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Entschädigung für Verdienstausfall nach § 22 S.1 JVEG bei der Inanspruchnahme bezahlten Urlaubs

OLG Karlsruhe – Az.: 2 Ws 252/20 – Beschluss vom 29.10.2020

1. Auf die sofortige Beschwerde des früheren Angeklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts W. vom 12. Mai 2020 dahingehend abgeändert, dass weitere 140,- € als zu erstattende notwendige Auslagen festgesetzt werden.

2. Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Jedoch wird die Beschwerdegebühr um 20 % ermäßigt. Je 20 % der im Beschwerdeverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen und der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

4. Der Beschwerdewert wird auf 658,- € festgesetzt.

Gründe

Mit Urteil vom 28. Januar 2020, rechtskräftig seit 26. Februar 2020, sprach das Landgericht W. den Beschwerdeführer nach vier Hauptverhandlungstagen vom Vorwurf mehrerer Sexualstraftaten frei. Seine notwendigen Auslagen wurden der Staatskasse auferlegt.

Mit Schreiben vom 6. April 2020 machte der Beschwerdeführer gegenüber dem Landgericht – neben Fahrt- und Parkkosten– eine Entschädigung für Verdienstausfall für sämtliche Hauptverhandlungstage in Höhe von insgesamt 658,- € (4 x 164,50 €) geltend. An den Hauptverhandlungstagen hatte er jeweils bezahlten Urlaub in Anspruch genommen.

Mit Beschluss vom 12. Mai 2020 hat die Rechtspflegerin die geltend gemachten Fahrt- und Parkkosten weitgehend antragsgemäß festgesetzt. Eine Entschädigung für Verdienstausfall hat sie unter Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer bezahlten Urlaub in Anspruch genommen habe, abgelehnt.

Gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 15. Mai 2020 zugestellten Beschluss wendet sich der frühere Angeklagte mit seiner am 29. Mai 2020 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, soweit die Festsetzung einer Entschädigung für Verdienstausfall abgelehnt worden ist.

II.

Die sofortige Beschwerde, über die der Senat nach § 122 Abs. 1 GVG in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich der Vorsitzenden zu entscheiden hat (Senat, Beschluss vom 20. März 2019 – 2 Ws 63/19, juris Rn. 5; OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Oktober 2017 – 1 Ws 140/17, juris Rn. 5 m.w.N.), wobei sich das Beschwerdeverfahren nach strafprozessualen Grundsätzen richtet (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 464b Rn. 6), ist gemäß § 464b S. 3 StPO i.V.m. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht (§ 464b S. 4 StPO) eingelegt; der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,- € (§ 304 Abs. 3 StPO). Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

Ein Anspruch des Beschwerdeführers auf Entschädigung für Verdienstausfall aufgrund der Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine besteht nicht (1.). Es ist lediglich ein Anspruch auf Entschädigung für Zeitversäumnis gegeben (2.).

1. Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfall.

a) Eine Entschädigung für Verdienstausfall nach § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO, § 22 S. 1 JVEG setzt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut voraus, dass ein Verdienstausfall tatsächlich eingetreten ist. Einen Verdienstausfall erleidet indes nicht, wer – wie der Beschwerdeführer – bezahlten Urlaub nimmt, um an der Hauptverhandlung teilzunehmen (OLG Düsseldorf NStZ-RR 1998, 157 m.w.N. – auch zur Gegenauffassung; OLG Hamm NStZ 1996, 356 f.; vgl. auch LG Heidelberg BeckRS 2004, 3877), da während des Urlaubs das Arbeitsentgelt (zur Rechtsnatur des Urlaubsentgeltanspruchs vgl. BeckOK ArbR/Lampe, 57. Ed, BUrlG, § 11 Rn. 1 und 3) weitergezahlt wird (deshalb nicht überzeugend OLG Karlsruhe, Die Justiz 1987, 156, 157 und LG Freiburg im Breisgau NStZ 1993, 89). Bei Inanspruchnahme bezahlten Urlaubs besteht der erlittene Nachteil nicht – wie von § 22 S. 1 JVEG vorausgesetzt – in einer Vermögenseinbuße, sondern in der Kürzung des der Erholung dienenden Urlaubs und damit im bloßen Verlust an Zeit. Die Entschädigung für derartige immaterielle Nachteile richtet sich indes nach § 20 JVEG.

b) Der in der Kürzung des Urlaubs liegende Nachteil kann nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 S. 1 JVEG und dem Willen des Gesetzgebers nicht einer ersatzfähigen Vermögenseinbuße gleichgestellt werden. Der Umstand, dass der Urlaubsverlust im (vertraglichen) Schadensersatzrecht einen vermögenswerten Schaden darstellt (vgl. § 651n Abs. 2 BGB; zusammenfassend MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl., § 249 Rn. 93 ff.), vermag hieran nichts zu ändern. Einer Übertragung dieser Grundsätze auf die Entschädigung nach dem JVEG steht bereits entgegen, dass das Gesetz – wie etwa die Beschränkung des Entschädigungsanspruchs nach § 22 S. 1 JVEG sowohl in der Stundenzahl (§ 19 Abs. 2 S. 1 JVEG) als auch in der Höhe (21,- € pro Stunde) zeigt – eine vollständige Entschädigung nicht anstrebt (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Mag die unterschiedliche Regelung bei Inanspruchnahme von bezahltem und unbezahltem Urlaub auch in gewisser Weise unbillig erscheinen, ist die vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung zwischen der Entschädigung für Verdienstausfall und der Entschädigung für Zeitversäumnis hinzunehmen (so auch LG Heidelberg a.a.O.).

2. Dem Beschwerdeführer steht damit nur eine Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 464b Abs. 2 Nr. 1 StPO, § 20 JVEG zu. Da die Entschädigung für Zeitversäumnis gegenüber der Entschädigung für Verdienstausfall – wie sich aus dem Wortlaut des § 20 JVEG ergibt – ein „Minus“ darstellt, so dass der Antrag auf Entschädigung für Verdienstausfall den Antrag auf Entschädigung für Zeitversäumnis mitumfasst, setzt der Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO – in Abänderung des angegriffenen Beschlusses – die dem Beschwerdeführer zustehende Entschädigung selbst fest. An den vier Hauptverhandlungstragen dauerte die Heranziehung des Beschwerdeführers einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeit jeweils mehr als die höchstens zu entschädigende Zeitspanne von zehn Stunden (§ 19 Abs. 2 S. 1 JVEG), so dass ihm – bei einer Entschädigung von 3,50 € pro Stunde (§ 20 JVEG) – für jeden Hauptverhandlungstag eine Entschädigung in Höhe von 35,- €, mithin insgesamt eine solche in Höhe von 140,- €, zusteht.

III.

Der Teilerfolg der Beschwerde führt zu einer Kostenteilung nach § 473 Abs. 4 StPO.

Der Beschwerdewert entspricht der Höhe der geltend gemachten Entschädigung.

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