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Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Bundesarbeitsgericht

Az: 5 AZR 514/06

Urteil vom: 14.03.2007


In Sachen hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Beratung vom 14. März 2007 für Recht erkannt:

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25. April 2006 – 5 Sa 494/05 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der 1965 geborene Kläger war seit dem 4. Januar 1993 als Aufzugsmonteur bei der Beklagten beschäftigt. Sein Stundenlohn betrug zuletzt 8,69 Euro bei einer Arbeitszeit von 40 Stunden/Woche.

Der Kläger war vom 10. Mai 2004 bis zum 15. März 2005 wegen somatophoner Störungen arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete ab dem 10. Mai 2004 Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen. Nach vorübergehender Arbeitsfähigkeit bestand seit dem 25. April 2005 infolge derselben Krankheit erneut Arbeitsunfähigkeit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Oktober 2005. Der Kläger bezog Krankengeld iHv. 30,97 Euro kalendertäglich.

Der Kläger verlangt Entgeltfortzahlung für weitere sechs Wochen ab dem 11. Mai 2005. Während der erneuten Arbeitsunfähigkeit habe nach Ablauf der Frist von zwölf Monaten ein weiterer Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen begonnen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 2.085,60 Euro brutto abzüglich Krankengeld iHv. 1.300,74 Euro nebst 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz ab dem 1. Juni 2005 auf 1.042,80 Euro sowie 5 % Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz ab dem 1. Juli 2005 auf 1.042,80 Euro zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Für den geltend gemachten Anspruch fehlt es an einer Grundlage.

I. Da der Kläger im Streitzeitraum unstreitig infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war, die auch schon zur Arbeitsunfähigkeit ab dem 10. Mai 2004 geführt hatte, kann sich ein Entgeltfortzahlungsanspruch nur aus § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG ergeben. Die Voraussetzungen dieser Norm sind nicht erfüllt.

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG verliert der Arbeitnehmer, wenn er infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird, wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Entgeltfortzahlungsanspruch des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2). Diese Bestimmung regelt die Entgeltfortzahlung für Fortsetzungserkrankungen abschließend, wenn der Arbeitnehmer für die betreffende Erkrankung bereits einen Anspruch auf sechswöchige Entgeltfortzahlung hatte. Der Arbeitnehmer, der infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird, behält den Entgeltfortzahlungsanspruch für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nur, wenn er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

2. Der Kläger war infolge derselben Krankheit bis zum 15. März 2005 und so- dann ab dem 25. April 2005 arbeitsunfähig. Vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit lag also ein Zeitraum von weniger als sechs Monaten (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG).

3. Der Kläger wurde am 25. April 2005 infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, ohne dass seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit am 10. Mai 2004 eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen war (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EFZG). Der Anspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EFZG setzt demgegenüber voraus, dass der Arbeitnehmer nach Ablauf der Zwölf-Monats-Frist erneut arbeitsunfähig wird. Die Bestimmung greift nicht ein, wenn der Arbeitnehmer schon vorher erneut arbeitsunfähig wird und die Arbeitsunfähigkeit über den Ablauf der Zwölf-Monats-Frist hinaus bestehen bleibt.

a) Diese Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes. Die Worte „Wird der Arbeitnehmer … arbeitsunfähig“ stellen auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit ab.

Das Wort „wenn“ legt die Annahme nahe, für den Fall des Ablaufs der Frist solle die erneute Arbeitsunfähigkeit berücksichtigt werden. Nur wenn beides zusammentrifft, entsteht ein weiterer Sechs-Wochen-Zeitraum der Entgeltfortzahlung. Hätte der Gesetzgeber statt dessen einen neuen Anspruch allgemein mit dem Ablauf der Zwölf-Monats-Frist begründen wollen, hätte er ohne die bezeichnete Verknüpfung formulieren können: „Bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch nach Ablauf von zwölf Monaten für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen.“

b) Dieses Verständnis wird durch den Zusammenhang von § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 EFZG bestätigt. Nr. 1 stellt eindeutig auf den Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit ab. Der erneut arbeitsunfähig werdende Arbeitnehmer muss mindestens sechs Monate ohne Arbeitsunfähigkeit infolge der betreffenden Krankheit geblieben sein. Dann liegt es nahe, Nr. 2 ebenso auszulegen: Der Anspruch besteht nur, wenn zwischen dem Beginn der ersten und dem der neuen Arbeitsunfähigkeit zwölf Monate vergangen sind.

c) Die Anknüpfung an den Eintritt einer erneuten Arbeitsunfähigkeit wird dem Zweck des § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EFZG gerecht. Das Gesetz mutet dem Arbeitgeber zu, dem Arbeitnehmer jeweils in einem Zeitraum von zwölf Monaten für sechs Wochen Entgeltfortzahlung wegen ein und derselben Krankheit zu gewähren. Nach Ablauf von zwölf Monaten fällt die Sperre weg und beginnt ein neuer Anspruch (BAG 9. November 1983 – 5 AZR 204/81 – BAGE 44, 234, 240). Der neue Zwölf-Monats-Zeitraum braucht sich aber nicht unmittelbar an den vorangegangenen anzuschließen. Er beginnt erst mit Eintritt der nächsten Arbeitsunfähigkeit. Abzustellen ist darauf, wann der Arbeitnehmer nach Ablauf der Sperrfrist erneut wegen derselben Krankheit arbeitsunfähig geworden ist (BAG 9. November 1983 – 5 AZR 204/81 – BAGE 44, 234, 241). Der Sinn dieser Regelung besteht darin, neu auftretende Fälle einer Arbeitsunfähigkeit dann von dem Grundsatz auszunehmen, dass je Krankheit nur einmal für sechs Wochen Entgeltfortzahlung geleistet wird, wenn ein ausreichend langer Zeitraum vergangen ist. Dann wird der Zusammenhang zwischen der neuen Arbeitsunfähigkeit und dem Grundleiden als nicht mehr erheblich angesehen. Dem entspricht es, dass § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG im Falle einer fortdauernden mehr als ein Jahr andauernden Arbeitsunfähigkeit keinen weiteren Entgeltfortzahlungsanspruch vorsieht.

d) Die dem Wortlaut folgende Auslegung wird im Ergebnis überwiegend auch vom Schrifttum vertreten (Schmitt EFZG 5. Aufl. 2005 § 3 Rn. 249 f.; Geyer/Knorr/Krasney Entgeltfortzahlung Krankengeld Mutterschaftsgeld Stand Juni 2006 § 3 EFZG Rn. 208; Kaiser/Dunkl/Hold/Kleinsorge 5. Aufl. 2000 § 3 EFZG Rn. 178; Marienhagen/Künzl Entgeltfortzahlung Stand August 2004 § 3 EFZG Rn. 59 c; Münch-KommBGB/Müller-Glöge 4. Aufl. § 3 EFZG Rn. 72; HWK/Schliemann 2. Aufl. 2006 § 3 EFZG Rn. 125; Kasseler Handbuch/Vossen 2. Aufl. 2000 Bd. 1 2.2 Rn. 152; Müller/Berenz Entgeltfortzahlungsgesetz 3. Aufl. 2001 § 3 Rn. 102; Vossen Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen 1997 Rn. 221; Worzalla/Süllwald Kommentar zur Entgeltfortzahlung 2. Aufl. 1998 § 3 Rn. 73). Allein auf das Vorliegen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit unabhängig von deren Beginn und auf den Ablauf der Zwölf-MonatsFrist abzustellen (so ErfK/Dörner 7. Aufl. 2007 § 3 EFZG Rn. 90; Vogelsang Entgeltfortzahlung 2003 Rn. 204; Feichtinger/Malkmus EFZG 2003 § 3 Rn. 235; Kunz/Wedde EFZR 2. Aufl. 2005 § 3 Rn. 152; Wedde/Gerntke/Kunz/Platow EFZG 2. Aufl. 1997 § 3 Rn. 106; Treber EFZG 2005 § 3 Rn. 136), ist demgegenüber nicht vorzugswürdig.

II. Der Kläger hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

Bundesgerichtshof

Urteil vom:

08.11.2007

Aktenzeichen:

III ZR 102/07

Rechtsgebiet(e):

BGB, ProstG

Vorschriften:

BGB § 138 Abs. 1, ProstG § 1

Eingestellt am:

11.12.2007

Entgeltforderungen für die Erbringung, Vermittlung und Vermarktung von sogenannten Telefonsexdienstleistungen kann seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) nicht mehr mit Erfolg der Einwand der Sittenwidrigkeit entgegengehalten werden.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

III ZR 102/07

Verkündet am:
8. November 2007

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Wurm, Dr. Herrmann, Wöstmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 14. März 2007 teilweise aufgehoben und das Urteil der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Heidelberg vom 31. Januar 2006 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils der 11. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Heidelberg vom 18. Oktober 2005 wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.962,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. April 2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird das Versäumnisurteil aufrechterhalten.

Die weitergehende Berufung der Beklagten bleibt zurückgewiesen.

Die weitergehende Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszugs haben die Klägerin zu 5/6 und die Beklagte zu 1/6 zu tragen. Die Klägerin hat jedoch die Kosten ihrer Säumnis allein zu tragen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 6/10 und die Beklagte 4/10 zu tragen.

Die Kosten des Revisionsrechtszugs haben die Klägerin zu 4/10 und die Beklagte zu 6/10 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte befasst sich mit der Vermarktung von Telekommunikationsmehrwertdiensten. Sie vermittelt unter anderem mit ihrer technischen Ausrüstung Informationsanbietern Telefonate mit deren Kunden.

Die Klägerin unterstützte die Beklagte bei der Vermarktung der Kurzwahl 118… und einer Mehrwertdienstenummer, die mit der Ziffernfolge 0190 begann. Unter diesen Nummern wurden sogenannte Telefonsexleistungen erbracht. Für jede Telefonminute sollte die Klägerin von der Beklagten 1,17 EUR beziehungsweise 1,19 EUR erhalten. Unter der Kurzwahlnummer 118… war die Klägerin auch als Inhalteanbieter tätig. Als Vergütung hierfür waren 1,22 EUR pro Telefonminute vereinbart. Die Entgelte sollten der Klägerin jedoch nur zustehen, wenn und soweit die Vergütung über ein drittes Unternehmen von den jeweiligen Kunden einbringlich war.

Umgekehrt sollten der Beklagten von der Klägerin pro Minute bestimmte Beträge für die Nutzung der technischen Ausrüstung, sogenannte outbounds sowie für von der Beklagten vermittelte und nicht von der Klägerin erbrachte „Beratungsleistungen“ gutgebracht gebracht werden.

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Die Klägerin hat ihrer Auffassung nach noch offene Zahlungsansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht, die das Landgericht in Höhe von 15.164,99 EUR für begründet erachtet hat. Die Berufung der Beklagten hat nur teilweise Erfolg gehabt. Das Oberlandesgericht hat die erstinstanzliche Entscheidung im Umfang von 10.551,09 EUR bestätigt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Revision ist zulässig auch, soweit die Beklagte nicht nur den Grund des vom Berufungsgericht zuerkannten Anspruchs angreift, sondern auch dessen Höhe. Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Klägerin die Revision nicht nur eingeschränkt auf den Anspruchsgrund zugelassen.

Zwar kann die Zulassung der Revision auf Teile des Streitstoffs eingeschränkt werden, über die in einem besonderen Verfahrensabschnitt durch Teil- oder Zwischenurteil entschieden werden kann (z.B. BGHZ 76, 397, 398 f; BGH, Urteile vom 5. November 2003 – VIII ZR 320/02 – NJW-RR 2004, 426, 427; vom 8. Dezember 1998 – VI ZR 66/98 – NJW 1999, 500; Senatsurteil vom 7. Juli 1983 – III ZR 119/82 – NJW 1984, 615, insoweit nicht in BGHZ 88, 85 abgedruckt). Insbesondere kann bei einem nach Grund und Betrag streitigen Klageanspruch die Revision auf Fragen beschränkt werden, die allein die Höhe der geltend gemachten Forderung berühren (BGHZ aaO S. 399; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1998; Senatsurteil vom 7. Juli 1983 jeweils aaO) oder nur den Anspruchsgrund betreffen (BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 – VIII ZR 259/81 – NJW 1982, 2380 f), da in solchen Fällen der Rechtsstreit vom Tatrichter durch ein Zwischenurteil nach § 304 ZPO in ein Grund- und ein Betragsverfahren zerlegt werden kann (z.B. BGHZ aaO; BGH, Urteil vom 8. Dezember 1998 aaO). Ob er tatsächlich ein Grundurteil erlassen hat, ist unerheblich (BGH aaO).

Allerdings muss sich die Beschränkung der Revisionszulassung klar und eindeutig aus dem Berufungsurteil ergeben (z.B. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1998 aaO und Senatsurteil vom 7. Juli 1983 aaO). Daran fehlt es hier. Der Entscheidungssatz des angegriffenen Urteils enthält eine uneingeschränkte Zulassung. Zwar kann sich eine Beschränkung auch allein aus den Entscheidungsgründen ergeben (z.B. BGH, Urteile vom 17. Juni 2004 – VII ZR 226/03 – NJW 2004, 3264, 3265 und vom 12. November 2003 – XII ZR 109/01 – NJW 2004, 1324 m.w.N.). Jedoch ist hier den Gründen des Berufungsurteils nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit eine Beschränkung der Revisionszulassung zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, „da die Sache im Hinblick auf die Auswirkungen des ProstG auf andere Verträge, die der Unterstützung eventuell sittenwidrigen Handelns dienen sollen, über den Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung hat“. Diese vergleichsweise knappe Begründung lässt nicht erkennen, ob das Berufungsgericht hiermit lediglich seine im Tenor unbeschränkt ausgesprochene Revisionszulassung (unvollkommen) begründet hat oder ob es darüber hinausgehend den Streit der Parteien über die Anspruchshöhe von der Nachprüfung in der Revisionsinstanz ausschließen wollte.

II.

Die Revision ist teilweise begründet.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt (OLGR Karlsruhe 2007, 322), Verträge über die Bewerbung und Vermittlung von Telefonsexgesprächen seien nicht wegen Sittenwidrigkeit unwirksam, so dass der Anspruch der Klägerin dem Grunde nach bestehe. Von der Summe, die das Landgericht der Klägerin zuerkannt habe, seien 4.613,90 EUR in Abzug zu bringen, weil eine bislang nicht eingerechnete Zahlung der Beklagten in dieser Höhe zweitinstanzlich unstreitig geworden sei. Im Übrigen aber seien weitere von der Beklagten behauptete Zahlungen nicht zu berücksichtigen, weil das Landgericht seiner Berechnung die Salden der Beklagten zugrunde gelegt habe und ihre eigene Abrechnung schon nicht die von ihr behaupteten höheren Beträge ergebe. Soweit die Beklagte Nachberechnungen für sogenannte Fremdberaterkosten geltend mache, seien diese nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Gleiches gelte für die von der Beklagten gegengerechneten Gebühren für Maschinennutzung.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

a) Mit Recht ist das Berufungsgericht aber davon ausgegangen, dass die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge nicht gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sind, obgleich sie die Vermarktung und die Vermittlung sogenannter Telefonsexdienstleistungen zum Gegenstand haben.

Dies entspricht der in der Literatur herrschenden Meinung (Armbrüster NJW 2002, 2763, 2764; ders. in MünchKommBGB, 5. Aufl., 2006, § 1 ProstG Rn. 25; Staudinger/Sack [2003] § 138 Rn. 453 S. 411; wohl auch Bamberger/Roth/Wendtland, BGB, 2. Aufl., 2007, § 138 Rn. 68; Palandt/Heinrichs, 66. Aufl., 2007, § 138 Rn. 52a; a.A: Erman/Palm, BGB, 11. Aufl., 2004, § 138 Rn. 158) und der bereits durch die Senatsentscheidungen vom 4. März 2004 (BGHZ 158, 201) und vom 16. November 2006 (III ZR 58/06 – NJW 2007, 438) vorgezeichneten Linie. In seinem Versäumnisurteil vom 22. November 2001 (III ZR 5/01 – NJW 2002, 361) hat der Senat noch offen gelassen, ob Verträge über die Erbringung von sogenanntem Telefonsex im Hinblick auf die mittlerweile gewandelten Anschauungen in der Gesellschaft noch als sittenwidrig anzusehen sind (anders noch: BGH, Urteil vom 9. Juni 1998 – XI ZR 192/97 – NJW 1998, 2895, 2896). Er hat jedoch bereits darauf hingewiesen, dass jedenfalls nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens betreffend das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG – beschlossen am 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3983, in Kraft getreten am 1. Januar 2002) eine Neubewertung erforderlich sein werde (aaO, S. 361 f).

Nachdem dieses Gesetz in Kraft getreten ist, steht Entgeltansprüchen für die Erbringung von Telefonsexdienstleistungen selbst, aber auch für die Vermarktung und Vermittlung dieser Leistungen, nicht mehr der Einwand der Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB entgegen. Zwar regelt § 1 ProstG unmittelbar lediglich die Wirksamkeit von Forderungen auf ein Entgelt, das für die Vornahme sexueller Handlungen vereinbart wurde. Jedoch ergeben die dem Gesetz zugrunde liegende Wertung (vgl. Armbrüster, jeweils aaO) und der Wandel der Anschauungen in der Bevölkerung (vgl. hierzu Begründung des Entwurfs des ProstG BT-Drucks. 14/5958 S. 4; ferner OLG Köln MMR 2001, 43, 44; LG Frankfurt am Main NJW-RR 2002, 994), dass auch Forderungen auf Entgelt für die Erbringung, Vermarktung und Vermittlung von Telefonsexdienstleistungen nicht mehr an § 138 Abs. 1 BGB scheitern, mögen diese Geschäfte auch weiterhin mit einem Makel in ethisch-moralischer Hinsicht behaftet sein. Kann für die Ausübung der „klassischen“ Prostitution eine wirksame Entgeltforderung begründet werden, muss dies für den sogenannten Telefonsex und die in diesem Zusammenhang zu erbringenden Vermarktungs- und technischen Dienstleistungen erst recht gelten. Beim sogenannten Telefonsex handelt es sich mangels unmittelbaren körperlichen Kontakts der Beteiligten um weniger anstößige Vorgänge als bei der Prostitution im engeren Sinn.

Von der Wirksamkeit der im Zusammenhang mit sogenanntem Telefonsex begründeten Entgeltansprüche ist der Senat bereits in seinem Urteil vom 4. März 2004 (aaO S. 205) ausgegangen, ohne dies jedoch näher auszuführen. Er hat in dieser Entscheidung unter Bezugnahme auf das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten klargestellt, dass sich im Ergebnis an der Berechtigung der Entgeltforderung eines Telefonsexanbieters gegen einen Telefonanschlussinhaber nichts ändert, obgleich sich der Senat dort von der in dem Versäumnisurteil vom 22. November 2001 (aaO) vertretenen Auffassung distanziert hat, nach der die Erbringung der Verbindungsdienstleistung für ein sogenanntes Telefonsexgespräch lediglich ein wertneutrales Hilfsgeschäft ist und deshalb der Entgeltforderung des Netzbetreibers nicht die seinerzeit noch in Betracht gezogene Sittenwidrigkeit des Vertrages mit dem Inhalteanbieter entgegengesetzt werden konnte. Eine entsprechende Klarstellung enthält auch das Urteil vom 16. November 2006 (aaO S. 439 Rn. 17), durch das der Senat seine frühere Rechtsprechung zum Ausschluss von Einwendungen gegenüber dem Netzbetreiber aus dem Verhältnis zwischen dem Kunden und dem Inhalteanbieter schließlich aufgegeben hat.

b) Begründet ist die Revision jedoch, soweit die Beklagte rügt, die Vorinstanzen hätten – abgesehen von der erst im Berufungsverfahren unstrittig gewordenen Leistung vom 5. Mai 2003 über 4.613,90 EUR – nicht von Zahlungen an die Klägerin lediglich in Höhe von 66.588,64 EUR ausgehen dürfen.

Die Klägerin hat nach ihren eigenen Ausführungen von der Beklagten Zahlungen in Höhe von insgesamt 71.176,75 EUR erhalten. Die Summe der in der Klageschrift auf Seiten 8 und 9 unter der Nummer 4 aufgeführten Zahlungen beträgt 59.555,45 EUR. Soweit die Klägerin den Gesamtbetrag demgegenüber mit 54.996,39 EUR beziffert hat, handelt es sich um einen Additionsfehler. Zu den 59.555,45 EUR kommen hinzu die Leistungen vom 12. März 2002 (5.091,81 EUR), vom 17. April 2003 (500,44 EUR) und vom 20. Februar 2005 (6.029,05 EUR), die die Klägerin mit Schriftsätzen vom 30. Mai 2005 (dort S. 3) und vom 27. September 2005 zugestanden hat. Dies ergibt insgesamt 71.176,75 EUR und entspricht bis auf 90 Cent dem von der Beklagten in der Klageerwiderung vom 1. März 2005 (dort S. 7 b-d) vorgetragenen Gesamtbetrag von 71.177,65 EUR. Die verbleibende geringfügige Differenz geht zu Lasten der Beklagten, die für den Umfang, in welchem sie die Forderungen der Klägerin erfüllt hat, darlegungs- und beweispflichtig ist. Für den überschießenden Betrag von 90 Cent hat sie keinen Beweis erbracht.

Dementsprechend ist die vom Berufungsgericht zuerkannte Forderung um 4.588,11 EUR (Differenz zwischen 66.588,64 EUR und 71.176,75 EUR) auf 5.962,98 EUR zu reduzieren.

c) Unbegründet ist die Revision hingegen, soweit die Beklagte geltend macht, das Berufungsgericht habe unzutreffend ihre Berechtigung zu weiteren Abzügen gemäß der Nachberechnung der Fremdberaterkosten für die „Applikation VF 6“ in Höhe der Rechnungen vom 17. März 2003 verneint.

aa) Jedenfalls die Erwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht dargelegt, ob die insoweit abgerechneten Fremdgespräche auch allesamt von den Telefonkunden bezahlt wurden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Das Berufungsgericht hat hierbei die Vereinbarung der Parteien in Übereinstimmung mit der von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgetragenen Auffassung dahingehend ausgelegt, dass die Beklagte der Entgeltforderung der Klägerin Vergütungen für Fremdleistungen und Maschinennutzung – gewissermaßen spiegelbildlich – nur dann entgegensetzen könne, wenn und soweit die hierfür angefallenen Kundenentgelte einbringlich seien. Dies hält sich im Rahmen des dem Tatrichter bei der Auslegung von Individualabreden zustehenden Spielraums. Das Revisionsgericht darf die Auslegung individualvertraglicher Erklärungen lediglich daraufhin überprüfen, ob sie gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze nicht beachtet (z.B.: Senatsurteile vom 2. Februar 2006 – III ZR 61/05 – WM 2006, 871, 872 und vom 5. Oktober 2006 – III ZR 166/05 – NJW 2006, 3777 Rn. 13) oder ob Verfahrensvorschriften verletzt sind (z.B. BGH, Urteil vom 25. Februar 1992 – X ZR 88/90 – NJW 1992, 1967, 1968 m.w.N.). Derartige Fehler sind dem Berufungsgericht nicht unterlaufen.

Die Revision macht zu Unrecht geltend, das Berufungsgericht habe unter Verstoß gegen § 286 ZPO ihren Vortrag nicht hinreichend berücksichtigt, die für die Fremdleistungen und die Maschinennutzung entstehenden Kosten fielen in jedem Fall an. Dieser Umstand bedeutet nicht, dass das wirtschaftliche Risiko des Forderungsausfalls zwingend die Klägerin treffen muss. Dies gilt hinsichtlich der Drittleistungen bei der „Beratung“ insbesondere auch deshalb, weil die Klägerin – nicht bestritten – vorgetragen hat, die Beklagte habe mit den Agenturen, die die Fremdleistungen bereit hielten, ebenfalls die Abrede getroffen, dass eine Vergütung nur insoweit zu zahlen sei, als die Entgeltforderungen einbringlich seien. Ob diese Drittagenturen ihren „Beraterinnen“ gleichwohl ein Entgelt schulden und sie damit das Forderungsausfall- und Amortisationsrisiko trifft, ist für das Verhältnis zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits wirtschaftlich und rechtlich ohne Bedeutung.

bb) Unbegründet ist auch die Rüge der Revision, das Berufungsgericht hätte darauf hinweisen müssen, dass die Beklagte im Schriftsatz vom 28. Juli 2006 die Vergütung für die Fremdleistungen und das Entgelt für die Maschinennutzung verwechselt habe. Es kann auf sich beruhen, ob das Berufungsgericht annehmen musste, es handele sich um einen Irrtum der Beklagten, der zu einem Hinweis gemäß § 139 Abs. 1 ZPO Veranlassung gebe. Die Beklagte hätte, wie sie mit der Revision geltend macht, hierauf lediglich vorgebracht, die Klägerin schulde die Vergütung für die Fremdleistungen unabhängig von der Realisierung der Forderungen gegenüber den Telefonkunden, weil anderweitige Abreden nicht bestanden hätten und keine „Beraterin“ bereit sei, das Forderungsausfallrisiko mitzutragen, was im Übrigen auch mit § 1 Satz 1 ProstG nicht vereinbar sei. Dies hatte sie jedoch bereits im Wesentlichen vorgetragen. Aus diesem Vorbringen folgt jedoch nicht, dass die Klägerin das Forderungsausfallrisiko im Verhältnis der Parteien tragen sollte (siehe oben aa).

Kammergericht Berlin

Urteil vom:

18.12.2006

Aktenzeichen:

2 U 13/06

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB §§ 812 ff.

Eingestellt am:

05.12.2007

Die bei der Rückabwicklung eines Kfz-Kaufs nach §§ 812 ff. BGB durchzuführende Saldierung der beiderseitigen Bereicherungsposten hat spätestens auf den Tag der letzten mündlichen Verhandlung zu erfolgen. Ein Urteil, das nicht einen Saldobetrag ausweist, sondern den Verkäufer zur Rückzahlung des Kaufpreises „abzüglich“ eines vom Käufer herauszugebenden, nach einem Betrag von X Euro je gefahrene 1.000 km auf den Zeitpunkt der Rückgabe des Fahrzeugs erst noch zu berechnenden Nutzungswerts verpflichtet, ist mangels Bestimmtheit nicht vollstreckbar.

Kammergericht
Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer:
2 U 13/06

verkündet am:
18. Dezember 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstr. 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 04.12.2006 durch den Richter am Kammergericht Dittrich als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 20.12.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 3 des Landgerichts Berlin -3 O 52/05- teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.078,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2006 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des PKW VW Golf IV, Fahrzeug-Ident.-Nr. WVWZZZ1JZXB013795.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des genannten Fahrzeugs in Verzug befindet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben die Beklagte 6/7 und die Klägerin 1/7 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Die Berufung der Beklagten richtet sich gegen das am 20.12.2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 3 des Landgerichts Berlin, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird. Zu ergänzen ist, dass zweitinstanzlich unstreitig geworden ist, dass die Klägerin den Kaufpreis am 18.10.2001 gezahlt hat.

Die Beklagte trägt zur Begründung ihrer Berufung vor:

Das Landgericht hätte nicht im frühen ersten Termin entscheiden dürfen, sondern der Beklagten gemäß § 275 Abs. 3 ZPO eine Klageerwiderungsfrist setzen und Haupttermin anberaumen müssen. Mangels Klageerwiderungsfrist sei ihr erstinstanzlich jegliche Rechtsverteidigung abgeschnitten worden. Der Vortrag im Prozesskostenhilfe-Verfahren sei für den folgenden Rechtsstreit unbeachtlich. Die Sache sei daher wegen eines gravierenden Verfahrensverstoßes (hilfsweise) zurückzuverweisen.

Die Zurückweisung des Bestreitens der Beklagten im Termin am 29.11.2005 in Bezug auf die Aktivlegitimation der Klägerin für einen Verwendungsersatzanspruch über 1.041,76 EUR nach §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO sei fehlerhaft erfolgt.

Arglist der Beklagten in Bezug auf einen Unfallschaden habe das Landgericht zu Unrecht angenommen. Der tatsächliche Umfang des angeblich gravierenden und bagatellisierten Schadens sei nie festgestellt oder auch nur näher aufgeklärt worden. Da die Beklagte erstinstanzlich stets behauptet hatte, dass die vermeintliche Reparaturrechnung der Fa. Gnnn (K 2) „fingiert“ sei, hätte das Landgericht die Klägerin zur näheren Darlegung der Reparaturarbeiten und zu einem Beweisantritt auffordern müssen. Mangels eigener Kenntnis der Beklagten „über Art und Umfang eines Vorschadens“ komme Arglist nicht in Betracht. Das Landgericht habe versäumt, über die von der Klägerin behauptete Aufklärung der Beklagten durch den Vorbesitzer Dr. Nnnnn Beweis zu erheben.

Die Beklagte trägt erstmals in der Berufungsbegründung (Seite 8) vor, dass sie im Zuge des (auf Grund eines Rahmenvertrags erfolgten) Ankaufs des Fahrzeugs von der Vnnnnn GmbH bei einer Untersuchung keine reparierten Unfallschäden habe feststellen können. Bei Ankauf habe die Leasinggeberin ihr auch keine merkantile Wertminderung gutgebracht. Der Unfall sei „tatsächlich nie eingetreten“.

Soweit erstinstanzlich von einem Frontschaden gesprochen worden sei, habe dies auf einer Fehlvorstellung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten beruht. Der Hinweis des (erstinstanzlich vernommenen) Zeugen Wnnn auf eine erneuerte Stoßfängerverkleidung habe sich auf einen geplatzten hinteren Stoßfänger bezogen, dessen Beschädigung bei Ankauf des PKW festgestellt worden und sodann behoben worden sei. Die Klägerin müsse Front- und Heckschaden „verwechselt“ haben.

Das Landgericht habe insofern unrichtig tenoriert, als es Zinsen nicht nur auf den Betrag zugesprochen habe, der sich nach Verrechnung der im Zeitpunkt der Rückgabe ermittelten Nutzungsentschädigung ergebe, sondern auf Beträge von 9.663,42 EUR bzw. 10.106,00 EUR. Nach § 347 BGB n.F. sei eine Verzinsung ab Kaufpreiszahlung nicht mehr vorzunehmen. Nutzungen habe die Beklagte aus der Zahlung nicht gezogen.

Das Landgericht habe Beweis über den Erhaltungszustand des Fahrzeugs und das Nichtvorliegen von Unfällen in der Besitzzeit der Klägerin erheben müssen.

Die Anfechtungsfrist des § 124 BGB sei nicht gewahrt, da die Klägerin Nachforschungen bei dem Vorhalter nach Art und Umfang von Unfallschäden sogleich nach dem 15.10.2001 fahrlässig unterlassen habe.

Hinsichtlich der Bewertung der Aussage des Zeugen Snnnn könne dem Landgericht nicht gefolgt werden, da es aller Lebenserfahrung entspreche, dass ein zum Kauf hinzu gezogener als Kfz-Mechaniker Auszubildender „entsprechende Nachforschungen“ anstelle.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 20.12.2005 -3 O 52/05- abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und weist insbesondere darauf hin, dass die Beklagte den Eintritt eines erheblichen Unfallschadens erstinstanzlich eingeräumt habe. Sie behauptet unter Vorlage schriftlicher Bestätigungen, den Aufwand über 1.041,76 EUR getragen zu haben.

Der Senat hat die Parteien unter dem 02.11.2006 auf rechtliche Bedenken gegen die Ersatzfähigkeit der Verwendungen über 1.041,76 EUR hingewiesen.

B.

Die zulässige Berufung (§§ 517, 519, 520 ZPO) ist nur teilweise begründet.

I. 1) Das vorliegende Berufungsverfahren ist durch das berufungsrechtliche Verschlechterungsverbot (§ 528 ZPO) und den Umstand einer Berufungseinlegung nur durch die Beklagte nicht etwa dahin beschränkt, dass lediglich eine Änderung des landgerichtlichen Tenors zum Nachteil der Klägerin möglich sei. Das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers greift nicht, wenn das angegriffene Urteil -etwa gerade auch infolge einer im Wege der Teilabweisung vorgenommenen Beschränkung der Leistungspflicht- eine unbestimmte und nicht vollstreckbare Verurteilung ausspricht. Denn dann ist es nicht nur im Umfang der Verurteilung, sondern auch in seinem Gegenstück, nämlich hinsichtlich der Klageabweisung, völlig unbestimmt und kann insgesamt keine Rechtswirkungen erzeugen, was von Amts wegen zu beachten ist. Der falsche Tenor ist insgesamt zu korrigieren (s. BGH NJW-RR 1996, 659).

So liegt es hier. Das landgerichtliche Urteil verpflichtet die Beklagte (der Sache nach) zur Zahlung von höchstens 7.226,35 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz von 9.663,42 EUR seit dem 15.10.2001 und von weiteren 442,58 EUR seit dem 14.11.2004. Die Höhe des Zahlbetrags soll davon abhängen, welcher Betrag für von der Klägerin gezogene Nutzungen im ungewissen Zeitpunkt der Rückabwicklung („laut Tacho bei Übergabe an die Beklagte“) bei Ansatz von 78,48 EUR je 1.000 gefahrene Km anzurechnen sei. Bereits diese Konstruktion, die das Landgericht im Wege der „Teilabweisung“ vorgenommen hat, nimmt dem Tenor die erforderliche Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und Vollstreckbarkeit. Diese setzt voraus, dass Inhalt und Umfang der Leistungspflicht aus dem Titel selbst zu entnehmen sind (vgl. BGH a.a.O.; BGHZ 125, 41 ff = NJW 1994, 3221, 3222; NJW 1993, 324, 325). Daran fehlt es hier, da nur ein Maximalbetrag ausgewiesen ist und der exakte Umfang der Verpflichtung erst anhand von Umständen errechnet werden muss, die nicht im Urteil vorgegeben sind. Die Ermittlung der berechtigten Klageforderung kann nicht den Vollstreckungsorganen überlassen werden. Im Übrigen ist bereits im Ansatz nicht erkennbar, wer die entscheidende Feststellung des Tachostands treffen soll, wenn es -auf Grund der Feststellung des Annahmeverzugs im Tenor zu 2., §§ 756, 765 ZPO- eines tatsächlichen Angebots des PKW gar nicht bedarf.

Die Unbestimmtheit betrifft auch den Zinsanspruch. Bereits der Klageantrag -der insoweit Eingang in den Tenor gefunden hat- war teilweise unbestimmt, da es für Zinsen, die auf einen die Hauptforderung von 7.226,35 EUR übersteigenden Betrag gefordert wurden, an einem Endzeitpunkt fehlte; dass mit Zahlung von 7.226,35 EUR auch der Zinslauf auf den höheren Betrag enden sollte, war dem Antrag nicht zu entnehmen. Nachdem das Landgericht den Tenor jedoch insgesamt und auch zur Hauptforderung unbestimmt gefasst hat, wird davon der gesamte Zinsanspruch betroffen. Denn es ist nun unklar, wie und auf welchen Zeitraum die Zinsen berechnet werden sollen, wenn bei Rückabwicklung eine Hauptforderung nicht mehr besteht, da die Klägerin insoweit anzurechnende Nutzungen gezogen hat.

2) Ausgangspunkt der Prüfung in der Berufung ist somit der erstinstanzliche Klageantrag.

Dieser ist, wie dargelegt, in Bezug auf einen Teil des Zinsanspruchs wegen fehlenden Endzeitpunkts nicht hinreichend bestimmt i.S. von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Jedoch ist dies in der vorliegenden Situation unschädlich, da bei der vorzunehmenden Saldierung unter Einbeziehung der Zinsen (s.u.) die Bestimmtheit insoweit hergestellt ist.

II. Die Berufung hat nur insoweit Erfolg, als das Landgericht der Klägerin auch einen Verwendungsersatzanspruch in Höhe von 1.041,76 EUR zuerkannt hat und die Klägerin in ihrer Klageforderung anrechenbare Nutzungen lediglich in Höhe von 3.478,83 EUR (und nicht in Höhe von 3.902,83 EUR) berücksichtigt hat.

1) Das Landgericht hat ein Durchgreifen der Arglistanfechtung der Klägerin zutreffend festgestellt.

a) Entgegen der Ansicht der Beklagten setzt Arglist nicht voraus, dass der Verkäufer eigene Kenntnis von „Art und Umfang des Vorschadens“ hat. Arglist liegt bereits vor, wenn der Verkäufer auf die Frage nach Unfallfreiheit des PKW ohne tatsächliche Anhaltspunkte und damit „ins Blaue“ eine unrichtige Antwort gibt, anstatt auf das Fehlen eigener Kenntnis hinzuweisen (vgl. BGHZ 63, 382 ff = NJW 1975, 642, 645; NJW 1981, 1441, 1442; NJW 1982, 1699; BGHZ 168, 64 ff = NJW 2006, 2839, 2840). Arglist liegt auch bei einer (in Kauf genommenen) Bagatellisierung eines Unfallschadens vor.

So liegt es nach der vor dem Landgericht durchgeführten Beweisaufnahmer hier.

Die Äußerung des Verkäufers Wnnn auf Frage nach Vorschäden, dass bei einer Reparatur im Frontbereich nur die Stoßfängerbekleidung ausgewechselt worden sei, ist dort bewiesen worden. Die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 286 ZPO) ist angesichts der klaren Aussage des Zeugen Snnnn und der Unergiebigkeit der Aussage des Zeugen Wnnn nicht zu beanstanden. Rechtsfehler zeigt auch die Berufung nicht auf, so dass diese Feststellung auch in zweiter Instanz zugrunde zu legen ist (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Der bloße Hinweis, dass „Nachforschungen“ durch den Zeugen Snnnn (gemeint ist wohl: eine Besichtigung der Unfallstelle am Fahrzeug) der Lebenserfahrung entsprächen, lässt nicht erkennen, in welcher Hinsicht sich daraus eine Unrichtigkeit der Beweiswürdigung des Landgerichts ergeben soll, zumal der Zeuge angegeben hat, dass er die Frontschürze (offenbar ohne Hebebühne) angesehen, jedoch keine Auffälligkeiten entdeckt habe. Die in der Berufungsinstanz neu aufgestellte Behauptung, der Zeuge Wnnn habe sich nicht zu einem Frontschaden geäußert, sondern zu einem hinteren Stoßfänger, widerspricht dem Ergebnis der Beweisaufnahme.

Die Angabe des Verkäufers zum Umfang des Frontschadens entsprach jedoch nicht den Tatsachen und erfolgte ins Blaue, da das Fahrzeug im Frontbereich einen erheblichen Unfallschaden erlitten hatte, der über eine Erneuerung der Stoßfängerbekleidung deutlich hinaus ging. Der Versuch der Beklagten, in der Berufungsinstanz das Vorliegen aufklärungspflichtiger Unfallschäden zu bestreiten, bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hatte erstinstanzlich vorgetragen, dass unfallbedingt der Kotflügel vorne rechts, die Windschutzscheibe, die Sicherheitsgurte und Airbags ausgetauscht werden, das Radhaus vorne instandgesetzt und die Fahrzeugfront rückverformt werden mussten. Die Beklagte hatte dies erstinstanzlich nicht substantiiert bestritten, nämlich zunächst überhaupt nicht (in der Klageerwiderung vom 05.10.2005 war auf den Schriftsatz vom 02.03.2005 im Prozesskostenhilfeverfahren verwiesen worden, wo „erhebliche Unfallschäden“ ausdrücklich zugestanden und nur eine Bagatellisierung bestritten worden war), und sodann lediglich in den Schriftsätzen vom 27.10.2005 und (ohnehin nicht nachgelassen) vom 07.12.2005 von einer „fingierten“ Reparaturrechnung und einem daher unklaren und unbelegten Schadensumfang gesprochen. Auf die nur zur Ergänzung des Klagevorbringens vorgelegte Reparaturrechnung kam es jedoch unmittelbar überhaupt nicht an, insbesondere nicht etwa darauf, ob Unfallschäden ordnungsgemäß von einem autorisierten Fachbetrieb oder sonst wie behoben worden waren. Ein substantiiertes Bestreiten der konkret vorgetragenen Unfallschäden selbst war in der Auseinandersetzung mit der Rechnung daher nicht zu erblicken, zumal die Beklagte den Widerspruch zu ihrem früheren Vortrag, der in einem Bestreiten jeglichen Unfallschadens (über eine Beschädigung der Stoßfängerverkleidung hinaus) gelegen hätte, nicht erklärte. Das Landgericht hat damit zu Recht davon abgesehen, den von der Klägerin benannten Vorbesitzer Dr. Nnnnn zum Umfang des Unfalls zu vernehmen.

Soweit die Beklagte in der Berufungsbegründung (Seite 9) nunmehr vorträgt, dass der der Rechnung angeblich zugrunde liegende Unfall „tatsächlich nie eingetreten“ sei, stellt dies ein neues und (sofern überhaupt substantiiertes) jedenfalls nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO in zweiter Instanz nicht mehr zuzulassendes Bestreiten dar. Der Beklagten stand es von Beginn des Prozesses an frei, das Vorliegen eines Unfalls zu bestreiten. Sie richtete ihre Rechtsverteidigung jedoch anders aus, und stellte nur eine Bagatellisierung und ihre Arglist in Abrede. Ohne Widerspruch der Beklagten wurde noch im Termin am 29.11.2005 eine Beweiserhebung über die Behauptung der Beklagten angeordnet, ihr Verkäufer habe darauf hingewiesen, „dass es sich bei dem Vorschaden des VW Golf um einen erheblichen Unfallschaden gehandelt habe“. Das Unterlassen eines konkreten Bestreitens des Unfallschadens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz beruhte auf Nachlässigkeit, da hierzu -bei entsprechendem Willen- hinreichend Anlass und Gelegenheit bestanden hätte. Das Bestreiten ist auch nicht nur infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden (§ 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Aus § 275 Abs. 2, 3 ZPO folgt nicht, dass das Landgericht einen weiteren Termin unter Setzung einer Klageerwiderungsfrist anberaumen musste. Denn der Rechtsstreit war im frühen ersten Termin am 29.11.2005 entscheidungsreif und konnte damit „abgeschlossen“ werden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 275 Rn 5). Damit erübrigte sich auch die Frage einer weiteren Fristsetzung nach § 275 Abs. 3 ZPO. Das Unterlassen einer Fristsetzung bzw. Aufforderung nach § 275 Abs. 1 ZPO vor dem frühen ersten Termin war vorliegend unschädlich. Es erfolgte erkennbar vor dem Hintergrund der bereits im Prozesskostenhilfeverfahren gewechselten Schriftsätze, und die Beklagte hat auf die Klage unter dem 05.10.2005 -durch Bezugnahme auf ihr Vorbringen im Prozessksotenhilfeverfahren- erwidert. Von einem Abschneiden der Verteidigungsmöglichkeit kann daher keine Rede sein.

b) Die Anfechtungserklärung vom 04.11.2004 war rechtzeitig. Die Jahresfrist nach § 124 BGB beginnt mit positiver Kenntnis von der Täuschung, vorliegend also vom Vorliegen eines erheblichen Unfallschadens. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Getäuschte bereits länger als ein Jahr vor seiner Anfechtungserklärung Kenntnis von der Täuschung hatte, trifft den Anfechtungsgegner (BGH NJW 1992, 2346, 2348). Die Beklagte hat hierfür nichts vorgetragen. Auf die (nicht genutzte) Möglichkeit, sich Kenntnis durch Nachforschungen beim Vorbesitzer zu verschaffen, kommt es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht an.

2) Folge der Anfechtung ist die Rückabwicklung des Kaufvertrags unter beiderseitiger Rückgewähr der empfangenen Leistungen nach §§ 812 I 1 Alt. 1, 818 Abs. 1-3 BGB.

a) Dabei begründen die beiderseitigen Vermögensverschiebungen (grundsätzlich) keine eigenständigen Herausgabeansprüche. Es besteht vielmehr von vornherein nur ein einheitlicher Anspruch auf Herausgabe des Überschusses der Aktiv- über die Passivposten, der dem Teil zusteht, zu dessen Gunsten sich ein Saldo errechnet (BGHZ 145, 52 ff = NJW 2000, 3064 m.N.). Eine Saldierung hat grundsätzlich auch stattzufinden, wenn eine Rückabwicklung nach Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erfolgt, es sei denn, die Interessen des Getäuschten stehen einer Saldierung entgegen (insbesondere bei Unvermögen der Rückgabe der Kaufsache), vgl. BGH a.a.O., S. 3065; ein solcher Ausnahmefall liegt hier jedoch nicht vor. Die Saldierung führt zu einer Verrechnung sämtlicher Zahlungsansprüche, und zwar unter Einbeziehung der beiderseits gezogenen Nutzungen (vgl. BGH a.a.O., S. 3065; NJW 1995, 454, 454; Finkenauer, NJW 2004, 1704, 1705).

Eine Saldierung noch nicht abgeschlossener Vorgänge wie der beiderseitigen Nutzungsziehung kann freilich nur auf einen bestimmten Stichtag erfolgen. Der grundsätzlich maßgebliche und zugleich spätestmögliche Zeitpunkt für die Berechnung ist der Tag der letzten mündlichen Verhandlung (s. Bamberger/Roth/Wendehorst, BGB, § 818 Rn 41 und zur gleich liegenden Frage einer Schadensberechnung BGH NJW 2004, 444, 445 und NJW 1996, 2652, 2654: letzte mündliche Verhandlung als prozessual spätest möglicher Zeitpunkt).

Klageantrag und Tenor erster Instanz beachten das Erfordernis einer Saldierung nicht. Der Tenor des landgerichtlichen Urteils weist keinen Zahlungssaldo aus, sondern nur die Elemente einer Saldierung (Kaufpreisrückzahlung; Verwendungsersatz; Verzinszung des Kaufpreises einerseits und Nutzung des PKW andererseits). Auch der Antrag der Klägerin unterlässt, die Verzinszung des Kaufpreises in die Saldierung einzubeziehen. Die nach dem Gesagten prozessual und materiell erforderliche Saldierung ist vom Senat, bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 04.12.2006, nachzuholen.

Zu ihren Bestandteilen gilt:

b) Der Kaufpreis ist von der Beklagten auch ohne Nutzungsziehung (§ 818 Abs. 1 BGB) gemäß §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4,142 Abs. 2, 166 BGB i.V.m. §§ 291, 288 BGB ab Empfang mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, da sie die Anfechtbarkeit des Vertrags kannte. Zu den allgemeinen Vorschriften zählt auch § 291 BGB (Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl., § 818 Rn 52). Für die Einbeziehung der Rechtshängigkeitszinsen in die Saldierung kann nichts anderes gelten als bei einem zinsförmigen Nutzungsherausgabeanspruch nach § 818 Abs. 1 BGB, zumal zwischen beiden Zinsen eine Anrechnung zu erfolgen hätte (vgl. BGH NJW 1998, 2529, 2531).

Aus § 347 BGB, der den Wertersatz für nicht gezogene Nutzungen im Rücktrittsrecht regelt, ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nichts gegen eine Zinspflicht nach den §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291 BGB.

Auf Grund der unstreitigen Kaufpreiszahlung am 18.10.2001 hat die Verzinsung ab dem 19.10.2001 zu erfolgen. Der in die Saldierung einzubehiehende Zinsbetrag beläuft sich danach bis zum 04.12.2006 auf 3.317,65 EUR.

c) Unbegründet ist die Klage auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von 1.041,76 EUR, die die Klägerin nach ihrer Behauptung im Zusammenhang mit der Nutzung des Fahrzeugs hatte. Ausweislich Seite 5/6 der Klageschrift handelt es sich um folgende Aufwendungen:

Rechnungsdatum|Art|Betrag
02.08.2002|Erneuerung Bremsbeläge|55,89 EUR
01.11.2002|Ein- und Ausbau Temperaturgeber|56,67 EUR
20.12.2002|Winterreifen inkl. Montage|200,87 EUR
12.04.2003|Zahnriemen, Kühlmittelpumpe|462,31 EUR
24.05.2003|Montage und Auswuchten Reifen|89,26 EUR
15.07.2003|AU-Service|35,29 EUR
|Hauptuntersuchung|40,99 EUR
01.12.2003|Stabi-Lager Ein- und Ausbau|55,36 EUR
30.04.2004|Bremsklötze|40,92 EUR
07.05.2004|Ölfilter|4,20 EUR
||1.041,76 EUR

aa) Der Auffassung des Landgerichts, dass sich ein Ersatzanspruch aus § 994 Abs. 1 BGB ergebe, kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn es sich -was insbesondere bei den Winterreifen zweifelhaft ist- um notwendige Verwendungen handelte, fehlt es bereits an einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Auch wenn man annimmt, dass die Anfechtung des Kaufvertrags wegen ihrer Rückwirkung zum Fehlen des Besitzrechts der Klägerin führte, fehlt es jedenfalls an einer Anfechtung auch der Übereignung an sie (§ 929 BGB), weshalb es dabei bleibt, dass sie selbst im Zeitpunkt der Verwendungen Eigentümerin war. Eine Anfechung auch der Übereignungserklärung ist vom Landgericht nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich. Sofern etwa Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn 1721 ausführen, dass die Arglistanfechtung „meist“ auch das dingliche Geschäft erfasse, kann dem nicht zugestimmt werden. Auf Grund des Abstraktionsprinzips bleibt das dingliche Erfüllungsgeschäft bei Anfechtung des Kausalgeschäfts grundsätzlich unberührt (Staudinger/Roth, BGB, Neubearbeitung 2003, § 142 Rn 21). Anders ist es insbesondere, wenn der täuschungsbedingte Irrtum auch das Erfüllungsgeschäft erfasst und auch dessen Anfechtung nach § 123 BGB rechtfertigt (sog. „Fehleridentität“, vgl. Staudinger a.a.O., Rn 22; Palandt/Heinrichs, a.a.O., Überbl. § 104 Rn 23). Das ist in Bezug auf die Hingabe der Leistung des Getäuschten (Kaufpreiszahlung des getäuschten Käufers, s. BGHZ 58, 257 ff = NJW 1972, 872) anzunehmen. Es besteht jedoch kein Grund für die weitere Annahme, dass der Käufer auch die erhaltene Leistung, also das Eigentum am Fahrzeug, aufgeben und sich damit freiwillig zu einem Nichtberechtigten machen will, der mit der Sache nicht mehr nach Belieben verfahren (§ 903 BGB) darf.

bb) Eine Berücksichtigung der Aufwendungen als Aktivposten im Rahmen eines Bereicherungssaldos ist nicht möglich, da es sich (im Wesentlichen) um gewöhnliche Erhaltungskosten in Form von Reparaturen etc. handelt, die den Wert des Fahrzeugs nicht gesteigert haben, so dass ein Anspruch nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB (vgl. BGH NJW 1999, 2890, 2892) nicht besteht.

