OVG NRW – Az.: 13 B 695/20.NE – Beschluss vom 23.06.2020
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen im Zuge der Bekämpfung der Corona-Pandemie erlassene Regelungen zur Erhebung, Aufbewahrung und Weitergabe von Kundendaten im Bereich der Gastronomie, des Friseurhandwerks und der Fitnessstudios.
Die Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (Coronaschutzverordnung – CoronaSchVO) vom 10. Juni 2020 (GV. NRW. S. 382a), zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020 (GV. NRW. S. 446) trifft insoweit die folgenden Regelungen:
§ 2a
Rückverfolgbarkeit
(1) Die einfache Rückverfolgbarkeit im Sinne dieser Vorschrift ist sichergestellt, wenn die den Begegnungsraum eröffnende Person (Gastgeber, Vermieter, Einrichtungsleitung, Betriebsinhaber, Veranstaltungsleitung usw.) alle anwesenden Personen (Gäste, Mieter, Teilnehmer, Besucher, Kunden, Nutzer usw.) mit deren Einverständnis mit Name, Adresse und Telefonnummer sowie – sofern es sich um wechselnde Personenkreise handelt – Zeitraum des Aufenthalts bzw. Zeitpunkt von An- und Abreise schriftlich erfasst und diese Daten für vier Wochen aufbewahrt. Der gesonderten Erfassung von Adresse und Telefonnummer bedarf es nicht, wenn diese Daten für den Verantwortlichen bereits verfügbar sind.
(2) Die besondere Rückverfolgbarkeit im Sinne dieser Vorschrift ist sichergestellt, wenn die nach Absatz 1 verantwortliche Person zusätzlich zur Erhebung der Daten nach Absatz 1 einen Sitzplan erstellt und für vier Wochen aufbewahrt. In dem Sitzplan ist zu erfassen, welche anwesende Person wo gesessen hat.
(3) Die in den vorstehenden Absätzen genannten personenbezogenen Daten sind nach den geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften zu verarbeiten, insbesondere vor dem Zugriff Unbefugter zu sichern und nach Ablauf von vier Wochen vollständig datenschutzkonform zu vernichten. Die für die Datenerhebung gemäß Absatz 1 Verantwortlichen können zusätzlich eine digitale Datenerfassung anbieten, haben dabei aber sämtliche Vorgaben des Datenschutzes (insbesondere bei der Fremdspeicherung von Daten) und die vollständige datenschutzkonforme Löschung der Daten nach vier Wochen in eigener Verantwortung sicherzustellen. Zudem sind die Daten im Bedarfsfall der zuständigen Behörde auf Verlangen kostenfrei in einem von ihr nutzbaren Format – auf Anforderung auch papiergebunden – zur Verfügung zu stellen. Personen, die in die digitale Datenerfassung nicht einwilligen, ist in jedem Fall eine nur papiergebundene Datenerfassung anzubieten.
(4) In allen Fällen des Zusammentreffens mehrerer Personen, in denen diese Verordnung nicht die Rückverfolgbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 anordnet, liegt es in der Verantwortung der zusammentreffenden Personen, für vier Wochen nach dem Zusammentreffen zu gewährleisten, dass im Fall einer Infizierung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 sämtliche Personen der unteren Gesundheitsbehörde mit Kontaktdaten benannt werden können.
(5) Die vorstehenden Regelungen gelten nicht, soweit gesetzlich eine Anonymität der Personen, die ein Angebot in Anspruch nehmen bzw. eine Einrichtung aufsuchen, vorgesehen ist.
§ 9
Sport
[…]
(4) Beim Betrieb von Fitnessstudios sind die in der Anlage zu dieser Verordnung festgelegten Hygiene- und Infektionsschutzstandards zu beachten.
[…]
§ 12
Handwerk, Dienstleistungsgewerbe, Heilberufe
[…]
(2) Für die folgenden Handwerker– und Dienstleistungen, bei denen ein Mindestabstand von 1,5 Metern zum Kunden nicht eingehalten werden kann, sind die in der Anlage zu dieser Verordnung festgelegten Hygiene- und Infektionsschutzstandards zu beachten:
1. Friseurleistungen, […]
§ 14
Gastronomie
(1) Beim Betrieb von Restaurants, Gaststätten, Kneipen, Bars, Imbissen, (Eis-)Cafés, öffentlich zugänglichen Mensen und Kantinen, Speisewagen und Bistros im Personenverkehr sowie ähnlichen gastronomischen Einrichtungen sind die in der Anlage zu dieser Verordnung festgelegten Hygiene- und Infektionsschutzstandards zu beachten. Am selben Tisch dürfen gemeinsam nur Personen sitzen, die zu den in § 1 Absatz 2 genannten Gruppen gehören.
[…]
In der Anlage „Hygiene- und Infektionsschutzstandards“ zur Coronaschutzverordnung sind ergänzend folgende Regelungen niedergelegt:
I. Gastronomie (Innen- und Außengastronomie)
Unabhängig von den nachfolgend aufgeführten Regelungen zum Infektionsschutz sind die Vorschriften zur Lebensmittelhygiene und Lebensmittelsicherheit einzuhalten.
1. […] Gästen, die nicht zur Einhaltung der nachfolgenden Regeln bereit sind, ist im Rahmen des Hausrechtes der Zutritt zu verwehren.
[…]
4. […] Kundenkontaktdaten der Gäste sowie Zeiträume des Aufenthaltes in der Innen- und Außengastronomie sind für jede Tischgruppe – unter Einholen des Einverständnisses – nach § 2a Absatz 1 der CoronaSchVO zu erheben. Dabei ist ausdrücklich eine einfache, auf den Tischen ausliegende Liste (einschließlich Einverständniserklärung zur Datenerhebung) für jede den Tisch nutzende Personengruppe ausreichend. Für zulässige Veranstaltungen kann eine Gesamtliste erstellt werden, wobei es ausreichend ist, wenn der Veranstalter im Bedarfsfall die weiteren Kontaktdaten zur Verfügung stellen kann. Soweit nach der CoronaSchVO erforderlich hat die Liste eine Sitzplatzzuordnung zu enthalten.
[…]
III. Friseurhandwerk in Friseursalons (entsprechend bei mobilen Friseurdienstleistungen)
Grundsätzlich ist die Verordnung zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (Hygiene-Verordnung) des Landes Nordrhein-Westfalen in der geltenden Fassung zu beachten.
1. Kundenkontaktdaten sowie Zeitpunkt des Betretens und Verlassens der Friseursalons bzw. der Geschäftsräume sind unter Einholen des Einverständnisses nach § 2a Absatz 1 der CoronaSchVO zu erheben. […]
VII. Fitnessstudios
1. Kundenkontaktdaten sowie Zeitpunkt des Betretens und Verlassens des Fitnessstudios bzw. der Geschäftsräume sowie die Teilnahme an bestimmten Kursen sind unter Einholen des Einverständnisses nach § 2a Absatz 1 der CoronaSchVO zu erheben. […]
Der Antragsteller hat am 13. Mai 2020 einen Normenkontrollantrag gestellt (13 D 79/20.NE) und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Er lebe mit seiner Familie in C. . Vor Beginn der Corona-Pandemie habe er regelmäßig ein Fitnessstudio besucht sowie gastronomische Einrichtungen genutzt und beabsichtige dies nach Aufhebung der Beschränkungen erneut, ebenso wie den erstmaligen Besuch eines Friseurs. Für alle drei Bereiche sehe die Verordnung die anlasslose Erhebung von Vorratsdaten vor, die ihn in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletze. Ohne Preisgabe seiner Daten könne er nicht am öffentlichen Leben teilnehmen. Es fehle bereits an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Verordnungsermächtigung für die angegriffenen Regelungen. Die Grundentscheidung, ob und unter welchen Bedingungen von Nichtstörern Vorratsdaten erhoben werden dürften, bedürfe einer bundeseinheitlichen Regelung durch förmliches Gesetz. Daran fehle es. Der Bundesgesetzgeber könne sich auch nicht darauf berufen, in der derzeitigen Lage auf den Gebrauch von Generalklauseln angewiesen zu sein. Er habe das Infektionsschutzgesetz in den letzten Wochen mehrfach angepasst und es dabei versäumt, ihm eine den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen und dem Grundsatz der Wesentlichkeitstheorie genügende Fassung zu verleihen. Insbesondere habe er auch die Vorschriften über Meldepflichten in §§ 6 und 7 IfSG geändert, ohne diese oder die Generalklausel aber um eine Ermächtigung zur Vorratsdatenspeicherung gegenüber Nichtstörern zu ergänzen. Vielmehr habe der Gesetzgeber es dabei belassen, dass Meldepflichten nur gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern zulässig seien. Angesichts dessen scheide ein Rückgriff auf die Generalklausel aus. Darüber hinaus sei das Zitiergebot verletzt, weil § 16 IfSBG-NRW keine Befugnisse für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorsehe. Die Einschätzungen des Robert Koch-Instituts entsprächen nicht dem aktuellen Erkenntnisstand. Es habe zu keinem Zeitpunkt einen exponentiellen Anstieg der beobachteten Neuinfektionen gegeben, daher sei auch im Falle der Aufhebung der Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung nicht mit einer Beschleunigung des Infektionsgeschehens zu rechnen. Die vom Robert Koch-Institut angenommenen Steigerungsraten seien vielmehr darauf zurückzuführen, dass die Zunahme der Testkapazitäten und die Meldeverzögerungen bei der Bewertung nicht berücksichtigt worden seien. Überdies würden punktuelle und eindeutig identifizierbare Ausbruchsgeschehen bei der Bewertung nur unzureichend berücksichtigt. Unberücksichtigt bleibe ferner, dass die Gefahr der Infektionsübertragung in der häuslichen Umgebung höher sei als bei Alltagskontakten und die Wahrscheinlichkeit der Übertragung des Virus auf eine andere Person wesentlich geringer sei als ursprünglich angenommen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems gedroht habe oder aktuell drohe. Die Maßnahmen seien zudem unverhältnismäßig. Eine Vielzahl von Personen gebe keine korrekten Daten an, sodass eine Personenidentifizierung nicht möglich sei und die Regelungen an einem strukturellen Vollzugsdefizit litten. Die aktuelle Gefahrenlage rechtfertige keine landesweite Datenerhebung. Außerdem ermöglichten die erhobenen Daten nicht die bezweckte Kontaktpersonennachverfolgung, weil den Gesundheitsämtern die personelle Ausstattung fehle, um bei einem erneuten Ausbruchsgeschehen eine Vielzahl von Kontakten anhand der erhobenen Daten in einem nichtautomatischen Verfahren nachzuverfolgen. Wegen der geringen Zahl von Neuinfizierungen sei es unwahrscheinlich, dass die erhobenen Daten überhaupt verwendet würden. Die Regelungen seien daher überflüssig. Aus diesem Grunde könnten Ausbrüche auch ohne die Inanspruchnahme von sog. Nichtstörern effektiv bekämpft werden. Unangemessen seien sie, weil die Coronaschutzverordnung keine Vorgaben zur Zweckbindung, Art der Erhebung und Aufbewahrung, zum Schutz vor Missbrauch, zur Vernichtung der Daten sowie über die Aufklärung der Betroffenen enthalte. Schließlich werde der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil eine Datenerhebung in Kultureinrichtungen, beim Gottesdienst und für nicht-öffentliche Kantinen nicht vorgesehen sei.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug von § 9 Abs. 4 CoronaSchVO i. V. m. Ziffer VII Nr. 1 Satz 1 der Anlage zur CoronaSchVO, § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 CoronaSchVO i. V. m. Ziffer III Nr. 1 Satz 1 der Anlage zur CoronaSchVO und § 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. Ziffer I Nr. 4 Satz 2 der Anlage zur CoronaSchVO bis zu einer Entscheidung über seinen Normenkontrollantrag auszusetzen.
Der Antragsgegner verteidigt die angegriffenen Regelungen und beantragt, den Antrag abzulehnen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, der sich nach verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers nunmehr gegen die Coronaschutzverordnung vom 10. Juni 2020 richtet, hat keinen Erfolg.
Er ist gemäß § 47 Abs. 6, Abs. 1 Nr. 2 VwGO i. V. m. § 109a JustG NRW statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO, da er geltend machen kann, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die streitigen Regelungen zur Erhebung, Aufbewahrung und Weitergabe von Kundendaten lassen eine Verletzung des Antragstellers in seinen Grundrechten auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG und auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG zumindest möglich erscheinen.
Der Antrag ist aber unbegründet, weil die vom Antragsteller begehrte einstweilige Anordnung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist (§ 47 Abs. 6 VwGO). Der Normenkontrollantrag in der Hauptsache bleibt voraussichtlich ohne Erfolg, weil sich die vom Antragsteller angegriffenen §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO bei einer wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich als rechtmäßig erweisen (1.). Auch unter Berücksichtigung etwaig verbleibender Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung erscheint eine Außervollzugsetzung der streitgegenständlichen Norm nicht dringend geboten (2.).
Vgl. zu den Entscheidungsmaßstäben BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 VR 5.14 -, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschlüsse vom 6. April 2019 – 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 32, und vom 26. August 2019 – 4 B 1019/19.NE -, juris, Rn. 12; Nds. OVG, Beschluss vom 17. Februar 2020 – 2 MN 379/19 -, juris, Rn. 24, m. w. N.; Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 47 Rn. 395.
1. Rechtsgrundlage für §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO ist § 32 Sätze 1 und 2 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 (BGBl. I 587). Nach § 32 Satz 1 IfSG werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 IfSG maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Die Landesregierungen können gemäß § 32 Satz 2 IfSG die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen nach Satz 1 der Vorschrift durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 IfSG genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist.
a. Es bestehen voraussichtlich keine durchgreifenden Bedenken gegen § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Verordnungsermächtigung. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE -, juris,
vgl. ferner Senatsbeschlüsse vom 15. April 2020 – 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 46, und vom 16. April 2020 – 13 B 452/20.NE – und – 13 B 471/20.NE -,
auf den er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, entschieden, dass die Verordnungsermächtigung hinsichtlich der Regelungen der Coronaschutzverordnung voraussichtlich den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen genügt (juris, Rn. 37 ff.) und etwaige verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf den Vorbehalt des Gesetzes jedenfalls im vorliegenden Pandemiefall nicht durchgreifen (juris, Rn. 50 ff.).
Hieran hält er mit Blick auf das Antragsvorbringen fest. Selbst wenn für den parlamentarischen Gesetzgeber wegen der Auswirkungen auf das hier zuvörderst in Rede stehende Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eine Verpflichtung bestünde, die Vorschriften über die Schutzmaßnahmen im Hinblick auf die Erhebung von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträume auf Tatbestands- und/oder Rechtsfolgenseite zu konkretisieren, führte dies aktuell (noch) nicht dazu, dass der Verordnungsgeber nicht auf die Generalklausel in § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG zurückgreifen könnte. Zwar trifft es zu, dass der Bundesgesetzgeber das Infektionsschutzgesetz seit Beginn der Corona-Pandemie bereits mehrfach weiterentwickelt und präzisiert hat. Angesichts der Dynamik des Infektionsgeschehens, das sich zudem je nach Örtlichkeit wesentlich unterscheiden kann, sind dem Bundesgesetzgeber vorausschauend alle Konstellationen erfassende gesetzliche Regelungen aber kaum möglich. Auch der nordrhein-westfälische Verordnungsgeber hat die Schutzmaßnahmen in den letzten Wochen immer wieder an das aktuelle Infektionsgeschehen anpassen müssen und dabei eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen ergriffen. Zudem kann den Entwicklungen durchaus mit unterschiedlichen Maßnahmen begegnet werden, wie die im Einzelnen variierenden landesrechtlichen Regelungen zeigen. Angesichts dessen drängt sich dem Senat jedenfalls ein unmittelbar bestehender Handlungsbedarf des Bundesgesetzgebers nicht auf.
Anderes folgt entgegen dem Antragsvorbringen nicht daraus, dass zu den im Zuge der Corona-Pandemie geänderten Vorschriften auch die in den §§ 6 und 7 IfSG getroffenen Regelungen über (namentliche) Meldepflichten beim Verdacht oder Auftreten bestimmter Infektionskrankheiten und beim Nachweis bestimmter Krankheitserreger gehören. Dies schließt es anknüpfend an die vorstehenden Erwägungen voraussichtlich nicht aus, datenschutzrechtlich relevante Maßnahmen, die erkennbar einen anderen Zweck verfolgen, (weiterhin) auf die Generalklausel zu stützen. Vorliegend stehen nicht Meldepflichten im Sinne von §§ 6 ff. IfSG in Streit, sondern Maßnahmen, die die vorsorgliche Erfassung von Kontaktdaten in den jeweiligen Einrichtungen vorsehen, um gegebenenfalls Infektionsketten nachverfolgen zu können.
Angesichts des unterschiedlichen Zwecks der Maßnahmen ist insoweit auch nicht ersichtlich, dass der Rückgriff auf die infektionsschutzrechtliche Generalklausel wegen der in §§ 6 ff. IfSG enthaltenen speziellen Regelungen zu den Meldepflichten ausgeschlossen ist.
Entgegen der Auffassung des Antragstellers liegt voraussichtlich auch kein Verstoß gegen das in Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG niedergelegte Zitiergebot vor. Zwar ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts,
vgl. z. B. BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983 – 1 BvR 209/83 -, juris, 148; Sachs, in: Sachs, GG, 8. Auflage 2020, Art. 2 Rn. 73; Dreier, in Dreier, GG, 3. Auflage 2013, Bd. I, Art. 2 Abs. 1 Rn. 79; vgl. zum Anspruch auf Schutz der personenbezogenen Daten nach Art. 4 Abs. 2 Verf. NRW als Konkretisierung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung OVG NRW, Urteil vom 5. Dezember 1988 – 13 A 1885/88 -, NJW 1989, 2966; dazu auch Kamp, in: Heusch/Schönenbroicher, LV NRW, 2. Auflage 2020, Art. 4 Rn. 53,
in § 32 Satz 3 IfSG nicht als Grundrecht benannt, das durch Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eingeschränkt werden kann. Dies dürfte aber nicht zu beanstanden sein, weil das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wegen der dogmatischen Zuordnung zu Art. 2 Abs. 1 GG zu den Grundrechten gehört, die von vornherein nur unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet werden, sodass das Zitiergebot keine Anwendung findet.
Vgl. dazu OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 27. Mai 2020 – OVG 11 S 43/20 -, juris, Rn. 15 ff.; Sächs. OVG, Urteil vom 3. April 2019 – 5 A 332/15 -, juris, Rn. 28; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Auflage 2018, Art. 2 Rn. 58 und Art. 19 Rn. 5 f., in Abweichung zur 13. Auflage 2014, Art. 19 Rn. 4; Kahl/Ohlendorf, in: JuS 2008, 682 (687); der Sache nach wohl auch BVerfG, Urteil vom 27. Februar 2008 – 1 BvR 370/07 u. a. -, juris, Rn. 288 und 300 ff. einerseits und Rn. 313 ff. andererseits; a. M. wohl Sachs, in: Sachs, GG, 8. Auflage 2018, Art. 19 Rn. 29; Dreier, in: Dreier, GG, 3. Auflage 2013, Art. 19 Abs. 1 Rn. 23 und Fn. 104; Hillgruber, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Auflage 2011, Bd. IX, § 201 Rn. 45; Lorenz, in: Bonner Kommentar, GG, 133. EL, April 2008, Art. 2 Abs. 1 Rn. 406; Martini, in: JA 2009, 839 (843).
Da im vorliegenden Verfahren keine auf Grundlage von §§ 12 bis 14 IfSBG-NRW erlassenen Maßnahmen in Streit stehen, kommt es, entgegen der Ansicht des Antragstellers, zudem nicht darauf an, dass auch § 16 IfSBG-NRW das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht als einschränkbares Grundrecht benennt.
b. Die vom Antragsteller erhobenen materiell-rechtlichen Einwände gegen §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO, an deren formellen Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestehen, greifen aller Voraussicht nach nicht durch.
aa. Die gemäß § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG erforderlichen tatbestandlichen Voraussetzungen für die durch Rechtsverordnung normierten Regelungen zur Nachverfolgbarkeit von Infektionsketten liegen vor.
Vgl. zu den Schutzmaßnahmen schon Senatsbeschlüsse vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE -, vom 15. April 2020 – 13 B 440/20.NE -, vom 24. April 2020 – 13 B 520/20.NE -, vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE -, sowie vom 10. Juni 2020 – 13 B 617/20.NE -, jeweils juris.
Für die Anordnung infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG erforderlich, aber auch ausreichend, dass eine übertragbare Krankheit aufgetreten ist, deren Weiterverbreitung verhindert werden soll. Das ist vorliegend der Fall. Die weltweite Ausbreitung von COVID-19 wurde am 11. März 2020 von der WHO zu einer Pandemie erklärt. Weltweit haben sich in derzeit 216 Ländern mehr als 8,8 Millionen Menschen mit dem zugrunde liegenden Krankheitserreger SARS-CoV-2 infiziert und sind mehr als 465.000 Menschen im Zusammenhang mit der Erkrankung gestorben.
Vgl. WHO, Coronavirus disease (COVID-19) outbreak situation, abrufbar unter: https://www.who.int/ emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019, Stand: 22. Juni 2020.
Im Bundesgebiet sind zwischenzeitlich über 190.000 infizierte und mehr als 8.800 gestorbene Personen registriert. In Nordrhein-Westfalen beläuft sich die Zahl der registrierten Infizierten auf über 41.000 Menschen, über 1.600 Menschen sind im Zusammenhang mit COVID-19 verstorben.
Vgl. Robert Koch-Institut, COVID-19: Fallzahlen in Deutschland und weltweit, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Fallzahlen.html, Stand: 22. Juni 2020.
Die streitigen Regelungen stellen auch Schutzmaßnahmen im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dar. Der Vorschrift liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG daher als (offene) Generalklausel ausgestaltet. Der Begriff der Schutzmaßnahme ist folglich umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde bzw. über den Verweis in § 32 Satz 1 IfSG dem Verordnungsgeber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Maßnahmen, das durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird.
Vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 -, juris, Rn. 24; Senatsbeschluss vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 44; Bay. VGH, Beschluss vom 30. März 2020 – 20 CS 20.611 -, juris, Rn. 11; Schl.-H. OVG, Beschluss vom 2. April 2020 – 3 MB 8/20 -, juris, Rn. 35; Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 – 13 MN 185/20 -, juris, Rn. 27.
Schutzmaßnahmen im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG können danach auch die Verpflichtung zur Erhebung, Aufbewahrung und Weitergabe von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträumen sein.
bb. Es spricht weiter Überwiegendes dafür, dass der Verordnungsgeber auf der Rechtsfolgenseite von dem ihm zukommenden Verordnungsermessen in rechtmäßiger Weise Gebrauch gemacht hat.
(1) Das gilt zunächst für den durch die Regelung betroffenen Adressatenkreis. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt, begrenzt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG den Handlungsrahmen der Behörde nicht dahin, dass allein Schutzmaßnahmen gegenüber den festgestellten Personen in Betracht kommen. Vorrangige Adressaten sind zwar die in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG benannten Personengruppen. Bei ihnen steht fest oder besteht der Verdacht, dass sie Träger von Krankheitserregern sind, die bei Menschen eine Infektion oder eine übertragbare Krankheit im Sinne von § 2 Nr. 1 bis Nr. 3 IfSG verursachen können. Wegen der von ihnen ausgehenden Gefahr, eine übertragbare Krankheit weiterzuverbreiten, sind sie schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehr- und Polizeirechts als „Störer“ anzusehen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können aber auch die Allgemeinheit und (sonstige) Dritte („Nichtstörer“) Adressaten von Maßnahmen sein, wenn ein Tätigwerden allein gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern eine effektive Gefahrenabwehr nicht gewährleistet, beispielsweise um sie vor Ansteckung zu schützen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 – 3 C 16.11 -, juris, Rn. 26, unter Hinweis auf BT-Drs. 8/2468, S. 27; Senatsbeschlüsse vom 6. April 2020 – 13 B 398/20.NE -, juris, Rn. 70, sowie vom 15. April 2020 – 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 82 ff.; OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 23. März 2020 – OVG 11 S 12/20 -, juris, Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 29. Mai 2020 – 13 MN 185/20 -, juris, Rn. 24.
So verhält es sich hier schon deshalb, weil aus tatsächlichen Gründen vielfach gar nicht klar ist, ob eine Person „Störer“ oder „Nichtstörer“ ist. Nach aktuellem Erkenntnisstand kann nämlich eine Übertragung des Virus durch eine infizierte Person schon bis zu drei Tage vor Symptombeginn oder auch bei einem asymptomatischen Verlauf der Erkrankung, den der Betroffene selbst gar nicht wahrgenommen hat, stattfinden. Es reicht mithin nicht aus, im Zusammenhang mit bevölkerungsbezogenen Maßnahmen, die darauf abzielen, infektionsrelevante soziale Kontakte zu unterbinden oder zumindest zu beschränken, allein „Störer“ in die Pflicht zu nehmen.
Vgl. Senatsbeschluss vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 30 f.; Rixen, Gesundheitsschutz in der Coronavirus-Krise – Die (Neu-)Regelungen des Infektionsschutzgesetzes, in: NJW 2020, 1097 (1101).
(2) Auch Art und Umfang der hier in Rede stehenden Maßnahmen sind nicht erkennbar ermessensfehlerhaft. Die Regelungen in §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO genügen voraussichtlich dem in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zum Ausdruck kommenden Gebot strikter Verhältnismäßigkeit.
Die Regelungen zur Rückverfolgung von Kontakten von Coronavirus-Infizierten in Fitnessstudios, Friseursalons und in der Gastronomie dienen dem legitimen Zweck, im Falle eines Infektionsnachweises mögliche Infektionsketten aufzudecken und zu unterbrechen, um auf diese Weise die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu verhindern. Der Verordnungsgeber darf noch immer davon ausgehen, dass die Corona-Pandemie eine ernstzunehmende Gefahrensituation begründet, die staatliches Einschreiten nicht nur rechtfertigt, sondern mit Blick auf die Schutzpflicht des Staates für Leib und Gesundheit der Bevölkerung weiterhin gebietet.
Vgl. zu dieser Schutzpflicht BVerfG, Urteil vom 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 u. a. -, juris, Rn. 69, m. w. N.
Auch wenn sich das Infektionsgeschehen aufgrund der ergriffenen Maßnahmen in letzter Zeit verlangsamt hat und insbesondere die Anzahl der festgestellten Neuinfektionen rückläufig ist, besteht die Gefahr der Verbreitung der Infektion und daran anknüpfend einer Überlastung des Gesundheitswesens mit gravierenden Folgen für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung fort. Nach den maßgeblichen Feststellungen des Robert Koch-Instituts handelt es sich immer noch um eine sehr dynamische Situation. Die Gefährdung für die Bevölkerung wird deshalb nach wie vor als hoch eingeschätzt, für Risikogruppen sogar als sehr hoch. Dabei variiert die Gefährdung von Region zu Region. Die Belastung für das Gesundheitswesen hängt maßgeblich von der regionalen Verbreitung der Infektion, den vorhandenen Kapazitäten und den eingeleiteten Gegenmaßnahmen wie Isolierung, Quarantäne und physischer Distanzierung ab. Sie ist aktuell in weiten Teilen Deutschlands gering, kann aber örtlich hoch sein.
Vgl. Robert Koch-Institut, Täglicher Lagebericht des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Aktualisierter Stand für Deutschland, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html, Stand: 22. Juni 2020.
Der Verordnungsgeber ist nicht gehindert, auf Grundlage dieser Einschätzung die von ihm als notwendig erachteten Schutzmaßnahmen zu erlassen, obwohl es unter der Vielzahl wissenschaftlicher Meinungen Stimmen gibt, die einzelne Aspekte bei der Bewertung des aktuellen Infektionsgeschehens anders einschätzen als das Robert Koch-Institut oder sogar die fortbestehende Gefährdungssituation gänzlich verneinen. Der Verordnungsgeber verletzt seinen Einschätzungsspielraum grundsätzlich nicht dadurch, dass er bei mehreren vertretbaren Auffassungen einer den Vorzug gibt, solange er dabei nicht feststehende, hiermit nicht vereinbare Tatsachen ignoriert.
Vgl. so schon den Senatsbeschluss vom 30. April 2020 – 13 B 539/20.NE -, juris, Rn. 45; Hess. VGH, Beschluss vom 7. April 2020 – 8 B 892/20.N -, juris, Rn. 49.
Dass ein solcher Fall vorliegt, vermag der Senat nicht zu erkennen. Das Robert Koch-Institut stützt sich bei der Bewertung der Lage auf unterschiedliche Surveillance-Instrumente, Modellierungen und Studien, auf deren Basis es seine Entscheidungsgrundlage stetig aktualisiert und die Risikoeinschätzung erforderlichenfalls anpasst. In diese lässt es insbesondere auch sog. Superspreading-Events, Verzögerungen bei der Diagnose, Meldung und Übermittlung von bestätigten Neuinfektionen, die Angaben im DIVI-Intensivregister sowie die aufgrund des Alters und Risikoprofils der Betroffenen durchaus unterschiedlichen Krankheitsverläufe einfließen. Es bestehen auch keine durchgreifenden Zweifel an der Einschätzung, dass sich das Virus ohne Schutzmaßnahmen unkontrolliert weiterverbreiten und es sehr rasch wieder zu einer exponentiellen Zunahme der Neuinfektionen kommen kann. Zwar trifft es zu, dass die Labortestungen seit Mitte März 2020 in einem erheblichen Umfang zugenommen haben. Da die Testungen aber bereits seit mehreren Wochen auf hohem Niveau stattfinden, dürfte diese Zunahme die Rate der positiven Ergebnisse nicht mehr maßgeblich beeinflussen. Unabhängig davon begründet sich die Annahme des Robert Koch-Instituts auch aus der hohen Infektiosität des Virus und der fehlenden Immunität für weite Teile der Bevölkerung. Dafür, dass es bereits jetzt eine gewisse Grundimmunität in der Bevölkerung geben könnte, gibt es zwar studienbasierte Hinweise, aber noch keine Belege. Auch soweit der Antragsteller darauf verweist, dass sich das Coronavirus SARS-CoV-2 vor dessen Entdeckung über Wochen unbemerkt in Europa ausgebreitet habe, ohne, dass es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems gekommen sei, stellt dies nicht in Frage, dass eine Überlastung des Gesundheitssystems bei ungehinderter exponentieller Verbreitung des Virus zu befürchten ist. Ebenso vermag der Hinweis, dass die viele Infektionen aktuell im Rahmen häuslicher Gemeinschaften stattfänden, die aktuelle Risikoeinschätzung nicht durchgreifend in Zweifel zu ziehen. Diese Beobachtung dürfte darauf zurückzuführen sein, dass angesichts der bis vor kurzem noch bestehenden weitreichenden Abstandsgebote und Kontaktbeschränkungen Alltagssituationen, bei denen das Virus übertragen werden kann, in einem wesentlich reduzierteren Umfang stattgefunden haben, als (intensive) Kontakte im familiären Umfeld.
Vgl. Robert Koch-Institut, COVID-19: Surveillance und Studien am RKI, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Projekte_RKI/Projekte.html, Stand: 24. April 2020, und Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Wie erfasst das RKI die Situation in Deutschland, wie schätzt das RKI die Lage ein und welche Empfehlungen gibt es für die Fachöffentlichkeit?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 15. Mai 2020, sowie Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Wird es weitere COVID-19-Wellen in Deutschland geben?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 2. Juni 2020, Risikobewertung zu COVID-19, abrufbar unter: https://www.rki.de/ DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html?nn=13490888, Stand: 26. Mai 2020, Aktueller Lage-/Situationsbericht des RKI zu COVID-19, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/Inf AZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html?nn=13490888, Stand: 17. Juni und 22. Juni 2020.
Der Umstand, dass das Robert Koch-Institut als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit Teil der Exekutive ist, stellt keinen Grund dar, dessen wissenschaftliche Unabhängigkeit in Frage zu stellen. Ebenso wenig ist zu kritisieren, dass es seine Einschätzungen im Laufe der Pandemie mehrfach aktualisiert und Schutzmaßnahmen zum Teil neu bewertet hat, da ein solches Vorgehen unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse über das Virus notwendiger Bestandteil eines wissenschaftlichen Diskurses ist.
Vgl. schon Senatsbeschluss vom 19. Mai 2020 – 13 B 557/20.NE -, juris, Rn. 76, 92.
Angesichts dessen ist es nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber die seit dem sogenannten Shutdown zugelassenen Lockerungen schrittweise und unter Beachtung der weiteren Entwicklung des Infektionsgeschehens vollzieht, um die errungenen Erfolge – mit nicht absehbaren wirtschaftlichen und sozialen Folgen – nicht wieder zu verspielen.
Vgl. dazu die Pressemitteilung der Landesregierung vom 6. Mai 2020, Ministerpräsident Armin Laschet stellt Nordrhein-Westfalen-Plan vor, abrufbar unter: https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/ministerpraesident-armin-laschet-stellt-nordrhein-westfalen-plan -vor.
Dabei ist ihm wegen der Fragilität der Lage und wegen der fortbestehenden tatsächlichen Ungewissheiten nach wie vor eine Einschätzungsprärogative im Hinblick auf das gewählte Mittel einzuräumen, soweit und solange sich nicht andere Maßnahmen eindeutig als gleich geeignet und weniger belastend darstellen.
So im Einzelnen z. B. bereits die Senatsbeschlüsse vom 29. April 2020 – 13 B 512/20.NE -, juris, Rn. 44 ff., und vom 19. Mai 2020 – 13 B 557/20.NE -, juris, Rn. 71 ff.; siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. Mai 2020 – 1 BvR 1021/20 -, juris, Rn. 10; VerfGH Saarl., Beschluss vom 28. April 2020 – Lv 7/20 -, juris, Rn. 31.
Nach dieser Maßgabe dürften sich die angefochtenen Regelungen, die in der Gastronomie, im Friseurhandwerk und in Fitnessstudios verpflichtend die Erhebung von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträumen vorsehen, als geeignet zur Erreichung des beabsichtigten Zwecks erweisen, die Verbreitung des Virus trotz der stufenweisen (Wiederer-)Öffnung nahezu aller Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens (weiterhin) einzudämmen, indem bei Auftreten einer Neuinfektion die potentiell relevanten Kontaktpersonen des Betroffenen leichter identifiziert und nachfolgend erforderlichenfalls (vorläufig) unter Quarantäne gestellt und getestet werden können.
Vgl. zur Kontaktpersonennachverfolgung Robert Koch-Institut, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2 / Krankheit COVID-19, Was versteht man unter Kontaktpersonennachverfolgung, wie wird diese durchgeführt und welchen Zweck hat eine Quarantäne/häusliche Absonderung?, abrufbar unter: https://www.rki.de/Shared Docs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html?nn=13490888, Stand: 3. Juni 2020.
Dabei ist ein Mittel bereits dann geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es ist nicht erforderlich, dass der Erfolg in jedem Einzelfall auch tatsächlich erreicht wird oder jedenfalls erreichbar ist; die Möglichkeit der Zweckerreichung genügt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. April 1997 – 2 BvL 45/92 -, juris, Rn. 61, m. w. N.
Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Verordnungsgeber die Grenzen seines Einschätzungsspielraums überschritten haben könnte. Die streitgegenständlichen Regelungen beruhen im Wesentlichen auf der Grundannahme, dass sich das Coronavirus nach derzeitigen Erkenntnissen bei direkten persönlichen Kontakten über zum Beispiel Sprechen, Husten oder Niesen im Wege einer Tröpfeninfektion besonders leicht von Mensch zu Mensch verbreitet. Bei der Übertragung spielen zudem Aerosole, bestehend aus kleinsten Tröpfenkernen, die längere Zeit in der Umgebungsluft schweben und sich z. B. in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen anreichern und größere Distanzen überwinden können, eine Rolle. Die dadurch entstehenden Ansteckungsgefahren sind zwar noch nicht abschließend untersucht. Das Robert Koch-Institut geht unter Berücksichtigung der bisher vorliegenden Studien aber davon aus, dass SARS-CoV-2-Viren über Aerosole auch im gesellschaftlichen Umgang übertragen werden können. Schließlich sind nach gegenwärtiger Erkenntnislage auch Schmierinfektionen durch das Berühren derselben Gegenstände nicht auszuschließen, die zu neuen Infektionsketten führen können.
Vgl. Robert Koch-Institut, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), Übertragungswege, abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief. html#doc13776792bodyText1, Stand: 12. Juni 2020, und Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Welchen Vorteil bringt Abstand halten bzw. die Beschränkung sozialer Kontakte?, Welche Rolle spielen Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 15. Juni 2020; siehe in diesem Zusammenhang auch Senatsbeschlüsse vom 27. Mai 2020 – 13 B 616/20.NE -, juris, Rn. 63 ff., zum Betriebsverbot von Schwimmhallen, und vom 10. Juni 2020 – 13 B 617/20.NE -, juris, Rn. 63 ff., zum Breiten- und Freizeitsport, sowie vom 12. Juni 2020 – 13 B 779/20.NE -, Abdruck S. 18, zum Schulbetrieb.
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass es bei der Nutzung der hier streitgegenständlichen Einrichtungen – trotz der in der Anlage zur CoronaSchVO festgelegten Hygiene- und Infektionsstandards – zu der beschriebenen Weiterverbreitung des Virus durch Tröpfen- und Schmierinfektionen und vor allem durch virushaltige Aerosole kommen kann. So ist der Aufenthalt in einer gastronomischen Einrichtung sowie in einem Fitnessstudio üblicherweise durch eine längere Verweildauer von mehreren Personen in (überwiegend) geschlossenen Räumen geprägt. Die Sanitäreinrichtungen werden durch eine Mehrzahl wechselnder Kunden genutzt. In der Gastronomie kommt risikoerhöhend hinzu, dass mittlerweile Gruppen von bis zu zehn Personen ohne Einhaltung eines Mindestabstands am selben Tisch sitzen dürfen (§§ 14 Abs. 1 Satz 2, 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 CoronaSchVO). Auch wenn hochintensives Ausdauertraining (Indoor-Cycling, HIIT und anaerobes Schwellentraining) in Fitnessstudios weiterhin unzulässig ist (vgl. Ziffer VIII Nr. 10 der Anlage zur CoronaSchVO), dürften die erlaubten sportlichen Aktivitäten dort zu einer überproportionalen Anreicherung von Aerosolen in der Umgebungsluft führen und somit ein erhöhtes Infektionsrisiko schaffen. Bei Friseurleistungen entstehen besondere Gefahren dadurch, dass ein Mindestabstand zwischen Friseur und Kunde nicht eingehalten werden kann.
Vgl. in diesem Zusammenhang zum Betriebsverbot von Fitnessstudios z. B. Senatsbeschlüsse vom 15. April 2020 – 13 B 440/20.NE -, und vom 24. April 2020 – 13 B 520/20.NE -, sowie zur Betriebsuntersagung für gastronomische Einrichtungen den Senatsbeschluss vom 6. Mai 2020 – 13 B 483/20.NE -, jeweils juris.
Für die Tragfähigkeit der Annahme, dass die Infektionsdynamik maßgeblich von der Anzahl wechselnder (unmittelbarer) persönlicher Kontakte abhängt, sprechen die einschlägigen fachwissenschaftliche Erkenntnisse und nicht zuletzt der Umstand, dass es auch in Nordrhein-Westfalen infolge der Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote zu einem deutlichen Rückgang der registrierten Neuinfektionen gekommen ist.
Vgl. Robert Koch-Institut, Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Welchen Vorteil bringt Abstand halten bzw. die Beschränkung sozialer Kontakte?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 15. Juni 2020, und Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, Wenn die Reproduktionszahl R bereits am 22. März unter 1 lag, warum brauchte man dann noch Kontaktbeschränkungen?, abrufbar unter: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, Stand: 22. April 2020; zur Entwicklung der Zahlen z. B. WDR, Aktuelle Daten zur Corona-Krise in NRW, abrufbar unter: https://www1.wdr.de/ nachrichten/themen/corona-virus/coronadaten-nrw-100.html.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht bedenklich, wenn der Verordnungsgeber annimmt, dass die schrittweise Aufhebung von Schutzmaßnahmen, insbesondere im Bereich der Abstandsgebote und Kontaktbeschränkungen, sowie die zunehmende Öffnung des Alltagslebens mit einem Anstieg an persönlichen und sozialen Kontakten einhergehen, und er einen unkontrollierten Wiederanstieg der Infektionszahlen nicht allein mit Hygienemaßnahmen und der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung verhindern will, sondern flankierend in bestimmten kontaktintensiven Bereichen die Erhebung von Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträumen vorsieht, um neue Infektionsketten so schnell wie möglich zu unterbrechen.
Dem Senat drängt sich unter Berücksichtigung der bisher gesammelten Erfahrungen auch nicht auf, dass die Kontaktpersonennachverfolgung ihren Zweck verfehlt, weil es – wie der Antragsteller meint – an der personellen Ausstattung der Gesundheitsämter fehlt, um die Daten auszuwerten. Dies gilt schon deshalb, weil nicht alle in Gastronomiebetrieben, Friseursalons und Fitnessstudios erhobenen Daten auszuwerten sind. Die Notwendigkeit der Datenauswertung beschränkt sich vielmehr auf diejenigen, die im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer festgestellten Infizierung stehen und die deshalb auch nur im Bedarfsfall den zuständigen Behörden zur Verfügung zu stellen sind (§ 2a Abs. 3 Satz 4 CoronaSchVO). Hierdurch werden die Gesundheitsämter entlastet. Ohne selbst aufwendige Aufklärungsarbeit leisten zu müssen, ist ihnen eine einfachere und vor allem schnellere Rückverfolgung der Infektionskette möglich. Im Übrigen werden Gesundheitsämter schon jetzt bedarfsweise durch vom Robert Koch-Institut ausgebildete sogenannte Containment Scouts unterstützt.
Vgl. Robert Koch-Institut, Was ist ein Containment Scout?, abrufbar unter: https://www.rki.de/Shared Docs/FAQ/NCOV2019/FAQ_Scout.html#FAQId14157754, Stand: 3. Juni 2020.
Die Eignung der Regelungen wird ebenfalls nicht durch den Hinweis des Antragstellers durchgreifend in Frage gestellt, dass eine Vielzahl von Personen keine korrekten Daten angäbe, sodass eine Personenidentifizierung nicht möglich sei. Selbst wenn, was nicht auszuschließen ist, einige Personen falsche Personalien angeben, stellt dies ihre generelle Eignung zur Rückverfolgung von Infektionsketten nicht in Frage. Erst Recht ist nicht ersichtlich, dass die Vorschriften an einem strukturellen Vollzugsdefizit leiden.
Vgl. zum Vollzugsdefizit BVerfG, Urteil vom 9. März 2004 – 2 BvL 17/02 -, juris, Rn. 64; Bay. VGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – 10 BV 07.775 -, juris, Rn. 79.
Die Regelungen in §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO dürften auch erforderlich sein. Mit der generellen Öffnung von Fitnessstudios, Gaststätten und Friseursalons einhergehende mildere, den Betroffenen weniger belastende Mittel zur Zweckerreichung dürften nicht zur Verfügung stehen. Wie bereits oben erwähnt, zeigen Untersuchungen, dass ein hoher Anteil von Übertragungen asymptomatisch bzw. präsymptomatisch und unbemerkt erfolgt, sodass diese durch eine Verhaltensänderung des Betroffenen (wie eine Selbstquarantäne) nicht verhindert werden können. Wird das Verbreitungsrisiko zudem nicht mehr durch die konsequente Einhaltung von Kontaktbeschränkungen und eines Mindestabstands eingedämmt, ist es voraussichtlich nicht zu beanstanden, wenn der Verordnungsgeber stattdessen mit Hilfe der Kontaktpersonennachverfolgung – als milderes Mittel – entstehende Infektionsketten verkürzt.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber in der gegenwärtigen Situation seinen Beurteilungsspielraum überschritten hat, weil er anderen Regelungsmodellen nicht den Vorzug gegeben hat. Dies gilt namentlich mit Blick auf die Corona-Warn-App, die seit dem 16. Juni 2020 zum Download bereit steht. Es ist nicht ersichtlich, dass etwa eine Auflage für die Betreiber der in Rede stehenden Einrichtungen, nur solchen Kunden Zutritt zu gewähren, die die App nutzen, weniger eingriffsintensiv wäre. Überdies erscheint fraglich, wie sichergestellt werden könnte, dass die App beispielsweise bei einem Restaurantbesuch tatsächlich auch in Funktion ist. Der Verordnungsgeber musste auch nicht im Hinblick auf eine im Eigeninteresse voraussichtlich hohe Bereitschaft zur freiwilligen Nutzung der App von jeglicher weiterer Regelung absehen. Dagegen spricht schon, dass viele Menschen in Nordrhein-Westfalen die App (noch) gar nicht verwenden können, weil es an den technischen Voraussetzungen fehlt. Nach WDR-Recherchen betrifft dies mehr als drei Millionen. Rund 20 Prozent der Erwachsenen haben aktuell kein geeignetes Smartphone.
Vgl. Tagesschau, Nordrhein-Westfalen, FAQ zur Corona-Warn-App: Wie sie funktioniert und was sie bringt, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/ regional/nordrheinwestfalen/wdr-story-34653.html, Stand: 22 Juni 2020.
Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass Gebiete von den Regelungen ausgenommen werden müssten, in denen die Zahl der Neuinfektionen nur gering sei, und er damit sinngemäß vorschlägt, den Infektionsschutzbehörden die Pflicht aufzuerlegen, im Falle steigender Neuinfektionen konkrete Maßnahmen vor Ort zu ergreifen, stellt dies kein ebenso effektives Mittel dar wie die in §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO normierten Vorgaben. Eine solche Vorgehensweise ließe unberücksichtigt, dass die epidemiologische Lage weiterhin durch eine dynamische Entwicklung und erhebliche Unsicherheiten geprägt ist und – wie die Situation im Kreis Gütersloh zeigt – sich jederzeit wieder ändern kann, sodass die Einschätzung des Verordnungsgebers über das weiterhin bestehende Erfordernis landesweiter Regelungen zur Kontaktdatenerhebung nicht zu beanstanden sein dürfte. Aus diesem Grunde greift aller Voraussicht nach auch sein Einwand nicht durch, dass aufgrund der geringen individuellen Infektionswahrscheinlichkeit und der daraus resultierenden geringen Wahrscheinlichkeit der Datenverwendung ein Vorgehen allein gegen sog. Störer ausreichend sei. Wegen der Möglichkeit einer Übertragung des Virus schon Tage vor dem Auftreten von Krankheitssymptomen scheidet auch eine nach der Nähe zu einem Infizierten differenzierte Datenerhebung aus. Der Antragsgegner weist zu Recht darauf hin, dass die Erfassung aller Gäste bzw. Besucher unumgänglich ist, um die Kontaktpersonen bei einem bestätigten Fall von COVID-19 bei Bedarf zu ermitteln und zu kategorisieren (Kategorie I oder II).
Schließlich sind §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO unter Abwägung der gegenläufigen verfassungsrechtlichen Positionen derzeit auch noch angemessen. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es das einzig objektiv richtige angemessene Abwägungsergebnis nicht gibt. Dies gilt schon deshalb, weil der Abwägungsentscheidung des Verordnungsgebers eine von zahlreichen Unbekannten gekennzeichnete und stetig fortschreitende wissenschaftliche Erkenntnislage zugrunde liegt, Folgen von bereits erfolgten Lockerungen der Schutzmaßnahmen erst mit Zeitverzögerungen ersichtlich werden und die einzelnen Schutzmaßnahmen ohnehin nicht isoliert betrachtet werden können, sondern Teil eines Gesamtpakets zur Reduzierung der Verbreitungsgeschwindigkeit des Virus sind. Lockerungen an einer Stelle – hier die wegen rückläufiger Infektionszahlen aus Verhältnismäßigkeitserwägungen generell wieder erlaubte Öffnung von Gaststätten, Friseursalons und Fitnessstudios – können deswegen Beschränkungen an anderer Stelle zur Folge haben und umgekehrt. Hinzu tritt, dass der Verordnungsgeber bei seiner Entscheidung neben dem infektionsschutzrechtlichen Gefahrengrad des jeweils zu regelnden Lebensbereichs auch alle sonstigen relevanten Belange etwa medizinischer, psychologischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art zu bewerten und gewichten hat.
Ausgehend hiervon steht der beabsichtigte Verordnungszweck nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs. Die Erhebung der Kundenkontaktdaten und Aufenthaltszeiträume führt zwar unverkennbar zu einer Grundrechtseinschränkung, von der ungeachtet des vorausgesetzten Einverständnisses mit der Datenerhebung (vgl. § 2a Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO) nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), sondern auch und in erster Linie das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 2 GG) betroffen sein dürfte. Auch dieses Recht gilt jedoch nicht uneingeschränkt, sondern unterliegt einem Gesetzesvorbehalt und tritt hier im Ergebnis gegenüber dem mit der Verordnung bezweckten Schutz von Leben und Gesundheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) zurück. Dabei ist zu berücksichtigen, dass weder der Besuch einer Gaststätte noch das Aufsuchen eines Fitnessstudios oder der Besuch eines Friseursalons der Deckung elementarer Grundbedürfnisse dient, ihr Besuch freiwillig ist und den Betroffenen Alternativen zur Verfügung stehen. So bleibt es diesen etwa unbenommen, sportliche Aktivitäten andernorts, etwa im Freien, durchzuführen. Ein geselliges Beisammensein kann bei einem gemeinsamen Essen etwa auch in häuslicher Umgebung erfolgen, Mahlzeiten können bestellt und durch Lieferdienste gebracht werden. Darüber hinaus können mobile Friseure in Anspruch genommen werden, für die das Erfordernis der Datenerhebung und Aufbewahrung im Sinne des § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 CoronaSchVO i. V. m. der Ziffer III Nr. 1 der Anlage zur CoronaSchVO nicht gilt. Zu berücksichtigen ist weiter, dass es der gesonderten Erfassung von Adresse und Telefonnummer nicht bedarf, wenn diese Daten für den Verantwortlichen bereits verfügbar sind (§ 2a Abs. 1 Satz 2 CoronaSchVO). Dies dürfte vielfach auf Kontaktdaten der Fitnessstudios zutreffen. Überdies ist anzunehmen, dass in einer Mehrzahl von Studios auch die Aufenthaltszeiträume der Kunden – personalisiert und unabhängig von den streitgegenständlichen Regelungen – über Online-Buchungssysteme sowie elektronische Zutrittssysteme erfasst werden. Ähnliches dürfte auch für Friseurbesuche gelten, soweit diese nicht spontan und ohne vorherige Anmeldung, sondern termingebunden und vor allem im Rahmen einer längerfristigen Kundenbeziehung erfolgen. Selbst im Restaurant liegen mitunter bereits Daten vor, wenn nämlich zuvor ein Tisch reserviert wurde. Der Senat erkennt auch nicht, dass durch die bestehenden Vorschriften die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben derart eingeschränkt wird, dass die Restriktionen angesichts des mit ihnen bezweckten Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung unzumutbar erscheinen.
Entgegen der Ansicht des Antragstellers dürfte der Verordnungsgeber auch die wesentlichen Grundsätze zur rechtskonformen Verarbeitung personenbezogener Daten bei der Ausgestaltung der Regelungen beachtet haben. Die angestrebte Kontaktnachverfolgung nach Feststellung einer Neuinfektion durch die Gesundheitsämter stellt einen legitimen Zweck dar, der in §§ 2a, 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht wird. Nur zu diesem Zweck werden die Daten erhoben (vgl. Art. 5 Abs. 1 lit. b DS-GVO). Der Verordnungsgeber hat zudem für alle Fälle der einfachen Rückverfolgbarkeit in § 2a Abs. 1 CoronaSchVO den Umfang der zu erhebenden Daten auf die Angabe des Namens, der Adresse und Telefonnummer sowie des Aufenthaltszeitraums begrenzt und die Dauer der Aufbewahrungspflicht auf vier Wochen befristet. Damit beschränkt er sich in sachlicher sowie – unter Berücksichtigung der Inkubationszeit und etwaiger Meldeverzögerungen – zeitlicher Hinsicht auf das zur effektiven Kontaktpersonennachverfolgung notwendige Minimum (Art. 5 Abs. 1 lit. c DS-GVO). Insoweit handelt es sich, anders als der Antragsteller mit Blick auf ihren etwaigen späteren Verwendungszweck meint, auch nicht etwa um besonders sensible Gesundheitsdaten im Sinne von Art. 4 Nr. 15 DS-GVO, deren Verarbeitung grundsätzlich untersagt und nur unter besonderen Voraussetzungen ausnahmsweise zulässig ist (vgl. Art. 9 DS-GVO). Darüber hinaus ergeben sich, wie ausgeführt, Ausnahmen für die verpflichtende Erfassung der Daten, wenn diese für den Verantwortlichen bereits verfügbar sind (§ 2a Abs. 1 Satz 2 CoronaSchVO) und soweit gesetzlich eine Anonymität der Person vorgesehen ist (§ 2 Abs. 5 CoronaSchVO). Der Datensicherheit wird Rechnung getragen, indem in § 2a Abs. 3 Satz 1 CoronaSchVO darauf hingewiesen wird, dass die personenbezogenen Daten nach den geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu verarbeiten, insbesondere vor dem Zugriff Unbefugter zu sichern und nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist datenschutzkonform zu vernichten sind. In diesem Zusammenhang bietet der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit Nordrhein-Westfalen helfende Hinweise zum korrekten Umgang bei der Erfassung der Kundenkontaktdaten für die verpflichteten Unternehmen und sorgt damit einhergehend für zusätzliche Sicherheit für die betroffenen Kunden (vgl. https://kurzelinks.de/i0jh, Stand: 15. Juni 2020). Dass im Übrigen, worauf der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit hinweist, die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung einzuhalten sind, dürfte angesichts des in Art. 2 DS-GVO definierten Anwendungsbereichs, von dem im Grundsatz nur Einzeldokumente oder unsortierte Zettelsammlungen, deren Strukturierung nicht beabsichtigt ist, ausgenommen sind,
vgl. dazu Bäcker, BeckOK, Datenschutzrecht, 31. Edition, Stand: 1. Mai 2019, DS-GVO, Art. 2 Rn. 4,
nicht durchgreifend in Zweifel stehen. Dies gilt insbesondere für die Informationspflichten, die eine transparente Datenerhebung gewährleisten sollen. Weiterführende Hinweise sind auch insoweit auf der Internetseite des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationssicherheit abrufbar. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die – dezentrale – Aufbewahrung der erhobenen Daten bei den Unternehmen zu einem unangemessenen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung führt. Durch diese Vorgehensweise wird, anders als bei einer zentralen Speicherung bei den örtlichen Gesundheitsbehörden, in jedem Fall gewährleistet, dass die Daten über eine Person nicht zusammengeführt werden und so die Erstellung eines Bewegungsprofils ermöglicht werden könnte. Auch die vom Antragsteller angeführte Missbrauchsgefahr, im Infektionsfall durch die datenerhebenden Unternehmen als möglicher Infektionsträger identifiziert zu werden, sieht der Senat nicht.
Überdies treten die angegriffenen Bestimmungen der Verordnung nach derzeitigem Stand bereits zum 1. Juli 2020 außer Kraft. Schließlich kann der Senat gegenwärtig auch nicht feststellen, dass die Gesamtdauer der streitgegenständlichen Beschränkungen inzwischen ein solches zeitliches Ausmaß erreicht hat, dass ein weiteres Zurücktreten der betroffenen datenschutzrechtlichen bzw. sozialen Interessen allein deshalb nicht mehr gerechtfertigt wäre.
Vgl. zur Abwägung auch OVG Berlin-Bbg., Beschluss vom 27. Mai 2020 – OVG 11 S 43/20 -, juris, Rn. 21 ff.
(3) Die von dem Antragsteller darüber hinaus geltend gemachte Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes liegt nicht vor.
Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Differenzierende Regelungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angemessen sind.
St. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. März 2015 – 1 BvR 2880/11 -, juris, Rn. 38 f., m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 -, juris, Rn. 76.
Die Vorgaben zur Rückverfolgbarkeit i. S. d. § 2a CoronaSchVO gelten (inzwischen) nach § 3 auch für Gottesdienste in geschlossenen Räumen und nach § 8 Abs. 1 für Kulturveranstaltungen.
Soweit für Gottesdienste im Freien in § 3 CoronaSchVO eine Ausnahme von den Verpflichtungen des § 2a Abs. 1 CoronaSchVO vorgesehen ist, stellt dies voraussichtlich keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar. Bei typisierender Betrachtung dürfte die Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt und angemessen sein. Das Risiko der Infektionsverbreitung bei religiösen Veranstaltungen im Freien unterscheidet sich aufgrund der Belüftungssituation von demjenigen in geschlossenen Räumen in Fitnessstudios, Gastronomie- und Friseurbetrieben maßgeblich. Überdies dürfte die Art und Weise der persönlichen Begegnungen geeignet sein, eine Ungleichbehandlung zwischen religiösen Veranstaltungen unter freiem Himmel und der Inanspruchnahme eines gastronomischen Angebots im Freien, das eher durch einen geselligen Umgang geprägt ist, zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass bei Gästen gastronomischer Einrichtungen nicht ausgeschlossen ist, dass sie abhängig von der Wetterlage, Tageszeit und den Tischkapazitäten ihren Sitzplatz von innen nach außen verlagern oder umgekehrt. Zudem nutzen Kunden der Außengastronomie die regelmäßig im Innenraum liegenden Sanitäreinrichtungen. Diese Unsicherheiten dürften es rechtfertigen, für die Innen- und Außengastronomie einheitliche Regelungen zu erlassen.
Auch dürfte der Verordnungsgeber aus sachlichen Erwägungen davon abgesehen haben, für nicht öffentlich zugängliche Mensen und Kantinen von Betrieben, Behörden und (Aus-)Bildungseinrichtungen einschließlich der Schulen, die zur Versorgung der Beschäftigten und Nutzer der Einrichtung betrieben werden dürfen, eine Verpflichtung zur Datenerhebung zu normieren. Zutreffend weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Namen der potentiellen Gäste ohnehin bekannt sein dürften. Auch bei einem größeren Kundenkreis dürften sich die relevanten Kontaktpersonen im Falle des Auftretens einer Neuinfektion daher ermitteln lassen.
2. Der Erlass einer normbezogenen einstweiligen Anordnung erscheint auch unter Berücksichtigung etwaig verbleibender Unsicherheiten bei der rechtlichen Bewertung der angegriffenen §§ 9 Abs. 4, 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 14 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO i. V. m. den dazugehörigen Vorschriften der Anlage zur CoronaSchVO nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Die mit dem weiteren Vollzug der Regelungen einhergehenden Beschränkungen sind angesichts ihrer relativ kurzen Geltungsdauer sowie der dargelegten Erfolgsaussichten des Normenkontrollantrags, insbesondere unter Beachtung der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommenen Abwägung der betroffenen Rechtsgüter, zumutbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG. Da die angegriffenen Regelungen mit Ablauf des 1. Juli 2020 außer Kraft treten, zielt der Antrag inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache, sodass eine Reduzierung des Auffangstreitwerts für das Eilverfahren nicht veranlasst ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 63 Abs. 3 Satz 3 GKG).