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Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters bei Stornierung des Reisenden vor Annahme

Klägerin bekommt Recht auf Rückzahlung bei Stornierung einer Pauschalreise.

Eine Klägerin forderte von der Beklagten die Rückerstattung einer Entschädigung in Höhe von 835,20 Euro, nachdem sie die Buchung einer Pauschalreise nach Antalya/Türkei storniert hatte. Die Klägerin hatte die Buchung online über ein Internetportal vorgenommen und noch bevor sie eine Buchungsbestätigung erhielt, die Stornierungserklärung abgegeben. Die Beklagte schickte daraufhin eine Stornorechnung und zog den Betrag vom Konto der Klägerin ein. Die Klägerin argumentierte, dass kein wirksamer Reisevertrag zustande gekommen war und die Beklagte somit den Stornobetrag rechtsgrundlos eingezogen hatte. Die Beklagte hingegen behauptete, dass ein Vertrag vorlag und forderte Schadensersatz in Höhe von 480 Euro.

Das Gericht entschied, dass die Klägerin Anspruch auf Rückerstattung des Betrags hat, da kein Reisevertrag zustande gekommen war und somit kein Anspruch auf Entschädigung bestand. Auch der Schadensersatzanspruch der Beklagten wurde abgelehnt, da die Klägerin keine Sorgfaltspflichtverletzung begangen hatte und die Beklagte nicht darauf vertrauen konnte, dass der Vertrag zustande kommen würde. Die Beklagte wurde zur Rückerstattung des Betrags und der Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. November 2021 verurteilt.


AG Singen – Az.: 1 C 19/22 – Urteil vom 20.05.2022

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 835,20 Euro zu bezahlen nebst Zinsen für das Jahr in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26. November 2021.

2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 16% und die Beklagte 84% zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung der je anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die je andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Entschädigungsanspruch des Reiseveranstalters bei Stornierung des Reisenden vor Annahme
(Symbolfoto: Studio Peace/Shutterstock.com)

Die Klägerin begehrt von der Beklagten nach Stornierung der Buchung einer Pauschalreise Rückerstattung der von der Beklagten eingezogenen Entschädigung in Höhe von 835,20 Euro.

Am 6. Oktober 2021 erklärte die Klägerin – unter Vermittlung des Internetportals […] – gegenüber der Beklagten, eine Pauschalreise nach Antalya/Türkei in der Zeit vom 17. bis zum 22. Oktober 2021 zum Preis von 928,00 Euro buchen zu wollen. Diese Erklärung ging bei der Beklagten um 16.57 Uhr ein, die die Buchungsnummer 21040070 vergab und die Buchungsunterlagen zum Versand an die Klägerin erstellte.

Noch bevor sie eine Buchungsbestätigung der Beklagten erhalten hatte, erklärte die Klägerin – wiederum unter Vermittlung des Internetportals […] – am 6. Oktober 2021 gegenüber der Beklagten, die „Reise stornieren“ zu wollen. Diese weitere Erklärung ging bei der Beklagten um 17.38 Uhr ein.

Am 7. Oktober 2021 erhielt die Klägerin von der Beklagten eine Stornorechnung über 835,20 Euro, welchen Betrag die Beklagte auch sogleich im Lastschriftwege vom Kreditkartenkonto der Klägerin einzog.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe den Stornobetrag rechtsgrundlos erlangt. Ein wirksamer Reisevertrag habe zu keinem Zeitpunkt bestanden. Der klägerische Antrag auf Abschluss des Reisevertrages sei infolge gleichzeitig zugegangenen Widerrufs nicht wirksam geworden. Auch habe die Beklagte den Antrag bis zuletzt nicht angenommen.

Ursprünglich hat die Klägerin auch vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten von 159,94 Euro ersetzt verlangt, die Klage jedoch insoweit wieder zurückgenommen.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 835,20 Euro zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit 26.11.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie macht geltend, die Parteien seien reisevertraglich verbunden. Der Antrag auf Abschluss des Reisevertrages sei der Beklagten gerade nicht gleichzeitig mit der Stornierungserklärung zugegangen. Dass wiederum die Klägerin keine Buchungsunterlagen erhalten habe, werde bestritten. Ungeachtet dessen, liege in der Rücktrittbestätigung bzw. Stornierungsrechnung zugleich die Annahmeerklärung der Beklagten.

Im Vertrauen auf den Rechtsbindungswillen der Klägerin habe die Beklagte zugleich mit der Erstellung der Buchungsbestätigung Flüge reserviert. Diese Reservierung habe sie im weiteren storniert, wofür ihr Konto mit einem Stornobetrag von 480,00 Euro belastet worden sei. Zumindest in diesem Umfang schulde ihr die Klägerin Schadensersatz.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. Am 8. April 2022 hat das Gericht mit Zustimmung der Parteien angeordnet, im schriftlichen Verfahren zu entscheiden.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten Anspruch auf Zahlung von 835,20 Euro (vgl. §§ 812 Abs. 1 Satz 1, 818 Abs. 2 BGB).

In Höhe dieses Betrages hat die Beklagte im Lastschriftwege Geld vom Kreditkartenkonto der Klägerin eingezogen. Auf solche Weise hat die Beklagte eine Leistung der Klägerin erlangt, wenn nicht gar im Vorgehen der Beklagten ein sie bereichernder Eingriff in das klägerische Vermögen liegt.

Ein rechtlicher Grund für diese Vermögensverschiebung fehlt.

