Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Der Rechtsstreit um stornierte Klassenfahrten
- Hintergrund: Pandemiebedingte Reiseabsagen
- Die Position der Reiseveranstalterin
- Die Position des beklagten Landes
- Das Urteil der Vorinstanz (Landgericht Halle)
- Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt
- Kostenentscheidung und Vollstreckbarkeit
- Bedeutung für Betroffene
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Unter welchen Umständen habe ich als Reiseveranstalter bei einer Klassenfahrtsstornierung Anspruch auf Entschädigung?
- Welche Rolle spielen Reisewarnungen bei der Beurteilung von Stornierungen und Entschädigungsansprüchen?
- Wie berechnet sich die Höhe einer möglichen Entschädigung bei einer unberechtigten Stornierung?
- Welche Beweislast habe ich als Reiseveranstalter, um meinen Entschädigungsanspruch geltend zu machen?
- Welche Fristen muss ich als Reiseveranstalter beachten, um meine Entschädigungsansprüche geltend zu machen?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Hinweise und Tipps
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 4 U 72/22 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt
- Datum: 02.03.2023
- Aktenzeichen: 4 U 72/22
- Verfahrensart: Urteil (im Berufungsverfahren)
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Eine Reiseveranstalterin, die vom beklagten Land eine Entschädigung für stornierte Klassenfahrten fordert. Sie argumentierte, dass die Reisen (u.a. nach Ungarn und Mecklenburg-Vorpommern im Sommer 2020) trotz der Corona-Pandemie durchführbar und zumutbar gewesen wären und die Stornierungen daher voreilig erfolgten.
- Beklagte: Das beklagte Land, das die Entschädigungsforderung der Reiseveranstalterin abwehren wollte.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Eine Reiseveranstalterin verlangte vom beklagten Land eine Entschädigung, weil dieses Klassenfahrten für den Sommer 2020 storniert hatte. Die Stornierungen erfolgten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.
- Kern des Rechtsstreits: Es musste geklärt werden, ob die Stornierung der Klassenfahrten durch das beklagte Land gerechtfertigt war (insbesondere wegen möglicher unzumutbarer Risiken durch die Pandemie) oder ob der Reiseveranstalterin eine Entschädigung zusteht, weil die Reisen möglicherweise doch hätten stattfinden können.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Oberlandesgericht änderte das vorherige Urteil des Landgerichts Halle teilweise ab. Das beklagte Land wurde verurteilt, der Klägerin 2.126,65 € plus Zinsen zu zahlen. Ein Teil der Klage wurde jedoch abgewiesen, und die weitergehende Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
- Folgen: Die Kosten des Rechtsstreits für beide Gerichtsinstanzen wurden aufgeteilt: Die Klägerin trägt 3/4, das beklagte Land 1/4. Das Urteil kann vorläufig vollstreckt werden (d.h., die Zahlung kann eingefordert werden, auch wenn noch weitere Rechtsmittel möglich wären).
Der Fall vor Gericht
Der Rechtsstreit um stornierte Klassenfahrten

Das Oberlandesgericht (OLG) Sachsen-Anhalt hat in einem Berufungsverfahren über Entschädigungsansprüche einer Reiseveranstalterin gegen das Land Sachsen-Anhalt entschieden. Kern des Streits war die Frage, ob das Land für die Stornierung mehrerer Klassenfahrten zu Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 eine Entschädigung zahlen muss. Das OLG änderte das Urteil der Vorinstanz teilweise ab.
Hintergrund: Pandemiebedingte Reiseabsagen
Im Frühjahr 2020 wurden aufgrund der sich ausbreitenden COVID-19-Pandemie zahlreiche Reisen abgesagt. Schulen, vertreten durch das beklagte Land, stornierten geplante Klassenfahrten. Die klagende Reiseveranstalterin forderte daraufhin eine Entschädigung für die ihr entstandenen Kosten und entgangenen Gewinne, da sie die Stornierungen für unberechtigt hielt.
Die Position der Reiseveranstalterin
Die Klägerin argumentierte, die Stornierungen seien voreilig gewesen. Zum Zeitpunkt der Absagen, etwa im Mai 2020, seien bereits Lockerungen der Corona-Maßnahmen absehbar und teilweise beschlossen gewesen. So seien etwa Reisewarnungen angepasst und Beherbergungsbetriebe in Deutschland schrittweise wieder geöffnet worden.
Argumente zur Ungarn-Reise
Speziell für eine geplante Reise nach Budapest (Ungarn) im Juli 2020 führte die Klägerin an, dass die Reisewarnung für Ungarn am 15. Juni 2020 aufgehoben wurde. Ungarn sei zu diesem Zeitpunkt auch laut Robert-Koch-Institut kein Risikogebiet gewesen. Die Durchführung der Busreise und die Unterbringung wären somit möglich gewesen.
Argumente zu Inlandsreisen
Auch für geplante Reisen nach Mecklenburg-Vorpommern (Stralsund, Kühlungsborn) sei die Situation entspannter gewesen. Seit dem 25. Mai 2020 war die Beherbergung von Gästen dort wieder erlaubt. Nach Ansicht der Klägerin bestand keine Notwendigkeit zur Stornierung, auch nicht unter Berücksichtigung des Bildungsauftrags der Schulen.
Forderung und Berechnung
Die Reiseveranstalterin betonte, sie habe ihre Entschädigungsforderung transparent berechnet und dabei alle tatsächlich ersparten Aufwendungen abgezogen. Eine anderweitige Verwendung der gebuchten Leistungen sei nicht möglich gewesen. Staatliche Überbrückungshilfen habe sie für diese speziellen Reisen nicht erhalten, da keine offiziellen Reiseverbote oder Grenzschließungen für die Reisezeiträume bestanden.
Die Position des beklagten Landes
Das Land Sachsen-Anhalt verteidigte die Stornierungen als notwendig und gerechtfertigt. Es verwies auf die erhebliche Unsicherheit und die bestehenden bzw. zu erwartenden Einschränkungen durch die Pandemie zum Zeitpunkt der Stornierungsentscheidungen.
