Verwaltungsgericht Saarland – Az.: 6 L 1357/20 – Beschluss vom 04.11.2020
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag, mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 02.11.2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30.10.2020 begehrt, durch den ihre Absonderung in sog. häusliche Quarantäne vom 26.10.2020 bis einschließlich 09.11.2020 angeordnet wurde, ist statthaft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 28 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1, § 29 i.V.m. § 16 Abs. 8 des Infektionsschutzgesetzes – IfSG – und auch im Übrigen zulässig.
In der Sache bleibt der Antrag allerdings ohne Erfolg.
Bei der im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO anzustellenden umfassenden Interessensabwägung überwiegt hier das – gesetzlich vorausgesetzte, § 16 Abs. 8 IfSG – öffentliche Interesse am Vollzug der streitgegenständlichen infektionsschutzrechtlichen Maßnahme das private Suspensivinteresse der Antragstellerin. Denn nach der alleine möglichen, aber auch hinreichenden summarischen Würdigung der Sach- und Rechtslage spricht Vieles dafür, dass die verfügte häusliche Absonderung der Antragstellerin rechtmäßig ist.
Die Rechtsgrundlage für die streitbefangene Anordnung findet sich in §§ 28 Abs. 1, 30 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 16 IfSG.
Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 IfSG hat die zuständige Behörde anzuordnen, dass Personen, die an Lungenpest oder an von Mensch zu Mensch übertragbarem hämorrhagischem Fieber erkrankt oder dessen verdächtig sind, unverzüglich in einem Krankenhaus oder einer für diese Krankheiten geeigneten Einrichtung abgesondert werden. Bei sonstigen Kranken sowie Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern kann nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen, befolgen können oder befolgen würden und dadurch ihre Umgebung gefährden. Aus § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG ergibt sich, dass nur Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider einer Quarantänemaßnahme unterzogen werden dürfen. Diese Adressatenkreise sind in § 2 Nr. 4 bis Nr. 7 IfSG legaldefiniert. Danach ist ein „Krankheitsverdächtiger“ eine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen; ein „Ausscheider“ ist eine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein. „Ansteckungsverdächtiger“ ist schließlich eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein.
Die Aufnahme von Krankheitserregern im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Annahme eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist. Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme geradezu aufdrängt. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt dabei allerdings kein strikter, alle möglichen Fälle gleichermaßen erfassender Maßstab. Es ist der allgemeine polizeirechtliche Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist, wobei insbesondere auch das Ansteckungsrisiko einer Krankheit und die Schwere des Krankheitsverlaufes in den Blick zu nehmen sind. Ob gemessen daran ein Ansteckungsverdacht im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG zu bejahen ist, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und der verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen sowie anhand der Erkenntnisse über Zeitpunkt, Art und Umfang der möglichen Exposition der betreffenden Person und über deren Empfänglichkeit für die Krankheit.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22.3.2012, 3 C 16/11, NJW 2012, 2823
Dies zugrunde legend durfte der Antragsgegner nach den aktuellen epidemiologischen Erkenntnissen voraussichtlich zu Recht davon ausgehen, dass die Antragstellerin mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Krankheitserreger infolge eines Kontaktes mit einer infizierten Person i.S.d. § 2 Nr. 7 IfSG aufgenommen hat und die Verhängung einer häuslichen Absonderung für 14 Tage daher gerechtfertigt ist.
Nach der Risikobewertung des Robert Koch-Instituts –RKI- als nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 IfSG) handelt es sich hinsichtlich der Ausbreitung der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelösten Krankheit COVID-19 weltweit und in Deutschland um eine sehr dynamische und ernst zu nehmende Situation. Weltweit und in angrenzenden Ländern Europas nimmt die Anzahl der Fälle rasant zu. Nach einer vorübergehenden Stabilisierung der Fallzahlen auf einem erhöhten Niveau ist aktuell ein kontinuierlicher Anstieg der Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Nach wie vor gibt es keine zugelassenen Impfstoffe und die Therapie schwerer Krankheitsverläufe ist komplex und langwierig. Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland weiterhin als hoch ein, für Risikogruppen als sehr hoch. Bei der überwiegenden Zahl der Fälle verläuft die Erkrankung zwar mild. Die Wahrscheinlichkeit für schwere und auch tödliche Krankheitsverläufe nimmt mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Es kann aber auch ohne bekannte Vorerkrankungen und bei jungen Menschen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen, auch nach leichten Verläufen, sind derzeit noch nicht abschätzbar. Die Gefahr einer Verstärkung des Infektionsgeschehens mit erheblichen Folgen für Leben und Gesundheit der Bevölkerung und einer möglichen Überforderung des Gesundheitssystems besteht unvermindert fort.
