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Erbscheinerteilung – Unwirksamkeit Alleinerbeneinsetzung

 Oberlandesgericht Stuttgart

Az: 8 W 321/11

Beschluss vom 04.10.2001


In der Nachlasssache hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart beschlossen:

1. Die befristete Beschwerde der Beteiligten Ziff. 2 gegen den Zurückweisungsbeschluss des Notariats II – Nachlassgericht – Stuttgart-Bad Cannstatt vom 12. Juli 2011, Az. II NG 44/2011, wird zurückgewiesen.

2. Die Beteiligte Ziff. 2 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 750.000 EUR

Gründe

I.

Im Streit zwischen den Beteiligten ist das erbvertragliche Alleinerbenrecht der Beschwerdeführerin, die am 27. April 2011 einen entsprechenden durch den Zurückweisungsbeschluss vom 12. Juli 2011 beschiedenen Erbscheinsantrag gestellt hatte.

Da zwischen dem Erblasser und der Beteiligten Ziff. 2 ein Scheidungsverfahren anhängig war, hatte das Nachlassgericht mit Beschluss vom 4. April 2011 Nachlasspflegschaft angeordnet und den Beteiligten Ziff. 1 zum Nachlasspfleger bestellt mit dem Wirkungskreis der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie der Ermittlung der Erben. Das diesbezügliche Beschwerdeverfahren wurde durch den Beschluss des Senats vom 7. Juni 2011, Az. 8 W 167/11, abgeschlossen, auf den Bezug genommen wird.

Die Beschwerdeführerin hat gegen den am 25. Juli 2011 zugestellten Zurückweisungsbeschluss am 1. August 2011 Beschwerde eingelegt, auf deren Begründung verwiesen wird.

Das Notariat hat mit Beschluss vom 23. August 2011 nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Sachverhaltsdarstellung wird im Einzelnen Bezug genommen auf die vorgenannten Beschlüsse des Notariats sowie das schriftsätzliche Vorbringen der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt.

II.

1. Die Zuständigkeit des Nachlassgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt ergibt sich aus § 1962 BGB i.V.m. § 343 Abs. 1 FamFG.

Der deutsche Erblasser hatte keinen inländischen Wohnsitz, hielt sich aber zurzeit des Erbfalls in Stuttgart-Bad Cannstatt auf. Der in Liechtenstein festgestellte Wohnsitz schließt die Aufenthaltszuständigkeit in der Bundesrepublik nicht aus.

Unter Aufenthalt im Sinne von § 343 FamFG ist ein tatsächliches Verhalten zu verstehen. Dabei ist es gleichgültig, ob dieser nur ein vorübergehender, z.B. auf der Durchreise, oder ein auf längere Dauer berechneter, ein gewollter oder unfreiwilliger, ein bewusster oder unbewusster Aufenthalt war. Der Aufenthaltsort zurzeit des Erbfalls ist damit der Sterbeort (Zimmermann in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 343 FamFG Rn. 37 und 44-45, je m.w.N.), vorliegend das Krankenhaus Stuttgart-Bad Cannstatt.

2.

a) Die befristete Beschwerde der Beteiligten Ziff. 2 ist zulässig gem. §§ 58 ff FamFG.

Zweifel an ihrer Beschwerdeberechtigung gem. § 59 Abs. 1 und 2 FamFG bestehen nicht, weil ihr Erbscheinsantrag zurückgewiesen wurde, wodurch ihre geltend gemachte erbvertragliche Alleinerbenstellung beeinträchtigt wird.

Der erforderliche Beschwerdewert (§ 61 Abs. 1 FamFG: über 600 EUR) ist gegeben und das Rechtsmittel wurde innerhalb der gesetzlichen Frist des § 63 Abs. 1 FamFG in der vorgeschriebenen Form (§ 64 Abs. 2 FamFG) beim Notariat (§ 64 Abs. 1 FamFG) eingelegt.

b) Die Fristsetzung für die Beschwerdebegründung gemäß § 65 Abs. 2 FamFG im Rahmen des vom Nachlassgericht zwingend durchzuführenden Abhilfeverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 1 FamFG) ist nicht zu beanstanden.

Dem Ausgangsgericht wird kein Wahlrecht zwischen Abänderung oder Nichtabänderung eingeräumt. Vielmehr ist es zu einer Selbstkorrektur seiner Entscheidung verpflichtet, wenn diese sich nach einer erneuten Prüfung als ungerechtfertigt erweist (Sternal in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, § 68 Rn. 5 m.w.N.).