Argumente zur Ungarn-Reise (Stornierung am 12. Mai 2020)
Für die Budapest-Reise argumentierte das Land, dass zum Stornierungszeitpunkt noch eine weltweite Reisewarnung galt, deren Verlängerung über Mitte Juni hinaus wahrscheinlich erschien. In Ungarn selbst hätten erhebliche Einschränkungen wie Ausgangsbeschränkungen und ein Verbot touristischer Reisen bestanden. Auch wenn Lockerungen später erfolgten, war dies im Mai nicht sicher absehbar.
Unzumutbarkeit der Durchführung
Das Land betonte, dass das öffentliche Leben in Budapest stark eingeschränkt war, was die Durchführung einer Klassenfahrt mit ihrem spezifischen Programm und Zielen unmöglich oder zumindest unzumutbar gemacht hätte. Es berief sich auf Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände gemäß § 651h Abs. 3 BGB, die einen kostenfreien Rücktritt rechtfertigen würden.
Das Urteil der Vorinstanz (Landgericht Halle)
Das Landgericht Halle hatte die Klage der Reiseveranstalterin in erster Instanz (Az. 3 O 159/21) weitgehend abgewiesen. Es folgte offenbar der Argumentation des Landes, dass die Stornierungen aufgrund der pandemischen Lage gerechtfertigt waren und somit keine Entschädigungspflicht bestand. Gegen dieses Urteil legte die Reiseveranstalterin Berufung ein.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Sachsen-Anhalt
Das OLG Sachsen-Anhalt (Az. 4 U 72/22) gab der Berufung der Klägerin teilweise statt. Es änderte das Urteil des Landgerichts ab und verurteilte das beklagte Land zur Zahlung von 2.126,65 Euro nebst Zinsen an die Reiseveranstalterin. Die weitergehende Klage und Berufung wurden jedoch abgewiesen.
Differenzierte Betrachtung der Reisen
Das OLG nahm offenbar eine differenzierte Bewertung der einzelnen stornierten Reisen vor. Die Entscheidung deutet darauf hin, dass das Gericht nicht alle Stornierungen pauschal als gerechtfertigt ansah. Wahrscheinlich prüfte es für jede Reise einzeln, ob zum Zeitpunkt der Stornierung tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorlagen, die eine Durchführung erheblich beeinträchtigt hätten.
Maßgeblicher Zeitpunkt: Die Stornierungserklärung
Entscheidend für die Beurteilung ist nicht die tatsächliche Lage zum geplanten Reisezeitpunkt, sondern die Situation und die Prognose zum Zeitpunkt der Stornierungserklärung durch die Schulen bzw. das Land. War die Absage zu diesem Zeitpunkt aufgrund der bekannten Fakten und einer vernünftigen Prognose gerechtfertigt (Kostenfreier Rücktritt nach § 651h Abs. 3 BGB) oder war sie voreilig (Entschädigungsanspruch des Veranstalters nach § 651h Abs. 5 BGB)?
Begründung des Teilerfolgs (Interpretation)
Dass das OLG der Klägerin einen Teilbetrag zusprach, lässt darauf schließen, dass es zumindest für einige der Reisen die Voraussetzungen für einen kostenfreien Rücktritt als nicht erfüllt ansah. Möglicherweise waren für bestimmte Reisen (z.B. die Inlandsreisen oder später stornierte Fahrten) die Einschränkungen zum Stornierungszeitpunkt nicht gravierend genug oder die Prognose einer Besserung realistischer.
Abweisung des Großteils der Forderung
Die Abweisung des überwiegenden Teils der Klage zeigt jedoch, dass das OLG die Stornierungen in anderen Fällen (vermutlich insbesondere die frühzeitig stornierte Budapest-Reise) als berechtigt einstufte. Hier wogen die Unsicherheit und die damals geltenden bzw. drohenden Beschränkungen schwerer.
Kostenentscheidung und Vollstreckbarkeit
Die Kosten des Rechtsstreits über beide Instanzen wurden entsprechend dem Teilerfolg aufgeteilt: Die Klägerin trägt 3/4 der Kosten, das beklagte Land 1/4. Das Urteil ist Vorläufig vollstreckbar, das Land muss den zugesprochenen Betrag also zunächst zahlen.
Bedeutung für Betroffene
Für Reisende (Schulen, Eltern, Schüler)
Das Urteil verdeutlicht das finanzielle Risiko einer frühen Stornierung aufgrund unsicherer Prognosen. Ein kostenfreier Rücktritt wegen „unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände“ (§ 651h Abs. 3 BGB) ist nur gerechtfertigt, wenn diese Umstände zum Zeitpunkt der Stornierung bereits vorliegen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind und die Reise erheblich beeinträchtigen. Allgemeine Unsicherheit oder die bloße Möglichkeit zukünftiger Probleme reichen nicht aus. Schulen und andere Reisende müssen die Lage zum Stornierungszeitpunkt genau prüfen.
Für Reiseveranstalter
Für Reiseveranstalter bestätigt das Urteil, dass sie bei voreiligen Stornierungen durch Kunden grundsätzlich Anspruch auf eine angemessene Entschädigung haben (§ 651h Abs. 5 BGB). Sie müssen jedoch darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Voraussetzungen für einen kostenfreien Rücktritt nicht vorlagen. Die Höhe der Entschädigung bemisst sich nach dem Reisepreis abzüglich ersparter Aufwendungen und möglicher anderweitiger Verwendung der Reiseleistungen. Die Beweislast für die Angemessenheit der geforderten Entschädigung liegt beim Veranstalter.