In Bezug auf die Winterreifen könnte zwar noch eine Werterhöhung bestehen, jedoch ist nicht erkennbar, dass Winterreifen Gegenstand des Kaufvertrags der Parteien waren. Das aus eigenen Stücken angeschaffte Zubehör ist in die Rückabwicklung daher nicht einzubeziehen. Die Klägerin kann es auch gesondert veräußern.

cc) Somit stellt sich die Frage, ob die Aufwendungen wegen einer entreichernden Wirkung (§ 818 Abs. 3 BGB) wenigstens als Passivposten zugunsten der Klägerin in die Saldierung einzubeziehen sind. Teilweise wird angenommen, dass der Kraftfahrzeugkäufer gegenüber dem Nutzungsherausgabeanspruch des Verkäufers auch gewöhnliche Erhaltungskosten, die er vor Kenntnis des Anfechtungsgrunds aufgewendet hat, mindernd in Ansatz bringen könne (OLG Oldenburg DAR 1993, 467, 468; Reinking/Eggert, a.a.O., Rn 1722 -die dort in Bezug genommene Entscheidung BGH NJW 1998, 989, 991, in der „Aufwendungen auf die Sache“ mindernd berücksichtigt wurden, betraf jedoch einen Immobilienkauf).

Diese allein Kausalitätsgesichtspunkte berücksichtigende Sicht greift jedoch zu kurz. Bei dem Bereicherungsausgleich gilt der Grundsatz, dass der sich auf Entreicherung Berufende nicht besser stehen soll, als er ohne das rückabzuwickelnde Geschäft stünde (vgl. Bamberger/Roth/Wendehorst, BGB, § 818 Rn 48 und Rn 69).

Wer eine bewegliche Sache -wie ein Kfz- kauft, trifft eine gänzlich andere Investitionsentscheidung als ein Mieter. Kommt es zur Rückabwicklung des Kaufvertrags, kann er daher hinsichtlich der Gebrauchsvorteile nicht so behandelt werden, als hätte er die Sache gemietet; vielmehr hat er nur den „Wertverzehr“ herauszugeben, der durch seine Nutzung an der Sache entstanden ist und dessen Eintritt in seinem Vermögen er infolge der Rückabwicklung erspart hat (s. BGH NJW 2006, 1582, 1583 m.N.). Dem Käufer wird also -entgegen einer älteren Rechtsprechung- die Stellung eines Mieters durch Berechnung des Nutzungswerts nach dem grundsätzlich höheren üblichen Mietzins nicht „untergeschoben“ (vgl. dazu MüKo/Lieb, BGB, 4. Aufl., § 818 Rn 15).

Wird die Investitionsentscheidung des Käufers aber im Rahmen der Rückabwicklung berücksichtigt, dann muss dies zur Vermeidung einer Besserstellung auch in Bezug auf die Lasten der Sache gelten. Es muss dann auch dabei bleiben, dass er als Eigentümer für die Dauer seiner Nutzung die gewöhnlichen Erhaltungskosten und Lasten zu tragen hat (in diese Richtung Staudinger/Lorenz, BGB, Neub. 1999, § 818 Rn 37; s. nunmehr die Erwägungen in BGH NJW 2006, 1582, 1585, die -allerdings für den Fall der schadensersatzrechtlichen Rückabwicklung eines Grundstückskaufvertrags- auf einen Gleichlauf von Investitionsentscheidung und Lastentragung hinaus laufen).

Hiernach kann die Klägerin die Kosten über 1.041,76 EUR nicht im Wege der Saldierung auf die Beklagte abwälzen. Es handelt sich um gewöhnliche Erhaltungskosten und Lasten, die ein Eigentümer für seine Nutzungsmöglichkeit (anders als ein Mieter nach § 536 BGB) aufzubringen hat. Auch soweit es sich nicht um ohnehin periodische Aufwendungen (HU und AU; Montage von Winterreifen) handelt, also bei den Reparaturkosten, kommt eine Zurechnung zur Beklagten nicht in Betracht, da es sich der Art nach um jederzeit mögliche Schadensfälle handelt, deren Behebung zum laufenden Unterhalt des Fahrzeugs zu rechnen ist. Bei der Anschaffung der Winterreifen handelte es sich bereits um keine Aufwendung auf die Kaufsache (vgl. oben).

d) Zugunsten der Beklagten ist ins Saldo die von der Klägerin durch Gebrauch gezogene Nutzung (§ 818 Abs. 1, 2 BGB) einzustellen, die nach dem sog. „Wertverzehr“ zu berechnen ist (BGH NJW 1996, 250, 252; NJW 2006, 1582, 1583) und sich bei Kraftfahrzeugen nach der Kilometerleistung bemisst (BGH NJW 1995, 2159, 2161). Gegen die im Rahmen von § 287 ZPO vom Landgericht angewandte Formel (0,75 % des Kaufpreises je gefahrene 1.000 km) werden auch von der Beklagten keine Bedenken erhoben.

Je gefahrene 1.000 km sind somit 72,48 EUR anzusetzen. Bis zum 04.12.2006 ist von einer Nutzung durch die Klägerin von 97.926 km ./. 44.079 km (Tachostand bei Kaufvertrag) = 53.847 km auszugehen, so dass der Nutzungswert (53.847 km x 72,48 EUR/1.000 =) 3.902,83 EUR beträgt. Zwar hat die Beklagte die Angabe des Kilometerstands der Klägerin mit 53.847 km per 04.12.2006 mit Nichtwissen bestritten.

Das ist jedoch nicht hinreichend, da die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für eine weitergehende Nutzung trifft. Es besteht kein Anlass, dem Bereicherungsschuldner die Beweislast für eine von ihm geltend gemachte Minderung des Saldos abzunehmen (BGH NJW 1999, 1181 f.).

e) Per 04.12.2006 ergibt sich danach folgender Zahlungssaldo zugunsten der Klägerin:

Kaufpreis|9.663,42 EUR
+ Zinsen auf Kaufpreis|3.317,65 EUR
./. Nutzungen PKW|3.902,83 EUR
|9.078,24 EUR

3) Auf den sich ergebenden Saldo sind gemäß §§ 291, 288 BGB Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.12.2006 zu zahlen. Dies hält sich im Rahmen des Klageantrags (§ 308 ZPO), mit dem Zinsen auf den Gesamtkaufpreis seit 15.10.2001 begehrt wurden. Auch stellt sich die Frage eines Doppelansatzes von Zinsen nicht, da der Saldo -bei Bildung eines Untersaldos der Zinsen mit den höheren Nutzungen- keinen Zins auf den Kaufpreis enthält.

3) Annahmeverzug der Beklagten in Bezug auf die Rücknahme des Fahrzeugs ist vom Landgericht zutreffend festgestellt worden. Die Berufung der Beklagten rügt insoweit auch nichts.

III. Mangels eines erstinstanzlichen Verfahrensmangels und wegen Entscheidungsreife des Rechtsstreits kam eine Zurückverweisung auf den Hilfsantrag der Beklagten (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, ausgehend von einem Streitwert beider Instanzen von je 10.544,00 EUR und einem Unterliegen der Klägerin in Bezug auf die Abweisung des Verwendungsersatzanspruchs über 1.041,76 EUR und den Ansatz weiterer mindernder Nutzungen von 424,00 EUR (3.902,83 EUR ./. 3.478,83 EUR).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Revisionszulassungsgründe nach § 543 Abs. 2 ZPO lagen nicht vor, und konnten insbesondere von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch nicht dargetan werden. Allenfalls hinsichtich der Abweisung in Höhe von 1.041,76 EUR (Verwendungen) konnte eine Revisionszulassung erwogen werden. Jedoch ergibt sich der Ausschluss der Anrechnung gewöhnlicher Erhaltungskosten bei Rückabwicklung des Kaufvertrags mit hinreichender Klarheit aus allgemeinen Grundsätzen des Bereicherungsrechts und höchstrichterlich (wenn auch in anderem Zusammenhang) anerkannten Erwägungen, so dass eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wegen einer klärungsbedürftigen Frage nicht anzuerkennen ist.

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom:

26.11.2007

Aktenzeichen:

2 Ss OWi 757/07

Eingestellt am:

05.12.2007

Durch eine vom Tatrichter verwandte Formulierung, in der die hinsichtlich der für die Identifizierung des Betroffenen bedeutsamen Lichtbilder aufgeführt worden sind und mitgeteilt wird, dass hinsichtlich der Lichtbilder eine „in Augenscheinnahme“ statt-gefunden hat und in der auf den Fundort der Lichtbilder in der Akte hingewiesen wird, ist nicht mit der nötigen Deutlichkeit klargestellt, dass das Lichtbild bzw. die Licht-bilder gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zum Inhalt der Urteilsurkunde gemacht werden sollen.

OBERLANDESGERICHT HAMM
BESCHLUSS

2 Ss OWi 757/07 OLG Hamm
Bußgeldsache

gegen V.M
wegen fahrlässiger Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 29. August 2007 hat der 2. Senat für Buß-geldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 11. 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht Hagen zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeits-überschreitung zu einer Geldbuße in Höhe von 175 Euro verurteilt, ein Fahrverbot von einem Monat verhängt und von der Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG Gebrauch gemacht. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die-ser die Verletzung materiellen Rechts gerügt hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 349 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen.

II.
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 21. Juli 2007 mit seinem Pkw die BAB A 45 befahren hat. Gemessen wurde in Höhe Kilometer 38,800 auf-grund einer Radarmessung mit dem Gerät Typ Multanova VR 6 F eine Geschwindig-keit von 144 km/h, obwohl dort die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur 100 km/h betrug. Der Betroffene hat sich in der Hauptverhandlung dahin eingelassen, nicht er sei gefahren, sondern sein Bruder, der auf einem überreichten Passfoto zu sehen sei. Das AG ist jedoch von der Täterschaft des Betroffenen ausgegangen und hat dazu u.a. ausgeführt: „Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Be-troffene, sowie aufgrund der in Augenscheinnahme des Betroffenen in der Hauptver-handlung, der Fotos Blatt 1 A der Akte sowie dem Doppelpassfoto vom Betroffenen und einem weiteren Passfoto seines Bruders aus Hülle Bl. 35 d.A., den vom Sach-verständigen gefertigten Fotos Bl. 43 d.A. sowie dem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. S.“ Sodann setzt sich das angefochtene Urteil mit dem Sachverständigengutachten auseinander.

III.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Ha-gen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil seine Gründe materiell-rechtlich unvollständig sind und es dem Rechtsbeschwerdegericht daher nicht – als Ergebnis seiner Nachprüfung – die Feststellung ermöglicht, dass es rechtsfehlerfrei ergangen ist (§ 267 StPO).

Im Fall der Täteridentifizierung eines Betroffenen müssen die Urteilsgründe so ab-gefasst sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung möglich ist, ob ein Messfoto bzw. Radarfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Ausreichend ist es hierfür, dass in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug genommen wird, wodurch das Foto zum Bestandteil der Urteilsgründe wird und vom Rechtsbeschwerdegericht dann zur Prüfung der Frage, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist, selbst in Augenschein genommen werden kann. Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch und ist das Foto zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Be-schreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich (vgl. BGHSt 41, 376; stän-dige Rechtsprechung aller Obergerichte, zuletzt u.a. OLG Düsseldorf NZV 2007, 254 = VRR 2007, 194 = VA 2007, 49 = VRS 112, 43; OLG Hamm, Beschl. v. 21. August 2007 – 3 Ss OWi 464/07; vgl. die weiteren Nachweise aus der Rechtsprechung bei Gübner in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, Rn. 1464 ff.). Eine Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO muss aber deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein (vgl. BGH, a.a.O.; OLG Düs-seldorf, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.). Die bloße Mitteilung der Fundstelle in den Akten sowie der Hinweis, die Abbildung sei in der Hauptverhandlung in Augenschein ge-nommen worden, genügen nicht (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, a.a.O.; siehe auch noch OLG Köln NJW 2004, 3274 mit weiteren Nachweisen; OLG Dresden DAR 2000, 279; OLG Brandenburg NStZ-RR 1998, 240; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 = VRS 95, 232 mit weiteren Nachweisen). Dadurch wird lediglich der Beweis-erhebungsvorgang beschrieben wird, nicht aber der Wille zum Ausdruck gebracht wird, das Radarfoto zum Bestandteil der Urteilsurkunde zu machen.

Durch die hier vom Tatrichter verwandten Formulierungen, mit denen die hinsichtlich der für die Identifizierung des Betroffenen bedeutsamen Lichtbilder aufgeführt wor-den sind, – „in Augenscheinnahme“ und Hinweis auf den Fundort der Lichtbilder in der Akte – ist nicht mit der nötigen Deutlichkeit klargestellt, dass das Lichtbild bzw. die Lichtbilder zum Inhalt der Urteilsurkunde gemacht werden sollten. Vielmehr ist lediglich der Beweiserhebungsvorgang als solcher beschrieben werden. Auch die Anführung des Fundortes des jeweiligen Lichtbildes in der Akte ergibt nicht zweifels-frei die Bezugnahme auf das in der Akte befindliche Foto in dem Sinne, dass es ge-mäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO selbst zum Urteilsgegenstand werden soll. Fehlt es aber an der deutlichen und zweifelsfreien Inbezugnahme des Fotos, kann das Rechtsbeschwerdegericht die Abbildung aus eigener Anschauung nicht würdigen und ist daher auch nicht durch in der Lage zu beurteilen, ob die Lichtbilder als Grund-lage einer Identifizierung tauglich sind (vgl. BGH a.a.O.). Etwas anderes folgt vor-liegend nicht etwa daraus, dass der Tatrichter seine Überzeugung etwa allein auf das Sachverständigengutachten gestützt habe. Denn aus den Ausführungen des an-gefochtenen Urteils folgt, dass das „Fahrerfoto Bl. 1 a der Akten“ ebenfalls Grundlage der Überzeugungsbildung des Tatrichters von der Fahrereigenschaft des Betroffenen gewesen ist.

Sieht der Tatrichteraber von einer Verweisung gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO ab, so genügt es nicht, wenn er nur – wie hier – das Ergebnis seiner Überzeugungs-bildung mitteilt, und auch nicht, dass er ggf. die zur Identifizierung herangezogenen abstrakten Merkmale auflistet, was vorliegend noch nicht einmal geschehen ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität, insbesondere zur Bild-schärfe, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identi-fizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenschaften so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. BGH NJW 1996, 1420; BayObLG NZV 2000, 48; OLG Frankfurt NZV 2002, 137; OLG Hamm NZV 2000, 428; instruktiv OLG Düsseldorf, a.a.O.). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Amtsgericht hat weder den Betroffenen noch seinen Bruder beschrieben und dargelegt, warum es davon überzeugt, dass der Betroffene und nicht der Bruder der Fahrer gewesen ist, sondern lediglich Ausführungen zum Sachverständigengutachten gemacht.

Wegen dieses Darstellungsmangels war das angefochtene Urteil mit den Fest-stellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuver-weisen.

IV.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Soweit die Rechtsbeschwerde moniert, dass auch die Feststellungen des Tatrich-ters zum Messverfahren nicht ausreichend sind, führen diese Einwände nicht zum Erfolg. Vorliegend ist ein standardisiertes Messverfahren verwandt worden. Dann ist es ausreichend, wenn das Messverfahren und der in Abzug gebrachte Toleranzwert mitgeteilt werden (vgl. zuletzt u.a. Beschluss des Senats vom 18. Oktober 2007 in 2 Ss OWi 683/07; vgl. Burhoff, a.a.O., Rn. 1251 ff. mit weiteren Nachweisen).

2. Auch die Fahrverbotsentscheidung ist derzeit nicht zu beanstanden. Die Ver-hängung des Fahrverbotes folgt aus § 4 Abs, 2 BKatV. Sie ist angesichts der übrigen Vorverurteilungen des Betroffenen auch nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht hat seine Entscheidung, vom Fahrverbot nicht absehen zu wollen, zwar knapp, aber an-gesichts der Vielzahl der Vorverurteilungen und deren Gewicht noch ausreichend begründet.

Amtsgericht Nordenham

vom:

31.05.2007

Aktenzeichen:

5 OWi 441 Js 59850/06

Eingestellt am:

05.12.2007

1. Eine Geschwindigkeitsmessung mittels Police-Pilot-System (PPS) ist auch dann verwertbar, wenn es nach einer Eichung des Gerätes zu einem Reifenwechsel von Winterreifen auf Sommerreifen gekommen ist und die nach der Gebrauchsanweisung für diesen Fall vorgesehene Neueichung unterblieben ist.

2. Steht fest, dass der Reifenwechsel das Messergebnis nicht zuungunsten des Betroffenen beeinflusst haben kann, ist kein höherer Toleranzabzug als von 5 % angezeigt. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Sommerreifen einen größeren Umfang als die Winterreifen aufweisen ( hier: Wechsel von Winterreifen der Größe 185/65 R 15 auf Sommerreifen der Größe 205/60 R 15 )

Amtsgericht Nordenham
Strafabteilung –
5 OWi 441 Js 59850/06 (587/06)

Im Namen des Volkes

Urteil

Bußgeldsache

gegen

Dr. .
geboren am
wohnhaft
Staatsangehörigkeit: deutsch,

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Das Amtsgericht Nordenham – Abteilung für Bußgeldsachen –

hat in der Sitzung vom 31.05.2007, an der teilgenommen haben:

Richter am Amtsgericht Fischer
als Richter in Bußgeldsachen

Rechtsanwalt F.
als Verteidiger

– gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 226 Abs. 2 StPO wurde von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesehen –

für Recht erkannt:

Gegen den Betroffenen wird wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 48 km/h ein Bußgeld von 150 Euro festgesetzt.

Ferner wird ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Das Fahrverbot wird wirksam, sobald der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten ab Rechtskraft des Urteils.

Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen.

Angewendete Vorschriften: §§ 3 Abs. 3 Ziffer 2c), 49 Absatz 1 Ziffer 3 StVO; 24, 25 StVG.

Gründe:

I.
Der Betroffene ist von Beruf Zahnarzt mit geregeltem Einkommen. Das Verkehrszentralregister weist folgende Eintragungen auf:

Am 19. Juli 2004 verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Reutlingen gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 50 Euro, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h überschritten hatte. Die Entscheidung ist seit dem 23.08.2004 rechtskräftig.

Am 13.10.2004 verhängte die Bußgeldbehörde des Märkischen Kreises in Iserlohn gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 60 Euro, weil er am 27.09.2004 die Vorfahrt eines bevorrechtigten Fahrzeuges missachtet hatte, so dass es zum Unfall kam.

Am 31.10.2004 verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Dortmund ein Bußgeld von 100 Euro und ein Fahrverbot von einem Monat, weil der Betroffene am 21. Juli 2004 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 47 km/h überschritten hatte. Die Entscheidung ist seit dem 17. Januar 2005 rechtskräftig.

Am 11. Januar 2006 verhängte die Bußgeldbehörde der Stadt Hagen gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 54 Euro, weil dieser die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 21 km/h überschritten hatte. Die Entscheidung ist seit dem 02.02.2006 rechtskräftig.

II.
Nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung steht folgendes fest:

Am 06. Juni 2006 befuhr der Betroffene um 13.32 Uhr im Landkreis Wesermarsch, Stadland, die Bundesstraße 212 mit seinem Pkw Audi, …. Obwohl er wusste, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h begrenzt war, führte er sein Fahrzeug vor der Anschlussstelle Rodenkirchen in Richtung Brake mit einer Geschwindigkeit von 148 km/h, was er billigend in Kauf nahm.

III.
Der Betroffene hat zugestanden, das Fahrzeug geführt zu haben. Er sei auch schneller als 100 km/h gefahren, allenfalls aber 126 km/h, möglicherweise auch 140 km/h, keinesfalls aber schneller.

Sofern diese Einlassung im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen steht, ist sie hingegen durch die Beweisaufnahme widerlegt.

1. Der Betroffene hat die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 48 km/h überschritten.

a) Der Zeuge L. hat überzeugend ausgesagt, er sei dem Betroffenen mit einem Messfahrzeug hinterher gefahren, in dem das Geschwindigkeitsmessgerät „PPS“ Police Pilot System“ installiert worden sei. Er sei dem Fahrzeug schon vom Bremerhaven aus gefolgt und habe u.a. zwei Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt, die einen angezeigten Wert von 146 km/h statt der zugelassenen 120 km/h und von 133 km/h statt zulässiger 100 km/h ergeben hätten. Nachdem man nach Durchfahrt des Wesertunnels auf die B 212 gestoßen sei, habe der Betroffene aufgrund des Verkehrsaufkommens eine zeitlang langsamer fahren müssen, sein Fahrzeug nach der Auffahrt auf die B 212 aber erheblich beschleunigt, wo eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h gelte. Er habe deshalb das Messgerät in Gang gesetzt und vor der Anschlussstelle Rodenkirchen eine Messstrecke von 575 Metern in 13,12 Sekunden durchfahren, wobei er nach Augenmaß darauf geachtet habe, dass sich der Abstand zwischen seinem Fahrzeug und dem Fahrzeug des vorausfahrenden Betroffenen nicht verringert habe. Er selbst sei auf das Messgerät geschult worden, er habe nämlich einen zweiwöchigen Lehrgang in Wenningsen absolviert. Das Fahrzeug sei auch geeicht gewesen. Dies gelte auch, wenn das Fahrzeug jetzt ein anderes Kennzeichen als zum Zeitpunkt der Eichung habe.

b) Der Sachverständige S. hat unter Auswertung dieser Informationen und des angefertigten Videobandes überzeugend ausgeführt, auch nach seinen Feststellungen sei davon auszugehen, dass der Betroffene jedenfalls 148,00 km/h gefahren sei.

aa) Der Umstand, dass das Fahrzeug nach Aussage des Zeugen L. von Winterreifen auf Sommerreifen umgerüstet worden sei, habe sich nicht zu Lasten des Betroffenen auswirken können. Allerdings sei tatsächlich nach den Bestimmungen der physikalisch, technischen Bundesanstalt eine Neueichung erforderlich, wenn ein polizeiliches Messfahrzeug von Winterreifen auf Sommerreifen umgerüstet werden müsse. Ausweislich der von ihm eingeholten telefonischen Auskunft des Dr. J. als Vorsitzenden der Bundesanstalt habe dies den Grund, dass bei Verwendung von Sommerreifen statt von Winterreifen der Tachometer des polizeilichen Messfahrzeuges voreile, also ein zu hohes Tempo aufzeige, wenn Reifen gleich großer Dimensionen verwendet würden. Aufgrund des dickeren Profils von Winterreifen gegenüber dem Profil von Sommerreifen könne in diesem Falle nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sommerreifen einen geringeren Umfang als der Winterreifen habe, also bei gleicher Wegstrecke und gleichem Tempo mehr Umdrehungen anzeige, als wenn mit Winterreifen gefahren werde, so dass fälschlicherweise ein zu hohes Tempo angezeigt werde, wenn der Tachometer für die Verwendung von Winterreifen geeicht gewesen sei. Dr. J. habe ihm aber bestätigt, dass diese Gefahr ausgeschlossen sei, wenn die Sommerreifen im Vergleich zu den Winterreifen einen größeren Umfang aufwiesen. Tatsächlich sei es für diesen Fall an sich nicht nötig, eine Eichung durchzuführen. Eine solche Ausnahme sei jedoch in die Eichbestimmungen nicht aufgenommen worden, um diese nicht zu verwässern und klare und eindeutige Regelungen beizubehalten.

Der Sachverständige S. hat überzeugend ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die Verwendung von Sommerreifen der Größe 205/60 R 15 im Vergleich zu der Verwendung von Winterreifen der Größe 185/65 R 15 dazu geführt habe, dass der Sommerreifen nach seinen Berechnungen auf eine Messstrecke von 500 m zwei Umdrehungen weniger als der kleinere Winterreifen gebraucht habe, mithin die Verwendung der Sommerreifen dazu geführt habe, dass der Tachometer des Messfahrzeugs eine geringere Geschwindigkeit als die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit angezeigt habe.

Damit steht fest, dass die unterlassene Eichung der Messeinrichtung keinerlei Auswirkungen auf das Messergebnis zu Lasten des Betroffenen haben konnte.

bb) Das Gericht hat zu Gunsten des Betroffenen unterstellt, dass es während des Messvorganges zu einer Annäherung des Polizeifahrzeuges an das Fahrzeug des Betroffenen gekommen ist. Auch dies rechtfertigt hingegen keinen weiteren Toleranzabzug als von insgesamt 5 Prozent. Der Sachverständige hat überzeugend ausgeführt, dass auf der Grundlage der Feststellungen des von dem Betroffenen eingeschalteten Sachverständigen davon ausgegangen werden müsse, dass das Polizeifahrzeug auf der Messstrecke insgesamt 5 Prozent der Strecke aufgeholt habe. Dies entspreche bei großzügiger Berechnung zugunsten des Betroffenen dem Anteil der gemessenen Differenz von 2 mm zu 38 mm. Dann errechne sich – ohne Sicherheitsabschlag – immer noch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 156,40 km/h.

c) Damit war eine durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit von 148,95 km/h, abgerundet 148 km/h festzustellen.

2. Der Betroffene handelte auch vorsätzlich. Aufgrund des Aussage des Zeugen L. steht fest, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit bereits vor dem Tatort zweimal erheblich überschritten hatte und sein Fahrzeug nach Auffahren auf die B 212 erheblich beschleunigte. Es ist ausgeschlossen, dass dies nur versehentlich erfolgte, zumal der Betroffene nach Aussage des Zeugen L. nach dem Anhalten nach Vorhalt des Vorwurfs erklärte, er könne sich gar nicht an die Tempogrenzen halten, weil sein Auto 340 PS habe.

IV.
Gemäß § 17 OWiG war es erforderlich, aber auch ausreichend, den Betroffenen mit einem Bußgeld von 150 Euro zu belegen. Zu seinen Lasten war zu berücksichtigen, dass er bereits einige Male gegen Geschwindigkeitsverstößen in Erscheinung getreten ist und in diesem Falle die Geschwindigkeitsüberschreitung billigend in Kauf genommen hat, also vorsätzlich gehandelt hat.

Angesichts dieser Umstände war es zur Einwirkung auf den Betroffenen zudem unerlässlich, ihn mit einem Fahrverbot von einem Monat zu belegen, da er die Tat unter grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat. Dass der Betroffene dadurch unzumutbar belastet sein könnte, ist nicht ersichtlich.

V.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 465 StPO, 46 Absatz 1 OWiG.

Bundesverwaltungsgericht

Beschluss vom:

05.10.2007

Aktenzeichen:

6 B 42.07

Eingestellt am:

05.12.2007

Auch ein Fahrlehrer, der derzeit keine Fahrschüler ausbildet, ist verpflichtet, alle vier Jahre an einem Fortbildungslehrgang teilzunehmen.

6 B 42.072 UE 2799/06 Hessischer VGH
05.10.2007
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
In der Verwaltungsstreitsache

hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. Oktober 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hahn und Dr. Graulich
beschlossen:
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe:
1
1. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
2
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der die Berufungsentscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt. Diese rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision.
3
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
4
aa) Der Kläger wirft sinngemäß die Frage auf, ob ein „inaktiver“ Fahrlehrer der Fortbildungspflicht gemäß § 33a FahrlG unterliegt. Diese Frage ist zu bejahen, ohne dass dazu die Durchführung eines Revisionsverfahrens erforderlich wäre. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt einer Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung bedarf. Dies ist nach der Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne Weiteres beantworten lässt (vgl.z.B. Beschlüsse vom 22. Dezember 1994 – BVerwG 4 B 114.94 – Buchholz 11 Art. 28 GG Nr. 102 S. 10 und vom 11. Oktober 2000 – BVerwG 6 B 47.00 – Buchholz 448.6 § 5 KDVG Nr. 10 S. 6 f.m.w.N.). So liegt es hier.
5
Nach § 33a FahrlG hat „jeder Fahrlehrer“ alle vier Jahre an einem jeweils dreitägigen Fortbildungslehrgang teilzunehmen. Die Vorschrift wendet sich daher schon nach dem Wortlaut an jeden Fahrlehrer, ohne danach zu unterscheiden, ob er gegenwärtig Fahrschüler (§ 1 Abs. 1 Satz 1 FahrlG) ausbildet oder nicht. Das Gesetz enthält zwar keine ausdrückliche Begriffsbestimmung des „Fahrlehrers“. Ihm lässt sich aber ohne Weiteres entnehmen, dass Fahrlehrer derjenige ist, dem eine Fahrlehrererlaubnis erteilt worden ist. Während die §§ 1 bis 4 FahrlG über Erfordernis und Inhalt der Fahrlehrererlaubnis, deren Voraussetzungen, den Antrag auf ihre Erteilung und die Fahrlehrerprüfung den Begriff des Fahrlehrers noch nicht verwenden, wird erstmals in § 5 Abs. 1 FahrlG dieser Begriff verwandt. In Satz 1 dieser Norm werden die Formen der Erteilung der Erlaubnis bestimmt. Unmittelbar daran anschließend wird „der Fahrlehrer“ in bestimmte Pflichten genommen. Daraus erschließt sich, dass Fahrlehrer derjenige ist, dem die Fahrlehrererlaubnis durch Aushändigung oder Zustellung erteilt worden ist (vgl. auch BTDrucks 13/6914 S. 85, zu § 1: „Erst mit Erteilung der unbefristeten Fahrlehrererlaubnis wird der Fahrlehreranwärter (§ 22 Abs. 1) Fahrlehrer“). Von diesem Zeitpunkt an unterliegt er allen Pflichten, die dem Fahrlehrer auferlegt sind.
6
Der schon nach dem Wortlaut des § 33a FahrlG eindeutige Befund, dass die Pflicht des § 33a Abs. 1 FahrlG jedem Fahrlehrer, also jedem Inhaber einer Fahrlehrererlaubnis, obliegt und nicht davon abhängt, ob und inwieweit er Fahrschüler gegenwärtig tatsächlich ausbildet, wird durch die Gesetzessystematik bestätigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Übergangsvorschrift des § 49 Abs. 15 FahrlG die Verpflichtung zur Fortbildung nach § 33a FahrlG den „Inhabern einer Fahrlehrererlaubnis“ auferlegt. Es wird nicht darauf abgehoben, ob der Inhaber der Fahrlehrererlaubnis aktiv tätig ist oder nicht. Da nicht angenommen werden kann, dass die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Fortbildungslehrgang nur bei „Altfällen“ allein von dem Innehaben der Fahrlehrererlaubnis, in allen anderen Fällen aber von der aktiven Betätigung abhängt, muss davon ausgegangen werden, dass allgemein die Anwendung des § 33a FahrlG nur an das Innehaben der Fahrlehrererlaubnis anknüpft. Hinzu kommt, dass § 34 FahrlG Ausnahmen von der Verpflichtung aus § 33a FahrlG nicht zulässt.
7
Auch die Erwägungen des Gesetzgebers ergeben eindeutig, dass die Verpflichtung aus § 33a FahrlG allen Fahrlehrern obliegt. Bereits im einleitenden Teil der Erwägungen zur Änderung des Fahrlehrergesetzes (BTDrucks 13/6914 S. 55) wird ausgeführt, dass im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage „eine unbedingte und ausnahmslose Pflicht zur Fortbildung für sämtliche Fahrlehrer“ eingeführt werde. Dieses gesetzgeberische Ziel wird in der Einzelbegründung zu § 33a wiederholt (a.a.O.S. 91).
8
Schließlich ergeben Sinn und Zweck des § 33a FahrlG, dass die dort geregelte Verpflichtung alle Fahrlehrer betreffen muss. Die Fortbildung ist im Interesse der Ausbildungsqualität und der Verkehrssicherheit eingeführt worden. Sie muss sich auf alle Fahrlehrer erstrecken, die Fahrschüler ausbilden dürfen. Die Fahrlehrererlaubnis ist, wie sich aus einem Umkehrschluss aus § 9a FahrlG (vgl. auch § 30 Abs. 7 FahrlG) ergibt, auf Lebenszeit erteilt (vgl. auch § 2 Abs. 2 DV-FahrlG), kann jedoch ruhen (§ 7 Abs. 1 FahrlG), erlöschen (§ 7 Abs. 2 FahrlG), zurückgenommen (§ 8 Abs. 1 FahrlG) oder widerrufen werden (§ 8 Abs. 2 FahrlG). Gilt sie grundsätzlich auf Lebenszeit, kann der Inhaber der Fahrlehrererlaubnis im Grundsatz unter Einhaltung seiner Verpflichtungen jederzeit Fahrschüler ausbilden. Es hängt im Wesentlichen von seinen Entschlüssen ab, ob und wann er „aktiv“ tätig wird oder nicht. Fehlt es dann an der notwendigen und gerade bei „inaktiven“ Fahrlehrern besonders wichtigen Auffrischung und Aktualisierung der Kenntnisse und Fähigkeiten, besteht eine erhöhte Gefahr der Fehlausbildung und damit einhergehend für die Verkehrssicherheit. Überdies wäre, worauf das OLG Jena (Beschluss vom 9. Juli 2004 – 1 Ss 324/03 – VRS 107 Nr. 161) mit Recht hinweist, das Abstellen auf die tatsächliche Ausübung der Fahrlehrertätigkeit wegen schwieriger Beweislage unpraktikabel.
9
bb) Außerdem hält der Kläger es für klärungsbedürftig, ob die Entziehung der Fahrlehrererlaubnis bzw. die Auferlegung von Fortbildungsverpflichtungen mit Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang steht. Auch diese Frage rechtfertigt nicht die Revisionszulassung. Der Kläger legt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gemäß die Notwendigkeit ihrer Klärung im vorliegenden Verfahren dar. Er führt lediglich aus, dass die Teilnahme an Fortbildungslehrgängen und die Wiedererlangung der Fahrlehrererlaubnis Geldmittel erforderten, lässt aber jegliche Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob hierdurch der Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG betroffen ist. Das ist nicht selbstverständlich der Fall. Es spricht alles dafür, dass die Auferlegung von Fortbildungsverpflichtungen nicht den Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG berührt, weil sie nicht das Eigentum des Fahrlehrers, sondern sein Vermögen betrifft. Sie stellt eine Berufsausübungsregelung dar, die am Maßstab des Art. 12 GG zu messen ist. Gleiches gilt für den Erwerb und die Notwendigkeit der Innehabung der Fahrlehrererlaubnis (abgesehen von dem hier nicht weiter interessierenden Eigentum an der Urkunde, die der Kläger selbst bereits vor Erlass der Widerrufsverfügung der Behörde übergeben hatte). Sie erlaubt die Ausbildung von Fahrschülern und eröffnet damit eine Chance zur Erwirtschaftung von Vermögenswerten. Da der Kläger zudem nicht als Fahrlehrer tätig ist, hätte er darlegen müssen, dass und warum bereits allein die öffentlich-rechtliche Zugangsvoraussetzung zum Beruf des Fahrlehrers dem Eigentumsschutz unterliegt (vgl. auch BGH, Urteil vom 27. September 1989 – VIII ZR 57/89 – BGHZ 108, 364 <371>; Papier, in: Maunz/Dürig/Herzog, GG, Stand Juni 2002, Art. 14 Rn. 100; Wieland, in: Dreier (Hrsg.) Grundgesetz, 2004, Art. 14 Rn. 64).
10
b) Wegen eines Verfahrensmangels kann die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur zugelassen werden, wenn ein Mangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Mangel ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in Bezug auf die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt.
11
aa) Der Kläger rügt, dass über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen einer Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht durch eigenständigen Beschluss, sondern zusammen mit der Entscheidung über den Zulassungsantrag entschieden worden sei. Darin liegt jedoch kein Verfahrensfehler. Vielmehr sind gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Verfahren über die Wiedereinsetzung und über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden und gemäß § 173 VwGO in Verbindung mit § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag die Vorschriften anzuwenden, die in dieser Beziehung für die nachgeholte Prozesshandlung gelten (vgl. Beschluss vom 26. Juni 1986 – BVerwG 3 C 46.84 – BVerwGE 74, 289 <290>). Das bedeutet, dass über einen Wiedereinsetzungsantrag, der die Zulässigkeit eines Berufungszulassungsantrags betrifft, zusammen mit der Entscheidung über die Zulassung der Berufung befunden werden darf.
12
bb) Der Kläger sieht zudem einen Verfahrensverstoß darin, dass seinem Prozessbevollmächtigten die Schriftsätze des Beklagten nicht in beglaubigter Abschrift überstellt worden seien. In diesem Umstand ist jedoch ein Verfahrensfehler nicht zu sehen. § 81 Abs. 2 VwGO fordert (übrigens wie § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht die Beifügung beglaubigter Abschriften. Im Übrigen kann das angefochtene Urteil, wie der Beklagte zutreffend ausführt, darauf nicht beruhen.
13
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.

Oberlandesgericht Bamberg

Beschluss vom:

27.11.2007

Aktenzeichen:

2 Ss OWi 1489/07

Eingestellt am:

07.12.2007

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

2 Ss OWi 1489/07
35 OWi 706 Js 63973/07 AG Neumarkt i.d.OPf.

Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Bamberg erlässt durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

in dem Bußgeldverfahren gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
am 27. November 2007
folgenden

B e s c h l u s s :

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neumarkt i. d. OPf. vom 23. Juli 2007 aufgehoben.

II. Der Betroffene wird freigesprochen.

III. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen.

G r ü n d e :

I.

Das Amtsgericht Neumarkt verurteilte den Betroffenen am 23.07.2007 wegen „einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit, nämlich ein Kraftfahrzeug geführt zu haben mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Atemalkoholkonzentration von 0,25 mg/l führte“, zu 250 EUR Geldbuße und einem Monat Fahrverbot. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und auch begründet.

1. Das Amtsgericht stellt unter anderem fest (EU Seite 3):

Der Betroffene befuhr am 27.12.2006 in der Zeit von 01.13 Uhr bis 01.15 Uhr mit dem Pkw … öffentliche Straßen im Stadtgebiet von T… In der Zeit von 01.33 Uhr bis 01.36 Uhr wurde er einer Atemalkoholmessung mit dem Atemalkoholmessgerät „Dräger Alcotest 7110 Evidential“ (Atemalkoholmessgerät Typ: MK III Alcotest 7110) unterzogen. Die beiden Messungen erfolgten um 01.33 Uhr bzw. 01.36 Uhr und ergaben jeweils eine Atemalkoholkonzentration von 0,253 mg/l.

2. Zur Beweiswürdigung führt das Amtsgericht unter anderem aus (EU Seite 8):

„Zwar kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nach der Anhaltung … noch einen „Schluck“ (alkoholhaltigen) Bronchicumsaft genommen hat und bis zum Betreten des Polizeigebäudes einen Kaugummi gekaut hat. Doch hat weder das eine noch das andere im konkreten Fall Einfluss auf das Messergebnis gehabt. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. war gerade kein Einfluss feststellbar. Denn beide Messergebnisse um 01.33 Uhr und 01.36 Uhr wiesen einen völlig identischen Atemalkoholwert von je 0,253 mg/l auf. Wäre ein Einfluss ausgeübt worden, müsste nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. ein unterschiedlicher Wert herausgekommen sein. Es hätte dann eine (leichte) Reduktion der Werte sich ergeben müssen. Im Ergebnis kam der Sachverständige Prof. Dr. B. damit zu der Schlussfolgerung, dass eine Einnahme von Mitteln in den letzten 10 Minuten vor dem Messvorgang das Ergebnis verfälschen könne, dass im konkreten Fall aber „nichts“ verfälscht hat. Das Gericht schließt sich dieser Einschätzung an.“

3. Diese Feststellungen und beweiswürdigenden Erwägungen des Amtsgerichts rechtfertigen den angefochtenen Schuldspruch nicht.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hat hierzu in ihrer Antragsschrift vom 19.10.2007 ausgeführt:
„Nach den Urteilsfeststellungen hielt es der Tatrichter für nicht widerlegt, dass der Betroffene binnen einer Zeit von 10 Minuten vor der ersten Atemalkoholmessung alkoholhaltige Bronchialtropfen zu sich genommen habe und einen Kaugummi gekaut habe (UA S. 4, 5). Diese Einlassung des Betroffenen konnte nach Auffassung des Tatrichters nicht widerlegt werden. Er hat sie auch nicht als Schutzbehauptung behandelt. Demnach muss zugrunde gelegt werden, dass die Einlassung des Betroffenen zutreffend war.

Wenn der Tatrichter – insoweit beraten durch einen rechtsmedizinischen Sachverständigen – gleichwohl zu dem Ergebnis kommt, dass dies für die Verwertbarkeit der Messung ohne Bedeutung gewesen sei, begegnet dies rechtlichen Bedenken.

Bei der Bestimmung der Atemalkohol-Konzentration handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Der Gesetzgeber hat ausdrücklich vorgesehen, dass bei der Atemalkoholbestimmung nur Messgeräte eingesetzt und Messmethoden angewendet werden dürfen, die den im Gutachten des Bundesgesundheitsamtes – von Schoknecht in: Unfall- und Sicherheitsforschung Straßenverkehr 1992 Heft 86 – gestellten Anforderungen genügen (BGHSt 46,358/363). Nach diesem Gutachten besteht für das Messverfahren – Abschnitt 3.4, Seite 12 – neben dem Erfordernis einer Kontrollzeit von 10 Minuten vor der Atemalkoholmessung und der Doppelmessung im Zeitabstand von max. 5 Minuten unter Einhaltung der zulässigen Variationsbreite zwischen den Einzelwerten die Vorgabe, dass zwischen der Beendigung der Alkoholaufnahme und der Atemalkoholmessung ein Zeitraum von 20 Minuten verstrichen sein muss (BayObLG DAR 2003,232 = BayObLGSt 2003,15). In der so genannten Kontrollzeit von 10 Minuten muss gewährleistet sein, dass der Betroffene keinerlei Substanzen mehr zu sich genommen hat (OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006,250).

Wenn diese Kontrollzeit von 10 Minuten nicht eingehalten wird, muss dies – zumindest in einem Fall wie dem vorliegenden, bei welchem der Grenzwert gerade erreicht ist – zur Unverwertbarkeit der Messung führen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 24a RN 16a m.w.N.). Nur unter der Voraussetzung, dass binnen eines Zeitraums von 10 Minuten vor der Messung der Betroffene keinerlei Substanzen, insbesondere (alkoholhaltiger) Art, mehr im Rachenraum hatte, kann mit Sicherheit gewährleistet werden, dass das mittels des Messgerätes Dräger Evidential 7110 gewonnene Ergebnis nicht durch Rückstände im Rachenraum beeinträchtigt worden ist. Dementsprechend liegt nur bei Einhaltung dieser Kontrollzeit ein verwertbares Messergebnis vor. Die Nichteinhaltung dieser Kontrollzeit muss zur Unverwertbarkeit der Messung führen (so auch OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006,250, welches die Nichteinhaltung der Wartezeit von 20 Minuten in Einzelfällen für nicht zwingend erachtet). Nur wenn diese Kontrollzeit eingehalten ist, liegt überhaupt ein verwertbares Messergebnis vor. Wenn aber umgekehrt kein verwertbares Messergebnis vorliegt, so kann auch nicht durch Hinzuziehung eines Sachverständigen geklärt werden, inwieweit dieses – unverwertbare – Messergebnis durch die aufgenommenen Fremdsubstanzen beeinflusst worden sein kann. Insoweit ist auch die Zuziehung eines Sachverständigen nicht geeignet, das unter Verstoß gegen die zwingende Gebrauchsanweisung erlangte Messergebnis für verwertbar zu erklären (vgl. auch OLG Karlsruhe NZV 2004,426,427). Hinzu kommt, dass sich dem tatrichterlichen Urteil nicht entnehmen lässt, inwieweit und aufgrund welcher Erkenntnisse der rechtsmedizinische Sachverständige in der Lage ist, die technische Zuverlässigkeit der Messung zu beurteilen.

Die Einhaltung der Wartefrist von 20 Minuten dient nicht der Sicherung eines technisch einwandfreien Messergebnisses, sondern soll in erster Linie gewährleisten, dass der bereits konsumierte Alkohol auch ins Blut gelangt ist (vgl. BayObLG DAR 2005,40 = BayObLGSt 2004,145). In diesen Fällen liegt daher ein technisch verwertbares Messergebnis vor, so dass in der jüngeren Rechtsprechung zunehmend die Auffassung vertreten wird, dass bei Unterschreitung der Kontrollzeit (richtig: der Wartefrist von 20 Minuten) die Messung (ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen) jedenfalls dann eine geeignete Grundlage für eine Verurteilung darstellt, wenn der Grenzwert von 0,25 mg/l (deutlich) überschritten wird (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2006,250). Wenn aber – wie hier – die Kontrollzeit von 10 Minuten nicht beachtet worden ist, wurde kein technisch verwertbares Messergebnis erzielt.“

Der Senat teilt diese Rechtsauffassung und macht sich die zitierten Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg zu Eigen.

4. Demnach ist mit den Feststellungen des Amtsgerichts in den Urteilsgründen nicht der Nachweis erbracht, dass sich der Betroffene zur Tatzeit im Sinne des § 24 a Abs. 1 OWiG ordnungswidrig verhalten hat. Das angefochtene Urteil ist deshalb auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufzuheben (§§ 267 Abs. 1, 337, 353 Abs. 1 StPO, §§ 71 Abs. 1, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
Nach Sachlage hält es der Senat – wie die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift – für ausgeschlossen, dass in einer neuen Hauptverhandlung nach etwaiger Zurückverweisung der Sache an den Tatrichter zusätzliche Erkenntnisse hervortreten, die dennoch zu einer Verurteilung des Betroffenen führen könnten. Der Senat hatte deshalb gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst abschließend zu befinden und den Betroffenen freizusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG.

Oberlandesgericht Bamberg

Beschluss vom:

05.11.2007

Aktenzeichen:

3 Ss OWi 744/07

Eingestellt am:

05.12.2007

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

3 Ss OWi 744/2007

Der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Bamberg erlässt unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht

in dem Bußgeldverfahren

gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

am 5. November 2007

folgenden
B e s c h l u s s :

I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Fürth vom 31. Januar 2007 aufgehoben.

II. Der Betroffene wird freigesprochen.

III. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

G r ü n d e :

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons gemäß § 23 Abs. 1a StVO zu einer Geldbuße von 40 Euro verurteilt.

Nach der – im Wesentlichen auf der durch die Beweisaufnahme nicht widerlegten und seitens des Tatgerichts als glaubhaft angesehenen – Einlassung des Betroffenen befuhr dieser mit einem Pkw die Innenstadt, wobei er neben seinem eingeschalteten Mobiltelefon auch eine zu diesem in Funkverbindung stehende und zunächst noch an der Sonnenblende der Fahrerposition angebrachte Freisprecheinrichtung mit sich führte. Als während der Fahrt das abgelegte Mobiltelefon läutete, nahm der Betroffene das Gespräch über die nach wie vor fixierte Freisprecheinrichtung an. Nach einer Funktionsstörung nahm der Betroffene anlässlich eines verkehrsbedingten Halts vor einer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage bei eingeschaltetem Motor die Freisprecheinrichtung in die Hand, hielt sie mit der linken Hand an sein linkes Ohr und telefonierte mit dem Gerät kurzzeitig.

Nach Auffassung des Amtsgerichts erfüllte dieses Verhalten des Betroffenen den Tatbestand des § 23 Abs.1a StVO, weil es sich bei der Freisprecheinrichtung „entweder um ein (Funktions-) Teil des (…) Mobiltelefons oder selbst um ein Mobiltelefon im Sinne des Gesetzes“ handele, was sich auch daraus ergebe, dass „der Betroffene quasi das Handy durch die Freisprecheinrichtung ersetzte und damit telefonierte und die beiden Geräte (…) mittels Funkwellen eine Verbindung zueinander hatten“. Schließlich entspreche diese Sicht auch dem Sinn und Zweck der Bußgeldbewehrung, weil es insoweit keinen Unterschied mache, ob der Betroffene zur Annahme eines Gesprächs das Handy selbst oder aber die in diesem Moment „als Ersatz dienende und verbundene“ Freisprecheinrichtung zur Hand nehme. Die hierdurch ausgehenden Gefahren seien gleich.

Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die mit Beschluss des Einzelrichters vom 31.10.2007 gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zugelassene und zur Entscheidung gemäß §§ 80 a Abs. 1 2. Halbsatz, Abs. 3 Satz 2 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragene Rechtsbeschwerde erweist sich als begründet und führt zum Freispruch des Betroffenen.

Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Rechtsauffassung und Normauslegung des Amtsgerichts ist mit dem möglichen Wortsinn der Bußgeldbewehrung des § 23 Abs. 1a StVO (vgl. rechtsgrundsätzlich Senatsbeschluss v. 27.09.2006 – 3 Ss OWi 1050/06 = NJW 2006, 3732/3733 f. = NZV 2007, 49 f. = DAR 2007, 95 f. = VerkMitt 2007, Nr. 12 = OLGSt StVO § 23 Nr. 5 = VRR 2006, 431 f. und zuletzt Senatsbeschluss v. 27.04.2007 – 3 Ss OWi 452/07 = VerkMitt 2007, Nr. 62 = OLGSt StVO § 23 Nr. 7, jeweils m. zahl. weit. Nachw.) nicht vereinbar.

1. Als spezielles Willkürverbot des Grundgesetzes für die Strafgerichtsbarkeit verpflichtet Art. 103 Abs. 2 GG, der auch für Bußgeldtatbestände gilt (BVerfGE 71, 108/114; 87, 363/391; BVerfG NJW 2005, 349 ), den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des jeweiligen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestandes durch Auslegung ermitteln lassen. Art. 103 Abs. 2 GG enthält insoweit einen strengen Gesetzesvorbehalt. Die hiernach gebotene Bestimmtheit des Tatbestandes schließt allerdings die Verwendung von Begriffen nicht aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Denn auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht muss der Gesetzgeber der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung tragen. Es liegt deshalb in der Natur der Sache, dass in Grenzfällen durchaus zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten schon oder noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt. Für den Normadressaten muss dann – jedenfalls im Regelfall – wenigstens das Risiko einer Bestrafung bzw. einer ordnungswidrigkeitenrechtlichen Ahndung voraussehbar sein. Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit der Straf- oder Bußgeldbewehrung in erster Linie der erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes, also die Sicht des Bürgers maßgebend (st.Rspr.; vgl. z.B. BVerfGE 64, 389/393 f.; 71, 108/114 ff.; 87, 209/224; 105, 135/152 f.; BVerfG NJW 1998, 2589/2590 und BVerfG NJW 2005, 349, jeweils m.w.N.).

2. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 22 StVO i.V.m. § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO handelt ordnungswidrig im Sinne von § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Fahrzeugführer ein Mobil- oder Autotelefon benutzt, indem er hierfür das Mobiltelefon oder den Hörer des Autotelefons aufnimmt oder hält.

a) Nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 1a Satz 1 StVO ist dem Fahrzeugführer die Benutzung eines Mobiltelefons untersagt, sofern er zu diesem Zweck das Gerät aufnimmt oder hält. Dabei schließt der für die nähere Umschreibung der Tathandlungen des Aufnehmens oder Haltens verwandte Begriff der Benutzung nach allgemeinem Sprachverständnis zwar die Inanspruchnahme sämtlicher Bedienfunktionen ein. Er umfasst also nicht nur das Telefonieren im eigentlichen Sinne, sondern auch andere Formen der bestimmungsgemäßen Verwendung. Deshalb kann unter Benutzung eines Mobiltelefons auch die Wahrnehmung der von Geräten neuerer Bauart zur Verfügung gestellten vielfältigen Möglichkeiten als Instrument zur Speicherung, Verarbeitung und Darstellung von Daten (u.a. Organisationsfunktionen, Diktier-, Kamera- und Spielefunktionen) verstanden werden (OLG Bamberg a.a.O.; vgl. ferner z.B. OLG Hamm NJW 2003, 912 f., NJW 2005, 2469 f.; OLG Köln NZV 2005, 547 f. und OLG Karlsruhe DAR 2007, 99 f.).

b) Andererseits erfordert der Begriff der Benutzung schon von seinem Wortstamm, dass die Handhabung einen Bezug zu einer der Funktionstasten des Geräts, nämlich des Mobil- oder Autotelefons, aufweisen muss. Ansonsten kann nämlich nicht mehr davon die Rede sein, dass es bestimmungsgemäß nutzbar gemacht wird. Schon nach dem Sinngehalt des Begriffs kann nicht jedes Aufnehmen oder Halten eines Mobiltelefons als dessen tatbestandsmäßige Benutzung verstanden werden. Dass dies zudem dem Verständnis des Verordnungsgebers entspricht, wird dadurch deutlich, dass nach dem eindeutigen Wortlaut des § 23 Abs.1a StVO das schlichte Aufnehmen und Halten des Mobiltelefons als solches gerade nicht untersagt wird.

c) Erst recht scheidet eine Bußgeldbewehrung aus, wenn der Betroffene – wie hier – gar kein Mobil- oder Autotelefon bzw. den Hörer eines Autotelefons aufnimmt oder hält, wobei es gleichgültig ist, ob mit der Aufnahme oder Handhabung eines in dem Tatbestand gar nicht erwähnten anderen Gerätes, etwa einer Freisprecheinrichtung, letztlich gerade die funktionsspezifische Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons bewirkt werden soll und auch tatsächlich realisiert wird, mag auch mit der konkreten Handhabung des anderen Geräts in gleicher Weise eine vom Schutzzweck des § 23 Abs. 1a StVO umfasste Gefahrerhöhung aufgrund eingeschränkter Reaktionsfähigkeit des (abgelenkten) Fahrzeugführers einhergehen. Schließlich verbietet sich nach dem möglichen Wortsinn der Norm auch die (hilfsweise) Auslegung dahin, die Freisprecheinrichtung – wenn auch nur in ihrer hier verfahrensgegenständlichen Verwendungsform – lediglich als (unselbständigen) Funktionsteil des Mobil- oder Autotelefons aufzufassen.

III.

Die Betroffene war somit unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung freizusprechen.

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 und Abs. 6 OWiG.

V.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Oberlandesgericht Stuttgart

Beschluss vom:

24.10.2007

Aktenzeichen:

4 Ss 264/07

Eingestellt am:

05.12.2007

Bei der Lichtschrankenmessung mit einem Gerät der Marke ESO Typ ES 1.0 mittels passiver Messung ohne Lichtsender handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtssprechung des BGH (St 39, 291; 43, 277).

4 Ss 264/07AK 484/06 AG Heilbronn
24.10.2007
Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss
In der Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 20. Februar 2007 wird als unbegründet
verworfen.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht setzte gegen den Betroffenen „wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 41 Abs. 2 StVO – Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 41 km/h“ – eine Geldbuße von 100 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat fest. Nach den Feststellungen fuhr X. am 28. Juni 2006 auf der Bundesautobahn A 6 mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen …, von M. in Richtung N. Um 10:26 Uhr überschritt er bei Kilometer 668,1 die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h um 41 km/h. In Höhe von Kilometer 666,0 und 666,7 befinden jeweils beidseitig der Fahrbahn Verkehrszeichen Nr. 274 (§ 41 Abs. 2 Nr. 7 StVO; 120 km/h), weshalb der Betroffene um die Geschwindigkeitsbeschränkung hätte wissen können und müssen. Mit einem geeichten Geschwindigkeitsmessgerät der Marke ESO Typ ES 1.0 wurde eine Geschwindigkeit von 167 km/h gemessen, wovon 3 % als Messfehlertoleranz abgezogen wurden.
Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Amtsgericht aus, der Betroffene habe über seinen Verteidiger eingeräumt, gefahren zu sein. Darüber hinaus habe er „generelle Zweifel“ an der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung vorgetragen, „die jedoch allesamt mit Hilfe des vernommenen Zeugen ausgeräumt werden konnten“. Die Feststellungen zur Sache beruhten neben den Angaben des Betroffenen auf der Aussage des vernommenen Zeugen, den verlesenen Urkunden und denen in Augenschein genommenen Lichtbildern, auf welche wegen der Einzelheiten gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen werde.
Der Betroffene hat gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt, die er mit der Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts begründet. Insbesondere rügt er, dass die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil unvollständig sei, da sich aus ihr nicht ergebe, aufgrund welcher Beweismittel das Amtsgericht welche Tatsache festgestellt habe. Ferner habe das Gericht nicht ausgeführt, weshalb anstelle des Fahrverbots nicht eine Erhöhung der Geldbuße ausreichend sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, dass Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG als unbegründet zu verwerfen. Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen würden den Schuldspruch und den Rechtsfolgenausspruch tragen.
II.
Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Beweiswürdigung sind gerade noch ausreichend.
Im Urteil wurde gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf die bei den Akten befindlichen Lichtbilder Bezug genommen. In den hierin eingeblendeten Daten, die zulässigerweise im Wege des Augenscheins in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind (vgl. BayObLG NStZ 2002, 388), ist auch die gemessene Geschwindigkeit enthalten. Ferner kann dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnommen werden, dass das Amtsgericht den Polizeibeamten Y. als Zeugen gehört hat, welcher die Geschwindigkeitsmessung durchgeführt hat. Dies ergibt sich aus der Feststellung (UA S. 4 oben), generelle Zweifel des Betroffenen an der Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung seien mit Hilfe des vernommenen Zeugen ausgeräumt worden. Bei diesem kann es sich nur um den Beamten handeln, der die Messung durchgeführt hat. Deshalb liegt es nahe, dass dieser Zeuge zu den örtlichen Gegebenheiten (insbesondere zu den aufgestellten Verkehrszeichen) Angaben gemacht hat.
III.
Zur Geschwindigkeit enthält das Urteil Feststellungen lediglich zum angewendeten Messgerät, der gemessenen Geschwindigkeit sowie zu der in Ansatz gebrachten Messtoleranz. Sie sind nur dann ausreichend, wenn es sich bei den vorliegend angewendeten Messverfahren um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtssprechung des BGH (St 39, 291; 43, 277) handelt. Diese Frage ist – soweit ersichtlich – obergerichtlich bislang noch nicht entschieden worden. Zwar handelt es sich bei der Messung der Geschwindigkeit mit dem Gerät ESO ES 1.0 auch um eine Lichtschrankenmessung. Letztere ist seit langem von der Rechtsprechung als standardisiertes Messverfahren anerkannt (BGHSt 39, 291 (302)). Jedoch haben die Technik und die Messwertbildung des Einseitensensors ESO 1.0 mit normalen Lichtschrankenmessgeräten nichts gemein (Löhle/Beck, Fehlerquellen bei polizeilichen Messverfahren, 8. Aufl., S. 78; Löhle ZfS 2006, 137). Daher kann bei Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung ein Messverfahren mit diesem Gerät nicht als standardisiert angesehen werden.
Um diese Frage zu klären, hat der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 15. Juni 2006 die Sache auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG; Fortbildung des Rechts). Mit Beschluss vom selben Tage hat der Senat die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage beschlossen, ob es sich bei dem genannten Messverfahren um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtssprechung des BGH handelt. Mit der Erstattung des Gutachtens wurde Herr Dipl. Ing.D. beauftragt. Das Gutachten liegt nunmehr vor.
IV.
Nach Darlegung des Sachverständigen handelt es sich bei dem im vorliegenden Fall verwendeten Geschwindigkeitsüberwachungsgerät um ein Weg-Zeit-Messgerät, welches mit Lichtschranken als Messbasis arbeitet. Es besteht im Wesentlichen aus einem Sensorkopf auf einem Stativ, einer Rechnereinheit, einem berührungsempfindlichen Bildschirm sowie einer funkgesteuerten Fotoeinrichtung mit entsprechendem Zubehör. Den Kern der Anlage bilden der Sensorkopf mit vier optischen Helligkeitssensoren. Drei dieser vier Sensoren überwachen die Fahrbahn rechtwinklig zu deren Verlauf. Der vierte Sensor, dessen optische Achse um ca. 2 Grad gegenüber der senkrechten schräggestellt ist, dient lediglich zur Messung des Abstandes zwischen dem Sensor und dem angemessenen Fahrzeug. Bei der Durchfahrt eines Fahrzeuges wird in jedem der vier Sensoren dessen Helligkeitsprofil erfasst, digitalisiert und gespeichert. Dabei wird kein Lichtsender realisiert (was bedeutet, dass durch das Gerät kein Licht gebündelt ausgestrahlt wird – anders als bei solchen Lichtschrankenmessungen, bei denen quer zur Fahrbahn Lichtstrahlen gesendet werden, weshalb dort beidseits der Fahrbahn Geräte aufgestellt werden müssen). Daher handelt es sich um ein „Messgerät in passiver Ausführung“. Die Gesamtlänge der Messbasis des Sensorkopfes beträgt 50 cm. Die Teilstrecken zwischen den Sensoren (1 und 2 einerseits und 2 und 3 andererseits) belaufen sich auf jeweils 25 cm. Diese drei Sensoren dienen zur Ermittlung von zwei Geschwindigkeitsmesswerten. Fährt ein Fahrzeug an den Sensoren vorbei, wird die Geschwindigkeit durch das sogenannte Triggersignale vorbestimmt. Die vom Gerät aufgezeichneten Helligkeitsprofile werden rechnerisch mit Hilfe einer durch die Software bestimmten Korrelationsrechnung abgeglichen, um sodann die genauen Zeitdifferenzen zwischen den einzelnen Helligkeitsprofilen zu bestimmen. Die Geschwindigkeit ergibt sich aus den zwei ermittelten Zeitdifferenzen und der anteiligen Messbasis von 25 cm. Der vierte Sensor dient lediglich zur Ermittlung des Abstandes des Fahrzeuges vom Messgerät, um zu verhindern, dass Fahrzeuge gemessen werden, die sich außerhalb des eingestellten Grenzwertes (zwischen dem Gerät und dem zu messenden Fahrzeug; maximal 18 m) befinden (etwa auf der Gegenfahrbahn). Wird eine Geschwindigkeit ermittelt, welche den eingestellten Geschwindigkeitswert überschreitet, wird dieser Messwert nebst weiteren Daten per Datenfunk der Fotoeinrichtung übermittelt.
Das Gerät wird mit Hilfe einer Neigungswasserwaage aufgestellt. Es kann sowohl eine Quer- als auch eine Längsneigung der Straße auf den Sensorkopf übertragen. Dies ist insbesondere bei der Querneigung von besonderer Bedeutung. Vor dem Betrieb laufen automatisch Testprogramme ab. Bei der Auswertung sind insbesondere die Fälle problematisch, in denen sich zwei Fahrzeuge nebeneinander in gleicher Fahrtrichtung am Sensorkopf vorbeibewegen. Ein Messvorgang ist nur dann verwertbar, wenn sich schließlich einFahrzeug in Fahrtrichtung auf oder hinter der Messlinie befindet.
Das Überwachungsgerät Typ ES 1.0 der Firma ESO ist von der physikalisch-technischen Bundesanstalt in Braunschweig zugelassen. Es erfüllt deren Anforderungen an Geschwindigkeitsüberwachungsgeräte. Es ist im Bundesgebiet weit verbreitet. Der Sachverständige hat diverse Messvorgänge mit diesem Gerät im Bezirk des Landgerichts Stuttgart begutachtet. Der Aufbau der Anlage einschließlich der hierbei zu beachtenden Besonderheiten ist im Einzelnen in der Gebrauchsanweisung beschrieben. Dies und die Bedienung der Anlage einschließlich der Auswertung sind nach kurzer Einweisung problemlos durchzuführen. Der Messbetrieb erfolgt automatisch. Das Messpersonal muss – anders als beim Laserhandmessgerät – nicht besonders geschult werden. Bei Beachtung der Gebrauchsanweisung des Herstellers und der Zulassungsbedingungen der physikalisch-technischen Bundesanstalt kann es problemlos bedient werden. Deshalb handelt es sich um ein standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rechtssprechung des BGH.
Der Senat schließt sich den nachvollziehbaren und gut begründeten Ausführungen des Sachverständigen an. Mit ihm ist er der Ansicht, dass das Gerät die Vorgaben der Rechtssprechung des BGH(St 39, 291; 43, 277) erfüllt. Die Gebrauchsanweisung des Herstellers und die Zulassung durch die physikalisch-technische Bundesanstalt bieten Gewähr für seine zuverlässige Anwendung. Es ist einfach zu handhaben und hat sich nach den Erfahrungen des Sachverständigen in der Praxis bewährt.
V.
Zur Abfassung der Urteilsgründe ist zu bemerken:
Unbeschadet des Umstandes, dass es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, muss sich der Tatrichter im Einzelfall von der Beachtung der für dieses Verfahren geltenden Bestimmungen überzeugen. Liegen – dies wird die Regel sein – keine Anhaltspunkte für eine Fehlmessung vor, braucht im schriftlichen Urteil nur das angewendete Verfahren (Lichtschrankenmessung in passiver Ausführung ohne Lichtsender), die festgestellte Geschwindigkeit sowie der in Ansatz gebrachten Toleranzwert (bis 100 km/h: 3 km/h; darüber 3 % des Messwertes; vgl. Löhle ZfS 2006, 137 (139)) mitgeteilt zu werden, es sei denn, es liegt ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis des Betroffenen vor; dann bedarf es nicht der Angabe des Messverfahrens und des Toleranzwertes (BGHSt 39, 291 (303)). Nur wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die maßgebenden Bestimmungen nicht eingehalten wurden, sind im Urteil Ausführungen zur Messung notwendig (vgl. OLG Dresden VRS 109, 196 (199) m.w.N). Allgemein geäußerten Zweifeln des Betroffenen, etwa dahin gehend, das Gerät habe nicht funktioniert oder dem anwendenden Beamten seien bei der Auswertung Fehler unterlaufen, braucht der Richter nicht nachzugehen. Unabhängig hiervon ist – in der gebotenen Kürze – im Urteil stets mitzuteilen, in welcher Weise sich der Betroffene eingelassen hat (OLG Karlsruhe NZV 2007, 256).
VI.
Die Ausführungen des Amtsgerichts zur Feststellung der Geschwindigkeit sind deshalb genügend.

Oberlandesgericht Düsseldorf

Urteil vom:

08.01.2007

Aktenzeichen:

I-1 U 180/06

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB § 434 BGB § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB § 437 BGB § 459 a. F. BGB § 476

Eingestellt am:

05.12.2007

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 7. Juli 2006 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.

I.

Die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts ist richtig. Dem Kläger steht kein Recht auf Rückabwicklung des Kaufvertrages zu. Infolgedessen befinden sich die Beklagten auch nicht im Verzug mit der Rücknahme des Fahrzeugs, so dass auch der Feststellungsantrag des Klägers ohne Erfolg bleibt.

Die Berufung beanstandet in erster Linie die Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil. Sie sei widersprüchlich und unlogisch. Insbesondere habe das Landgericht die Aussage des Zeugen M. und die Ausführungen des Sachverständigen R. nicht richtig gewürdigt. Bei zutreffender Würdigung der erhobenen Beweise müsse von einer Mangelhaftigkeit des erworbenen Opel Omega im Zeitpunkt der Übernahme ausgegangen werden. Trotz mehrmaliger Nachbesserungsversuche seien diese Mängel nicht vollends beseitigt worden, vielmehr hätten die Beklagten im Zuge der Nachbesserung neue Mängel „produziert“.

Diese Rügen greifen nicht durch. Zumindest im Ergebnis sind die Feststellungen und Bewertungen des erstinstanzlichen Richters zutreffend.

Macht der Käufer, wie hier, Rechte gemäß § 437 BGB geltend, nachdem er das Fahrzeug entgegengenommen hat, trifft ihn die Darlegungs- und Beweislast für die einen Sachmangel begründenden Tatsachen (BGH NJW 2004, 2299 = DAR 2004, 515 m. Anm. Reinking, S. 550). Insoweit besteht im Ausgangspunkt kein Unterschied zwischen einem Verbrauchsgüterkauf, wie er hier vorliegt, und einem sonstigen Kaufvertrag. Die Beweislastumkehr des § 476 BGB kommt zugunsten eines Verbrauchers erst dann zum Zuge, wenn er die Existenz eines Sachmangels im Sinne des § 434 BGB nachgewiesen hat und außerdem feststeht, dass sich dieser Mangel innerhalb von 6 Monaten ab Gefahrübergang (Übergabe) gezeigt hat.

Nach der Behauptung des Klägers traten an dem Opel Omega „gravierende Mängel“ bereits einen Monat nach Übergabe auf. Den Beklagten sei es nicht gelungen, die von der Firma P. (Zeuge M.) festgestellten Defekte restlos und nachhaltig zu beseitigen. Trotz des angeblichen Wechsels der Hydrostößel habe der Motor weiterhin „befremdliche Geräusche“ von sich gegeben. Daraus könne nur der Schluss gezogen werden, dass der Motor entweder defekt war oder im Rahmen des Nachbesserungsversuches defekt geworden ist. So oder so sei der Kläger zur Rückabwicklung des Kaufvertrages berechtigt.

Dem kann der Senat in einem entscheidenden Punkt nicht folgen.

Nicht jeder technische Defekt eines gebrauchten Kraftfahrzeugs ist als Sachmangel im Sinne des § 434 BGB anzusehen. Für normalen (gewöhnlichen) Verschleiß hat der Verkäufer mangels gegenteiliger Vereinbarung in der Regel nicht einzustehen. Das entspricht gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung schon zu § 459 BGB a. F. und nunmehr zu § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Der BGH hat sich dieser Bewertung nunmehr angeschlossen (NJW 2006, 434 = DAR 2006, 78).

Da die Beklagten dem Kläger weder ausdrücklich noch stillschweigend (konkludent) eine Zusage gemacht haben, aufgrund derer der Kläger von einem Motorenlauf ohne störende Nebengeräusche ausgehen konnte, beurteilt sich die Frage der Sachmangelhaftigkeit nach § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB. Was das für den Kauf gebrauchter Kraftfahrzeuge bedeutet, hat der erkennende Senat in einer Reihe von Entscheidungen herausgearbeitet (Urteil vom 08.05.2006, I-1 U 132/05, DAR 2006, 633; Urteil vom 23.10.2006, I-1 U 34/06, noch unveröffentlicht). Anhand der drei Kriterien des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB gilt demnach folgendes:

1. Defekte an Verschleißteilen von gebraucht gekauften Kraftfahrzeugen können zwar unter die Sachmängelhaftung fallen. Für normalen Verschleiß haftet der Verkäufer jedoch nicht, gleichviel, welche Auswirkungen der Defekt hat.

2.

Ausgenommen von der Mängelhaftung ist nicht nur normaler Verschleiß, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe bereits vorhanden war. Auch nach Übergabe fortschreitender Normalverschleiß begründet in der Regel keinen vertragswidrigen Zustand.

3.

Der Verkäufer haftet auch nicht für einen Defekt, der nach Übergabe infolge normalen Verschleißes eintritt, sei es am Verschleißteil selbst, sei es an einem anderen Teil, das selbst kein Verschleißteil ist.

4.

Anders können die Dinge liegen, wenn normaler Verschleiß nach Übergabe einen Defekt verursacht, den der Verkäufer/Vorbesitzer bei eigenüblicher Sorgfalt, insbesondere durch Wartung und Inspektion, hätte verhindern können. In einem solchen Fall kann das grundsätzlich vom Käufer zu tragende Verschleißrisiko ausnahmsweise beim Verkäufer liegen.

Gemessen an diesen Grundsätzen kann der Senat einen Sachmangel und damit einen Haftungsfall – wie in der mündlichen Verhandlung erörtert – nicht bejahen.

Allerdings steht aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen R. fest, dass der Motor des Opel Omega B Caravan CD im Zeitpunkt der Untersuchung Anfang Januar 2006 Geräusche entwickelt hat, die ein ordnungsgemäß arbeitender Motor nicht von sich geben darf. Bei den Geräuschen handele es sich nicht um ein „Klackern“, wie vom Kläger beschrieben, sondern um ein „Tackern“. Dieses „Tackern“ sei bereits nach dem Starten des kalten Motors zu hören gewesen. Nach Erreichen der Betriebstemperatur habe man den Motor mit verschiedenen Drehzahlen im Leerlauf belastet. Über den gesamten Untersuchungszeitraum sei ein „Tackern“ zu hören gewesen.

Der Sachverständige hat diese Geräusche als nicht normal bezeichnet. Als Ursache hat er ein zu großes Ventilspiel genannt, hervorgerufen durch verschmutzte bzw. verschlissene (defekte) hydraulische Ventilausgleichselemente, auch als Hydrostößel bekannt. Im Rahmen seiner Anhörung durch das Landgericht hat der Sachverständige hinzugefügt, Hydrostößel könnten auch innerhalb relativ kurzer Zeit und bei relativ geringer Fahrleistung verdrecken oder verschleißen. Ursache für solche Defekte der Hydrostößel seien meistens Ölrückstände oder andere Fremdpartikel im Öl.

Danach befragt, ob die Beklagten, wie von ihnen behauptet, im April 2003 (nach Übergabe) die Hydrostößel erneuert (gewechselt) hätten, konnte der Sachverständige keine eindeutige Aussage treffen. Ein solcher Wechsel könne stattgefunden haben, er könne aber auch unterblieben sein.

Bei diesem Beweisergebnis sieht sich der Senat außerstande, die Motorengeräusche („Tackern“) als Sachmangel zu qualifizieren. Dass der Sachverständige diese Geräusche als „nicht normal“ bezeichnet hat, bedeutet noch nicht, dass es sich hier um einen Mangel im Rechtssinn handelt. Wenn die Ursache für die regelwidrigen Geräusche normaler Verschleiß bzw. Abnutzung ist, liegt ein Fall der Sachmängelhaftung nach den oben dargestellten Grundsätzen 1 bis 3 nicht vor.

Als Ursache des „Tackerns“ hat der Sachverständige R. ein zu großes Ventilspiel ermittelt. Darin könnte ein Sachmangel zu sehen sein. Die Dinge können aber auch so liegen, dass das zu große Ventilspiel als Ursache der störenden Geräusche seinerseits dadurch bedingt ist, dass ein anderes Teil normal verschlissen oder normal verschmutzt ist. Letzteres ist hier ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Aussage des Sachverständigen R. zu, Hydrostößel könnten auch innerhalb relativ kurzer Zeit und bei relativ geringer Fahrleistung verdrecken oder verschleißen. Ursache für solche Defekte seien meistens Ölrückstände oder andere Fremdpartikel im Öl.

Mit Rücksicht darauf liegt es nahe, jedenfalls ist es nicht auszuschließen, dass das „Tackern“ des Motors die Folge eines normalen Gebrauches und Verschleißes ist. Immerhin war das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger rund 9 Jahre alt und 81.000 km gelaufen. Zu berücksichtigen ist außerdem die Anzahl der Vorbesitzer (hier: 4).

Mit Rücksicht auf die Ausführungen des Sachverständigen kann der Senat nicht ausschließen, dass die Hydrostößel bereits vor Auslieferung des Fahrzeugs an den Kläger verschlissen bzw. verschmutzt waren. Denkbar ist auch, dass es dazu erst während der Zeit gekommen ist, in der der Kläger den Wagen benutzt hat. Insoweit geht der Senat von einer Fahrleistung von mindestens 5.000 km aus.

Nach alledem ist dem Kläger nicht der Nachweis gelungen, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe sachmangelhaft gewesen ist. Die Beweislastumkehr nach § 476 BGB rechtfertigt keine andere Beurteilung. Sie kommt, wie ausgeführt, erst in Betracht, wenn der Käufer das Vorhandensein eines Sachmangels voll bewiesen hat. Die in § 476 geregelte Beweisvermutung darf nicht etwa dahin verstanden werden, dass ein Defekt, der innerhalb von 6 Monaten nach Übergabe in Erscheinung tritt, vermutlich Sachmangelqualität hat. Denn es handelt sich bei § 476 BGB um eine lediglich in zeitlicher Hinsicht wirkende Vermutung (BGH NJW 2004, 2299; NJW 2006, 2250).

Gleichfalls ohne Erfolg bleibt die Berufung mit der Argumentation, die Beklagten hätten im Zuge der Nachbesserung neue Mängel „produziert“. Dieser Vorwurf geht schon in tatsächlicher Hinsicht fehl. Der Senat kann aus tatsächlichen Gründen nicht feststellen, dass den Beklagten im Zuge der Nachbesserungsarbeiten ein Fehler unterlaufen ist, der mit den beanstandeten Motorgeräuschen in einem ursächlichen Zusammenhang steht.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ein Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Streitwert für das Berufungsverfahren und Beschwer für den Kläger:

9.658,31 € + 500,00 € (Feststellungsantrag) = 10.158,31 €.

Amtsgericht Offenbach

Urteil vom:

19.03.2007

Aktenzeichen:

340 C 23/06

Eingestellt am:

05.12.2007

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Amtsgericht Offenbach am Main

Geschäfts-Nr.: 340 C 23/06

Verkündet It. Protokoll am: 19.03.2007

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit XXX

hat das Amtsgericht Offenbach am Main durch dem .Richter am Amtsgericht XXX im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist für die Parteien bis zum 06.03.2007 für Recht erkannt:

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2006 zu zahlen.

2. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte zu 3) ist eine Renault-Fachhändlerin. Sie ist in der Rechtsform der offenen Handelsgesellschaft organisiert; die Beklagten zu 1) und 2) sind ihre Gesellschafter.

Mit verbindlicher Bestellung vom 24. Juni 2005 erwarb der Kläger von der Beklagten zu 3) ein gebrauchtes Kraftfahrzeug der Marke Renault Espace Elysee mit einem Kilometerstand von 125 500. Der Verkauf erfolgte im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistung. Darüber hinaus wurde noch eine einjährige Car-Garantie gewährt. Am 04.07.2005 trat ein Fehler an dem Elektroventil des Automatikgetriebes bei Kilometerstand 126 055 auf. Das Fahrzeug wurde repariert. Anfang Dezember 2005 trat ein Totalschaden des Automatikgetriebes auf. Nach Abzug der Leistungen aus der Car-Garantie in Höhe von 1.250,00 €verblieb ein Reparaturkostenbetrag von Brutto 3.056,07 €. Die Reparatur wurde bei der Beklagten zu 3) durchgeführt. Eingebaut wurde im Fahrzeug des Klägers ein Austauschgetriebe. Hierüber verhält sich die Rechnung vom 13.12.2005 (BI. 8 d. A.). Um das Fahrzeug mitnehmen zu können, zahlte der Kläger unter Vorbehalt einen Betrag von 2.500,00 € an die Beklagte zu 3) (vgl. BI. 9 d. A.).

Im vorliegenden Klageverfahren möchte der Kläger die von ihm unter Vorbehalt gezahlten 2.500,00 € zurückerhalten. Er macht geltend, dass im Hinblick auf das kaputtgegangene Getriebe das gekaufte Fahrzeug an einem Sachmangel gelitten habe, für den die Beklagte zu 3) im Zuge ihrer gesetzlichen Gewährleistung habe einstehen müssen. Deswegen sei er von den Reparaturkosten freizustellen, deren Rückzahlung er, soweit von ihm bislang getragen, vorliegend begehrt.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten machen geltend, dass der aufgetretene Getriebeschaden nicht auf einem Sachmangel des gekauften Kfz beruhe. Vielmehr liege diesem Defekt ein in Anbetracht des Alters und der hohen Laufleistung des Fahrzeuges bereits zum Kaufzeitpunkt normaler Verschleiß zu Grunde. Gemäß den Beschlüssen vom 31.03 und 26.05.2006 sollte Beweis erhoben werden über die Frage, ob der aufgetretene Getriebeschaden sich (noch) als Folge üblichen Verschleißes darstellt oder nicht. Die Beweiserhebung war undurchführbar, weil das streitgegenständliche Getriebe nicht mehr zur Verfügung stand.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Der Kläger kann von den Beklagten – insoweit haften die Beklagten zu 1) und 2) als Gesellschafter der beklagten OHG (Beklagte zu 3)) mit dieser zusammen als Gesamtschuldner, §§ 124 in Verbindung mit 128 HGB – Rückzahlung der von ihm am 13.12.2005 unter Vorbehalt gezahlten 2.500,00 ~ gemäß § 812 Abs. 1 BGB verlangen. Der Kläger hatte am genannten Tag 2.500,00 € an die Beklagte zu 3) unter Vorbehalt gezahlt, da er sonst das reparierte Auto nicht herausgegeben bekommen hätte (vgl. BI. 9 d. A.). Hierin liegt eine Vereinbarung der Parteien dahingehend, dass dem Kläger die Rückforderung der unter Vorbehalt gezahlten Summe dann möglich sein sollte, wenn er im Verhältnis zur Beklagten zu 3) die Reparaturkosten nicht zu tragen hätte. Dies ist vorliegend der Fall. Denn dem Reparaturauftrag des Klägers lag vorliegend ein Sachmangel des gekauften. Kfz zu Grunde, für den die Beklagte zu 3) einzustehen hat. Hierzu wird später noch ausgeführt.

Gemäß § 433 Abs. 1 Satz 2 BGB hatte die Beklagte zu 3) dem Kläger das Kfz frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen. Wie noch auszuführen sein wird, wies das Kfz einen rechtlich beachtlichen Sachmangel auf, als welcher der Getriebeschaden einzustufen ist. Auch wenn der Getriebeschaden erst knapp innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang auftrat, so gilt doch zu Gunsten des Klägers § 476 BGB, wonach vermutet wird, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel zeigt. Diese Vermutung ist durch die Beklagte vorliegend nicht widerlegt. Daher konnte der Kläger gemäß den §§ 437 in Verbindung mit 439 BGB von der Beklagten Mangelbeseitigung verlangen, welche im Rahmen der Gewährleistung kostenfrei zu erfolgen hat, so dass im Ergebnis die Beklagte die Reparaturkosten selbst zu übernehmen und den Kläger von diesen Kosten freizustellen hatte. Der Kläger konnte damit von der Beklagten gemäß § 812 Abs. 18GB Rückzahlung der unter Vorbehalt gezahlten 2.500,00 € verlangen.

Wie bereits ausgeführt, legt das Gericht vorliegend einen rechtlich beachtlichen Sachmangel im Hinblick auf den aufgetretenen Getriebeschaden zu Grunde. Diesen bereits bei Gefahrübergang vorhandenen Sachmangel hätte der Kläger zwar trotz § 476 BGB vollumfänglich beweisen müssen, da die genannte Vorschrift nur die Vermutung ausspricht, dass ein Sachmangel bereits bei Gefahrübergang vorhanden war, wenn er sich innerhalb von sechs Monaten nach Gefahrübergang zeigt. Nicht vermutet wird durch die genannte Bestimmung jedoch, dass ein Sachmangel überhaupt vorliegt. Insoweit hatte die Beklagtenseite sich damit verteidigt, dass lediglich normaler Verschleiß zu dem Auftreten des Getriebeschadens geführt habe. Den ihm an sich obliegenden Beweis des Vorliegens eines Sachmangels konnte der Kläger jedoch nicht führen, weil das defekte Getriebe für eine Begutachtung durch den Sachverständigen nicht mehr zur Verfügung stand. Ausweislich der vorgelegten Bestätigung der Renault Niederlassung Frankfurt erhielt diese am 13.12.1005 das defekte Getriebe, welches am 15.12.2005 an den Importeurzurückgesandt wurde. Damit ging das Beweismittel verloren, auf das es vorliegend ankam. Dies geht hier zu Lasten der Beklagten.

Die Beklagte hat nämlich fahrlässig die dem Kläger obliegende Beweisführung vereitelt. Denn sie überließ das streitgegenständliche defekte Getriebe der Renault Niederlassung Frankfurt, von wo aus es an den Importeur zurückging. Zu diesem.Zeitpunkt hätte die Beklagte zu 3) jedoch erkennen können und müssen, dass das Getriebe noch für Zwecke der Beweisführung, gerade auch in einem Rechtsstreit, benötigt werden könnte und deswegen für eine eventuelle Untersuchung noch zur Verfügung stehen können müsste. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob der Kläger bei Erteilung des Reparaturauftrags oder bei Bezahlung darauf hingewiesen hat, dass das defekte Getriebe aufzubewahren sei. Denn aus dem Umstand, dass der Kläger lediglich „nur unter Vorbehalt“ den „hohen Betrag von 2.500,00 €“ an die Beklagte zu 3) zahlte, musste für diese ersichtlich sein, dass der Kläger beabsichtigte, diesen Betrag von der Beklagten zu 3) zurückzuerhalten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bereits einige Zeit zuvor schon ein Fehler an dem Elektroventil des Automatikgetriebes aufgetreten war, so dass sich die Frage nach der Ursache des neuerlichen Getriebedefektes aufdrängte, mögen beide Defekte technisch miteinander auch nicht im Zusammenhang gestanden haben. Für die Beklagte zu 3) letztlich hätte es jedoch auf der Hand liegen müssen, dass sich jedenfalls der Kläger fragen würde, inwieweit er seinerzeit ein mangelfreies oder ein mangelbehaftetes gebrauchtes Kfz bei der Beklagten zu 3) erworben hatte. Ferner tritt hinzu, dass die genauen Abläufe im Hinblick auf die Rückgabe des defekten Getriebes und den Erhalt eines Austauschgetriebes lediglich der Beklagten zu 3) bekannt waren; nicht aber dem Kläger bekannt sein mussten. Von daher wäre es Sache der Beklagten zu 3) gewesen, ihrerseits den Kläger darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit bestand, das ausgebaute, defekte Getriebe gegen eine Pfandzahlung aufzubewahren. Dann hätte es für Begutachtungszwecke zur Verfügung gestanden. Ein solcher Hinweis wäre für die Beklagte zu 3) auch geboten gewesen, weil eine derartige Hinweispflicht als Nebenpflicht aus dem Kaufvertrag, der ja auch Gewährleistungsansprüche beinhaltet, als Nebenpflicht anzuerkennen ist. Hier handelte es sich um Umstände, die der Beklagten zu 3) bekannt waren, nicht aber dem Kläger bekannt sein mussten. Danach ergibt sich, dass die schuldhafte Nichterfüllung einer nebenvertraglichen Hinweispflicht durch die Beklagte zu 3) dazu geführt hat, dass darauf verzichtet wurde, das defekte Getriebe aufzubewahren. Dass das Getriebe noch benötigt werden würde für Begutachtungszwecke, war für die Beklagte auch erkennbar, da der Kläger nur unter Vorbehalt gezahlt hatte, so dass die Geltendmachung der Rückforderung durch den Kläger gegenüber der Beklagten auf der Hand lag. In diesen Zusammenhang war für die Beklagte weiter auch erkennbar, dass es dann darauf ankommen würde, dass das Getriebe untersucht werden könnte, um festzustellen, welche Ursache der aufgetretene Defekt hatte. Dadurch, dass die Beklagte durch ihr Vorgehen diese Beweisführung für den Kläger unmöglich gemacht hat, hat sie fahrlässig die Möglichkeit des Klägers vereitelt, ein Beweis dahingehend zu führen, dass ein rechtlich relevanter Sachmangel an dem Fahrzeug vorlag (und nicht nur normaler Verschleiß). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass am 13.12.2005 der Kläger unter Vorbehalt Zahlung leistete, jedoch erst am 15.12.2005 das defekte Getriebe an den Importeur zurückging, wie die von der Beklagten vorgelegte Bescheinigung der Renault Niederlassung Frankfurt ergibt. Am 13.12.2005 hätte daher für die Beklagte zu 3) die Möglichkeit bestanden, ggf. nach einer entsprechenden Rückfrage an den Kläger die Rücksendung des defekten Getriebes an den Importeur zu verhindern; dann hätte das Getriebe im vorliegenden Rechtsstreit auch noch untersucht werden können. Die Folge der fahrlässigen Beweisvereitlung durch die Beklagte zu 3) ist hier, dass eine Beweislastumkehr stattfindet Somit hatte vorliegend die Beklagte zu 3) zu beweisen, dass dem Getriebedefekt kein beachtlicher Sachmangel zu Grunde lag, sondern lediglich normaler Verschleiß. Diesen Beweis wiederum kann die Beklagte zu 3) nicht führen, da das zu untersuchende Getriebe nicht mehr zur Verfügung steht. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Basis lediglich statistischer Erkenntnisse (vgl. den den Parteien zur Verfügung gestellten Vermerk des Abteilungsrichters vom 26.05.2006 über ein Telefonat mit dem Sachverständigen Karpinski) war vorliegend nicht veranlasst. Denn daraus hätten sich allenfalls gewisse, auf Erfahrungswerten beruhende Wahrscheinlichkeiten für die Ursache des Getriebedefekts ergeben, nicht aber der für den konkreten Fall geforderten Nachweis einer bestimmten Ursache für den aufgetretenen Getriebedefekt. Nach alledem konnten die Beklagten nicht beweisen, dass lediglich normaler Verschleiß dem aufgetretenen Getriebedefekt zu Grunde gelegen hat. Zu Gunsten des Klägers ist vielmehr davon auszugehen, dass ein Sachmangel im Sinne des § 434 BGB bereits bei Übergabe des Kfz vorlag, der für den Kläger die entsprechenden Gewährleistungsrechte auslöste und dazu führt, dass der Kläger für die Reparaturkosten nicht einzustehen hat, so dass er die unter Vorbehalt gezahlten 2.500,00 € von den Beklagten zurückverlangen kann. Im Übrigen spricht hier für die Vorlage eines bereits bei Gefahrübergang vorliegenden Mangels auch der Umstand, dass der Kläger nach Übergabe des Kfz nur ca. 6 000 km damit gefahren ist, bis der Getriebeschaden auftrat. Eine derartig kurze Fahrstrecke im Vergleich zur Gesamtlaufleistung legt die Vermutung nahe, dass der Getriebeschaden als „Grundmangel“ bereits beim Kauf des Fahrzeuges angelegt war und bei der seinerzeitigen Übergabe-Überprüfung lediglich noch nicht bemerkt wurde bzw. bemerkt werden konnte.

Hatte die Klage somit Erfolg, so beruht die Kostenentscheidung auf § 91 Abs. 1 in Verbindung mit § 100 Abs. 4 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung gründet sich auf § 709 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 43 Abs. 1 GKG.

Saarländisches Oberlandesgericht

Urteil vom:

17.07.2007

Aktenzeichen:

4 U 714/03

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB § 249 Abs. 2 Satz 1

Eingestellt am:

05.12.2007

Die im Rahmen des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu erstattenden unfallbezogenen Mehrleistungen bei der Inanspruchnahme eines sog. Unfallersatztarifs können durch einen pauschalen Aufschlag von 25% auf den gewichteten mittleren Normaltarif ausgeglichen werden.

SAARLÄNDISCHES OBERLANDESGERICHT URTEIL
4 U 714/03

Verkündet am 17. Juli 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2007

durch den Richter am Oberlandesgericht Schmidt als Vorsitzenden, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Dörr sowie die Richterin am Landgericht Gerard- Morguet

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das 7. November 2003 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – Az. 3 O 131 / 03 – unter Ziff.2 des Urteilsausspruches dahin abgeändert , dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, an die Fa. S. L. AG, , einen Betrag von 1.004,35 EUR ebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 21.2.2003 zu zahlen, und der Klageantrag zu Ziff.2 im Übrigen abgewiesen wird. Die weiter gehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen zu 43 % dem Kläger und zu 57 % den Beklagten als Gesamtschuldnern zur Last . Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben der Kläger 10 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 90 % zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar .

4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.754,90 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen .

Gründe:

A.

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 17.1.2003 auf der BAB 8 in Höhe der Abfahrt K.- L. ereignete, und bei dem sein PKW Opel Vectra beschädigt wurde, als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Alleinhaftung der Beklagten steht zweitinstanzlich außer Streit. Zur Berufung angefallen sind lediglich restliche Kosten für einen vom Kläger im Zeitraum 17.1.2003 bis 31.1.2003 in Anspruch genommenen Mietwagen (Opel Astra Coupe 2.0 Turbo). Die Mietwagenkosten betragen laut Rechnung der Firma S. L. AG vom 31.1.2003 2.852,44 EUR inkl. Mwst. (Bl. 9 d. A.). Der Rechnung liegt der „Unfallersatztarif“ zugrunde. Der Kläger macht im Hinblick auf eine Vorsteuerabzugsberechtigung nur den Nettobetrag von 2.459 EUR geltend, der mit Rücksicht auf eine Sicherungsabtretung unmittelbar an die Fa. S. L. AG zur Auszahlung gelangen soll ( Bl. 30 d.A. ).

Auf die Mietwagenrechnung wurden nach Klagezustellung insgesamt 370 EUR ( 263,80 EUR + 106,30 EUR ) gezahlt. Wegen eines Teilbetrages von 334 EUR hat der Kläger die Klage zurückgenommen, weil er ein Fahrzeug einer höheren Gruppe angemietet hatte, so dass ein Restbetrag von 1.754,90 EUR netto verbleibt.

Durch das nunmehr angefochtene Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs.1 S.1 Nr.1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht – soweit für das Berufungsverfahren von Bedeutung – die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, 1.754,90 EUR nebst Zinsen an die Fa. S. L. AG zu zahlen.

Nur hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die mit ihrem Rechtsmittel eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin anstreben, dass die Verurteilung zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Wegfall gerät und die Klage insoweit abgewiesen wird.

Die Beklagten sind der Auffassung, die vom Landgericht zuerkannten Mietwagenkosten seien nicht ersatzfähig. Die Beklagten bestreiten, dass ein Mietvertrag zu dem in der Rechnung ausgewiesenen Unfallersatztarif zustande gekommen ist (Bl. 152 d. A.). Sie haben zweitinstanzlich den Verdacht geäußert, dass der Mietvertrag , den der Kläger im ersten Rechtszug trotz Aufforderung nicht im Original vorgelegt habe und von dem sie erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine Kopie erhalten haben, nach Unterschriftsleistung des Klägers um die Eintragung „Haftpflichttarif“ ergänzt worden sei ( Bl. 152 d. A.). Selbst wenn ein Mietvertrag wirksam zustande gekommen sein sollte, sei der Unfallersatztarif nicht erstattungsfähig. Der Kläger, der vor Anmietung des Ersatzfahrzeugs unstreitig keine Preisvergleiche vorgenommen habe, habe durch die Inanspruchnahme eines deutlich überhöhten Unfallersatztarifes gegen die Schadensgeringhaltungspflicht verstoßen. Dem Kläger sei es ohne weiteres zumutbar und möglich gewesen, sich nach günstigeren Mietwagenkonditionen zu erkundigen. Solche stünden Kunden der Fa. Opel in Form des Opel rent – Werkstatttarifs zur Verfügung (Bl. 42, 43, 44 u. 150 d. A.). Die Beklagten bestreiten, dass Unfallgeschädigten von Vermietern ausnahmslos der Unfallersatztarif angeboten wird. Bei „neutralen“ Anfragen, die ohne Verstoß gegen die Wahrheitspflicht möglich seien, werde Mietinteressenten der „Normaltarif“ angeboten. Selbst wenn der Beklagte wie zweitinstanzlich behauptet seine Kreditkarte am Unfalltag nicht mitgeführt haben sollte, was bestritten werde, sei er an der Inanspruchnahme des Normaltarifs nicht gehindert gewesen.

Die Beklagten beantragen ( Bl. 144,149, 189, 339, 340 d.A. ),

das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen wird, soweit sie zur Zahlung von Mietwagenkosten von 1.754,90 EUR nebst Zinsen verurteilt wurden.

Der Kläger beantragt ( Bl. 162, 190, 339, 340 d.A. ),

die Berufung zurückzuweisen.

Er bestreitet nachträgliche Manipulationen an dem Mietvertrag und hält den Einwand für präkludiert (Bl. 163 d. A.). Der Kläger ist der Ansicht, das Landgericht habe die ersatzfähigen Mietwagenkosten korrekt ermittelt. Nach seinen individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten habe dem Kläger kein günstigerer Tarif zur Verfügung gestanden (Bl. 163 d. A.). Ihm sei der Unterschied zwischen dem „Unfallersatztarif“ und dem „Normaltarif“ damals nicht bekannt gewesen. Im Übrigen würden alle Vermieter Unfallgeschädigten ausschließlich den Unfallersatztarif anbieten. Auch deshalb sei ihm eine Anmietung zum Normaltarif nicht möglich gewesen (Bl. 166 u. 167 d. A.). Der Opel rent – Tarif, den die Beklagten ihrer Berechnung zugrunde legen, stehe nur „normalen“ Werkstattkunden der Fa. Opel zur Verfügung. Er werde unfallgeschädigten Kunden nicht angeboten. Mit Schriftsatz vom 11.11.2005 ( Bl. 256 d.A. ) hat der Kläger erstmals geltend gemacht, er habe auch deshalb nicht die Möglichkeit gehabt, ein Mietfahrzeug zum „Normaltarif“ anzumieten, weil er seine Kreditkarte bei der Anmietung nicht mitgeführt habe (Bl. 164 d. A.). Selbst wenn man den Unfallersatztarif nicht als erstattungsfähig ansähe, wären nach den Ausführungen des Sachverständigen L. im Normaltarif Mietwagenkosten von 1.386,– EUR angefallen. Diese müssten die Beklagten jedenfalls ersetzen (Bl. 164 d. A.). Da die Unfallersatztarife gegenüber den „Normaltarifen“ ein unterschiedliches Leistungsbild aufwiesen und unfallbezogene Mehrleistungen der Vermieter abgegolten würden, sei ein Aufschlag auf den Normaltarif vorzunehmen, den verschiedene Gerichte auf pauschal 30 % geschätzt hätten ( Bl. 310 d.A. ).

