Zusammenfassung:
Das Arbeitsgericht Bonn entschied kürzlich die im Rahmen des „Poststreiks“ aufgekommene Rechtsfrage, ob und inwieweit Beamte durch ein Unternehmen auf dem Arbeitsplatz eines streikenden Arbeitnehmers eingesetzt werden dürfen. Unter Hinzuziehung eines Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes hielt das Arbeitsgericht den Einsatz für unzulässig, wobei es den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedoch aus anderen Gründen zurückwies.
Arbeitsgericht Bonn
Az: 3 Ga 18/15
Urteil vom 26.05.2015
Tenor
1. Die Anträge werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsklägerin.
3. Die Berufung wird zugelassen.
4. Streitwert: 250.000,00 EUR
Tatbestand
Die Parteien des einstweiligen Verfügungsverfahrens befinden sich seit dem 1.4.2015 in Tarifauseinandersetzungen. Dabei veranlasste die Verfügungsklägerin am 1. und 2. Mai, 15. und 16. April 2015 Warnstreiks sowie am 30. April/2. Mai, 15. Mai/16. Mai und 18. Mai/19.5.2015 weitere Streiks.
Bei der Verfügungsbeklagten sind regelmäßig in Deutschland rund 140.000 Arbeitnehmer und 40.000 Beamte beschäftigt.
Während Streikmaßnahmen am 1. April, 2. April, 16. April, 17. April, 30. April, 2. Mai und 12. Mai 2015 haben Beamte auf Weisung der Verfügungsbeklagten Tätigkeiten ausgeführt, die nicht zu ihrer regulären Arbeitsbereich gehören und die normalerweise von sich im Streik befindenden Arbeitnehmern ausgeübt werden.
In der Niederlassung ). waren am 2.4.2015 neun Beamtinnen und Beamten mit solchen Tätigkeiten beauftragt worden. Diese widersprachen mit Schreiben vom 17. bzw. 22.4.2015 beim C. diesem Einsatz mit der Begründung, dass sie auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer eingesetzt worden seien. Das C. wies den Widerspruch mit Schreiben vom 19.5.2015 zurück, da der Einsatz auf einer sogenannten Q. erfolgt sei und nicht auf dem Arbeitsplatz eines streikenden W..
In der Niederlassung C. wurde am 1.4.2015 der Beamte Q. auf einer Q. eingesetzt. In der Niederlassung N. sollte am 30.4.2015 die Beamtin N. entsprechend eingesetzt werden.
In der NL C. wurde am 1.4.2015 der Beamte X. auf einer Q. eingesetzt, der ebenfalls erfolglos Beschwerde beim C. erhob. Die Beamten A. (NL C.) und H. (NL C.) wurde am 15.5.2015 streikbedingt eingesetzt.
Ob diese Beamten dem Einsatz vor Ausführung der Anweisung widersprachen, ist zwischen den Parteien streitig.
Die Verfügungsklägerin hält die Einsätze der Beamten für rechtswidrig und begehrt mit dem bei Gericht am 19.5.2015 eingegangenen Antrag die Untersagung des Einsatzes von Beamten auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer während der zwischen den Parteien geführten Tarifauseinandersetzung.
Dazu behauptet die Verfügungsklägerin, dass an mehreren Tagen der Tarifauseinandersetzung Beamtinnen und Beamten auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eingesetzt worden seien. Jedenfalls teilweise sei dies gegen den Willen der Beamten und Beamtinnen erfolgt.
Außerdem habe die Verfügungsbeklagte auch in anderer Weise durch Druck auf streikende Arbeitnehmer die Tarifauseinandersetzung beeinflusst.
Die Verfügungsklägerin beruft sich im Wesentlichen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 2.3.1993 (1 BvR 1213/85) zum Einsatz von Beamten auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer. Sie ist entsprechend dieser Entscheidung der Auffassung, dass der Einsatz von Beamten auf Arbeitsplätzen streikende Arbeitnehmer rechtswidrig sei. Dabei sei es gleichgültig, ob dies freiwillig oder gegen den Widerspruch der betroffenen Beamtinnen und Beamten erfolge, da Beamte aufgrund des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses auch im Falle eines Widerspruchs die Weisung befolgen müssten.
Die Verfügungsklägerin beantragt:
1. Der Antragsgegnerin wird es untersagt, aus Anlass von Streiks in der zwischen der Antragsgegnerin und der Antragstellerin geführten Tarifauseinandersetzung wegen einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit, Beamte auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer einzusetzen,
Hilfsweise
Der Antragsgegnerin wird es untersagt, aus Anlass von Streiks in der zwischen der Antragsgegnerin und der Antragstellerin geführten Tarifauseinandersetzung wegen einer Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit, Beamte, die einem derartigen Einsatz widersprechen, auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer einzusetzen,
2. Der Antragsgegnerin wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung aus Zif. 1 ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 EUR ersatzweise Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an den Vorstandsvorsitzenden E., angedroht.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie bestreitet zunächst, Beamte auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer eingesetzt zu haben. Soweit ein Einsatz von Beamten im Zusammenhang mit den Streikmaßnahmen erfolgt sei, seien diese entweder auf ihrem eigenen Arbeitsplatz (teilweise mit Zusatzaufgaben) oder auf anderen Arbeitsplätzen eingesetzt worden. Im Übrigen sei dies in allen Fällen nicht gegen deren Willen, sondern freiwillig erfolgt.