Rechtliche Einordnung
Die Entscheidung reiht sich ein in eine Vielzahl von Urteilen zur Auslegung des § 651h BGB im Kontext der Corona-Pandemie. Sie unterstreicht die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung, bei der die spezifischen Umstände der Reise (Zielort, Reisezeit, Art der Reise) und die konkrete Situation zum Zeitpunkt der Stornierung maßgeblich sind. Pauschale Bewertungen sind oft nicht möglich.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass bei der Stornierung von Reisen während der COVID-19-Pandemie der genaue Zeitpunkt des Rücktritts entscheidend ist – zu frühe Stornierungen können zu Entschädigungspflichten führen, wenn sich die Situation bis zum geplanten Reisezeitpunkt entspannt hat. Reiseveranstalter haben Anspruch auf angemessene Entschädigung, müssen jedoch Ersparte Aufwendungen transparent darlegen und nachweisen, dass keine anderweitige Verwendung der Leistungen möglich war. Im konkreten Fall wurde dem Reiseveranstalter eine Teilentschädigung zugesprochen, was zeigt, dass Gerichte bei der Bewertung von pandemiebedingten Stornierungen differenziert vorgehen und sowohl die tatsächliche Reiselage zum geplanten Zeitpunkt als auch die Vorhersehbarkeit von Lockerungen berücksichtigen.
Benötigen Sie Hilfe?
Entschädigung bei Stornierung von Reiseleistungen
Sie haben aufgrund von unerwarteten Ereignissen eine Reise stornieren müssen und sehen sich nun mit unberechtigten Stornogebühren konfrontiert? Die rechtliche Beurteilung, ob eine Stornierung gerechtfertigt ist und welche Ansprüche Ihnen zustehen, hängt von den individuellen Umständen zum Zeitpunkt der Absage ab. Eine pauschale Lösung gibt es hier meist nicht.
Wir prüfen Ihren Fall sorgfältig und bewerten Ihre Erfolgsaussichten. Durch eine fundierte rechtliche Einschätzung helfen wir Ihnen, Ihre Ansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter geltend zu machen oder unberechtigte Forderungen abzuwehren. Kontaktieren Sie uns für eine erste Einschätzung Ihrer Situation.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Unter welchen Umständen habe ich als Reiseveranstalter bei einer Klassenfahrtsstornierung Anspruch auf Entschädigung?
Ob Sie als Reiseveranstalter bei der Stornierung einer Klassenfahrt Anspruch auf eine Entschädigung haben, hängt entscheidend davon ab, warum die Reise storniert wird.
Grundsätzlich gilt: Wenn Ihr Vertragspartner (meist die Schule oder der Schulträger) die gebuchte Klassenfahrt storniert, haben Sie als Reiseveranstalter oft Anspruch auf eine angemessene Entschädigung. Diese wird häufig als Stornogebühr bezeichnet und ist meist in Ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) pauschal festgelegt. Der Gedanke dahinter ist, dass Ihnen durch die Stornierung Kosten entstanden sind und Gewinn entgeht.
Wann besteht ein Anspruch auf Entschädigung (Stornogebühr)?
Ein Anspruch auf Entschädigung besteht für Sie als Veranstalter in der Regel dann, wenn der Kunde (Schule/Schulträger) die Reise ohne Vorliegen von „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen“ storniert.
- Das bedeutet: Die Stornierung erfolgt aus Gründen, die nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sind (z.B. interne organisatorische Gründe der Schule, zu wenige Anmeldungen unterhalb einer vereinbarten Mindestteilnehmerzahl, wenn dies vertraglich so geregelt ist, oder rein subjektive Bedenken ohne konkrete Gefahr).
- In diesen Fällen können Sie die vertraglich vereinbarten Stornogebühren verlangen. Diese sollen Ihre bereits getätigten Aufwendungen (z.B. für gebuchte Unterkünfte, Transportmittel) und den entgangenen Gewinn zumindest teilweise abdecken. Die Höhe ist gesetzlich geregelt und muss angemessen sein (§ 651h Abs. 1 und 2 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB).
Wann entfällt der Anspruch auf Entschädigung?
Ihr Anspruch auf eine Entschädigung entfällt jedoch, wenn die Stornierung aufgrund von „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen“ erfolgt.
- Dies sind Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle der Beteiligten liegen und die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen oder unmöglich machen. Dazu zählen zum Beispiel:
- Naturkatastrophen (Überschwemmungen, Vulkanausbrüche etc.) am Reiseziel.
- Kriegerische Auseinandersetzungen oder schwere politische Unruhen.
- Ausbruch schwerer Krankheiten (Epidemien, Pandemien) mit entsprechenden Folgen vor Ort.
- Behördliche Anordnungen, die die Reise direkt verhindern (z.B. Reiseverbote, Schließung von Grenzen oder Unterkünften, Verbot von Klassenfahrten durch Schulbehörden).
- Wichtig: Diese Umstände müssen am Reiseziel oder in dessen unmittelbarer Nähe auftreten und die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung dorthin erheblich beeinträchtigen (§ 651h Abs. 3 BGB).
- Liegen solche Umstände vor, kann der Kunde die Reise kostenfrei stornieren. Sie als Veranstalter verlieren dann Ihren Anspruch auf den Reisepreis und somit auch auf eine Entschädigung bzw. Stornogebühr. Bereits geleistete Anzahlungen müssen Sie zurückerstatten.
Was ist bei Reisewarnungen zu beachten?
Eine häufige Frage betrifft Reisewarnungen des Auswärtigen Amts. Hier ist zu unterscheiden:
- Eine allgemeine oder pauschale Reisewarnung allein führt nicht automatisch dazu, dass der Kunde kostenfrei stornieren kann und Ihr Entschädigungsanspruch entfällt. Es kommt immer auf die konkrete Situation vor Ort an. Ist die Reise trotz der Warnung objektiv ohne erhebliche Beeinträchtigung durchführbar?
- Anders sieht es aus, wenn die Reisewarnung auf konkreten Gefahren oder Umständen beruht, die unter die „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände“ fallen (z.B. eine Warnung wegen eines konkreten Terrordrohung oder einer Naturkatastrophe am Zielort).