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beschlüssen vom 2.5.2005 und 24.4.2006 ( Bl. 217 bis 219 sowie Bl. 286 d.A. ). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Erstgutachten des Sachverständigen L. vom 25.10.2005 ( Bl. 248 f. d.A. ) sowie auf das schriftliche Ergänzungsgutachten vom 23.2.2007 ( Bl. 296 f. d.A.) Bezug genommen. In der mündlichen Verhandlung vom 3.7.2007 wurde der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegte Originalmietvertrag eingesehen (Bl. 340 d.A.).

B.

Die gemäß den §§ 511,513,517,519 und 520 ZPO zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagten sind lediglich zur Zahlung restlicher Mietwagenkosten von 1.004,35 EUR netto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 21.2.2003 an die Fa. S. L. AG verpflichtet. Die weiter gehende Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

Der Senat konnte die abweichenden Feststellungen des Landgerichts, wonach die Beklagten restliche Mietwagenkosten von 1.754,90 EUR netto zu zahlen haben, gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen, da gegen deren Vollständigkeit und Richtigkeit durchgreifende Bedenken bestehen (§ 529 ZPO).

Nach dem Ergebnis der vom Senat veranlassten Beweiserhebungen sind nur Mietwagenkosten von insgesamt 1.374,45 EUR (netto) als Herstellungsaufwand nach § 249 Abs.2 S.1 BGB erforderlich und erstattungsfähig. Bringt man die an die Fa. S. L. AG geleisteten Zahlungen von 370,10 EUR in Abzug , ergibt sich ein noch zu ersetzender Betrag von 1.004,35 EUR.

I.

Ohne Erfolg wendet die Berufung ein, ein Anspruch auf Erstattung von Mietwagenkosten in Höhe des Unfallersatztarifs bestehe schon deshalb nicht, weil ein Mietvertrag zwischen dem Kläger und der Fa. S. Leasung AG nicht wirksam zustande gekommen und der „Haftpflichttarif“ bei Vertragsabschluss nicht vereinbart worden sei.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2007 den vom Kläger vorgelegten Originalmietvertrag vom 17.1.2003 eingesehen und konnte keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass das Wort “ Haftpflichttarif „, wie die Beklagten zweitinstanzlich unterstellt haben, nachträglich in den Vertrag eingefügt wurde. Dass zwei unterschiedliche Kugelschreiber verwendet wurden, beruht darauf, dass einige Eintragungen wie etwa das Rückgabedatum und der Km-Stand bei Abgabe erst bei Rückgabe des Fahrzeugs Eingang in den Vertragstext finden konnten. An dem Manipulationsvorwurf hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nach Vorlage des Originalmietvertrages im Termin nicht mehr festgehalten ( Bl. 340 d.A. ). Selbst wenn dem Kläger der Unterschied zwischen dem „Normaltarif “ und dem mit der Fa. S. L. AG vereinbarten „Haftpflichttarif “ bei Unterzeichnung des Mietvertrages nicht bekannt gewesen sein sollte, führt das nicht zur Annahme eines Einigungsmangels ( § 155 BGB ) mit der Folge, dass ein Mietvertrag zu dem vereinbarten „Haftpflichttarif“ nicht wirksam zustande gekommen wäre. II.

Bei der Frage nach der Erforderlichkeit des „Unfallersatztarifs“ ist von dem Grundsatz auszugehen , dass der Geschädigte nach § 249 Abs.2 S.1 BGB als Herstellungsaufwand nur den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen kann, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen.

1.

Zu Unrecht glauben die Beklagten, nur den – wie noch auszuführen sein wird – unter dem gewichteten mittleren „Normaltarif“ liegenden besonders günstigen Opel rent – Werkstatttarif als zur Herstellung erforderliche Mietwagenkosten ersetzen zu müssen. Sie übersehen zunächst, dass die bislang gezahlten 370,10 EUR noch unter dem Betrag 527,58 EUR ( netto ) liegen, der sich nach ihrem eigenen Prozessvortrag unter Zugrundelegung des Opel-rent Tarifs für ein Fahrzeug der Gruppe 6 bei einer Mietdauer von 2 Wochen ergibt ( Bl. 42 d.A. ). Da die volle Haftung der Beklagten nunmehr außer Streit steht, ermangelt die Berufung hinsichtlich des Differenzbetrages von 157,48 EUR bereits einer ordnungsgemäßen Begründung. Im Übrigen ist ein Unfallgeschädigter nicht verpflichtet, zur Entlastung des Schädigers den günstigsten Mietwagentarif überhaupt ausfindig zu machen. Der mittlere „Normaltarif“ kann stets als nach § 249 Abs.2 S.1 BGB erforderlicher Herstellungsaufwand angesehen werden. Außerdem hat der Kläger einsichtig dargelegt, dass der von den Beklagten in Bezug genommene Opel rent- Tarif „normalen“ Werkstattkunden vorbehalten ist. Diesen Tarif bieten Opel Vertragswerkstätten – wie der Streitfall belegt – Kunden nicht an , von denen sie wissen, dass es sich um Unfallgeschädigte handelt, die von einem Versicherer Schadensersatz verlangen können.

2.

Ein Geschädigter verstößt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch nicht stets allein deshalb gegen die Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er – wie der Kläger – ein Kraftfahrzeug zu einem Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber dem Normaltarif teurer ist. Letzteres folgt aus den Erhebungen, die der Sachverständige L. im Auftrag des Senats angestellt hat. Danach betrug der gewichtete Mittelwert für die Mietwagengruppe 6 im Postleitzahlengebiet 664 im maßgeblichen Zeitraum laut Schwacke Automietpreisspiegel ( AMP ) Ausgabe 2003 im Unfallersatztarif 245 EUR am Tag bzw. 1.451 EUR bei einer Mietdauer von 7 Tagen . Demgegenüber lag der gewichtete mittlere „Normaltarif“ nur bei 112 EUR pro Tag bzw. bei 525 EUR für 7 Tage. Diese Mietpreise verstehen sich jeweils inklusive Mwst ( Bl. 251, 253 d.A. ). Hieraus folgt, dass der dem Kläger in Rechnung gestellte Tarif deutlich höher ist als der mittlere Normaltarif. 3.

Der Geschädigte kann – ohne dass es darauf ankommt, ob spezifische unfallbezogene Mehrleistungen des Vermieters den erhöhten Unfallersatztarifrechtfertigen – den höheren Tarif im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung dann ersetzt verlangen, wenn ihm ein günstigerer „Normaltarif“ nicht ohne weiteres zugänglich war ( BGH NJW 2005,1933 ). Hierfür hat der Geschädigte darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt – zumindest auf Nachfrage – kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war.

Der Kläger hat entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts nicht einsichtig darzulegen vermocht, dass ihm bei Anlegung dieses Maßstabes kein günstigerer Tarif zugänglich war. Der Kläger wurde bei dem Unfall nicht verletzt. Er war in der Lage, dem Verursacherfahrzeug längere Zeit nachzufahren, den LKW anzuhalten, eine polizeiliche Unfallaufnahme zu veranlassen, die Opel-Werkstatt aufzusuchen und die Fahrt anschließend mit einem Mietfahrzeug fortzusetzen. Für eine psychische Ausnahmesituation, in der dem Kläger ein wirtschaftliches Denken und Handeln nicht oder nur eingeschränkt möglich gewesen sein könnte, gibt es keinen Anhalt. Dass die beruflichen Termine, die der Kläger eigenen Angaben in der landgerichtlichen Anhörung vom 6.10.2003 zufolge am Vorfallstag noch wahrzunehmen hatte, so wichtig und unaufschiebbar waren, dass der Kläger ohne Einholung von Alternativangeboten ungeprüft den Unfallersatztarif des ihm von der Werkstatt empfohlenen Vermieters in Anspruch nehmen durfte und dass ihm selbst telefonische Anfragen nach vorteilhafteren Konditionen unmöglich oder unzumutbar waren, ist weder einleuchtend dargetan ( Bl. 78 d.A. ) noch nachgewiesen. Selbst wenn der Kläger, der über eine Kreditkarte verfügt, diese am Unfalltag nicht mitgeführt haben sollte, war er nicht gehindert, sich die Karte kurzfristig zu beschaffen oder sich die Kartendaten telefonisch durchgeben zu lassen. Im Übrigen ist auch nicht dargetan, dass der Kläger die bei Anmietung eines Ersatzfahrzeugs zum Normaltarif geforderte Mietvorauszahlung bzw. Kaution ( sog. “ Cashtarif “ ) nicht hätte aufbringen können. Außerdem handelt es sich um zweitinstanzlich neues , von der Gegenseite bestrittenes ( Bl. 314 x d.A. ) Angriffsvorbringen, für das die Zulassungsbeschränkungen des § 531 Abs.2 ZPO gelten, die ersichtlich nicht gegeben sind.

Das Argument, Geschädigten werde nach Verkehrsunfällen von Mietwagenunternehmen, denen dieser Umstand bekannt ist, generell der Unfallersatztarif angeboten, was der Sachverständige L. für den hier maßgeblichen Zeitpunkt Januar 2003 in seinem schriftlichen Erstgutachten bestätigt hat, gestattet nach neuerer Rechtsprechung ebenfalls nicht den Schluss, dass dem Kläger bei entsprechender Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich gewesen wäre ( BGH NJW 2007,1125; 1449 m w Nw. ). Der Kläger war nicht genötigt, ein Ersatzfahrzeug gerade bei der Fa. S. L. AG in H. anzumieten, die mit der Opel – Reparaturwerkstatt in enger Verbindung stand und der bekannt war, dass er das Ersatzfahrzeug als Unfallgeschädigter in Anspruch nehmen wollte. Selbst wenn der Kläger bei Einholung von Angeboten anderer Anbieter im Raum Z. / H./Saar auf Frage seine Unfallgeschädigteneigenschaft ggfs. hätte offenbaren müssen ( Bl. 286 d.A. ), hätte er ohne Verletzung der Wahrheitspflicht auf die zu diesem Zeitpunkt ungeklärte Haftungsfrage hinweisen und mit Blick auf die sich daraus ergebenden Risiken auf dem günstigeren „Normaltarif“ bestehen können. Der Kläger weist in der Klageschrift selbst daraufhin, dass der Erstbeklagte ihm „gegenüber der Polizei das Verschulden für den Verkehrsunfall zuzuschieben versuchte“ ( Bl. 4 d.A. ). Auch die Erhebungen des Sachverständigen L. stehen dazu nicht in Widerspruch. Es mag sein, dass sämtliche lokalen Anbieter im Jahr 2003 bei Anfragen unter Hinweis auf die Unfallgeschädigteneigenschaft ausschließlich den teureren Unfallersatztarif angeboten hätten. Der Kläger hat jedoch gar keine Preisanfragen gehalten und sich nicht nach günstigeren Tarifen erkundigt. Er war nicht gehindert, bei anderen Vermietern “ neutrale “ Erkundigungen einzuholen, die ihn mit der Wahrheitspflicht nicht in Konflikt gebracht hätten. Für diesen Fall wären dem Kläger nach den Darlegungen des Sachverständigen L. von den Vermietern die zum Teil wesentlich günstigeren „Normaltarife“ angeboten worden.

Der Geschädigte muss zwar nicht zugunsten des Schädigers sparen oder sich so verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte ( BGH NJW 1996,1958 ff. ). Dennoch darf er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs nicht einfach beiseite schieben ( BGH Report 2007,388,389 ). Solche Bedenken können sich auch unter Kostenaspekten aufdrängen. Es bedarf keiner vertieften Kenntnisse der Preisgestaltung von Mietwagenunternehmen um zur Einsicht zu gelangen, dass Mietwagenkosten von ca. 2.500 EUR für ein Fahrzeug der Gruppe 7 bei einer Mietdauer von 2 Wochen enorm hoch sind. Hätte der Kläger einen Mietwagen aus anderen Gründen benötigt und wäre ihm ein solcher Tarif angeboten worden, hätte er zur Überzeugung des Senats wirtschaftlich vernünftig gehandelt und sich anderweitig nach günstigeren Konditionen erkundigt.

4.

Mithin bedurfte die Frage der Erforderlichkeit des den „Normaltarif“ übersteigenden Unfallersatztarifs weiter gehender Klärung. Ein höherer Tarif als der Normaltarif kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung gerechtfertigt sein, wenn er auf Leistungen des Vermieters beruht, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind ( BGH Urt. vom 14.2.2006 – Az. VI ZR 32 / 05 mwNw.). In dem Zusammenhang besteht keine Notwendigkeit, die Kalkulationsgrundlagen des konkreten Anbieters, hier also der Fa. S. L. AG, im Einzelnen nachzuvollziehen. Vielmehr kommt es darauf an, ob etwaige Mehrleistungen und Risiken bei der Vermietung an Unfallgeschädigte generell einen erhöhten Tarif rechtfertigen. Wegen solcher Mehrleistungen kann auch ein pauschaler, im Wege richterlicher Schätzung nach § 287 ZPO festzustellender Aufschlag auf den Normaltarif angebracht sein ( BGH Report 2007,388,389; 2006,232 ). Der Senat geht an diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anknüpfend von unfallbezogenen Mehrleistungen im Unfallersatztarif aus und ist der Auffassung, dass diese einen pauschalen Aufschlag von 25 % auf den gewichteten mittleren Normatarif rechtfertigen. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgeblich :

Im Unfallersatztarif ergeben sich aufgrund des zufälligen Charakters sowohl der Unfallzahl als auch der Art der betroffenen Fahrzeuge stärkere Schwankungen der Nachfrage als im Einzelkundentarif. Das hat eine gegenüber dem „Normaltarif“, der verlässlichere Kalkulationen ermöglicht, geringere Auslastung des vom Vermieter vorzuhaltenden Fuhrparks zur Folge. Auch die Service- und Verwaltungskosten sind im Unfallersatztarif höher, weil dort tätige Unternehmer Bereitschaftsdienste außerhalb der normalen Geschäftszeiten stellen müssen und den Mietern in der Regel als speziellen Service die (kostenneutrale) Zustellung und Abholung des Ersatzwagens an der Reparaturwerkstatt anbieten. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Risiken für Vermieter im Unfallersatztarif höher sind als im „Normaltarif“. Häufig handelt es sich um dem Vermieter nicht bekannte Kunden, deren Bonität er schlecht beurteilen kann. Eine positive Kundenauslese durch die im „Normaltarif“ übliche Pflicht zur Vorlage der Kreditkarte findet im Unfallersatztarif in der Regel nicht statt. Das Forderungsausfallrisiko und das Risiko von Zahlungsverzögerungen ist trotz der mit den Kunden vereinbarten Sicherungsabtretung gegenüber dem „Normaltarif“ deutlich erhöht. Bei der im „Normaltarif“ obligatorischen Vorlage der Kreditkarte kann der Vermieter die Geschäftsrisiken dadurch minimieren, dass er das Konto des Kunden schon vor Übergabe des Fahrzeugs mit dem voraussichtlichen Mietpreis zuzüglich Kosten sowie der Selbstbeteiligung bei Fahrzeugschäden belastet. Demgegenüber werden Rechnungen im Unfallersatztarif erst nach Abrechnung mit dem Versicherungsunternehmen beglichen. Auch dürften Kleinschäden und Fälle mangelnder Betankung zu konstatieren sein, die vom Vermieter im Hinblick auf den deutlich höheren Unfallersatztarif nicht beanstandet werden. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich beim „Unfallersatztarif“ um ein im Wesentlichen homogenes “ Produkt “ handelt, das in der Regel eine Kaskoversicherung mit Selbstbeteiligung umfasst. Demgegenüber beruht die aus der „Schwacke-Liste“ ersichtliche erhebliche Bandbreite im „Normaltarif“ wesentlich darauf, dass das Leistungsspektrum der Vermieter in diesem Tarif, insbesondere was den Umfang des im Tarif enthaltenen Versicherungsschutzes anbelangt, stark variiert, worauf der Sachverständige L. in seinem Erstgutachten hingewiesen hat ( Bl. 251 d.A.; vgl. auch Neidhardt/Kremer NZV 2005, 171-178).

Dass im Unfallersatzgeschäft mitunter beträchtliche Provisionen an Vermittler ( Werkstätten, Abschleppdienste pp. ) gezahlt werden, hat unberücksichtigt zu bleiben. Hohe Provisionen werden nur deshalb gezahlt, weil Verträge zu Unfallersatztarifen für Vermieter gegenüber Verträgen mit Normaltarifen lukrativer sind. Als spezifische unfallbezogene Mehrleistungen sind solche Provisionszahlungen an Dritte nicht anzuerkennen. Gleiches gilt für die sich in jüngster Zeit mehrenden „Forderungsausfälle“, die auf eine (zu Recht) fehlende Regulierungsbereitschaft der Versicherer und die mangelnde Bereitschaft der Kunden zurückzuführen sind, überhöhte Unfallersatztarife, denen keine adäquaten unfallbezogenen Mehrleistungen gegenüberstehen, selbst zu tragen.

Der Senat geht davon aus, dass die aufgezeigten „unfallbezogenen Mehrleistungen“ einen pauschalen Aufschlag von 25 % gegenüber dem gewichteten mittleren Normaltarif rechtfertigen (ebenso: LG Bonn, Urteil vom 28.2.2007 – 5 S 159/06, Zit. nach juris; vgl. auch LG Bielefeld, Urteil vom 7.3.2007 – 22 S 292/06 – Zit. nach juris: Aufschlag von 30 % ; nach Haertlein, JZ 2007, 68,71 muss der zu schätzende Aufschlag „moderat“ sein).

Hiernach ergeben sich im Streitfall ersatzfähige Mietwagenkosten von insgesamt 1. 374,45 EUR:

Da von vorne herein mit einer Reparaturzeit von einer Woche zu rechnen war ( Bl. 75 d.A. ), hätte ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Geschädigter anstelle des Klägers bei Abschluss des Mietvertrages den mittleren „Wochennormaltarif“ in Anspruch genommen. Dieser betrug nach den Erhebungen des Sachverständigen L. bei Fahrzeugen der Gruppe 6 525 EUR ( inkl. 16 % Mwst ). Weil der Kläger nicht vorhersehen konnte, dass die Reparatur bis zum 31.3.2003 dauern würde, war für die Restreparaturzeit von 7 Tagen der mittlere „Tagesnormaltarif “ von 112 EUR (inkl. Mwst .) in Ansatz zu bringen. Für die Gesamtmietdauer ergeben sich danach Kosten im „Normaltarif“ von 1.309 EUR (inkl. Mwst.) bzw. 1.099,56 EUR netto.

Hinzu kommt der nach § 287 ZPO auf 25 % geschätzte Pauschalaufschlag für unfallbezogene Mehrleistungen. Die gemäß § 249 Abs.2 S.1 BGB als Herstellungsaufwand erforderlichen Mietwagenkosten betragen somit insgesamt 1. 374,45 EUR netto . Abzüglich bereits geleisteter Zahlungen von 370,10 EUR, verbleibt ein Restbetrag von 1.004,35 EUR netto, den die Beklagten noch an die Fa. S. L. AG zu zahlen haben. Die Berufung der Beklagten ist nur in diesem Umfang begründet.

Die Kostenentscheidung für beide Instanzen beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 91 a, 269 Abs.3, 100 Abs.4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Vorschrift des § 713 ZPO ist anwendbar, da die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, für jede der Parteien unzweifelhaft nicht gegeben sind. Dies folgt daraus, dass die Revision nicht zugelassen ist und gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO n. F. die Nichtzulassungsbeschwerde für jede der Parteien unzulässig ist, da die Beschwer für keine der Parteien mehr als 20.000,– EUR beträgt.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO n. F. nicht gegeben sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n. F.) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n. F.).

Oberlandesgericht Stuttgart

Beschluss vom:

30.10.2007

Aktenzeichen:

8 W 442/07

Rechtsgebiet(e):

ZPO, RVG-VV

Vorschriften:

ZPO § 91 ZPO § 103 ZPO § 104 RVG-VV Nr. 2300 RVG-VV Nr. 3100

Eingestellt am:

06.12.2007

1. Eine Anrechnung der außergerichtlichen Geschäftsgebühren nach Nr. 2300 RVG-VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 RVG-VV nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV kommt nur in Betracht, wenn diese im Hauptverfahren oder anderweitig tituliert oder der Anrechnungseinwand im Kostenfestsetzungsverfahren unstreitig ist.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer: 8 W 442/07

30. Oktober 2007

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren

wegen Unterlassung; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Tolk Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zeller-Lorenz Richterin am Oberlandesgericht Tschersich

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Heilbronn vom 13. August 2007, Az. 8 O 90/07, wird zurückgewiesen.

2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: 334,69 €

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darüber, ob der Verfügungsbeklagte verpflichtet ist, sich im Rahmen der Kostenfestsetzung auf die für seinen Bevollmächtigten entstandene und grundsätzlich erstattungsfähige gerichtliche Verfahrensgebühr 0,75 einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr anrechnen zu lassen.

Das Hauptsacheverfahren wurde beendet durch Urteil vom 23. April 2007, mit dem der Verfügungsklägerin die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens auferlegt wurden.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. August 2007 hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die von der Verfügungsklägerin an den Verfügungsbeklagten zu erstattenden Kosten auf insgesamt 1.206,21 € festgesetzt. In diesem Betrag ist unter anderem die von dem Verfügungsbeklagten für seinen Bevollmächtigten angefallene 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 RVG-VV in voller Höhe berücksichtigt, nicht dagegen die mit dem Antrag beanspruchte außergerichtliche 1,5-Geschäftsgebühr von 562,50 € gemäß Nr. 2300 RVG-VV nebst Auslagenpauschale von 20 € und 19% Umsatzsteuer abzüglich einer 0,75-Anrechnung auf die gerichtliche Verfahrensgebühr.

Mit ihrer fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde beruft sich die Verfügungsklägerin auf die Anrechnungsvorschrift in Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV, so dass im Kostenfestsetzungsverfahren wegen der vorgerichtlichen Tätigkeit lediglich noch eine 0,55-Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht werden könne. Der festgesetzte Erstattungsbetrag sei somit um 334,69 € zu kürzen. Zur Begründung seiner Ansicht beruft sich der Klägervertreter auf die Entscheidung des BGH vom 7. März 2007 (VIII ZR 86/06).

Der Verfügungsbeklagte ist der Beschwerde entgegengetreten. Er teilt mit, dass die im Antrag aufgenommene 1,5-Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV versehentlich in Ansatz gebracht worden sei, für diese bestehe nicht einmal ein materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch.

Die Rechtspflegerin hat das Rechtsmittel der Verfügungsklägerin ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO statthaft und auch sonst zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Die Festsetzung der Rechtspflegerin ist nicht zu beanstanden. Sie hat zu Recht die für den Bevollmächtigten des Verfügungsbeklagten entstandene 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 RVG-VV als prozessualen Kostenerstattungsanspruch in vollem Umfang gegen die Verfügungsklägerin in Ansatz gebracht.

Eine Pflicht zur Anrechnung der bei dem Verfügungsbeklagten aufgrund etwaiger vorgerichtlicher Tätigkeit seiner Bevollmächtigten entstandenen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 RVG-VV nach Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 RVG-VV auf die im gerichtlichen Verfahren angefallene 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 RVG-VV ergibt sich entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. März 2007 (AGS 2007, 283) und auch nicht aus der vom 14. März 2007 (AGS 2007,289). Beide Urteile betrafen Fälle, in denen der Kläger als Nebenforderung die Geschäftsgebühr aufgrund eines materiellen Schadensersatzanspruchs mit eingeklagt hatte. Dieses Vorgehen hat der Bundesgerichtshof aufgrund der Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV als berechtigt angesehen und im Zusammenhang damit darauf hingewiesen, dass die Anrechnung nach dem Wortlaut der Vorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV erst im Kostenfestsetzungsverfahren des Rechtsstreits erfolge.

Im vorliegenden Verfahren hat der Verfügungsbeklagte eine möglicherweise vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr seines Bevollmächtigten weder im Hauptsacheverfahren noch in einem anderen Verfahren – als materiellrechtlichen Schadensersatzanspruch – geltend gemacht.

Für diese Fallgestaltung entspricht es, soweit ersichtlich, ganz h. M. im Zivilrecht, dass im Kostenfestsetzungsverfahren auf der Grundlage der gerichtlichen Kostengrundentscheidung nur die prozessual entstandenen Gebühren und damit grundsätzlich die volle Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 RVG-VV zu berücksichtigen ist, sofern diese im Verfahren in voller Höhe entstanden ist. Die Anrechnungsvorschrift gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV gilt grundsätzlich nur im Verhältnis zwischen einer Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten. Der Prozessgegner haftet auf Erstattung vorgerichtlicher Kosten ausschließlich nach materiellem Recht. Nur wenn er bereits rechtskräftig zur Zahlung eines solchen materiellrechtlichen Schadens verurteilt ist oder eine anderweitige bestandskräftige gerichtliche oder außergerichtliche Regelung über einen solchen Anspruch im Verhältnis zu ihm vorliegt, kann eine Berücksichtigung im Kostenfestsetzungsverfahren erfolgen. Denn es soll vermieden werden, dass doppelt tituliert wird und der Kostenschuldner mehr erstatten muss, als der Kostengläubiger seinem Anwalt schuldet.

Auch eine vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 RVG-VV ist als materiellrechtlicher Anspruch einer Partei nur dann im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen, wenn entweder deren Anfall und die Pflicht des Gegners, sie zu tragen, oder wenn jedenfalls die für die Berücksichtigung maßgebenden Tatsachen unstreitig sind (KG AGS 2007, 439; OLG Koblenz Rpfleger 2007, 433; OLG Karlsruhe AGS 2007, 494; OLG München AGS 2007, 495; Norbert Schneider NJW 2007, 2001). Davon kann hier nicht ausgegangen werden.

Für die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung spricht auch die – soweit ersichtlich – früher einhellige Handhabung der rechtstechnisch gleichen Anrechnungsvorschrift in § 118 Abs. 2 BRAGO, nach der ebenfalls die vorgerichtlich entstandene Verfahrensgebühr auf die später in einem gerichtlichen Verfahren anfallende (Prozessgebühr) anzurechnen war. Insoweit bestand Einigkeit, dass die Prozessgebühr des gerichtlichen Verfahrens im zugehörigen Kostenfestsetzungsverfahren in voller Höhe festzusetzen war und nicht lediglich in der sich nach Anrechnung einer vorgerichtlichen Verfahrensgebühr verbleibenden Höhe. Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung der rechtstechnisch gleichen Anrechnungsvorschrift in Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV diesbezüglich eine Änderung der Rechtslage im Kostenfestsetzungsverfahren herbeiführen wollte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO und Nr. 1812 GKG-KV.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung war die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ZPO in Übereinstimmung mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde durch die Oberlandesgerichte Koblenz, Karlsruhe und München sowie das Kammergericht (je a. a. O.) zuzulassen.

Oberlandesgericht Hamm

Beschluss vom:

27.09.2007

Aktenzeichen:

23 W 182/07

Rechtsgebiet(e):

ZPO, RVG, RVG-VV

Vorschriften:

ZPO § 91 ZPO § 104 RVG § 72 Abs. 2 S. 1 Anl. 1 Teil 3 RVG-VV Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG-VV Nr. 2300

Eingestellt am:

06.12.2007

Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr nach RVG-VV Nr. 2300 auf die Verfahrensgebühr nach Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV kommt nur in Betracht, wenn diese im Hauptverfahren tituliert oder der Anrechnungseinwand im Festsetzungsverfahren unstreitig ist.

Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird kostenpflichtig nach einem Gegenstandswert bis zu 300 EUR zurückgewiesen.

Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die im Ausgangsrechtsstreit für den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr ist zu Recht mit 1,3 in die Kostenausgleichung der Parteien einbezogen worden.

Eine Minderung dieser Gebühr infolge Anrechnung der nach VV 2400 RVG bereits vorprozessual verdienten Geschäftsgebühr des Anwalts des Klägers ist zu Recht abgelehnt worden.

Die Anrechnungsregelung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG dient ausschließlich dazu, das Gebührenaufkommen des Rechtsanwalts, der sowohl vorprozessual aus auch im anschließenden Rechtsstreit in derselben Sache tätig wird, zu beschränken. Dadurch soll das Interesse des Anwalts an einer außergerichtlichen Einigung gefördert werden (vgl. Gesetzentwurf zur Modernisierung des Kostenrechts, BT-Dr 15/1971, S. 209).

Betroffen hiervon ist zunächst nur das Verhältnis des Anwalts zu seinem Mandanten (KG, Beschluss v. 17.07.2007, AGS 2007, 439 – 441 mit Anm. von Schneider; Schneider, NJW 2007, 2001, 2006; Hansens, RVGreport 2006, 311; 2007, 121, 122;). Gegenüber dem kostenpflichtigen Gegner führt sie jedoch nicht automatisch zu einer Kürzung der zu erstattenden Verfahrensgebühr. Seine Erstattungspflicht richtet sich ausschließlich nach § 91 ZPO. Danach hat er die prozessnotwendigen Kosten zu tragen. Die im Rechtsstreit auf Seiten des Gegners angefallene Verfahrensgebühr ist als Teil dieser Kosten von ihm daher grundsätzlich in voller Höhe zu erstatten.

Die vorprozessual angefallene Geschäftsgebühr gehört demgegenüber nicht zu den Prozesskosten im Sinne des § 91 ZPO und kann daher grundsätzlich nicht gemäß § 103 ZPO im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren festgesetzt werden. Schon deshalb verbietet sich eine zwingende Anrechnung auf die Verfahrensgebühr im Verhältnis zum kostenpflichtigen Prozessgegner. Andernfalls würde dieser allein auf Grund der Tatsache, dass der gegnerische Anwalt schon vorgerichtlich das Geschäft seines Mandanten in dieser Angelegenheit betrieben hat, in gemindertem Umfang auf die tatsächlich angefallenen Prozesskosten haften, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund besteht (a.A. für das Verwaltungsgerichtsverfahren vgl. VGH Kassel, NJW 2006, 1992 und VGH München, NJW 2006, 1990; s. auch KG a.a.O.).

Etwas anderes gilt, wenn der Kostenschuldner aus materiell-rechtlicher Schadensersatzpflicht dem obsiegenden Prozessgegner auf Erstattung der Geschäftsgebühr haftet. Dann greift der Normzweck der Anrechnungsbestimmung in der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG auch zu seinen Gunsten. Als materiell-rechtlicher Einwand ist die Schadensersatzpflicht aber nur dann zu beachten, wenn die Verpflichtung für die Kostenfestsetzungsorgane überprüfbar feststeht. Das ist zu bejahen, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht unstreitig sind oder vom Rechtspfleger bzw. der Rechtspflegerin ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden können (vgl. BGH, NJW-RR 2007, 422, 423), weil z.B. die Geschäftsgebühr in voller Höhe tituliert oder unbestritten schon beglichen wurde (vgl. KG a.a.O).

Die tragenden Gründe der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 07.03.2007 (NJW 2007, 2049-2050 = MDR 2007, 984) sowie im Urteil vom 14.03.2007 (Az. VIII ZR 184/06, veröffentlicht bei juris) stehen nicht entgegen. In beiden Fällen war der klagenden Partei die vorprozessual angefallene Geschäftsgebühr in vollem Umfang als Teil der Klageforderung zugesprochen worden. Bei dieser Konstellation entspricht es den obern dargestellten Grundsätzen, die volle Geschäftsgebühr durch Anrechnung auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen (so auch KG a.a.O.).

Da hier die Geschäftsgebühr des Prozessbevollmächtigten des Klägers weder tituliert noch bezahlt oder die tatsächlichen Voraussetzungen einer materiell-rechtlichen Ersatzpflicht der Beklagten unstreitig sind oder sich zweifelsfrei anhand des Akteninhalts ergeben, bleibt es beim Ansatz der vollen 1,3 Verfahrensgebühr zu Gunsten der Klägerin.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Wertfestsetzung entspricht dem Abänderungsinteresse.

Oberlandesgericht Rostock

Beschluss vom:

11.10.2007

Aktenzeichen:

10 WF 184/07

Rechtsgebiet(e):

RVG, RVG VV, ZPO

Vorschriften:

RVG § 2 RVG § 13 RVG VV Nr. 3100 der Anlage 1 ZPO § 104 Abs. 3 ZPO § 567 ZPO § 568 ZPO § 569

Eingestellt am:

06.12.2007

Die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 der Anlage 1 zum RVG auf die Verfahrensgebühr nach 3100 der Anlage 1 zum RVG gem. Vorbemerkung 3, (4) zur Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVG setzt voraus, dass die Geschäftsgebühr durch das im Verfahren ergangene Urteil tituliert worden ist.

Az.: 10 WF 184/07
Beschluss

In der Familiensache

hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Rostock am 11.10.2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts R – Familiengericht – vom 12.06.2007 wird auf ihre Kosten nach einem Wert von bis zu xxx Euro zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Parteien streiten im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens über die Höhe der dem Kläger von der Beklagten zu erstattenden Anwaltskosten. Mit Anerkenntnisurteil vom 17.11.2006 hat die Beklagte anerkannt, dass ihr der Kläger in Abänderung eines Vergleichs des Oberlandesgerichts R ab Juli 2003 keinen bzw. einen geringeren als den titulierten Betrag schuldet. Zu einem entsprechenden Anerkenntnis war sie zuvor vergeblich außergerichtlich von der Prozessbevoll-mächtigten des Klägers aufgefordert worden. Entsprechend dem klägerischen Antrag hat das Familiengericht im Rahmen der Kostenfestsetzung zu dessen Gunsten einen Anspruch auf Erstattung einer Verfahrensgebühr in Höhe von 1,3 nach den §§ 2, 13 RVG, Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVG festgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten. Sie ist der Ansicht, die Gebühr nach Nr. 3100 betrage der Höhe nach nur 0,65. Denn gemäß Vorbemerkung 3,(4) zur Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVG sei die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr des Prozessbevollmächtigten des Klägers – Nr. 2300 der Anlage 1 zum RVG – auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

II. Die gemäß §§ 104 Abs. 3, 567, 568, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Zwar trifft es zu, dass eine – außergerichtlich entstandene – Geschäftsgebühr (Nr. 2300 der Anlage 1 zum RVG) im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß Vorbemerkung 3,(4) zur Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVG auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 der Anlage 1 teilweise anzurechnen ist (vgl. BGH NJW 2007, 2049 – 2050 sowie BGH NJW 2007, 2050 – 2052). Dieses setzt jedoch voraus, dass die Geschäftsgebühr eingeklagt geworden ist (vgl. KG AGS 2007, 439-441; Tomson,VersR 2007,1098). Denn Sinn und Zweck der Regelung der Vorbemerkung 3,(4) zur Nr. 3100 ist der Schutz des Schuldners vor einer doppelten Inanspruchnahme. Im vorliegenden Verfahren ist die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr nicht eingeklagt worden. Die Regelung gemäß Vorbemerkung 3,(4) zur Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVGG ist daher nicht einschlägig.

Oberlandesgericht Nürnberg

Beschluss vom:

10.10.2007

Aktenzeichen:

3 W 1748/07

Rechtsgebiet(e):

RVG VV

Vorschriften:

RVG VV Nr. 3100 Vorb. 3 Abs. 4

Eingestellt am:

06.12.2007

Die Rechtsprechung des BGH zum materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der auf die Verfahrensgebühr anrechenbaren Geschäftsgebühr (vgl. Urt. vom 07.03.2007, Az.: VIII ZR 86/06, in: NJW 2007, 2049 f) ist auch im Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar.

3 W 1748/07
Nürnberg, den 10.10.2007

In Sachen

erläßt das Oberlandesgericht Nürnberg, 3. Zivilsenat, durch die unterzeichneten Richter folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20.07.2007 (Az.: 3 O 9141/06) abgeändert.

Die von der Beklagten an die Klägerin nach dem vorläufig vollstreckbaren Anerkenntnisurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20.06.2007 zu erstattenden Kosten werden auf 1.309.10 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB seit 21.06.2007 festgesetzt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 367,90 Euro festgesetzt.

IV. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten darum, ob im Kostenfestsetzungsverfahren eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Verfahrensgebühr von 1,3 in voller Höhe berücksichtigt werden kann, wenn mit der Klage ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlich angefallenen Geschäftsgebühr nur in Höhe des nicht nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG anzurechnenden Teils von 0,65 geltend gemacht wurde.

Mit Beschluss vom 20.07.2007 hat das Landgericht Nürnberg-Fürth eine von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensgebühr von 1,3 in Höhe von 735,80 Euro für erstattungsfähig gehalten. Dabei hat es die Auffassung vertreten, dass die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 W RVG (Nr.2400 a.F.) bei der Berechnung der im gerichtlichen Verfahren angefallenen 1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 W RVG im Kostenfestsetzungsverfahren nicht zu berücksichtigen sei und damit auch nicht zu einer Reduzierung der Verfahrensgebühr führen könne.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer am 03.08.2007 bei Gericht eingegangenen Beschwerde. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.03.2007, NJW 2007, 2049 f) hält sie die Verfahrensgebühr lediglich in Höhe von 0,65 für erstattungsfähig.

Der Rechtspfleger hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 17.08.2007 nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 2 Satz 2 ZPO, insbesondere form- und fristgerecht angelegt, § 569 ZPO, und auch begründet.

Der Senat hält die Rechtsprechung des BGH zum materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch (Urteile vom 7.3.2007, a.a.O. und vom 14.3.2007, NJW 2007, 2050 ff) auch auf das Kostenfestsetzungsverfahren für anwendbar. Danach verringert sich dann, wenn gem. Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 W RVG eine wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist, nicht die bereits entstandene Geschäftsgebühr, sondern die in dem anschließenden gerichtlichen Verfahren anfallende Verfahrensgebühr. Dies ergibt sich aus dem andeutigen Wortlaut der Anrechnungsvorschrift.

Entgegen der Auffassung des OLG München (Beschluss vom 30.08.2007, Az.: 11 W 1779/07) kann insoweit kein Unterschied zwischen dem materiell-rechtlichen und kostenrechtlichen Erstattungsanspruch bestehen. Denn im Kostenfestsetzungsverfahren ist ebenso wie im Klageverfahren auf den Wortlaut der Anrechnungsvorschrift in Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG abzustellen. Da es hiernach für die Anrechnung allein darauf ankommt, ob wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr entstanden ist, kann das weitere Parteiverhalten, nämlich ob eine Partei im Rechtsstreit die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr in voller Höhe als materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend macht oder der im Rechtsstreit unterlegene Gegner diese bereits vor Erlass des Kostenfestsetzungsbeschlusses vollständig zahlt, nicht mehr von Bedeutung sein. Denn entstanden ist die Geschäftsgebühr bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts nach Erhalt seines Auftrags (Gerold/Schmidt u. a., RVG, 17. Auflage, 2300, 2301 W Rdnr. 13). Dies führt in einem sich sodann anschließenden Verfahren nach der Anrechnungsvorschrift in jedem Fall zu einer Reduzierung der Verfahrensgebühr, unabhängig davon, in welcher Form die Geschäftgebühr geltend gemacht oder gezahlt wird. Die Anwendung der gesetzlichen Vorschrift kann nicht der Disposition der Parteien überlassen werden.

Der insoweit eindeutige und klare Wortlaut der Vorschrift kann auch nicht unter Hinweis auf die zu § 118 Abs. 2 Satz 1 BRAGO praktizierte und von der herrschenden Meinung weiterhin aus Praktikabilitätsgründen befürwortete Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren umgangen werden. So betont der Bundesgerichtshof ausdrücklich, dass Gründe der Prozessökonomie es nicht gestatten können, ein Gesetz gegen seinen klaren Wortlaut anzuwenden. Dies gilt insbesondere deshalb, weil der Gesetzgeber die Kürzung der Verfahrensgebühr uneingeschränkt beabsichtigt hat, wie den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 15/1971, S.209) zu entnehmen ist und der 19. Senat des VGH München (NJW 2006,1990 f) überzeugend ausgeführt hat.

Dem stehen auch nicht die Erwägungen des Landgerichts entgegen, im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens, das schon im Interesse der Rechtssicherheit klare, praktikable Berechnungsgrundlagen erfordere, könne selbst der „gut ausgebildete Rechtspfleger“ nicht überprüfen, ob die konkrete Höhe der geltend gemachten und in Abzug zu bringenden Geschäftsgebühr berechtigt sei, sofern von der Regelgebühr abgewichen werde. Denn zum einen ist mit der hälftigen eine pauschalierte Anrechnung vorzunehmen, die sich weit überwiegend am Regelsatz, d.h. einer 1.3 Gebühr gern Nr. 2300 VV RVG (Nr. 2400 a.F.) orientiert. Zum anderen kommt es zu solcher Problematik dann nicht, wenn die Geschäftsgebühr bereits als materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch im Klageverfahren geltend gemacht wird, da in diesem Fall das Urteil eine Entscheidung über die Höhe der zu berechnenden Geschäftsgebühr enthält. Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren kann der auf die Verfahrensgebühr anzurechnende Teil somit dem Urteil entnommen werden, ohne dass es einer weiteren diesbezüglichen Prüfung des Rechtspflegers bedarf.

Da die Anrechnungsbestimmung nach Teil 3 Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG somit auch im Kostenfestsetzungsverfahren zu berücksichtigen ist, war die geltend gemachte Verfahrensgebühr hälftig zu kürzen.

III.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 91 ZPO.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus dem von der Beschwerde beanstandeten festgesetzten hälftigen Teil der Verfahrensgebühr.

IV.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen vor, da die Rechtssache grundlegende Bedeutung hat, § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Oberlandesgericht Frankfurt/Main

Beschluss vom:

04.09.2007

Aktenzeichen:

18 W 179/07

Rechtsgebiet(e):

RVG-VV

Vorschriften:

RVG-VV Nr. 2300 RVG-VV Nr. 3100

Eingestellt am:

06.12.2007

Im Falle eines auf eine vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit folgenden Prozessmandats halbiert sich nicht die Geschäftsgebühr (Ziff. 2300 VV RVG), sondern die Verfahrensgebühr (Ziff. 3100 VV RVG).

Gründe:
I.

Die Parteien haben vor dem Landgericht Frankfurt am Main gestritten. Der Rechtsstreit ist durch Urteil vom 9.5.2007 (Bl. 211 ff d.A.) beendet worden. Die Kosten sind zu Gunsten der Klägerin mit Beschluss vom 25.6.2007 (Bl. 240 f d.A.) festgesetzt worden. Gegen den am 6.7.2007 zugestellten Beschluss hat der Kläger mit Eingang am 16.7.2006 sofortige Beschwerde eingelegt und die Absetzung eines Teils der Verfahrensgebühr gerügt. Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte vorgelegt (Nichtabhilfevermerk vom 18.7.2007, Bl. 248 d.A.).

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere statthaft und rechtzeitig eingelegt worden, §§ 104 III S.1, II; 567 I Ziff.1; 569 I, II ZPO.

In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg, denn die Rechtspflegerin hat zu Recht eine hälftige Verfahrensgebühr (Ziffer 3100 VV RVG) abgesetzt.

Gemäß der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7.3.2007 (Az.: VIII ZR 86/06; NJW 2007, 2049) halbiert sich im Falle eines auf eine vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit folgenden Prozessmandats nicht die Geschäftsgebühr (Ziff. 2300 VV RVG), sondern die Verfahrensgebühr (Ziff. 3100 VV RVG). Zutreffend weist der Bundesgerichtshof in diesem Beschluss auf den eindeutigen Wortlaut der in Teil 3, Vorb.3, Ziff. 4 VV RVG getroffenen gesetzlichen Regelung hin.

Nach eigenem Vortrag war der Klägervertreter in gleicher Sache bereits vorgerichtlich tätig (die Erstattung einer 0,65 Gebühr nach Ziffer 2400 VV RVG ist als Teil der Klageforderung geltend gemacht worden). Auf dieser Grundlage entstand zu Lasten des Klägers eine volle Geschäftsgebühr, während die Verfahrensgebühr unter Anrechnung der Geschäftsgebühr anfiel. Nur dieser Teil der Verfahrensgebühr ist nach § 91 I ZPO festsetzungsfähig. Denn zum einen gelangte diese Gebühr nicht im Sinne zu erstattender Kosten in vollem Umfang zur Entstehung. Zum anderen erstreckt sich der dem Festsetzungsverfahren zu Grunde liegende prozessuale Erstattungsanspruch lediglich auf die im Prozess entstandenen Kosten und erlaubt die Festsetzung eines Teils der Geschäftsgebühr nicht (BGH a.a.O., OLG Hamm, JurBüro 2006, 202).

Der prozessökonomische Aspekt, dass nicht die volle Verfahrensgebühr im vereinfachten Kostenfestsetzungsverfahren eingefordert werden kann, sondern gegebenenfalls auf materiellrechtlicher Grundlage erneut im Klageweg zu verfolgen ist (KG Berlin, AnwBl.2005, 792; OVG Nordrhein-Westfalen, NJW 2006, 1991; i.E. OLG Hamm a.a.O.), stellt keinen Grund für eine von dem gesetzlichen Wortlaut abweichende Gesetzesanwendung dar. Dies ist durch den Bundesgerichtshof in der bereits zitierten Entscheidung ausdrücklich klargestellt worden.

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, es habe eine Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr jedenfalls deshalb vorgenommen zu werden, weil eine Titulierung der Geschäftsgebühr im Prozessverfahren abgelehnt worden sei, kann ihm nicht gefolgt werden. Denn zu einer unberechtigten Privilegierung des Beklagten kann es nur kommen, wenn es dem Kläger unmöglich gewesen wäre, seinen Rechtsstandpunkt im Prozessverfahren weitergehend prüfen zu lassen. Dies ist in der vorliegenden Konstellation nicht der Fall: Hinsichtlich der hälftigen Geschäftsgebühr, die nicht Gegenstand des Klageantrags gewesen ist, entfaltet das Urteil keine Rechtskraftwirkungen, so dass die Erstattungsklage nach wie vor zulässig ist. Hinsichtlich der hälftigen Gebühr, über deren Erstattung durch das Landgericht entschieden worden ist, wäre eine Berufung möglich gewesen (§ 511 II Ziff.1 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus der Höhe des mit der Beschwerde verfolgten Betrags.

Von der Zulassung der Rechtsbeschwerde wird abgesehen, da die Voraussetzungen des § 574 II, III ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Beschwerdegericht.

Oberlandesgericht Frankfurt/Main

Beschluss vom:

30.10.2007

Aktenzeichen:

18 W 282/07

Rechtsgebiet(e):

ZPO, RVG-VV

Vorschriften:

ZPO § 91 RVG-VV Nr. 3100

Eingestellt am:

06.12.2007

Schuldet die im Rechtsstreit obsiegende Partei ihrem Prozessbevollmächtigten nur eine gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG um die anteilige Geschäftsgebühr geminderte Verfahrensgebühr, dann kann gemäß § 91 ZPO zu ihren Gunsten keine volle, sondern nur eine geminderte Verfahrensgebühr festgesetzt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Geschäftsgebühr im Rechtsstreit tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen worden ist.

Gründe:
I.

In dem dem Kostenfestsetzungsverfahren vorausgegangenen Rechtsstreit hat die Klägerin die Beklagte auf Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Grundstück aus einer im Grundbuch eingetragenen Grundschuld über 204.516,75 EUR in Anspruch genommen. Die Klage ist durch Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. März 2007 abgewiesen worden. Nach diesem Urteil hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Mit Schriftsätzen vom 9. Juli 2007 hat die Beklagte Kosten für die erste Instanz in Höhe von 5.700,59 EUR und für die zweite Instanz in Höhe von 3.802,61 EUR zur Festsetzung angemeldet. Dabei hat sie für die erste Instanz eine 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 2.514,20 EUR zuzüglich Umsatzsteuer geltend gemacht. Auf Anfrage des Rechtspflegers hat die Beklagte mitgeteilt, durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten sei eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 2.514,20 EUR angefallen.

Mit Beschluss vom 21. September 2007 hat das Landgericht die der Beklagten von der Klägerin zu erstattenden Kosten auf insgesamt 8.044,96 EUR festgesetzt. Dabei hat es unter teilweiser Anrechnung der Geschäftsgebühr lediglich eine 0,65 Verfahrensgebühr für die erste Instanz in Höhe von 1.257,10 EUR anerkannt.

Die Beklagte hat gegen den ihr am 10. Oktober 2007 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss mit einem am 12. Oktober 2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wendet sich gegen die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die erstinstanzliche Verfahrensgebühr. Damit werde ihr die Möglichkeit genommen, ihre vorgerichtlichen Kosten gegenüber der Klägerin durchzusetzen. Hierin liege eine Ungleichbehandlung, weil sie anders als die Klägerin nicht die Möglichkeit gehabt habe, ihre vorgerichtlichen Kosten als Nebenforderung einzuklagen.

Mit Beschluss vom 15. Oktober 2007 hat das Landgericht der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei die Geschäftsgebühr zwingend auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und zulässig (§§ 567 Abs. 2, 569 Abs. 1 und 2 ZPO). In der Sache selbst hat sie jedoch keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht zugunsten der Beklagten nur eine um die hälftige Geschäftsgebühr geminderte Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht.

1. Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO umfasst der prozessuale Kostenerstattungsanspruch, dessen Durchsetzung das Kostenfestsetzungsverfahren gemäß §§ 103 ff. ZPO dient, die notwendigen Kosten des Rechtsstreits, wozu gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO insbesondere die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei gehören. Erstattungsfähig sind danach nur die dem Berechtigten im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit tatsächlich erwachsenen Kosten. Dementsprechend dürfen keinesfalls höhere Kosten festgesetzt werden, als dem Berechtigten tatsächlich entstanden sind (BVerfG, NJW 1983, 809; BGH, NJW-RR 2003, 1217, 1218; NJW-RR 2003, 1507, 1508).

Hatte die im Rechtsstreit obsiegende Partei ihren Prozessbevollmächtigten bereits mit ihrer vorgerichtlichen Vertretung in derselben Angelegenheit beauftragt und ist deshalb wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 VV RVG angefallen, dann wird diese nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 zu Nr. 3100 VV RVG zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Dies bedeutet, dass sich die Verfahrensgebühr im Umfang der vorzunehmenden Anrechnung vermindert (BGH, NJW 2007, 2049, 2050; NJW 2007, 2050, 2052). Dabei kann für die Frage der Kostenerstattung dahinstehen, ob die Verfahrensgebühr zunächst in voller Höhe entsteht und erst in einem zweiten Schritt um den anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr gekürzt wird (so OLG München, Beschl. v. 30.08.2007, 11 W 1779/07, juris Rdn. 14; Schneider, AGS 2007, 441; Lickleder, NZM 2007, 589, 590) oder ob die Verfahrensgebühr von vornherein nur in reduzierter Höhe anfällt. Entscheidend ist allein, dass die Partei ihrem Prozessbevollmächtigten nicht die volle, sondern nur eine geminderte Verfahrensgebühr schuldet. Deshalb kann zu ihren Gunsten auch nur eine geminderte Verfahrensgebühr festgesetzt werden, weil ihr insoweit keine weitergehenden Kosten erwachsen sind (ebenso Ostermeier, NJW-aktuell Heft 34/2007, S. XVI).

2. Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur bisher ganz überwiegend die Auffassung vertreten, die Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG sei im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich nicht anwendbar. Etwas anderes soll nur dann gelten, wenn die Geschäftsgebühr aufgrund eines materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruchs tituliert oder unstreitig außergerichtlich ausgeglichen worden ist (OLG Hamm, JurBüro 2006, 202; KG, AGS 2007, 439; OLG Koblenz, JurBüro 2007, 429; OLG München, a. a. O.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.09.2007, 13 W 83/07; VGH München, NJW 2007, 170; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., VV 2300, 2301 Rdn. 41, VV 3100 Rdn. 201; Schons, NJW 2005, 3089, 3091; Madert/Müller-Rabe, NJW 2006, 1927, 1931; Lickleder, NZM 2007, 589, 590; N. Schneider, NJW 2007, 2001, 2007; N. Schneider, AGS 2007, 441; Tomson, NJW 2007, 267, 268; a. A. OLG Frankfurt am Main – 6. Zivilsenat – , Beschl. v. 19.09.2007, 6 W 167/07). Die hierfür angeführten Sachgründe vermögen indes nicht zu überzeugen; jedenfalls rechtfertigen sie es nicht, unter Verstoß gegen § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO Kosten festzusetzen, die der Erstattungsberechtigte tatsächlich nicht zu tragen hat.

a) Der Umstand, dass es sich bei der Geschäftsgebühr um eine den außergerichtlichen Bereich betreffende Gebühr handelt, hindert ihre Berücksichtigung im Kostenfestsetzungsverfahren nicht (a. A. OLG Hamm, JurBüro 2006, 202; OLG Koblenz, JurBüro 2007, 429; OLG München, a. a. O., Rdn. 15; VGH München, NJW 2007, 170). Zum einen sind auch vorgerichtlich entstandene Kosten festsetzungsfähig, wenn sie der Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Rechtsstreits dienen (BGH, WM 1987, 247, 248). Diese Voraussetzung mag für die Geschäftsgebühr nicht zutreffen, wenn die ihr zugrunde liegende anwaltliche Tätigkeit in einer wettbewerbsrechtlichen Abmahnung (BGH, NJW-RR 2006, 501, 502) oder in einem Mahnschreiben (BGH, NJW 2006, 2560) besteht (a. A. Bischof, JurBüro 2007, 341, 345). Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn die Geschäftsgebühr durch ein anwaltliches Schreiben zur Abwehr einer solchen Abmahnung (OLG Hamburg, NJOZ 2007, 1373, 1374) oder durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Beschaffung der zur Klageerhebung oder zur Verteidigung gegen eine bereits angekündigte Klage erforderlichen Informationen ausgelöst worden ist. Zum anderen ist es auch dann, wenn die Geschäftsgebühr als solche nicht festsetzungsfähig ist, möglich und geboten, sie bei der Berechnung der zur Festsetzung angemeldeten Verfahrensgebühr zu berücksichtigen. Eine – sei es auch nur mittelbare – Festsetzung der Geschäftsgebühr liegt hierin nicht (so jedoch Schneider, AGS 2007, 441). Vielmehr führt die Berücksichtigung der Geschäftsgebühr wegen der in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorgeschriebenen teilweisen Anrechnung lediglich dazu, dass statt der vollen nur eine reduzierte Verfahrensgebühr festgesetzt wird.

b) Die Nichtanwendung der Anrechnungsvorschrift der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren lässt sich auch nicht mit Sinn und Zweck der Bestimmung begründen (a. A. KG, AGS 2007, 439, 440; OLG Karlsruhe a. a. O.; VGH München, NJW 2007, 170, 171 f.; Tomson, NJW 2007, 267, 268). Zwar mag es zutreffen, dass die Vorschrift in erster Linie den Schutz des Mandanten vor zu hohem Rechtsanwaltshonorar und nicht die Begrenzung der Erstattungsforderung der im Prozess obsiegenden Partei bezweckt. Die zunächst allein das Innenverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt betreffende Kürzung der Verfahrensgebühr ist aber gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO auch im Erstattungsverhältnis zu berücksichtigen, weil nur die der obsiegenden Partei tatsächlich entstandenen Kosten vom Prozessgegner zu ersetzen sind. Die Erstattungsforderung wird damit nicht durch die Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG, sondern durch § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO begrenzt. Über diese gesetzliche Anordnung dürfen sich die Gerichte nicht hinwegsetzen. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG bewirke keine Reduzierung der Verfahrensgebühr, sondern nur die Reduzierung des insgesamt abrechenbaren Gebührenaufkommens des Rechtsanwalts gegenüber seinem Auftraggeber (OLG München, a. a. O., Rdn. 18; Schneider, AGS 2007, 441). Denn nach dem klaren Wortlaut der Anrechnungsvorschrift wird ausschließlich die gerichtliche Verfahrensgebühr und nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr gekürzt (BGH, NJW 2007, 2049, 2050). Ignoriert man die gesetzliche Differenzierung zwischen beiden Gebühren, dann kann dies zur Folge haben, dass mit der ungekürzten Verfahrensgebühr der Sache nach ein Teil der Geschäftsgebühr festgesetzt wird, obwohl diese im konkreten Fall möglicherweise nicht zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehört und deshalb auch nicht festsetzungsfähig ist.

c) Schließlich würde es die Anwendbarkeit der Regelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren nicht in Frage stellen, wenn man die Berufung des Erstattungspflichtigen auf die Anrechnungsvorschrift als materiell-rechtliche Einwendung ansähe (so jedoch KG, AGS 2007, 439, 440; siehe auch OLG München a. a. O., Rdn. 20). Materiell-rechtliche Erwägungen sind dem Kostenfestsetzungsverfahren nämlich keineswegs fremd. Insbesondere bestimmt sich die Frage, welche Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sind, häufig nach materiellem Recht (BGH, NJW-RR 2003, 1217, 1218). Jedenfalls ist eine materiell-rechtliche Einwendung gegen den Erstattungsanspruch im Kostenfestsetzungsverfahren dann zu berücksichtigen, wenn sie aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung feststeht oder wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen zwischen den Parteien unstreitig sind oder gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelten (OLG Hamburg, MDR 2003, 294; Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl., § 104 Rdn. 9). Dies wird hinsichtlich der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr regelmäßig der Fall sein, über deren Anfall und Höhe sich der Erstattungsberechtigte spätestens nach einem entsprechenden Einwand des Erstattungspflichtigen vollständig und wahrheitsgemäß erklären muss (§ 138 Abs. 1 ZPO). Ob in den Fällen, in denen die Parteien im Kostenfestsetzungsverfahren kein Einvernehmen über die Geschäftsgebühr erzielen, von den glaubhaft gemachten Angaben des Berechtigten auszugehen und der Verpflichtete mit seinen Einwendungen auf den Weg der Vollstreckungsgegenklage gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zu verweisen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da die Höhe der Geschäftsgebühr aufgrund der unbestrittenen Angaben der Beklagten feststeht.

3. Richtig ist allerdings, dass sich die hier vertretene Auffassung insbesondere für einen im Prozess obsiegenden Beklagten ungünstig auswirken kann, wenn man die von ihm für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten geschuldete Geschäftsgebühr nicht für festsetzungsfähig hält und er – wie regelmäßig (vgl. etwa OLG Köln, NJOZ 2006, 3718) – keinen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch gegen den unterlegenen Kläger hat. Diese im materiellen Recht angelegte Ungleichbehandlung von Anspruchstellern und Inanspruchgenommenen lässt sich jedoch nicht dadurch beseitigen, dass man dem materiell nicht Erstattungsberechtigten einen prozessualen Kostenerstattungsanspruch zubilligt, der ihm nach der gesetzlichen Regelung in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht zusteht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus dem Interesse der Beklagten an der Festsetzung nicht berücksichtigter Kosten in Höhe von 1.458,24 EUR.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtsfrage, ob die teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG im Kostenfestsetzungsverfahren stets oder nur ausnahmsweise zu berücksichtigen ist, hat grundsätzliche Bedeutung. Der Senat beantwortet diese Rechtsfrage in Übereinstimmung mit dem 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main, aber abweichend von den oben zitierten Oberlandesgerichten, so dass eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs als Rechtsbeschwerdegericht auch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Bundesfinanzhof

Urteil vom:

18.10.2007

Aktenzeichen:

VI R 42/04

Rechtsgebiet(e):

AO, EStG, StPO

Vorschriften:

AO § 40, EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, EStG § 33, StPO § 464a, StPO § 467

Eingestellt am:

06.12.2007

1. Strafverteidigungskosten sind Erwerbsaufwendungen, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst war.

2. Auf einer Honorarvereinbarung beruhende Strafverteidigungskosten führen nicht zu einer außergewöhnlichen Belastung, soweit sie nach einem Freispruch des Steuerpflichtigen nicht der Staatskasse zur Last fallen.

Gründe:

A.

Der Tatbestand ist aus Gründen des Steuergeheimnisses nicht zur Veröffentlichung geeignet.

B.

Die Revision ist nur teilweise begründet. Das FG hat zu Recht den steuerlichen Abzug der Aufwendungen für die Verteidigung in dem Strafverfahren vor dem LG versagt (B.I.). Hinsichtlich der nur das Streitjahr 1997 betreffenden Aufwendungen für die Strafverteidigung vor dem AG in Höhe von … DM hat das FG zu Unrecht deren Veranlassung durch die berufliche Tätigkeit des Klägers verneint (B.II.).

I. Kosten der Strafverteidigung vor dem LG

1. Das FG hat es zu Recht abgelehnt, die streitigen Aufwendungen des Klägers für die Strafverteidigung vor dem LG als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

a) In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist anerkannt, dass Strafverteidigungskosten nur dann als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abzugsfähig sind, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst gewesen ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Februar 1982 VI R 31/78, BFHE 135, 449, BStBl II 1982, 467; BFH-Beschluss vom 30. Juni 2004 VIII B 265/03, BFH/NV 2004, 1639). Dies ist der Fall, wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden ist (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1994 VIII R 34/93, BFHE 176, 564, BStBl II 1995, 457, m.w.N.). Die dem Steuerpflichtigen vorgeworfene Tat muss ausschließlich und unmittelbar aus seiner betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit heraus erklärbar sein (BFH-Urteil vom 12. Juni 2002 XI R 35/01, BFH/NV 2002, 1441, m.w.N.).

b) Nach diesen Grundsätzen hat das FG eine Gesamtwürdigung vorgenommen. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorgeworfene Tat nicht im Rahmen der Berufsausübung des Klägers als Geschäftsführer der X begangen wurde, sondern auf ein privat veranlasstes Verhalten, nämlich den Erwerb von Privatvermögen in der Gestalt eines Geschäftsanteils an der X, zurückzuführen ist. Diese Gesamtwürdigung, die revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 26. Juli 2007 VI R 64/06, BFH/NV 2007, 1993; BFH-Beschluss vom 10. November 2005 VI B 75/05, BFH/NV 2006, 530; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 118 Rz 30, jeweils m.w.N.), ist möglich; sie lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

Insbesondere hat es das FG –anders als die Kläger meinen– zutreffend nicht als entscheidend angesehen, ob der Kläger anlässlich des Erwerbs eines Gesellschaftsanteils an der X im Rahmen seiner Tätigkeit für diese Gesellschaft erworbenes betriebsinternes Wissen und geknüpfte Kontakte zu Geschäftspartnern genutzt hat. Ein ausreichender beruflicher Zusammenhang wird nicht bereits dadurch begründet, dass die Berufsausübung nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Ausgabe entfiele (BFH-Urteil vom 18. September 1987 VI R 121/84, BFH/NV 1988, 353). Deshalb ist nicht entscheidend, ob ein Steuerpflichtiger deshalb in Verdacht geraten ist, weil allein Arbeitnehmer in der Lage waren, die ihnen vorgeworfene Straftat zu begehen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 1639). Dass die dem Kläger vor dem LG vorgeworfene Tat ausschließlich und unmittelbar aus seiner beruflichen Tätigkeit heraus erklärbar ist (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1441), hat das FG ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verneint.

c) Im Rahmen einer möglichen und damit der revisionsgerichtlichen Prüfung nicht zugänglichen tatrichterlichen Würdigung liegt es auch, wenn das FG eine berufliche Veranlassung der Aufwendungen für die Strafverteidigung vor dem LG mit der Begründung verneint hat, diese hätten nicht der Abwehr einer möglichen Kündigung von Seiten der X dienen können. Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindenden Feststellungen des FG war allen Anteilseignern und Geschäftsführern der X der Strafvorwurf in unterschiedlicher Beteiligungsform zur Last gelegt worden. Zudem war der Kläger selbst nicht von einer unveränderten Fortführung des Betriebs ausgegangen.

2. Das FG hat –im Einklang mit der Auffassung der Kläger– zutreffend auch keinen Zusammenhang der streitigen Aufwendungen für die Strafverteidigung vor dem LG mit den Einkünften des Klägers aus Kapitalvermögen angenommen. Der dem Kläger gemachte Vorwurf betraf den Erwerb eines Geschäftsanteils an der X zu einem unter dem Marktwert liegenden Preis. Damit bezogen sich die entsprechenden Anwaltskosten auf den Erwerb des Vermögensstammes, also einen im Rahmen der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht erheblichen Vorgang in der Vermögenssphäre (vgl. dazu z.B. von Beckerath in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 9 Rz 42 und § 20 Rz 480; von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 9 Rz B 91 und B 701 f.).

3. Das FG hat es im Ergebnis auch zu Recht abgelehnt, die Kosten der Strafverteidigung vor dem LG als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG anzuerkennen.

a) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen wird, fallen gemäß § 467 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last. Nur in Ausnahmefällen werden die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse nicht auferlegt, insbesondere wenn dieser die Erhebung der öffentlichen Klage durch sein Verhalten selbst veranlasst hat (vgl. § 467 Abs. 2 und 3 StPO). Gemäß § 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO gehören zu den notwendigen Auslagen eines Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach § 91 Abs. 2 der Zivilprozessordnung zu erstatten sind; dazu zählen u.a. die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Soweit dem Kläger aufgrund dieser Vorschriften ein Anspruch auf Erstattung der streitigen Kosten der Strafverteidigung vor dem LG zusteht, scheidet schon mangels Belastung des Klägers ein Abzug nach § 33 EStG aus.

b) Soweit nach den genannten Vorschriften kein Anspruch gegen die Staatskasse besteht, sind Anwaltskosten für die Strafverteidigung einem Steuerpflichtigen nur zwangsläufig erwachsen (§ 33 Abs. 1 EStG), wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit diese Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Nicht zwangsläufig sind Aufwendungen indes nicht nur in den Fällen des in § 467 Abs. 2 und 3 StPO zum Vorwurf gemachten schuldhaften Verhaltens des Angeschuldigten. Auch wenn der Steuerpflichtige –wie hier– mit seinem Verteidiger ein Honorar vereinbart hat, das über den durch die Staatskasse erstattungsfähigen Kosten liegt, ist ein Abzug dieser Mehraufwendungen mangels Zwangsläufigkeit nicht möglich (vgl. auch Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 236; Schmidt/Loschelder, EStG, 26. Aufl., § 33 Rz 35 Stichwort Prozesskosten). Es ist schon zweifelhaft, ob sich ein angeschuldigter Steuerpflichtiger der Honorarvereinbarung mit einem Strafverteidiger insbesondere aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen kann. Die in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG genannten Gründe der Zwangsläufigkeit müssen von außen, d.h. vom Willen des Steuerpflichtigen unabhängig, derart auf seine Entschließung einwirken, dass er ihnen nicht auszuweichen vermag (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 19. Dezember 1995 III R 177/94, BFHE 179, 383, BStBl II 1996, 197, m.w.N.). Die Vereinbarung eines über den Gebührensätzen der BRAGO liegenden Anwaltshonorars beruht jedoch regelmäßig auf dem freien Willen des Steuerpflichtigen und ist nicht unabdingbare Voraussetzung für eine effiziente und qualifizierte Strafverteidigung. Deshalb rechtfertigt auch der Umstand, dass der Steuerpflichtige kraft öffentlich-rechtlicher Verpflichtung in den (Straf-)Prozess hineingezogen wird (vgl. Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz C 56), allein nicht die Annahme der Zwangsläufigkeit sämtlicher Aufwendungen aufgrund einer Honorarvereinbarung. Dies kann jedoch offen bleiben. Zur Strafverteidigung notwendig und angemessen sind nämlich nur Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts, soweit sie nach den Vorschriften des Kostenrechts zu erstatten sind. Das gegenwärtige Kostenrecht lässt keinen Bedarf erkennen, über die nach einem Freispruch von der Staatskasse zu tragenden Anwaltskosten hinaus weitere Kosten dieser Art im Wege ihrer steuerlichen Abzugsfähigkeit nach § 33 EStG zu berücksichtigen. Insoweit ergibt sich nunmehr steuerrechtlich keine andere Wertung des Begriffs der „Notwendigkeit“ als nach den kostenrechtlichen Bestimmungen.

c) Dem steht nicht entgegen, dass der erkennende Senat in seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Urteile vom 15. November 1957 VI 279/56 U, BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105; vom 8. April 1964 VI 165/62 S, BFHE 79, 274, BStBl III 1964, 331) Rechtsanwaltskosten des in einem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren freigesprochenen Steuerpflichtigen grundsätzlich als zwangsläufige außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG anerkannt hat. Jene Rechtsprechung bezog sich auf § 467 StPO a.F., nach dem einem freigesprochenen Angeschuldigten die erwachsenen notwendigen Auslagen von der Staatskasse ersetzt wurden, wenn das Verfahren seine Unschuld ergeben oder das Gericht festgestellt hatte, dass gegen ihn ein begründeter Verdacht nicht vorlag. In allen übrigen Fällen des Freispruchs stand es im Ermessen des Gerichts, ob es die Auslagen des Freigesprochenen der Staatskasse auferlegen wollte oder nicht. Welche Auslagen als „notwendig“ für eine Erstattung durch die Staatskasse in Betracht kamen, war gleichfalls weitgehend dem Gericht überlassen. Deshalb war in jenen Fällen eine Prüfung geboten, ob die Aufwendungen für die Strafverteidigung als „zwangsläufig“ i.S. des § 33 EStG anzusehen seien (vgl. im Einzelnen BFH-Urteil in BFHE 66, 267, BStBl III 1958, 105). In der gegenwärtigen kostenrechtlichen Lage ist eine vergleichbare Prüfung jedoch nicht mehr erforderlich; insoweit wird auch in der Literatur die frühere Rechtsprechung des erkennenden Senats als überholt angesehen (vgl. Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 237; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 33 Rz 100 Stichwort Prozesskosten).

d) Nach alledem erweist sich als unschädlich, dass das FG allein unter Berufung auf das BFH-Urteil vom 23. Mai 1990 III R 145/85 (BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895) die Zwangsläufigkeit der streitbefangenen Aufwendungen für die Verteidigung des Klägers vor dem LG verneint hat. In jener BFH-Entscheidung ist u.a. ausgeführt, dass Aufwendungen der Eltern für die Strafverteidigung ihres später verurteilten volljährigen Kindes nur innerhalb der durch die –in jenem Streitfall noch einschlägige– BRAGO festgelegten Rahmensätze als angemessen anzusehen seien. Das FG hat indes keine Feststellungen getroffen, in welcher Höhe die streitigen Anwaltskosten noch in dem genannten gebührenrechtlichen Rahmen gelegen haben. Dies war jedoch im Streitfall auch nicht erforderlich. Anders als in der vom FG zur Begründung herangezogenen BFH-Entscheidung geht es im Streitfall nicht um die Kosten der Strafverteidigung (eines Dritten), die infolge einer Verurteilung nicht von der Staatskasse übernommen werden und bei denen ein den Maßstab der Notwendigkeit und Angemessenheit i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG bildendes kostenrechtliches Korrektiv wie bei den von der Staatskasse nach § 467 StPO zu tragenden notwendigen Auslagen fehlt.

II. Kosten der Strafverteidigung vor dem AG

Zu Unrecht hat es das FG jedoch abgelehnt, die das Streitjahr 1997 betreffenden Aufwendungen des Klägers für die Strafverteidigung vor dem AG als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.

1. Zwar hat das FG in Anlehnung an die oben (B.I.1.a) dargestellten Grundsätze darauf abgestellt, ob der Kläger die ihm vor dem AG zum Vorwurf gemachten Taten in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Geschäftsführer begangen hat. Jedoch hat es das Vorliegen von Werbungskosten mit der Begründung verneint, es gehöre nicht zu den beruflichen Aufgaben eines Geschäftsführers, zugunsten seines Arbeitgebers strafbare Handlungen zu begehen. Ein solcher Rechtssatz ist der Rechtsprechung des BFH nicht zu entnehmen. Vielmehr können auch strafbare Handlungen, die im Zusammenhang mit einer betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit stehen, Erwerbsaufwendungen begründen (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 2003 VI R 35/96, BFHE 205, 56, BStBl II 2004, 641, m.w.N.). Dieses Ergebnis folgt nicht nur aus dem objektiven Nettoprinzip, sondern ergibt sich auch aus § 40 der Abgabenordnung (BFH-Urteil in BFHE 205, 56, BStBl II 2004, 641). Danach ist es für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Die Annahme von Erwerbsaufwendungen setzt allerdings auch in diesen Fällen voraus, dass die –die Aufwendungen auslösenden– schuldhaften Handlungen noch im Rahmen der betrieblichen oder beruflichen Aufgabenerfüllung liegen und nicht auf privaten, den betrieblichen oder beruflichen Zusammenhang aufhebenden Umständen beruhen. So greifen nach der Rechtsprechung private Gründe dann durch, wenn die strafbaren Handlungen mit der Erwerbstätigkeit des Steuerpflichtigen nur insoweit im Zusammenhang stehen, als diese eine Gelegenheit zu einer Straftat verschafft (vgl. BFH-Urteil vom 19. März 1987 IV R 140/84, BFH/NV 1987, 577; BFH-Urteil in BFHE 205, 56, BStBl II 2004, 641). Eine erwerbsbezogene Veranlassung wird auch aufgehoben, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bewusst schädigen wollte oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 3. Mai 1985 VI R 103/82, BFH/NV 1986, 392, und in BFH/NV 1988, 353; BFH-Urteil in BFHE 205, 56, BStBl II 2004, 641).

2. Nach diesen Grundsätzen kann die Vorentscheidung –soweit die Aufwendungen des Klägers für die Strafverteidigung vor dem AG in Rede stehen– keinen Bestand haben. Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann auf der Grundlage der insoweit ausreichenden Feststellungen des FG über die Begründetheit der Klage selbst entscheiden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. Oktober 2004 IX R 60/03, BFH/NV 2005, 327, m.w.N.).

a) Bei den Kosten der Strafverteidigung vor dem AG handelt es sich dem Grunde nach um Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit. Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG stellten leitende Mitarbeiter der Y auf Veranlassung des Klägers sachlich unrichtige Bescheinigungen über die vollständige Erfüllung der Ansprüche dieser Gesellschaft aus Gegengeschäftsvereinbarungen aus. Die vermeintliche Ablösung der Verpflichtungen stellte die Z den Handelspartnern in Rechnung und vereinnahmte die entsprechenden Beträge, obwohl diese als Entgelt für den Verzicht auf die Durchsetzung der Gegengeschäftsvereinbarungen der Y zugestanden hätten. Dabei erzielte die Z ihre Umsätze in den Jahren … überwiegend durch die Vereinnahmung von Provisionen für die Ablösung sog. Verpflichtungen aus Gegengeschäftsvereinbarungen. Diese Feststellungen hat das FG ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 30 und 54, m.w.N.) dahin gewürdigt, dass die nach den Feststellungen des AG vom Kläger begangene Anstiftung zur Untreue zu Lasten der Y insoweit durch dessen Geschäftsführertätigkeit für die Z verursacht gewesen sei, als letztgenannte Gesellschaft Begünstigte der Untreue gewesen war. Unter Außerachtlassung der –nach den unter B.II.1. genannten Maßstäben– fehlerhaften Rechtsausführungen des FG lauten Inhalt und Ergebnis der vom FG getroffenen Feststellungen, dass der Kläger die ihm vor dem AG zur Last gelegte Tat in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit als Geschäftsführer der durch die Tat allein begünstigten Z begangen hat. Auf die Strafbarkeit dieser Tätigkeit kam es für den Werbungskostenabzug entgegen der Rechtsauffassung des FG nicht entscheidungserheblich an.

b) Auch hinsichtlich der Höhe der insoweit anzuerkennenden Werbungskosten ist die Sache spruchreif. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger im Streitjahr 1997 einen Betrag in Höhe von … DM für die Verteidigung in dem später vor dem AG anhängigen Strafverfahren bezahlt. Da Verteidigungskosten –was ihren Abzug als Werbungskosten betrifft– bei einem Strafverfahren nicht zwangsläufig entstanden sein müssen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 135, 449, BStBl II 1982, 467), sind die aufgrund einer Honorarvereinbarung geleisteten Aufwendungen beim Werbungskostenabzug anders als bei den außergewöhnlichen Belastungen der Höhe nach nicht zu begrenzen.

Bundesfinanzhof

Urteil vom:

27.09.2007

Aktenzeichen:

III R 28/05

Rechtsgebiet(e):

GG, EStG

Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 1, EStG § 32 Abs. 6, EStG § 33

Eingestellt am:

06.12.2007

Aufwendungen eines Elternteils für Besuche seiner bei dem anderen Elternteil lebenden Kinder sind nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar (Fortführung des Senatsurteils vom 28. März 1996 III R 208/94, BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54).

Gründe:

A.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist geschieden. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, die im Streitjahr 1999 minderjährig waren und bei ihrer Mutter in den USA lebten.

In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1999 machte der Kläger Aufwendungen für die Besuche seiner Kinder in Höhe von 32 140,13 DM (Flugkosten: 12 735,39 DM, Hotel: 15 057,72 DM, Mietwagen: 3 457,02 DM, Agentur: 890 DM) als außergewöhnliche Belastung geltend. Das Schulgeld für seine drei Kinder (56 016 DM) beantragte er, in Höhe von 30 % als Sonderausgaben und im Übrigen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) ließ die Aufwendungen im Einkommensteuerbescheid für 1999 nicht zum Abzug zu. Für die Kinder wurden lediglich die doppelten Kinderfreibeträge in Höhe von 6 912 DM je Kind angesetzt.

Mit dem Einspruch brachte der Kläger vor, die Besuchskosten seien sowohl zwangsläufig als auch außergewöhnlich, da sich die Kinder gegen seinen Willen in den USA befänden. Er habe anwaltlich und auch gerichtlich versucht, die mit ihm nicht abgestimmte „Entführung“ der Kinder auf einen anderen Kontinent rückgängig zu machen. Die Gerichtsverhandlungen in Deutschland und in den USA hätten aber keinen Erfolg gehabt. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 1201 veröffentlicht.

Das FG führte im Wesentlichen aus, das Schulgeld sei nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Auch eine teilweise Berücksichtigung als Sonderausgaben komme nicht in Betracht, da § 10 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr 1999 geltenden Fassung (EStG) nicht für Schulen im Ausland gelte. Die Besuchskosten könnten ebenfalls nicht als außergewöhnliche Belastung abgezogen werden, da Aufwendungen zur Ausübung des Besuchsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils nicht außergewöhnlich i.S. des § 33 Abs. 1 EStG seien. Diese Aufwendungen seien grundsätzlich mit dem Kinderfreibetrag abgegolten, wenn auch typisiert und in Fällen wie dem Streitfall nicht annähernd angemessen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 33 EStG.

Er trägt vor, die Besuchskosten seien außergewöhnlich, da ihm für den „normalen“ Umgang und Besuch seiner Kinder deutlich größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen entstünden, die mit ihren Familien in einem gemeinsamen Haushalt oder auch in Deutschland von ihren Familien getrennt lebten. Diesen Aufwendungen habe er sich nicht entziehen können, da er den Entschluss seiner geschiedenen Frau, mit den gemeinsamen Kindern in die USA auszuwandern, nicht habe beeinflussen können. Er habe die Lasten der Trennung im Interesse der Entwicklung und Gesundheit seiner Kinder auf sich genommen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in zahlreichen Entscheidungen Besuchskosten in „Krankheitsfällen“ als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Die Aufwendungen seien nicht durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs abgegolten. Außerdem habe der BFH im Urteil vom 4. Dezember 2001 III R 31/00 (BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382) ausgeführt, dass Streitigkeiten über das Umgangsrecht der Eltern den Kernbereich menschlichen Lebens beträfen und die damit zusammenhängenden Kosten nicht durch die allgemeinen Freibeträge abgegolten seien. Hiermit seien die Besuchskosten vergleichbar.

Die Schulgeldzahlungen seien angesichts der desolaten Situation an öffentlichen Schulen in den USA –hohe Kriminalitätsrate, Drogenkonsum– ebenfalls zwangsläufig entstanden. Normale im Inland möglicherweise anfallende Schulkosten seien zwar grundsätzlich durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs (Kinderfreibetrag, Ausbildungsfreibetrag usw.) abgegolten. Jedoch habe der BFH Schulkosten in Krankheitsfällen als außergewöhnliche Belastung anerkannt. Die Privatschule stelle durch kleine Klassenverbände eine individuelle Betreuung sicher. Dies gewährleiste einen Halt der Kinder in der neuen Umgebung und trage damit zur physischen sowie insbesondere zur psychischen Schadensbegrenzung bei Trennungskindern bei. Durch die bessere Integration habe das gesundheitliche Befinden der Kinder gestärkt werden sollen.

Während des Revisionsverfahrens am 15. Juni 2005 hat das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid für 1999 geändert. Die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs sind hiervon nicht berührt worden.

Der Kläger beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des Bescheids vom 15. Juni 2005 die Einkommensteuer unter Berücksichtigung einer außergewöhnlichen Belastung in Höhe von 88 156,13 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen vertritt die Auffassung, die Kosten für den Umgang des getrennt lebenden Elternteils mit seinem Kind seien durch den Grundfreibetrag und die Regelungen des Familienleistungsausgleichs abgegolten.

B.

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).

I. Das FG-Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil ihm ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde liegt.

Das FG hat über den Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 29. Oktober 2003 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 3. Februar 2004 entschieden. An die Stelle dieses Bescheids ist während des Revisionsverfahrens der geänderte Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 15. Juni 2005 getreten, der nach § 121 i.V.m. § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Das FG-Urteil ist daher gegenstandslos (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 14. Februar 2006 VIII R 40/03, BFHE 212, 270, BFH/NV 2006, 1198, m.w.N.). Da sich durch den Änderungsbescheid die tatsächlichen Grundlagen des Streitstoffs nicht geändert haben, kann der Senat nach § 121, § 100 FGO über die streitigen Rechtsfragen entscheiden und braucht die Sache nicht nach § 127 FGO an das FG zurückzuverweisen (BFH-Urteil in BFHE 212, 270, BFH/NV 2006, 1198, m.w.N.).

II. Die Klage ist unbegründet.

1. Die Aufwendungen des Klägers für die Besuche seiner Kinder in den USA sind nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar.

a) Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung) erwachsen.

Die Aufwendungen entstehen gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (Zwangsläufigkeit dem Grunde nach) und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (Zwangsläufigkeit der Höhe nach).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind dagegen ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie werden durch den Grundfreibetrag (§ 32a EStG) berücksichtigt (z.B. Senatsurteil vom 10. Mai 2007 III R 39/05, BStBl II 2007, 764, BFH/NV 2007, 1768). Familienbedingte Aufwendungen sind bis 1995 durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs (Kinderfreibetrag und Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz –BKGG–) und ab 1996 durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs (im Streitjahr 1999 Kinderfreibetrag oder Kindergeld –§ 32 Abs. 6, § 31 EStG–) abgegolten (z.B. Senatsurteile vom 28. März 1996 III R 208/94, BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54, und vom 18. Juni 1997 III R 60/96, BFH/NV 1997, 755).

c) Zu den nicht außergewöhnlichen, bei typisierender Betrachtungsweise abgegoltenen Aufwendungen gehören in der Regel die Kosten für Fahrten, um nahe Angehörige zu besuchen (z.B. Senatsurteile vom 23. Mai 1990 III R 63/85, BFHE 161, 69, BStBl II 1990, 894, und III R 145/85, BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895 –Besuch des Ehegatten bzw. des Kindes in der Haftanstalt–; vom 24. Mai 1991 III R 28/89, BFH/NV 1992, 96, m.w.N. –Besuch des kranken Vaters–), es sei denn, die Fahrten werden ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen (Senatsurteil vom 6. April 1990 III R 60/88, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958).

Durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs bzw. ab 1996 des Familienleistungsausgleichs sind nach der Rechtsprechung auch die Kosten eines alleinstehenden Elternteils für Wochenendfahrten zu einem von ihm getrennt lebenden Kind in Erfüllung der elterlichen Pflicht zur Personensorge abgegolten (Senatsurteile vom 29. August 1986 III R 209/82, BFHE 148, 22, BStBl II 1987, 167, und vom 12. Juli 1991 III R 23/88, BFH/NV 1992, 172, unter 1. b). Die Aufwendungen eines geschiedenen, nicht sorgeberechtigten Vaters für Fahrten zu seinem Kind aufgrund seines Besuchsrechts nach § 1634 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) a.F. hat der Senat –in einem den Veranlagungszeitraum 1990 betreffenden Fall– ebenfalls als typische –nicht nach § 33 EStG steuermindernd zu berücksichtigende– Kosten der Lebensführung behandelt (Senatsurteil in BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54). An den Grundsätzen dieser Entscheidung hält der Senat auch für das Streitjahr 1999 fest.

d) Der Gesetzgeber hat die Aufwendungen des nicht sorgeberechtigten Elternteils für den Umgang mit seinem Kind –unabhängig von der Höhe der im Einzelfall entstehenden Aufwendungen– den typischen Aufwendungen der Lebensführung zugeordnet, die durch den Kinderlastenausgleich bzw. ab 1996 durch den Familienleistungsausgleich berücksichtigt werden.

Durch das Steuerreformgesetz (StRG) 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) hat der Gesetzgeber den in § 33a Abs. 1 a EStG a.F. geregelten Freibetrag zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses aufgehoben. Dieser Freibetrag sollte insbesondere Aufwendungen abgelten, die einem geschiedenen Elternteil (dem das Kind nicht zugeordnet war) z.B. durch Besuche des Kindes entstanden. In der Begründung zum Entwurf des StRG 1990 wird ausgeführt, der Freibetrag sei zu einer Zeit eingeführt worden, zu der der barunterhaltspflichtige Elternteil grundsätzlich keine Steuerermäßigung für seine Kinder erhalten habe. Der ab 1983 wieder eingeführte Kinderfreibetrag stehe aber grundsätzlich beiden Elternteilen zur Hälfte zu. Nach der mehrmaligen Anhebung des Kinderfreibetrags sei „es berechtigt, Aufwendungen zur Pflege des Eltern-Kind-Verhältnisses als durch Kinderfreibetrag und Kindergeld mit abgegolten zu betrachten“ (BTDrucks 11/2157, 150).

e) Der seit 1996 eingeführte Familienleistungsausgleich (steuerliche Entlastung durch Kinderfreibetrag oder Kindergeld, § 32 Abs. 6, § 31 EStG) lässt die vom Gesetzgeber vorgesehene Abgeltungswirkung unberührt. Der im Veranlagungszeitraum 1999 auch dem nicht sorgeberechtigten Elternteil zustehende Kinderfreibetrag oder das Kindergeld (falls der nichtsorgeberechtigte Elternteil Anspruch auf Kindergeld hat) gelten –ebenso wie im Veranlagungszeitraum 1990 der Kinderfreibetrag und das Kindergeld nach dem BKGG– die zur typischen Lebensführung rechnenden Kosten für den Umgang mit dem Kind ab.

f) Die zivilrechtlichen Änderungen zum Umgangsrecht durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16. Dezember 1997 (BGBl I 1997, 2942), das am 1. Juli 1998 in Kraft getreten ist (vgl. Art. 17 § 1 KindRG), geben keinen Anlass, die bisherige Rechtsprechung zu ändern. Nach § 1684 Abs. 1 BGB i.d.F. des KindRG ist jeder Elternteil zum Umgang mit dem Kind berechtigt und auch das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil. Dem Recht des Kindes entspricht eine Verpflichtung der Eltern zum Umgang mit dem Kind. Aufgrund dieser ausdrücklich geregelten Rechtspflicht jedes Elternteils sind die Aufwendungen zwar als zwangsläufig anzusehen. Dadurch, dass jeder Elternteil nunmehr nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht hat, Kontakt zu seinem Kind zu halten, werden aber die zu den typischen Kosten der Lebensführung gehörenden Aufwendungen nicht außergewöhnlich i.S. des § 33 EStG.

Das Recht und die Pflicht zum Umgang mit den eigenen Kindern bestehen auch bei intakten Ehen und ergeben sich hier aus dem gemeinsamen Sorgerecht für die Kinder. Bei getrennt lebenden oder geschiedenen Eltern, insbesondere wenn nur ein Elternteil das Sorgerecht hat, bedarf es jedoch zur Vermeidung von Streit einer besonderen gesetzlichen Regelung. Steuerrechtliche Folgerungen hinsichtlich der durch den Umgang mit den Kindern entstehenden Kosten ergeben sich hieraus aber nicht.

Weder ist es als außergewöhnlich anzusehen, dass ein Elternteil von seinen Kindern getrennt lebt, weil zwischen den Eltern keine eheliche oder eheähnliche Lebensgemeinschaft (mehr) besteht, noch sind die aufgrund der Trennung der Eltern entstehenden Kosten für den Umgang mit den Kindern außergewöhnlich. Denn eine räumliche Trennung zwischen Eltern und Kindern ist auch bei zusammenlebenden Eltern nicht unüblich, etwa wenn Kinder eine Schule im Ausland besuchen, auswärtig für einen Beruf ausgebildet werden, in einem Heim, einem Krankenhaus oder einer Rehabilitationseinrichtung untergebracht sind, oder im Rahmen eines Schüleraustauschs längere Zeit im Ausland leben.

g) Auch aus dem vom Kläger angeführten Urteil des Senats in BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382 folgt nicht, dass die Umgangskosten nicht den typischen Kosten der Lebensführung zuzuordnen sind.

Das Urteil betraf Aufwendungen für einen Familienrechtsstreit über das Umgangsrecht eines Vaters mit seinen bei der Mutter lebenden nichtehelichen Kindern unter Geltung des § 1711 BGB a.F., nach dem allein der Sorgeberechtigte den Umgang des anderen Elternteils mit den nichtehelichen Kindern bestimmen konnte. Prozesskosten sind nach der Rechtsprechung in der Regel nicht zwangsläufig, es sei denn, der Rechtsstreit berührt einen existentiell wichtigen Bereich des Steuerpflichtigen. Das Recht auf Umgang mit den eigenen Kindern hat der Senat als einen solchen Bereich angesehen und deshalb bei einer grundlosen –nach altem Recht möglichen– Verweigerung des Umgangsrechts durch die sorgeberechtigte Mutter angenommen, dass die Kosten des Vaters für einen Prozess zur Durchsetzung des Umgangs mit seinen Kindern aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig seien. Der Senat hat die Aufwendungen auch als außergewöhnlich beurteilt, weil das die Aufwendungen auslösende Ereignis –die Verweigerung des Umgangs mit den Kindern– nur wenige Steuerpflichtige betreffe und somit nicht durch die allgemeinen Freibeträge abgegolten sei. Aus der Zuordnung des Umgangsrechts zum „Kernbereich menschlichen Lebens“ kann aber nicht geschlossen werden, dass die für den Umgang mit den Kindern entstehenden Aufwendungen –anders als die Kosten für Durchsetzung des Umgangsrechts– außergewöhnlich sind.

h) Entgegen der Auffassung des Klägers sind die Aufwendungen auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Krankheitskosten nach § 33 EStG abziehbar.

Nach der Rechtsprechung des BFH werden Aufwendungen für Besuchsfahrten zu nahen Angehörigen zwar als außergewöhnliche Belastung anerkannt, wenn diese ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit oder eines Leidens unternommen werden oder den Zweck verfolgen, die Krankheit oder das Leiden erträglicher zu machen (vgl. z.B. Senatsurteil in BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958, m.w.N.). Dass der Kläger seine Kinder in den USA besucht, um –wie er vorträgt– bei diesen krankhafte Anpassungsstörungen zu vermeiden, erfüllt diese Voraussetzungen nicht.

i) Nach der Rechtslage im Streitjahr 1999 stand dem Kläger gemäß § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG für jedes Kind ein Kinderfreibetrag in Höhe von 3 456 DM zu. Da die geschiedene Ehefrau nicht unbeschränkt steuerpflichtig war, wurde dem Kläger nach § 32 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 EStG je Kind der doppelte Kinderfreibetrag gewährt. Mit diesem –das sächliche Existenzminimum des Kindes von der Einkommensteuer freistellenden Kinderfreibetrag (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 10. November 1998 2 BvR 1057/91 u.a., BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter C. I.) sind ungeachtet ihrer Höhe alle typischen Lebensführungskosten –wie die im Streitfall durch den Besuch der Kinder entstandenen Aufwendungen für Flüge, Übernachtungen, Mietwagen usw.– abgegolten.

2. Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass Kosten des getrennt lebenden Elternteils für Besuche des Kindes durch den Kinderlastenausgleich bzw. ab 1996 durch den Familienleistungsausgleich abgegolten sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger ist in seinen Grundrechten nicht dadurch verletzt, dass diese Kosten nicht nach § 33 EStG steuerlich berücksichtigt werden.

a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich im Einkommensteuerrecht für den Gesetzgeber aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes –GG–) das Gebot, die Steuerlast an der finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichten, die nach dem objektiven und subjektiven Nettoprinzip zu bemessen ist. Für den Bereich des subjektiven Nettoprinzips gebieten Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 1 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie von der Einkommensteuer zu verschonen. Auf Mittel, die für den Unterhalt von Kindern unerlässlich sind, darf der Staat bei der Besteuerung nicht in gleicher Weise zugreifen wie auf Mittel, die der Bürger zur Befriedigung beliebiger anderer Bedürfnisse einsetzen kann (z.B. BVerfG-Beschlüsse vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98 u.a., BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534, und vom 16. März 2005 2 BvL 7/00, BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356, jeweils m.w.N.).

In seinen Entscheidungen in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534, und in BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356 hat das BVerfG erstmals ausgeführt, für die steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen komme es nicht nur auf deren berufliche oder private Veranlassung an, sondern auch auf die Unterscheidung zwischen freier/beliebiger Einkommensverwendung und „zwangsläufigem, pflichtbestimmten Aufwand“. Auch wenn Aufwendungen ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuzuordnen seien, müsse der Gesetzgeber die unterschiedlichen Gründe für den Aufwand „im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend würdigen“. Beide Entscheidungen betrafen Aufwendungen der privaten Lebensführung, die auch durch den Beruf veranlasst waren (Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei Kettenabordnung und bei Ehegatten, die an verschiedenen Orten beruflich tätig waren, sowie Betreuungsaufwendungen berufstätiger Eltern).

Nicht nur im Bereich des objektiven, sondern auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips darf der Gesetzgeber aber generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 107, 27, BStBl II 2003, 534, und in BVerfGE 112, 268, BFH/NV 2005, Beilage 4, 356).

Aufgrund dieser Befugnis des Gesetzgebers werden das von der Einkommensteuer freizustellende sächliche Existenzminimum des Steuerpflichtigen durch den Grundfreibetrag und das sächliche Existenzminimum eines Kindes durch den Kinderfreibetrag oder das Kindergeld berücksichtigt (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182, unter C. I.).

Maßgröße für das von der Einkommensteuer freizustellende sächliche Existenzminimum ist nach der Entscheidung des BVerfG vom 25. September 1992 2 BvL 5/91 u.a. (BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413, unter C. I. 3.) der im Sozialhilferecht jeweils anerkannte Mindestbedarf. Dieser umfasste im Streitjahr 1999 den von der zuständigen Landesbehörde oder dem örtlichen Sozialhilfeträger festgesetzten Regelsatz (vgl. § 22 Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes –BSHG–), Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 3 Abs. 1 und 2 Regelsatzverordnung) sowie einmalige Hilfen, die einen zusätzlichen, durch die laufenden Leistungen nicht gedeckten Grundbedarf berücksichtigen.

Einmalleistungen werden in der Regel gewährt für die Instandsetzung sowie Beschaffung von Hausrat und Bekleidung sowie die „Wahrnehmung besonderer Anlässe“ (vgl. Dritter Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 2001, BTDrucks 14/1926, 2). Einmalleistungen wurden aufgrund von Sondererhebungen des Statistischen Bundesamtes bei den örtlichen Sozialhilfeträgern im Streitjahr 1999 für Alleinstehende mit 16 %, für erwachsene Haushaltsangehörige mit 17 % und für Kinder mit 20 % der Summe der Regelsätze angesetzt (Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 1999, BTDrucks 13/9561, 2, 3).

Da die sozialhilferechtlichen Regelsätze für Kinder altersabhängig und regional verschieden sind, sind nach der Entscheidung des BVerfG vom 14. Juni 1994 1 BvR 1022/88 (BVerfGE 91, 93, BStBl II 1994, 909, unter C. II. 1. c) Durchschnittssätze zu bilden. Dementsprechend wurde das Existenzminimum eines Kindes mit 6 696 DM (Regelsatz 4 284 DM + einmalige Leistungen 852 DM + Kaltmiete 1 296 DM + Heizkosten 264 DM) ermittelt (Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 1999, BTDrucks 13/9561, 4) und im Jahr 1999 mit einem Betrag von 6 912 DM von der Einkommensteuer freigestellt.

b) Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass Aufwendungen eines getrennt lebenden Elternteils für den Umgang mit den Kindern durch den Familienleistungsausgleich abgegolten sind, liegt im Rahmen seines Regelungsspielraums.

In welchem Umfang für den Umgang mit dem Kind Aufwendungen erbracht werden müssen und ob sie überhaupt in einem ins Gewicht fallenden Umfang entstehen, ist von Fall zu Fall verschieden und weitgehend von der persönlichen, vielfach auf rein privaten Motiven beruhenden Lebensgestaltung des nicht sorgeberechtigten Elternteils abhängig. Vielfach entstehen durch die Ausübung des Rechts und der Pflicht zum persönlichen Umgang nach § 1684 Abs. 1 BGB keine oder nur geringe zusätzliche, über die in jeder Familie üblichen Aufwendungen hinausgehende Kosten, weil die Kinder z.B. in der Nähe des nicht sorgeberechtigten Elternteils wohnen bleiben oder dieser den Kindern an einen neuen Wohnort nachfolgt. Individueller Sonderbedarf ist grundsätzlich nicht bei der Ermittlung des von der Steuer freizustellenden Existenzminimums zu berücksichtigen, da bei allen Steuerpflichtigen gleichermaßen die existenznotwendigen Mindestaufwendungen typisierend anzusetzen sind. Daher muss bei der Ermittlung des steuerrechtlichen Existenzminimums auch nicht jede sozialrechtliche Zusatzleistung mitberücksichtigt werden (vgl. Senatsurteil vom 21. Juni 2007 III R 48/04, BFH/NV 2007, 2176). Aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. August 1995 5 C 15/94 (Neue Juristische Wochenschrift 1996, 1838), das Kosten für den Umgang mit dem Kind dem Grunde nach als sozialhilferechtlichen, nicht durch die Regelsätze abgedeckten Bedarf angesehen hat, für den einmalige Leistungen nach § 21 Abs. 1 BSHG oder besondere Leistungen nach § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG in Betracht kommen können, lassen sich für die steuerrechtliche Behandlung keine Schlüsse ziehen.

