04 DM

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