- Verbindliche behördliche Anordnungen (z.B. ein offizielles Verbot von Klassenfahrten durch das zuständige Kultusministerium oder ein Beherbergungsverbot am Zielort) sind in der Regel ein klarer Fall von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, die eine kostenfreie Stornierung rechtfertigen und Ihren Entschädigungsanspruch ausschließen.
Für Sie als Reiseveranstalter ist also entscheidend, objektiv zu prüfen, ob die Gründe für die Stornierung tatsächlich „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ darstellen, die eine Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen oder unmöglich machen. Nur wenn dies nicht der Fall ist, besteht in der Regel ein Anspruch auf Entschädigung (Stornogebühr).
Welche Rolle spielen Reisewarnungen bei der Beurteilung von Stornierungen und Entschädigungsansprüchen?
Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist ein wichtiges Signal, aber sie führt nicht automatisch dazu, dass eine gebuchte Reise, wie zum Beispiel eine Klassenfahrt, kostenlos storniert werden kann. Entscheidend ist die rechtliche Bewertung der Situation am Reiseziel.
Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände als Schlüssel
Das Gesetz spricht von „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen“ am Reiseziel oder in dessen unmittelbarer Nähe, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung dorthin erheblich beeinträchtigen. Nur wenn solche Umstände vorliegen, kann eine Pauschalreise (zu denen Klassenfahrten oft zählen) vor Reisebeginn kostenlos storniert werden. Gemeint sind Situationen, die nicht kontrollierbar sind und deren Folgen sich auch mit zumutbaren Vorkehrungen nicht hätten vermeiden lassen, wie zum Beispiel Kriegsausbrüche, schwere Naturkatastrophen oder der Ausbruch gefährlicher Krankheiten.
Die Bedeutung einer Reisewarnung
Eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes ist ein starkes Indiz dafür, dass solche außergewöhnlichen Umstände vorliegen könnten. Gerichte berücksichtigen solche Warnungen bei ihrer Entscheidung oft maßgeblich. Sie signalisiert eine ernsthafte Gefahr für Reisende.
Allerdings kommt es immer auf den Einzelfall an:
- Konkrete Gefahr: Die Reisewarnung allein reicht nicht immer aus. Es muss geprüft werden, ob die Gründe für die Warnung (z.B. Unruhen, Epidemie) die geplante Reise tatsächlich und konkret erheblich beeinträchtigen. Eine Warnung für ein ganzes Land bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine Klassenfahrt in einer bestimmten, vielleicht weit entfernten und ruhigen Region unmöglich oder unzumutbar ist.
- Zeitpunkt der Stornierung: Die außergewöhnlichen Umstände müssen zum Zeitpunkt des geplanten Reiseantritts (oder kurz davor mit hoher Wahrscheinlichkeit) vorliegen. Wer sehr lange im Voraus allein aufgrund einer bestehenden Warnung storniert, obwohl sich die Lage bis zur Reise noch ändern könnte, hat nicht automatisch das Recht auf eine kostenlose Stornierung. Die Prognose muss sich auf den Reisezeitraum beziehen.
- Besonderheiten bei Klassenfahrten: Bei Klassenfahrten spielt die Fürsorgepflicht der Schule gegenüber den minderjährigen Schülern eine besondere Rolle. Die Schwelle dafür, wann eine Reise als „erheblich beeinträchtigt“ oder unzumutbar gilt, kann hier niedriger liegen als bei Reisen von Erwachsenen. Eine Reisewarnung kann hier daher ein noch stärkeres Gewicht haben.
Kostenlose Stornierung vs. Entschädigung
Liegen tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vor, die zur Stornierung berechtigen, muss der Reiseveranstalter den bereits gezahlten Reisepreis zurückerstatten.
Ein Anspruch auf zusätzlichen Schadensersatz (z.B. wegen entgangener Freude an der Reise oder für nutzlos gewordene Anschaffungen) besteht in diesem Fall jedoch nicht. Der Grund dafür ist, dass der Reiseveranstalter die außergewöhnlichen Umstände nicht zu verantworten hat.
Es ist also wichtig zu verstehen, dass eine Reisewarnung ein gewichtiger Faktor, aber kein Freibrief für eine kostenlose Stornierung ist. Die konkreten Umstände am Reiseziel und deren Auswirkungen auf die spezifische Reise sind entscheidend.
Wie berechnet sich die Höhe einer möglichen Entschädigung bei einer unberechtigten Stornierung?
Wird eine Klassenfahrt unberechtigt storniert, soll derjenige, der dadurch einen finanziellen Nachteil erleidet (in der Regel der Reiseveranstalter oder Anbieter der Leistung), grundsätzlich so gestellt werden, als wäre der Vertrag wie geplant durchgeführt worden. Es geht also darum, den entstandenen wirtschaftlichen Schaden auszugleichen.
Welche Kosten können ersetzt werden?
Zur Berechnung der Entschädigungshöhe wird ermittelt, welcher finanzielle Schaden konkret durch die Stornierung entstanden ist. Dazu gehören typischerweise:
- Bereits entstandene Kosten: Das sind Ausgaben, die der Anbieter schon getätigt hat und die er aufgrund der Stornierung nicht mehr zurückbekommt. Beispiele hierfür sind nicht stornierbare Anzahlungen für die Unterkunft, fest gebuchte Busunternehmen oder im Voraus bezahlte Eintrittskarten für Attraktionen, die nicht erstattet werden.
- Entgangener Gewinn: Wenn der Anbieter nachweisen kann, dass ihm durch die Stornierung ein konkreter Gewinn entgangen ist, kann dieser ebenfalls Teil der Entschädigung sein. Der kalkulierte Gewinn für diese spezielle Klassenfahrt muss jedoch belegt werden können.
Wichtig ist: Alle diese Kosten müssen nachgewiesen werden. Das geschieht üblicherweise durch Rechnungen, Buchungsbestätigungen, Verträge und interne Kalkulationsunterlagen.
Was wird von der Entschädigung abgezogen?