So seien auch die benannten Beamten aus der Niederlassung C. nicht auf einem Streikarbeitsplatz eingesetzt worden. Vielmehr sei der Einsatz auf einer Q. erfolgt, die für Notfallsituationen mit einem vom Regelbetrieb abweichenden Zuschnitt des Zustellbezirks zusammengestellt werden. Auch soweit die Beamtinnen und Beamten später widersprochen hätten, sei ein Widerspruch gegen die Anordnung zuvor nicht erfolgt. Auch soweit der Beamte Q. am 1. April auf einer Q. eingesetzt worden sei, habe dieser der Anordnung nicht widersprochen. In der Niederlassung C. N. sei die Beamtin N. nach ihrem Widerspruch gegen den Einsatz auf einer Q. in ihrem regulären Zustellbezirk eingesetzt worden und habe lediglich sogenannte Q. eines anderen Bezirkes zusätzlich übernommen. Dem habe sie nicht widersprochen. Auch die Beamten C., A. und H. hätten einen Widerspruch vor Ausübung der Tätigkeit nicht gegenüber den Vorgesetzten geäußert.
Soweit Beamtinnen und Beamten einzelne Aufgaben eines anderen Arbeitsplatzes übertragen worden seien, stelle dies keinen Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz dar. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sei darauf auch nicht entsprechend anzuwenden, da die teilweise Übertragung anderer Aufgaben andere Auswirkungen auf die Effektivität des Streiks habe, als der Einsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen.
Die Verfügungsbeklagte hält daher den in der Vergangenheit praktizierten Einsatz von Beamtinnen und Beamten während der Tarifauseinandersetzung nicht für rechtswidrig. Im Übrigen bestehe auch kein Verfügungsgrund, da die Maßnahmen jedenfalls nicht offensichtlich rechtswidrig seien. Außerdem seien die Anträge der Verfügungsklägerin nicht hinreichend bestimmt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, deren Anlagen und auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Anträge sind zulässig aber nicht begründet.
1. Ein Verfügungsanspruch gem. §§ 935, 940 ZPO auf Unterlassung des im Tenor näher bestimmten Einsatzes von Beamten während der laufenden Tarifauseinandersetzung zwischen den Parteien kann nur aufgrund eines Unterlassungsanspruchs nach § 1004 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG bestehen. Anspruchsvoraussetzung ist dabei, dass aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens in der Vergangenheit die Gefahr künftiger Wiederholungen besteht, die durch die einstweilige Verfügung ausgeschlossen werden können.
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Parteien kann nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass die Verfügungsbeklagte in der zurückliegenden Zeit der Tarifauseinandersetzung rechtswidrig Beamte zwangsweise auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer eingesetzt und auf diese Weise rechtswidrig in das verfassungsrechtlich garantierte Koalitionsrecht und dem daraus folgenden Streikrecht der klagenden H. eingegriffen hat.
a) Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob die Rechtsauffassung der Verfügungsbeklagten zutreffend ist, dass ein „Einsatz auf einem Arbeitsplatz eines streikenden Arbeitnehmers“ nur dann vorliegt, wenn die Tätigkeiten des angewiesenen Einsatzes vollständig dem des streikenden Arbeitnehmers entsprechen. Diese Auffassung erscheint im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 02.03.1993 (1 BvR 1213/85) zweifelhaft. Diese Auffassung findet in dieser Entscheidung keinen Rückhalt, da bei der der Entscheidung zugrunde liegenden Verfassungsbeschwerde der Einsatz von Beamten unstreitig „auf bestreikten Arbeitsplätzen“ erfolgte (A. I. der Gründe). Ein Einsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen erfolgt auch schon, wenn nur Teilaufgaben des streikenden Arbeitnehmers ausgeübt werden. Außerdem macht es letztlich auch im Hinblick auf das vom BVerfG abgelehnte Privileg des Beamten einsetzenden Arbeitgebers keinen Unterschied, ob die dem Beamten zugewiesenen Aufgaben vollständig dem Arbeitsplatz des streikenden Arbeitnehmers entsprechen, oder ob beispielsweise vier Beamte jeweils 25 % der Tätigkeiten eines streikenden Arbeitnehmers zugewiesen bekommen. So stellt auch der Einsatz von Beamten auf sogenannten „Q.“ einen Einsatz „auf bestreikten Arbeitsplätzen“ dar, da A. aufgrund des Streiks nicht vollständig besetzt werden konnten und deswegen neu zugeschnitten wurden.
b) Unbegründet ist der Hauptantrag der Verfügungsklägerin, soweit er den freiwilligen Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen untersagen will. Ein solcher Unterlassungsanspruch besteht nicht, da ein freiwilliger Einsatz zulässig ist.
