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Erbausschlagung – Eltern für Kind

Oberlandesgericht Brandenburg

Az: 9 UF 61/10

Beschluss vom 06.12.2010


Der Beschluss des Amtsgerichts Senftenberg vom 30.4.2010 – Az.: 31 F 236/09 – wird aufgehoben.

Von der Erhebung der Gerichtskosten wird abgesehen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Gegenstandswert wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Das betroffene minderjährige Kind steht unter alleiniger elterlicher Sorge der Kindesmutter. Nach Versterben der Frau…, der Großmutter väterlicherseits des Kindes, hat die Kindesmutter nach Erbausschlagung durch den Kindesvater und weitere mögliche Erben für das Kind…….. ebenfalls die Erbausschlagung wegen Überschuldung des Nachlasses erklärt. Für diese Erklärung hat die Kindesmutter am 23.6.2009 bei dem Amtsgericht Senftenberg um Genehmigung des Familiengerichts nachgesucht. Nach Durchführung verschiedener Ermittlungen zum Umfang des Nachlasses und zur Erbausschlagung weiterer möglicher Erben hat das Amtsgericht Senftenberg – die Rechtspflegerin – die Kindesmutter schriftlich am 9.4.2010 und das Jugendamt mündlich am selben Tag davon informiert, dass eine Pflegerbestellung für….. für notwendig gehalten werde. Der Kindesmutter wurde mitgeteilt, sie könne im Genehmigungsverfahren ihre Tochter nicht wirksam vertreten. Es sei beabsichtigt, das Jugendamt als „Verfahrenspfleger“ zu bestellen. Dem hat die Kindesmutter mit Schreiben vom 21.4.2010 zugestimmt. Nach einem Vermerk der Rechtspflegerin soll eine Mitarbeiterin des Jugendamtes telefonisch geäußert haben, man könne sich dagegen nicht sperren.

Mit Beschluss vom 30.4.2010 hat sodann die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Senftenberg das Jugendamt des Landkreises … zum „(Verfahrens-) Ergänzungspfleger“ bestellt und zur Begründung angegeben, zur Wahrung der verfassungsmäßigen Rechte der Minderjährigen sei ein Ergänzungspfleger zu bestellen. Im Übrigen seien die Ermittlungen hinsichtlich des Nachlasswertes „ziemlich schwierig“.

Eine Grundlage für die Entscheidung ist in dem Beschluss genauso wenig benannt, wie eine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist.

Gegen diesen Beschluss hat das Jugendamt des Landkreises … mit am 20.5.2010 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und in diesem Schriftsatz mitgeteilt, der Beschluss sei am 6.5.2010 zugestellt worden. Das Jugendamt ist der Ansicht, es bedürfe der Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht, weil die Kindesmutter nicht gehindert sei, das betroffene Kind im Verfahren zu vertreten.

II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Auf das Verfahren sind die Vorschriften des FamFG anzuwenden, da das Verfahren betreffend die Einsetzung eines Ergänzungspflegers nicht bereits mit dem vor dem 1.9.2009 eingeleiteten Verfahren auf Genehmigung der Erbausschlagung eingeleitet worden ist, sondern erst durch Verfügung der Rechtspflegerin vom 9.4.2010. Es handelt sich um eine Kindschaftssache gemäß § 151 Nr. 5 FamFG. Das Rechtsmittel der Beschwerde ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft, da das Verfahren zur Anordnung einer Ergänzungspflegschaft mit dem Beschluss abgeschlossen worden ist, sodass eine Endentscheidung vorliegt (so auch: KG, FamRZ 2010, 117); FamVerf (Schael, 2. A., § 2 Rz. 131).

Das Jugendamt hat die Beschwerde mangels abweichender Erklärung im eigenen Namen erhoben. Dass im Interesse des Kindes Beschwerde eingelegt werden sollte, wozu das Jugendamt als bestellter Ergänzungspfleger befugt gewesen wäre, kann der Begründung im Schriftsatz vom 18.5.2010 jedenfalls nicht entnommen werden. Das Beschwerderecht des Jugendamtes ergibt sich aus § 59 Abs. 3 i.V.m. § 162 Abs. 3 S. 2 FamFG. Die Monatsfrist gemäß § 63 Abs. 1 FamFG ist eingehalten worden, auch wenn sich die förmliche Zustellung des Beschlusses nicht feststellen lässt. Auch die Voraussetzung der Zulässigkeit nach § 61 FamFG liegt vor. Es mag hier dahingestellt bleiben, ob das Verfahren für die Pflegerbestellung als solches eine vermögensrechtliche Angelegenheit ist, weil sie hier im Wesentlichen wirtschaftlichen Interessen dienen soll, nämlich der Prüfung, ob die Erbausschlagung wegen Überschuldung des Nachlasses genehmigungsfähig ist, oder ob es sich um eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit handelt. Sollte es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit handeln, ist von einem Wert in Höhe von 3.000 € auszugehen, da Anhaltspunkte für eine abweichende Wertfestsetzung nicht bestehen.

Der kaum begründete und in sich widersprüchliche Beschluss vom 30.4.2010 bedarf zunächst der Auslegung, um seinen Inhalt feststellen zu können. Aus dem letzten Satz der Entscheidung ergibt sich im Gegensatz zu dem Anschreiben an die Kindesmutter und zu dem Klammerzusatz im Entscheidungstenor, dass das Amtsgericht einen Ergänzungspfleger gemäß § 1909 Abs. 1 BGB hat bestellen wollen. Die Reichweite der damit verbundenen Entziehung des elterlichen Sorgerechts der Kindesmutter und der Ergänzungspflegschaft lässt sich allerdings dem angefochtenen Beschluss selbst nicht entnehmen. Aus dem Anschreiben an die Kindesmutter und dem Vermerk der Rechtspflegerin vom 31.5.2010 lässt sich entnehmen, dass die Interessenvertretung des Kindes im Genehmigungsverfahren sowie die Entgegennahme von Zustellungen in diesem Verfahren durch den Pfleger wahrgenommen werden sollen. Der Wirkungskreis des Pflegers ist damit die Vertretung des Kindes im Genehmigungsverfahren über die Erbausschlagung.

Angesichts der äußerst dürftigen Begründung des Beschlusses und der Möglichkeit, ihn ausschließlich anhand im Beschluss nicht genannter Vermerke und Schreiben auslegen zu können, bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob er überhaupt Wirkung entfalten kann oder jedenfalls wegen erheblicher Mängel aufzuheben ist. Diese Frage kann aber dahinstehen, weil in der Sache ohnehin eine Pflegerbestellung zu Unrecht erfolgt ist.

Im Genehmigungsverfahren für die Ausschlagung der Erbschaft gemäß § 1643 Abs. 2 S. 1 BGB, das zu den Angelegenheiten der elterlichen Sorge gemäß § 151 Nr. 1 FamFG gehört (Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 2. Aufl., § 151, Rz. 6) ist das Kind Verfahrensbeteiligter gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Das minderjährige Kind wird grundsätzlich durch die sorgeberechtigten Eltern bzw. den sorgeberechtigten Elternteil im gerichtlichen Verfahren einschließlich der Zustellungen vertreten, § 1629 Abs. 1 S. 3 BGB. Ein Ausschluss der Kindesmutter von der Vertretung des Kindes im vorliegenden Verfahren gemäß § 1629 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 1795 BGB liegt hier nicht vor. Die Kindesmutter ist damit nicht von Gesetzes wegen an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert.

In Betracht kommt jedoch die Entziehung der Vertretungsmacht gemäß § 1629 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 1796 BGB. Nach diesen Vorschriften kann dem Elternteil die Vertretungsmacht für das Kind als Bestandteil der elterlichen Sorge insoweit entzogen werden, als ein erheblicher Interessengegensatz zwischen Kind und vertretungsberechtigter Mutter vorliegt. Von einem solchen Interessengegensatz scheint das Amtsgericht hier ausgegangen zu sein. In der Rechtsprechung wird dazu teilweise vertreten, im Genehmigungsverfahren betreffend einer Erbausschlagung bestünde grundsätzlich ein erheblicher Interessengegensatz zwischen Elternteil und Kind, sodass immer die Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Wahrnehmung der Verfahrensrechte des Kindes geboten sei (KG, FamRZ 2010, 1171). Dieser Bewertung vermag sich der Senat jedoch nicht anzuschließen.

Die Vertretung des Kindes kann dem sorgeberechtigten Elternteil nur dann und nur insoweit entzogen werden, als ein erheblicher Interessengegensatz besteht und wenn zusätzlich nicht zu erwarten ist, dass die Kindesmutter trotz des Interessengegensatzes im Interesse des Kindes handelt (Palandt/Diederichsen, BGB, 69. Aufl., § 1629, Rz. 24; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 51; OLG Stuttgart, FamRZ 1983, 831 [OLG Stuttgart 06.05.1983 – 8 W 162/83]; Münchener Kommentar/Huber, BGB, 51 § 1629, Rz. 63). Derartige Interessengegensätze dürfen nicht allgemein vermutet werden, sondern müssen jeweils im Verfahren konkret festgestellt werden. § 1796 BGB setzt einen sich aus dem Einzelfall ergebenden Interessenwiderstreit voraus (BGH, FamRZ 2008, 1156; OLG Stuttgart, FamRZ 2010, 223; FamVerf (Schael; aaO. Rz. 93).

