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Arbeitslosengeld: Arbeitslosigkeit nach Elternzeit

Sozialgericht Berlin

Az.: S 77 AL 961/06

Urteil vom 29.05.2006


Entscheidung:

Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2006 in der Form des Bescheides vom 11. April 2006 in der Form des Teilanerkenntnisses vom 29. Mai 2006 wird abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin seit 1. Dezember 2005 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 135,13 Euro täglich zu gewähren.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs der Klägerin auf Arbeitslosengeld.

Die 1966 geborene Klägerin absolvierte erfolgreich eine Ausbildung zur staatlich geprüften Betriebswirtin an der H -Fachschule B bis Juni 1995. Sie war seit 1. März 1996 bei der A GmbH (Arbeitgeberin) als Gebietsleiterin Gastro beschäftigt. Sie arbeitete in einer Fünftagewoche 38 Stunden wöchentlich.
Sie brachte am 31. Mai 2001 ihre Tochter und am 16. August 2002 ihren Sohn zur Welt und nutzte bis 15. August 2005 die Elternzeit und unterbrach dafür ihre Erwerbstätigkeit. Sie war seit 7. April 2001 für die Geburt ihrer Tochter im Mutterschutz. Die Klägerin erhielt unter Anrechnung des Mutterschaftsgeldes Erziehungsgeld für die Erziehung der Tochter für sechs Monate und für die Erziehung des Sohnes für 12 Monate. Darüber hinaus erhielt sie kein Erziehungsgeld wegen des Einkommens des Vaters der Kinder.
Die Arbeitgeberin kündigte ihr mit Schreiben vom 11. Mai 2005 fristgemäß zum 30. November 2005.
Die Klägerin erzielte in den Monaten Juli bis Oktober 2000 monatliche versicherungspflichtige Bruttoeinkünfte in Höhe von jeweils 3.327,23 EUR, im November 2000 von 6.369,93 EUR, im Dezember 2000 von 6.207,41 EUR, in den Monaten Januar und Februar 2001 jeweils in Höhe von 3.327,24 EUR im März 2001 von 4.857,33 EUR und im April 2001 von 980,83 EUR. Nach Wiederaufnahme der Beschäftigung am 16. August 2005 erhielt die Klägerin Arbeitsentgelt im Monat August 2005 in Höhe von 1.784,24 EUR, in den Monaten September und Oktober 2005 jeweils 3.417,78 EUR und für den Monat November 2005 in Höhe von 4.684,25 EUR, die bis zum Ausscheiden der Klägerin durch die Arbeitgeberin monatlich abgerechnet waren.

Am 20. Oktober 2005 beantragte die Klägerin Arbeitslosengeld und meldete sich zum 1. Dezember 2005 bei der Beklagten arbeitslos.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 19. Dezember 2005 Arbeitslosengeld ab 1. Dezember 2006 für 360 Tage in einer Höhe von 29,05 EUR täglich. Grundlage der Berechnung war ein tägliches Bemessungsentgelt von 64,40 EUR, wobei die Beklagte den erhöhten Leistungssatz und die Steuerklasse II berücksichtigte.

Gegen die Entscheidung der Beklagten hinsichtlich der Höhe der Leistung legte die Klägerin mit Schreiben vom 19. Januar 2006 Widerspruch ein. Es hätte die Elternzeit der Klägerin vom 16. Juli 2001 bis 15. August 2005 derart berücksichtigt werden müssen, dass sie nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung in der Fassung seit 1. Januar 2005 (SGB III) gänzlich außer Betracht zu bleiben hatte. Dadurch hätte sich ein höherer Leistungsbetrag ergeben. Die fiktive Berechnung der Beklagten führe regelmäßig zu einer Schlechterstellung der Eltern, die von der Elternzeit Gebrauch machen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. Februar 2006 zurück. Könne ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen selbst im auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmen nicht festgestellt werden, sei ein fiktives Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen. Im Bemessungszeitraum vom 16. August bis 30. November 2005 habe die Klägerin zwar ein tägliches Entgelt von durchschnittlich 123,34 EUR erzielt. Jedoch umfasse der Zeitraum nur 107 Tage. Es sei deshalb ein fiktives Bemessungsentgelt von 64,40 EUR täglich nach der Qualifikationsgruppe III anzuwenden. Die ausgeübte Beschäftigung der Klägerin erfordere keine andere Qualifikationsstufe.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage vom 14. März 2006 ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, dass Grundrechte der Klägerin und das europarechtliche Diskriminierungsverbot für Frauen verletzt würden, wenn Mütter, die die zweijährige Elternzeit für jedes Kind nutzen würden, sodann einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nur nach der ungünstigeren fiktiven Bemessung erhielten.
Nach einer entsprechenden Entscheidung der Kammer im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 11. April 2006 Arbeitslosengeld ab 14. März 2006 vorläufig auf der Grundlage von 80,50 EUR täglich nach der Qualifikationsgruppe II. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung erkannte die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Arbeitslosengeld ab 1. Dezember 2005 auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 80,50 EUR täglich an. Die Klägerin nahm das Teilanerkenntnis der Beklagten an.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Februar 2006 in der Form des Bescheides vom 11. April 2006 in der Form des Teilanerkenntnisses vom 29. Mai 2006 abzuändern,

die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin seit 1. Dezember 2005 Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgelts von 135,13 EUR täglich zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält ihre Entscheidungen in der Form des Teilanerkenntnissees für rechtmäßig. Eine andere Entscheidung werde durch die neue Gesetzeslage nicht erlaubt.

Der Kammer haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze, das Protokoll und den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung höheren Arbeitslosengeldes. Die Beklagte hat das Arbeitslosengeld der Klägerin auf der Grundlage eines täglichen Bemessungsentgelts von mindestens 135,13 EUR zu gewähren, weil die Erziehungszeiten nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III derart außer Betracht zu bleiben haben, dass sich der Bemessungsrahmen um diese Zeiten erweitert. Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten verletzen deshalb Rechte der Klägerin.

Nach § 129 Nr. 1 Var. 1 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die mindestens ein Kind im Sinne des § 32 Abs. 1, 3 bis 5 des Einkommensteuergesetzes haben, 67 Prozent (erhöhter Leistungssatz) des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).
Der Bemessungszeitraum umfasst gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 130 Abs. 1 Satz 2 SGB III).
Zeiten, in denen der Arbeitslose Erziehungsgeld bezogen oder nur wegen der Berücksichtigung von Einkommen nicht bezogen hat oder ein Kind unter drei Jahren betreut und erzogen hat, wenn wegen der Betreuung und Erziehung des Kindes das Arbeitsentgelt oder die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit gemindert war, bleiben nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht.
Der Bemessungsrahmen wird nach § 130 Abs. 3 Satz 1 SGB III auf zwei Jahre erweitert, wenn der Bemessungszeitraum weniger als 150 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthält (Nr. 1) oder es mit Rücksicht auf das Bemessungsentgelt im erweiterten Bemessungsrahmen unbillig hart wäre, von dem Bemessungsentgelt im Bemessungszeitraum auszugehen (Nr. 2). Satz 1 Nr. 2 ist nur anzuwenden, wenn der Arbeitslose dies verlangt und die zur Bemessung erforderlichen Unterlagen vorlegt.
Kann ein Bemessungszeitraum von mindestens 150 Tagen mit Anspruch auf Arbeitsentgelt innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens nicht festgestellt werden, ist als Bemessungsentgelt ein fiktives Arbeitsentgelt zugrunde zu legen (§ 132 Abs. 1 SGB III).