Von dem so ermittelten Schaden müssen bestimmte Posten wieder abgezogen werden. Man spricht hier von der Vorteilsausgleichung. Das bedeutet:
- Ersparte Aufwendungen: Alle Kosten, die der Anbieter dadurch spart, dass die Klassenfahrt nicht stattfindet, mindern die Entschädigungshöhe. Das können zum Beispiel Kosten für Verpflegung sein, die nun nicht mehr eingekauft werden muss, oder Kosten für Guides oder Betreuer, die nicht mehr bezahlt werden müssen. Alles, was durch die Absage an Ausgaben vermieden wird, wird abgezogen.
- Staatliche Hilfen oder Versicherungsleistungen: Sollte der Anbieter für den Ausfall der Klassenfahrt staatliche Unterstützung (wie z.B. bestimmte Corona-Hilfen, falls thematisch passend und ursächlich) oder Zahlungen von einer Versicherung erhalten haben, müssen diese ebenfalls angerechnet werden, soweit sie denselben Schaden abdecken. Es soll keine doppelte Kompensation erfolgen.
- Anderweitige Verwendung: Konnte der Anbieter die gebuchten Leistungen (z.B. Bus, Unterkunft) anderweitig nutzen oder verkaufen, muss der daraus erzielte Erlös ebenfalls abgezogen werden.
Wie sieht die Berechnung aus?
Vereinfacht lässt sich die Berechnung oft so darstellen:
Entschädigung = Nachweisbare entstandene Kosten + Nachweisbarer entgangener Gewinn – Ersparte Aufwendungen – Erhaltene staatliche Hilfen/Versicherungsleistungen/Anderweitige Erlöse
Diese Berechnung ermittelt den tatsächlichen finanziellen Nachteil, der durch die unberechtigte Stornierung entstanden ist und ausgeglichen werden soll.
Welche Beweislast habe ich als Reiseveranstalter, um meinen Entschädigungsanspruch geltend zu machen?
Grundsätzlich gilt im Zivilprozess: Wer einen Anspruch geltend macht, muss auch die Voraussetzungen für diesen Anspruch beweisen. Als Reiseveranstalter müssen Sie also darlegen und im Streitfall beweisen, dass Ihnen nach der Stornierung einer Klassenfahrt durch den Kunden (z.B. die Schule oder der Schulträger) ein Entschädigungsanspruch zusteht.
Was müssen Sie grundsätzlich nachweisen?
Um Ihren Anspruch auf eine Entschädigungszahlung erfolgreich durchzusetzen, müssen Sie üblicherweise Folgendes nachweisen können:
- Das Bestehen eines wirksamen Reisevertrags: Sie müssen belegen, dass ein gültiger Vertrag über die Klassenfahrt zwischen Ihnen und dem Kunden zustande gekommen ist.
- Den Rücktritt des Kunden vor Reisebeginn: Sie müssen nachweisen, dass der Kunde die Reise tatsächlich storniert hat. Das Datum der Stornierung ist oft entscheidend für die Höhe der Entschädigung.
- Die Grundlage für die Höhe Ihrer Forderung: Sie müssen aufzeigen, wie sich die geforderte Entschädigung zusammensetzt. Dies hängt davon ab, ob Sie eine Pauschale verlangen oder konkret abrechnen.
Welche Dokumente sind typischerweise wichtig?
Als Beweismittel dienen vor allem schriftliche Unterlagen. Sammeln und bewahren Sie daher alle relevanten Dokumente sorgfältig auf. Dazu gehören insbesondere:
- Der Reisevertrag oder die Buchungsbestätigung: Dieses Dokument belegt den Vertragsabschluss, die vereinbarten Leistungen, den Reisepreis und oft auch die Einbeziehung Ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).
- Ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB): Wenn Sie eine pauschale Stornierungsentschädigung fordern, müssen Sie nachweisen, dass Ihre AGB mit der entsprechenden Klausel wirksam in den Vertrag einbezogen wurden.
- Die Stornierungsmitteilung des Kunden: Dies ist der Nachweis, dass und wann der Kunde vom Vertrag zurückgetreten ist (z.B. per E-Mail, Brief).
- Kostenaufstellungen, Rechnungen, Kalkulationen: Wenn Sie keine Pauschale verlangen oder eine höhere Entschädigung fordern, müssen Sie detailliert nachweisen, welche Kosten Ihnen entstanden sind (z.B. bereits bezahlte Hotelkosten, Busreservierungen) und welche Aufwendungen Sie eventuell gespart haben oder durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen (z.B. Weiterverkauf von Plätzen) erzielen konnten oder hätten erzielen können.
- Sonstige Korrespondenz: Jeglicher Schriftverkehr mit dem Kunden, der für den Sachverhalt relevant ist.
Besonderheiten bei der Entschädigungshöhe
Die Beweislast für die Höhe der Entschädigung ist unterschiedlich verteilt:
- Pauschale Entschädigung (Stornostaffel): Haben Sie in Ihren AGB eine wirksame Stornopauschale vereinbart (z.B. ein bestimmter Prozentsatz des Reisepreises je nach Zeitpunkt der Stornierung), genügt es in der Regel, den Vertragsschluss, die wirksame Einbeziehung der AGB und die Stornierung durch den Kunden nachzuweisen. Der Kunde trägt dann die Beweislast dafür, dass Ihnen tatsächlich kein oder ein wesentlich geringerer Schaden entstanden ist, als die geforderte Pauschale (§ 651h Abs. 3 S. 4 BGB).
- Konkrete Berechnung: Verzichten Sie auf eine Pauschale oder ist diese unwirksam, müssen Sie als Reiseveranstalter konkret darlegen und beweisen, wie hoch Ihr Schaden ist. Sie müssen also Ihre getätigten Aufwendungen (z.B. für Unterkünfte, Transport) abzüglich Ihrer ersparten Aufwendungen und dessen, was Sie durch anderweitige Verwendung der Reiseleistungen erwerben konnten, nachweisen.
