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Erbausschlagung: Haftung der Abkömmlinge für Sozialbestattung durch Gemeinde

AG Schorndorf, Az.: 1 C 513/15

Urteil vom 21.04.2016

1. Die Beklagten Ziffer 1 u. 2 werden verurteilt, an die Klägerin jeweils 731,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.05.2015 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner 201,71 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.07.2015 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 10%, die Beklagten 90%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Streitwert: 1.618,56 €

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten einen Aufwendungsersatzanspruch nach §§ 670, 677, 679, 683 BGB geltend.

Die Klägerin und Beklagten sind neben zwei weiteren Geschwistern Abkömmlinge des am … in … verstorbenen Herrn … . Alle fünf Kinder des Erblassers haben die Erbschaft fristgerecht ausgeschlagen. Der Erblasser war mittellos; er bezog bis zum Tod Sozialleistungen.

Erbausschlagung: Haftung der Abkömmlinge für Sozialbestattung durch Gemeinde
Symbolfoto: burial/Bigstock

Die Klägerin veranlasste, nachdem sich sonst keiner der Kinder darum kümmerte, die Bestattung des Vaters. Sie beauftragte hiermit das Bestattungsunternehmen …, das eine „Sozialbestattung“ durchführen sollte. Die vom Bestattungsinstitut erbrachten Leistungen wurden am 26.03.2015 mit 3.391,38 € abgerechnet. Die Bestattungsgebühr für die Bestattung in einem anonymen Urnenerdgrab auf einem anonymen Gräberfeld durch die Gemeinde … wurde mit Gebührenbescheid vom 08.04.2015 über 655,00 € abgerechnet. Die Klägerin bezahlte sowohl die Rechnung des Bestattungsunternehmers als auch den Gebührenbescheid der Gemeinde … .

Mit Schreiben vom 10.04.2015 nahm die Klägerin die Beklagten Ziffer 1 u. 2 auf Zahlung eines Anteils von jeweils 1/5 in Anspruch. Hierbei wies sie darauf hin, dass sie eine Sozialbestattung habe vornehmen lassen.

Nachdem die Beklagten hierauf nicht reagierten, mahnte die Klägerin mit Schreiben vom 11.05. 2015 unter Fristsetzung bis 19.05.2015, die Zahlung nochmals an. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Hierauf wurde die Forderung durch Anwaltsschreiben des Klägervertreters vom 16.06.2015 erneut geltend gemacht.

Die Klägerin trägt vor, dass die Parteien neben den zwei weiteren Geschwistern als nächste Angehörige des Verstorbenen nach §§ 30, 31, 21 des BestattG BW unabhängig von ihrer Erbenstellung zur Bestattung verpflichtet seien. Deshalb könne die Klägerin für ihre Mitgeschwister, die ebenfalls bestattungspflichtige Personen seien, grundsätzlich nach der Regelung der Geschäftsführung ohne Auftrag Aufwendungsersatz verlangen. Die Klägerin habe, zumindest hinsichtlich der geschwisterlichen Anteile, ein „ auch fremdes Geschäft“ geführt.

Ihr stünde deshalb der Aufwendungsersatzanspruch in Höhe von jeweils 1/5 gegen die Beklagten Ziffer 1 u. 2 zu. Im Übrigen macht sie vorgerichtlich entstandene Anwaltskosten unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens geltend.

Die Klägerin beantragt daher

1. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin jeweils 809,27 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.05.2015 zu bezahlen.

2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner 255,85 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, Klagabweisung.

Sie tragen hierzu vor, dass die Beklagten weder als Erben nach § 1968 BGB noch aus einer Unterhaltsverpflichtung nach § 1615 Abs. 2 BGB haften.

Auch ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag scheitere daran, da die Klägerin nicht von einem entsprechenden mutmaßlichen Willen der Beklagten habe ausgehen können. Weiter bestreiten die Beklagten, dass es sich bei den vom Bestattungshaus … erbrachten Bestattungsleistungen um eine „Sozialbestattung“ gehandelt habe. Schließlich wird bestritten, dass die Klägerin nach Rücksprache mit dem Sozialamt die Bestattung organisiert habe. Sie hätte vielmehr, um Kosten zu vermeiden, einen Antrag auf Übernahme der Bestattungskosten beim Sozialhilfeträger stellen müssen. Dabei hätte das Sozialamt die Kostenübernahme gem. § 74 Abs. 2 SBG XII durchführen und sodann ggf. prüfen müssen, ob und inwieweit ein Rückgriff überhaupt möglich gewesen wäre.

Schließlich habe die Klägerin nicht dargelegt, warum ein Erbe nicht vorhanden sei. Letztendlich müsse dies der Fiskus zahlen, denn das gesetzliche Erbrecht des Staates habe vor allem Ordnungsfunktion. Der Fiskus als Lückenbüßer sei vorgesehen, um herrenlose Nachlässe zu vermeiden und eine ordnungsgemäße Nachlassabwicklung sicherzustellen. Gemäß § 74 SGB XII sei demgemäß das Sozialamt verpflichtet, die Kosten der Bestattung zunächst zu übernehmen, wenn dies den hierzu Verpflichteten nicht möglich oder zumutbar sei. Damit wäre zunächst das Sozialamt als Kostenträger in Anspruch zu nehmen gewesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob die vom Bestattungshaus … mit Rechnung vom 28.02.2015 abgerechneten Leistungen einer Beerdigung entsprechen, die üblicherweise für eine würdige, den örtlichen Gepflogenheiten entsprechende einfache Beerdigung (Sozialbeerdigung) anfallen.

Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen … vom 19.02.2016 (Bl. 66 – 80 d. A.) Bezug genommen.

Des Weiteren wird Bezug genommen auf das Schreiben des Sozialamts/Landratsamts … (Bl. 99/100 d. A.).

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und zum überwiegenden auch Teil begründet.

Nach § 683 BGB kann derjenige, der ein Geschäft für einen anderen besorgt, ohne von ihm beauftragt oder ihm sonst darüber berechtigt zu sein, Ersatz seiner Aufwendungen verlangen, wenn die Übernahme der Geschäftsführung dem Interesse und dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn entspricht. Ein entgegenstehender Wille des Geschäftsherrn ist nach den §§ 683 Satz 2, 679 BGB dann unbeachtlich, wenn ohne die Geschäftsführung eine Pflicht des Geschäftsherrn, deren Erfüllung im öffentlichen Interesse liegt, oder eine gesetzliche Unterhaltspflicht des Geschäftsherrn nicht rechtzeitig erfüllt werden würde.

Die Klägerin hat ein Geschäft der Beklagten Ziffer 1 u. 2 besorgt, da die Beklagten nach § 31 Abs. 1 BestattG BW – neben der Klägerin und der weiteren zwei Geschwistern – verpflichtet waren, umgehend die zum Schutz der Gesundheit und der Totenruhe erforderlichen Sorgemaßnahmen zu veranlassen, d.h. für die Bestattung zu sorgen. Sie sind Angehörige i.S. des § 21 Abs. 1 Nr. 1 BestattG BW.

Die Beauftragung des Bestattungsunternehmens, die Bezahlung seiner Rechnung sowie die Leistung auf den Gebührenbescheid der zuständigen Gemeinde … lagen auch im Interesse der Beklagten.

Dass die Klägerin die Beerdigung ohne oder gegen den Willen der Beklagten in Auftrag gegeben hat und die entsprechenden Rechnungen bezahlt hat, ist unerheblich, da die Erfüllung dieser Pflicht nicht nur im öffentlichen Interesse lag wie sich aus § 31 Abs. 1 BestattG BW ergibt, sondern es sich insoweit auch um eine gesetzliche Unterhaltspflicht der Beklagten (neben der Klägerin und der zwei weiteren Geschwister) handelte, die ohne die Zahlungen der Klägerin an das Bestattungsunternehmen und an die Gemeinde nicht rechtzeitig erfüllt worden wäre, da die Beklagten die Bezahlung der Rechnungen verweigerten.