Zu Unrecht beruft sich die Verfügungsklägerin für diesen Antrag auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 2.3.1993, obwohl das Gericht mehrfach in seiner Entscheidung den „zwangsweise angeordneten Einsatz von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen“ behandelt. Die Entscheidung beruht gerade darauf, dass der Arbeitnehmer den Arbeitseinsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen verweigern kann, der Beamte jedoch nicht. Dieses Privileg des Beamten beschäftigenden Arbeitgebers will das Bundesverfassungsgericht vermeiden. Erklären sich aber Beamte mit dem Einsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen einverstanden, kann besteht kein besonderes Privileg mehr, sondern gleiche Verhältnisse mit Arbeitnehmern, die einem Einsatz auf bestreikten Arbeitsplätzen zustimmen (vgl. Kissel, aaO., Rn. 63, Linsemaier, Erf-Kommentar, Art. 9 Rn. 155).
Soweit die Verfügungsklägerin mit ihrem Hauptantrag auch freiwillige Einsätze von Beamten auf bestreikten Arbeitsplätzen untersagen lassen will, war der Antrag daher zurückzuweisen.
c) Unbegründet ist auch der Hilfsantrag, der sich gegen einen Einsatz von Beamten richtet, die dem Einsatz widersprechen.
Zur Überzeugung des Gerichts konnte nicht festgestellt werden, dass Beamte, wie von der Verfügungsklägerin mit dem Hilfsantrag begehrt, gegen ihren Widerstand auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer eingesetzt wurden. Ein Widerspruch der betroffenen Beamten vor Ausführung der Weisung ist nach der vorzunehmenden Würdigung der vorgelegten Unterlagen von der Verfügungsklägerin nicht hinreichend glaubhaft gemacht
aa) Streitig ist ein solcher Widerspruch in den Fällen der Beamten der NL C.. Die hierzu vorgelegte eidesstattliche Versicherung bezieht sich auf die beigefügte Liste, aus der aber nicht hervorgeht, ob ein Widerspruch der Beamten schon vor dem Einsatz oder erst nachträglich erhoben worden ist. Ein eindeutiger Vortrag dazu ist von der Verfügungsklägerin nicht erfolgt.
bb) Soweit die Verfügungsbeklagte unter Bestreiten durch die Verfügungsbeklagte bei den Beamten A. und H. vorträgt, dass diese mit der Maßnahme nicht einverstanden gewesen seien, ist dies nur eine innere Einstellung. Ein nach außen zutage getretener Widerspruch entsprechend des gestellten Hilfsantrags kann daraus nicht ohne Weiteres geschlossen werden.
cc) Letztlich bleibt noch der Beamte C. (NL C.), zu dem widersprechende eidesstattliche Versicherungen über einen Widerspruch vorliegen. Nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung steht aber fest, dass Herr C. den Widerspruch jedenfalls nicht unmittelbar gegenüber dem Vorgesetzten geäußert hat, sondern allenfalls über den Betriebsrat.
dd) Jedenfalls sieht sich die Kammer angesichts dieser unsicheren Sachlage nicht in der Lage einen eindeutigen Rechtsverstoß der Verfügungsbeklagten durch den Einsatz eines Beamten auf einem Streikarbeitsplatz gegen den Widerspruch des Beamten anzunehmen.
Damit hat die Verfügungsbeklagte nicht gegen die gem. § 31 BVerfGG in Gesetzeskraft erwachsene Entscheidung (vgl. Kissel, Arbeitskampfrecht, S. 464, Rn. 61) des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.1993 (1 BvR 1213/85) verstoßen. Mangels rechtswidrigen Verhaltens besteht keine Wiederholungsgefahr.
Auch der Hilfsantrag der Verfügungsklägerin war daher abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 46 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Der Streitwert wurde festgesetzt gem. § 61 Abs. 1 ArbGG. Dabei wurde sowohl die Reichweite der Anträge für 14.000 theoretisch betroffene Beamte berücksichtigt als auch die Tatsache, dass die betriebliche Reaktionsfähigkeit der Verfügungsbeklagten innerhalb des Arbeitskampfes nur teilweise beschränkt werden sollte. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Einsatzes von Beamten auf Arbeitsplätzen streikender Arbeitnehmer für eine Vielzahl von Arbeitskämpfen insbesondere im ÷. wird gem. § 64 Abs. 3 ArbGG die Berufung zugelassen.