Die Beklagte gewährt der Klägerin Arbeitslosengeld auf Grund fiktiver Bemessung nach § 132 SGB III. Dabei ist zwischen den Beteiligten nach dem Teilanerkenntnis der Beklagten zutreffend unstreitig, dass für die fiktive Bemessung ein Entgelt nach der Qualifikationsgruppe II im Sinne von § 132 Abs. 2 Satz 2 SGB III maßgeblich wäre, wenn eine fiktive Bemessung vorzunehmen wäre. Dies ist zur Überzeugung des Gerichts indes nicht der Fall.

Nach Auffassung der Kammer ergibt sich ein Bemessungszeitraum mit mehr als 150 Tagen, nämlich mit mindestens 295 Tagen (s.u.). Im Falle der Klägerin umfasste der Bemessungsrahmen den Zeitraum von einem Jahr unter Aussparung der Erziehungszeiten.
Dies ergibt sich daraus, dass nach Ansicht der Kammer § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III dahingehend auszulegen ist, dass die in der Vorschrift genannten Erziehungszeiten derart für die Ermittlung des Bemessungszeitraums außer Betracht zu bleiben haben, dass der Bemessungsrahmen entsprechend erweitert wird (ebenso Brand in Niesel: SGB III, § 130 Rn. 9; Rolfs in Gagel: SGB III, § 130 Rn. 34: es handele sich um Aufschubzeiten; a.A.: Behrend in Eicher/Schlegel: SGB III § 130 Rn. 80). Dabei kann offen gelassen werden, ob diese Erweiterung entsprechend § 130 Abs. 3 Satz 2 SGB III nur auf Verlangen des Arbeitslosen vorzunehmen ist oder von vornherein zu berücksichtigen ist. Im Falle der Klägerin hat diese jedenfalls eine entsprechende Erweiterung spätestens mit ihrem Widerspruch geltend gemacht.
Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut der Vorschrift, der Regelungssystematik, dem Willen des historischen Gesetzgebers und den Regelungszwecken.

Sie berücksichtigt begrifflich, dass die fraglichen Zeiten bei der „Ermittlung“ des Bemessungszeitraumes „außer Betracht“ bleiben sollen. Auch wenn der Gesetzgeber nunmehr den Begriff des Bemessungsrahmens neben dem des Bemessungszeitraumes verwendet und beide einen unterschiedlichen Inhalt haben und strikt voneinander unterschieden werden müssen (BSG Urt. v. 02.09.2004, B 7 AL 63/03 R), ergibt sich nun aus § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III, dass der Rechtsbegriff des Bemessungsrahmens eine rechtliche Funktion lediglich bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes hat. Das Gesetz knüpft in keinem anderen Zusammenhang an den Begriff des Bemessungsrahmens, sondern nur an den des Bemessungszeitraumes an. Der Inhalt des Begriffs des Bemessungsrahmens kann deshalb nur im Zusammenhang mit dem des Bemessungszeitraumes geklärt werden.
Der von der Rechtsprechung entwickelte Begriff des Bemessungsrahmens erfährt durch die nun erfolgte gesetzgeberische Ausgestaltung eine Wandlung. Bei der Bestimmung des Bemessungszeitraums war nach bisheriger Rechtsprechung zunächst der Bemessungsrahmen festzulegen, der sich vom Ende des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor Entstehung des Anspruchs rückwärts kalendermäßig nach Wochen (52 Wochen) berechnete und kalendarisch ablief (BSG Urt. v. 02.09.2004, B 7 AL 68/03 R; Pawlak in Spellbrink/Eicher: Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 11 Rn. 43, 46 ff.). Der Bemessungszeitraum musste nicht vollständig im Bemessungsrahmen liegen; es reichte aus, wenn Abrechnungszeiträume in ihn hineinragten, um noch zum Bemessungszeitraum zu gehören (Pawlak ebd. Rn. 43 m.w.N. der BSG-Rechtsprechung). Der Bemessungsrahmen konnte dynamisch sukzessive verlängert werden, bis die 39 Wochen erreicht waren (§ 130 Abs. 2 SGB III a.F.) und konnte lediglich über die drei Jahre nach § 133 Abs. 4 SGB III a.F. grundsätzlich nicht hinausgehen (Pawlak ebd. Rn. 68, 69). Der Begriff der bisherigen Rechtsprechung zum früheren Recht berücksichtigte dabei also, dass in § 133 Abs. 4 SGB III a.F. ein Bemessungszeitraum innerhalb der maximalen Dauer des Bemessungsrahmens einen bestimmten Umfang gehabt haben musste (39 Wochen), falls keine fiktive Bemessung erfolgen sollte.
Dies ist nun anders.
Nunmehr ist ausschließlich die Dauer des Bemessungszeitraumes für die fiktive Bemessung relevant und der Bemessungsrahmen Tatbestandmerkmal des Bemessungszeitraums, weil dieser wegen § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III nunmehr vollständig innerhalb des Bemessungsrahmens liegen muss (Behrend in Eicher/Schlegel: SGB III, § 130 Rn. 50; Rolfs in Gagel: SGB III, § 130 Rn. 9; a.A: Brand in Niesel: SGB III, § 130 Rn. 2, wohl in Anknüpfung an die bisherige Rspr.). Dieser begrenzt den Bemessungszeitraum ebenso wie andere Tatbestandsmerkmale (Entgeltzeiträume, Abrechnungszeiträume usw.). Eine weitergehende Funktion hat er nicht. Der Bemessungsrahmen kennt nicht mehr die Grenze von drei Jahren, beträgt grundsätzlich ein Jahr und kann nach § 130 Abs. 3 Satz 1 SGB III um ein weiteres Jahr verlängert werden.
§ 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III sagt nicht, bei welcher Prüfungsebene zur Ermittlung des Bemessungszeitraums die genannten Erziehungszeiten außer Betracht bleiben sollen. Der insoweit verwendete Begriff der „Ermittlung“ klammert semantisch nicht den äußeren zeitlichen Rahmen, wie er durch den Bemessungsrahmen vorgegeben wird, aus. Er lässt sich weit verstehen und muss nach seinem begrifflichen Gehalt weit verstanden werden, so dass alle Umstände, die Auswirkungen auf den Bemessungszeitraum haben können, einfließen dürfen, also auch der Bemessungsrahmen.
Auch der Wortlaut von § 130 Abs. 3 Satz 1 SGB III spricht nicht dagegen, dass der Bemessungsrahmen nicht auch in den Fällen von § 130 Abs. 2 SGB III erweitert werden könne. Er bestimmt lediglich, in welchen Fällen die Erweiterung um einen gesetzlich bereits vorgeschriebenen starren Zeitraum, nämlich um genau ein Jahr, zu erweitern ist. Die Vorschrift sagt nach ihrem Wortlaut auch nicht, dass nur oder ausschließlich in den beiden aufgelisteten Fällen eine Erweiterung zu erfolgen hat. Man kann daher Abs. 3 der Vorschrift als starre und Abs. 2 als dynamische Erweiterungsregelung des Bemessungsrahmens lesen.
Mithin erlaubt der Wortlaut der drei Absätze des § 130 SGB III ein Verständnis dahingehend, dass grundsätzlich die Arbeitsentgeltabrechnungszeiträume im Bemessungsrahmen von einem Jahr den Bemessungszeitraum bilden (Abs. 1), dass ausnahmsweise bestimmte Zeiten abhängig von ihrer jeweiligen Dauer nicht in den Bemessungszeitraum und (u.U.) auch nicht in den Bemessungsrahmen einfließen dürfen und diesen dynamisch verlängern können (Abs. 2) und dass schließlich in bestimmten Fällen eine starre Erweiterung des Bemessungsrahmens erfolgen muss (Abs. 3).

