Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
Az.: 2 A 10492/07.OVG
Urteil vom 27.08.2007
In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Gewährung höherer kinderbezogener Gehaltsbestandteile hat der 2. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 27. August 2007 für Recht erkannt:
Die Berufung des Beklagten gegen das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz wird verworfen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger seinerseits Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Mit der Klage wird die Gewährung einer höheren Besoldung begehrt.
Der Kläger steht als Steuerhauptsekretär im Dienst des Beklagten. Er ist verheiratet und hat drei unterhaltsberechtigte Kinder. Im Jahre 2001 beanstandete er, dass die Höhe des Familienzuschlags für sein drittes Kind nicht den Anforderungen entspreche, die das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Alimentation kinderreicher Beamter aufgestellt habe und forderte eine entsprechende Erhöhung seiner Bezüge.
Nach Ablehnung dieses Antrags und erfolgloser Durchführung des Vorverfahrens hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20. November 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2001 zu verpflichten, ihm ab dem Kalenderjahr 2000 eine Besoldung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Bundesverfassungsgerichtsbeschlusses vom 24. November 1998 zu gewähren, d.h. insbesondere sicherzustellen, dass für das dritte Kind ein um 15 % über dem sozialhilferechtlichen Gesamtbedarf liegender Nettobetrag geleistet wird und den sich hieraus ergebenden Differenzbetrag zur gezahlten Besoldung mit 5 % über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes seit Rechtshängigkeit zu verzinsen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 11. November 2005 stattgegeben und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Entscheidungsformel des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. November 1998 bezogen. Danach haben Beamte mit mehr als zwei unterhaltsberechtigten Kindern einen Anspruch auf höhere Besoldung, falls diese in ihren familienbezogenen Bestandteilen für das dritte und jedes weitere Kind nicht zumindest einen Betrag in Höhe von 115 v. H. des durchschnittlichen sozialhilferechtlichen Gesamtbedarfs aufweise. Das sei für die mit der Klage geltend gemachten Jahre der Fall.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte die – vom Senat zuvor mit Beschluss vom 16. Mai 2007 zugelassene – Berufung eingelegt. In der dem Zulassungsbeschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrung wurde darauf hingewiesen, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach der – am 21. Mai 2007 erfolgten – Zustellung des Beschlusses zu begründen ist. Die vom Beklagten unter dem 20. Juni 2007 gefertigte Berufungsbegründung ging beim Gericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs am Freitag, dem 22. Juni 2007 ein.
Der Beklagte beantragt, ihm für den Fall der Fristversäumung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sowie das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2005 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit dem Kläger familienbezogene Besoldungsbestandteile für das Jahr 2000 zugesprochen worden sind.
Der mit der Prozessführung beauftragte Beamte habe den Schriftsatz vom 20. Juni 2007 noch am gleichen Tag per E-Mail im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das Gericht versandt. Wegen eines Ausfalls der elektronischen Datenverarbeitungsanlage der Behörde habe er jedoch keine Eingangsbestätigung mehr erhalten. Die an diesem Tage unterbliebene Übertragung des Schriftsatzes sei deshalb erst am 22. Juni 2007 bemerkt worden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Berufung zu verwerfen.
Er hält sie wegen der erst am 22. Juni 2007 erfolgten Begründung für unzulässig. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bestehen seiner Auffassung nach nicht. Auch in der Sache sei das angefochtene Urteil zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die vorgelegten Verwaltungsvorgängen des Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist als unzulässig zu verwerfen. Sie ist nicht, wie § 124 a Abs. 6 Satz 1 VwGO vorschreibt, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses vom 16. Mai 2007 begründet worden. Da dieser Beschluss dem Beklagten am 21. Mai 2007 zuging, lief die Berufungsbegründungsfrist am Donnerstag, dem 21. Juni 2007 ab (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung, 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch). Die erst am 22. Juni 2007 bei Gericht eingegangene Berufungsbegründung ist mithin verfristet.
Der vom Beklagten rechtzeitig gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist abzulehnen. Denn der Beklagte war nicht ohne Verschulden an der Einhaltung der vorgenannten Frist gehindert (§ 60 Abs. 1 VwGO).
Unverschuldete Fristversäumnis liegt vor, wenn dem Beteiligten nach den gesamten Umständen des konkreten Falles kein Vorwurf daraus zu machen ist, dass er die Frist versäumt hat. Für den Verschuldensmaßstab ist allein die Sorgfalt ausschlaggebend, die dem jeweiligen Prozessbeteiligten, seinem Vertreter oder seinem Verfahrensbevollmächtigten unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und aufgrund seiner persönlichen Verhältnisse zugemutet werden kann. Das Verschulden des § 60 Abs. 1 VwGO ist ein Verschulden gegen sich selbst, bezieht sich also auf eine Obliegenheit. Sie ist verletzt, wenn der Beteiligte in zurechenbarer Weise gegen seine eigenen Interessen handelt. Um diese Sorgfaltspflicht zu verletzen,genügt jede Art der Fahrlässigkeit. Stets müssen alle zumutbaren Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen getroffen werden; auch leichte Fahrlässigkeit ist schädlich (vgl. BVerwGE 50, 248 [254]; Bier, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO-Kommentar, Stand Februar 2007, § 60 Rn. 18 f.).