So hat die Beklagte gegenüber der Klägerin keinen Anspruch auf Entschädigung erworben. In dem Zeitpunkt, in dem ihr die Stornierungserklärung der Klägerin zuging, war nach dem eigenen Vortrag der Beklagten der Reisevertrag noch nicht zustandegekommen. Vielmehr hatte sie bis dahin lediglich „die Buchungsunterlagen zum Versand an die Klägerin erstellt.“ Einen Anspruch auf Entschädigung hat der Reiseveranstalter aber nur unter der Voraussetzung, dass der Reisevertrag bereits geschlossen war (s. § 651h Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB). Daran aber fehlt es im hier gegebenen Fall des „Rücktritts vor Annahme“. Nach Zugang der Stornierungsbestätigung des Reisevermittlers war kein Raum mehr dafür, den Antrag auf Abschluss des Reisevertrages noch anzunehmen. Im Übrigen lässt sich die Stornierungsrechnung nach §§ 133, 157, 242 BGB nicht im Sinne einer Annahmeerklärung verstehen.

Für eine entsprechende Anwendung des § 651h Abs. 1 Satz 3 ZPO auf Fälle des „Rücktritts vor Annahme“ fehlt es an der planwidrigen Regelungslücke. Die Digitalisierung und Automatisierung führt zu einer gewaltigen Beschleunigung von Lebensvorgängen. Sie gibt dem Reiseveranstalter die Möglichkeit, auf eine vom Reisenden per Mausklick abgegebene Willenserklärung (Antrag) ebenso rasch zu reagieren und seinerseits innerhalb eines Momentes darauf zu antworten (Annahme). Die Leistungsfähigkeit der modernen Kommunikation verschaffen so dem Reiseveranstalter die Möglichkeit, eine Fallkonstellation wie die hier gegebene gar nicht erst entstehen zu lassen. Er kann den Antrag auf Abschluss des Reisevertrages annehmen und im unmittelbaren Anschluss daran, die zur Erfüllung des Vertrages notwendigen Dispositionen treffen.

Ebenso wenig hat die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 480,00 Euro (vgl. §§ 280 Abs. 1, 145, 311 Abs. 2 BGB). Die Rechtsmeinung der Beklagten, die Klägerin habe hier gegen vorvertragliche Pflichten, gegen Sorgfaltspflichten im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses verstoßen, das in der Bindungswirkung des Antrags der Klägerin auf Abschluss des Reisevertrages seinen Grund habe, wird nicht geteilt. Darin, sich, kaum dass sie den Antrag in Richtung der Beklagten abgesendet hatte, gegen das Reisevorhaben entschieden und die Erklärung „Reise stornieren“ abgegeben zu haben, liegt keine Sorgfaltspflichtverletzung, wie ja auch im Rücktritt des Reisenden nach Zustandekommen eines Reisevertrages eine Pflichtverletzung nicht gesehen werden kann. Die Beklagte konnte auch nicht darauf vertrauen, dass sich die Klägerin nicht sogleich, gleichsam von „Vor-Vertragsreue“ erfasst, anders entscheiden und von dem zunächst angestrebten Vertrag wieder abstehen werde. Hier gilt wie allgemein: Solange ein Vertrag nicht zustandegekommen ist, ist grundsätzlich keine der Parteien in ihrer Erwartung geschützt, es werde zum Vertragsschluss kommen. Disponiert sie gleichwohl schon vorher und beschafft sich Dienstleistungen oder Waren Dritter, um ihre voraussichtliche vertragliche Hauptleistungspflicht erfüllen zu können, so ist das ihr Risiko.

Der Anspruch auf die Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 709 ZPO.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind in diesem Urteil relevant:

  • Reiserecht: Das Reiserecht ist hier von besonderer Relevanz, da es sich um eine Stornierung einer Pauschalreise handelt und die Klägerin von der Beklagten die Rückerstattung der Entschädigung für die Stornierung der Buchung verlangt. Die rechtlichen Grundlagen für die Rückzahlung von Entschädigungen im Falle von Stornierungen von Pauschalreisen sind in den §§ 651h, 312 BGB geregelt.
  • Bereicherungsrecht: Das Bereicherungsrecht ist hier relevant, da die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung der von ihr eingezogenen Entschädigung verlangt, für eine Leistung, für die es keinen rechtlichen Grund gibt. Die Klägerin beruft sich auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB.
  • Vertragsrecht: Das Vertragsrecht spielt hier eine Rolle, da die Parteien einen Reisevertrag abschließen wollten und die Klägerin behauptet, dass der Vertrag nie wirksam zustande gekommen sei. Die rechtlichen Grundlagen für den Abschluss von Verträgen sind in den §§ 145 ff. BGB geregelt.
  • Schadensersatzrecht: Das Schadensersatzrecht ist hier relevant, da die Beklagte von der Klägerin Schadensersatz für die Stornierung der Flüge verlangt. Die rechtlichen Grundlagen für Schadensersatzansprüche sind in den §§ 280 ff. BGB geregelt.
  • Zivilprozessrecht: Das Zivilprozessrecht spielt hier eine Rolle, da das Gericht über den Anspruch der Klägerin auf Rückerstattung der Entschädigung entscheiden musste. Die rechtlichen Grundlagen für das Zivilprozessrecht sind in der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt.

Die 5 wichtigsten Aussagen in diesem Urteil:

  1. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Entschädigung, da kein Reisevertrag zustandegekommen ist.
  2. Die Klägerin hat Anspruch auf Rückerstattung der eingezogenen Entschädigung in Höhe von 835,20 Euro.
  3. Die Stornierungsrechnung der Beklagten stellt keine Annahmeerklärung dar.
  4. Die Klägerin hat gegen vorvertragliche Pflichten nicht verstoßen, indem sie die Reise storniert hat.
  5. Die Beklagte muss Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 26. November 2021 zahlen.

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