Im Vergleich des Wortlautes mit der Vorgängerregelung § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. ergibt sich überdies, dass § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III (n.F.) nicht nur in den Fällen des Bezuges von Arbeitsentgelt angewendet werden soll. Während nämlich von der entsprechenden Vorgängerregelung nur solche Erziehende erfasst wurden, „soweit wegen der Betreuung oder Erziehung eines Kindes das Arbeitslosengeld oder die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gemindert war“, werden jetzt Erziehungsgeld-Empfänger ohne Rücksicht auf eine Minderung der Arbeitszeit einbezogen. Eine entsprechende Einschränkung findet sich nur für die Zeiten der Kindererziehung in Var. 3.
Das bedeutet, dass durch die Neuregelung in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III ausdrücklich auch solche Berechtigte einbezogen sind, die neben der Erziehung nicht (in Teilzeit) gearbeitet haben (Var. 1 und 2 – Bezug von Erziehungsgeld oder einkommensbedingter Nichtbezug von Erziehungsgeld). Daraus ergibt sich, dass die besondere Schutzvorschrift auch für bestimmte Zeiten ohne Arbeitsentgeltbezug gilt, so dass sie in solchen Fällen ihren Anwendungsbereich nur im Hinblick auf den Bemessungsrahmen erhält. Zeiten ohne Arbeitsentgelt bleiben sonst schon nach § 130 Abs. 1 Satz 1 SGB III unberücksichtigt. Werden diese Zeiten nun aber von der Schutzvorschrift erfasst, muss ihre Funktion weiterreichen als nur bis zum Ausschluss innerhalb des Bemessungsrahmens. Wäre die damit verbundene Änderung nicht gewollt gewesen, hätte der Gesetzgeber einfach die Vorgängerregelung wortgleich übernehmen können.

Ein solches Verständnis setzt sich auch nicht in Widerspruch zu anderen gesetzlichen Regelungen und steht mit der Gesetzessystematik in Einklang. Vielmehr berücksichtigt es die Regelungszwecke anderer Vorschriften (s.u.), insbesondere des Verfassungsrechts und des europarechtlichen Diskriminierungsverbotes gegenüber Frauen und erscheint daher auch aus systematischen Gründen vorzugswürdig. § 132 SGB III läuft damit auch nicht leer, weil diverse, nicht von §§ 130 Abs. 2 Satz 1 SGB III erfasste Fallkonstellationen eine fiktive Berechnung erfordern (z.B. Bezug von Krankengeld über 19 Monate hinaus, Zeiten befristeter Erwerbsminderungsrenten).

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Die Auslegung verschafft dem Willen des historischen Gesetzgebers Geltung und berücksichtigt die Regelungszwecke der Vorschrift selbst als auch die verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben.
Die hier anzuwendende gesetzliche Regelung wurde vom letzten Bundestag durch das Dritte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl. I 2848 – sog. Hartz-III-Gesetz) mit Wirkung ab 1. Januar 2005 eingefügt und ersetzte die entsprechenden Vorgängerregelungen.
Das Gesetz war von den Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag eingebracht worden. Diese begründeten die Neuregelungen vor allem mit den Zielen einer effizienteren und effektiveren Ausgestaltung des arbeitsmarktpolitischen Instrumentariums, einer durchgreifenden Vereinfachung des Leistungsrechts und neuer Strukturen der Bundesanstalt für Arbeit. Neben den strukturellen Organisationsveränderungen und der Verfahrensreform sollte inhaltlich das Leistungsrecht mit Blick auf eine unbürokratische Anwendung grundlegend vereinfacht und damit transparenter gestaltet werden. (BT- Drucks. 15/1515 S. 71)
Ziel der Reformbestrebungen sei es deshalb gewesen, die Vielfalt und Komplexität der Regelungen zurückzuführen und das Verwaltungsverfahren deutlich und nachhaltig zu vereinfachen. Verwaltungsvereinfachung sei nur zu erreichen, wenn detaillierte Einzelfallregelungen durch ein größeres Maß an Pauschalierung ersetzt würden. Die vorgesehenen Neuregelungen könnten sich im Einzelfall sowohl zu Gunsten als auch zu Ungunsten des Betroffenen auswirken, ohne das Sicherungsniveau der Arbeitslosenversicherung insgesamt zu beeinträchtigen. Sie zielten nicht auf Leistungseinschränkungen für die Bezieher von Arbeitslosengeld. (BT-Drucks. 15/1515 S. 73)

Zur Neuregelung des § 130 SGB III führt die Begründung des Gesetzesentwurf aus:
„Zur Vereinfachung sollen im Bemessungszeitraum nur noch Zeiten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung berücksichtigt werden. Alle übrigen Versicherungspflichtverhältnisse, denen ein besonderes Entgelt zugeordnet ist, was zu komplizierten Berechnungen führt, bleiben künftig außer Betracht.
Zu Absatz 1
Die Vorschrift fasst die bisherigen §§ 130 und 131 zur Festlegung des Bemessungszeitraumes zusammen und nimmt den durch die Rechtsprechung entwickelten Begriff des Bemessungsrahmens auf. Zur Vereinfachung und Angleichung an die übrigen Sozialversicherungszweige wird die bisherige Wochenbetrachtungsweise auf eine Jahres- bzw. Tagesbetrachtungsweise umgestellt.
Zu Absatz 2
Die hier genannten atypischen Beschäftigungssachverhalte sollen bei der Leistungsbemessung außer Betracht bleiben, um unbillige Bemessungsergebnisse zu verhindern.
Zu Absatz 3:
Der Bemessungszeitraum soll statt bisher 39 Wochen künftig mindestens 150 Tage umfassen, um die Zahl fiktiver Bemessungen zu vermindern.
Die Erweiterung des Bemessungsrahmens löst die bisherige sukzessive Erweiterung um einzelne Abrechnungszeiträume ab.
Infolge der künftig einheitlichen Anwartschaftszeit von zwölf Monaten (§ 123) können die Sonderregelungen zum Bemessungszeitraum für Saisonarbeitnehmer, Wehr- und Zivildienstleistende entfallen.“
(BT- Drucks. 15/1515 S. 85)

Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich mithin, dass lediglich das Recht durch stärkere Pauschalierung vereinfacht, nicht aber das Leistungsniveau abgesenkt werden sollte. Lediglich die im Rahmen einer Pauschalierung typischerweise auftretenden Verschlechterungen im Einzelfall (wie auch die im Einzelfall mit einer Pauschalierung auftretenden Verbesserungen) wurden ins Auge gefasst. Darüber hinaus sollten die in § 130 Abs. 2 SGB III bezeichneten Ausnahmen von diesen Regelungszwecken zur Vermeidung unbilliger Bemessungsergebnisse zugelassen werden. Insofern nehmen die Vorschlagsfraktionen offensichtlich kompliziertere Berechnungen in Kauf.
Zum Bemessungsrahmen wurde lediglich mitgeteilt, dass hier ein Begriff der Rechtsprechung aufgenommen wurde. Es wurde nicht näher angegeben, wie dieser Begriff zu verstehen sei und inwieweit durch die Neuregelung der aufgegriffene Begriff der Rechtsprechung modifiziert werde.
Im Hinblick auf die Stellung im Gesetz als Ausnahmeregelung ergibt sich, dass die Regelungen des § 130 Abs. 2 SGB III ausschließlich zugunsten der Betroffenen wirken sollen, also als Schutzvorschriften vor unbilligen Bemessungsergebnissen zu verstehen sind. Grundsätzlich soll nach dem tatsächlichen Arbeitsentgelt die Leistung bemessen werden. Regelungszweck der Ausnahmevorschrift des Abs. 2 ist der Rückgriff auf günstigere Arbeitsentgelte für besonders zu fördernde Personengruppen.
Die Gesetzesmaterialien sprechen damit nicht gegen die hier gefundene Auslegung. Im Gegenteil: sie sprechen gegen die Praxis der Beklagten in Fallkonstellationen, in denen Elternteile unmittelbar nach Inanspruchnahme des an der möglichen Bezugszeit des Elterngeldes orientierten zweijährigen Erziehungsurlaubes vom Arbeitgeber entlassen werden, das Bemessungsentgelt ungünstig fiktiv zu bemessen.
Nach der alten Rechtslage erfolgte bei lediglich zweijährigem Erziehungsurlaub keine fiktive Bemessung, weil innerhalb des Bemessungsrahmens von drei Jahren (§ 133 Abs. 4 SGB III a.F.) mindestens 39 Wochen mit Arbeitsentgelt vorhanden waren/sein konnten. Nach der aktuellen Verwaltungspraxis der Beklagten ist dies ausgeschlossen.
Bei längerer Erziehungszeit (z.B. nach Geburt mehrerer Kinder oder unter Ausschöpfung der Versicherungspflichtzeit nach § 26 Abs. 2a SGB III (in der Fassung seit 01.01.2003) Erziehung von Kindern unter drei Jahren, wenn unmittelbar zuvor Versicherungspflicht bestand) durfte wegen der alten Regelung die Erziehungszeit ebenfalls nicht für den Bemessungszeitraum berücksichtigt werden (§ 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F.).
Insoweit war umstritten, ob die besondere Schutzregelung des § 131 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F. den Bemessungsrahmen über die Dreijahresfrist des § 133 Abs. 4 SGB III a.F. hinaus verlängern konnte. Zu berücksichtigen war dabei, dass Art. 6 Abs. 4 GG einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber für Schutz und Fürsorge gegenüber den Müttern enthält und die Bindungswirkung des Grundrechts für das gesamte private und öffentliche Recht und für alle staatlichen Stellen bei der Gesetzesanwendung und –auslegung gilt. Insbesondere verbietet Art. 6 Abs. 4 GG jede Diskriminierung und verengt den im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes bestehenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu Gunsten der Mütter (so auch BSG Urt. vom 21.10.2003 – B 7 AL 28/03 R – m.w.N.). Aus Art. 6 Abs. 4 GG kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende wirtschaftliche Belastung (insbesondere auf dem Gebiet der Sozialversicherung) auszugleichen (st. Rspr.).
Daraus wurde etwa vom LSG NRW (Urt. v. 10.03.2004, L 12 AL 83/03) ein Vorrang von § 133 Abs. 4 SGB III a.F. vor § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. mit der Begründung angenommen, dass der Gesetzgeber bei der fiktiven Bemessung jedoch Leistung nach dem relevanten Tarifvertrag vorgeschrieben habe, so dass die Nichtberücksichtigung lediglich übertariflicher Entgelte eine noch zumutbare Belastung darstelle. Dass dies zutreffend ist, bezweifelt die Kammer schon deswegen, weil in den von § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. betroffenen Fällen durch die fiktive Bemessung eine Gleichbehandlung mit Berechtigten, die ihren Anspruch ausschließlich durch Arbeit als Strafgefangene erworben haben, wegen § 135 Nr. 3 SGB III a.F. hergestellt würde. Eine besondere Fürsorge gegenüber den von der Schutzvorschrift des § 131 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F. vorrangig betroffenen Müttern lässt sich darin nicht erkennen, wenn in der Bemessung übertarifliche Entgelte, die verbeitragt wurden, nicht berücksichtigt werden.
Für den vorliegenden Rechtsstreit muss dieses Problem jedoch nicht abschließend geklärt werden, weil der Gesetzgeber durch die Verkürzung des Bemessungsrahmens (jedenfalls in allen nicht von § 130 Abs. 2 SGB III erfassten Fällen) auf maximal zwei Jahre und eine drastische Reduzierung der fiktiven Bemessungsentgelte wesentliche Änderungen vorgenommen hat. Diese Änderungen lassen nach Ansicht der Kammer ernsthaft eine Verletzung des Grundrechts nach Art. 6 Abs. 4 GG besorgen, wollte man die Schutzregelung des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III nicht zur Verlängerung des Bemessungsrahmens bemühen.

Die fiktive Bemessung bewirkt im Gegensatz zu den Gesetzeszwecken im Regelfall eine deutliche Reduzierung der Leistungsansprüche. Die Gesetzesbegründung teilt nicht mit, wie sich die Pauschalbeträge und ihre Abstufung begründen:
„Zu § 132
Sind auch in dem erweiterten Bemessungsrahmen weniger als 150 Tage mit versicherungspflichtigem Arbeitsentgelt enthalten, wird das für die Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrunde zu legende Bemessungsentgelt fiktiv bestimmt. Anders als bisher erfolgt die fiktive Leistungsbemessung nicht mehr nach dem individuell erzielbaren tariflichen Arbeitsentgelt, sondern – verwaltungseinfach – nach einer pauschalierenden Regelung. Danach richtet sich die fiktive Leistungsbemessung nach Qualifikationsstufen, denen jeweils ein an die Bezugsgröße der Sozialversicherung gekoppeltes Entgelt zugeordnet ist. Wie bisher richtet sich diese Festsetzung nach den Beschäftigungen, auf die die Arbeitsverwaltung die Vermittlungsbemühungen für den Arbeitslosen – unter Berücksichtigung des in Betracht kommenden Arbeitsangebotes – in erster Linie zu erstrecken hat.“
(BT- Drucks. 15/1515 S. 85 f.)