Im Hinblick auf die Ankündigung, dass die Beschwerde in einem gesonderten Schriftsatz begründet werden wird, war es zweckdienlich, der Beschwerdeführerin eine Frist zur Nachreichung ihrer Begründung zu setzen. Bei deren Vorlage hatte das Ausgangsgericht von Amts wegen zu prüfen, ob eine Abänderung seiner Entscheidung erforderlich ist (Sternal, a.a.O., § 68 Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen ist bei einer in Aussicht gestellten oder vorbehaltenen Beschwerdebegründung ein Zuwarten von 2-3 Wochen angemessen, aber auch ausreichend (Sternal, a.a.O., § 65 Rn. 7 m.w.N.). Die Beschwerdeeinlegung erfolgte am 1. August 2011. Bei einem Zuwarten von 2-3 Wochen durfte das Abhilfeverfahren zwischen dem 15. und 22. August 2011 abgeschlossen werden, was tatsächlich mit Beschluss vom 23. August 2011 nach Einreichung der Beschwerdebegründung vom 22. August 2011 erfolgte. In der vom Notariat begründeten Ablehnung einer Fristverlängerung bis zum 30. September 2011, wie beantragt, kann keine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beschwerdeführerin gesehen werden.

Dennoch wurde nach der Nichtabhilfe und Vorlage an das Oberlandesgericht am 25. August 2011 vom Senat mit einer Entscheidung zugewartet bis einschließlich 30. September 2011, worüber die Beteiligten unterrichtet waren (Verfügung vom 8. September 2011). Sie haben weitere Stellungnahmen eingereicht, auf die Bezug genommen wird.

3. Die Beschwerde ist in der Sache nicht begründet.

a) Die Zurückweisung ihres Erbscheinsantrags mit Schriftsatz vom 26. April 2011 wird von der Beteiligten Ziff. 2 angefochten, weil sie die Voraussetzungen für die Unwirksamkeit des Erbvertrags gemäß §§ 2279 Abs. 2, 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht für gegeben erachtet.

Der Erblasser und die Beschwerdeführerin, beide deutsche Staatsangehörige, seit 4. Juni 1986 kinderlos verheiratet, hatten am 10. Dezember 1987 vor dem Notar … in … (UR Nr. 221/1987) einen Ehe-/Erbvertrag geschlossen, mit dem sie Gütertrennung vereinbarten und sich gegenseitig zu Vollerben einsetzten. Die Ergänzungserklärung vor demselben Notar vom 15. Juni 1989 (UR Nr. 100/1989) betraf den Ehevertrag, nicht aber die gegenseitige erbvertragliche Alleinerbeneinsetzung.

Ihren gemeinsamen Wohnsitz verlegten die Eheleute nach Liechtenstein. Dort reichte die Beschwerdeführerin bei dem Fürstlichen Landgericht 9490 Vaduz mit Schriftsatz vom 5. September 2008 Scheidungsklage ein, weil die Ehe der Parteien seit einigen Jahren zerrüttet sei, der Beklagte eine außereheliche Beziehung unterhalte und die Klägerin massiv mit Gewalt, teilweise sogar mit dem Tod bedrohe.

In der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2008 bestritt der Erblasser zwar den Vortrag seiner Ehefrau, stimmte aber dem Scheidungsbegehren ausdrücklich zu.

In der Folgezeit kam es bis zum Ableben des Ehemannes nicht zu einer Einigung über die Nebenfolgen der Ehescheidung, weswegen die Beschwerdeführerin eine Unwirksamkeit ihrer erbvertraglichen Alleinerbeneinsetzung nicht für gegeben erachtet. Sie ist der Auffassung, dass das Recht Liechtensteins zur Anwendung kommt.

b) Da der Erblasser ausschließlich deutscher Staatsangehöriger war, unterliegt die Rechtsfolge von Todes wegen nach ihm dem deutschen Recht (Art. 25 Abs. 1 EGBGB), soweit es nicht um Nachlassgegenstände im Ausland geht (Art. 3a Abs. 2 EGBGB).

Danach beurteilt sich die Unwirksamkeit der erbvertraglichen Alleinerbeneinsetzung der Beschwerdeführerin nach §§ 2279 Abs. 2, 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB, d.h. der Auflösung der Ehe steht es gleich, wenn zurzeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte.

Ob die materiellen Scheidungsvoraussetzungen vorgelegen haben, ist entgegen der Auffassung der Beteiligten Ziff. 2 nicht nach dem Recht Liechtensteins zu beurteilen, sondern ebenfalls nach deutschem Recht (Art. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB; BayObLGZ 1980, 276, m.w.N.). Dass das Landgericht Vaduz seinerseits – ausgehend von dem gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten – für das bei ihm anhängige Scheidungsverfahren liechtensteinisches Recht zu Grunde gelegt hat, führt nicht zu dem Ergebnis der Anwendbarkeit dieses Rechts im hiesigen Verfahren, soweit das Vorliegen der materiellen Voraussetzungen der Scheidung zu überprüfen sind. Denn wenn die Scheidung nicht in dem Staat beantragt worden ist, dessen Recht die Erbfolge beherrscht, dann entscheidet eine Auslegung der jeweiligen erbausschließenden Sachnorm (bei deutschem Erbstatut, wie hier, also des § 1933 BGB bzw. des § 2077 BGB) darüber, ob auch eine Antragstellung im Ausland bzw. eine Verwirklichung der im ausländischen Recht vorgesehenen Scheidungsgründe einen Ausschluss des Ehegattenerbrechts bzw. der testamentarischen/erbvertraglichen Erbfolge bewirkt.

Es handelt sich dabei um ein Substitutionsproblem, d.h. aus der Sicht des deutschen Rechts muss die Einleitung eines Scheidungsverfahrens im Ausland dem inländischen Scheidungsantrag „funktionell äquivalent“ sein (Dörner in Staudinger, BGB/EGBGB, Neubearbeitung 2007, Art. 25 EGBGB Rn. 152, m.w.N.). Setzt insoweit der Tatbestand einer Norm die Vornahme einer Prozesshandlung oder die Mitwirkung des Gerichts voraus, so sind vom fremden Recht geprägte und im Ausland vorgenommene Rechtshandlungen nur dann subsumierbar, wenn feststeht, dass der ausländische Vorgang nach seinen Merkmalen und Wirkungen die Begriffsmerkmale der betreffenden inländischen Norm ausfüllen kann (Dörner in Staudinger, a.a.O., Art. 25 EGBGB Rn. 801, m.w.N.). Ob die von deutschen Normen angesprochenen Rechtshandlungen durch ausländische Vorgänge substituiert werden können, hängt von deren Regelungsanliegen ab. Es ist festzustellen, ob von den Begriffen der deutschen Norm ein im Ausland vollzogener Rechtsvorgang erfasst wird. Deshalb wird als Kriterium für die Substituierbarkeit die „funktionelle Gleichwertigkeit“ von Rechtsvorgängen angegeben. Danach ist zu prüfen, ob die Funktion, die die ausländische Rechtshandlung in ihrer eigenen Rechtsordnung erfüllt, mit derjenigen übereinstimmt, die dem inländischen parallelen Vorgang nach dem Sinn und Zweck der anzuwendenden inländischen Norm zukommt (Dörner in Staudinger, a.a.O., Art. 25 EGBGB Rn. 802, m.w.N.).

Die Sachnorm der §§ 2077 Abs. 1, 2279 Abs. 2 BGB setzt die Auflösung der Ehe vor dem Tod des Erblassers voraus, um die Erbeinsetzung des Ehegatten durch Testament oder Erbvertrag unwirksam werden zu lassen. Dabei ist es der Auflösung der Ehe gleichgestellt, wenn zurzeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hat.

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Die Beschwerdeführerin hatte beim Landgericht Vaduz in Liechtenstein Scheidungsklage eingereicht und der Erblasser hatte dem Scheidungsbegehren in der dortigen mündlichen Gerichtsverhandlung ausdrücklich zugestimmt.

Dass diese im Ausland vorgenommenen Prozesshandlungen funktionell gleichwertig sind mit denen, die § 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt, wird von der Beteiligten Ziff. 2 nicht infrage gestellt und unterliegt auch keinem Zweifel. Sie ist jedoch der Auffassung, dass wegen der fehlenden Regelung sämtlicher Nebenfolgen die Scheidungsklage hätte abgewiesen werden müssen.

Insoweit besagt Art. 50 des Ehegesetzes Liechtensteins, dass zunächst der Richter zwischen den Ehegatten eine Einigung bezüglich der fehlenden oder mangelhaften Punkte herbeizuführen hat. Wenn eine Einigung nicht möglich ist, erfolgt das weitere Verfahren nach Art. 51 (Teileinigung) oder Art. 54 (Wechsel zur Scheidung auf Klage).

Entsprechend ihrer Zusage im Verhandlungstermin vom 29. Oktober 2008 befanden sich der Erblasser und die Beteiligte Ziff. 2 ausweislich der Schreiben vom 26. November 2009 und 1. Juni 2010 noch in außergerichtlichen Gesprächen über eine einvernehmliche Regelung der Nebenfolgen des seit 29. September 2009 unterbrochenen Scheidungsverfahrens. Die Voraussetzungen für eine Abweisung des ursprünglichen gemeinsamen Scheidungsbegehrens nach Aufforderung durch das Gericht, innerhalb einer bestimmten Frist das Scheidungsbegehren durch eine Klage zu ersetzen, und nach fruchtlosem Fristablauf (Art. 54 EheG) waren deshalb nicht gegeben, zumal diese Vorschrift überhaupt nicht zur Anwendung kommt. Denn im Verhandlungstermin vom 29. Oktober 2008 hatte das Gericht beschlossen, dass das weitere Verfahren gem. Art. 59 EheG nach den Bestimmungen über die Scheidung auf gemeinsames Begehren unter den dort geregelten Voraussetzungen durchgeführt wird. Wegen dieses Verfahrenswechsels war aber ein Rückwechsel nach Art. 54 EheG ausgeschlossen.

In Betracht kam also nicht die Abweisung des gemeinsamen Scheidungsbegehrens nach Art. 54 Abs. 2 EheG, sondern das Herbeiführen einer Teileinigung nach Art. 51 EheG, woraus sich die unterbliebene Fristsetzung nach Art. 54 Abs. 1 EheG und die Anordnung der Unterbrechung des Verfahrens erklären.

Mithin hätte das Scheidungsbegehren nicht wegen der bis zum Tod des Erblassers fehlenden Regelung der Nebenfolgen abgewiesen werden können, worauf sich die Beschwerdeführerin zur Begründung ihrer geltend gemachten Alleinerbeneinsetzung offensichtlich berufen will.

c) Die materiellen Voraussetzungen der Ehescheidung nach deutschem Recht, das gem. Art. 17 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB – wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der Ehegatten als Hauptanknüpfungspunkt für das Ehewirkungsstatut (Thorn in Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, Art. 14 EGBGB [IPR] Rn. 2) – zur Anwendung kommt, lagen zum Zeitpunkt des Versterbens des Erblassers vor.

Eine Ehe kann gemäß § 1565 Abs. 1 BGB geschieden werden, wenn sie gescheitert ist. Die Ehe ist gescheitert, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, dass die Ehegatten sie wiederherstellen.

Ausreichend ist, dass die Voraussetzungen der Ehescheidung am Schluss der mündlichen Verhandlung gegeben sind (Brudermüller in Palandt, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 1, m.w.N.). Selbst wenn zum Zeitpunkt der Einreichung der Scheidungsklage durch die Beschwerdeführerin und der Zustimmung des Erblassers zur Scheidung das Trennungsjahr (§ 1565 Abs. 2 BGB) noch nicht abgelaufen war, wurde in der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2008 in einem einstweiligen Vergleich die getrennte Benutzung der ehelichen Wohnung vereinbart. Dem Vergleichsangebot der Beschwerdeführerin vom 26. November 2009 ist zu entnehmen, dass der Erblasser in der ehelichen Wohnung verblieben ist, während sie nach … verzogen war. Die Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft vor dem Tod des Erblassers wird von der Beschwerdeführerin nicht geltend gemacht und ist auch dem vorgelegten Schriftwechsel der Ehegatten nicht zu entnehmen.

Auf ihre Behauptung der Versöhnung der Eheleute und deren Absicht, die eheliche Lebensgemeinschaft wiederherzustellen, sowie auf die diesbezüglichen Beweisantritte mit Vernehmung der Zeugen … und … sowie durch Vorlage der Schreiben/E-Mails vom 1. Juni, 23. September und 3. November 2010 kommt es entscheidungserheblich nicht an. Denn angesichts der langen Trennungszeit von über zweieinhalb Jahren im Zeitpunkt des Todes des Erblassers, auf den abzustellen ist (§§ 2077 Abs. 1 Satz 2, 1933 Satz 1 BGB), war vorliegend das Scheitern der Ehe im Sinne des § 1565 Abs. 1 BGB nicht zu überprüfen, weil die Vermutung des § 1566 Abs. 1 BGB eingreift (BGH NJW 1978, 1810 [BGH 14.06.1978 – IV ZR 164/77]; OLG Koblenz FamRZ 2007, 590; – die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung BGH ErbR 2008, 397, betrifft nicht den Fall der einverständlichen Scheidung und damit nicht den Anwendungsbereich des § 1566 Abs. 1 BGB).

Nach dieser Gesetzesnorm wird unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe gescheitert ist, wenn die Ehegatten seit einem Jahr getrennt leben und beide die Scheidung beantragen oder der Antragsgegner der Scheidung zustimmt.

Das einjährige, dem Willen der Eheleute entsprechende Getrenntleben im Sinne des § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB lag zum Todeszeitpunkt des Erblassers vor. Die von der Antragstellerin behauptete Annäherung der Eheleute und das Anstreben einer Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft ändert hieran nichts. Selbst ein Zusammenleben über kürzere Zeit, das der Versöhnung der Ehegatten dienen soll, unterbricht oder hemmt die in § 1566 BGB bestimmten Fristen nicht (§ 1567 Abs. 2 BGB). Vielmehr beginnt die Trennungsfrist zu laufen, wenn alle Merkmale der Legaldefinition des § 1567 Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllt sind (Nichtbestehen der häuslichen Gemeinschaft und Trennungswille; Brudermüller in Palandt, a.a.O., § 1567 BGB Rn. 1 ff; Ey in MünchKomm zum BGB, 5. Aufl. 2010, § 1566 BGB Rn. 4; Neumann in Beck’scher online-Kommentar BGB, Hrsg. Bamberger/Roth, Stand 1. März 2011, § 1566 BGB Rn. 3-4; je m.w.N.).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Vaduz am 29. Oktober 2008 hatten die Eheleute in einem einstweiligen Vergleich die getrennte Benutzung der ehelichen Wohnung vereinbart. Nach § 1567 Abs. 1 Satz 2 BGB besteht die häusliche Gemeinschaft auch dann nicht mehr, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt leben.

Die Vermutung des Scheiterns der Ehe gemäß § 1566 Abs. 1 BGB greift nicht nur bei einem beiderseitigen Scheidungsantrag ein, sondern auch – wie vorliegend -, wenn nur ein Ehegatte die Scheidung beantragt und der andere zustimmt (Ey in MünchKomm zum BGB, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 21a; Neumann, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 8; je m.w.N.), so wie auch §§ 2077 Abs. 1 Satz 2, 1933 Satz 1 BGB die Zustimmung des Erblassers zum Scheidungsantrag seines Ehepartners genügen lassen.

Dem Scheidungsantrag der Beschwerdeführerin hatte der Erblasser in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Vaduz am 29. Oktober 2008 ausdrücklich zugestimmt und bis zu seinem Tod die Zustimmung nicht widerrufen (vgl. hierzu Ey in MünchKomm zum BGB, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 22-30, m.w.N.). Auch die Antragstellerin hatte ihren Antrag bis zu diesem Zeitpunkt nicht zurückgenommen (Ey, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 31-32; Neumann, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 9; je m.w.N.).

Ob bei der einverständlichen Scheidung bis zur FGG-Reform die Regelung bestimmter Scheidungsfolgen gem. § 630 ZPO a.F. umfasst sein musste, was umstritten war (Christmann in Müller-Beck’scher online-Kommentar BGB, Hrsg. Bamberger/Roth, Stand 1. März 2011, § 1933 BGB Rn. 7; Hoeren in Schulze u.a., BGB, 6. Aufl. 2009, § 1933 BGB Rn. 4; Leipold in MünchKomm zum BGB, 5. Aufl. 2010, § 1933 BGB Rn. 10-11; Stürner in Jauernig, BGB, 13. Aufl. 2009, § 1933 BGB Anm. 1 a bb; die jeweils das Erfordernis einer Einigung über die Scheidungsfolgen verneinten und eine Übersicht über den damaligen Meinungsstreit geben), kann dahingestellt bleiben.

Denn mit dem Inkrafttreten des FamFG zum 1. September 2009 wird auf die Regelung der wichtigsten Scheidungsfolgen als Vermutung für das Scheitern der Ehe durch Wegfall des § 630 ZPO a.F. verzichtet (Ey, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 35-36; Neumann, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 10; je m.w.N.). Es sind nur noch bestimmte Angaben im Scheidungsantrag erforderlich (§ 133 FamFG; Brudermüller, a.a.O., § 1566 BGB Rn. 2, m.w.N.). Dabei verlangt § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG lediglich die Erklärung, ob die Ehegatten eine Regelung über die dort genannten Fragen getroffen haben. Den gesetzlichen Minimalanforderungen genügt bereits der Satz: „Regelungen i.S.d. § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG haben die Ehegatten – nicht – getroffen.“ Durch die Neuregelung ist es zum ersatzlosen Wegfall des § 630 Abs. 1 ZPO a.F. gekommen (Heiter in Münchner Kommentar, ZPO/FamFG, 3. Auflage 2010, § 133 FamFG Rn. 7 ff, m.w.N.), so dass eine Einigung über die Scheidungsfolgen nicht mehr verlangt werden kann (Christmann, a.a.O., § 1933 BGB Rn. 7; Hoeren, a.a.O., § 1933 BGB Rn. 4; Leipold, a.a.O., § 1933 BGB Rn. 10-11; Stürner, a.a.O., § 1933 BGB Anm. 1 a bb; je m.w.N.).

Da § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG lediglich eine Erklärung darüber verlangt, ob die Ehegatten eine Regelung der dort aufgezählten Scheidungsfolgen getroffen haben, nicht aber über deren Inhalt, soll das Gericht nur in die Lage versetzt werden, den Ehegatten gezielte Hinweise auf Beratungsmöglichkeiten zu den Fragen zu geben, über die sie sich noch nicht geeinigt haben. Angesichts dieses Gesetzeszwecks erscheint es ausgeschlossen, die Erklärungen nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG zu den Voraussetzungen der Scheidung i.S. von §§ 1933 Satz 1, 2077 Abs. 1 Satz 2 BGB zu rechnen (Leipold, a.a.O., § 1933 BGB Rn. 11).

Wegen der Unterbrechung des Scheidungsverfahrens seit dem 29. September 2009 kommen nach der Übergangsvorschrift des Art. 111 Abs. 3 FGG-RG die Neuregelungen des FamFG hinsichtlich der nach deutschem Recht zu beurteilenden materiellen Voraussetzungen der Ehescheidung zur Anwendung (Engelhardt in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, Art. 111 FGG-RG Rn. 6), so dass auf die Einigung über die wichtigsten Scheidungsfolgen zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 1566 Abs. 1 BGB vorliegend nicht abgestellt werden kann – und nicht einmal auf die Abgabe der Erklärung nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG.

Danach wird gem. § 1566 Abs. 1 BGB unwiderlegbar vermutet, dass die Ehe der Parteien gescheitert ist. Jegliche Untersuchung, ob die Ehe tatsächlich gescheitert ist, ist unzulässig. Die unwiderlegbare Vermutung des Scheiterns der Ehe als „zwingende Beweisregel“ kann theoretisch auch dazu führen, dass eine tatsächlich nicht gescheiterte Ehe dennoch als gescheitert gilt. Diese Rechtsfolge hätte die Beschwerdeführerin durch die Rücknahme ihres Scheidungsantrags vor dem Versterben des Erblassers vermeiden können oder aber ihr Ehemann durch den Widerruf der Zustimmung, sofern tatsächlich eine Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft zwischen ihnen gewollt war.

Damit ist nicht zu beanstanden, dass das Nachlassgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ehescheidung und damit von der Unwirksamkeit der erbvertraglichen Alleinerbeneinsetzung der Beteiligten Ziff. 2 gem. §§ 2077 Abs. 1 Satz 2, 2279 Abs. 2 BGB ausgegangen ist.

d) Die Beschwerdeführerin beruft sich weiterhin darauf, dass § 2077 Abs. 1 BGB eine Auslegungsregel beinhalte und der Erblasser im Jahre 2010 geäußert habe, dass der Erbvertrag trotz des Scheidungsverfahrens Bestand haben solle. Dieser Erblasserwille sei gem. § 2077 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen.

Die Beteiligte Ziff. 2 verkennt dabei, dass es sich lediglich um eine Regel der ergänzenden Testamentsauslegung handelt (Otte in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2003, § 2077 BGB Rn. 4 und 18 ff, m.w.N.).

Aus dem Erbvertrag selbst lässt sich der wirkliche Wille des Erblassers nicht entnehmen, so dass auf den hypothetischen (mutmaßlichen) Erblasserwillen abzustellen ist – und zwar auf den Willen bei Testamentserrichtung (Otte in Staudinger, a.a.O., § 2077 BGB Rn. 20; Leipold in Münchener Kommentar, BGB/Erbrecht, Bd. 9, 5. Auflage 2010, § 2077 BGB Rn. 23 ff; je m.w.N.).

Gegen eine unmittelbare Berücksichtigung des späteren Willens spricht die Formgebundenheit der letztwilligen Verfügung. Aus späteren Umständen können allenfalls Rückschlüsse auf den hypothetischen Erblasserwillen zurzeit der Errichtung der letztwilligen Verfügung zugelassen werden. Ein gutes Verhältnis zwischen geschiedenen Eheleuten genügt dabei für sich genommen nicht, um einen auf Aufrechterhaltung der Verfügung gerichteten Willen zum Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung zu bejahen (Leipold in Münchener Kommentar, a.a.O., § 2077 BGB Rn. 25, m.w.N.).

Allein die von der Beschwerdeführerin behauptete Äußerung des Erblassers im Jahr 2010 bezüglich des Fortbestands des Erbvertrags trotz des Scheidungsverfahrens genügt nicht, um hieraus zu schließen, der Erblasser habe im Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrags den Willen gehabt, die dortige Alleinerbeneinsetzung der Beteiligten Ziff. 2 während eines rechtshängigen einvernehmlichen Scheidungsverfahrens aufrecht zu erhalten. Ihm einen solchen differenzierten Willen beim notariellen Abschluss des Erbvertrags vom 10. Dezember 1987 – eineinhalb Jahre nach der Eheschließung – zu unterstellen, ist abwegig und findet in dem Vertrag keinerlei Rückhalt.

Dies trifft gleichermaßen zu auf die Vertragsergänzung vom 15. Juni 1989, die ausschließlich den Ehevertrag betraf.

4. Nachdem damit von der Unwirksamkeit der erbvertraglichen Alleinerbeneinsetzung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 2077 Abs. 1 Satz 2, 2279 Abs. 2 BGB ausgegangen werden muss, hat das Nachlassgericht zu Recht ihren entsprechenden Erbscheinsantrag vom 26. April 2011 zurückgewiesen. Ihre hiergegen gerichtete Beschwerde war demgemäß mit der Kostenfolge von § 84 FamFG und § 131 Abs. 1 Nr. 1 KostO als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weiterer Amtsermittlungen gem. § 26 FamFG bedurft hätte.

Das Gericht bestimmt nach pflichtgemäßem Ermessen den Umfang der Ermittlungen. Dabei kann es zwar einen Beteiligten anhören und Zeugen vernehmen. Es braucht aber nicht allen nur denkbaren Möglichkeiten nachzugehen, sondern darf Ermittlungen einstellen bzw. unterlassen, wenn deren Vornahme ein die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht (mehr) erwarten lässt (Gottwald in Bassenge/Roth, FamFG/RPflG, 12. Aufl. 2009, § 26 FamFG Rn. 16, m.w.N.).

Von einer Beiziehung der liechtensteinischen Scheidungsakten waren keine über den bekannten Akteninhalt hinausgehende Erkenntnisse zu erwarten, die – soweit überhaupt relevant – nicht schon bei der Entscheidungsfindung zugrunde gelegt worden wären. Die weiteren Beweisantritte erfolgten entsprechend den obigen Ausführungen zu nicht entscheidungserheblichen Behauptungen, deren Richtigkeit unterstellt werden könnte, ohne dass hierdurch das Ergebnis der der Entscheidung zu Grunde liegenden rechtlichen Beurteilung des Senats beeinflusst würde.

Auf die weitere Problematik der Unzulässigkeit einer Erteilung des beantragten Erbscheins ohne Beschränkung auf das Gebiet der BRD im Hinblick auf das vorhandene Auslandsvermögen (§ 2369 Abs. 1 BGB) kommt es ebenfalls nicht mehr entscheidungserheblich an.

5. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 1 KostO.

Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin in der vorangegangenen Beschwerdesache 8 W 167/11 in dem Schriftsatz vom 30. August 2011 zur Höhe des Nachlasswertes in Deutschland wurden 750.000 EUR in Ansatz gebracht.

6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen gem. § 70 FamFG nicht vor.

 

 

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