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht anlässlich einer Entscheidung, in der es im Wesentlichen um den gerichtlichen Schutz gegen Entscheidungen des Rechtspflegers bei nachlassgerichtlichen Genehmigungen ging, ausgeführt, im Regelfall könne das rechtliche Gehör nicht durch denjenigen vermittelt werden, dessen Handeln im Genehmigungsverfahren überprüft werden solle (BVerfGE 101, 397 [BVerfG 18.01.2000 – 1 BvR 321/96]). Diese nicht in Bezug auf die gesetzliche Vertretung eines Kindes durch seine Eltern getroffene Entscheidung mag insoweit auch hier von Bedeutung sein, als in entsprechenden Genehmigungsverfahren ein besonderes Augenmerk auf die Feststellung eines evtl. Interessengegensatzes zwischen gesetzlichem Vertreter und Kind gerichtet werden muss. Allein die Annahme eines „typischen Interessengegensatzes“ besagt jedoch nicht, dass es auch im Einzelfall zu Konfliktsituationen kommen kann. Sie kann nicht zwangsläufig zur Anordnung einer Pflegschaft führen, wie der Bundesgerichtshof im Rahmen einer Entscheidung betreffend die Testamentsvollstreckung durch einen Elternteil ausgeführt hat (BGH, FamRZ 2008, 1156). Es sind vielmehr in jedem Einzelfall die Umstände zu ermitteln, die für einen Interessengegensatz sprechen können. Sodann sind diese gegen das Elternrecht auf Vertretung des Kindes und das Kindesinteresse abzuwägen, was im Einzelfall zur Entziehung der Vertretungsmacht und zur Bestellung eines Pflegers führen kann (anders KG, aaO., ohne Interessenabwägung im Einzelfall).

Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht keinerlei Feststellungen dazu getroffen, worin der konkrete Interessengegensatz zwischen Kindesmutter und Kind bestehen soll und aufgrund welcher Umstände nicht zu erwarten sein soll, dass die Kindesmutter unabhängig vom Ausgang des Genehmigungsverfahrens die Interessen des betroffenen Kindes wahrzunehmen bereit und in der Lage ist. Insbesondere ist es hier nicht ersichtlich, dass andere als wohlverstandene wirtschaftliche Interessen des Kindes eine Rolle für die Entscheidung spielen könnten. So haben bereits der Witwer der Verstorbenen, deren drei Kinder, darunter der Vater des hier betroffenen Kindes, sowie die Mutter eines weiteren Kindes des Kindesvaters die Erbschaft wegen Überschuldung ausgeschlagen. Dass irgendwelche Erwägungen nicht wirtschaftlicher Art die Kindesmutter geleitet haben könnten, die Erbschaft auszuschlagen, ist nicht ersichtlich. Insbesondere ist über das persönliche Verhältnis von A… M… zur Familie ihres Vaters nichts bekannt. Dass sie im Falle der Annahme der Erbschaft überhaupt mit Mitgliedern der väterlichen Familie in Erbengemeinschaft erben könnte, ist nach dem derzeitigen Sachstand ebenfalls nicht ersichtlich. Anhaltspunkte für die Feststellung eines erheblichen Interessengegensatzes bestehen danach über eine allgemeine typische Risikolage hinaus nicht. Jedenfalls sind irgendwelche Feststellungen dazu vor der Entscheidung nicht getroffen worden. Sie war deshalb aus formellen und materiellen Gründen aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG, die Entscheidung über den Gegenstandswert auf § 45 Abs. 1 S. 1 FamGKG.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen, da dies zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das Kammergericht geht angesichts der bereits zitierten Entscheidung von einer grundsätzlichen Pflicht zur Bestellung eines Ergänzungspflegers aus. Gleiches dürfte für das Oberlandesgericht Oldenburg gelten, das grundsätzlich die Bestellung von Ergänzungspflegern für an Familienverfahren beteiligte Kinder für notwendig hält (vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 2010, 660). Die Rechtsfrage ist im Übrigen auch in der Literatur umstritten (vgl. nur: DIJuF Rechtsgutachten vom 16.12.2009, JAmt 2010, 79).

 

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