Die tatsächlichen Werte widersprechen der ausdrücklichen Begründung des Gesetzes, bis auf die mit der Pauschalierung als solche verbundenen, lediglich im Einzelfall eintretenden Nachteile keine Verschlechterung des Leistungsniveaus vorzusehen.
Dies ergibt sich aus der Abstufung der Pauschalbeträge und dem jeweiligen Verhältnis zur Bezugsgröße. Es werden nach § 132 Abs. 2 SGB III für Arbeitslose ohne abgeschlossene Berufsausbildung (Qualifikationsgruppe IV) fiktive Entgelte in Höhe von einem Sechshundertstel der Bezugsgröße, bei Facharbeitern/Fachangestellten (Qualifikationsgruppe III) von einem Vierhundertfünfzigstel, bei Fachschulabsolventen/ Meister (Qualifikationsgruppe II) von einem Dreihundertsechzigstel und bei Hochschulabsolventen (Qualifikationsgruppe I) von einem Dreihundertstel der Bezugsgröße berechnet. Die Bezugsgröße ist gemäß § 18 Abs. 1 SGB IV das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr, aufgerundet auf den nächsthöheren durch 420 teilbaren Betrag.
Daraus ergibt sich, dass tägliche fiktive Bemessungsentgelte für Arbeitslose ohne abgeschlossene Berufsausbildung in Höhe von ca. 60 Prozent, für Facharbeiter/Fachangestellte von ca. 80 Prozent, für Fachschulabsolventen für ca. 100 Prozent und für Hochschulabsolventen für ca. 120 Prozent des rentenrechtlich versicherungspflichtigen Durchschnittsentgelts angesetzt werden sollen. Der Gesetzgeber teilt nicht mit, wie er auf diese Sätze kommt.
Diese Pauschalwerte führen im Regelfall zu einer deutlichen Absenkung der relevanten Bemessungsgrundlage.
Dies ist nicht nur nicht vom Gesetzgeber gewollt, sondern auch verfassungswidrig. Es verstößt, jedenfalls in den von § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB III erfassten Fällen gegen Art. 3, 6, 14 GG. Zwar hat der Gesetzgeber gerade bei der Gestaltung sozialrechtlicher Regelung einen weiten Gestaltungsspielraum. Er hat jedoch dabei nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG Grenzen einzuhalten.
Er verletzt das Grundrecht nach Art. 3 GG, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfGE 100, 59, 90; 87, 1, 36; 92, 53, 68 f.; 95, 143, 153 f.; 96, 315, 325; st. Rspr.). Bei der Ordnung von Massenerscheinungen wie im vorliegenden Fall ist der Gesetzgeber berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen der damit verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Allerdings setzt eine zulässige Typisierung und Pauschalierung voraus, dass diese Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären (vgl. BVerfGE 100, 59, 90 m.w.N.; st. Rspr.), lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist (vgl. BVerfGE 100, 59, 90 m.w.N.).
Ein diese Maßstäbe ignorierender Eingriff in ein Eigentumsrecht, wie das durch Beiträge erworbene Recht auf Arbeitslosengeld, wäre wegen Unzumutbarkeit des Eingriffs ebenfalls verfassungswidrig.
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber den besonderen Schutz- und Fürsorgeauftrag von Art. 6 Abs. 4 GG gegenüber Müttern zu beachten, wodurch sich sein Handlungsspielraum über die durch Art. 3 GG vorgegebenen Grenzen weiter einschränkt (s.o.). Dabei sind Regelungen, auch wenn sie sich nicht ausdrücklich nur auf Mütter, sondern auch auf Väter beziehen, dem besonderen Schutzbereich von Art. 6 Abs. 4 GG bereits dann unterworfen, wenn sie tatsächlich ganz überwiegend Mütter betreffen. Dies ist bei Regelungen zur Erziehungszeit der Fall, da nur ein geradezu verschwindend geringer Teil der Väter diese Möglichkeiten in Anspruch nimmt (etwa ein Zwanzigstel der Berechtigten). Gleiches gilt für die Vorgaben zur Vermeidung indirekter Diskriminierung durch das europarechtliche Gleichbehandlungsgebot gegenüber Frauen.
Werden Pauschalsätze so festgelegt, dass typischer Weise die Betroffenen dadurch benachteiligt werden, weil sich die Pauschalen nicht am Regelfall, d.h. am durchschnittlichen Sachverhalt orientieren, entstehen Härten, die nicht nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären und nicht nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Betroffenen betreffen. Außerdem nimmt bei einer Festlegung der Pauschalen unterhalb des jeweiligen Durchschnitts die Intensität der Nachteile für die oberhalb des Durchschnitts anzusiedelnden Betroffenen proportional mit der Abweichung vom Durchschnitt zu. Abweichungen vom Durchschnitt sind jedoch zulässig, wenn der Gesetzgeber dafür vernünftige oder zumindest einleuchtende Regelungsziele verfolgt.

Durch die Festlegung der Pauschalen erfolgt eine erhebliche Absenkung der Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld, die Pauschalwerte erscheinen hinsichtlich ihrer Ermittlung nicht plausibel und es lässt sich jedenfalls für die von § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB III erfassten Fallkonstellationen ein vernünftiger oder auch nur einleuchtender Regelungszweck nicht erkennen.
Der Ansatz für die un- und angelernten Arbeitslosen in § 132 Abs. 2 SGB III erscheint entschieden zu niedrig. So ist die Kammer davon überzeugt, dass Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung regelmäßig mehr als 68 Prozent des Durchschnittsentgelts und nicht nur 60 Prozent desselben verdienen. Die Sachverständigenkommission des Europarates geht davon aus, dass ein angemessenes Einkommen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Europäische Sozialcharta mindestens 68 Prozent des nationalen Durchschnittsverdienstes beträgt (Peter, ArbuR 1999, 289, 294). Die Kammer ist sich sicher, dass die Bundesrepublik, die die Europäische Sozialcharta ratifiziert hat, diese Maßstäbe einhält und nur im Einzelfall Abweichungen auftreten.
So lag 2001 nur in 2 der 21 Wirtschaftsbereiche der Anlage 14 zum SGB VI der Durchschnittsverdienst der Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung (Qualifikationsgruppe 5 Anlagen 13, 14 zum SGB VI) bei 60 Prozent der Bezugsgröße für das Jahr 2001. Alle anderen Wirtschaftbereiche zahlten durchschnittlich höhere, überwiegend deutlich höhere Arbeitsentgelte.
Die Kammer kann auf die Werte der Tabellen der Anlage 14 zum SGB VI abstellen, weil hier – nach den gleichen Qualifikationsgruppen wie in § 132 SGB VI (die Qualifikationsgruppen 2 und 3 der Anlage 13 zum SGB VI sind von § 132 zur Qualifikationsgruppe II zusammengefasst worden) – die durchschnittlichen Arbeitsentgelte niedergelegt sind. Es handelt sich bei diesen Tabellenwerten um statistische Werte von Gesetzesrang, die sämtliche sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse erfassen. Sie sind insofern besonders aussagekräftig.
Auch die Werte für die anderen Qualifikationsgruppen erscheinen nicht plausibel.
So lagen im Jahr 2001 in 9 der 21 Wirtschaftbereiche nach Anlage 14 zum SGB VI die Durchschnittsverdienste der Facharbeiter/Fachangestellten oberhalb der Bezugsgröße für das Jahr 2001 (in den Wirtschaftsbereichen Tabelle Nr. 1 – 24 % über der Bezugsgröße, 2 – 9% darüber, 3 – 2% darüber, 4 – 8% darüber, 5 – 2% darüber, 6 – 10% darüber, 7 – 8% darüber, 11 – 13% darüber, 15 – 14% darüber). Weitere 8 lagen ebenfalls deutlich über den 80 % des § 132 SGB III (8 – 90% der Bezugsgröße, 9 – 91%, 10 – 96%, 14 – 87%, 14 – 99%, 17 – 84%, 19 – 83% und 21 – 86% der Bezugsgröße). Der geringste Durchschnittsverdienst von Facharbeitern (das produzierende Handwerk – Wirtschaftsbereich 13) lag bei 72 Prozent der Bezugsgröße. Dies alles spricht dafür, dass auch für die Facharbeiter/Fachangestellten in Qualifikationsgruppe III nach § 132 SGB III ein zu niedriger Ansatz gewählt wurde.
Für die Qualifikationsgruppe II gilt Ähnliches. Hier lagen insgesamt 20 der 21 Wirtschaftsbereiche mit ihren Durchschnittsverdiensten der Qualifikationsgruppe 2 über der Bezugsgröße 2001 (1 – 165% der Bezugsgröße, 2 – 145%, 3 – 136%, 4 – 144%, 5 – 136%, 6 – 147%, 7 – 144%, 8 – 120%, 9 – 121%, 10 – 128%, 11 – 151%, 12 – 120%, 14 – 116%, 15 – 151%, 16 – 132%, 17 – 111%, 18 – 108%, 19 – 116%, 20 – 102%, 21 – 114%). Lediglich das produzierende Handwerk (Tabelle 13) lag mit dem dortigen Durchschnittsgehalt um 4,5% unter der Bezugsgröße. Im linearen Durchschnitt (im Unterschied zu einer Wichtung nach der Zahl der im jeweiligen Wirtschaftsbereich Beschäftigten mit entsprechender Qualifikation) der Wirtschaftsbereiche lag der Durchschnittsverdienst der Fachschulabsolventen bei 128,7 Prozent der Bezugsgröße und nicht bei 100 Prozent.
Die Durchschnittsgehälter der Hochschulabsolventen lagen in sämtlichen Wirtschaftbereichen deutlich über denen der Fachschulabsolventen.
Überdies muss beachtet werden, dass im Gegensatz zur früheren Regelung, die auf die aktuellen Tarifverträge abstellte, mit der Bezugsgröße ohnehin ein zwei Jahre alter Durchschnittswert Maßstab der Bemessung ist, der zwar angepasst wird, aber der aktuellen Entwicklung doch immer zwei Jahre hinterher hinkt. So lag der vorläufige Durchschnittsverdienst in der Rentenversicherung 2005 um 2 Prozent über der Bezugsgröße (2004: 1,5 %, 2003: 2,3%, 2002: 1,3%). Allein durch diesen Maßstab ergibt sich also bereits eine gewisse Absenkung des Leistungsniveaus.
Aus diesen Daten ergibt sich, dass sich die fiktive Bemessung nach § 132 SGB III nicht an den Durchschnittsgehältern der jeweiligen Qualifikationsgruppe bemisst. Die fiktive Bemessung liegt jeweils deutlich unter den relevanten Durchschnittsgehältern. Der Regelfall wird somit von den Pauschalwerten nicht annähernd getroffen. Es ergeben sich massive Abweichungen unter den Durchschnitt. Dadurch werden nicht auf dem Arbeitsmarkt typische sondern deutlich unterdurchschnittliche Entgelte für Tätigkeiten angesetzt, auf die die Arbeitsagentur im Hinblick auf die Qualifikation der Betroffenen die Vermittlungsbemühungen in erster Linie zu erstrecken hat. Nach altem Recht waren dafür die jeweils günstigsten tariflichen Regelungen maßgeblich (st. Rspr.). Gründe für diese deutliche Verschlechterung teilt der Gesetzgeber nicht mit. Nach der Gesetzesbegründung dürften sich derart gravierende Abweichungen durch die Anwendung der Pauschalbeträge nicht ergeben.
Das Schreiben des Wirtschaftsministeriums für Arbeit und Soziales vom 14.12.2005 (zitiert nach Behrend in Eicher/Schlegel: SGB III, Anlage zu § 132) gibt zwar den Berechnungshintergrund an, kann jedoch nicht dazu dienen, den Willen des Gesetzgebers zu ermitteln, weil es sich um ein Schreiben der Exekutive handelt. Davon abgesehen widersprechen die dort mitgeteilten statistischen Angaben den hier ausgewerteten, jüngeren zum Zeitpunkt der Gesetzesentscheidung aber wohl bereits bekannten Daten. Immerhin bestätigt das Schreiben, dass mit der Festlegung der Pauschalsätze eine relative Reduzierung um ca. 20 Prozent vorgenommen wurde (ohne diese Reduzierung hätten die Pauschalsätze für die Qualifikationsgruppe IV etwa 75 Prozent, für die Qualifikationsgruppe III etwa 100 Prozent, für die Qualifikationsgruppe II etwa 125 Prozent und für die Qualifikationsgruppe I etwa 150 Prozent der Bezugsgröße betragen).