Wie werden die Beweise genutzt?
Kommt es zu einem Rechtsstreit, müssen Sie dem Gericht die relevanten Dokumente und Informationen als Beweismittel vorlegen. Das Gericht prüft dann anhand dieser Beweise, ob Ihr Anspruch auf Entschädigung besteht und wie hoch dieser ist. Eine sorgfältige und lückenlose Dokumentation aller Vorgänge von der Buchung bis zur Stornierung ist daher entscheidend, um Ihre Position im Streitfall stärken zu können.
Welche Fristen muss ich als Reiseveranstalter beachten, um meine Entschädigungsansprüche geltend zu machen?
Wenn eine Klassenfahrt storniert wird und Sie als Reiseveranstalter deshalb einen Entschädigungsanspruch haben (zum Beispiel auf vereinbarte Stornierungsgebühren), müssen Sie bestimmte Fristen beachten, damit Ihr Anspruch nicht verfällt. Dieser Vorgang wird juristisch als Verjährung bezeichnet.
Die regelmäßige Verjährungsfrist
Für die meisten Ansprüche auf Zahlung, wie auch den Anspruch auf eine Stornierungsentschädigung nach § 651h Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), gilt die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Das ist in § 195 BGB festgelegt.
Das bedeutet: Sie haben grundsätzlich drei Jahre Zeit, um Ihren Anspruch geltend zu machen, zum Beispiel indem Sie ihn gerichtlich durchsetzen.
Wann beginnt diese Frist zu laufen?
Die dreijährige Frist beginnt nicht sofort mit der Stornierung, sondern erst am Ende des Jahres, in dem zwei Bedingungen erfüllt sind (§ 199 Abs. 1 BGB):
- Der Anspruch ist entstanden: Das ist bei einer Stornierungsentschädigung in der Regel der Zeitpunkt, an dem die Stornierungserklärung des Kunden (z.B. der Schule oder des Schulträgers) bei Ihnen eingeht und der Anspruch auf die Entschädigung fällig wird.
- Sie als Reiseveranstalter haben Kenntnis von den Umständen, die den Anspruch begründen (also von der Stornierung) und von der Person des Schuldners (also dem Kunden, der storniert hat), oder Sie hätten diese Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müssen.
Praktisch heißt das oft: Wenn die Klassenfahrt beispielsweise im Mai 2023 storniert wurde, beginnt die dreijährige Verjährungsfrist am 31. Dezember 2023 zu laufen und endet somit am 31. Dezember 2026.
Wie kann die Frist beeinflusst werden? (Hemmung und Neubeginn)
Die laufende Verjährungsfrist ist nicht immer starr. Es gibt Ereignisse, die die Frist beeinflussen können:
- Hemmung der Verjährung: Man kann sich das wie ein Anhalten der Stoppuhr vorstellen. Bestimmte Ereignisse sorgen dafür, dass die Zeitspanne, in der sie andauern, nicht in die Verjährungsfrist eingerechnet wird (§ 209 BGB). Die Uhr läuft erst weiter, wenn das Ereignis beendet ist. Eine Hemmung tritt zum Beispiel ein, wenn:
- Sie mit dem Kunden (Schule/Träger) über den Anspruch verhandeln (§ 203 BGB). Die Hemmung dauert so lange, wie die Verhandlungen andauern und endet erst, wenn eine Seite die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert. Die Verjährung tritt dann frühestens drei Monate nach Ende der Hemmung ein.
- Sie rechtliche Schritte einleiten, um Ihren Anspruch durchzusetzen, zum Beispiel durch Einreichung einer Klage bei Gericht oder die Zustellung eines gerichtlichen Mahnbescheids (§ 204 BGB). Die Hemmung endet hier in der Regel erst einige Zeit nach Abschluss des Verfahrens.
- Neubeginn der Verjährung: Hier wird die Stoppuhr quasi auf null zurückgesetzt und die volle dreijährige Frist beginnt von Neuem zu laufen (§ 212 BGB). Ein Neubeginn tritt beispielsweise ein, wenn:
- Der Kunde (Schule/Träger) Ihren Anspruch anerkennt, zum Beispiel indem er eine Abschlagszahlung oder eine Teilzahlung auf die Stornogebühren leistet.
- Eine gerichtliche Vollstreckungsmaßnahme (z.B. eine Pfändung) beantragt oder durchgeführt wird.
Das Einhalten dieser Fristen ist entscheidend, denn nach Ablauf der Verjährungsfrist kann der Kunde die Zahlung verweigern, selbst wenn der Anspruch ursprünglich berechtigt war. Man spricht dann davon, dass der Schuldner die „Einrede der Verjährung“ erheben kann.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände
Dies sind Ereignisse, die außerhalb der Kontrolle der Person liegen, die sich darauf beruft (hier: das Land für die Schulen), und deren Folgen sich auch bei Ergreifung aller zumutbaren Vorkehrungen nicht hätten vermeiden lassen. Solche Umstände müssen die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen oder verhindern. Das Gesetz (§ 651h Abs. 3 BGB) erlaubt Reisenden bei Vorliegen solcher Umstände am Reiseziel oder in dessen unmittelbarer Nähe, kostenfrei vom Reisevertrag zurückzutreten. Im Text beruft sich das Land darauf, dass die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen (z. B. Reisewarnungen, Schließungen, Ausgangsbeschränkungen) solche Umstände darstellten, die die Klassenfahrten erheblich beeinträchtigt hätten.
Beispiel: Eine plötzlich ausbrechende Epidemie am Urlaubsort mit behördlichen Einschränkungen, ein unerwarteter Vulkanausbruch, der den Flugverkehr lahmlegt, oder kriegerische Auseinandersetzungen können solche Umstände sein. Allgemeine Unsicherheit oder schlechtes Wetter reichen meist nicht aus.
