Zusammenfassung:
Wann liegt bei einer Person, die an Epilepsie erkrankt ist, die Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen vor? Wann kann einem Epileptiker die Fahrerlaubnis entzogen werden? Wie lange muss der Patient anfallfrei sein, um wieder Autofahren zu dürfen? Dazu nahm der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im anliegenden Beschluss Stellung.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Az: 11 CS 14.2694
Beschluss vom 28.01.2015
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. In Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 24. November 2014 wird der Streitwert für beide Instanzen auf 6.250 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen 2 und 3 (alt, erteilt am 16.10.1980).
Nachdem der Fahrerlaubnisbehörde bekannt geworden war, dass der Antragsteller unter epileptischen Anfällen litt, ordnete sie mit Schreiben vom 17. März 2014 eine ärztliche Untersuchung an.
Dem neurologisch-psychiatrischen Gutachten des Dr. N…-… vom 4. Juli 2014 mit Ergänzung vom 30. Juli 2014 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller für Kraftfahrzeuge der Gruppe 2 nicht fahrgeeignet ist. Für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 liege bis mindestens 23. Juni 2016 Fahrungeeignetheit vor, da weiterhin nächtliche Anfälle zu beobachten seien. Nur bei einer mindestens einjährigen vollständigen Anfallsfreiheit könne wieder von Fahrgeeignetheit ausgegangen werden.
Daraufhin entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit Bescheid vom 20. August 2014 die Fahrerlaubnis aller Klassen (Nr. 1), erkannte ihm das Recht ab, fahrerlaubnisfreie Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr zu führen (Nr. 2) und ordnete die Ablieferung des Führerscheins innerhalb einer Woche (Nr. 3) sowie den Sofortvollzug der Nrn. 1 bis 3 an (Nr. 4).
Über den dagegen erhobenen Widerspruch hat die Regierung von Niederbayern nach Aktenlage noch nicht entschieden. Den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht Regensburg mit Beschluss vom 24. November 2014 abgelehnt.
Mit seiner Beschwerde macht der Antragsteller geltend, die Anordnung des Sofortvollzugs sei nicht hinreichend begründet. Im Bescheid seien Ausführungen zur Drogenabstinenz enthalten, es liege aber keine Drogenproblematik vor. Der verfassungsrechtliche Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit bzw. der allgemeinen Handlungsfreiheit sei verkannt worden. Zudem sei die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens rechtswidrig gewesen, da keine Auffälligkeiten im Straßenverkehr aufgetreten seien. Seit 8. Juli 2014 seien auch keine Anfälle mehr aufgetreten. Der Antragsteller legte eine Bestätigung der Fachärzte für Allgemeinmedizin W. H… und Dr. B. H… vom 9. Dezember 2014 vor, woraus sich ergibt, dass seit Mitte Juli 2014 keinerlei epileptische Anfälle mehr aufgetreten sind.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde, bei deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auf die form- und fristgerecht vorgetragenen Gründe beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Anordnung des Sofortvollzugs den formellen Anforderungen genügt. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei sind an den Inhalt der Begründung keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43). Insbesondere bei Kraftfahrern, denen die erforderliche Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs fehlt, ist das Erlassinteresse regelmäßig mit dem Vollzugsinteresse identisch (Schmidt, a.a.O. Rn. 36). Der Antragsgegner hat auf Seite drei des Bescheids unter Bezugnahme auf den konkreten Einzelfall zwar knapp, aber ausreichend, das besondere Interesse am sofortigen Vollzug begründet. Der Antragsteller stellt allerdings zu Recht fest, dass der letzte Satz der Begründung offensichtlich nicht zutrifft, da bei ihm keine Drogenproblematik vorliegt. Es handelt sich dabei aber erkennbar um ein Versehen und die vorstehenden Ausführungen reichen als Begründung gerade noch aus. Im gerichtlichen Verfahren erfolgt keine materielle Überprüfung der Begründung der Behörde nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, sondern es wird eine eigenständige Interessenabwägung durchgeführt.