Diese Festlegung der Pauschalsätze erscheint jedenfalls in den Fällen verfassungsrechtlich bedenklich, in denen wegen Nichtberücksichtigung versicherungspflichtiger Zeiten nach § 130 Abs. 2 SGB III eine fiktive Berechnung erforderlich würde. Dies wird besonders deutlich in den von § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB III zweifelsfrei erfassten Fällen, in denen im Jahr vor Eintritt der Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wurde. Es handelt sich jeweils um Fallkonstellationen, in denen eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird (entweder wegen paralleler Kindererziehung oder nach Teilzeitvereinbarung nach dem TzBfG). Nach dem Wortlaut der Vorschriften sind selbige geradezu auf diese Fallkonstellationen zugeschnitten. In diesen Fällen soll die Zeit der Teilzeitarbeit nicht für den Bemessungszeitraum berücksichtigt werden („außer Betracht“ bleiben).
Versteht man § 130 Abs. 2 SGB III wie die Beklagte nicht als Regelung zur dynamischen Erweiterung des Bemessungsrahmens, wird es regelmäßig zu einer fiktiven Bemessung kommen, weil dann innerhalb des auf zwei Jahre erweiterten Bemessungsrahmens keine fünf Monate mit berücksichtigungsfähigen Abrechnungszeiträumen vorhanden sein werden. Nach der gesetzlichen Vorgabe in § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB III kann eine Teilzeitbeschäftigung drei Jahre gedauert haben. Die nach Nr. 3 (Var. 3) außer Betracht zu lassenden Erziehungszeiten betragen regelmäßig zwei bis drei Jahre pro Kind.
In diesen Fällen ist kein Grund ersichtlich, warum eine fiktive Bemessung im Regelfall zu einer deutlichen Verringerung des relevanten Bemessungsentgelts führen dürfte. Der im zitierten Schreiben des BMAS vom 14.12.2005 genannte Grund für die Absenkung, dass der Arbeitslose zuletzt kein oder kein typisches Arbeitsentgelt erzielt oder nur für eine sehr kurze Zeit bezogen habe, sich also eine gewisse Entfremdung vom Arbeitsmarkt eingestellt habe, trifft in diesen Fällen evident nicht zu. Sollten die Arbeitslosen weiterhin nur zu Teilzeitarbeit zur Verfügung stehen, würde dies bereits durch § 131 Abs. 5 SGB III berücksichtigt.
Die Praxis der Beklagten zur Umsetzung von § 130 Abs. 2 SGB III würde damit die gesetzgeberischen Zwecke geradezu konterkarieren. Die Regelung soll unbillige Bemessungsergebnisse vermeiden und deshalb die wegen der Arbeitsreduzierung geringeren Bemessungsentgelte außer Acht lassen. Dies führt dann aber im Regelfall zu einer deutlichen Absenkung der relevanten Bemessungsgrundlage bei fiktiver Bemessung.
Der eigentlich nach dem Gesetz zu begünstigende Personenkreis würde erheblich benachteiligt. Er würde im Vergleich zur fiktiven Bemessung bei Berücksichtigung der tatsächlichen Entgelte im Regelfall dann wesentlich günstiger stehen, wenn er nur im Umfang der bisherigen Teilzeittätigkeit weiter zur Verfügung stünde.

Hinzu kommt, dass die Regelung des § 132 SGB III ausweislich der Gesetzesbegründungen keinerlei finanziellen Hintergrund neben der Effektivierung der Verwaltungsarbeit hat, also nicht zur finanziellen Entlastung/Sicherung des Versicherungssystems führen sollte. Es sollten nur im Einzelfall, nicht im Regelfall Verschlechterungen zu besorgen sein. Das Argument, die Versichertengemeinschaft finanziell abzusichern, scheidet als zulässiger Regelungszweck deshalb aus.

Darüber hinaus muss im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot verlangt werden, dass der als fiktives Arbeitsentgelt festgelegte Anteil der Bezugsgröße bei typisierender Betrachtung das in der jeweiligen Qualifikationsgruppe regelmäßig erzielbare Entgelt widerspiegelt (Behrend in Eicher/Schlegel: SGB III, § 132 Rn. 50 unter Hinweis auf BVerfG 23.03.1994, 1 BvL 8/85).
Selbst die im Schreiben des BMAS vom 14.12.2005 genannte Methode der Ermittlung der Absenkung erscheint unter diesen Umständen nicht zulässig und ist nicht nur in den hier diskutierten Fallkonstellationen von ihrer Begründung her fragwürdig.
Maßstab war danach die Abweichung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts der Arbeitslosen von der Bezugsgröße. Diese Differenz kann jedoch nicht für die genannten Zwecke herangezogen werden.
Prinzip des § 132 SGB III ist, den Arbeitslosen pauschal ein Arbeitsentgelt zuzumessen, das entsprechend ihrer Qualifikation auf dem Arbeitsmarkt zu erzielen wäre. Die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Bemessungsentgelt aller Arbeitslosengeld-Bezieher und der Bezugsgröße ist aber selbst dann kein tauglicher Maßstab, wenn man eine gewisse Entwöhnung vom Arbeitsmarkt und entsprechend reduzierte Verdiensterwartungen bei einer neuen Beschäftigung zur Absenkung heranziehen wollte. Die Menge der Arbeitslosengeldbezieher ist völlig anders zusammengesetzt als die der für die Ermittlung der Bezugsgröße berücksichtigten Versicherten. Während ca. 17 Prozent der Arbeitnehmer ohne abgeschlossene Berufsausbildung sind, ist dies bei den Arbeitslosen im Bundesgebiet ohne das Beitrittsgebiet eine Quote von 42,8 Prozent (Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2003 6.14) – da für das Beitrittsgebiet die abgesenkte Bezugsgröße anzuwenden ist, kann hier auf die Situation im früheren Bundesgebiet abgestellt werden. Der Anteil der Hochschulabsolventen unter den Arbeitslosen lag 2003 bei 5,7 Prozent, während er im selben Jahr unter den Arbeitnehmern ca. 16 Prozent ausmachte. Die erhebliche Differenz lässt sich also bereits aus der unterschiedlichen Qualifikationsstruktur der unterschiedlichen Personenbereiche erklären, taugt also gerade nicht zur Begründung eines Abschlages beim fiktiven Bemessungsentgelt, der bei einem vom Arbeitsmarkt etwa wegen längerer Erkrankung entwöhnten Facharbeiter gemacht werden soll.
Schließlich erscheint die Argumentation des BMAS zur Begründung dieses erheblichen Abschlages sehr suggestiv. Es wird als erste Gruppe der „entwöhnten“ Arbeitslosen die der Strafgefangenen genannt. Diesen werden dann andere Gruppen (Erziehende, Wehrdienstleistende, Rentenbezieher) gleichgestellt. Die Strafgefangenen fallen jedoch ganz regelmäßig nicht unter die fiktive Bemessung, weil sie Arbeitsentgelte bezogen haben (§ 26 Abs. 1 Nr. 4 SGB III) und nur deshalb einen Anspruch auf Arbeitslosengeld überhaupt erworben haben. Auch Wehrdienstleistende dürften nach der gesetzlichen Neuregelung regelmäßig nicht mehr unter die Anwendung von § 132 SGB III fallen, wenn sie vor oder nach dem Wehrdienst mindestens insgesamt 5 Monate gearbeitet haben. Für Erziehende macht § 130 Abs. 2 SGB III gerade eine Ausnahme, um unbillige Bemessungsergebnisse zu vermeiden. Bei ehemaligen Rentenbeziehern stellt sich die Frage, inwieweit diese nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit zumindest auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überhaupt noch in ihrer früheren Qualifikationsgruppe eingesetzt werden können. Die vom BMAS gelieferte Begründung erscheint damit nicht ansatzweise überzeugend und trägt schon gar nicht die erhebliche Reduzierung der Pauschalsätze.