In welchem Umfang durch eine zusätzliche steuerliche Entlastung der Umgang mit dem Kind erleichtert und gefördert werden soll, liegt im Regelungsermessen des Gesetzgebers (Senatsurteil in BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54).

3. Die Schulgeldzahlungen sind weder als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG noch teilweise als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG abziehbar.

a) Nach § 33a Abs. 5 i.V.m. Abs. 2 EStG sind Aufwendungen für die –auch die Schulausbildung umfassende– Berufsausbildung von Kindern nicht als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG zu berücksichtigen.

Nach der Rechtsprechung des Senats schließt § 33a Abs. 5 EStG den Abzug von Aufwendungen für die Ausbildung des Kindes grundsätzlich nur dann nicht aus, wenn durch außergewöhnliche Umstände –wie die Krankheit des Kindes– zusätzliche durch den Ausbildungsfreibetrag und den Familienleistungsausgleich nicht abgegoltene besondere Aufwendungen entstehen (z.B. Senatsbeschluss vom 17. April 1997 III B 216/96, BFHE 183, 139, BStBl II 1997, 752, m.w.N., und BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 38/97, BFHE 193, 553, BStBl II 2001, 132).

Eine Berücksichtigung dieser Kosten ist nur dann möglich, wenn es sich um unmittelbare Krankheitskosten handelt, d.h. sie müssen ausschließlich zum Zwecke der Heilung einer Krankheit getätigt werden oder den Zweck verfolgen, die Krankheit erträglich zu machen. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall aber nicht erfüllt. Es genügt nicht, dass –wie der Kläger vorträgt– die Privatschule durch kleine Klassenverbände eine individuelle Betreuung sicherstelle und auf diese Weise Anpassungsstörungen seiner Kinder vermeide. § 33 EStG ist nicht anwendbar, wenn ein Kind aus sozialen, psychologischen oder pädagogischen Gründen in einer Privatschule untergebracht wird; es handelt sich in derartigen Fällen um Kosten der Berufsausbildung und nicht um Krankheitskosten (Senatsbeschluss in BFHE 183, 139, BStBl II 1997, 752, und Senatsurteil vom 18. April 1990 III R 160/86, BFHE 161, 447, BStBl II 1990, 962).

b) Die Kosten für die Schule sind auch nicht mit einem Teilbetrag als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG sind 30 % des Entgelts als Sonderausgaben abziehbar, das der Steuerpflichtige für ein Kind (für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält) für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemeinbildenden Ergänzungsschule entrichtet. Die von den Kindern besuchte „… Country Day School“ in den USA erfüllt diese Voraussetzungen nicht; es handelt sich nicht um eine von der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder anerkannte deutsche Schule im Ausland (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 XI R 32/03, BFHE 209, 40, BStBl II 2005, 518).

Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 11. September 2007 C-76/05 (Deutsches Steuerrecht 2007, 1670) berührt den Streitfall nicht, da das aus dem EG-Vertrag abgeleitete Verbot, Schulgeldzahlungen nur für den Besuch inländischer Schulen steuerlich zu berücksichtigen, lediglich Schulgeldzahlungen an Schulen in Mitgliedstaaten betrifft, nicht aber Zahlungen an Schulen in Drittländern wie in den USA.

Bundesgerichtshof

Urteil vom:

15.11.2007

Aktenzeichen:

III ZR 295/06

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB § 13, BGB § 14, BGB § 312

Eingestellt am:

11.12.2007

Zur Abgrenzung von Unternehmer- und Verbraucherhandeln und zu einer Haustürsituation bei einem Rechtsgeschäft, das der Vorbereitung einer Existenzgründung dient (Fortführung der Grundsätze des Senatsbeschlusses BGHZ 162, 253).

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

III ZR 295/06

Verkündet am:
15. November 2007

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Wurm, Dörr, Wöstmann und die Richterin Harsdorf-Gebhardt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 3. November 2006 wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsrechtszugs zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte beabsichtigte, sich als Mitinhaberin eines Fitness-Studios selbständig zu machen, indem sie in die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die dieses Studio betrieb, eintrat. Auf Einladung der Beklagten und ihres Ehemanns suchte der klagende Steuerberater die Eheleute am 7. Januar 2004 in deren Wohnung auf, um die steuerliche Situation der Eheleute zu „beleuchten“. Der Kläger behauptet, bei dieser Gelegenheit sei er von der Beklagten mit der Erstellung eines Existenzgründungsberichts beauftragt worden, der insbesondere der Erlangung von Fördermitteln habe dienen sollen. Für die Ausarbeitung des Berichts stellte der Kläger der Beklagten ein Honorar für 40 Stunden zu je 80 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer in Rechnung. Diesen Betrag nebst vorgerichtlichen Anwaltskosten und Zinsen hat er im vorliegenden Rechtsstreit eingeklagt.

Mit Schriftsatz vom 14. September 2005 hat die Beklagte den Vertrag gemäß §§ 312, 355 BGB vorsorglich widerrufen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Forderung weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Beide Vorinstanzen haben zutreffend angenommen, dass der vom Kläger behauptete Vertrag über die Erstellung des Existenzgründungsberichts ein Haustürgeschäft im Sinne des § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB n.F. gewesen ist. Dementsprechend stand der Beklagten das Widerrufsrecht nach § 355 BGB zu, das sie wirksam ausgeübt hat.

1. Die Beklagte war bei der Erteilung des Auftrags vom 7. Januar 2004 Verbraucherin im Sinne des § 13 BGB, der Kläger Unternehmer im Sinne des § 14 BGB.

a) Der Auftrag konnte weder der gewerblichen noch der selbständigen beruflichen Tätigkeit der Beklagten zugerechnet werden. Zwar hat der Senat entschieden, dass Unternehmer- und nicht Verbraucherhandeln schon dann vorliegt, wenn das betreffende Geschäft im Zuge der Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit (sogenannte Existenzgründung) geschlossen wird (Senatsbeschluss BGHZ 162, 253, 256 f). Entscheidend hierfür ist die – objektiv zu bestimmende – Zweckrichtung des Verhaltens. Das Gesetz stellt nicht auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein geschäftlicher Erfahrung, etwa aufgrund einer bereits ausgeübten gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit, ab; vielmehr kommt es darauf an, ob das Verhalten der Sache nach dem privaten – dann Verbraucherhandeln – oder dem gewerblich-beruflichen Bereich – dann Unternehmertum – zuzuordnen ist. Rechtsgeschäfte im Zuge einer Existenzgründung, z.B. die Miete von Geschäftsräumen, der Abschluss eines Franchisevertrags oder der Kauf eines Anteils an einer freiberuflichen Gemeinschaftspraxis, sind nach den objektiven Umständen klar auf unternehmerisches Handeln ausgerichtet (Senatsbeschluss aaO S. 257 m.w.N.).

b) Mit diesen Fallkonstellationen ist die vorliegende – wie beide Vorinstanzen mit Recht hervorgehoben haben – indessen nicht vergleichbar. Es ging hier nämlich gerade nicht um ein Rechtsgeschäft im Zuge der Existenzgründung, sondern um ein solches, das die Entscheidung, ob es überhaupt zu einer Existenzgründung kommen sollte, erst vorbereiten sollte, indem die betriebswirtschaftlichen Grundlagen dafür ermittelt wurden. Erst das Ergebnis dieser Untersuchung eröffnete der Beklagten überhaupt die Möglichkeit, mit Sachkunde diese Entscheidung zu treffen. Da es – wie bereits ausgeführt – auf den objektiven Zweck des Rechtsgeschäfts ankommt, ist es unerheblich, ob die Beklagte subjektiv bereits fest zu einer Existenzgründung entschlossen war. Entscheidend ist vielmehr, dass die getroffene Maßnahme noch nicht Bestandteil der Existenzgründung selbst gewesen war, sondern sich im Vorfeld einer solchen bewegte. Dementsprechend ist der Auftrag (noch) nicht dem unternehmerischen, sondern dem privaten Bereich zuzuordnen.

c) Die von der Revision hiergegen unter Praktikabilitätsgesichtspunkten geäußerten Bedenken vermag der Senat nicht zu teilen. Die Unterscheidung zwischen Geschäften, die im Zuge einer Existenzgründung vorgenommen werden, und solchen, die diese Gründung vorbereiten sollen oder ihr vorgelagert sind, ist sachgerecht und bringt keine besonderen Abgrenzungsprobleme mit sich.

2. Auch eine „Haustürsituation“ im Sinne des § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB ist hier zu bejahen, da die mündlichen Verhandlungen im Bereich der Privatwohnung der Beklagten stattgefunden haben. Der Ausnahmetatbestand des § 312 Abs. 3 Nr. 1 BGB liegt nicht vor. Nach dieser Bestimmung besteht ein Widerrufsrecht nicht, wenn die mündlichen Verhandlungen, auf denen der Abschluss des Vertrags beruht, auf vorhergehende Bestellung des Verbrauchers geführt worden sind. Das Berufungsgericht hat hierzu tatrichterlich festgestellt, dass der Kläger in das Haus der Beklagten nicht zu dem Zweck bestellt worden war, um über eine Überarbeitung des Unternehmenskonzepts der Beklagten zu verhandeln. Vielmehr war der Zweck ausschließlich die steuerliche Situation der Beklagten und ihres Ehemanns im Falle der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit und die Erörterung der damit zusammenhängenden Bedenken des Ehemanns der Beklagten. Bei dieser Sachlage musste die Beklagte nicht damit rechnen, mit dem Angebot konfrontiert zu werden, einen Existenzgründungsbericht zu erstellen (vgl. Staudinger/Thüsing, BGB [2005] § 312 Rn. 159; MünchKommBGB/Masuch, 5. Aufl., § 312 Rn. 98; siehe auch BGHZ 110, 308, 310; 109, 127, 135 f; BGH, Urteil vom 19. November 1998 – VII ZR 424/97 = NJW 1999, 575, 576). Dementsprechend sind die mündlichen Verhandlungen, auf denen die Erteilung des Auftrags beruht, nicht auf vorhergehende Bestellung der Beklagten geführt worden. Entgegen der Betrachtungsweise der Revision vermag der Senat darin, dass diese Konstellation in die gesetzliche Widerrufsregelung des § 312 BGB einbezogen wird, keine Überspannung des Verbraucherschutzes zu erkennen.

3. Da der Kläger die Beklagte unstreitig nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen des § 355 Abs. 2 BGB genügenden Weise über das Widerrufsrecht belehrt hat, konnte es noch im Laufe dieses Rechtsstreits wirksam ausgeübt werden. Eine Verwirkung dieses Rechts durch die Beklagte hat das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung verneint; die Revision erhebt insoweit auch keinen Angriff.

4. Einen Wertersatzanspruch nach § 356 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 346 ff BGB haben die Vorinstanzen rechtsfehlerfrei und von der Revision unangegriffen verneint.

5. Die Klage ist nach alledem mit Recht abgewiesen worden; die Revision des Klägers war zurückzuweisen.

Bundesgerichtshof

Urteil vom:

06.11.2007

Aktenzeichen:

VI ZR 220/06

Rechtsgebiet(e):

BGB, StVG, PflVG

Vorschriften:

BGB § 249, StVG § 7, StVG § 8 Nr. 3, PflVG § 3 Nr. 1

Eingestellt am:

11.12.2007

Der Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 3 StVG gilt nicht für Kosten, die anlässlich eines Verkehrsunfalls dadurch entstehen, dass die beförderte Sache beseitigt werden muss, weil sie eine andere beeinträchtigt.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

VI ZR 220/06

Verkündet am:
6. November 2007

in dem Rechtsstreit

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Zwischen den Parteien besteht Streit über die Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer eines LKW für die Kosten der Entsorgung von Transportgut nach einem Verkehrsunfall.

Der bei der Beklagten versicherte LKW geriet am 17. März 2003 auf der BAB A 81 in Brand, nachdem ein Reifen geplatzt war. Er brach sodann auseinander. Die Ladung des Fahrzeugs, die aus 25 t Orangen bestand, wurde durch den Brand weitgehend unbrauchbar und blockierte zusammen mit dem beschädigten LKW die Fahrbahn. Die Klägerin ließ die Fahrbahn räumen und sodann die Orangen durch Verbrennen entsorgen.

Das Landgericht hat der Klage auf Erstattung der Entsorgungskosten stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht bejaht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte aus § 7 StVG, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 31 Abs. 2 StVZO, § 3 Nr. 1 PflVG. Infolge der – unstreitig – vom Versicherungsnehmer der Beklagten verursachten Eigentumsverletzung habe die Klägerin die Orangen entsorgen müssen. Die Entsorgungskosten seien ein Schaden im Sinne des § 249 BGB. Zu ersetzen seien die erforderlichen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten dürfe. Da die Orangen unverwertbar bzw. unverkäuflich gewesen seien, habe die Klägerin entsprechend dem mutmaßlichen Willen des Versicherungsnehmers der Beklagten das Gut vernichten dürfen.

II.

Das Urteil hält den Angriffen der Revision im Ergebnis stand.

1. Auch wenn das Berufungsgericht die Revision zur Klärung der Frage zugelassen hat, ob die Entsorgungskosten einen adäquat-kausalen Schaden im Rahmen der Eigentumsverletzung durch den Versicherungsnehmer der Beklagten darstellten, ist eine Beschränkung der Zulassung der Revision nicht gegeben. Wird die Revision zugelassen, so erfasst die Zulassung den gesamten Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat und für den die zur Zulassung führende Rechtsfrage von Bedeutung ist (vgl. Senatsurteile vom 25. März 2003 – VI ZR 131/02 – VersR 2003, 1441, 1442 und vom 28. März 2006 – VI ZR 50/05 – VersR 2006, 944). Die Frage des Ursachenzusammenhangs zwischen Schadensereignis und Entsorgungskosten ist für den Klageanspruch insgesamt entscheidend.

2. Die Beklagte haftet für die Kosten der Verbrennung der Orangen nach § 7 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 3 Nr. 1 PflVG. Die zur Behebung der Sachbeschädigung, d.h. zur Wiederherstellung der Benutzbarkeit der Bundesautobahn, erforderlichen Kosten umfassen neben den nicht mehr im Streit befindlichen Kosten für Reinigung der Straße, Aufnahme und Abtransport der die Fahrbahn blockierenden Ladung auch die Kosten der Vernichtung der unstreitig zerstörten Ladung (vgl. zu Entsorgungskosten Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 27 Rn. 15).

a) Der Brand des LKW während der Fahrt auf der Autobahn war Folge eines Betriebsvorgangs (vgl. OLG Saarbrücken, VRS 99, 104, 105 mit Nichtannahmebeschluss des erkennenden Senats vom 28. März 2000 – VI ZR 217/99; vgl. auch OVG Koblenz, NVwZ-RR 2001, 382), dessen Auswirkungen eine Sache der Klägerin, nämlich die Bundesautobahn (§ 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 FStrG), beschädigten. Der Schadensbegriff des § 7 StVG entspricht dem des BGB (BGHSt 29, 132, 135; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2006 – IV ZR 325/05 – VersR 2007, 200, 201; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 7 Rn. 26; Schneider, MDR 1989, 193, 194 ff.). Danach ist eine Sache beschädigt, wenn entweder ihre Substanz nicht unerheblich verletzt oder ihre Brauchbarkeit zu ihrer bestimmungsgemäßen Verwendung nicht unerheblich beeinträchtigt worden ist, ohne dass zugleich in ihre Substanz eingegriffen werden müsste (Senatsurteil vom 7. Dezember 1993 – VI ZR 74/93 – VersR 1994, 319, 320; BGH, Urteil vom 20. Dezember 2006 – IV ZR 325/05 – aaO; Urteil vom 21. Dezember 1970 – II ZR 133/68 – VersR 1971, 418, 420; OLG Köln VersR 1983, 287). Nach den von den Parteien nicht in Zweifel gezogenen tatsächlichen Umständen war die Bundesautobahn an der Unfallstelle durch die Ladung blockiert und musste gereinigt werden, bevor sie wieder dem Verkehr übergeben werden konnte. Dementsprechend hat die Beklagte inzwischen die zur Wiederherstellung der Benutzbarkeit der Bundesautobahn erforderlichen Kosten für die Reinigung der Straße und den Abtransport der die Fahrbahn blockierenden Ladung beglichen.

b) Schadensrechtlich sind die Entsorgungskosten jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die zerstörte Ladung die Bundesautobahn verschmutzte und blockierte, nicht als Folgeschäden der Eigentumsverletzung an der transportierten Sache (Zerstörung der Orangen) einzustufen, sondern als – allerdings ursächlich in der Zerstörung der transportierten Sache begründete – Folgekosten aus der bei der Klägerin eingetretenen Eigentumsverletzung an der Bundesautobahn. An der Adäquanz, d.h. der Eignung des zum Schaden führenden Ereignisses im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen, einen Erfolg der eingetretenen Art herbeizuführen (vgl. Senatsurteil vom 16. April 2002 – VI ZR 227/05 – VersR 2002, 773), besteht nach Lage des Falles kein Zweifel (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – IV ZR 325/05 – VersR 2007, 200, 201). Die durch den Betrieb des Fahrzeugs zerstörte Ladung blockierte die Fahrbahn; zur Wiederherstellung der Brauchbarkeit der Fahrbahn war die Ladung aufzunehmen, abzutransportieren und – da zerstört und damit wertlos – zu entsorgen. Erst dann war der Schaden beseitigt und der vor dem schädigenden Ereignis bestehende Zustand wieder hergestellt. Eine weitere Verwahrung hätte, weil letztlich nur die Vernichtung der Ware in Frage kam, nur überflüssige Kosten verursacht. Bei den getroffenen Maßnahmen ging es mithin darum, den zur Beseitigung der Unfallfolgen erforderlichen Aufwand und damit den Schaden zu begrenzen, für den die Beklagte als Versicherer des Fahrzeugs einzustehen hat.

Dem kann die Revision nicht mit Erfolg entgegensetzen, dass die Ladung unter Umständen zu Dünger hätte verarbeitet werden können. Dieser Vortrag steht in Widerspruch zu den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen tatsächlichen Feststellungen im Tatbestand des Urteils des Landgerichts, dass die Fracht unstreitig „weitgehend zerstört“ und „verdorben“ gewesen sei. Er kann deshalb in der Revision nicht berücksichtigt werden (§ 559 Abs. 2 ZPO).

c) Entgegen der Auffassung der Revision ist die Haftung gemäß § 7 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG nicht deshalb nach § 8 Nr. 3 StVG ausgeschlossen, weil die Orangen Transportgut des verunfallten LKW waren. Zwar schließt § 8 Nr. 3 StVG die Haftung des Halters aus, „wenn eine Sache beschädigt worden ist, die durch das Kraftfahrzeug … befördert wurde …“. Doch sind damit nur Schäden an der transportierten Sache selbst gemeint (vgl. BGH, Urteil vom 13. Februar 1980 – IV ZR 39/78 – VersR 1980, 522, 524; vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 8 Nr. 3 StVG in BT-Drs. 14/7752, S. 31). Entgegen der Auffassung der Revision hat § 8 Nr. 3 StVG keinen anderen Regelungsgehalt. Schon nach dem Wortlaut des § 8 Nr. 3 StVG sind nur Schäden an der transportierten Sache selbst von der Haftung nach § 7 StVG nicht umfasst. Außerdem ist § 8 Nr. 3 StVG als Ausnahmevorschrift zur grundsätzlichen Haftung des Halters für Sachschäden eng zu verstehen (vgl. zu § 8 StVG a.F. Senatsurteile BGHZ 116, 200, 205; vom 7. Juli 1956 – VI ZR 157/55 – VersR 1956, 640). Dieses Verständnis der Regelung in § 8 Nr. 3 StVG stimmt überein mit der Auffassung des IV. Zivilsenats des BGH, wonach die Haftungsausschlussklausel in § 11 AKB, die für das Deckungsverhältnis zwischen Versicherer und Halter gilt, nur Schäden erfasst, die unmittelbar an den beförderten Gütern selbst eingetreten sind, (BGH, Urteil vom 23. November 1994 – IV ZR 48/94 – VersR 1995, 162, 163; ebenso schon Urteil vom 28. Mai 1969 – IV ZR 615/68 – VersR 1969, 726, 727; siehe auch Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung, 17. Aufl., § 11 Rn. 24 AKB).

Nach alledem gilt der Haftungsausschluss nicht für Kosten, die dadurch entstehen, dass die beförderte Sache beseitigt werden muss, weil sie eine andere beeinträchtigt.

3. Im Hinblick auf den nach § 7 StVG in Verbindung mit § 3 Nr. 1 PflVG gegebenen Anspruch bedarf keiner Klärung, ob der Anspruch der Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt der Verschuldenshaftung begründet wäre. Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann dies vom erkennenden Senat nicht beurteilt werden. Ebenso kann offen bleiben, ob die Klägerin Ersatz ihrer Aufwendungen im Wege des Direktanspruchs nach § 3 Nr. 1 PflVG für eine Geschäftsführung ohne Auftrag verlangen könnte (vgl. hierzu Senatsurteil vom 4. Juli 1978 – VI ZR 96/77 – VersR 1978, 962 f. unter II. 2.).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Bundesgerichtshof

Urteil vom:

10.10.2007

Aktenzeichen:

VIII ZR 331/06

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB § 557 Abs. 4, BGB § 558 Abs. 1, BGB § 558 Abs. 6, BGB § 558a

Eingestellt am:

11.12.2007

a) Bei Erhöhung einer Teilinklusivmiete nach § 558 BGB braucht der Vermieter im Mieterhöhungsverlangen zur Höhe der in der Miete enthaltenen Betriebskosten keine Angaben zu machen, wenn auch die von ihm beanspruchte erhöhte Teilinklusivmiete die ortsübliche Nettomiete nicht übersteigt.

b) Mieterhöhungen nach §§ 558, 559 BGB werden Bestandteil der Grundmiete und sind deshalb bei späteren Mieterhöhungen nach § 558 BGB in die Ausgangsmiete einzurechnen. Eine gegenteilige Parteivereinbarung gäbe dem Vermieter die Möglichkeit zur Mieterhöhung über den in § 558 BGB vorgesehenen Rahmen hinaus und ist deshalb gemäß § 558 Abs. 6, § 557 Abs. 4 BGB wegen Benachteiligung des Mieters unwirksam.

c) Gibt der Vermieter in einem Mieterhöhungsbegehren nach § 558a BGB eine unzutreffende Ausgangsmiete an, weil er die gebotene Einrechnung einer früheren Mieterhöhung in die Ausgangsmiete unterlässt, führt das nicht zur formellen Unwirksamkeit des Mieterhöhungsbegehrens und zur Unzulässigkeit einer vom Vermieter daraufhin erhobenen Zustimmungsklage; das Mieterhöhungsbegehren ist jedoch unbegründet, soweit die begehrte Miete unter Hinzurechnung der früheren Mieterhöhung die ortsübliche Vergleichsmiete übersteigt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 12. November 2003 – VIII ZR 52/03, NJW 2004, 1379, unter II 2 b und Urteil vom 19. Juli 2006 – VIII ZR 212/05, NJW-RR 2006, 1305, unter II 2 a, b).

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

VIII ZR 331/06

Verkündet am:
10. Oktober 2007

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Wiechers sowie die Richterinnen Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 23. November 2006 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 29. Juli 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagten haben von der Klägerin eine 138,96 qm große Wohnung in Düsseldorf gemietet. Ab 1. März 1995 verlangte die Klägerin zusätzlich zur bisherigen (Teilinklusiv-)Miete von 575,50 EUR monatlich und den vereinbarten Nebenkosten (Heizung, Be- und Entwässerung sowie Antennenanlage) einen so genannten Wertverbesserungszuschlag in Höhe von 36,26 EUR. Die Beklagten entrichteten in der Folgezeit den sich unter Berücksichtigung dieses Zuschlags ergebenden monatlichen Gesamtbetrag.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2004 begehrte die Klägerin Zustimmung zur Erhöhung der „Nettomiete“ von bisher monatlich 575,50 EUR – zuzüglich der Kosten für Be- und Entwässerung, Heizkostenvorauszahlung, Wertverbesserung und Kabelgebühren wie bisher – auf monatlich 690,60 EUR mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005. Dabei führte sie aus, dass auf die Wohnung der Beklagten durchschnittliche Betriebskosten von 0,67 EUR je qm entfielen. Die ortsübliche Vergleichsmiete (Nettomiete) hat die Klägerin in ihrem Mieterhöhungsverlangen mit 5,80 EUR angegeben; dem sind die Beklagten nicht entgegengetreten.

Die Beklagten stimmten der Mieterhöhung nicht zu. Das Amtsgericht hat die Beklagten verurteilt, der Mieterhöhung entsprechend dem Mieterhöhungsverlangen der Klägerin von 28. Oktober 2004 zuzustimmen, das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Zustimmung zur Mieterhöhung nicht zu, weil es bereits an einem formell wirksamen Mieterhöhungsverlangen fehle, dieses jedenfalls nicht hinreichend begründet sei.

Gemäß § 558a BGB sei das Erhöhungsverlangen dem Mieter in Textform zu erklären und zu begründen. Die Begründung solle dem Mieter die Möglichkeit geben, die sachliche Berechtigung des Erhöhungsverlangens zu überprüfen und auf diese Weise überflüssige Prozesse zu vermeiden. Diesem Erfordernis werde das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin nicht gerecht, weil es sich auf einen lediglich Nettokaltmieten ausweisenden Mietspiegel stütze, jedoch ungeachtet der zwischen den Parteien vereinbarten Teilinklusivmiete keine überprüfbaren Angaben zu den konkreten Betriebskosten der Wohnung im letzten Abrechnungszeitraum enthalte. Die Berechnung der Vergleichsmiete anhand von Durchschnittswerten stelle keine gleichwertige Berechnungsmethode dar.

Es sei unerheblich, dass die von der Klägerin geforderte Bruttomiete die Nettomiete des Mietspiegels unterschreite. Zwar komme es bei dieser Konstellation für den Mieter nicht auf die Möglichkeit an, im Einzelnen nachvollziehen und überprüfen zu können, wie sich der Anteil seiner Nettomiete zu der im Mietspiegel verhalte. Das zum Schutz des Mieters streng förmlich ausgestaltete Mieterhöhungsverfahren gestatte insoweit jedoch keine Ausnahme. Vor diesem Hintergrund könne auch die von den Parteien umstrittene Frage dahinstehen, ob durch das Mieterhöhungsbegehren vom 28. Oktober 2004 die Struktur des Mietverhältnisses verändert oder diese Änderung bereits bei der letzten Mieterhöhung zum 1. März 1995 vorgenommen worden sei.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin vom 28. Oktober 2004 ist formell wirksam und auch materiell begründet.

1. Im Ansatzpunkt zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die dem Vermieter gemäß § 558a BGB obliegende Begründung des Mieterhöhungsverlangens dem Mieter die Möglichkeit geben soll, die sachliche Berechtigung des Erhöhungsverlangens zu überprüfen und auf diese Weise überflüssige Prozesse zu vermeiden; zur Erreichung dieses Zwecks müssen dem Mieter alle Faktoren bekannt gegeben werden, die für die Mieterhöhung von Bedeutung sind (Senatsurteil vom 25. Februar 2002 – VIII ZR 116/03, NZM 2004, 380, unter II 1). Dem Berufungsgericht ist ferner darin beizupflichten, dass der Anspruch des Vermieters auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Bruttokaltmiete (Teilinklusivmiete), den er – wie hier die Klägerin – mit einem Mietspiegel begründet, der Nettomieten ausweist, anhand der zuletzt auf die betreffende Wohnung entfallenden Betriebskosten und nicht auf der Grundlage eines durchschnittlichen (pauschalen) Betriebskostenanteils zu beurteilen ist (Senatsurteile vom 26. Oktober 2005 – VIII ZR 41/05, NZM 2006, 101, unter II 1 b bb (2); vom 12. Juli 2006 – VIII ZR 215/05, NZM 2006, 864, unter II 2; vom 23. Mai 2007 – VIII ZR 138/06, NJW 2007, 2626, unter II 1).

2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Angabe eines pauschalen Betriebskostenanteils im Erhöhungsverlangen aber nicht zur Folge, dass das Erhöhungsverlangen bereits aus formellen Gründen unwirksam ist. Die Frage, ob der angegebene Betriebskostenanteil (auch im Ansatz) zutreffend ist, betrifft nicht die formelle Ordnungsmäßigkeit des Erhöhungsverlangens, sondern allein dessen materielle Berechtigung (Senatsurteil vom 12. Juli 2006, aaO, unter II 1 b).

Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, kommt es ohnehin auf die Höhe der in der Miete enthaltenen Betriebskosten dann nicht an, wenn – wie hier – selbst die erhöhte Teilinklusivmiete noch unterhalb der ortsüblichen Nettomiete liegt. Der Mieter benötigt in einem solchen Fall keine Angaben zu den Betriebskosten, um die Berechtigung des Erhöhungsverlangens zu prüfen. In einem solchen Fall führen unzutreffende Angaben des Vermieters zu den Betriebskosten – anders als das Berufungsgericht meint – weder zur formellen Unwirksamkeit des Mieterhöhungsverlangens, noch stehen sie der materiellen Begründetheit des Zustimmungsbegehrens entgegen.

3. Das Urteil des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Entgegen der Rüge der Revisionserwiderung ist das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin nicht wegen einer damit verbundenen unzulässigen Änderung der Mietstruktur bereits formell unwirksam.

Zwar ist nach wohl allgemeiner Meinung in der Literatur und der Rechtsprechung der Instanzgerichte ein Mieterhöhungsverlangen dann unwirksam, wenn der Vermieter damit weitere von ihm erstrebte Änderungen des Mietvertrags – z.B. der Mietstruktur – verknüpft, so dass der Mieter mit der Zustimmung zur Mieterhöhung gleichzeitig die weitere Vertragsänderung annähme (LG Hamburg, WuM 1987, 86; LG Köln, WuM 1992, 255; LG Wiesbaden, WuM 1991, 698; LG München, WuM 1995, 113; vgl. auch OLG Hamburg, WuM 1983, 49; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 9. Aufl., § 558a Rdnr. 17; Schultz in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., III. A Rdnr. 332; MünchKommBGB/Artz, 4. Aufl., § 558a Rdnr. 10; Schmid/Riecke, Mietrecht, § 558a Rdnr. 9). Ob dieser Auffassung uneingeschränkt zu folgen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Die Klägerin hat mit ihrem Mieterhöhungsverlangen vom 28. Oktober 2004 keine vertragliche Abänderung der Mietstruktur begehrt.

a) Die Auffassung der Revisionserwiderung, die Klägerin erstrebe mit der begehrten Erhöhung der „Grundmiete“ eine vertragliche Änderung der bisherigen Mietstruktur der Teilinklusivmiete, trifft nicht zu. Denn aus der weiteren Formulierung des Mieterhöhungsverlangens ergibt sich, dass die Beklagten (nur) im bisherigen Umfang gesonderte Nebenkosten (Heizkosten, Be- und Entwässerung sowie Kabelgebühren) tragen sollen, so dass sonstige Nebenkosten wie bisher in der Miete enthalten sind.

b) Auch im Hinblick auf die Position „Wertverbesserungszuschlag“ enthält das Mieterhöhungsverlangen der Klägerin kein stillschweigendes Angebot zur vertraglichen Änderung der Mietstruktur; dies ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin in ihrem Mieterhöhungsverlangen ausdrücklich davon ausgeht, dass dieser Zuschlag „wie bisher“ weitergezahlt werden soll.

aa) Allerdings beanstandet die Revisionserwiderung in diesem Zusammenhang zu Recht, dass die Klägerin diesen Betrag nicht in die Ausgangsmiete eingerechnet hat. Eine wegen Modernisierung erfolgte Mieterhöhung nach § 559b BGB wird – ebenso wie eine nach § 558 BGB vorgenommene Mieterhöhung – Bestandteil der Grundmiete, so dass die erhöhte Miete bei einer späteren Mieterhöhung nach § 558 BGB als die der ortsüblichen Vergleichsmiete gegenüberzustellende Ausgangsmiete zu Grunde zu legen ist (LG München I, WuM 1996, 43; Schmidt-Futterer/Börstinghaus, aaO, § 559b Rdnr. 41 m.w.N., Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl., § 559b Rdnr. 4; Lammel, Wohnraummietrecht, 2. Aufl., § 559b Rdnr. 25). Eine hiervon abweichende Mietstruktur, bei der die frühere Mieterhöhung in Form eines Wertverbesserungszuschlags als gesonderter, bei späteren Mieterhöhungen nicht zu berücksichtigender Betrag neben der Grundmiete erhalten bliebe, kann auch durch eine Vereinbarung der Mietvertragsparteien nicht erreicht werden. Denn eine derartige Abrede gäbe dem Vermieter die Möglichkeit zur Erhöhung der Miete über den durch § 558 BGB vorgegebenen Rahmen hinaus und wäre deshalb als eine den Mieter benachteiligende Vereinbarung gemäß § 558 Abs. 6 BGB (früher § 10 Abs. 1 Miethöhegesetz) unwirksam. Es ist deshalb unerheblich, ob die Parteien anlässlich der im Jahr 1995 erfolgten Mieterhöhung eine dahingehende Änderung der Mietstruktur vereinbart haben. Die Klägerin hätte den Wertverbesserungszuschlag mithin in die Ausgangsmiete und die verlangte erhöhte Miete einrechnen müssen.

bb) Die Nichteinrechnung der früheren Mieterhöhung in die Ausgangsmiete und die erhöhte Miete führt jedoch nicht zur formellen Unwirksamkeit des Mieterhöhungsverlangens vom 28. Oktober 2004.

§ 558a BGB legt die formalen Anforderungen fest, die an ein wirksames Mieterhöhungsverlangen zu stellen sind. Davon unabhängig ist die Frage, ob die im Zustimmungsverlangen geforderte Miete der Höhe nach (materiell) berechtigt ist. Mit der Begründung des Mieterhöhungsverlangens sollen dem Mieter im Interesse einer außergerichtlichen Einigung die tatsächlichen Angaben zur Verfügung gestellt werden, die er zur Prüfung einer vom Vermieter gemäß § 558 BGB begehrten Mieterhöhung benötigt, also etwa die Angabe der ortsüblichen Vergleichsmiete (Mietspanne) und bei Bezugnahme auf einen Mietspiegel die Einordnung der Wohnung in die betreffende Kategorie des Mietspiegels (vgl. Senatsurteil vom 12. November 2003 – VIII ZR 52/03, NJW 2004, 1379, unter II 2 b). Inhaltliche Fehler des Mieterhöhungsbegehrens führen demgegenüber nicht zu dessen formeller Unwirksamkeit und zur Unzulässigkeit einer vom Vermieter daraufhin erhobenen Zustimmungsklage, sondern sind im Rahmen der Begründetheit zu prüfen (vgl. Senatsurteile vom 12. November 2003, aaO, unter II 2 b, c, zur Überschreitung der Mietspiegelspanne im Mieterhöhungsverlangen sowie vom 19. Juli 2006 – VIII ZR 212/05, NJW-RR 2006, 1305, unter II 2 a, b, zur Erhöhung einer der Heizkostenverordnung widersprechenden Bruttowarmmiete). Dies gilt auch für die hier unterbliebene Einrechnung des Wertverbesserungszuschlags in die Miete.

4. Der Anspruch der Klägerin auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Teilinklusivmiete um 115,10 EUR ist auch materiell begründet. Denn die Klägerin hat in ihrem Mieterhöhungsverlangen vom 28. Oktober 2004 die Jahresfrist des § 558 Abs. 1 Satz 2 BGB, die 15-monatige Wartefrist gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB sowie die Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB beachtet, und die erhöhte Miete liegt noch unter der ortsüblichen Vergleichsmiete von 5,80 EUR je qm. Auch die erhöhte (Teilinklusiv-)Miete beläuft sich nämlich einschließlich des Wertverbesserungszuschlags auf 726,86 EUR, was bei der Wohnungsgröße von 138,96 qm einem Betrag von nur 5,23 EUR je qm entspricht.

III.

Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf ist zurückzuweisen.

Bundesgerichtshof

Urteil vom:

10.10.2007

Aktenzeichen:

VIII ZR 279/06

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB § 556 Abs. 3 Satz 5, BGB § 556 Abs. 3 Satz 6

Eingestellt am:

11.12.2007

Zu den Einwendungen gegen eine Abrechnung des Vermieters über Vorauszahlungen für Betriebskosten, die der Mieter spätestens bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Zugang einer formell ordnungsgemäßen Abrechnung geltend machen muss, gehört auch der Einwand, dass es für einzelne, nach § 556 Abs. 1 BGB grundsätzlich umlagefähige Betriebskosten an einer vertraglichen Vereinbarung über deren Umlage fehlt.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

VIII ZR 279/06

Verkündet am:
10. Oktober 2007

in dem Rechtsstreit

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter Wiechers sowie die Richterinnen Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers und die Revision des Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 18. Mai 2006 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 30. August 2006 werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Beklagte mietete mit Vertrag vom 8. Februar 1997 eine Wohnung des Klägers. In dem verwendeten Mustermietvertrag des Bundesministers der Justiz finden sich in § 2 die folgenden Regelungen:

„(1) Die Miete beträgt monatlich 1.520,– DM

Neben der Miete werden folgende Betriebskosten4 i.S.d. § 27 der Zweiten Berechnungsverordnung umgelegt und durch Vorauszahlungen (mit Abrechnung) erhoben

1.|Für Wasserversorgung und Entwässerung Vorauszahlung/Pauschale*)|________DM
2.|Für Zentralheizung/zentrale Brennstoffversorgung/Versorgung mit Fernwärme Vorauszahlung/Pauschale*)|________DM
3.|Für Warmwasserversorgung/Versorgung mit Fernwarmwasser
Vorauszahlung/Pauschale*)|________DM
4.|Für Aufzug/Aufzüge
Vorauszahlung/Pauschale*)|________DM
5.|Für laufende öffentliche Abgaben (z.B. Grundsteuer, Straßenreinigung, Müllabfuhr) Vorauszahlung/Pauschale*)|________DM
6.|Für Schornstein-, Kamin-Reinigung Vorauszahlung/Pauschale*)|________DM
Gesamtbetrag für 1 – 6 als monatliche Vorauszahlung | 320 DM

…..“

Der Zusatz „Gesamtbetrag für 1 – 6 als monatliche Vorauszahlung“ und der Zahlbetrag „320“ wurden maschinenschriftlich eingesetzt. In der Fußnote 4 zu dem oben aufgeführten Text heißt es:

„Unter die Betriebskosten fallen die in der Anlage im einzelnen aufgezählten Kosten.“

Die Anlage 2 zum Mietvertrag enthält auszugsweise folgenden Text:

„Aufstellung der Betriebskosten (Anlage 2)

Bebtriebskosten sind die in der Anlage 3 zu § 27 Abs. 1 der Zweiten Berechnungsverordnung in der jeweils geltenden Fassung bezeichneten Kosten. Betriebskosten sind danach die nachstehenden Kosten, die dem Vermieter für das Gebäude oder die Wirtschaftseinheit laufend entstehen, es sei denn, dass sie üblicherweise vom Mieter außerhalb der Miete unmittelbar getragen werden.

9. Die Kosten der Hausreinigung und Ungezieferbekämpfung

10. Die Kosten der Gartenpflege

11. Die Kosten der Beleuchtung

13. Die Kosten der Sach- und Haftpflichtversicherung

15. Die Kosten

a) …

b) des Betriebs der mit einem Breitbandkabelnetz verbundenen privaten Verteilanlage.“

Mit Schreiben vom 19. November 2002 übersandte der Kläger dem Beklagten die Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2000 und 2001, mit Schreiben vom 8. Oktober 2003 diejenige für das Jahr 2002 und mit Schreiben vom 4. Juni 2004 die Nebenkostenabrechnung für 2003. Sämtliche Abrechnungen enthalten unter anderen die Positionen Kabelanschluss, Haus- und Gartenpflege, Versicherung sowie Strom allgemein. Sie enden mit Nachforderungen in Höhe von 524,09 DM (= 267,96 EUR) für das Jahr 2000, 998,41 DM (= 510,48 EUR) für 2001, 180,65 EUR für 2002 und 93,18 EUR für das Jahr 2003.

Mit seiner Klage macht der Kläger den Gesamtbetrag von 1.052,27 EUR nebst Zinsen geltend. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 eingewandt, die Abrechnungen enthielten Positionen, deren Umlage mietvertraglich nicht vereinbart worden sei. Widerklagend verlangt er deshalb die Rückzahlung eines Teils der geleisteten Betriebskostenvorschüsse in Höhe von 667,76 EUR für das Jahr 2000, 392,02 EUR für 2001, 625,33 EUR für 2002 und 769,51 EUR für das Jahr 2003, insgesamt 2.454,62 EUR nebst Zinsen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Entscheidung des Amtsgerichts hinsichtlich der Widerklage abgeändert und diese – unter teilweiser Verrechnung der Widerklage- mit der Klageforderung – abgewiesen, soweit der Kläger zur Zahlung von mehr als 746,14 EUR nebst Zinsen verurteilt worden ist. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter und begehrt er die vollständige Abweisung der Widerklage; der Beklagte erstrebt die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers und die Revision des Beklagten haben keinen Erfolg.

A.

Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Der Kläger sei aufgrund des Mietvertrages nicht berechtigt, die Positionen „Kabelanschluss“, „Haus- und Gartenpflege“, „Versicherung“ sowie „Strom allgemein“ in der Betriebskostenabrechnung gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Der Mietvertrag könne nur so verstanden werden, dass nur die direkt unter der Passage „Neben der Miete werden folgende Betriebskosten i.S.d. § 27 der Zweiten Berechnungsverordnung umgelegt und durch Vorauszahlungen (mit Abrechnung) erhoben“ in § 2 aufgeführten Positionen (Ziffer 1 – 6) umgelegt werden sollten; nur für diese Positionen sei als monatliche Vorauszahlung gemäß § 2 des Mietvertrages die Zahlung von 320,00 DM vereinbart worden. Der Ansicht des Klägers, nach der der Passus im Mietvertrag „folgende Betriebskosten“ sich auf die Fußnote 4 beziehe, in der es heiße, „Betriebskosten sind die in der Anlage 3 zu § 27 Abs. 1 der Zweiten Berechnungsverordnung in der jeweils geltenden Fassung bezeichneten Kosten“, könne nicht gefolgt werden. Ansprüche auf Nachzahlung aus den Nebenkostenabrechnungen 2000 bis 2003 stünden dem Kläger deshalb grundsätzlich nicht mehr zu.

Der Beklagte sei allerdings mit Einwendungen gegen die Nebenkostenabrechnungen 2001 und 2002 gemäß § 556 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB begründe eine Obliegenheit des Mieters, die Fehler der Abrechnung dem Vermieter innerhalb der Frist von zwölf Monaten mitzuteilen. Nach Ablauf der Frist könne er Einwendungen gemäß § 556 Abs. 3 Satz 6 BGB nicht mehr geltend machen. Der Anwendungsbereich des § 556 Abs. 3 BGB sei auch dann eröffnet, wenn der Vermieter in die Abrechnung Kostenpositionen eingestellt habe, deren Umlegung nicht vereinbart worden sei.

Dem Kläger stünden daher aus den Nebenkostenabrechnungen 2001 und 2002 Nachforderungen in Höhe von 510,48 EUR und 180,65 EUR, zusammen 691,13 EUR zu. Für 2000 und 2003 könne dagegen der Beklagte die Rückzahlung zuviel geleisteter Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 667,76 EUR und 769,51 EUR, insgesamt 1.437,27 EUR verlangen. Es verbleibe daher ein Restanspruch des Beklagten von 746,13 EUR (= 1.437,27 EUR – 691,13 EUR), der ihm auf die Widerklage zuzusprechen sei.

B.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

I. Revision des Klägers

1. Der Kläger kann neben den Nachforderungen für die Jahre 2001 und 2002, die ihm das Berufungsgericht – von ihm unangegriffen – im Wege der Verrechnung mit der Widerklageforderung zuerkannt hat, keine weiteren Betriebskostennachzahlungen für die Jahre 2000 und 2003 beanspruchen, weil es an einer vertraglichen Vereinbarung hierfür fehlt.

a) Die Vorinstanzen haben den Mietvertrag vom 8. Februar 1997 dahin ausgelegt, dass die Parteien lediglich eine Übernahme derjenigen Betriebskosten durch den Beklagten vereinbart haben, die in § 2 Abs. 1 unter Nr. 1 – 6 aufgeführt sind, und dass dazu die Kosten für den Kabelanschluss, für Haus- und Gartenpflege, Versicherungen sowie für Allgemeinstrom nicht gehören. Dieses Auslegungsergebnis ist nicht zu beanstanden.

Entgegen der Ansicht der Revision ist der Mietvertrag hinsichtlich der Umlage von Betriebskosten weder unvollständig noch unklar. In der Fußnote 4 zu § 2 Abs. 1 und in der Anlage 2 zum Mietvertrag wird allgemein der Begriff der Betriebskosten definiert, während die Vereinbarung über die Umlage nur die „folgenden“, sodann im Einzelnen aufgeführten Betriebskosten erfasst. Die Revision rügt deshalb vergeblich, das Berufungsgericht habe sich rechtsfehlerhaft (§ 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG) nicht mit dem unbestritten gebliebenen Vorbringen des Klägers auseinandergesetzt, er habe seit Beginn des Mietverhältnisses am 1. April 1997 die streitigen Positionen gegenüber dem Beklagten anstandslos abgerechnet; die Parteien hätten dadurch die unvollständigen oder unklaren vertraglichen Regelungen einvernehmlich konkretisiert. Das nachträgliche Verhalten der Parteien, das zwar den objektiven Vertragsinhalt nicht mehr beeinflussen, aber Bedeutung für die Ermittlung des tatsächlichen Willens und das tatsächliche Verständnis der an dem Rechtsgeschäft Beteiligten haben kann (Senatsurteil vom 6. Juli 2005 – VIII ZR 136/04, NJW 2005, 3205, unter II 2 a bb m. w. N.), lässt hier angesichts der eindeutig anders lautenden Bestimmung im Mietvertrag nicht den Schluss zu, die Parteien hätten den Vertrag von Anfang an übereinstimmend in dem Sinne verstanden, dass sämtliche in der Anlage 3 zu § 27 Abs. 1 der Zweiten Berechnungsverordnung bezeichneten Kosten vom Mieter getragen werden sollten.

b) Auch mit der Rüge, durch jahrelange anstandslose Zahlung der Nebenkostenabrechnungen sei (nachträglich) eine stillschweigende Vereinbarung über die in den jeweils erstellten Abrechnungen enthaltenen Betriebskosten zwischen den Parteien zustande gekommen, dringt die Revision nicht durch.

Der von dem Kläger vorgetragene Sachverhalt rechtfertigt nicht die Annahme, die geltend gemachten weiteren Betriebskosten seien aufgrund einer stillschweigenden Vertragsänderung geschuldet. Ein Änderungsvertrag, der eine erweiterte Umlage von Betriebskosten zum Gegenstand hat, kann zwar grundsätzlich auch stillschweigend zustande kommen (Senatsurteil vom 7. April 2004 – VIII ZR 146/03, NJW-RR 2004, 877, unter II 2 b; BGH, Beschluss vom 29. Mai 2000 – XII ZR 35/00, NJW-RR 2000, 1463, unter II). Erforderlich ist dafür aber, dass der Vermieter nach den Gesamtumständen davon ausgehen kann, dass der Mieter einer Umlage weiterer Betriebskosten zustimmt. Dafür reicht es grundsätzlich nicht aus, dass der Mieter Betriebskostenabrechnungen unter Einbeziehung bisher nicht vereinbarter Betriebskosten lediglich nicht beanstandet. Es kommt hinzu, dass ausweislich des Schreibens vom 19. November 2002, mit dem der Kläger die Nebenkostenabrechnungen für 2000 und 2001 übersandt hat, die Abrechnungen für 1997 bis 1999 jeweils mit einem Guthaben für den Beklagten endeten.

Außerdem lässt sich aus der Sicht des Mieters der Übersendung einer Betriebskostenabrechnung, die vom Mietvertrag abweicht, schon nicht ohne weiteres der Wille des Vermieters entnehmen, eine Änderung des Mietvertrages herbeizuführen. Selbst wenn er daraufhin eine Zahlung erbringt, kommt darin zunächst allein die Vorstellung des Mieters zum Ausdruck, hierzu verpflichtet zu sein (Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 9. Aufl., § 556 Rdnr. 58). Anders verhält es sich, wenn aufgrund besonderer Umstände der Änderungswille des Vermieters für den Mieter erkennbar ist, wie dies in der von der Revision angeführten Entscheidung der Fall war (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2000, aaO). Dort ergaben sich Anhaltspunkte für den Mieter, dass eine Vertragsänderung gewollt war. Es hatte ein Vermieterwechsel bei einem Mietvertrag über Gewerberaum stattgefunden, wobei der neue Vermieter umfassend Nebenkosten in Rechnung stellte, während sich die Abrechnung zuvor auf die Kosten für Heizung und Warmwasser beschränkt hatte. Solche besonderen Umstände lagen hier nicht vor.

