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Empfangsbekenntnis – Verschulden eines Rechtsanwalts hinsichtlich einer falschen Fristberechnung


Bundesgerichtshof

Az: III ZR 202/13

Beschluss vom 19.09.2013


Anmerkung des Bearbeiters

Ein Rechtsanwalt muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Unterzeichnung eines Empfangsbekenntnisses die Richtigkeit der durch diese Handlung in Gang gesetzte und vom Büropersonal berechnete Frist, selbstständig überprüfen. Er darf sich insoweit nicht auf das gut ausgebildete, als zuverlässig erprobte und sorgfältig überwachte Büropersonal verlassen, da erhöhte Sorgfaltsanforderungen gelten.


Tenor

Der Antrag des Beklagten, ihm wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 12. April 2013 – 6 U 132/11 – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.


Gründe

Die Klägerin, eine Bank, nimmt den beklagten Notar auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Treuhandauftrags bei der Abwicklung eines Vertrags über den Erwerb einer Eigentumswohnung in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, während das Berufungsgericht den Beklagten zur Zahlung von 112.350 € nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Abtretung von Darlehensrückzahlungsansprüchen und Forderungen aus einer Grundschuldbestellung verurteilt hat. Das Berufungsurteil wurde den Prozessbevollmächtigten des Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 26. April 2013 zugestellt. Mit am 3. Juni 2013 beim Bundesgerichtshof eingegangenem anwaltlichen Schriftsatz hat der Beklagte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem zweitinstanzlichen Urteil eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Frist zur Vornahme dieser Prozesshandlung beantragt.

Zur Begründung hat er ausgeführt, am 26. April 2013 habe im Büro seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten die sorgfältig ausgebildete und überwachte, bislang stets zuverlässig arbeitende Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte M.  S.  zusammen mit einer Auszubildenden den Posteingang der Kanzlei bearbeitet. In diesem Büro sehe die allgemeine Anweisung zur Behandlung von Fristen vor, dass diese an insgesamt vier Orten zu notieren seien, und zwar im Fristenbuch, im elektronischen Fristenkalender, auf dem Aktenvorblatt und auf dem in der Handakte befindlichen Schriftstück selbst. Beiden Mitarbeiterinnen sei am 26. April 2013 der Fehler unterlaufen, an allen Orten statt des 27. Mai 2013 den 26. Juni 2013 als Datum des Ablaufs der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (jeweils mit Vorfrist zum 19. Juni 2013) zu notieren. Dies sei erst aufgefallen, als das Sekretariat die Akte am 29. Mai 2013 zur anwaltlichen Bearbeitung vorgelegt habe.

Das rechtzeitig angebrachte und begründete Wiedereinsetzungsgesuch bleibt ohne Erfolg. Der Beklagte war nicht, wie es nach § 233 ZPO erforderlich ist, ohne Verschulden gehindert, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 Abs. 1 Satz 2 ZPO) einzuhalten. Gemäß § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Partei ihrem eigenen gleich. Die Fristversäumnis beruht nicht lediglich auf einem dem Beklagten nicht zuzurechnenden Verschulden der Kanzleiangestellten seiner Rechtsanwälte. Vielmehr haben diese die Versäumung der Frist selbst schuldhaft mitverursacht.