Entschädigungsanspruch
Ein Entschädigungsanspruch ist das Recht, von jemand anderem Ersatz für einen erlittenen Nachteil oder Schaden zu verlangen. Im Pauschalreiserecht hat der Reiseveranstalter gemäß § 651h Abs. 5 BGB einen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung, wenn der Reisende (hier: das Land für die Schulen) vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Rücktritt nicht aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände erfolgte. Die Reiseveranstalterin im Text fordert eine solche Entschädigung, weil sie die Stornierungen teilweise für unberechtigt („voreilig“) hielt. Die Höhe der Entschädigung ist gesetzlich nicht festgelegt, sondern richtet sich nach dem Reisepreis abzüglich ersparter Aufwendungen und möglicher anderweitiger Verwendung der Reiseleistungen.
Beispiel: Wenn ein Kunde eine Reise einfach absagt, weil er keine Lust mehr hat (und keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen), muss er dem Veranstalter in der Regel eine Stornogebühr zahlen, die diese angemessene Entschädigung darstellt.
Kostenfreier Rücktritt
Dies bezeichnet das Recht eines Reisenden, eine gebuchte Pauschalreise vor Reisebeginn zu stornieren, ohne dafür Stornogebühren oder eine Entschädigung an den Reiseveranstalter zahlen zu müssen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist nach § 651h Abs. 3 BGB das Vorliegen von „unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen“ am Reiseziel oder in dessen unmittelbarer Nähe, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im vorliegenden Fall argumentierte das Land, dass die Pandemiebedingungen einen solchen kostenfreien Rücktritt für die Klassenfahrten rechtfertigten. Stellt ein Gericht – wie hier teilweise geschehen – fest, dass die Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Stornierung nicht vorlagen, war der Rücktritt nicht kostenfrei, und der Veranstalter kann eine Entschädigung fordern.
Ersparte Aufwendungen
Das sind Kosten, die der Reiseveranstalter infolge der Stornierung einer Reise nicht mehr tätigen muss und somit einspart. Wenn der Reiseveranstalter eine Entschädigung vom zurücktretenden Reisenden fordert (§ 651h Abs. 5 BGB), muss er diese ersparten Kosten von seiner Forderung (die sich am Reisepreis orientiert) abziehen. Dazu gehören zum Beispiel nicht mehr anfallende Kosten für bereits gebuchte, aber noch stornierbare Hotelzimmer, nicht mehr benötigte Verpflegung, stornierte Eintrittsgelder oder nicht mehr anfallende Transportkosten. Die Klägerin im Text betonte, sie habe solche ersparten Aufwendungen bei der Berechnung ihrer Forderung bereits abgezogen.
Beispiel: Bei einer stornierten Klassenfahrt spart der Veranstalter vielleicht die Kosten für den Bus (Treibstoff, Fahrerlohn) oder die gebuchten Jugendherbergsbetten, wenn er diese Verträge seinerseits noch kostenfrei kündigen konnte.
Vorläufig vollstreckbar
Dies bedeutet, dass der Inhalt eines Gerichtsurteils sofort umgesetzt werden kann, auch wenn das Urteil noch nicht endgültig (rechtskräftig) ist. Derjenige, der laut Urteil einen Anspruch hat (hier: die Reiseveranstalterin auf Zahlung von 2.126,65 Euro), kann die Zwangsvollstreckung gegen den Verpflichteten (hier: das Land) einleiten, beispielsweise durch Pfändung. Dies soll sicherstellen, dass der erfolgreiche Kläger nicht unangemessen lange auf die Durchsetzung seines Rechts warten muss, nur weil der Gegner theoretisch noch ein Rechtsmittel einlegen könnte (ob dies hier überhaupt möglich ist, geht aus dem Text nicht hervor). Das Land musste den zugesprochenen Betrag also nach diesem Urteil zunächst zahlen.
Beweislast
Die Beweislast regelt, welche Partei in einem Gerichtsverfahren bestimmte Tatsachen beweisen muss, um mit ihrem Vortrag Erfolg zu haben. Kann eine Partei die für sie sprechenden Tatsachen, für die sie die Beweislast trägt, nicht zur Überzeugung des Gerichts nachweisen, wird das Gericht diese Tatsachen als nicht gegeben ansehen, was meist zum Verlust des Anspruchs oder der Verteidigung in diesem Punkt führt. Im Kontext des Falls bedeutet dies: Das Land musste beweisen, dass zum Zeitpunkt der Stornierung tatsächlich „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ (§ 651h Abs. 3 BGB) vorlagen, die den kostenfreien Rücktritt rechtfertigten. Die Reiseveranstalterin musste ihrerseits darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass die Voraussetzungen für einen kostenfreien Rücktritt nicht vorlagen und dass die von ihr geforderte Entschädigung (§ 651h Abs. 5 BGB) der Höhe nach angemessen ist (also z.B. ersparte Aufwendungen korrekt abgezogen wurden).
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 651h Abs. 3 BGB (Minderung des Reisepreises): Dieser Paragraph regelt die Minderung des Reisepreises, wenn die Reiseleistungen nicht vertragsgemäß erbracht werden. Eine Minderung kommt in Betracht, wenn Mängel vorliegen, die den Wert der Reise beeinträchtigen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Obwohl es hier um Stornierung geht, ist § 651h BGB relevant, da er das allgemeine Konzept der Reisepreisminderung bei Reisemängeln etabliert, welches im weiteren Sinne auch bei Störungen durch außergewöhnliche Umstände eine Rolle spielen kann, indem er die Rechte des Reisenden bei Leistungsstörungen definiert.
- § 651j BGB (Kündigung wegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände): Dieser Paragraph erlaubt sowohl dem Reisenden als auch dem Reiseveranstalter die Kündigung des Pauschalreisevertrages, wenn die Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände erheblich beeinträchtigt wird. Im Falle einer Kündigung entfällt der Anspruch auf den Reisepreis, es können aber Entschädigungsansprüche des Reiseveranstalters entstehen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Dieser Paragraph ist zentral, da die Stornierung der Klassenfahrten aufgrund der COVID-19 Pandemie und Reisewarnungen erfolgte, welche potenziell als unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände gelten können. Das Gericht musste prüfen, ob diese Umstände zum Zeitpunkt der Stornierung vorlagen und eine Kündigung rechtfertigten.