2. Das Beschwerdevorbringen führt nicht zu einer Änderung der Entscheidung, da das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Klage bei summarischer Prüfung keine Erfolgsaussichten hat.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller voraussichtlich zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Die Fahrerlaubnis konnte dem Antragsteller entzogen werden, da die körperliche Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr nach § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV nicht gegeben ist. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 FeV sind die Anforderungen insbesondere dann nicht erfüllt, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach Anlage 4 oder 5 vorliegt, wodurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen wird. Ein Verstoß gegen Verkehrsvorschriften ist dabei im Falle einer körperlichen Erkrankung nicht Voraussetzungen für die Entziehung der Fahrerlaubnis. Auf Grund des ärztlichen Gutachtens vom 4. Juli 2014 mit Ergänzung vom 30. Juli 2014 steht fest, dass der Antragsteller unter epileptischen Anfällen gemäß Nr. 6.6 der Anlage 4 zur FeV leidet. Nach Nr. 3.9.6 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, gültig ab 1. Mai 2014, ist eine Person, die epileptische Anfälle erleidet, nicht in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden, solange ein wesentliches Risiko von Anfallsrezidiven besteht. Hinsichtlich der Fahrzeuge der Gruppe 2 besteht Fahreignung nur dann, wenn der Betroffene keine Antiepileptika einnimmt und bei wiederholten Anfällen eine fünfjährige Anfallsfreiheit vorliegt. Für Fahrzeuge der Gruppe 1 ist nach wiederholten Anfällen eine mindestens einjährige Anfallsfreiheit die Voraussetzung für das Wiedererlangen der Kraftfahreignung. Diese Zeit der Anfallsfreiheit kann bei ausschließlich an den Schlaf gebundenen Anfällen nach mindestens dreijähriger Beobachtungszeit entfallen. In Übereinstimmung mit diesen Leitlinien hat der Gutachter ausgeführt, dass der Antragsteller derzeit nicht geeignet ist, Fahrzeuge aller Art zu führen. Gegen die Richtigkeit des Gutachtens hat der Antragsteller keine durchgreifenden Argumente vorgebracht. Dass er nach dem Attest seiner Hausärzte seit Mitte Juli 2014 keine Anfälle mehr gehabt hat, belegt noch keine hinreichend lange anfallsfreie Zeit. Sollte die vollständige Anfallsfreiheit andauern, kann ihm aber ggf. schon nach einem Jahr die Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Gruppe 1 wieder erteilt werden.
Soweit der Antragsteller vorträgt, die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens sei unzulässig gewesen, verhilft dies seiner Beschwerde nicht zum Erfolg. Die Verwertbarkeit eines der Fahrerlaubnisbehörde tatsächlich bekanntgewordenen negativen Fahreignungsgutachtens hängt nicht von der Rechtmäßigkeit der Beibringungsanordnung ab (st. Rspr. des Senats, vgl. etwa BayVGH, B.v. 28.11.2014 – 11 CS 14.2267 – juris; B.v. 28.10.2013 – 11 CS 13.1746 – juris; B.v. 15.6.2009 – 11 CS 09.373 – juris). Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, aus welchem Grund die Anordnung rechtswidrig gewesen sein könnte.
Auch ein Verstoß gegen Grundrechte des Antragstellers liegt nicht vor. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und der aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ableitbare Auftrag zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu stellen. Dem Schutz der Allgemeinheit vor Verkehrsgefährdungen kommt daher besonderes Gewicht gegenüber den Nachteilen zu, die einem betroffenen Fahrerlaubnisinhaber in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen (vgl. BVerfG, B.v. 19.7.2007 – 1 BvR 305/07 – juris; B.v. 15.10.1998 – 2 BvQ 32/98 – juris).
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anh. § 164 Rn. 14). Die Fahrerlaubnisklasse C1 wirkt sich nicht streitwerterhöhend aus, da sie nach § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 FeV in der Klasse C enthalten ist.
Die Befugnis zur Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).