Nach § 1615 Abs. 2 BGB hat im Falle des Todes eines Unterhaltsberechtigten der Unterhaltspflichtige die Kosten der Beerdigung zu tragen, soweit ihre Bezahlung nicht von den Erben zu erlangen ist. § 1615 Abs. 2 BGB ist zwar nicht als Unterhaltsanspruch ausgestaltet, hat aber seine Wurzeln im Eltern-Kind-Verhältnis. Damit liegt eine gesetzliche Unterhaltspflicht i.S. des § 679 BGB vor.

Zu den Beerdigungskosten nach § 1968 BGB zählen jedoch nur die Kosten, die nach der Lebensstellung des Verstorbenen angemessen sind. Nachdem der Verstorbene Sozialleistungsempfänger war, sind demzufolge lediglich die Kosten anzusetzen, die für eine Sozialbestattung, d.h. eine Beerdigung, die üblicherweise für eine würdige, den örtlichen Gepflogenheiten entsprechende einfache Beerdigung anfallen. Diese beziffern sich nach der Darstellung des Sachverständigen … in Ergänzung durch das Abrechnungsschreiben des Landratsamts … auf 3.123,38 €. Hinzukommen die Friedhofsgebühren laut Gebührenbescheid vom 08.04.2015 in Höhe von 655,00 €.

Da alle in Betracht kommenden Erben die Erbschaft ausgeschlagen haben, ist eine Bezahlung der Kosten von den Abkömmlingen des Verstorbenen als Erben gem. § 1968 BGB nicht zu erlagen, wohl aber nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag.

Die Klägerin hat gem. § 683 BGB als Geschäftsführer das Geschäft auch subjektiv nicht nur als eigenes sondern auch als fremdes geführt, also in dem Bewusstsein und mit dem Willen, zumindest auch im Interesse der Beklagten zu handeln.

Dem Anspruch nach § 679 BGB steht auch nicht die von den Beklagten vorgebrachte fehlende Leistungsfähigkeit entgegen. Die Geltendmachung des Anspruchs ist auch nicht rechtsmissbräuchlich.

Wäre die Klägerin nicht tätig geworden, so hätte die Gemeinde im Wege der Ersatzvornahme die Bestattung vornehmen lassen und anschließend wegen der Bestattungskosten gegen die bestattungspflichtigen Angehörigen einen Leistungsbescheid erlassen. Gerade wegen der Möglichkeit einer Kostenübernahme durch den Sozialhilfeträger besteht im Übrigen auch kein Anlass einen Angehörigen von seinen Bestattungspflichten freizustellen.

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Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs 3. Zivilsenat vom 17.11.2011 (AZ : II ZR 53/11 zitiert nach juris, RdNr. 22) gilt für den Fall, dass sich der nach Maßgabe der öffentlich-rechtlichen Vorschriften Bestattungspflichtige dem Aufwendungsersatzanspruch eines Geschäftsführers ohne Auftrag ausgesetzt sieht, nichts anderes. Auch dann hat der mittellose Bestattungspflichtige gegen den Sozialhilfeträger Anspruch auf Kostenübernahme nach § 74 SGB XII.

Bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit beschränken sich die erforderlichen Kosten auf die Ausgaben, die nach § 74 SGB XII erstattungsfähig sind.

Ausweislich des Bescheids des Landratsamts … (Bl. 99/100 d.A.) waren die angemessenen Beerdigungskosten auf 3.123,38 € festzulegen. Hinzukommen die Friedhofsgebühren der Gemeinde … in Höhe von 655,00 €.

Abzüglich des aus diesem Schreiben zu entnehmenden, vorhandenen Nachlasses in Höhe von 120,12 € beziffert sich der anteilige Betrag je Abkömmling auf 731,65 €. In dieser Höhe war der Klage daher stattzugeben. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

Der Verzugsschaden berechnet sich aus einem Gegenstandwert von demzufolge 1.463,30 €.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

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