- Art. 250 § 10 EGBGB i.V.m. § 6 Abs. 1 BGB-InfoV (Informationspflichten bei Pauschalreiseverträgen): Diese Normen verpflichten den Reiseveranstalter, den Reisenden vor Vertragsschluss umfassend über die Reise und insbesondere über außergewöhnliche Umstände und Risiken am Zielort zu informieren. Verletzt der Reiseveranstalter diese Pflichten, kann dies Auswirkungen auf seine Rechtsposition im Streitfall haben. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Auch wenn der Fokus des Urteils auf der Stornierung lag, sind die Informationspflichten relevant, da eine korrekte Information der Reisenden im Vorfeld die Grundlage für eine transparente und rechtssichere Abwicklung von Reiseverträgen bildet, insbesondere in Krisenzeiten.
- Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes: Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes sind zwar keine Gesetze, aber sie sind offizielle Empfehlungen des Staates und dienen dem Schutz deutscher Staatsbürger im Ausland. Sie haben eine starke Indizwirkung für das Vorliegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände im Sinne des § 651j BGB. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für Ungarn spielte eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung, ob die Stornierung der Reise gerechtfertigt war. Das Gericht musste bewerten, inwieweit die Reisewarnung und die tatsächliche Situation in Ungarn zum Zeitpunkt der Stornierung eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise darstellten.
Hinweise und Tipps
Praxistipps für Reiseveranstalter bei Stornierung von Klassenfahrten durch Schulen wegen Corona
Gerade bei Klassenfahrten kam es während der Corona-Pandemie häufig zu Stornierungen durch Schulen oder Behörden. Nicht immer ist klar, wer die Kosten dafür tragen muss. Ein aktuelles Urteil zeigt, dass Veranstalter unter Umständen Anspruch auf Entschädigung haben können.
Hinweis: Diese Praxistipps stellen keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzen keine individuelle Prüfung durch eine qualifizierte Kanzlei. Jeder Einzelfall kann Besonderheiten aufweisen, die eine abweichende Einschätzung erfordern.
Tipp 1: Prüfen Sie Stornierungen durch Schulen genau
Nicht jede Stornierung einer Klassenfahrt durch eine Schule oder Behörde wegen der allgemeinen Corona-Lage ist automatisch gerechtfertigt und befreit von Zahlungspflichten. Entscheidend ist, ob die konkrete Reise zum geplanten Zeitpunkt tatsächlich unzumutbar oder unmöglich gewesen wäre. Eine pauschale Absage aller Fahrten muss nicht hingenommen werden, wenn einzelne Reisen hätten stattfinden können.
Tipp 2: Fordern Sie ggf. Stornogebühren oder Entschädigung
Wenn eine Schule eine Klassenfahrt storniert, prüfen Sie, ob Ihnen vertraglich oder gesetzlich Stornogebühren oder eine Entschädigung zustehen. Dies kann der Fall sein, wenn die Reise trotz der Pandemie objektiv durchführbar und zumutbar gewesen wäre (z. B. keine Reisewarnung für das Zielgebiet, Hygienekonzepte vorhanden). Das Urteil zeigt, dass Gerichte dies im Einzelfall prüfen und Veranstaltern Zahlungen zusprechen können.
Tipp 3: Dokumentieren Sie die Durchführbarkeit der Reise
Um Ansprüche auf Entschädigung bei Stornierungen durchsetzen zu können, ist es hilfreich, die tatsächliche Durchführbarkeit der Reise zum geplanten Zeitpunkt zu dokumentieren. Sammeln Sie Belege dafür, dass z. B. Grenzen offen waren, Unterkünfte zur Verfügung standen und keine spezifischen behördlichen Verbote für die konkrete Reise existierten. Dies stärkt Ihre Position bei Verhandlungen oder in einem Rechtsstreit.
Tipp 4: Wägen Sie das Prozessrisiko ab
Auch wenn Sie im Recht zu sein glauben, birgt ein Gerichtsverfahren Risiken. Wie der Fall zeigt, kann eine Klage auch nur teilweise erfolgreich sein, was zu einer Aufteilung der Prozesskosten führt. Holen Sie anwaltlichen Rat ein, um die Erfolgsaussichten und Risiken einer Klage auf Entschädigung realistisch einzuschätzen, bevor Sie gerichtliche Schritte einleiten.
⚠️ ACHTUNG: Selbst wenn Sie teilweise Recht bekommen, müssen Sie möglicherweise einen erheblichen Teil der Anwalts- und Gerichtskosten selbst tragen.
Weitere Fallstricke oder Besonderheiten?
Der entscheidende Punkt ist oft die Differenzierung zwischen der allgemeinen Pandemielage und den konkreten Auswirkungen auf die individuelle Reise. Eine nur abstrakte Gefahr oder allgemeine Unsicherheit reicht möglicherweise nicht aus, um eine kostenfreie Stornierung durch die Schule zu rechtfertigen. Es kommt immer auf die Umstände des Einzelfalls an (Reiseziel, Reisezeitpunkt, geltende Bestimmungen).
✅ Checkliste: Stornierung von Klassenfahrten durch Schulen
- Wurde die Stornierung konkret mit Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der spezifischen Reise begründet?
- Lagen zum geplanten Reisezeitpunkt spezifische Reisewarnungen oder Einreiseverbote für das Zielgebiet vor?
- Waren Transport und Unterkunft objektiv verfügbar und nutzbar (ggf. mit Hygienekonzept)?
- Können Sie die grundsätzliche Durchführbarkeit der Reise belegen?
- Wurden die vertraglich vereinbarten Stornobedingungen geprüft und ggf. geltend gemacht?
Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Sachsen-Anhalt – Az.: 4 U 72/22 – Urteil vom 02.03.2023
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz