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Einmaliges Fehlverhalten mit hoher Schadensfolge – Kündigung

LAG Rheinland-Pfalz

Az: 11 Sa 644/05

Urteil vom 30.03.2006


1.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 28.07.2005 (Az.: 6 Ca 335/05) wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Mit seiner am 08.04.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen eine außerordentliche, hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2005 ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 06.04.2005.

Der am ….1960 geborene Kläger, Vater zweier minderjähriger Kinder, ist bei der Beklagten, die mehr als 100 Arbeitnehmer i.S.d. KSchG beschäftigt, seit Oktober 1995 als Kabelmonteur für Montagearbeiten, zuletzt zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.500 EUR, tätig.

Er verfügt über einen Gesellenbrief als Elektroinstallateur. Im Mai 2005 erwarb er beim TÜV W einen behördlicherseits verlangten Fachkundenachweis nach BGV A2 § 8 für „Arbeiten unter Spannung“.

Der Kläger wurde bislang nicht abgemahnt.

Am 23.03.2005 war der Kläger zusammen mit seinem Kollegen …, der die gleiche Qualifikation wie der Kläger besitzt, in Zweibrücken mit der Beseitigung eines Niederspannungs-Kabelfehlers beauftragt.

Um die defekte Leitung zu finden, schlossen die Arbeitnehmer den Kabelmesswagen an. Bei den Reparaturarbeiten befand sich der Kläger bei der Ausschachtungsstelle außer Sichtweite des Messwagens. Nach Abschluss der etwa dreistündigen Arbeiten wurde das Kabel durch den Mitarbeiter … nach Rücksprache mit dem Kläger, der zu diesem Zeitpunkt noch mit Aufräumarbeiten an der Ausschachtungsstelle befand, an einer anderen Örtlichkeit als derjenigen, an welcher es freigeschaltet wurde, wieder zugeschaltet. Während der Zuschaltung war ein weiterer Mitarbeiter der Beklagten, Herr …, mit dem Einsetzen von Hausanschlusssicherungen beschäftigt.

Da der Kabelmesswagen auch bei der Stromzuschaltung noch angeschlossen war, geriet er in Brand und brannte völlig aus.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, er habe sich – was unstreitig ist – bei der Ausschachtungsstelle befunden und den Kabelfehler bereits behoben gehabt, als die Kollegen … und … hinzugekommen seien und ihn gefragt hätten, ob die Arbeiten fertig gestellt seien. Als er dies bejaht habe, habe Herr … gemeint, dann könne der Strom ja wieder zugeschaltet werden. Darauf hin seien die beiden Kollegen in wieder gegangen.

Zutreffend sei, dass er und sein Kollege … vergessen hätten, den Kabelmesswagen vor der Stromzuschaltung wieder vom Netz zu trennen. Es habe sich dabei indes um eine momentane Unaufmerksamkeit gehandelt. Eine solche sei ihm – unstreitig – in seiner gesamten bisherigen Tätigkeit erstmals unterlaufen.

Hieraus könne nicht auf eine mangelnde Qualifikation oder Eignung geschlossen werden. Ihm werde der Vorfall zur Warnung dienen. Er sei auch bereit, den Kurs „Arbeiten unter Spannung“ auf eigene Kosten zu wiederholen.

Der Kläger hat die Meinung vertreten, allein der Umstand, dass er mit teurem Arbeitsgerät arbeite, könne ihm nicht zum Nachteil gereichen.

Eine Gefährdung des Zeugen … habe nicht bestanden, da die Hauptsicherungen in Wohnhäusern üblicherweise mit einer Spezialgreifzange, die vor Funken und Stromschlägen schützen solle, herausgenommen und wieder eingesetzt würden.

Zudem sei er auch einige Tage nach dem Vorfall noch im identischen Tätigkeitsfeld eingesetzt worden. Die Beklagte habe lediglich „über Kreuz“ einen Austausch der Personen in den beiden Monteurkolonnen vorgenommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 06.04.2005 nicht beendet worden ist.

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zu unveränderten Konditionen fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, dadurch, dass der Kläger und sein Kollege wesentliche Sicherheitsvorschriften verletzt hätten, seien sowohl der Mitarbeiter … als auch Neugierige und Passanten gefährdet worden. Darüber hinaus hätten sich der Kläger und der Kollege … nicht gegenseitig überwacht, obwohl die Kolonnenbildung gerade dazu diene, eine doppelte Sicherheit und Kontrolle zu gewährleisten. Zudem werde ein Kabel in der Regel an der Örtlichkeit wieder zugeschaltet, an welcher es freigeschaltet worden sei. Wäre der Kläger so vorgegangen, hätte er festgestellt, dass der Kabelmesswagen noch angeschlossen gewesen sei.

In seiner Kolonne habe der Kläger als Dienstälterer grundsätzlich das Sagen gehabt. Ihm sei faktisch die Vorarbeiterfunktion gegenüber seinem Kollegen … zugekommen. Es sei der Kläger gewesen, der Herrn … die Weisung gegeben habe, den Strom wieder zuzuschalten.

Der Kläger und sein Kollege hätten durch ihr Verhalten anlässlich des Schadensfalles ihre mangelnde Eignung bewiesen. Der Sachverhalt sei vergleichbar mit Fällen der fehlenden bzw. weggefallenen Arbeitserlaubnis, Fahrerlaubnis, Gesundheitszeugnis bzw. der schulaufsichtlichen Genehmigung.

Wegen des hohen Schadens von ca. 150.000 EUR sowie der konkreten Gefährdung von Leib und Leben Dritter sei – auch aus generalpräventiven Gründen – ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB anzunehmen.

Einer vorausgegangenen Abmahnung habe es nicht bedurft. Eine außerordentliche Kündigung sei bereits bei einem einmaligen fahrlässigen Versagen zulässig, wenn das Versehen eines qualifizierten Beschäftigten, der eine besondere Verantwortung übernommen habe, geeignet sei, einen besonders schweren Schaden herbeizuführen und der Arbeitgeber das Seine getan habe, die Möglichkeiten für ein solches Verhalten und seine Folgen einzuschränken.

Es sei zwar zutreffend, dass der Kläger und sein Kollege nach dem Schadensereignis jeweils einer anderen Kolonne als Helfer zugeteilt worden seien, auf Dauer bestehe aber kein Bedarf für einen solchen Einsatz.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 28.07.2005, das der Beklagten am 08.11.2005 zugestellt worden ist, der Klage stattgegeben und im Wesentlichen ausgeführt, das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis sei weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung beendet worden. Zwar hätten der Kläger und sein Kollege unter Außerachtlassung elementarer Sicherheitsbestimmungen (Erden und Kurzschließen) vergessen, den Kabelmesswagen nach dem Messvorgang und vor der Stromzuschaltung wieder vom Netz zu trennen und hierdurch einen hohen Sachschaden verursacht. Ein solches einmaliges und fahrlässiges Versagen eines Arbeitnehmers sei indes nur in Ausnahmefällen „an sich“ geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Eine konkrete Gefährdung des Herrn U habe wegen des erforderlichen besonders gesicherten Werkzeugs nicht bestanden. Zudem sei unbestritten geblieben, dass üblicherweise die Stromzufuhr für Hausanwesen nicht unterbrochen werde, wenn dort an den Hauptstromleitungen gearbeitet werde. Die Beklagte habe auch keine konkrete Gefährdung von Passanten dargelegt.

Allein der Umstand, dass der Kläger mit wertvollem Arbeitsgerät hantiere und es dadurch bei einer Fehlleistung naturgemäß zu einem hohen Sachschaden kommen könne, könne ihm nicht generell zum Nachteil gereichen.

Auch die abschließende Interessenabwägung führe zu einem Überwiegen des klägerischen Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnis.

Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass nicht der Kläger, sondern der Kollege … den Strom zugeschaltet habe und dies auch noch an einer anderen Örtlichkeit als derjenigen, an der die Freischaltung erfolgt sei. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger noch mit dem Abschluss der Reparaturarbeiten beschäftigt gewesen. Dieses (weitere) Fehlverhalten könne dem Kläger nicht zugerechnet werden.

Die Kündigung sei vorliegend auch nicht das mildeste Mittel. Die Beklagte weise selbst darauf hin, dass die Arbeiten in Kolonnen verrichtet würden. Es erscheine daher als ausreichend, dass ein Austausch der Kolonnenmitglieder „über Kreuz“ erfolge, zumal dies – unstreitig – tatsächlich kurz nach dem Vorfall auch so geschehen sei.

Hiergegen richtet sich die am 02.08.2005 eingegangene und mittels eines am Montag, dem 09.01.2006, per Fax bei dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatzes begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt im Wesentlichen vor, das Erstgericht habe insbesondere nicht ausreichend berücksichtigt, dass es sich bei der vom Kläger geschuldeten Arbeitsleistung um eine verantwortungsvolle und gefahren- sowie schadensträchtige Tätigkeit handele, für die eine Zusatzausbildung verlangt werde. Darüber hinaus sei der Kläger mit seinem Kollegen in einem Trupp eingesetzt worden, um eine wechselseitige Kontrolle zu gewährleisten und einem Schaden aufgrund eines „Vergessens“ vorzubeugen. Damit habe sie – die Beklagte – das Ihre getan, um einen Schadenseintritt zu vermeiden.

Das Arbeitsgericht habe auch verkannt, dass der Kläger bereits im Rahmen seiner Treuepflicht verpflichtet gewesen sei, Schäden von ihrem Betrieb abzuwenden bzw. in Grenzen zu halten. Darüber hinaus gehöre auch die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften zur arbeitsvertraglichen Nebenpflicht. Ein Verstoß hiergegen sei grundsätzlich geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen

Die Auffassung des Erstgerichts, der Schaden sei erst durch das zusätzliche Fehlverhalten des Kollegen V eingetreten, überzeuge nicht. Der Kläger und sein Kollege seien gerade im Hinblick auf die wechselseitige Kontrolle als Arbeitseinheit eingesetzt worden. Wäre die Auffassung des Arbeitsgerichts zutreffend, könnte bei einer aus zwei Männern bestehenden Kolonne bei einem Fehler eines Kolonnenmitglieds, der auf wechselseitige Nachlässigkeiten zurückzuführen sei, überhaupt keine Kündigung ausgesprochen werden. Die Kolonnenangehörigen seien daher als Einheit zu betrachten.

Ein „Überkreuzaustausch“ komme als milderes Mittel nicht in Betracht. Der Austausch von zwei Kolonnenmitgliedern, die bei der wechselseitigen Kontrolle versagt hätten, mit Mitgliedern aus einer anderen Kolonne sei im Hinblick auf den sicherheitsgefährdeten Arbeitsbereich nicht vertretbar, weil dann das Dritt-Kolonnenmitglied die weitere Überwachungslast gegenüber dem schwächeren Kolonnenmitglied tragen müsste.

Bezüglich des Einsatzes des Kabelmesswagens trage der Kläger unrichtig vor. Tatsächlich sei der Kläger auf dem Kabelmesswagen in den Jahren 2002 bis 2004 jährlich zwischen acht- und dreizehnmal und im ersten Quartal 2005 immerhin viermal eingesetzt worden.

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Die Beklagte beantragt zuletzt: das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenfällig zurückzuweisen.

Er trägt im Wesentlichen vor, seine Tätigkeit habe gerade nicht überwiegend in der Überprüfung und Behebung von Kabelfehlern mit Hilfe des Kabelmesswagens, sondern zu ca. 90 % der Arbeitszeit in der Erstellung von Hausanschlüssen, dem Verlegen von Stromkabeln, der Überprüfung von Ampelanlagen und Straßenbeleuchtungen sowie in der Reinigung von Transformatorenstationen bestanden. Weit überwiegend sei er daher mit Tätigkeiten betraut gewesen, bei denen er es nicht mit teuren Werkzeugen zu tun gehabt habe.

Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten und zu den Akten gelangten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Das Rechtsmittel der Berufung ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 ArbGG, statthaft. Die Berufung der Beklagten erfolgte im Hinblick auf die Zustellung des vollständig abgefassten Urteils an die Beklagte am 08.11.2005 auch form- und fristgerecht (§§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 511 ff. ZPO i.V.m. §§ 187, 188, 193 BGB).

B.

Die zulässige Berufung der Beklagten erweist sich indes im Ergebnis als unbegründet. Auch nach Überzeugung der Berufungskammer hat die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien im Hinblick auf die konkreten Umstände des Einzelfalles weder fristlos noch nach Ablauf der Kündigungsfrist beendet.

Im Einzelnen:

I.

Das KSchG findet unstreitig Anwendung (§§ 1, 23 KSchG). Die Kündigungsschutzklage wurde auch innerhalb der dreiwöchigen Klageerhebungsfrist der §§ 4 Abs. 1 Satz 1, 7, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG erhoben.

II.

Das Arbeitsgericht geht indes zu Recht davon aus, dass die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis weder fristlos noch mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet hat.

1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zur Konkretisierung des Kündigungsgrundes ist dabei zweistufig zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Sodann ist zu untersuchen, ob bei Berücksichtigung dieser Umstände und der Interessenabwägung die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (statt vieler: bereits BAG Urt. v. 17.05.1984, NZA 1985, 92).

Nach § 1 Abs. 1 und 2 KSchG ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer bei dem hier gegebenen Vorliegen der Anwendbarkeit des KSchG u.a. dann sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist.

a) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich sowohl die streitgegenständliche außerordentliche, als auch die hilfsweise ordentliche Kündigung jedenfalls unter Berücksichtigung der konkreten Umständen des Einzelfalles nicht aus verhaltensbedingten Gründen als wirksam.

aa) In diesem Zusammenhang weist das Arbeitsgericht zunächst zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht Schlechtleistungen und unzureichende Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers in der Regel dessen außerordentliche Kündigung nicht ohne weiteres rechtfertigen, sondern die Interessen des Arbeitgebers und des Betriebs im Allgemeinen durch den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung und zwar nach vorausgegangener Abmahnung genügend gewahrt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Arbeitnehmer fahrlässig großen Schaden verursacht (BAG Urt. vom 04.07.1991 – 2 AZR 79/91 -, m.w.N.). Denn grundsätzlich liegt das Risiko der richtigen Auswahl des Arbeitnehmers beim Arbeitgeber.

Dies gilt allerdings – auch hiervon geht das Arbeitsgericht zu Recht aus – nicht uneingeschränkt für alle möglichen Fallkonstellationen. So kann in Ausnahmefällen eine außerordentliche Kündigung auch bereits bei einem einmaligen fahrlässigen Versagen ohne vorausgegangene Abmahnung zulässig sein. Dies gilt z.B. dann, wenn das Versehen eines gehobenen Angestellten, der eine besondere Verantwortung übernommen hat, geeignet war, einen besonders schweren Schaden herbeizuführen und der Arbeitgeber das Seine dazu beigetragen hat, die Möglichkeiten für ein solches Versehen und seine Folgen einzuschränken (BAG, a.a.O., m.w.N.).

bb) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechungsgrundsätze, denen die Kammer folgt, ist ein solcher Ausnahmefall vorliegend nicht gegeben.

(1) Zwar gilt es – was auch das Arbeitsgericht nicht verkannt hat – zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass der Kläger und sein Kollege … bei dem in Rede stehenden Vorgang elementare Sicherheitsbestimmungen verletzt und einen hohen Schaden dadurch verursacht haben, dass sie Kabelmesswagen nicht direkt nach dem Messvorgang, jedenfalls aber vor der Stromzuschaltung, vom Netz genommen. Damit hat der Kläger – was er im Übrigen auch einräumt – ebenso wie sein Kollege … zweifellos seine arbeitsvertraglichen Pflichten, insbesondere zur Unfallvermeidung in erheblicher Weise verletzt und zudem einen hohen, wohl aber versicherten, Sachschaden verursacht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Kammer folgt, reicht allein dies bereits wegen des bei einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich bestehenden Erfordernisses einer vorherigen einschlägigen Abmahnung weder aus, um eine außerordentliche noch um eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Die streitgegenständliche Kündigung erweist sich auch unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles auch nach Überzeugung der Berufungskammer als unwirksam bzw. sozial nicht gerechtfertigt. Ein Ausnahmefall, wie er der von der Beklagten zitierten Entscheidung zugrunde lag, liegt hier nicht vor.

(2) Das Erstgericht geht zunächst zu Recht davon aus, dass der Schaden zwar vor allem aber nicht allein nur dadurch entstanden ist, dass beide Mitarbeiter es verabsäumt haben, den Kabelmesswagen vor der Stromzuschaltung vom Netz zu nehmen. Vielmehr hat der Mitarbeiter … den Strom wieder angeschlossen und dabei nach dem eigenen Vortrag der Beklagten einen weiteren Fehler dadurch begangen, dass er das Kabel nicht an der Örtlichkeit wieder zugeschaltet hat, an welcher es freigeschaltet wurde. Dadurch hat er die Möglichkeit vertan, zu erkennen, dass der Kabelmesswagen noch angeschlossen war.

Selbst wenn man daher zugunsten der Beklagten davon ausgeht, dass der Kläger jedenfalls faktisch eine Vorarbeiterfunktion inne hatte und dem Mitarbeiter … tatsächlich die Weisung gegeben hätte, den Strom wieder zuzuschalten, konnte der Kläger indes nicht wissen – dies ist ihm daher auch nicht zuzurechnen -, dass Herr … das Kabel nicht an der Örtlichkeit wieder zugeschaltet, an welcher es freigeschaltet wurde. Entgegen der Auffassung der Beklagten können kündigungsrechtlich Fehler eines Kolonnenmitglieds nicht generell auch dem anderen zugeordnet werden; vielmehr ist ein eventuelles Fehlverhalten für jeden Arbeitnehmer gesondert zu betrachten und zu bewerten.

Soweit die Beklagten dem Kläger darüber hinaus vorwirft, er habe sich außerhalb der Sichtweite des Messwagens befunden, ist sie nicht auf dessen Vortrag, er habe sich aktiv an den Reparaturarbeiten beteiligt und sich bei der Ausschachtungsstelle befunden, eingegangen. Die Beklagte hat selbst nicht behauptet, dass es dem Kläger in jedem Falle, auch wie hier zur Behebung des Schadens, untersagt gewesen wäre, die Sichtweite zum Kabelmesswagen zu verlassen.

Hinzu kommt, dass der Kläger nach seinem Vortrag lediglich zu ca. 10 % seiner Arbeitszeit mit den hier in Rede stehenden, besonders verantwortungsvollen Tätigkeiten betraut war. Diese Angabe hat die Beklagte zwar bestritten, aber auch aus ihrem Vorbringen zur Häufigkeit des Einsatzes des Klägers auf dem Kabelmesswagen (durchschnittlich ca. vier Einsätze im Quartal) wird ersichtlich, dass dieser überwiegend mit anderen, weniger verantwortungsvollen und gefahrenträchtigen Arbeiten betraut war. Der Arbeitsbereich des Klägers ist daher mit demjenigen eines gehobenen Angestellten, der insgesamt eine besondere Verantwortung übernommen hat, nicht vergleichbar.

Zudem handelt es sich vorliegend – anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 04.07.1991 – 2 AZR 79/91 -) entschiedenen Fall – um ein einmaliges fahrlässiges Versagen des Klägers, der überdies zu diesem Zeitpunkt bereits mehr als neun Jahre bei der Beklagten beanstandungs- und abmahnungsfrei gearbeitet hat.

Die weiteren zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Frage der fehlenden konkreten Gefährdung des Zeugen U und eventueller Passanten, die sich die Kammer zu eigen macht, hat die Beklagte in der Berufungsinstanz nicht (mehr) angegriffen.

Nach alledem ist dem Kläger zwar um ein schwerwiegendes, aber einmaliges und fahrlässiges Versagen vorzuwerfen, das sich auch nicht wiederholen darf. Es ist aber auch nach Überzeugung der Berufungskammer ohne vorherige einschlägige Abmahnung weder geeignet, das Arbeitsverhältnis fristlos noch nach Ablauf der Kündigungsfrist zu beenden.

b) Die streitgegenständliche Kündigung erweist sich auch nicht aus personenbedingten Gründen als gerechtfertigt.

Zwar stellt die körperliche und/oder geistige Eignung für die Ausübung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung grundsätzlich einen personenbedingten Kündigungsgrund dar, wobei die fehlende Eignung auch auf einer mangelnden fachlichen Qualifikation, z.B. dem Fehlen der erforderlichen beruflichen Qualifikationsnachweise, beruhen kann.

In diesem Zusammenhang ist die Beklagte für das Bestehen eines personenbedingten Grundes beweisfällig geblieben. Sie hat den Vortrag des Klägers, trotz des in Rede stehenden Vorfalls habe er keine Lizenz oder sonstige berufsspezifische Erlaubnisse oder gar seinen Gesellenbrief verloren, nicht in erheblicher Weise nicht einmal bestritten und als darlegungs- und beweispflichtige Partei erst Recht keinen Beweis für das Gegenteil angetreten.

Sie ist auch nicht auf die Behauptung des Klägers, eventuelle Zweifel an seiner Eignung könnten auch dadurch ausgeräumt werden, dass er den zwei Tageskurs „Arbeiten unter Spannung“ noch einmal wiederhole – wozu er auch auf eigene Kosten bereit sei -, eingegangen.

Hinzu kommt, dass es sich auch bei einer behaupteten mangelnden Eignung um eine Störung im Leistungsbereich handelt, so dass auch ein personenbedingter Grund nur dann angenommen werden kann, wenn der Arbeitnehmer zuvor erfolglos abgemahnt worden ist (KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG, § 1 Rn. 304, m.w.N.), es sei denn, es liegt ein unbehebbarer Mangel vor.

An einer einschlägigen Abmahnung fehlt es – wie oben bereits dargestellt – indes.

2. Dem Arbeitsgericht ist auch darin zu folgen, dass auch die stets vorzunehmende Interessenabwägung im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles im Ergebnis dazu führt, dass die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis weder fristlos, noch mit Ablauf der einschlägigen Kündigungsfrist beendet hat.

Zugunsten der Beklagten war neben den oben Dargestellten Umständen des Einzelfalles insbesondere zu beachten, dass der Kläger – wie oben im Einzelnen dargestellt – elementare Sicherheitsvorgaben missachtet und ein hoher Sachschaden eingetreten ist. Zudem kann bei Ausbruch eines Fahrzeugbrandes zumindest eine abstrakte Gefährdung Dritter auch nicht völlig ausgeschlossen werden. Es handelt sich mithin um einen schwerwiegend und nach Auffassung der Kammer auch abmahnungswürdigen Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Sorgfaltspflichten.

Demgegenüber war zu Gunsten des Klägers im Wesentlichen zunächst zu berücksichtigen, dass es sich trotz fast zehnjähriger Beschäftigung um ein einmaliges und fahrlässiges Verhalten handelte und der Kläger zuvor über viele Jahre beanstandungs- und abmahnungsfrei gearbeitet hat. Zugunsten des Klägers waren zudem seine Betriebszugehörigkeit und sein Lebensalter – der Kläger war im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung 45 Jahre alt und hat zwei Kinder – ebenso zu berücksichtigen wie die sich daraus ergebenden nicht gerade günstigen Aussichten auf dem Arbeitsmarkt.

Nach alledem war zu entscheiden wie geschehen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 ZPO.

IV. Mangels Vorliegen der Voraussetzungen war die Zulassung der Revision nicht veranlasst (§ 72 ArbGG).

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