1. Zwar darf die Berechnung und Notierung einfacher Fristen grundsätzlich dem gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen werden (vgl. st. Rspr., z.B. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 – VII ZB 95/08, NJW 2011, 1080 Rn. 9 mwN). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedarf es aber, wenn – wie regelmäßig und auch hier – eine gerichtliche Entscheidung gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wird, eines besonderen Vermerks in den Handakten, wann die Zustellung erfolgt ist, da nicht der Eingangsstempel, sondern das Datum, unter dem das Empfangsbekenntnis unterzeichnet ist, für den Beginn einer Rechtsmittelfrist maßgeblich ist (BGH, Beschlüsse 12. Januar 2010 – VI ZB 64/09, NJW-RR 2010, 417 Rn. 9 und vom 17. September 2002 – VI ZR 419/01, NJW 2002, 3782). Um zu gewährleisten, dass ein solcher Vermerk angefertigt wird und das maßgebende Datum zutreffend wiedergibt, darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung nur unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass diese im Fristenkalender notiert worden ist (z.B.: BGH aaO sowie Beschlüsse vom 2. Februar 2010 – VI ZB 58/09, NJW 2010, 1080 Rn. 6 und vom 26. März 1996 – VI ZB 1, 2/96, NJW 1996, 1900, 1901 jew. mwN). Bescheinigt der Rechtsanwalt den Empfang eines ohne Handakten vorgelegten Urteils, so erhöht sich die Gefahr, dass die Fristnotierung unterbleibt oder unzutreffend ist und dies erst nach Fristablauf bemerkt wird. Um dieses Risiko auszuschließen, muss der Anwalt, falls er sich die mit dem entsprechenden Vermerk versehene Handakte nicht sogleich nachreichen lässt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Dezember 2012 – III ZB 47/12, juris Rn. 7 a.E. und vom 22. September 2011 – III ZB 25/11, BeckRS 2011, 24117 Rn. 8 a.E. mwN) oder er nicht selbst unverzüglich die notwendigen Eintragungen in der Handakte und im Fristenkalender vornimmt, durch eine besondere Einzelanweisung die erforderlichen Notierungen veranlassen. Auf allgemeine Anordnungen darf er sich in einem solchen Fall nicht verlassen (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2010 aaO).

Weiterhin hat der Rechtsanwalt, dem die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung zur Bearbeitung vorgelegt wird, die Einhaltung seiner Anweisung zur Berechnung und Notierung laufender Rechtsmittelfristen einschließlich deren Eintragung in den Fristenkalender eigenverantwortlich zu prüfen, wobei er sich grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken darf (Senatsbeschlüsse vom 20. Dezember 2012 aaO Rn. 7 und vom 22. September 2011 aaO Rn. 8), dies aber auch erforderlich ist.

2. Auf der Grundlage der allein maßgeblichen Angaben in der Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs (vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. Dezember 2012 aaO Rn. 9 und vom 24. Juni 2010 – III ZB 63/09, BeckRS 2010, 16574 Rn. 14) hat der Beklagte ein für die Fristversäumnis ursächliches Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten nicht ausräumen können. Bei Beachtung der vorstehend dargestellten Pflichten wären die von den Kanzleiangestellten vorgenommenen unrichtigen Fristeintragungen rechtzeitig bemerkt und korrigiert worden.

a) In Betracht kommt zunächst und vor allem, dass dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis von vornherein zusammen mit der Handakte vorgelegt wurde. Dann war er, da die Vorlage im Zusammenhang mit einer (künftigen) fristgebundenen Prozesshandlung stand, nach den oben zitierten Entscheidungen des Senats (Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 aaO Rn. 7 und vom 22. September 2011 aaO) zur Überprüfung der Berechnung und Eintragung der Rechtsmittelfrist verpflichtet. Bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte er hierbei bemerkt, dass diese unzutreffend ermittelt oder notiert war, und die Berichtigung veranlassen können.

b) Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass  die Handakte des Verfahrens dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt bei Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses für das Berufungsurteil nicht vorlag.

 Dann hätte er sie sich entweder sogleich nachreichen lassen müssen. In diesem Fall gilt das gleiche wie bei der sofortigen Vorlage dieser Akte.

Oder er hätte die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde auch ohne Vorlage der Handakte selbst berechnen und anschließend an den entsprechenden Stellen selbst eintragen oder dies durch eine Einzelanweisung an sein Büropersonal sicherstellen müssen. In beiden Fällen wäre der vorangegangene Fristberechnungsfehler aufgefallen und korrigiert worden. Hierzu ist jedoch nichts vorgetragen.

c) Ein anderer Geschehensablauf, bei dem die Fristversäumnis nicht auf einem Pflichtenverstoß der Prozessbevollmächtigten des Beklagten beruhte, ist nicht ersichtlich.


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