Am Sorgfaltsmaßstab sind bei einem Behördenvertreter keine geringeren Anforderungen wie bei einem Rechtsanwalt zu stellen (BVerwG, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176; NVwZ-RR 1996, 60). Bei der Anfertigung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsschriften handelt es sich auch grundsätzlich um eine eigenverantwortliche Tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten (BVerwG, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 175). Kurz vor Ablauf einer Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfrist bestehen erhöhte Sorgfaltspflichten, gerade auch im Hinblick auf die Absendung der entsprechenden Schriftsätze, die stets innerhalb der jeweiligen Frist beim Gericht eingehen müssen (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 166).
Die nach diesen Grundsätzen zu stellenden Sorgfaltsanforderungen hat der Beklagte fahrlässig verletzt. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Frist auf einem unabwendbaren Ereignis und nicht auf einem dem Beklagten zuzurechnenden Verschulden beruht. Aus diesem Grund ist die vom Senat zugelassene Berufung mit Ablauf des 21. Juni 2007 unzulässig geworden.
Die Anforderungen für die kurz vor Ablauf einer Frist (neben dem eigenhändigen Einwurf des Schriftstücks im Gerichtsbriefkasten) allein noch möglichen Übersendungen per Telefax oder im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs sind von der Rechtsprechung jedenfalls für den erstgenannten Übermittlungsweg geklärt. Danach muss die Übersendung eines Schriftsatzes per Telefax zunächst so rechtzeitig beginnen, dass unter normalen Umständen mit dem erfolgreichen Abschluss der Übertragung vor Fristende zu rechnen ist. Die an den Beteiligten zu stellenden Sorgfaltsanforderungen werden auch dann nicht gewahrt, wenn dieser nicht für eine wirksame Ausgangskontrolle des auf diesem Übertragungsweg versandten Schriftsatzes sorgt (vgl. BVerwG, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 251).
Zu dieser Überprüfung gehört die nachfolgende Kontrolle des nach der Übermittlung vom Fax-Gerät automatisch ausgedruckten sog. Sendeberichts, aus dem die Telefax-Anschlussnummer des Empfängers und die ordnungsgemäße Übersendung, insbesondere die Anzahl der übermittelten Seiten, ersichtlich werden (BVerwG, Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 286; OVG R-P, NJW 1994, 1815). Kommt die Verbindung wegen einer technischen Störung nicht zustande oder treten während des Übertragungsvorgangs andere erkennbare Unregelmäßigkeiten auf, hat ein Beteiligter alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die kurz vor dem Ablauf einer Frist unmittelbar drohende Unzulässigkeit des Rechtsmittels zu vermeiden (vgl. BGH, NJW 1995, 1431).
Bei einer Übermittlung von Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs gelten die gleichen Anforderungen wie bei der Übersendung per Telefax. Nach Absendung einer E-Mail des Beteiligten erhält dieser stets eine automatisch erstellte („generierte“) Eingangsbestätigung, aus der sich ersehen lässt, dass die E-Mail nebst Anlagen – die zumeist die in Rede stehenden Schriftsätze enthalten – beim Empfänger eingegangen ist. Das ist den am elektronischen Rechtsverkehr teilnehmenden Beteiligten auch bekannt. Die Eingangsbestätigung beim elektronischen Rechtsverkehr entspricht im Wesentlichen dem oben angesprochenen Sendebericht bei der Übersendung per Telefax. Für den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Wege erfolgenden Schriftverkehrs sind deshalb Erhalt und ordnungsgemäße Kontrolle der Eingangsbestätigung unabdingbar.
Diese Eingangsbestätigung lag dem Bevollmächtigten des Beklagten nach dem Absenden seiner E-Mail jedoch nicht vor. Auf den Erhalt konnte er vorliegend auch nicht deshalb verzichten, weil die EDV-Anlage an diesem Tag eine Fehlfunktion aufwies. Damit lag eine vom üblichen Ablauf der Versendung abweichende, atypische Situation vor. Diese unterscheidet sich nicht von einer technischen Störung, wie sie bei einer Übersendung per Telefax auch auftreten kann. In jedem Fall machte der Ablauf der Versendung konkrete Maßnahmen erforderlich, um das unmittelbar drohende Versäumen der Berufungsbegründungsfrist zu vermeiden. So hätte etwa durch telefonische Nachfrage bei der Geschäftsstelle des Senats geklärt werden können, ob die letzte vor dem Ausfall der elektronischen Datenverarbeitungsanlage vom Bevollmächtigten des Beklagten versandte E-Mail trotz des „Absturzes“ dieser Anlage auch tatsächlich beim Gericht eingegangen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708, 709 Zivilprozessordnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe in der in § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 Beamtenrechtsrahmengesetz genannten Art nicht vorliegen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungszulassungsverfahren auf 1.198,46 € und für Berufungsverfahren auf 231,06 € festgesetzt (§§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz).