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Entschädigung für Mehraufwendungen – Unpfändbarkeit

Landgericht Görlitz

Az: 2 T 282/05

Beschluss vom 29.11.2005

Vorinstanz: AG Zittau, Az.: 2 M 0813/05


In dem Verfahren wegen Zwangsvollstreckung erlässt das Landgericht Görlitz – 2. Zivilkammer – am 29.11.2005 durch XXX folgenden

BESCHLUSS

1. Auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers vom 14.10.2005 wird der Beschluß des Amtsgerichts Zittau Vollstreckungsgericht – vom 30.09.2005 – Az.: 2 M 813/05 aufgehoben.
I
2. Die Sache gelangt gemäß § 572 Abs.3 ZPO an das Amtsgericht Zittau – Vollstreckungsgericht – zurück mit der Anweisung, den Antrag auf Erlaß eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Beachtung der in diesem Beschluß geäuten Rechtsauffassung der Beschwerdekammer neu zu bescheiden, wobei sich die Neubescheidung auch auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu erstrecken hat.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:
1.
Mit Schriftsatz vom 19.09.2005 beantragte der Gläubiger die Pfändung und Überweisung der dem Schuldner als Empfänger von Arbeitslosengeld II gemäß § 16 Abs.3 S.2 SGB 11 vom Drittschuldner geschuldeten Mehraufwandsentschädigung.

Das Amtsgericht hat mit dem dem Gläubiger am 04.10.2005 zugestellten Beschluß vom 30.09.2005 den Antrag auf Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses ohne Prüfung der weiteren Voraussetzungen seines Erlasses mit der Begründung abgelehnt, bei der Mehraufwandsentschädigung gemäß § 16 Abs.3 S.2 SGB TI handele es sich um eine gemäß § 851 Abs.1 ZPO unpfändbare, da zweckgebundene Sozialleistung.

Mit bei Gericht am 14.10.2005 eingegangenen Schriftsatz hat der Gläubiger hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat dieser mit Verfügung vom 14.10.2005 nicht abgeholfen und die Sache zur Entscheidung dem Landgericht vorgelegt.

II.
Die zulässige sofortige Beschwerde hat insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – mit der Maßgabe, über den Antrag auf Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses unter Beachtung der im Folgenden geäußerten Rechtsauffassung der Beschwerdekammer erneut zu entscheiden führt.

1) Die gemäß § 16 III S.2 SGB II an ALG-II-Empfänger in sogenannten „1-Euro-Jobs“ zu zahlende „Entschädigung für Mehraufwendungen“ ist nicht gemäß § 54 Abs.1 -3 SGB I unpfändbar, da sie nicht unter den dortigen abschließenden Katalog fällt. Sie ist daher prinzipiell gemäß § 54 Abs.4 SGB I wie Arbeitseinkommen pfändbar.

2) Sie stellt auch keine zweckgebundene und damit gemäß § 399 BGB unabtretbare, gemäß § 851 Abs.1 ZPO unpfändbare Forderung dar. Es ist anerkannt, daß sogenannte „zweckgebundene“ Forderungen insoweit gemäß § 851 Abs.1 ZPO unpfändbar sind, als ihre Pfändung nur zu Gunsten desjenigen erfolgen darf, für den die Mittel kraft Gesetzes oder Kraft entsprechender Vereinbarung bestimmt sind (Thomas-Putzo, ZPO, § 851, Rn.3). In Betracht kommt vorliegend lediglich eine gesetzlich bestimmte Zweckbindung. Ob die vom Amtsgericht angenommene Zweckbindung der Zahlung der Entschädigung für Mehraufwendungen gemäß § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II nur als Ausgleich für durch die Aufnahme der Arbeitsgelegenheit entstehenden tatsächlichen Mehraufwendungen vorliegt, ist, da der Wortlaut alleine insoweit nicht weiter führt, dem Sinn und Zweck des Gesetzes in Verbindung mit dem Willen des historischen Gesetzgebers zu entnehmen.

Sinn und Zweck der Einführung der sogenannten „Ein-Euro-Jobs“ ist es, den nicht in den ersten Arbeitsmarkt zu vermittelnden erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen, die auch nicht in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vermittelt werden können, einen Anreiz zur Aufnahme von im öffentlichen Interesse liegenden Arbeiten zu verschaffen. Dies soll einerseits dadurch bewerkstelligt werden, daß mit der Ablehnung der Aufnahme einer derartigen Tätigkeit finanzielle Einbußen im Hinblick auf die Höhe des ALG-II verbunden werden. Anderseits soll durch die Gewährung der „angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen“ ein zusätzlicher finanzieller Anreiz zur Annahme einer derartigen Tätigkeit geschaffen werden. Dies entspricht dem Prinzip von Zuckerbrot und Peitsche. Der dem Gesetz ohne große Mühe zu entnehmende, in der politischen Diskussion in den Vordergrund gestellte Sinn und Zweck des § 16 Abs. 3 SGB II widerspricht auch nicht dem aus den Motiven ersichtlichen Willen des Gesetzgebers. Aus der – in diesem Punkt dann Gesetz gewordenen, vom ursprünglichen Gesetzesentwurf (BT-Drs 15/1516, S.13, S.54) geringfügig abweichenden – Formulierung in der Stellungnahme des Ausschusses (BT-Drs. 15/1728, S.177/178) und der hierfür gegebenen Begründung (BT-Drs 15/1516, 54; BT-Drs. 15/1728) läßt sich entnehmen, daß § 16 Abs.2 SGB II im Groben zunächst nichts anderes als „alten Wein in neuen Schläuchen“, nämlich die Übernahme der Regelung des § 19 Abs.2 BSHG (so auch Zwanziger, AuR 2005, Heft 1) darstellt. Dabei hat der Gesetzgeber aber in wohl bewußter Abkehr von der „Kann-Regelung“ des § 19 Abs.2 BSHG die Gewährung der angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen obligatorisch – und damit vom Anfallen derartiger Mehraufwendungen unabhängig – gemacht und die Möglichkeit der Gewährung des üblichen Arbeitsentgeltes wegfallen lassen. Damit entfällt (entgegen Zwanziger, a.a.O.) auch das in der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung
(BVerwGE 68, 91 ff; BVerwG, Besch.v.23.2.1979, Az.: 5 B 114/78) zum Zwecke der Einordnung dieser „angemessenen Entschädigung für Mehraufwendungen“ als eben dies, nämlich eine Aufwandsentschädigung, geltend gemachte Argument der GegenübersteIlung von „Arbeitsentgelt“ und „Entschädigung“ in ein und derselben Norm.

Ausschlaggebend für die rechtliche Einordnung der „Entschädigung für Mehraufwendungen“ im sinne des § 16 Abs.3 SGB 11 ist damit allein der deutlich erkennbare Sinn und Zweck der Norm, die Aufnahme einer Arbeitsgelegenheit für den Hilfsbedürftigen finanziell attraktiv zu machen. Damit stellt die „Entschädigung für Mehraufwendungen“ dann aber nicht mehr eine solche, sondern lediglich ein sozialpolitisches Steuerungsinstrument in Bezug auf die Bereitschaft Arbeitloser, im öffentlichen Interesse liegende Arbeitsgelegenheiten wahrzunehmen, dar.

3) Ausgehend von dem oben unter 2) Gesagtem kommt eine Unpfändbarkeit der streitgegenständlichen Zahlungen gemäß § 850 a Ziffer 3 ZPO ebenfalls nicht in Betracht.

4) Die „angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen“ im Sinne des § 16 Abs.3 SGB II könnte sich vorliegend aber trotzdem als in gewissem Umfange pfändungsfrei erweisen. Denn gemäß § 850 f Abs.1 lit.b ZPO könnte sie dem Schuldner ganz oder teilweise auf einen von ihm zu stellenden entsprechenden Antrag pfändungsfrei gestellt werden, wenn er darlegen und nachweisen kann, daß er auf Grund der Annahme der Arbeitsgelegenheit – mithin aus beruflichen Gründen – besondere Bedürfnisse mit ihr zu befriedigen hat. Der Schuldner wird im weiteren Verfahren hierzu anzuhören sein.

5) Unter Beachtung der oben unter Ziffern 1)-4) gemachten Ausführungen wird das Amtsgericht – nach Anhörung des Schuldners – über den Antrag des Gläubigers erneut zu befinden haben.

III.

Gemäß § 574 Abs.2 Ziffern 1 und 2 ZPO war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

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