Vgl. RKI, Risikobewertung zu COVID-19, Stand: 26.10.2020, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html, sowie RKI, Epidemiologisches Bulletin, SARS-CoV-2: Aktualisierung der Nationalen Teststrategie und Neuverkündung der Testverordnung; Neuerung bei Quarantäneregeln; Screening in Bonner Kliniken, vom 22.10.2020
Das RKI geht für den Bereich der SARS-CoV-2-Infektionen für Kontaktpersonen der Kategorie I mit engem Kontakt zu einem bestätigten COVID-19- Fall von einem höheren Infektionsrisiko aus. Als Kontaktpersonen der Kategorie I werden unter anderem Personen mit kumulativ mindestens 15minütigem Gesichts- („face-to-face“) Kontakt mit einem Quellfall, zum Beispiel im Rahmen eines Gesprächs, eingestuft. Dazu gehören insbesondere auch Personen aus demselben Haushalt.
Vgl. RKI, Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei InfektionenSARS-CoV-2, Stand: 19.10.2020, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Kontaktperson/Management.html
Dem entsprechend ist die Antragstellerin, nachdem ihr Ehemann, mit dem sie in häuslicher Gemeinschaft lebt, unstreitig am 26.10.2020 positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden ist, aller Voraussicht nach als Kontaktperson der Kategorie I im Verständnis der aktuellen Empfehlungen des Robert Koch-Instituts zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei Infektionen-SARS-CoV-2 anzusehen.
Einer Einstufung der Antragstellerin als Kontaktperson der Kategorie I steht dabei das negative Ergebnis des bei ihr selbst am 28.10.2020 durchgeführten Coronatests nicht entgegen. Ein negatives Testergebnis trägt nicht sicher die Annahme, die getestete Person sei nicht mehr ansteckungsverdächtig i.S.d. § 2 Nr. 7 IfSG. Das RKI betont in seiner Empfehlung vom 24. September 2020 vielmehr ausdrücklich, dass ein negatives Testergebnis das Gesundheitsmonitoring nicht aufhebt und auch die Quarantänezeit nicht verkürzt. Dass ein negativer Test die Dauer der Absonderung nach § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG nicht zu verkürzen vermag, überzeugt das Gericht insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass nach gegenwärtigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand die Inkubationszeit bei COVID-19 bis zu 14 Tage betragen kann
vgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand: 30.10.2020; abrufbar unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Steckbrief.html
und das Testergebnis insofern nur eine Momentaufnahme darstellt. Auch eine Person, die zuvor noch negativ auf das Virus getestet wurde, kann innerhalb der Inkubationszeit noch eine Infektion entwickeln.
Vgl. zuletzt Beschluss der Kammer vom 08.10.2020, 6 L 1142/20; ebenso etwa VG Regensburg, Beschluss vom 03.09.2020, RN 14 S 20.1917, zitiert nach juris
Ebenso wenig kann sich die Antragstellerin voraussichtlich mit Erfolg darauf berufen, dass der bei ihrem Ehemann am 29.10.2020 erneut durchgeführte Test auf das Coronavirus SARS-CoV-2 negativ ausgefallen sei. Davon abgesehen, dass ein negatives Testergebnis nicht zwingend in Widerspruch zu einer zu einem anderen Zeitpunkt erfolgten positiven Testung auf das Coronavirus SARS-CoV-2 stehen muss, stellt das negative Testergebnis bei der Testung des Ehemannes der Antragstellerin am 29.10.2020 keinen zweifelsfreien Beleg für die Unrichtigkeit des vorherigen positiven Testergebnisses dar. Ein positives Testergebnis ist ein gewichtiges Indiz dafür, dass bei der betreffenden Person zu dem Zeitpunkt der Probeentnahme genetisches Material von COVID-19 vorhanden war, welches mit dem erfolgten Abstrich und der Laboruntersuchung nachgewiesen worden ist.
Vgl. dazu auch RKI, Diagnostik, Stand: 03.11.2020, wonach bei korrekter Durchführung der Tests und fachkundiger Beurteilung der Ergebnisse von einer sehr geringen Zahl falsch positiver Befunde auszugehen sei und aufgrund des Funktionsprinzips von PCR-Tests und hohen Qualitätsanforderungen die analytische Spezifität bei korrekter Durchführung und Bewertung bei nahezu 100 % liege; abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Liste_Diagnostik.html
Ungeachtet dessen schließt ein negatives Testergebnis die Möglichkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2 nicht aus, da auch falsch-negative Ergebnisse, beispielsweise aufgrund schlechter Qualität der Probennahme, unsachgemäßen Transport oder ungünstigem Zeitpunkt (bezogen auf den Krankheitsverlauf) der Probenentnahme durchaus im Bereich des Möglichen liegen.
Vgl. RKI, Hinweise zur Testung von Patienten auf Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, Stand 15.10.2020, abrufbar unter:www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Vor_Testung_nCoV.html
Ist damit -wie hier mit der Antragstellerin- eine Kontaktperson der Kategorie I festgestellt, empfiehlt das RKI in seiner Handreichung vom 24. September 2020, was das Gericht auch für plausibel hält, die Anordnung einer häuslichen Quarantäne für 14 Tage. Das RKI führt weiter aus, dass eine Quarantäneanordnung im Falle eines Kontakts im Rahmen einer schwer zu überblickenden Kontaktsituation (z.B. Kitagruppen oder Schulklassen) für alle Personen unabhängig von der individuellen Risikoermittlung sinnvoll sein kann.
Vgl. zur Rechtmäßigkeit einer 14-tägigen Quarantäneanordnung im Falle einer Kontaktperson der Kategorie I auch VG Gelsenkirchen, Beschlüsse vom 01.09.2020, 20 L 1186/20 und von 16.09.2020, 20 L 1257/20, zitiert nach juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 30.09.2020, 7 L 1939/20, openJur 2020, 73861 sowie Beschlüsse der Kammer vom 08.10.2020, 6 L 1142/20, und vom 23.9.2020, 6 L 1001/20
Dem entsprechend begegnet die vom 26.10.2020 bis einschließlich 09.11.2020 verhängte häusliche Absonderung der Antragstellerin auch von der Dauer her keinen rechtlichen Bedenken. Dass im Fall des Ehemannes der Antragstellerin die häusliche Quarantäne vom Antragsgegner demgegenüber lediglich für die Zeit vom 26.10.2020 bis einschließlich 05.11.2020 angeordnet worden ist, liegt in der Dauer der Ansteckungsfähigkeit (Kontagiosität) begründet. Insoweit gilt als gesichert, dass die Ansteckungsfähigkeit in der Zeit um den Symptombeginn am größten ist und bei mild-moderater Erkrankung die Kontagiosität 10 Tage nach Symptombeginn signifikant zurückgeht. Dies lässt bei mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Personen eine Quarantäneanordnung von lediglich 10 Tagen als gerechtfertigt erscheinen.
Vgl. RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Stand 30.10.2020, abrufbar unter:www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html
Dass der Antragsgegner das ihm in § 30 Abs. 1 Satz 2 IfSG eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hätte, ist weder dargetan, noch bestehen hierfür ansonsten greifbare Anhaltspunkte. Der Antragsgegner hat vielmehr das ihm zustehende Ermessen als auch die mit der häuslichen Absonderung für die Antragstellerin bestehenden Einschränkungen erkannt und von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.
Dem Antrag bliebe auch dann der Erfolg versagt, wenn man mit Blick darauf, dass sowohl die Antragstellerin selbst als auch ihr Ehemann nach vorangegangener positiver Testung des Ehemannes der Antragstellerin am 06.10.2020 negativ auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getestet worden sind, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als offen ansehen wollte. Auch in diesem Fall würde das öffentliche Interesse an der Beibehaltung der streitgegenständlichen Maßnahme überwiegen. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Antragstellerin durch die mit der angeordneten häuslichen Absonderung verbundene Pflicht, sich ohne Kontakt zu nicht zum Haushalt gehörenden Personen ausschließlich zu Hause aufzuhalten, in der Ausübung ihrer Freiheitsrechte erheblich einschränkt ist. Allerdings ist die Absonderung der möglicherweise infektiösen Antragstellerin mit der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und dem Schutz von Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) mit elementaren Schutzgütern begründet und damit gerechtfertigt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundrechtseingriff für die Antragstellerin dadurch gemildert wird, dass die streitgegenständliche Maßnahme zeitlich befristet ist und nur noch bis zum 09.11.2020 andauern wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Da der Eilantrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielt, ist eine Reduzierung des Streitwerts für das Eilverfahren in Anlehnung an Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 nicht veranlasst.