Zur Vermeidung dieser verfassungsrechtlichen Probleme sind die Regelungen verfassungskonform auszulegen. Dabei haben sich die Beklagte und das Gericht an den Grundsätzen der Art. 3 und 6 Abs. 4 GG sowie am europarechtlichen Diskriminierungsverbot für Frauen zu orientieren. Insbesondere letzteres und das Gebot von Schutz und Fürsorge den Müttern gegenüber (Art. 6 Abs. 4 GG) sind dabei zu beachten.
Bei diesen Maßstäben ist zunächst festzustellen, dass es keinen sachlichen Grund gibt, Mütter/Väter danach unterschiedlich zu behandeln, in welchem Maße sie neben der Erziehung eine Berufstätigkeit ausüben. In jedem Fall handelt es sich um eine Pflichtversicherungszeit.
Mehr noch, während von der entsprechenden Schutzvorschrift des § 131 Abs. 2 Nr. 1 SGB III a.F. nur solche Erziehende erfasst wurden, bei denen wegen der Betreuung oder Erziehung eines Kindes das Arbeitslosengeld oder die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit gemindert war, werden nach dem Wortlaut jetzt Erziehungsgeld-Empfänger ohne Rücksicht auf eine Minderung der Arbeitszeit einbezogen. Dies erscheint im Hinblick auf den gesetzgeberischen Willen, Erziehende im Rahmen der Vorgaben des Art. 6 GG besonders zu fördern, plausibel. Angesichts des Wortlautes und den Anmerkungen der Gesetzesbegründung ist auch kein Grund erkennbar, warum für den Anwendungsbereich der Schutzvorschrift für Erziehende danach unterschieden werden sollte, ob neben der Erziehung noch eine Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wurde.

Schließlich widerspricht die hier gefundene Auslegung nicht dem grundsätzlichen Anliegen des Gesetzgebers, eine weitreichende Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens zu bewirken. Im Gegensatz zur Vorgängerregelung mit ihrer dynamischen, sukzessiven Erweiterung des Bemessungsrahmens, wenn die 39 Wochen mit Entgeltzeiten zunächst nicht erreicht wurden (wobei praktisch jeder Versicherungspflichtzeit auch Entgelte zugeordnet waren – siehe §§ 134, 135 SGB III a.F.), lässt sich der Erweiterungszeitraum sehr einfach ermitteln. Es handelt sich um eine vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehene – insgesamt im Vergleich zum früheren Recht immer noch sehr einfache – Abweichung vom deutlich vereinfachten neuen Berechnungsmodus.
Mit ihr werden verfassungswidrige Ergebnisse vermieden. Es darf unterstellt werden, dass auch dies Zweck des Gesetzgebers war.
Überdies erscheint es denkbar, § 130 Abs. 2 SGB III in zwei Schritten zu prüfen: Zunächst werden nach Abs. 2 die relevanten Zeiten aus dem nötigenfalls nach Abs. 3 erweiterten Bemessungsrahmen ausgeklammert. Ergibt sich ein Bemessungszeitraum mit 150 Tagen, wird dieser der weiteren Berechnung zu Grunde gelegt. Ist dies nicht der Fall, wird in einem nächsten Schritt der Bemessungsrahmen erweitert. Bereits erwähnt wurde die Möglichkeit, die Erweiterung des Bemessungsrahmens analog § 130 Abs. 3 Satz 2 SGB III nur auf Verlangen des Berechtigten vorzunehmen. Für den Fall der Klägerin muss dies jedoch nicht entschieden werden, weil jedenfalls der Bemessungsrahmen zu erweitern ist.

Die Klägerin erhielt seit der Geburt ihrer Tochter (unter Einbeziehung der Zeiten des angerechneten Mutterschaftsgeldes) 18 Monate Erziehungsgeld und in den restlichen Zeiten des Erziehungsurlaubes lediglich wegen der Höhe des Einkommens kein Erziehungsgeld. Sie erfüllte deshalb die Voraussetzungen nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 und 2 SGB III. Es kommt in ihrem Fall nicht darauf an, die Anwendbarkeit der Vorschrift mit ihrer Variante 3 für Zeiten der Kindererziehung vor Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes ohne Teilzeitbeschäftigung (Minderung der Arbeitszeit auf Null) zu klären. Die Kammer merkt insofern aber an, dass sie von einer Anwendbarkeit ausgehen würde, weil sich zu den Varianten 1 und 2 kein eine Ungleichbehandlung rechtfertigender wesentlicher Unterschied feststellen lässt.
Im Falle der Klägerin reichte der Bemessungsrahmen unter Aussparung der nach § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Var. 1 und 2 SGB III außer Betracht zu bleibenden Erziehungszeiten jedenfalls vom 15. September 2000 bis 30. Mai 2001 und vom 16. August bis 30. November 2005. In diesem Zeitraum befinden sich vollständige, abgerechnete Entgeltabrechnungszeiträume mit Arbeitsentgelt vom 1. Oktober 2000 bis 6. April 2001 und vom 16. August bis 30. November 2005 (insgesamt 295 Tage). Bezieht man die Zeit des Mutterschutzes in die Aufschubzeit mit ein, beginnt der Bemessungsrahmen am 1. August 2000 (Gesamtdauer 356 Tage) oder am 23. Juli 2000 (Gesamtdauer 365 Tage), wenn man den abgerechneten Juli 2000 insoweit einbezieht, wie er im Bemessungsrahmen liegt. Legt man diesen zuletzt erwogenen Bemessungszeitraum der Leistungsberechnung zugrunde ergibt sich ein gesamtes versicherungspflichtiges Bruttoentgelt von 49.321,69 EUR, woraus sich ein tägliches Bemessungsentgelt von 135,13 EUR errechnet, wie von der Klägerin beantragt. Sämtliche anderen Berechnungsweisen würden im Falle der Klägerin zu einem höheren Bemessungsentgelt führen, weil sie in den Monaten Juli bis September 2000, bezogen auf die anderen zu berücksichtigenden Monate, unterdurchschnittlich verdient hatte. Dem Antrag der Klägerin war deshalb stattzugeben.
Auf die Klärung der Fragen, inwieweit die Mutterschutzzeit vor der Geburt des Kindes im Rahmen des § 130 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB III zu berücksichtigen ist (im Hinblick auf die Entscheidung des BVerfG vom 28.03.2006 1 BvL 10/01 erscheint die im Gegensatz zur Vorgängerregelung erfolgte Ausklammerung aus der Schutzvorschrift verfassungsrechtlich bedenklich) und inwieweit nur voll im Bemessungsrahmen liegende Abrechnungszeiträume in die Leistungsberechnung einzubeziehen sind, kommt es deshalb angesichts des Klagebegehrens der Klägerin nicht an.

Hinsichtlich der Leistungshöhe hat die Beklagte die Steuerklasse II und den erhöhten Leistungssatz anzuwenden. Die Höhe der Leistung reduziert sich auch nicht wegen einer eventuellen Reduzierung der Verfügbarkeit der Klägerin, weil diese dem Arbeitsmarkt für vollschichtige Beschäftigungen zur Verfügung steht.
Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld, so dass sich auch insoweit kein Grund zur Abweisung des Klagebegehrens feststellen lässt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie berücksichtigt den Erfolg der Rechtsverfolgung.

Die Revision konnte wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen werden.

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