LG Karlsruhe, Az.: 9 S 311/09, Urteil vom 22.01.2010
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim vom 08.05.2009 – 3 C 46/09 – wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin macht als ehemalige Pflegeheimbewohnerin gegen den Beklagten als Inhaber des Pflegeheims einen Anspruch auf Einsichtnahme in die vollständigen Pflegeunterlagen bezüglich eines stationären Heimaufenthaltes der Klägerin im Pflegeheim des Beklagten vom 05.06.2007 bis 18.06.2007 geltend.

Mit Urteil vom 08.05.2009 hat das Amtsgericht Pforzheim der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe gegen den Beklagten Anspruch auf Fertigung von Kopien der vollständigen Pflegeunterlagen gegen Erstattung der Kopierkosten. Der Bundesgerichtshof habe in der grundlegenden Entscheidung vom 23.11.1982 (BGH, Urteil vom 23.11.1982, NJW 1983, 328 – 330) einen Vertragsanspruch des Patienten auf Einsicht in seine Behandlungsunterlagen bejaht. Diese für die Einsicht in Krankenunterlagen erfolgte Rechtsprechung sei im vorliegenden Fall auch für die Einsichtnahme in die Pflegeunterlagen anzuwenden. Auf die von dem Beklagten angeführten Einwände hinsichtlich des Einsichtsrechts von Krankenkassen komme es nicht an.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen erstinstanzlichen Klagabweisungsantrag weiter verfolgt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hinsichtlich des Rechts des Patienten auf Einsicht in seine Krankenunterlagen sei nicht auf die streitgegenständliche Einsichtnahme in die Pflegedokumentation anzuwenden. Krankenunterlagen dienten zum Nachweis der durchgeführten Behandlung als Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten. Deshalb sei hier unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Wertung des Selbstbestimmungsrechts und der personalen Würde des Patienten ein Einsichtsrecht zu gewähren. Die Pflegedokumentation diene jedoch im wesentlichen nur der Qualitätssicherung und der Abrechnung gegenüber den Sozialversicherungsträgern. Dies unterscheide die Pflegedokumentation maßgeblich von ärztlichen Krankenunterlagen. Weiterhin bestehe dann auch kein Einsichtsanspruch aus § 810 BGB, da kein rechtliches Interesse vorliege. Das Einsichtsrecht sei insoweit nicht zu gewähren, wenn es – wie im vorliegenden Fall – erst der Ermittlung von Anhaltspunkten für ein pflichtwidriges Verhalten des Beklagten diene solle. Der erstinstanzliche Vortrag des Sturzes der Klägerin im Heim des Beklagten sei insoweit nicht ausreichend für die Annahme einer schuldhaften Pflichtverletzung. Der neue Vortrag der Klägerin hierzu in zweiter Instanz sei verspätet.
Die Klägerin ist der Berufung entgegengetreten. Das angegriffene Urteil stehe mit dem materiellen Recht in Einklang. Die vom Bundesgerichtshof entwickelte Rechtsprechung zum vertraglichen Einsichtsrecht des Patienten in Patientenunterlagen sei vom Amtsgericht zutreffend auch für den vertraglichen Anspruch des Bewohners eines Pflegeheims zur Einsicht in die Pflegedokumentation übertragen worden. Es werde auf § 11 Abs. 1 Nr. 7 HeimG hingewiesen. Danach dürfe ein Heim nur betrieben werden, wenn sicher gestellt sei, dass für pflegebedürftige Bewohner und Bewohnerinnen aufgestellte Pflegeplanungen und deren Umsetzung dokumentiert würden. Dies diene ausweislich des Wortlautes allein dem pflegebedürftigen Bewohner.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf die in der Berufung gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben. Die Kammer teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass der Klägerin gegen den Beklagten ein Recht auf Einsichtnahme in ihre Pflegedokumentation aus dem Heimvertrag in Verbindung mit § 242 BGB zusteht. Das Berufungsgericht schließt sich den überzeugenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage an und nimmt auf diese auch zur Begründung der vorliegenden Entscheidung Bezug.
Im Hinblick auf die Ausführungen des Beklagten in der Berufung ist lediglich das Folgende ergänzend anzumerken.
Nach Ansicht der Kammer gelten die gleichen durch den Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze (BGH, Urteil vom 23.11.1982, NJW 1983, 328 – 330; sowie Urteil vom 31.05.1983, NJW 1983, 2627-2630) des Einsichtsrechts im Rahmen des Behandlungsvertrages in Krankenunterlagen auch für das Recht auf Einsichtnahme in die Pflegedokumentation.
Ein allgemeines Einsichtsrecht des Pflegeheimbewohners in die ihn betreffende Pflegedokumentation folgt insoweit aus § 11 Abs. 1 Nr. 7 HeimG. Der Beklagte ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 7 HeimG verpflichtet, über jeden Bewohner eine Pflegedokumentation zu führen. Die Pflicht zur Dokumentation der Pflege liegt insoweit auch im Interesse der zu pflegenden Person. Die Verpflichtung zur Aufstellung individueller Pflegeplanungen und zur Dokumentation der Pflege nach § 11 Abs. 1 Nr. 7 verfolgt u. a. die Zielrichtung, die gesundheitliche Betreuung der Heimbewohner zu sichern und den erforderlichen Nachweis zu ermöglichen, vgl. Eduard Kunz, Manfred Butz, Kommentar zum HeimG, 10. Auflage 2004, § 11 Rdnr. 10. Anhand der durch § 11 Abs. 1 Nr. 7 HeimG vorgeschriebenen Dokumentation kann mithin festgestellt werden, in welchem Umfang und mit welchen Vorgaben eine Pflege im einzelnen durchgeführt worden ist. Die Pflegedokumentation ist insoweit vergleichbar mit der Dokumentation einer Krankenbehandlung. Ein Heimbewohner hat insoweit ebenso ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme in die seine Person betreffenden Dokumente, um nachvollziehen zu können, ob die Pflegedokumentation des Heimträgers den rechtlichen Anforderungen entspricht. Das Einsichtsrecht ist nicht nur höchstpersönlicher Natur, sondern es hat auch eine vermögensrechtliche Komponente (BGH, Urteil vom 31.05.1983, NJW 1983, 2627-2630). Die Klägerin kann mithin ihr Einsichtsrecht auch dafür nutzen festzustellen, ob Hinweise auf Pflegemängel vorliegen.
Für den vertraglichen Anspruch der Klägerin auf Einsichtnahme ist das Bestehen und die Darlegung eines berechtigten Interesses – anders als beim Vorlegungsanspruch gemäß § 810 BGB, der Einsichtansprüche außerhalb bestehender Rechtsverhältnisse betrifft – ohne Belang, vgl. BGHZ 106, 148.
Da durch die Kammer bereits ein vertraglicher Einsichtsanspruch bejaht wird, kommt es auf das Vorliegen der Voraussetzungen von § 810 BGB nicht mehr an.
Das Einsichtsrecht berechtigt die Klägerin, gegen Kostenerstattung die Übersendung von Kopien zu verlangen, vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 20.11.1984, MDR 1985, 232.
Im Ergebnis war daher die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 Abs. 2 ZPO).