2. Das Berufungsgericht hat den Kläger auch zu Recht als verpflichtet angesehen, vom Beklagten geleistete Betriebskostenvorschüsse für die Jahre 2000 und 2003 in Höhe von 667,76 EUR bzw. 769,51 EUR zurückzuzahlen. Wie oben (unter 1) ausgeführt, ist der Beklagte zur Übernahme von Kosten für den Kabelanschluss, für Haus- und Gartenpflege, Versicherungen sowie für Allgemeinstrom vertraglich nicht verpflichtet. Er ist mit diesem Einwand gegen die Betriebskostenabrechnungen für 2000 und 2003 nicht gemäß § 556 Abs. 3 Satz 5 und 6 BGB ausgeschlossen. Die Vorschrift ist erst am 1. September 2001 in Kraft getreten und auf den Abrechnungszeitraum 2000 noch nicht anwendbar (Art. 229 § 3 Abs. 9 EGBGB). Gegen die dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Juni 2004 übersandte Betriebskostenabrechnung für 2003 hat dieser mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist des § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB Einwendungen erhoben.

Entgegen der Auffassung der Revision ist der Beklagte an der Rückforderung zu viel geleisteter Vorschüsse für die Jahre 2000 und 2003 auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert. Soweit der Senat bei einer Rückforderung von Mieterhöhungen, die auf die Vorschrift des § 10 WoBindG gestützt waren, die Beurteilung durch das dortige Berufungsgericht gebilligt hat, der Rückforderung stehe im Falle der Unanwendbarkeit der Preisvorschriften des öffentlich geforderten Wohnungsbaus jedenfalls das Gebot von Treu und Glauben entgegen (Beschluss vom 25. Oktober 2005 – VIII ZR 262/04, GE 2005, 1418), lag dem ein anderer Sachverhalt zugrunde, als er hier zu beurteilen ist, weil im Mietvertrag auf die Preisvorschriften verwiesen war und auf deren Grundlage über einen längeren Zeitraum – von der zuständigen Stelle bewilligte und durch Übersendung der Wirtschaftlichkeitsberechnung nachgewiesene – Mieterhöhungen vorbehaltlos gezahlt worden waren.

II. Revision des Beklagten

Für die Jahre 2001 und 2002 ist der Beklagte zur Nachzahlung von Betriebskosten entsprechend den Abrechnungen des Klägers verpflichtet und steht ihm ein Rückforderungsanspruch nicht zu. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Beklagte mit Einwendungen gegen die Betriebskostenabrechnungen 2001 und 2002 gemäß § 556 Abs. 3 Satz 5 und 6 BGB ausgeschlossen ist.

Nach diesen Vorschriften obliegt es dem Mieter, dem Vermieter bis zum Ablauf des zwölften Monats nach Zugang der Abrechnung mitzuteilen, ob er Einwendungen erhebt; nach Ablauf der Frist kann der Mieter Einwendungen grundsätzlich nicht mehr geltend machen. Entgegen der Auffassung der Revision werden davon jedenfalls solche Einwendungen erfasst, die sich – wie hier – gegen eine formell ordnungsgemäße Abrechnung richten und darauf beruhen, dass es für einzelne, nach § 556 Abs. 1 BGB grundsätzlich umlagefähige Betriebskosten an einer vertraglichen Vereinbarung über deren Umlage fehlt (Sternel, ZMR 2001, 937, 939; Schmid, ZMR 2002, 727, 730; Streyl, WuM 2005, 505, 506; Staudinger/Weitemeyer, BGB (2006) § 556 Rdnr. 129; Rips in Eisenschmid/Rips/Wall, Betriebskosten-Kommentar, 2. Aufl., § 556 Rdnr. 2064; Wetekamp, Mietsachen, 4. Aufl., Kapitel 6 Rdnr. 145 f.). Soweit dagegen vertreten wird, die Formulierung „Einwendungen gegen die Abrechnung“ in § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB sei im Zusammenhang mit § 556 Abs. 1 und 2 BGB dahin auszulegen, dass es sich um – hinsichtlich der betreffenden Kostenart – vereinbarte Vorauszahlungen handeln müsse, über die abgerechnet werde (Schmidt-Futterer/Langenberg, aaO, Rdnr. 504 f.; im Ergebnis ebenso Blank/Börstinghaus, Miete, 2. Aufl., § 556 Rdnr. 131; Lützenkirchen, NZM 2002, 512, 513), ist dem nicht zu folgen.

Weder aus dem Wortlaut des § 556 Abs. 3 Satz 5 BGB noch aus Sinn und Zweck der Vorschrift, ergeben sich Hinweise für eine solche Beschränkung des Einwendungsausschlusses. Die Bestimmung stellt im Interesse der Ausgewogenheit (Begr. in BT-Drs. 14/5663 S. 79) dem Nachforderungsausschluss für den Vermieter (Abs. 3 Satz 3) einen Einwendungsausschluss für den Mieter gegenüber. Damit soll erreicht werden, dass in absehbarer Zeit nach einer Betriebskostenabrechnung Klarheit über die wechselseitig geltend gemachten Ansprüche besteht (aaO). Die insoweit beabsichtigte Befriedungsfunktion wäre nicht gewährleistet, wenn nicht nach Ablauf der Einwendungsfrist auch Streitigkeiten darüber ausgeschlossen wären, ob die Abwälzung einzelner, grundsätzlich umlagefähiger Betriebskostenarten auf den Mieter vereinbart worden ist oder nicht. Ein Wertungswiderspruch zu § 556 Abs. 1 BGB besteht in diesem Fall nicht. Wie der Fall zu beurteilen ist, dass der Vermieter Betriebskosten abrechnet, obwohl eine Übernahme von Betriebskosten überhaupt nicht oder als Pauschale vereinbart ist, kann offen bleiben.

Bundesgerichtshof

Urteil vom:

19.09.2007

Aktenzeichen:

XII ZR 198/05

Rechtsgebiet(e):

BGB

Vorschriften:

BGB § 550

Eingestellt am:

11.12.2007

Regeln die Parteien die Fälligkeit des Mietzinses abweichend von den gesetzlichen Bestimmungen, gehört diese Vereinbarung zu den wesentlichen Vertragsbedingungen und bedarf der Schriftform.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

XII ZR 198/05

Verkündet am:
19. September 2007

in dem Rechtsstreit

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2007 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Prof. Dr. Wagenitz, Fuchs und Dr. Ahlt

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 5. Oktober 2005 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob sich ein zwischen ihnen bestehendes Mietverhältnis aufgrund einer Verlängerungsklausel über den 14. Juni 2004 hinaus fortgesetzt hat und ob ggf. die Beklagte den Mietvertrag wegen eines Formfehlers in gesetzlicher Frist wirksam kündigen konnte.

Der Rechtsvorgänger der Klägerin vermietete mit schriftlichem Vertrag vom 26. Mai 1992 der Beklagten Geschäftsräume im Einkaufszentrum S. in R. Als jährlicher Mietzins wurden 205.500 DM (monatlich somit 17.125 DM) zuzüglich gesetzlicher MWSt vereinbart. Nach § 2 Nr. 3 des Vertrages sollte der jährliche Mietzins in vierteljährlichen Raten jeweils zum 15. des zweiten Monats eines Quartals entrichtet werden. In § 3 des Mietvertrages heißt es:

„1. Das Mietverhältnis beginnt am 15.06.92 und läuft 12 Jahre…

2. …

3. Nach Ablauf der Mietzeit (einschließlich der Optionszeiträume) verlängert sich das Mietverhältnis jeweils um drei Jahre, falls es nicht seitens einer Vertragspartei spätestens 12 Monate vor seiner Beendigung gekündigt wird.

4. Der Mieter erhält das Recht, das Mietverhältnis durch einseitige Erklärung um 3 x 3 Jahre zu verlängern. Die Erklärung ist in einer Frist von sechs Monaten vor dem jeweiligen Ablauf per Einschreiben dem Vermieter zuzustellen.“

Mit Schreiben vom 17. November 2003 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis zum 14. Juni 2004, ersatzweise zum nächstmöglichen Termin. Die Klägerin widersprach der Kündigung. Die Beklagte zahlte den vereinbarten Mietzins für Juni 2004 anteilig und räumte die gemieteten Flächen. Die Klägerin hat die in Rede stehenden Geschäftsräume ab 15. September 2004 bis zum 31. Dezember 2004 allerdings nur gegen Zahlung von pauschalen monatlichen Betriebskosten weitervermietet. Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die Zeit von Juni bis einschließlich Dezember 2004 insgesamt 55.276,59 EUR nebst Zinsen. Die Beklagte begehrt widerklagend die Feststellung, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien zum 15. Juni 2004 geendet habe und nicht bis zum 15. Juni 2007 fortbestehe.

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstgerichtliche Urteil geändert und die Beklagte lediglich zur Zahlung der restlichen Miete für Juni 2004 in Höhe von 5.416,95 EUR nebst Zinsen verurteilt. Weiterhin hat es auf die Widerklage festgestellt, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien mit Ablauf des 30. Juni 2004 geendet habe und nicht bis zum 14. Juni 2007 fortbestehe. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Das Mietverhältnis zwischen den Parteien habe nicht gemäß § 3 Nr. 1 des Mietvertrages mit Ablauf des 14. Juni 2004 sein Ende gefunden. Vielmehr habe es sich entsprechend § 3 Nr. 3 des Mietvertrages um drei Jahre verlängert, weil es nicht seitens einer Vertragspartei spätestens zwölf Monate vor seiner Beendigung „gekündigt“ worden sei. Zwar sei die genannte Verlängerungsklausel nicht eindeutig. Aus ihr gehe im Gegensatz zur Meinung der Beklagten aber nicht hervor, dass es zu einer automatischen Vertragsverlängerung nur komme, wenn der Mieter wenigstens eines der drei in § 3 Nr. 4 des Mietvertrages eingeräumten Optionsrechte ausgeübt habe. Vielmehr spreche für das Eingreifen der Verlängerungsklausel bereits nach Ablauf der regulären Mietzeit von 12 Jahren, dass unter dem Ablauf der Mietzeit, an den § 3 Nr. 3 des Mietvertrages anknüpfe, vertragssystematisch das reguläre Mietende verstanden würde. Auch habe das Nebeneinander von automatischer Vertragsverlängerung einerseits und Optionsrecht des Mieters andererseits durchaus Sinn. Insbesondere könne der Mieter einer zunächst fristgerechten Kündigungserklärung des Vermieters bis sechs Monate vor Ablauf der Mietzeit durch Ausübung der Option noch die vertragsbeendigende Wirkung nehmen. Mit der Gewährung von Optionsrechten bringe der Vermieter dem Mieter ein wesentlich größeres Vertrauen entgegen als mit der bloßen Vereinbarung einer automatischen Vertragsverlängerung. Nehme man diese schon nach dem Ende der regulären Mietzeit an, so stehe dies nicht in offensichtlichem Widerspruch zu den Mieterinteressen. Im Übrigen habe die Beklagte durch ihr eigenes Verhalten, nämlich dadurch, dass sie mit Schreiben vom 17. November 2003 den Vertrag „gekündigt“ habe, ein deutliches Zeichen dafür gesetzt, dass sie selbst von einer automatischen Vertragsverlängerung ausgehe.

Das Mietverhältnis habe jedoch aus anderen Gründen mit dem 30. Juni 2004 geendet. Der Beklagte habe den Vertrag zu diesem Zeitpunkt mit seinem Schreiben vom 17. November 2003 in gesetzlicher Frist wirksam gekündigt. Die Parteien hätten nämlich, wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen habe, die Zahlungsweise der Miete „mündlich bzw. konkludent“ von quartalsweise auf monatlich umgestellt. Damit sei die nach § 566 BGB a.F. bzw. § 550 BGB erforderliche Schriftform nicht mehr gewahrt gewesen. Auch betreffe diese Vertragsänderung nicht lediglich einen unwesentlichen Punkt. Dies zeige sich daran, dass von der Fälligkeitsregelung der Miete das Recht des Vermieters zur außerordentlichen fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB abhänge. Ob etwa das Vertragsverhältnis schon im zweiten Monat der Nichtzahlung der Miete oder erst im zweiten Quartal vom Vermieter mit sofortiger Wirkung einseitig beendet werden könne, mache – auch für einen potentiellen Grundstückserwerber – einen großen Unterschied. Die vorgenommene Änderung hinsichtlich des Zeitpunkts der Mietzahlungen sei auch weder auf ein Jahr beschränkt gewesen noch habe sie von einem der Vertragspartner einseitig widerrufen werden können. Die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses durch die Beklagte verstoße auch nicht gegen Treu und Glauben, da die Änderung die Beklagte nicht einseitig begünstigt habe.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung in den wesentlichen Punkten stand.

1. Das Oberlandesgericht hätte allerdings feststellen müssen, ob es sich bei der Verlängerungs- und der Optionsklausel in § 3 Nr. 3 und 4 des Mietvertrages um, wie von der Beklagten behauptet, von der Klägerin gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen oder, wie von der Klägerin behauptet, um Individualvereinbarungen handelte. Insbesondere stand der Annahme Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht entgegen, dass die Klauseln von der Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin nur einmal verwendet werden sollten. Denn die Klägerin hat vorgetragen, dass sie die Klauseln aus einem mit der T.-Gruppe abgeschlossenen Mietvertrag, bei dem diese die Vertragsbedingung gestellt habe, übernommen habe. In diesem Fall aber wären die Klauseln im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert. Als Allgemeine Geschäftsbedingungen aber hätten die Klauseln z.T. nach anderen Regeln ausgelegt werden müssen als den vom Berufungsgericht angewandten. Da die Auslegung der Verlängerungsklausel – wovon auch das Berufungsgericht ausgeht – zu keinem eindeutigen Ergebnis führt, wäre § 305 c Abs. 2 BGB anwendbar. Dies hätte zur Folge, dass zu Lasten der Klägerin die Auslegung vorzuziehen wäre, nach der sich das Vertragsverhältnis erst mit Ende einer Optionszeit verlängert hätte (vgl. zur Auslegung entsprechender Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Senatsurteile vom 14. Dezember 2005 – XII ZR 236/03 – ZMR 2006, 266 und – XII ZR 241/03 – NZM 2006, 137).

Für das vorliegende Revisionsverfahren kann jedoch dahinstehen, ob es sich bei den genannten Klauseln um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt oder nicht. Denn Revision hat nur die Klägerin eingelegt, zu deren Lasten sich die mangelnden Feststellungen des Oberlandesgerichts jedoch nicht auswirken. Darüber hinaus ist das Oberlandesgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Kündigung der Beklagten vom 17. November 2003 das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien jedenfalls zum 30. Juni 2004 beendet hat.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist es zur Wahrung der Schriftform des § 550 BGB grundsätzlich erforderlich, dass sich die wesentlichen Vertragsbedingungen – insbesondere Mietgegenstand, Mietzins sowie Dauer und Parteien des Mietverhältnisses – aus der Vertragsurkunde ergeben (Senatsurteile vom 2. November 2005 – XII ZR 212/03 – NJW 2006, 139, 140; vom 18. Dezember 2002 – XII ZR 253/01 – NJW 2003, 1248; BGHZ 142, 158, 161; ebenso Wolf/Eckert/Ball Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts 9. Aufl. Rdn. 95 ff.; Both in Herrlein/Kandelhard Mietrecht 3. Aufl. § 550 Rdn. 14; Palandt/Weidenkaff BGB 66. Aufl. § 550 Rdn. 10). Für Abänderungen gelten dieselben Grundsätze wie für den Ursprungsvertrag. Sie bedürfen deshalb ebenfalls der Schriftform, es sei denn, dass es sich um unwesentliche Änderungen handelt (Blank/Börstinghaus Miete 2. Aufl. § 550 Rdn. 41; Wolf/Eckert/Ball aaO Rdn. 113; Emmerich/Sonnenschein Miete 9. Aufl. § 550 Rdn. 19; a.A. Schmidt-Futterer/Lammel Mietrecht 9. Aufl. § 550 Rdn. 41, nach dessen Meinung es bei einem Mietvertrag keine unwesentlichen Abreden gibt).

Das Berufungsgericht hat eine wesentliche Änderung des Vertrages darin gesehen, dass die Parteien „mündlich oder konkludent“ die Zahlungsweise der Miete von quartalsweise auf monatlich umgestellten hätten.

In diesem Zusammenhang rügt die Revision, dass keine Partei in ihrem Vortrag auch nur angedeutet habe, die Mietvertragsparteien hätten sich auf eine monatliche Zahlungsweise in Abänderung des ursprünglichen Vertrages geeinigt. Zu der abweichenden Handhabung sei es gekommen, weil die Beklagte den Mietzins – ohne jede Absprache mit dem damaligen Vermieter – monatlich überwiesen und der damalige Vermieter dies hingenommen habe. Jedenfalls aber sei eine etwaige rechtlich erhebliche Absprache, wonach der Mietzins monatlich zu zahlen sei, von jeder Mietvertragspartei frei widerrufbar.

Dem ist jedoch nicht zu folgen. Die Klägerin hat unwidersprochen bereits in der Klageschrift und später mit Schriftsatz vom 27. September 2004 vorgetragen, die Parteien hätten die ursprünglich im Mietvertrag vorgesehene Regelung der vierteljährlichen Mietzahlung einvernehmlich auf monatliche Mietzahlungen umgestellt. Von diesem Vortrag ist die Klägerin vor den Instanzgerichten nicht abgerückt. Revisionsrechtlich ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht hinsichtlich der Zahlungsweise der Miete von einer bindenden Vertragsänderung ausgegangen ist. Nach Abschluss der Tatsacheninstanzen ist der Revision das Nachschieben neuen Sachvortrags verwehrt.

Das Berufungsgericht hat bei der ihm obliegenden Beurteilung, ob die vorliegende Änderung der Zahlungsweise wesentlich ist oder nicht, darauf abgestellt, dass sich hierdurch die Kündigungsmöglichkeit wegen Zahlungsverzugs zugunsten der Klägerin änderte. Wie die Revision einräumt, hätte die Klägerin, wenn die Beklagte die Miete nicht mehr bezahlt hätte, das Mietverhältnis infolge der Änderung bereits nach zwei Monaten kündigen können, während dies bei der ursprünglichen vierteljährlichen Zahlungsverpflichtung erst nach fünf Monaten der Fall gewesen wäre (vgl. § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB). Dass das Oberlandesgericht die Änderung der Zahlungsweise deshalb als wesentlich bewertet hat, liegt im Rahmen seines tatrichterlichen Beurteilungsspielraums, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden und entspricht auch der Auffassung des Senats. Da die Vereinbarung nicht schriftlich niedergelegt ist, leidet der Mietvertrag an einem Formmangel, weshalb er gemäß § 550 BGB als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und nach § 580 a Abs. 2 BGB ordentlich gekündigt werden konnte.

Im Gegensatz zur Meinung der Revision verstößt die Beklagte nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn sie sich auf diesen Formmangel beruft. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, handelt treuwidrig, wer eine später getroffene Abrede, die lediglich ihm vorteilhaft ist, allein deshalb, weil sie nicht die schriftliche Form wahrt, zum Anlass nimmt, sich von einem ihm inzwischen lästig gewordenen Mietvertrag zu lösen (vgl. BGHZ 65, 49, 55). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Die Umstellung der Zahlungsweise hat der Beklagten keinen rechtlichen Vorteil gebracht, auch wenn die geänderte Zahlungsweise für die Beklagte „praktischer“ gewesen sein sollte.

Finanzgericht München

Urteil vom:

20.07.2007

Aktenzeichen:

13 K 1877/04

Rechtsgebiet(e):

EStG

Vorschriften:

EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 3

Eingestellt am:

14.12.2007

1. Ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch muss zeitnah und in geschlossener Form geführt werden und die nicht als Entnahme zu erfassende anteilige berufliche Verwendung des betrieblichen Kfz in einer schlüssigen Form belegen.

2. Bloße Ortsangaben im Fahrtenbuch reichen allenfalls dann aus, wenn sich der aufgesuchte Kunde oder Geschäftspartner aus der Ortsangabe zweifelsfrei ergibt, oder wenn sich dessen Name auf einfache Weise unter Zuhilfenahme von Unterlagen ermitteln lässt, die ihrerseits nicht mehr ergänzungsbedürftig sind.

3. Für Ärzte gelten nach dem BMF-Schreiben vom 21. Januar 2002 (BStBl I 2002, 148) nur die berufsspezifisch bedingten Erleichterungen, die auch für andere sog. „Vielfahrer“ gelten.

Finanzgericht München
13 K 1877/04

Einkommensteuer 1997

In der Streitsache

hat das Finanzgericht München, 13. Senat,

[…] als Einzelrichter

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

Streitig ist, ob ein Fahrtenbuch ordnungsgemäß geführt wurde.

I. Die Klägerin ist Ärztin und bezieht aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus selbständiger Arbeit; ihren Gewinn ermittelt sich nach Einnahme-Überschuss-Rechnung. In der Gewinnermittlung für das Jahr 1997 erklärte sie Betriebsausgaben für das betriebliche Kraftfahrzeug (Kfz) […] (Baujahr 1984), in Höhe von 6.229,65 DM. Die private Nutzung ihres betrieblichen Kfz bewerte sie mit 218,00 DM und begründete dies damit, dass sie im Jahr 1997 ein Fahrtenbuch geführt habe, insgesamt 21.475 Kilometer (km) zurückgelegt habe und davon 20.725 km auf ihre betriebsärztliche Tätigkeit (z.B. in […] A-Dorf, B-Dorf, C-Stadt und D-Stadt) entfallen wären; dies entspräche einem Privatanteil von 3,50%.

Der Beklagte – das Finanzamt (FA) – folgte diesen Angaben zur privaten Kfz-Nutzung nicht.

Das FA vertrat die Auffassung, dass das in Kopie vorgelegte Fahrtenbuch nicht ordnungsgemäß geführt worden sei. Das FA erfasste im Einkommensteuerbescheid 1997 vom 6. April 1999 den geldwerten Vorteil der Klägerin aus der Privatnutzung des betrieblichen Kfz nach Maßgabe der sog. 1-vom Hundert – (1-v.H.) – Regelung des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von netto 3.240 DM und legte dabei einen – zwischen den Beteiligten unstreitigen – Brutto-Listenpreis des betrieblichen Kfz von 27.000 DM zugrunde.

Den dagegen gerichteten Einspruch begründete die Klägerin damit, dass sie als Betriebsärztin größere Entfernungen zurückgelegt habe. Sie unterliege der ärztlichen Schweigepflicht und habe deshalb die Namen der aufgesuchten Patienten nicht genannt. Jedoch habe sie den Zweck der Reise mit einer aussagekräftigen Abkürzung angegeben; z.B. „BA“ für betriebsärztliche Untersuchung, „Hb“ für Hausbesuch. Diese Handhabung entspräche dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 9. Mai 1996 (IV B 2 – S 2145 – 169/96; veröffentlicht in: Betriebs-Berater – BB – 1996, 1363), das bei Ärzten neben der Angabe von Reisezweck, Reiseziel, Reiseroute, Datum und km-Stand, die Bezeichnung „Patientenbesuch“ für ausreichend erachte.

Mit Einspruchsentscheidung vom 22. März 2004 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück, da die Vermerke der Klägerin zu den Reisezwecken nicht ausreichend seien und auch die aufgesuchte Person nicht genannt sei. Außerdem sei das Fahrtenbuch auch deshalb nicht ordnungsgemäß, da die km-Stände zu Beginn der betrieblichen Fahrt nicht aufgezeichnet worden seien und das Fahrtenbuch nur Angaben zum km-Stand am Ende des Tages enthalte.

Dagegen richtet sich die Klage. Die Klägerin bedient sich zur Begründung ihrer Klage der bereits im Einspruchsverfahren vorgetragenen Argumente. Ergänzend weist sie darauf hin, dass das Fahrtenbuch mit einem km-Stand von 131.861 km beginne und mit einem km- Stand von 153.336 km ende. Bei einem gesamten Aufwand von 6.229,00 DM entspräche dies mit der Fahrleistung von 21.475 km einem durchschnittlichen km-Aufwand von 0,29 DM; dies zeige, dass die Aufzeichnungen plausibel seien. Hätte die Klägerin für ihre betrieblichen Fahrten von 20.725 km die Pauschale von 0,52 DM/km geltend gemacht, würde sich ein betrieblicher Aufwand von 10.777,00 DM ergeben. Dass die Klägerin betrieblich veranlasste Fahrten über insgesamt 20.725 km zurückgelegt habe, sei von ihren Auftraggebern nicht bezweifelt worden und die Honorare aus diesen Tätigkeiten seien auch alle als Betriebseinnahmen erklärt worden.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 1997 vom 6. April 1999 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. März 2004 den Gewinn aus selbständiger Arbeit um 3.022 DM zu vermindern und die Einkommensteuer entsprechend festzusetzen.

Das Finanzamt beantragt die Klageabweisung.

Das FA verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend weist das FA darauf hin, dass das Kfz Betriebsvermögen sei und deshalb keine Aufwandseinlage mit dem Pauschbetrag von 0,52 DM/km von der Klägerin geltend gemacht werden könne.

Wegen des Inhalts des Fahrtenbuches wird auf das vorgelegte – geheftete 18 DIN A 4 Seiten umfassende – Fahrtenbuch (Heftung am Ende der Einkommensteuer-Akte) verwiesen.

Mit Senatsbeschluss vom 12. Juni 2007 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 Finanzgerichtsordnung – FGO -).

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift verwiesen.

II. Die Klage ist unbegründet.

Das Finanzamt hat zu Recht die vorgelegten Aufzeichnungen nicht als ordnungsgemäße Fahrtenbücher anerkannt und im Streitfall die als Regelfall vorgesehene Bewertung der privaten PKW-Nutzung nach der 1-v.H.-Methode angewendet.

Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG ist die private Nutzung eines Kfz für jeden Kalendermonat mit 1 v.H. des inländischen Listenpreises im Zeitpunkt der Erstzulassung zuzüglich der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich der Umsatzsteuer anzusetzen. Berechnungsgrundlage für den Anteil der privaten Kfz-Nutzung ist der Bruttolistenpreis. Die private Nutzung eines Kfz ist in der Weise zu berücksichtigen, dass der Gewinn, in dem die gesamten Aufwendungen enthalten sind, um den Privatanteil erhöht wird. Davon abweichend kann die private Nutzung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Fahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden.

Der Begriff des ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Aus dem Wortlaut und aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt allerdings, dass die dem Nachweis des zu versteuernden Privatanteils an der Gesamtfahrleistung dienenden Aufzeichnungen eine hinreichende Gewähr für ihre Vollständigkeit und Richtigkeit bieten und mit vertretbarem Aufwand auf ihre materielle Richtigkeit hin überprüfbar sein müssen. Dazu gehört auch, dass das (zeitnah und in geschlossener Form zu führende) Fahrtenbuch die nicht als Entnahme zu erfassende anteilige berufliche Verwendung des betrieblichen Kfz in einer schlüssigen Form belegt. Die Aufzeichnungen müssen daher zu den betrieblichen Reisen Angaben enthalten, anhand derer sich die betriebliche Veranlassung der Fahrten plausibel nachvollziehen und gegebenenfalls auch nachprüfen lässt. Hierfür hat das Fahrtenbuch neben dem Datum und den Fahrtzielen grundsätzlich auch den jeweils aufgesuchten Kunden oder Geschäftspartner bzw. – wenn ein solcher nicht vorhanden ist – den konkreten Gegenstand der betrieblichen Verrichtung (wie etwa den Besuch einer bestimmten behördlichen Einrichtung, einer Filiale oder einer Baustelle) und zu dem bei Abschluss der Fahrt erreichten Gesamtkilometerstand des Fahrzeugs aufzuführen. Mehrere Teilabschnitte einer einheitlichen beruflichen Reise können miteinander zu einer zusammenfassenden Eintragung verbunden werden, wenn die einzelnen aufgesuchten Kunden oder Geschäftspartner im Fahrtenbuch in der zeitlichen Reihenfolge aufgeführt werden. Der Übergang von der betrieblichen Nutzung zur privaten Nutzung des Fahrzeugs ist im Fahrtenbuch durch Angabe des bei Abschluss der beruflichen Fahrt erreichten Gesamtkilometerstands zu dokumentieren. Die erforderlichen Angaben müssen sich dem Fahrtenbuch selbst entnehmen lassen. Ein Verweis auf ergänzende Unterlagen ist nur zulässig, wenn der geschlossene Charakter der Fahrtenbuchaufzeichnungen dadurch nicht beeinträchtigt wird. Bloße Ortsangaben im Fahrtenbuch reichen allenfalls dann aus, wenn sich der aufgesuchte Kunde oder Geschäftspartner aus der Ortsangabe zweifelsfrei ergibt, oder wenn sich dessen Name auf einfache Weise unter Zuhilfenahme von Unterlagen ermitteln lässt, die ihrerseits nicht mehr ergänzungsbedürftig sind (BFH-Urteile vom 16. März 2006 VI R 87/04, BStBl II 2006, 625;vom 9. November 2005 VI R 27/05, BStBl II 2006, 408; BFH-Beschlüsse vom 28. November 2006 VI B 32/06, BFH/NV 2007, 439;vom 3. Januar 2007 XI B 128/06, BFH/NV 2007, 706;vom 17. April 2007 VI B 145/06; BFH/NV 2007, 1314).

Dies zugrunde gelegt, folgt daraus für den Streitfall, dass das FA zutreffend die private Nutzung des betrieblichen Kfz mit dem pauschalen Nutzungswert gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG bewertet hat, denn die Klägerin hat das Fahrtenbuch im Streitjahr nicht ordnungsgemäß geführt. Zum einen besteht das vorgelegte Fahrtenbuch der Klägerin nur aus 18 losen DIN A4 Seiten und ist damit schon nicht in geschlossener Form geführt. Durch die Loseblattform ist nicht gewährleistet, dass nach Erstellen des Fahrtenbuches ein einzelnes Blatt entfernt und durch ein neu geschriebenes Blatt ergänzt wird. Darüber hinaus hat die Klägerin – wie das FA zutreffend beanstandet – den jeweiligen km-Stand zu Beginn der Fahrt nicht aufgezeichnet; die dafür vorgesehene Spalte ist durchgängig ohne Eintragung. Soweit aus den Eintragungen im Fahrtenbuch – nach dem Vortrag der Klägerin – gefolgert werden soll, dass der km-Stand am Ende eines Tages dem km-Stand zu Beginn einer betrieblichen Fahrt entsprechen soll, sind die Aufzeichnungen jedenfalls nicht ausreichend. Denn nach Auffassung des Gerichts sind durch die Aufzeichnungen im Fahrtenbuch nicht alle im Streitjahr unternommenen Fahrten vollständig erfasst. Nach der vorgelegten Aufstellung über die Benzinkosten 1997 hat die Klägerin z.B. am 11. Januar, am 28. Februar, am 8. März, am 4. und 26. Mai, am 1. und 4. September das Kfz betankt. An diesen Tagen finden sich jedoch keine Eintragungen im Fahrtenbuch. Die Klägerin behauptet demgemäß nach ihrem Fahrtenbuch, dass das Kfz an diesen Tagen nicht bewegt wurde. Aus diesen fehlenden Eintragungen im Fahrtenbuch schließt das Gericht deshalb, dass nicht regelmäßig davon ausgegangen werden kann, dass die die Eintragungen des Gesamtkilometerstandes am Ende eines Tages dem Gesamtkilometerstand am Beginn des nächsten Tages entsprechen.

Außerdem ist das Fahrtenbuch auch deshalb nicht ordnungsgemäß geführt, weil die Klägerin in ihrem Fahrtenbuch an den einzelnen Tagen durchgängig nicht danach unterscheidet, mit welchem Gesamtkilometerstand eine private oder eine betriebliche Fahrt begonnen wurde.

Die Eintragungen weisen nur aus, wie viel km die Klägerin an einem Tag gefahren ist und wie viele km nach Schätzung der Klägerin auf die jeweiligen Teile entfallen (Beispiel: am 15.3. km-Stand Ende 134.243; 17.3. privat 4 km; 1*Praxis Betrieb 5 km; am 17.3. km-Stand Ende 134.252). Die Eintragungen bieten bei dieser Führung des Fahrtenbuchs keine Gewähr dafür, dass der Eigenbeleg der Klägerin tatsächlich den betrieblichen Anteil der Fahrten exakt und zutreffend ausweist.

Im Übrigen ist das Fahrtenbuch auch deshalb nicht ordnungsgemäß geführt, weil die einzelnen Anlässe der betrieblichen Fahrten nicht zutreffend aufgezeichnet wurden. Bei keinem der Patientenbesuche ist der Name des Patienten oder dessen Adresse angegeben. Das Gericht ist sich im vorliegenden Zusammenhang sehr wohl bewusst, dass die Klägerin aufgrund ihrer beruflichen Stellung als Ärztin Verschwiegenheitspflichten unterliegt. Das Gericht ist aber auch der Auffassung, dass die dem einzelnen Patienten gegenüber zu wahrende Verschwiegenheitspflicht nicht dazu zwingt, die Maßstäbe bei der Führung eines Fahrtenbuches in Bezug auf die Personengruppe der Ärzte herabzusetzen. Denn allein durch die Angabe des Namens und der Anschrift werden noch keine schützenswerten Interessen des Patienten berührt.

Die Aufzeichnungen können nach Auffassung des Gerichts auch dann nicht für ordnungsgemäß erachtet werden, wenn man – wie die Klägerin meint – auf die Angabe des Namens des Patienten verzichten soll. Soweit sich die Klägerin hierzu auf die im BMF-Schreiben vom 9. Mai 1996 mitgeteilten Grundsätze beruft (Grundsätze für Fahrtenbücher von Angehörigen der freien Berufe, die Verschwiegenheitspflichten unterliegen), hat ihre Argumentation keinen Erfolg. In diesem Schreiben führt das BMF aus, dass auch für Ärzte nur die berufsspezifisch bedingten Erleichterungen gelten, die auch für andere sog. „Vielfahrer“ gelten (nun BMF- Schreiben vom 21. Januar 2002 – IV A 6 – S 2177 – 1/02, BStBl I 2002, 148, ESt-Handbuch 2006, Anhang 16 III, Tz. 19) und lässt neben der Angabe Patientenbesuch, das Datum und dem km-Stand den Ort, an dem diese Tätigkeit durchgeführt wurde, genügen. Diesen Grundsätzen genügt aber das Fahrtenbuch der Klägerin nicht. Die Klägerin hat Patientenbesuch nur mit dem Kürzel „Hb“ gekennzeichnet, ohne den Ort des Patientenbesuchs anzugeben (Beispiele: 7.1. 1*Hb 4 km, 15.1. 1*Hb 4 km; 17.1. 1*Hb 4 km; 30.1. 1*Hb 4 km; 6.2., 2*Hb 6 km; 13.2. 1* Hb 3 km; 13.3. 2*Hb 8 km; 27.3. 1*Hb 3 km). Soweit die Klägerin mit ihren Aufzeichnungen zum Ausdruck bringen will, dass alle durchgeführten Patientenbesuche am Ort ihrer Praxis durchgeführt wurden, sind die Aufzeichnungen unzureichend, weil zumindest die Angabe der Straße erforderlich ist, um die Aufzeichnungen aussagekräftig werden zu lassen, denn ohne die Straßenangaben erscheinen die unterschiedlichen Entfernungsangaben der Klägerin willkürlich. Andere Möglichkeiten um den betrieblichen Zweck der Fahrt bei Hausbesuchen durch Rückgriff auf außerhalb des Fahrtenbuches liegende Unterlagen weiter zu dokumentieren, z.B. durch Angaben einer Patientennummer, hat die Klägerin ebenfalls nicht genutzt. Diese Mängel der Eintragungen im Fahrtenbuch bei den Hausbesuchen sind bereits so gravierend, dass der Hinweis der Klägerin, die betriebsärztlichen Fahrten könnten durch die Angaben aus den Honorarrechnungen vollständig konkretisiert werden, nicht mehr die Ordnungsmäßigkeit des Fahrtenbuchs zu begründen vermag.

Außerdem weist das FA zu Recht darauf hin, dass das Fahrtenbuch auch deshalb nicht ordnungsgemäß ist, weil die Klägerin nicht an allen Tagen den bei Abschluss der Fahrt erreichten Gesamtkilometerstand des Fahrzeugs aufgeführt hat (z.B. fehlen diese Angaben am 2.1., 3.1., 15.2. und 26.3.).

Angesichts dieser Mängel des Fahrtenbuches im Streitjahr ist es für das Gericht nicht mehr entscheidend, dass die Klägerin auch wiederholt die Gesamtkilometerstände am Ende des Tages korrigiert hat. Das Gericht hält es zwar für plausibel, dass der Vortrag der Klägerin für manche Tage zutreffend ist, dass das Display im Kfz für den Gesamtkilometerstand schlecht ablesbar war und ihr deshalb Fehler beim Aufschreiben unterlaufen sind, die erst bei besserem Licht bemerkt wurden. Dieser Vortrag der Klägerin erscheint dem Gericht aber nicht glaubhaft, für die Eintragungen, an denen an mehreren Tagen hintereinander die km-Stände korrigiert wurden (z.B. 11.6. und 12.6.; 14.7., 15.7. und 16.7.; 19.8., 20.8., 21.8., 22.8. und 27.8.; 7.11. und 10.11.; 12.11., 13.11., 14.11., 17.11., 18.11., 20.11., 21.11., 24.11. und 25.11.). Diese Korrekturen lassen vielmehr nach der Überzeugung des Gerichts den Schluss zu, dass die Gesamtkilometerstände am Ende des Tages nicht täglich zeitnah aufgezeichnet wurden, sondern durch Addition der Tagesfahrleistung mit dem km-Stand des Vortrages errechnet wurden.

Im Übrigen vermag auch der Hinweis der Klägerin, dass ihre Aufzeichnungen zu den beruflich zurückgelegten Strecken im Fahrtenbuch plausibel erscheinen, weder Raum für eine freie Schätzung des Anteils der Privatnutzung an der Gesamtfahrleistung noch für eine Schätzung, die sich an den Angaben des Steuerpflichtigen in einem Fahrtenbuch orientiert zu bieten, wenn sich das Fahrtenbuch im Besteuerungs- oder im Klageverfahren als nicht ordnungsgemäß herausgestellt hat (BFH-Urteil vom 16. November 2005 VI R 64/04, BStBl II 2006, 410). Zu Recht weist das FA im Übrigen auch darauf hin, dass ein Ansatz von pauschalen km-Sätzen nur bei Kfz im Privatvermögen in Betracht kommt.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Oberlandesgericht Karlsruhe

Beschluss vom:

26.03.2007

Aktenzeichen:

15 W 7/07

Rechtsgebiet(e):

ZPO

Vorschriften:

ZPO § 91

Eingestellt am:

13.12.2007

1. Vor Prozessbeginn erstattete Gutachten sind ausnahmsweise erstattungsfähig, soweit die angefallenen Kosten mit einem konkreten, bevorstehenden Rechtsstreit in einer unmittelbaren Beziehung stehen, also prozessbezogen waren. Das eingeholte Privatgutachten muss damit den Streitgegenstand des Bauprozesses betreffen.

2. Die Kosten eines während des Rechtsstreits eingeholten, prozessbegleitenden Gutachtens können ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit erstattungsfähig sein, so wenn dadurch die fachunkundige Partei erst in die Lage versetzt wird, die bei der Gegenseite bestehende Sachkenntnis ausgleichen zu können.

Geschäftsnummer: 15 W 7/07
26. März 2007

Oberlandesgericht Karlsruhe
15. Zivilsenat

Beschluss

In dem Rechtsstreit XXx

wegen Forderung

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Heidelberg vom 23. August 2006 – 9 O 386/04 – wie folgt abgeändert: Die Klägerin hat an die Beklagten 9.028,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. März 2006 zu erstatten. Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 15. März 2006 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.226,49 € festgesetzt.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten um die Erstattungsfähigkeit der Kosten von Privatgutachten.

Die Beklagten beauftragten die Firma W..Wohnbau, ein Bauträgerunternehmen, mit der Erstellung eines Reihenhauses in L.-R.. Mit Schreiben vom 05. März 2004 beantragte die Klägerin die Abnahme und bestimmte als Abnahmetermin den 19. März 2004 (K4). Mit Schreiben vom 29. März 2004 begehrte die Klägerin unter Hinweis auf die im Bauvertrag geregelte Abnahmefiktion die restliche Gesamtforderung in Höhe von 16.166,84 € bis zum 10. April 2004 (K10). Bei fruchtlosem Fristablauf drohte die Klägerin, ohne jede weitere Ankündigung Klage zu erheben. Am 05. August 2004 beantragte die Klägerin den Erlass eines Mahnbescheids über 19.952,64 € gemäß Schlussrechnung vom 27. April 2004. Der Mahnbescheid wurde antragsgemäß am 09. August 2004 erlassen. Nach Widerspruch erhob die Klägerin unter dem 25. Oktober 2004 Klage.

Die Beklagten bestritten die Abnahmefähigkeit des Bauwerks und beauftragten am 14. Februar 2004 den Architekten und Bausachverständigen Sch. mit der Erstellung eines Gutachtens über eventuell vorhandene Mängel vor der Bauabnahme (B15). Zuvor war es bei der bisherigen Bauausführung zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Klägerin und den Beklagten gekommen. Der Sachverständige Sch. erstattete das Gutachten unter dem 16. März 2004. Dabei stellte er insgesamt 44 Mängelpositionen fest. Nach dem Schreiben der Klägerin vom 10. April 2004, in dem die Klägerin die Mangelfreiheit der von ihr erbrachten Leistungen behauptete, beauftragten die Beklagten den Sachverständigen Sch. mit einem Nachtragsgutachten über die noch vorhandenen Baumängel mit Stand vom 14. April 2004 (B16). Dieses erste Nachtragsgutachten wurde unter dem 20. April 2004 erstellt. Der Sachverständige kam in diesem Gutachten zu dem Ergebnis, dass kein einziger der im Gutachten vom 16. März 2004 aufgeführten Mängel beseitigt worden und darüber hinaus weitere Mängel aufgetreten seien. Nach dem Schreiben der Klägerin vom 15. Juni 2004, in dem sie sich zum Gutachten des Sachverständigen Sch. äußerte (K28), wurde dieser unter dem 23. Juni 2004 mit einem weiteren Nachtragsgutachten beauftragt, welches er am 29. Juli 2004 erstellte (B17). Der Ingenieur St. erstellte unter dem 10. Mai 2004 eine gutachterliche Stellungnahme über die Statik des Reihenhauses (B18).

Die Beklagten beantragten in der Klageerwiderung vom 17. November 2004 unter Berufung auf die mangelnde Abnahmefähigkeit des Bauwerks die Abweisung der Klage und beriefen sich unter Vorlage der verschiedenen von ihnen eingeholten Gutachten auf insgesamt 44 Mängel. Die Klägerin erwiderte mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2004, in dem sie unter Vorlage von verschiedenen Berechnungen, Bemessungen, Plänen und Herstellerrichtlinien eingehend zu den von den Beklagten geltend gemachten Mängelpositionen Stellung nahm. Im Schriftsatz vom 20. Januar 2005 nahmen die Beklagten dazu ausführlich Stellung. Das Landgericht hat im Beweisbeschluss vom 04. Februar 2005 angeordnet, dass über die Behauptung der Klägerin, die im Schriftsatz der Beklagten vom 17. November 2004 behaupteten Mängel am Bauvorhaben lägen nicht vor, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben werden solle (As. 73). Der Sachverständige wurde gebeten, das Vorhandensein der Mängel bei einem Ortstermin zu überprüfen und die Berechtigung der Mängelrügen unter Auswertung des Parteivortrags (Schriftsatz der Klägerin vom 15. Dezember 2004, Schriftsätze der Beklagten vom 17. November 2004 und 20. Januar 2005) und der von den Parteien vorgelegten Unterlagen (Anlagebände Klägerin und Beklagte) zu untersuchen. Unter dem 07. November 2005 erstattete der vom Gericht bestellte Sachverständige So. das Gutachten, in dem er die Kosten für die Beseitigung der von ihm festgestellten Mängel auf 9.200,- € und die Kosten der Minderung auf insgesamt 1.500,- € festsetzte. Nach der Durchführung von außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Januar 2006 die Klage zurück. Im Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 02. März 2006 wurde festgesetzt, dass die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat (§ 269 Abs. 3 ZPO).

Im Kostenfestsetzungsantrag vom 15. März 2006 machten die Beklagten die Kosten für die von ihnen in Auftrag gegebenen Privatgutachten in Höhe von insgesamt 7.226,49 € geltend (As. 131). Dabei legten sie die Rechnungen des Sachverständigen Sch. vom 17. März 2004 über 2.776,90 € (As. 133), vom 20. April 2004 über 1.173,77 € (As. 134), vom 29. Juli 2004 über 1.637,51 € (As. 137) und vom 24. Januar 2005 über 866,91 € (As. 138) sowie die Rechnungen der Dipl.-Ing. W. vom 06. Mai 2004 über 319,- € (As. 135) und von Dipl.-Ing. St. vom 11. Mai 2004 über 452,40 € (As. 136) vor. Der Sachverständige Sch. hatte die Beklagten bei der Erstellung des Schriftsatzes vom 20. Januar 2005 beraten. Die Kosten der Beklagten wurden im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 23. August 2006 antragsgemäß über 9.347,90 € festgesetzt (As. 150). Dabei wurden die Kosten für die Privatgutachten über insgesamt 7.226,49 € als notwendige Kosten der Rechtsverteidigung angesehen. Die Kenntnis der sachverständigen Architekten und Ingenieure sei erforderlich gewesen, um sachgerecht die geltend gemachte Forderung der Klägerin abzuwehren. Die mit Hilfe dieser Sachverständigen aufgezeigten Mängel seien auch Gegenstand des gerichtlichen Beweisbeschlusses gewesen. Für ein selbständiges Beweisverfahren sei aus zeitlichen Gründen kein Raum mehr gewesen. Der Mahnbescheid sei unmittelbar nach Scheitern der außergerichtlichen Vergleichsverhandlungen beantragt worden. Im Übrigen sei ein selbständiges Beweisverfahren keine Voraussetzung für die Festsetzung vorgerichtlicher Parteikosten.

Gegen den am 29. August 2006 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss legte die Klägerin an dem selben Tag Beschwerde ein, die beim Landgericht am 31. August 2006 einging. Die Klägerin ist der Ansicht, dass anstatt eines Privatgutachtens ein selbständiges Beweisverfahren hätte durchgeführt werden können. Außerdem habe sie der Verwertung des Parteigutachtens widersprochen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts seien die Gutachten im Prozess auch nicht verwertet worden. Es wäre ausreichend gewesen, wenn die Beklagten entsprechend der Symptomrechtsprechung die von ihnen erkannten Mängel dargestellt hätten. Die Mitwirkung eines Privatgutachters wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn die Beklagten die Symptome der Mängel nicht hätten selbst beschreiben können. Keinesfalls habe die Notwendigkeit bestanden, einzelne technische Fragen zu untersuchen. Es habe auch keine Eilbedürftigkeit bestanden, ein Privatgutachten einzuholen. Darüber hinaus sei der Höhe der Kosten der Privatgutachten zu entnehmen, dass der Privatgutachter nicht damit befasst gewesen sei, die außergerichtlich bereits geltend gemachten Mängel in technischer Hinsicht zu überprüfen. Vielmehr hab er sich auf Mängelsuche begeben und dabei die 44 streitgegenständlichen Positionen ermittelt. Welcher Zeitaufwand für diese strittigen Positionen entstanden sei, sei aus der Abrechnung nicht ersichtlich. Es werde bestritten, dass sämtliche Kosten des Privatgutachtens ausschließlich im Rahmen der Feststellung der aufgeführten 44 Mängel entstanden seien. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 17. Januar 2007 nicht abgeholfen (As. 166).

II.

Die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 ZPO). Sie hat in der Sache jedoch weitgehend keinen Erfolg. Zutreffend hat das Landgericht die Kosten der Privatgutachten gemäß den Rechnungen vom 17. März, 20. April, 11. Mai, 29. Juli 2004 und 24. Januar 2005 festgesetzt.

1. § 91 Abs. 1 ZPO sieht eine Erstattungspflicht nur für die dem Gegner erwachsenen Kosten des Rechtsstreits vor. Damit soll verhindert werden, dass eine Partei ihre allgemeinen Unkosten oder prozessfremde Kosten auf den Gegner abzuwälzen versucht und so den Prozess verteuert (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 – VI ZB 56/02, zitiert nach Juris Rn. 9 = MDR 2003, 413; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 – VI ZB 7/05, zitiert nach Juris Rn. 6 = NJW 2006, 2415). Darüber hinaus muss der Auftrag an den Privatsachverständigen im konkreten Fall auch notwendig zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung sein (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 a.a.O. Rn. 12; Beschluss vom 23. Mai 2006 a.a.O. Rn. 9; Werner/ Pastor, Bauprozess, 11. Auflage, Rn. 166). Vor Prozessbeginn erstattete Gutachten sind ausnahmsweise erstattungsfähig, soweit die angefallenen Kosten mit einem konkreten, bevorstehenden Rechtsstreit in einer unmittelbaren Beziehung stehen, also prozessbezogen waren. Das eingeholte Privatgutachten muss damit den Streitgegenstand des Bauprozesses betreffen (BGH a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04. Juli 2003 – 21 W 33/03, zitiert nach Juris Rn. 10; Werner/Pastor a.a.O. Rn. 167). Dabei ist auf den tatsächlichen Verfahrensverlauf abzustellen (Werner/ Pastor a.a.O.). Die Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung bestimmt sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei diese die Kosten auslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 a.a.O. Rn. 13; Beschluss vom 23. Mai 2006 a.a.O. Rn. 10; Werner-Pastor a.a.O.). Dabei darf die Partei die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt eine Erstattung der Kosten eines Privatgutachtens dann in Betracht, wenn die Partei in Folge fehlender Sachkenntnisse nicht zu einem sachgerechten Vortrag in der Lage ist (BGH a.a.O.; Werner-Pastor a.a.O.). Die Kosten eines während des Rechtsstreits eingeholten, prozessbegleitenden Gutachtens können ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit erstattungsfähig sein, so wenn dadurch die fachunkundige Partei erst in die Lage versetzt wird, die bei der Gegenseite bestehende Sachkenntnis ausgleichen zu können (Zöller/Herget, ZPO, 26. Auflage, § 91 Rn. 13 „Privatgutachten“; Werner/Pastor a.a.O. Rn. 174, 177).

2. Auf dieser Grundlage waren die von den Beklagten geltend gemachten Kosten der von ihnen beauftragen Privatgutachter mit Ausnahme der Kosten in Höhe von 319,00 € für den Architekten W. gemäß Rechnung vom 6. Mai 2004 erstattungsfähig.

a) Die Nachtragsgutachten des Sachverständigen Sch. vom 20. April und 29. Juli 2004 sowie das Gutachten des Sachverständigen St. vom 10. Mai 2004 sind schon deswegen prozessbezogen, weil zum Zeitpunkt der Beauftragung die Klägerin bereits Klage angedroht hatte (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 a.a.O. Rn. 11; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 a.a.O. Rn. 8; vgl. auch Senat, Beschluss vom 19. März 2007 – 15 W 90/06). Im Hinblick auf die konkrete Klageandrohung konnte die Beauftragung der Privatsachverständigen und der hiermit verbundene Kostenaufwand nicht den allgemeinen Betriebskosten zugerechnet werden. Vielmehr sollten diese Privatgutachten nicht nur einer etwaigen außergerichtlichen Schadensfeststellung dienen, sondern auch die Position der Beklagten in dem ihnen angedrohten Rechtsstreit stützen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 a.a.O.). Dies genügt zur Bejahung unmittelbarer Prozessbezogenheit. Eine ausschließliche Ausrichtung des Gutachtenauftrags auf den konkreten Prozess ist nicht erforderlich (vgl. BGH a.a.O.). Das gleiche gilt aber auch für das erste Gutachten des Sachverständigen Sch. vom 16. März 2004. Zwar erfolgte die Beauftragung und Erstellung dieses Gutachtens vor dem Schreiben der Klägerin vom 29. März 2004, in dem die Klageandrohung enthalten war. Bereits zuvor bestanden jedoch zwischen den Parteien Meinungsverschiedenheiten über von den Beklagten geäußerte Beanstandungen. Diese hinderten die Klägerin jedoch nicht daran, mit Schreiben vom 05. März 2004 die Abnahme zu beantragen und gleichzeitig einen Termin zur Abnahme zu bestimmen. Darüber hinaus steht das erste Gutachten in einem untrennbaren Gesamtzusammenhang mit den weiteren Gutachten. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass in diesen jeweils Bezug genommen wird auf dieses Erstgutachten vom 16. März 2004. Zudem betrifft dieses Privatgutachten vollumfänglich den Streitgegenstand des Bauprozesses. Im Beweisbeschluss des Landgerichts vom 04. Februar 2005 sollte genau über die 44 Mängelpositionen Beweis erhoben werden, die in diesem ersten Privatgutachten aufgelistet sind. Dabei sollte auch dieses von den Beklagten vorgelegte Gutachten von dem gerichtlich bestellten Sachverständigen ausgewertet werden. Der Prozessbezogenheit dieses ersten Gutachtens steht auch nicht entgegen, dass zwischen der Erstattung des Gutachtens am 16. März 2004 und dem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids am 05. August 2004 fast fünf Monate lagen. Prozessbezogenheit kann auch vorliegen, wenn die Partei nach Erstellung des Gutachtens noch einen gewissen Zeitraum zuwartet, etwa um die Prozessaussichten abschließend zu prüfen oder noch einen letzten gütlichen Einigungsversuch zu unternehmen (OLG Karlsruhe a.a.O. Rn. 12; vgl. auch BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2002 a.a.O. Rn. 8). Im vorliegenden Fall kam es zu einem länger andauernden außergerichtlichen Versuch zur Lösung der Problematik mit einem gemeinsamen Ortstermin und dem Austausch von Stellungnahmen (B6, B7).

b) Der Auftrag an die Privatsachverständigen war im konkreten Fall auch zur Beeinflussung des Rechtsstreits erforderlich und geeignet. Ein moderner Bauprozess ist mit seinen vielfältigen technischen Problemen ohne Privatgutachter in den meisten Fällen nicht mehr zu bewerkstelligen. Das gilt vornehmlich für die Streitfälle, in denen eine fachunkundige Prozesspartei einen Prozess führen muss, der Gegner aber sachverständig oder zumindest fachkundig ist (Werner/Pastor a.a.O. Rn. 168). Im vorliegenden Fall steht den Beklagten, insoweit Laien, ein Bauträgerunternehmen als Klägerin gegenüber. Im Streit stand die Abnahmefähigkeit des Bauwerks. Die Beklagten waren gehalten, die Abnahmefähigkeit substantiiert zu bestreiten. Hier waren zahlreiche Baumängel betroffen, deren Umfang und Auswirkung von den Beklagten als Laien nicht eindeutig oder nur unzulänglich abgeschätzt werden konnte (vgl. Werner/Pastor a.a.O. Rn. 169). Deswegen muss es den Beklagten unbenommen bleiben, sich technischen Sachverstands zu bedienen. So ist es den Beklagten insbesondere nicht zuzumuten, aus eigener Kenntnis zu den in den Gutachten enthaltenen Fragen zur Wärmedämmung, Luftdichtheit oder Standsicherheit vorzutragen. Die Erforderlichkeit der Einholung der Gutachten bezog sich nicht nur auf das Ausgangsgutachten des Sachverständigen Sch. vom 16. März 2004, sondern auch auf die nachfolgenden Gutachten. Die Nachtragsgutachten vom 20. April und 29. Juli 2004 waren jeweils Reaktionen auf Schreiben der Klägerin vom 29. März und 15. Juni 2004, in denen die Klägerin behauptet hatte, Mängel seien nicht mehr vorhanden. Das gleiche gilt hinsichtlich des Gutachtens des Sachverständigen St. vom 10. Mai, der auf Veranlassung der Beklagten und des Sachverständigen Sch. die statische Berechnung, insbesondere die Standsicherheit der Giebelwände, überprüfen sollte.

Die Erforderlichkeit der Gutachten für den vorliegenden Rechtsstreit scheitert auch nicht daran, dass anstelle der Erstattung der Privatgutachten ein selbständiges Beweisverfahren möglicherweise in Betracht gekommen wäre. Bereits im Hinblick auf die im Schreiben der Klägerin vom 29. März 2004 enthaltene Klagedrohung wäre die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens mit Unsicherheiten behaftet gewesen. Abgesehen davon ist der Unterschied zwischen diesen beiden Maßnahmen beweismäßig nicht so erheblich, dass eine Partei verpflichtet sein kann, anstelle von Privatgutachten ein selbständiges Beweisverfahren in Gang zu setzen (vgl. Werner/Pastor a.a.O. Rn. 162). In jedem Fall ist das Gericht der Hauptsache gehalten, sich mit dem Ergebnis der Privatgutachten sorgfältig auseinanderzusetzen.

Die Klägerin kann auch nicht einwenden, die Beklagten hätten sich auf die Darstellung der von ihnen erkannten Mängel beschränken können, indem sie deren Symptome beschrieben hätten. Gerade schwerwiegende Mängel wie Wärmedämmung, Luftdichtheit und Standsicherheit sind nicht ohne Weiteres sichtbar. Die Beklagten müssen aber in der Lage sein, die Mängelrüge auch auf nicht von vornherein erkennbare Mängel zu stützen. Diese können unter Umständen viel schwerwiegender sein als sichtbare Mängel.

c) Die durch die Privatgutachten entstandenen Kosten bewegen sich in einem der Aufgabenstellung angemessenen Rahmen. Dies wird durch den Einwand der Klägerin, nur die Kosten seien erstattungsfähig, die im Zusammenhang mit der Feststellung der bereits außergerichtlich beanstandeten Positionen stehen, nicht entkräftet. Es ist den Beklagten nicht zuzumuten, die Mängelrüge nur auf die von ihnen selbst erkannten Mängel zu beschränken. Vielmehr geben bereits für einen Laien erkennbare Mängel bei einem Bauwerk Anlass, dieses vor der Abnahme auf dessen Abnahmefähigkeit untersuchen zu lassen. Die Gutachten gehen auch nicht über diesen eigentlichen Auftragsinhalt hinaus. Insbesondere lässt sich dem Ausgangsgutachten vom 16. März 2004 entnehmen, dass der Sachverständige Sch. beauftragt wurde, ein Gutachten über eventuell vorhandene Mängel vor der eigentlichen Bauabnahme zu erstatten, weil es bei der bisherigen Bauausführung zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Beklagten und der Klägerin gekommen sei, ob die Beanstandungen berechtigt oder unberechtigt seien. Die Klägerin hat ansonsten gegen die Höhe der geltend gemachten Kosten keine Einwendungen erhoben.

d) Schließlich sind auch die Kosten des Gutachtens des Sachverständigen Sch., die mit der Rechnung vom 24. Januar 2005 geltend gemacht wurden, erstattungsfähig. Anders als bei den vorhergehenden Gutachten wurde dieses während des Prozesses erstellt. Die Kosten dieses prozessbegleitenden Gutachtens sind unter dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit ausnahmsweise erstattungsfähig. Die Klägerin hatte erstmals mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2004 im Prozess ausführlich zu den Mängelrügen der Beklagten unter Vorlage von verschiedensten Berechnungen, Herstellerangaben, Richtlinien, Bemessungen und Bilddokumentationen Stellung genommen und sämtliche Mängelrügen der Beklagten bestritten. Unter diesen Umständen waren die Beklagten gehalten, ihrerseits substantiiert dazu Ausführungen vorzunehmen.

e) Nicht erstattungsfähig sind allerdings die Kosten des Architekten W. in Höhe von 319,00 € gemäß Rechnung vom 6. Mai 2004. Es ist auch nicht aus dem Schriftsatz vom 9. März 2007 ersichtlich, inwieweit seine Einschaltung neben dem Architekten Sch. im Hinblick auf die Feststellung von Mängeln erforderlich war.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO.

Der Beschwerdewert ergibt sich aus den von der Klägerin beanstandeten Kosten der Privatgutachten.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Oberlandesgericht Celle

Beschluss vom:

06.12.2006

Aktenzeichen:

23 W 41/06

Rechtsgebiet(e):

ZPO

Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1 S. 1

Eingestellt am:

13.12.2007

Zur Frage der Prozessbezogenheit eines Privatgutachtens als Voraussetzung für die Erstattungsfähigkeit als außergerichtliche Kosten gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

23 W 41/06

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ####### – Rechtspfleger – vom 18. September 2006 durch Richter am Oberlandesgericht ####### als Einzelrichter am 6. Dezember 2006 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird dahin geändert, dass die aufgrund des Urteils des Landgerichts ####### vom 10. November 2005 von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.529,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 8. Dezember 2005 festgesetzt werden.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger nach einem Wert von 541,24 EUR zu tragen. im Übrigen ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei.

Gründe:

I.

Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss hat das Landgericht – Rechtspfleger – die Kostenausgleichung erster Instanz nach dem Urteil des Landgerichts ####### vom 10. November 2005 vorgenommen und die von der Beklagten dem Kläger zu erstattenden Kosten auf 2.070,62 EUR nebst Zinsen festgesetzt. Dabei hat das Landgericht – Rechtspfleger – u.a. die Kosten eines vorprozessual – noch vor Durchführung des vom Kläger angestrengten Beweisverfahrens – eingeholten Sachverständigengutachtens des Dipl.-Ing. A. in Höhe von 541,28 EUR (= 1.058,66 DM) als vollständig von der Beklagten zu erstatten anerkannt.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie geltend macht, es handele sich bei den Sachverständigenkosten nicht um notwendige Rechtsverfolgungskosten. Sie ist der Ansicht, neben der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens habe es eines zusätzlichen Privatgutachtens nicht bedurft. Dieses sei im Übrigen auch nicht Grundlage des Klageverfahrens geworden und auch deshalb seien seine Kosten nicht erstattungsfähig.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg und führt zur aus dem Tenor ersichtlichen Änderung des angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlusses. Denn bei den Kosten für das Sachverständigengutachten des A. in Höhe von 541,28 EUR handelt es sich nicht um zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Nach der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 153, 235 ff.) und der ständigen Rechtsprechung dieses (vormalig 2.) Zivilsenates (etwa Senatsbeschlüsse vom 30.10.2006, 2 W 237/06, vom 18.08.2006, 2 W 185/06, und vom 26.05.2006, 2 W 95/06) gehören die Kosten vorprozessual erstatteter Privatgutachten nur ausnahmsweise zu den Kosten des Rechtsstreits, was mindestens voraussetzt, dass das Gutachten sich auf den konkreten Prozess bezieht und gerade im Hinblick auf diesen in Auftrag gegeben worden ist. An dieser erforderlichen Prozessbezogenheit fehlt es vorliegend.

Zunächst ist das fragliche Gutachten des Sachverständigen A. bereits im Februar 2001 gefertigt und abgerechnet worden, also mehr als vier Monate bevor auch nur das selbständige Beweisverfahren beantragt worden ist. Schon deshalb vermag der Senat nicht zu erkennen, dass das Gutachten gerade im Hinblick auf das Beweisverfahren oder gar den Hauptsacheprozess in Auftrag gegeben worden sein sollte (vgl. zum Zeitaspekt auch Senatsbeschluss vom 30.10.2006 a.a.O.).

Entscheidend gegen die Prozessbezogenheit des Gutachtens A. spricht aber auch der Vortrag des Klägers im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2006. Denn danach ist das Gutachten zur Mängelfeststellung und zur Vorbereitung einer außergerichtlichen Einigung der Parteien eingeholt worden, also eben gerade nicht im Hinblick auf den konkreten Rechtsstreit, der vielmehr mit der Einholung des Gutachtens gerade vermieden werden sollte. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass später der im Beweisverfahren gerichtlich beigezogene Sachverständige aus dem Privatgutachten des A. zitiert hat (vgl. in diesem Zusammenhang für den Fall eines vom Haftpflichtversicherer vorprozessual eingeholten Privatgutachtens OLG Karlsruhe JurBüro 2005, 656).

Diese Bewertung gilt vorliegend umso mehr, als hier nach Einholung des Privatgutachtens nicht sofort das Hauptsacheverfahren, sondern zunächst ein selbständiges Beweisverfahren betrieben worden und damit die Einholung eines weiteren Gutachtens initiiert worden ist. Denn auch im Kostenerstattungsrecht sind der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und die Pflicht zur Schadensminderung (§ 254 Abs. 2 BGB) zu beachten, die eine restriktive Handhabung in der Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten außergerichtlicher Privatgutachten gebieten (s. Senatsbeschluss vom 02.05.2006, 2 W 65/06).

III.

Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, hinsichtlich der Gerichtsgebührenfreiheit aus Nr. 1811 KV (Anl. 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).

Hessisches Landesarbeitsgericht

Urteil vom:

12.09.2007

Aktenzeichen:

18 Sa 231/07

Rechtsgebiet(e):

TzBfG

Vorschriften:

TzBfG § 9

Eingestellt am:

14.12.2007

Von dem Grundsatz, dass nach § 9 TzBfG nur eine Erhöhung der Arbeitszeit in dem vertraglich vereinbarten Arbeitsbereich verlangt werden kann, ist zumindest abzuweichen, wenn der Verlängerungswunsch einer Arbeitskraft betroffen ist, welche durch die Erhöhung der Arbeitszeit einen nach Qualifikation und Anforderungen generell festlegbaren Arbeitsplatz wieder einnehmen will, den sie vor der Reduzierung der Arbeitszeit bereits ausfüllte.

War mit einer vor dem Verlängerungswunsch erfolgten Verringerung der Arbeitszeit ein Kompetenzverlust verbunden und ist insbesondere der Arbeitsvertrag anlässlich der Reduzierung der geschuldeten Arbeitszeit auch inhaltlich geändert worden, ist ein Arbeitsplatz im Sinne des § 9 TzBfG auch dann „entsprechend“, wenn durch die erstrebte Verlängerung der Arbeitszeit nur die Änderungen wieder rückgängig gemacht werden, die nach dem Willen beider Vertragspartner oder nach Vorgabe des Arbeitgebers zur Realisierung des Teilzeitwunsches erforderlich waren.

18 Sa 231/07

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 20. Dezember 2006 – 5 Ca 367/06 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und klarstellend wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 8.141,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

aus 5.489,34 EUR seit dem 1. September 2006,

aus 402,85 EUR seit dem 2. Oktober 2006,

aus 1.115,97 EUR seit dem 1. November 2006 und

aus 1.133,29 EUR seit dem 1. Dezember 2006

zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat die Klägerin 46 % zu tragen, der Beklagte 54 %. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz hat die Klägerin 10 % zu tragen, der Beklagte 90 %.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines von ihr geltend gemachten Anspruchs auf Verlängerung der Arbeitszeit nach § 9 TzBfG in Anspruch.

Der Beklagte betreibt bundesweit Drogeriemärkte. Von den Arbeitnehmern der den Bezirken A I und II zugeordneten 40 Verkaufsstellen ist ein Betriebsrat gewählt worden, deren Mitglied die Klägerin ist.

Die 1964 geborene Klägerin ist seit 1986 Arbeitnehmerin des Beklagten. Bereits nach 3-monatiger Tätigkeit wurde sie Ende 1986 als Verkaufsstellenverwalterin (folgend: VVW) eingesetzt. Nach Inanspruchnahme von Elternzeit und einer Phase, in welcher die Klägerin erstmals in Teilzeit arbeitete, leitete sie ab 26. November 2001 die Verkaufsstelle in B. Dort hatte die Klägerin eine Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden und wurde entsprechend der arbeitsvertraglichen Vereinbarung nach der Gehaltsgruppe B III des Gehaltstarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel des Landes C vergütet (vgl. Kopie des damaligen Arbeitsvertrages als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 29 d.A.).

Wegen eines Pflegefalls in der Familie beantragte die Klägerin im Herbst 2004 die Reduzierung der Arbeitszeit nach § 8 Abs. 1 TzBfG auf 20 Wochenstunden. Anlässlich der Verringerung der Arbeitszeit schloss sie mit dem Beklagten den Arbeitsvertrag vom 10. November 2004. Danach arbeitete sie nicht mehr als VVW, sondern als Verkäuferin/Kassiererin mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden in der Verkaufsstelle A, D Straße. Zur Wiedergabe des Inhalts dieses Arbeitsvertrages wird auf die weitere Anlage zur Klageerwiderung Bezug genommen (Bl. 30 d.A.).

Ab Herbst 2005 bemühte die Klägerin sich darum, ihre Arbeitszeit wieder aufzustocken. Sie bewarb sich mit Schreiben vom 22. Oktober 2005 um eine am 18. Oktober 2005 ausgeschriebene Stelle einer VVW in A, E Straße, mit 35 Wochenstunden. In der Ausschreibung dieser Stelle vom 18. Oktober 2005 war zur Vergütung angeführt: Tarifgruppe III/1. Berufsjahr, EUR 1.843,40 (vgl. Kopie als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 31 d.A.). Die Stelle wurde mit einer anderen Arbeitnehmerin besetzt.

Am 28. November 2005 wurden alle Arbeitnehmer der Bezirke A I und II über die Ausschreibung einer VVW-Stelle für die Verkaufsstelle F-G, H Straße, ab 01. Januar 2006 mit 35 Wochenstunden informiert. Zur Vergütung war angegeben: Tarifgruppe III/2. Berufsjahr, EUR 1.843,00. Die Bewerbung sollte an die zuständige Bezirksleiterin gerichtet werden (vgl. Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 32 d.A.).

Am 01. Dezember 2005 bewarb sich die Klägerin für diese Stelle. Ihre Bewerbung lautete auszugsweise:

„Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle als VVW 37,5 VST. F-G, H Straße (…) Die erforderliche Qualifikation für eine VVW-Position bringe ich selbstverständlich mit.

Derzeit arbeite ich als VK 20 in der VST. A – D Straße 98.

Da ich wieder Vollzeit arbeiten möchte, wäre es super, wenn ich diese Stelle bekäme!

(…)“

Die Klägerin wurde nicht berücksichtigt. Auf die Stelle der VVW für diese Filiale wurde die Arbeitnehmerin I versetzt. Deren Arbeitszeit blieb unverändert (vgl. Kopie der Vertragsänderung als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 38 d.A.)

Nach diesem Zeitpunkt bewarb sich die Klägerin noch am 14. März 2006, 24. März 2006, 26. April 2006 und 21. Juni 2006 auf weitere Stellen, die jeweils mit wöchentlichen Arbeitszeiten zwischen 30 und 35 Stunden ausgeschrieben waren. Hervorzuheben ist die Bewerbung der Klägerin vom 14. März 2006. Diese betraf keine VVW-Stelle, sondern eine Stelle als Verkäuferin/KassieEURrerin mit 30 Wochenstunden für die Filiale A, J Str.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass der Beklagte gem. § 9 TzBfG verpflichtet gewesen wäre, ihre Arbeitszeit zu verlängern.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht Darmstadt am 25. August 2006 eingegangenen Klage hatte sie zunächst beantragt, den Beklagten zu verurteilen, einer Verlängerung ihrer Arbeitszeit auf 37,5 Stunden zuzustimmen und forderte Schadenersatz in Höhe von EUR 10.134,52. Nachdem der Beklagte die Klägerin seit 01. Dezember 2006 auf einer VVW-Stelle mit 37,5 Wochenstunden einsetzt, macht die Klägerin nur noch Schadenersatz geltend.

Die Klägerin hat ihren Schaden aus der Differenz zwischen der Vergütung berechnet, welche sie in der Zeit vom 01. November 2005 bis 30. Dezember 2006 las VVW erzielt hätte und dem Betrag, welchen sie in der maßgeblichen Zeit tatsächlich als Verkäuferin/Kassiererin verdiente.

Die Klägerin hat, soweit für das Berufungsverfahren erheblich, beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie EUR 9.065,14 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 25. August 2006 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat die Ansicht vertreten, die Klägerin habe weder bei der Stellenbesetzung für die Verkaufsstelle in A, E Straße, noch bei der Filiale in F berücksichtigt werden können. Der Beklagte hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass er seine Verkaufsstellen – unstreitig – als Profitcenter führt und die einer Verkaufsstelle zugestandenen Personalkosten vom Umsatz der jeweiligen Verkaufsstelle abhängig sind. Die Eingruppierung der Klägerin hätte in die Gehaltsgruppe III a/ „nach dem 4. Tätigkeitsjahr“ des Gehaltstarifvertrags für den hessischen Einzelhandel erfolgen müssen. Die Personalkosten der jeweiligen Stelle hätten dann über dem in den Ausschreibungen festgelegten Budget gelegen.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat der Klage in dem zuletzt von der Klägerin noch aufrechterhaltenen Umfang durch am 20. Dezember 2006 verkündetes Urteil stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte nach § 9 TzBfG verpflichtet gewesen wäre, die Klägerin auf der VVW-Stelle in A, E Straße, einzusetzen. Der Umstand, dass einer Stelle nach dem Personalkostenbudget der jeweiligen Filiale nur Lohnkosten in begrenzter Höhe zugewiesen seien, bilde keinen dringenden betrieblichen Grund im Sinne dieser Vorschrift. Der Zweck des § 9 TzBfG würde anderenfalls vereitelt, da der Arbeitgeber dann immer erst kurzfristig eingestellte Arbeitnehmer bevorzugen dürfe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten sowie die vom Arbeitsgericht Darmstadt vorgenommene Schadensberechnung wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 82 – 89 d.A.) verwiesen.

Gegen dieses Urteil, welches dem Beklagten am 07. Februar 2007 zugestellt worden ist, hat dieser mit am 15. Februar 2007 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangener Berufungsschrift Berufung eingelegt. Die Berufung ist mit am 05. März 2007 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz rechtzeitig begründet worden.

Der Beklagte stützt die Berufung im Wesentlichen darauf, er habe nicht gegen § 9 TzBfG verstoßen. Da die Klägerin seit November 2004 als Verkäuferin/Kassiererin gearbeitet hatte, habe es sich bei den VVW-Stellen, auf die sie sich bewarb, nicht um „entsprechende“ freie Arbeitsplätze im Sinne des § 9 TzBfG gehandelt. Der Beklagte meint, auf § 9 TzBfG könne keine Beförderung oder die Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit gestützt werden. In diesem Zusammenhang hat der Beklagte darauf hingewiesen, dass eine VVW fachliche Vorgesetzte aller in einer Verkaufsstelle beschäftigten Verkäuferinnen/Kassiererinnen ist und nach in den Arbeitsverträgen vereinbarten Anwendung des Gehaltstarifvertrages auch höher einzugruppiert ist. Dies ist unstreitig geblieben.

Hilfsweise behauptet der Beklagte, die Klägerin habe im November 2004 anlässlich ihres Antrags auf Reduzierung der Arbeitszeit eine Beschäftigung als Verkäuferin/Kassiererin verlangt.

Vorsorglich hat der Beklagte erneut die Ansicht vertreten, dass er Stellen nur nach Vorgabe des Personalkostenkonzepts der jeweiligen Verkaufsstelle besetzen müsse.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 20. Dezember 2006 – 5 Ca 367/06 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, das Adjektiv „entsprechend“ in § 9 TzBfG beziehe sich nur auf die Dauer der Arbeitszeit. Ein Anspruch nach § 9 TzBfG sei nicht durch die höhere Wertigkeit einer Stelle ausgeschlossen.

Hilfsweise hat die Klägerin behauptet, dass die Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 20 Stunden pro Woche nur mit ihrer Einwilligung in eine Vertragsänderung durchführbar gewesen sei. Der Beklagte lehne es ab, VVW als Teilzeitkräfte zu beschäftigen. Deshalb habe sie ihr Einverständnis mit einer Vertragsänderung zu einer Tätigkeit als Verkäuferin/Kassiererin erklären müssen. Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Regelungszweck des § 9 TzBfG nur erreicht werde, wenn bei Verlängerung der Arbeitszeit auch eine höherwertige Tätigkeit erreicht werden könne, die vor der Verkürzung der Arbeitszeit bereits ausgeübt wurde. Äußerst hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass ihr zumindest die mit 30 Stunden ausgeschriebene Stelle als Verkäuferin/Kassiererin in der Verkaufsstelle A, J Straße, hätte zugewiesen werden müssen, auf die sie sich mit Schreiben vom 14. März 2006 beworben hatte.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 04. Juli 2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten ist gem. §§ 64 Abs. 2 b, 8 Abs. 2 ArbGG nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft. Der Beklagte hat die Berufung form- und fristgerecht eingelegt, diese ist rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden (§§ 519, 520 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).

Die Berufung bleibt jedoch überwiegend ohne Erfolg. Der Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin Schadenersatz in Höhe von EUR 8.141,45 nebst Zinsen gem. §§ 280 Abs. 1, 283 Satz 1, 275 Abs. 1, Abs. 4, 251 Abs. 1, 252 BGB i.V.m. § 9 TzBfG zu zahlen.

Der Beklagte hätte die ab 01. Januar 2006 mit 35 Wochenstunden ausgeschriebene Stelle der Verkaufsstellenverwalterin (VVW) für die Filiale in F-G mit der Klägerin besetzen müssen. Ein Anspruch der Klägerin, auf Zuweisung der VVW-Stelle in A, E Straße, auf welche sie sich bereits am 22. Oktober 2005 beworben hatte, bestand entgegen der Feststellung des Arbeitsgerichts Darmstadt nicht.

I.

Hat eine Teilzeitkraft nach § 9 TzBfG Anspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit und übergeht der Arbeitgeber bei der Besetzung eines geeigneten freien Arbeitsplatzes den Arbeitnehmer/die Arbeitnehmerin schuldhaft, entsteht ein Schadenersatzanspruch wegen Unmöglichkeit der Erfüllung (BAG Urteil vom 25.10.1994 – 3 AZR 987/93 – AuR 2001, 146; BAG Urteil vom 15.08.2006 – 9 AZR 8/06 – NZA 2007, 255; LAG Düsseldorf Urteil vom 23.03.2006 – 5 (3) Sa 13/06 – zitiert nach juris; LAG Berlin Urteil vom 02.12.2003 – 3 Sa 1041/03 – AuR 2004, 275; Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol, TZA Das Recht der Teilzeitarbeit, 2. Aufl., § 9 Rz 32; Arnold/Gräfl – Hemke, Praxiskommentar zum TzBfG, § 9 Rz 41; Sievers, TzBfG, § 9 Rz 16).

Nach § 9 TzBfG muss ein Arbeitgeber einen teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer, der ihm den Wunsch nach Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt hat, bei der Besetzung eines freien Arbeitsplatzes berücksichtigen, es sei denn, dass dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer entgegenstehen.

1.

Die Klägerin erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen der Norm. Sie war bei dem Beklagten seit 15. November 2004 mit 20 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt im Sinne von § 2 TzBfG. Der Beklagte setzt Vollzeitkräfte entsprechend der tariflichen Regelung durch den Manteltarifvertrag vom 24. September 1996 in der seit 01. Juli 2001 geltenden Fassung für den Einzel- und Versandhandel in C mit 37,5 Wochenstunden ein.

2.

Die Klägerin hat auch den Wunsch nach einer Verlängerung der Arbeitszeit gegenüber dem Arbeitgeber angezeigt, wie § 9 TzBfG verlangt. Diese Voraussetzung hat die Klägerin jedoch erst mit ihrer Bewerbung vom 01. Dezember 2005 um die VVW-Stelle in F-G erfüllt (vgl. Kopie der Bewerbung als Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 04.07.2007, Bl. 137 d.A.).

Vor Zugang dieses Schreibens bestand kein Anlass für den Beklagten, die Klägerin bei der Zuweisung einer freien Stelle besonders zu berücksichtigen. Der Umstand, dass die Klägerin bei der Besetzung der VVW-Stelle für die Filiale in A, E Straße, auf die sie sich bereits am 22. Oktober 2005 beworben hatte, keinen Erfolg hatte, ist kein Anknüpfungspunkt für einen auf ein Verstoß gegen § 9 TzBfG gestützten Schadenersatzanspruch. Nach dem festgestellten Sachverhalt hatte die Klägerin zum Zeitpunkt dieser Bewerbung gegenüber dem Arbeitgeber ihren Wunsch auf Verlängerung der Arbeitszeit noch nicht angezeigt. Dieser war deshalb nicht verpflichtet, bei Besetzung der Stelle einen nach § 9 TzBfG unter den dort geregelten Voraussetzungen vorrangigen Anspruch der Klägerin gegenüber anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu prüfen. Soweit das Arbeitsgericht Darmstadt bei der Berechnung des Schadensersatzanspruches der Klägerin davon ausgegangen ist, dass diese bereits ab 1. November 2004 als VVW in einem Umfang von 35 Wochenstunden hätte eingesetzt werden müssen, war die Entscheidung daher aufzuheben.

a)

§ 9 TzBfG ordnet keinen „automatischen“ Vorrang einer Teilzeitkraft vor anderen Bewerbern bei einer Stellenbesetzungsentscheidung des Arbeitgebers an. Nur wenn die Arbeitnehmerin bzw. der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber oder einem Vertreter erklärt hat, dass die Verlängerung der Arbeitszeit gewünscht wird, entsteht ein Anspruch nach § 9 TzBfG unter den dort im Übrigen geregelten Voraussetzungen. Adressat dieser Anzeige ist der Arbeitgeber oder eine vertretungsberechtigte Person. Sie muss vor der Besetzung des Arbeitsplatzes geschehen sein, eine besondere Form ist nicht vorgeschrieben (Arnold/Gräfl – Hemke, Praxiskommentar zum TzBfG, § 9 Rz 8 f.).

b)

Das Bewerbungsschreiben vom 01. Dezember 2005 (Kopie als Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 04.07.2007, Bl. 137 d.A.) ist im Sinne des § 9 TzBfG ausreichend. Es ist an die Bezirksleiterin und damit an die Personen im Unternehmen des Beklagten gerichtet, welche über die Besetzung der Filiale mit einer Verkaufsstellenverwalterin entscheiden. In der Stellenanzeige vom 28. November 2005 waren die Mitarbeiterinnen aufgefordert worden, ihre Bewerbung an die zuständige Bezirksleiterin zu richten (vgl. Kopie als Anlage zum Schriftsatz des Beklagten vom 19.10.2006, Bl. 32 d.A.).

Vertreter des Arbeitgebers für eine Anzeige des Arbeitnehmers auf Erhöhung der Arbeitszeit im Sinne des § 9 TzBfG ist nach einer Auffassung die Stelle im Unternehmen, welche für Personalangelegenheiten zuständig ist (Annuß/Thüsing – Jacobs, TzBfG, 2. Aufl., § 9 Rz 8). Nach anderer Auffassung muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis jeder Person zurechnen lassen, die gegenüber der Teilzeitkraft Vorgesetztenfunktion ausübt (Buschmann/Dieball/Stevens-Bartol, TZA, 2. Aufl., § 9 Rz 14).

Die Mitteilung im Zusammenhang mit der an die der Klägerin vorgesetzte Bezirksleiterin genügt nach beiden Voraussetzungen. Der der Bezirksleiterin wiederum vorgesetzte Verkaufsleiter hatte diese mit Ausschreibung der Stelle als Erklärungsempfängerin bestimmt.

c)

Der mit der Bewerbung erklärte Wunsch nach Verlängerung der Arbeitszeit erfüllt auch inhaltlich die Anforderungen des § 9 TzBfG. Die Klägerin hat angegeben, dass sie als Teilzeitkraft arbeite. Sie hat sich mit der Abkürzung „VK 20“ als Verkäuferin/Kassiererin mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden bezeichnet. Außerdem hat sie mitgeteilt, dass sie wieder „Vollzeit arbeiten möchte“. Eine Begründung des Verlängerungswunsches ist nicht erforderlich.

Es ist nicht erheblich, dass die Stelle nur mit 35 Wochenstunden ausgeschrieben war, statt wie von der Klägerin in der Bewerbung angegeben mit 37,5. § 9 TzBfG erfasst jede Erhöhung der vereinbarten Arbeitszeit. Die fragliche Stelle ist durch die örtliche Bezeichnung der Filiale eindeutig bestimmt worden. Bei erfolgreicher Bewerbung hätte die Klägerin ihre zu diesem Zeitpunkt auf 20 Wochenstunden beschränkte Arbeitszeit erhöht.

II.

Der Beklagte wäre verpflichtet gewesen, die Klägerin als VVW ab 01. Januar 2006 mit 35 Wochenstunden entsprechend der Ausschreibung vom 28. November 2005 einzusetzen.

1.

Entgegen der Auffassung des Beklagten handelt es sich bei der VVW-Stelle auch um einen „entsprechenden Arbeitsplatz“ im Sinne des § 9 TzBfG. Entscheidend ist, dass die Klägerin durch eine Zuweisung dieser Stelle nicht erstmals eine höherwertige Tätigkeit oder eine Beförderung erreicht hätte, sondern eine Rückkehr zu den Arbeitsbedingungen, welche für sie vor der Reduzierung der Arbeitszeit galten und die sie rückgängig machen wollte.

a)

Das Berücksichtigungsgebot des § 9 TzBfG bezieht sich grundsätzlich nur auf Arbeitsplätze, welche dem vertraglich vereinbarten Tätigkeitsbereich des Arbeitnehmers entsprechen, wie der Beklagte ausgeführt hat. Anhaltspunkt ist insofern, ob der Arbeitgeber dem betroffenen Arbeitnehmer auch im Wege des Direktionsrechts den Arbeitsplatz zuweisen könnte. Ist eine Versetzung nur im Wege der Änderungskündigung möglich, soll der Arbeitsplatz nicht „entsprechend“ sein, wie von § 9 TzBfG vorgesehen (Rolfs, RdA 2001, 129, 139; Arnold/Gräfl – Hemke, Praxiskommentar zum TzBfG, § 9 Rz 19; ErfK-Preis, 7. Aufl., § 9 TzBfG Rz 7; Annuß/Thüsing – Jacobs, TzBfG, 2. Aufl., § 9 Rz 17; a.A.: Kittner/Däubler/Zwanziger, KSchR, 6. Aufl., § 9 TzBfG Rz 4; vgl. auch: BAG Urteil vom 25.10.1994 – 3 AZR 987/93 – AuR 2001, 146 für eine § 9 TzBfG entsprechende Tarifnorm).

Von dem vorstehenden Grundsatz ist zumindest abzuweichen, wenn der Verlängerungswunsch einer Arbeitskraft betroffen ist, welche durch die Erhöhung der Arbeitszeit einen nach Qualifikation und Anforderungen generell festlegbaren Arbeitsplatz wieder einnehmen will, den sie vor der Reduzierung der Arbeitszeit bereits ausfüllte.

War mit einer vor dem Verlängerungswunsch erfolgten Verringerung der Arbeitszeit ein Kompetenzverlust verbunden und ist insbesondere der Arbeitsvertrag anlässlich der Reduzierung der geschuldeten Arbeitszeit auch inhaltlich geändert worden, ist ein Arbeitsplatz im Sinne des § 9 TzBfG auch dann „entsprechend“, wenn durch die erstrebte Verlängerung der Arbeitszeit nur die Änderungen wieder rückgängig gemacht werden, die nach dem Willen beider Vertragspartner oder nach Vorgabe des Arbeitgebers zur Realisierung des Teilzeitwunsches erforderlich waren.

Ein „entsprechender Arbeitsplatz“ im Sinne des § 9 TzBfG ist damit auch „ein Arbeitsplatz, der bei früherer Vereinbarung einer höheren Arbeitszeit schon besetzt worden war“.

Dieses Verständnis gebietet der Regelungszweck des § 9 TzBfG. Die Norm zielte darauf, Teilzeitarbeit zu fördern. Berechtigterweise wird vermutet, dass die Bereitschaft zur Teilzeitarbeit größer ist, wenn auch die Aussicht besteht, einen Wechsel in die Teilzeit wieder rückgängig machen zu können (vgl. BT-Dr. 14/4374, S. 18). Hierbei geht § 9 TzBfG über den Regelungszweck des § 5 Abs. 3 b) und c) der Richtlinie 97/81/EG hinaus.

b)

Die vorstehenden Voraussetzungen sind erfüllt:

Für die Klägerin geht es um die Rückkehr auf einen früher innegehabten Arbeitsplatz. Nach den zur Akte gereichten Arbeitsverträgen der Klägerin und anderer Arbeitnehmerinnen behält sich der Beklagte arbeitsvertraglich das Recht vor, Verkaufsstellenverwalterinnen auch in eine andere Verkaufsstelle zu versetzen als ausdrücklich im Vertrag angeführt. Es genügt also, dass die Klägerin schon als VVW für den Beklagten tätig war. Ob und gegebenenfalls wie lange sie in der konkreten Filiale schon einmal gearbeitet hatte, spielt keine Rolle.

Der Beklagte setzt in seinen Verkaufsstellen im Regelfall Verkaufsstellenverwalterinnen nur in Vollzeit oder mit einer geringfügig darunterliegenden Arbeitszeit ein. Dabei leisten in den Verkaufsstellen des Bezirks A I und II nach den Angaben des Beklagten alle VVW mindestens 30 Wochenstunden. Diese VVW sind für den Einsatz der weiteren Verkäuferinnen/Kassiererinnen ihrer Filiale verantwortlich, die wiederum generell nur als Teilzeitkräfte beschäftigt werden.

Die unterschiedliche Eingruppierung des Verkaufspersonals ist durch die Vorgesetztenfunktion der VVW und die im Rahmen der Stellenbeschreibung vorgegebenen Aufgaben bei der Filialführung gerechtfertigt (vgl. die Kopie einer Stellenbeschreibung Verkaufsstellenverwaltung als Anlage B 1 zur Berufungsbegründung, Bl. 103 d.A.). Aufgrund der Gestaltung der Arbeitsverträge durch den Beklagten werden (in C) VVW nach der Gehaltsgruppe B III des jeweils gültigen Gehaltstarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel des Landes C vergütet. Teilzeitkräfte in der Funktion einer Verkäuferin/Kassiererin erhalten je nach den persönlichen Voraussetzungen eine Vergütung nach der Gehaltsgruppe A oder B I a des Gehaltstarifvertrages.

Die Klägerin hatte anlässlich der Verringerung ihrer Arbeitszeit von 37,5 Stunden (VVW der Filiale B) ab 15. November 2004 auf 20 Wochenstunden einer Vertragsänderung zugestimmt, wonach sie nur noch als Verkäuferin/Kassiererin in der Gehaltsgruppe B I a) arbeitete (vgl. Kopie des Vertrages als Anlage zur Klageschrift, Bl. 14 f. d.A.).

Dies beruhte darauf, dass der Beklagte die Stelle einer VVW nicht mit einer Teilzeitkraft besetzt, die (lediglich) 20 Wochenstunden leistet. Der Vortrag des Beklagten, die Klägerin habe eine Beschäftigung als VK begehrt, schließt nicht ein, dass die Klägerin auf eine derartige Vertragsänderung hätte verzichten können. Die Klägerin wusste, dass sie als VVW keine Reduzierung der Arbeitszeit auf 20 Wochenstunden erreichen konnte und war daher bereit, als Verkäuferin/Kassiererin zu arbeiten.

Dies entspricht auch der Kammer aus einem anderen Rechtsstreit um die Gewährung von Teilzeitarbeit bekannten Vorgabe des Beklagten, VVW-Stellen nur mit Vollzeitarbeitskräften oder solchen Personen zu besetzen, welche die Arbeitszeit einer vollen Stelle nur geringfügig unterschreiten. Dieser Feststellung ist von den Vertretern des Beklagten in der Verhandlung vom 04. Juli 2007 nicht widersprochen worden.

2.

Die Klägerin war für die VVW-Stelle in Roßbach-G geeignet.

Sie hat seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahr 1986 mindestens 8 Jahre als VVW gearbeitet. Außerdem vertrat sie im Jahr 2005 für 11 Wochen eine andere VVW.

3.

Dem Einsatz der Klägerin auf der zum 01. Januar 2006 ausgeschriebenen Stelle standen keine dringenden betrieblichen Gründe im Sinne des § 9 TzBfG entgegen. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die Klägerin aufgrund ihrer nach dem Gehaltstarifvertrag als vergütungsrelevant zu berücksichtigenden Tätigkeitsjahre nach dem für die Verkaufsstelle maßgeblichen Personalkostenkonzept „zu teuer“ gewesen sei.

Ein betrieblicher Grund im Sinne des § 9 TzBfG muss bezogen auf den angestrebten Arbeitsplatz oder auf den Arbeitsplatz, welchen die Teilzeitkraft aufgeben will, dargelegt werden. Dies ist z.B. der Fall, wenn der bisherige Arbeitsplatz nicht neu besetzt werden kann oder Rechtsansprüche Dritter, z.B. wegen Personalabbaus, auf den frei werdenden Arbeitsplatz bestehen (vgl. Annuß/Thüsing – Jacobs, TzBfG, § 9 Rz 25 f.). Nur dann liegt ein Grund von erheblichem Gewicht vor, nachdem das grundsätzlich vorrangige Interesse des teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmers zurückzutreten hat.

Das Personalkostenkonzept des Beklagten begrenzt die voraussichtlichen Personalkosten einer jeweiligen Verkaufsstelle durch den Umsatz dieser Verkaufsstelle.

Die einem Arbeitnehmer/einer Arbeitnehmerin zu zahlende Vergütung ergibt sich aus arbeitsvertraglicher Regelung sowie – bei Anwendung eines Tarifvertrages – den Anforderungen des konkreten Arbeitsplatzes und ggfalls persönlichen Merkmalen, die an Berufs- oder Tätigkeitsjahre anknüpfen. Die zuletzt angeführten personenbezogenen Vergütungsbestandteile sind vom konkreten Arbeitsplatz unabhängig. Sie können also nicht der Besetzung einer bestimmten Stelle widersprechen (vgl. LAG Düsseldorf Urteil vom 11.08.2006 – 9 Sa 172/06 – AuR 2006, 452; aufhoben durch Urteil des BAG vom 08.05.2007 – 9 AZR 874/06 – zitiert nach Pressemitteilung Nr. 30/07). Dem folgend kann der Beklagte nicht aus betrieblichen Gründen Arbeitsplätze nur für Arbeitnehmer mit geringer Einstiegsvergütung vorgeben.

4.

Der Beklagte hat nicht geltend gemacht, dass Teilzeitwünsche anderer Arbeitnehmer vorrangig bei Besetzung der Stelle in F-G zu berücksichtigen waren.

5.

Gründe, welche gegen die Annahme eines Verschuldens des Beklagten (§ 276 Abs. 1 BGB) sprechen, sind nicht vorgetragen worden.

III.

Die Höhe des der Klägerin zu leistenden Schadenersatzes von EUR 8.141,45 folgt aus §§ 249, 251 Abs. 1, 252 BGB.

Die Klägerin kann nachträglich nicht mehr die Vergütung erzielen, welche ihr bei einer Beschäftigung als VVW in F-G ab 01. Januar 2006 bis 30. November 2006 zugestanden hätte. Von dem Verdienst, den sie erzielt hätte, ist das Entgelt abzuziehen, welches sie durch ihre Tätigkeit für den Beklagten tatsächlich erzielte.

Da die Stelle der VVW in F-G entgegen der Bewerbung der Klägerin nur mit einer Wochenarbeitszeit von 35 Stunden ausgeschrieben war (vgl. Kopie der Stellenausschreibung als Anlage zur Klageerwiderung, Bl. 32 d.A.), berechnet sich der nach §§ 280, 283 Satz 1 BGB maßgebliche Schaden aus der Differenz des Verdienstes, welchen die Klägerin in der Gehaltsgruppe B III in der Zeit vom 01. Januar 2006 bis 30. November 2006 bei einer 35-Stunden-Woche erzielt hätte und ihrem tatsächlichen Arbeitseinkommen.

1.

Gemäß § 3 B III, Gehaltsstaffel a), Stufe „nach dem 4. Jahr der Tätigkeit“ des Gehaltstarifvertrages für den Einzel- und Versandhandel des Landes C vom 27. Januar 2007 betrug das Gehalt für eine volle Stelle (37,5 Stunden) in der Zeit vom 01. Januar 2006 bis 30. August 2006: EUR 2.319,00, ab 01. September 2006: EUR 2.342,00. Dem entspricht eine Vergütung von EUR 2.164,40 (Januar bis August) bzw. EUR 2.185,87 (September bis November) für eine 35-Stunden-Woche. Dies ergibt eine fiktive Vergütung von EUR 23.872,81für die Zeit von 01. Januar bis 30. November 2006.

Die Klägerin verdiente ohne Berücksichtigung der vermögenswirksamen Leistungen, des tariflichen Urlaubsgelds sowie der seit Juni 2006 gezahlten tariflichen Sozialzulage von monatlich EUR 10,23 in der Zeit vom 01. Januar 2006 bis 30. November 2006 insgesamt EUR 15.731,36 brutto. Ihr Schaden beträgt danach EUR 8.141,45, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich:

2006|Bruttoverdienst bereinigt|Tarifgehalt 35 WoStd.|Differenz
Januar|1.510,23 EUR|2.164,40 EUR|654,17 EUR
Februar|1.254,24 EUR|2.164,40 EUR|910,16 EUR
März|1.589,47 EUR|2.164,40 EUR|574,93 EUR
April|1.729,65 EUR|2.164,40 EUR|434,75 EUR
Mai|1.522,42 EUR|2.164,40 EUR|641,98 EUR
Juni|1.467,57 EUR|2.164,40 EUR|696,83 EUR
Juli|1.327,38 EUR|2.164,40 EUR|837,02 EUR
August|1.424,90 EUR|2.164,40 EUR|739,50 EUR
September|1.783,02 EUR|2.185,87 EUR|402,85 EUR
Oktober|1.069,90 EUR|2.185,87 EUR|1.115,97 EUR
November|1.052,58 EUR|2.185,87 EUR|1.133,29 EUR
|15.731,36 EUR|23.872,81 EUR|8.141,45 EUR

In Höhe des übersteigenden Betrages war das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt aufzuheben.

2.

Der Zinsanspruch ergibt sich der Höhe nach aus § 288 Abs. 1 BGB.

Die Vergütung war, da keine andere vertragliche Regelung erfolgt ist, gem. §§ 614, 193 BGB an dem ersten dem Tätigkeitsmonat folgenden Tag fällig, welcher nicht auf einen Sonntag, Samstag oder Feiertag fiel. Daraus ergibt sich die Korrektur der aus dem Tenor ersichtlichen Zinsforderungen der Klägerin. Soweit die Klägerin Zinsen teilweise erst ab Rechtshängigkeit gefordert hat, sind die bis 01. September 2006 fällig gewordenen Differenzen zusammengefasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das Verhältnis von Verlieren und Obsiegen der Parteien in beiden Rechtszügen.

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen der vorgenommenen Auslegung des „entsprechenden Arbeitsplatzes“ im Sinne des § 9 TzBfG zuzulassen.

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