Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 9 U 43/18 – Urteil vom 05.09.2018
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. März 2018 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer – Kammer für Handelssachen I – des Landgerichts Kiel abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 90 % und die Beklagte 10 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 6.558,04 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger, zum 31. Dezember 2016 ausgeschiedenes Mitglied der beklagten Genossenschaft, begehrt zur Überprüfung seines Auseinandersetzungsguthabens von der Beklagten Abschriften des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2016 nebst Gewinn- und Verlustrechnung und zugehörigem Prüfungsbericht des Genossenschaftsverbandes sowie eine Abschrift des Protokolls der ordentlichen Generalversammlung vom 11. Mai 2017, hilfsweise Einsicht in die genannten Unterlagen. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Sachverhalts sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der Hilfsanträge unter Klagabweisung im Übrigen stattgegeben und einen entsprechenden Anspruch des Klägers auf § 810 BGB gestützt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese weiterhin eine vollständige Klageabweisung verfolgt. Ihr Berufungsvorbringen ergibt sich aus der Berufungsbegründung vom 24. Mai 2018 nebst Anlagen (Bl. 83 – 125 d.A.) sowie aus dem ergänzenden Schriftsatz vom 26. Juli 2018 (Bl. 143 – 149 d.A).
Sie beantragt, die Klage unter Aufhebung des am 23. März 2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Kiel, Az. 14 HKO 170/17, abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sein Vorbringen in zweiter Instanz ergibt sich aus der Berufungserwiderung vom 18. Juli 2018 (Bl. 133 – 138 d.A.) sowie ergänzend aus den Schriftsätzen vom 20. Juli 2018 (Bl. 141 d.A.) und 6. August 2018 (Bl. 151 – 152 d.A.).
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15. August 2018 haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Einsicht in das Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 11. Mai 2017 nach Aushändigung einer teilweise geschwärzten Abschrift des Protokolls durch die Beklagte übereinstimmend für erledigt erklärt.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat, soweit über sie noch zu entscheiden ist, Erfolg. Die Klage ist insoweit unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 810 BGB auf Einsichtnahme in den Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr 2016 nebst Gewinn- und Verlustrechnung (dazu unten 1.) und den zugehörigen Prüfungsbericht des Genossenschaftsverbandes (dazu unten 2.).
1. Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr 2016 nebst Gewinn- und Verlustrechnung
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Einsichtnahme in den Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr 2016 nebst Gewinn- und Verlustrechnung. Vom Landgericht zutreffend erkannt, kommt als Anspruchsgrundlage für ein Einsichtsrecht Klägers nach seinem Ausscheiden aus der Genossenschaft allein § 810 BGB in Betracht. Danach besteht ein Recht auf Einsicht in eine Originalurkunde unter anderem dann, wenn die Urkunde zumindest auch im Interesse des Anspruchstellers errichtet wurde und an der Einsicht ein rechtliches Interesse besteht.
Ein rechtliches Interesse an einer Einsicht besteht, wenn eine solche zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung einer rechtlich geschützten Position benötigt wird, so etwa wenn sich der Berechtigte über das Bestehen oder den Umfang eines Rechts Gewissheit verschaffen will (Palandt/Sprau, BGB, 77. Aufl. 2018, § 810 Rn. 2).
Dies ist im Hinblick darauf, dass die Beklagte gemäß § 339 HGB hinsichtlich des festgestellten Jahresabschlusses, des Lageberichts und des Berichts des Aufsichtsrats veröffentlichungspflichtig ist und der Jahresabschluss mit Bilanz, Lagebericht, Bericht des Aufsichtsrats, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang veröffentlicht worden ist, nicht der Fall. Dem Kläger sind die begehrten Informationen damit aus allgemeinen Quellen zugänglich.
Die insoweit vom Kläger erhobene Rüge verspäteten, weil erst zweitinstanzlichen Vortrags der Beklagten greift nicht durch. Tatsache und Zeitpunkt der Veröffentlichung sind zwischen den Parteien unstreitig. Neues unstreitiges Vorbringen aber kann unabhängig von den Zulassungsvoraussetzungen des § 531 Abs. 2 in das Berufungsverfahren eingeführt werden (BGH, Urteil vom 18. November 2004 – IX ZR 229/03, BGHZ 161, 138 Rn. 11 ff).
Anderes ergibt sich auch nicht aus der Erwägung des Klägers, dass der Anspruch nach § 810 BGB auf Einsicht in die Originalurkunde gerichtet sei. Der Kläger vermengt insoweit Voraussetzungen und Inhalt des geltend gemachten Anspruchs.
Anhaltspunkte dafür, dass die veröffentlichte Fassung vom festgestellten Jahresabschluss abweichen könnte und von daher ein Interesse an der Einsicht in das Original bestünde, sind nicht dargetan oder anderweitig ersichtlich. Fehl geht insoweit der pauschale Hinweis des Klägers, die Beklagte könnte hinsichtlich der veröffentlichten Fassung gemäß § 339 Abs. 2 HGB von „Erleichterungen“ nach §§ 326 bis 329 HGB Gebrauch gemacht haben. Wie die veröffentlichte Fassung (Anlage BK 6, Bl. 114 – 123 R d.A.) ausweist, wurde von § 326 HGB, unbeschadet der Frage, ob dessen Voraussetzungen vorliegen würden, offensichtlich kein Gebrauch gemacht. Das es sich bei der veröffentlichten Fassung um eine verkürzte Bilanz i.S.v. §§ 327, 266 Abs. 1 S. 3 HGB handeln würde, ist vom Kläger nicht konkret dargelegt. § 327a HGB ist offensichtlich nicht einschlägig. § 328 HGB enthält Formvorschriften, keine Erleichterungen. § 329 HGB schließlich betrifft Prüfung- und Unterrichtungspflichten des Betreibers des Bundesanzeigers.
Soweit der Kläger auf einen minderen Beweiswert der Veröffentlichung gegenüber dem Original abstellt, greift auch dies zu kurz. Der Anspruch aus § 810 BGB eröffnet die Einsicht, nicht die Verwendung des Originals zu Beweiszwecken. Mit Blick auf den Erkenntniswert für den Kläger selbst ist auch hier darauf hinzuweisen, dass Anhaltspunkte dafür, dass die veröffentlichte Fassung vom festgestellten Jahresabschluss abweichen könnte, nicht ersichtlich sind.
2. Prüfungsbericht des Genossenschaftsverbands
Der Kläger hat keinen Anspruch gemäß § 810 BGB auf Einsichtnahme in den Prüfungsbericht des Genossenschaftsverbands. Weder wurde diese Urkunde im Interesse des Klägers errichtet, noch ist ein rechtliches Interesse an der Einsicht ersichtlich.
a.)
Im Interesse des die Einsicht Verlangenden errichtet ist eine Urkunde, wenn sie auch dazu bestimmt ist, ihm als Beweismittel zu dienen oder sonst seine rechtlichen Beziehungen zu fördern. Für die Beurteilung ist der Zweck, nicht der Inhalt der Urkunde ausschlaggebend (BeckOK-BGB/Gehrlein, Stand 1. Mai 2018, § 810 Rn. 2 m.w.N.).
Gemäß § 59 Abs. 1 S. 2 GenG haben die Mitglieder der Genossenschaft lediglich einen Anspruch auf Einsicht in das zusammengefasste Ergebnis des Prüfungsberichts, nicht aber in den gesamten Prüfungsbericht. Mithin ist der Prüfungsbericht auch nur insoweit im Sinne des § 810 BGB im Interesse der Mitglieder errichtet. Der Anspruch eines ausgeschiedenen Mitglieds aber kann nicht weiter gehen als die Rechte der Mitglieder selbst.
b.)
Zudem bedarf es einer Einsicht in den Prüfungsbericht des Genossenschaftsverbandes zur Förderung, Erhaltung oder Verteidigung einer rechtlich geschützten Position des Klägers offensichtlich nicht. Wie sich unstreitig aus dem veröffentlichten Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers, dem Genossenschaftsverband e.V., ergibt, hat die Prüfung zu keinerlei Einwendungen geführt.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 91a, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Soweit die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Einsicht in das Protokoll der ordentlichen Generalversammlung vom 11. Mai 2017 übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist gemäß § 91a Abs. 1 ZPO über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Danach sind die Parteien insoweit jeweils hälftig mit den Kosten zu belasten.
Ein Anspruch des Klägers gemäß § 810 BGB auf Einsicht in das Protokoll der Generalversammlung bestand nur hinsichtlich der Generalia der Generalversammlung sowie der Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Gewinn-/Verlustverwendung, nicht aber im Hinblick auf die übrigen Teile des Protokolls. Nur insoweit ist das Protokoll der Generalversammlung mit Blick darauf, dass die Beschlussfassung über die Verwendung des Jahresergebnisses für die Bemessung des Auseinandersetzungsguthabens maßgeblich ist, auch im Interesse ausgeschiedener Mitglieder errichtet.
Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand im vorgenannten Umfang auch ein rechtliches Interesse des Klägers an einer Einsicht in das Protokoll, obwohl die Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses sowie die Gewinn-/Verlustverwendung ihrem Inhalt nach veröffentlicht sind. Die genannten Beschlüsse sind, wie ausgeführt, Grundlage für die Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens des Klägers. Dies setzt eine wirksame Beschlussfassung voraus. Zur Prüfung einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung aber bedarf der Kläger der Einsicht in das Protokoll, weil die in § 47 Abs. 1 GenG vorgeschriebene Feststellung über die Beschlussfassung konstitutive Wirkung hat; ein von der Gesellschafterversammlung gefasster Beschluss ist ohne formelle Feststellung durch den Vorsitzenden nicht wirksam (BGH, Urteil vom 23. September 1996 – II ZR 126/95, ZIP 1996, 2071 Rn. 22; Müller, GenG, 2. Aufl. 1998, § 47 Rn. 4a; Pöhlmann/Fandrich/Bloehs-Fandrich, GenG, 4. Aufl. 2012, § 43 Rn. 24 und 27, § 47 Rn. 1; Lang/Weidmüller-Cario, Genossenschaftsgesetz, 35. Aufl. 2006, § 43 Rn 56, § 51 Rn. 12). Eine erfolgte Feststellung des Beschlussergebnisses ergibt sich regelmäßig aus dem Protokoll über die Generalversammlung, das nach § 47 Abs. 1 GenG insoweit Beweiszwecken dient.
Bei der Kostenverteilung hat der Senat die geltend gemachten Ansprüche auf Einsicht in den Jahresabschluss nebst Gewinn- und Verlustrechnung und auf Einsicht in den Prüfungsbericht mit je 2/5 des Streitwerts und den Anspruch auf Einsicht in das Protokoll der Generalversammlung mit 1/5 bewertet.