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Ersatzerbeneinsetzung – Auslegungsregeln

BayOblG

Az: 1Z BR 95/03

Beschluss vom 09.01.2004


Das BayOblG hat beschlossen:

XXXX

Gründe:

I.

Die Erblasserin ist im Jahr 2002 im Alter von 86 Jahren verstorben. Ihr Ehemann ist im Jahr 2001 vorverstorben. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, eine Tochter (Beteiligte zu 1) sowie die bereits vorverstorbenen Söhne A und B. Der 2000 verstorbene Sohn A hatte keine Abkömmlinge. Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind die drei Kinder des 1998 vorverstorbenen Sohnes B.

In einem gemeinschaftlichen Testament vom 1.3.1994 setzten sich die Erblasserin und ihr Ehemann gegenseitig zu alleinigen Erben ihres gesamten Vermögens ein. Im Übrigen enthält dieses Testament folgende Verfügung der Ehegatten:

„Erbe des Letztverstorbenen sollen die Söhne A und B, sowie die Tochter sein.“

In diesem Satz strich der Ehemann der Erblasserin die Worte „und B“, schrieb auf die Testamentsurkunde eigenhändig den Zusatz „Sohn B 1998 verstorben“ und unterschrieb diesen Zusatz.

Am 27.6.2001 errichtete die Erblasserin ein eigenhändiges Testament, in dem sie verfügte:

„Meine Tochter soll Alleinerbin sein.

Ich erkläre, dass ausschließlich die Fertigung dieses Testaments Gültigkeit haben soll.“

Die Beteiligten zu 2 und 4 beantragten die Erteilung eines Erbscheins, demzufolge die Erblasserin von der Beteiligten zu 1 zu 1/2 und von den Beteiligten zu 2, 3 und 4 je zu 1/6 beerbt worden ist. Zur Begründung trugen sie vor, die Beteiligten zu 2 bis 4 seien als Kinder des im Testament vom 1.3.1994 bedachten 1998 vorverstorbenen Sohnes B zu gleichen Teilen an dessen Stelle getreten. Die Erblasserin sei nach dem Tod ihres Ehemanns an die Verfügung im Testament vom 1.3.1994 gebunden gewesen, so dass die mit Testament vom 27.6.2001 erfolgte Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin unwirksam sei. Dem stehe nicht entgegen, dass der Ehemann der Beteiligten zu 1 den Sohn B in dem Testament vom 1.3.1994 gestrichen und dessen Todestag vermerkt habe; diese Streichung und der Vermerk im Testament hätten lediglich klarstellen sollen, dass der Sohn B nicht mehr Erben könne, und sei nicht dahingehend zu verstehen, dass die Kinder des Sohnes B von der Erbfolge ausgeschlossen sein sollten. Im Übrigen hätte der Ehemann der Beteiligten zu 1 die Erbeinsetzung des Sohnes B als wechselbezügliche Verfügung nur nach den für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschriften widerrufen können mit der Folge, dass die auf dem Testament vorgenommene Verfügung jedenfalls formunwirksam sei.

Das Amtsgericht ist diesem Vorbringen im Wesentlichen gefolgt und hat mit Vorbescheid vom 20.5.2003 die Erteilung eines dem Antrag der Beteiligten zu 2 und 4 entsprechenden Erbscheins in Aussicht gestellt. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht mit Beschluss vom 26.8.2003 den Vorbescheid des Amtsgerichts aufgehoben und den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 2 und 4 zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beteiligten zu 2 und 4 mit ihrer weiteren Beschwerde.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, das Testament der Erblasserin vom 27.6.2001 sei wirksam. Auf Grund dieses Testaments sei die Beteiligte zu 1 Alleinerbin geworden. Die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 1.3.1994 stehe dem nicht entgegen. Zwar seien die in diesem Testament getroffenen Verfügungen, mit denen sich die Ehegatten gegenseitig zu Alleinerben und die gemeinsamen Kinder zu Erben des Überlebenden eingesetzt haben, als bindende wechselbezügliche Verfügungen anzusehen. Ein Widerruf der Einsetzung des Sohnes B durch den Ehemann der Erblasserin sei jedenfalls nicht durch notariell beurkundete Erklärung gegenüber der Erblasserin (§§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 BGB) erfolgt und daher formunwirksam. Die Auslegung des vom Ehemann der Erblasserin auf das Testament eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Zusatzes „Sohn B 1998 verstorben“ ergebe jedoch, dass er damit die Erblasserin nachträglich habe ermächtigen wollen, die Erbfolge auf die verbleibenden Kinder zu beschränken und die Enkel von der Erbfolge auszuschließen. Eine solche Ermächtigung des anderen Ehegatten, bindende wechselbezügliche Verfügungen zu ändern, sei durch nachträgliche einseitige letztwillige Verfügung möglich. Im Hinblick auf diese Ermächtigung sei die mit Testament der Erblasserin vom 27.6.2001 erfolgte Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin wirksam. Die Wirksamkeit des Testaments vom 27.6.2001 ergebe sich überdies daraus, dass die Ersatzerbfolge, auf Grund derer die Beteiligten zu 2 bis 4 als Abkömmlinge des vorverstorbenen Sohnes B begünstigt wären, mangels eines feststellbaren auf die Einsetzung der Beteiligten zu 2 bis 4 gerichteten Willens der Ehegatten lediglich aus § 2069 BGB folge. Da die Auslegungsregel des § 2069 BGB keine Vermutung für die Wechselbezüglichkeit der Ersatzerbeneinsetzung begründe, sei die Erblasserin an einer von dieser Ersatzerbfolge abweichenden letztwilligen Verfügung nicht gehindert gewesen.

2. Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) im Ergebnis stand.

a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Testament der Erblasserin und ihres Ehegatten vom 1.3.1994 um ein gemäß §§ 2265, 2267, 2247 BGB formgültig errichtetes gemeinschaftliches Testament im Sinne des § 2269 Abs. 1 BGB handelt. Die Eheleute haben sich gegenseitig als Erben eingesetzt und ihre drei gemeinschaftlichen Kinder zu Schlusserben nach dem Tod des Letztversterbenden bestimmt.

b) Eine abweichende letztwillige Verfügung des überlebenden Ehegatten ist grundsätzlich unwirksam (§ 2271 Abs. 2 Satz 1 BGB), wenn die Ehegatten wechselbezüglich im Sinne von § 2270 Abs. 1 BGB verfügt haben. Im vorliegenden Fall ist allerdings mit dem Vorversterben der Söhne A und B deren Schlusserbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament vom 1.3.1994 jedenfalls in deren Person gegenstandslos geworden (§ 1923 BGB); die Frage eines inhaltlichen Widerspruchs zwischen dem gemeinschaftlichen Testament der Ehegatten vom 1.3.1994 und der Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin im Testament der Erblasserin vom 27.6.2001 stellt sich nur dann, wenn für die vorverstorbenen Söhne Ersatzerben eingesetzt sind. Auch die Frage der Wechselbezüglichkeit stellt sich demzufolge nicht hinsichtlich der vorverstorbenen Schlusserben sondern in Bezug auf etwaige Ersatzerben.

aa) Eine Ersatzerbeneinsetzung kommt nach Sachlage für die Beteiligten zu 2 bis 4 als Kinder des im Testament vom 1.3.1994 als Schlusserbe eingesetzten Sohnes B in Betracht. Das ergibt die Auslegungsregel des § 2069 BGB, wonach bei Wegfall eines bedachten Abkömmlings im Zweifel dessen Abkömmlinge insoweit bedacht sind, als sie bei der gesetzlichen Erbfolge an dessen Stelle treten würden. § 2069 BGB gilt auch bei Einsetzung eines Schlusserben im gemeinschaftlichen Testament (BGH NJW-RR 2001, 1153; BayObLG FamRZ 1995, 251).

Die Auslegungsregel des § 2069 BGB kommt hier zur Anwendung, da nach der vorrangigen vom Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommenen Auslegung des Testaments vom 1.3.1994 kein eindeutiger Wille der Testierenden zur Einsetzung von Ersatzschlusserben festgestellt werden kann. Eine ausdrückliche Willensbekundung in der einen oder anderen Richtung fehlt. Auch aus dem gesamten Inhalt der Testamentsurkunde einschließlich aller Nebenumstände lässt sich kein zweifelfreies Auslegungsergebnis gewinnen. Dies gilt insbesondere unter Einbeziehung des Zusatzes des Ehemannes der Erblasserin auf der Testamentsurkunde, mit dem der Tod des Sohnes B zwar vermerkt, aber eine dessen Kinder betreffende Verfügung nicht getroffen wurde.

bb) Die sich aus § 2069 BGB ergebende Ersatzerbfolge ist im vorliegenden Fall nicht wechselbezüglich. Die Vermutung des § 2270 Abs. 2 BGB ist auf Ersatzerben nämlich nur dann anwendbar, wenn sich Anhaltspunkte für einen auf deren Einsetzung gerichteten Willen der testierenden Ehegatten feststellen lassen, die Ersatzerbeinsetzung also nicht allein auf der Auslegungsregel des § 2069 BGB beruht (BGH NJW 2002, 1126; BayObLG FGPrax 2001, 248).

Die Wechselbezüglichkeit kann sich schon nach dem Wortlaut des § 2270 Abs. 1 BGB immer nur auf bestimmte vom Willen der Ehegatten getragene „Verfügungen“ beziehen. Die Auslegungsregel ist dann nach der ihr zugrunde liegenden Lebenserfahrung sinnvoll: Erscheint die Verfügung des einen als Gegenleistung für die Verfügung des anderen, wie dies bei dem in § 2270 Abs. 2 BGB genannten Fallgruppen typischerweise angenommen werden kann, so entspricht die Bindungswirkung regelmäßig dem Interesse der testierenden Ehegatten. Dies rechtfertigt es, den Verfügungen der Ehegatten im Wege der Auslegungsregel eine Wechselbezüglichkeit auch dann beizulegen, wenn sich ein entsprechender Wille durch individuelle Auslegung nicht feststellen lässt.

Bei einer allein aus § 2069 BGB hergeleiteten Ersatzerbeinsetzung trifft dieser innere Rechtfertigungsgrund des § 2270 Abs. 2 BGB nicht zu. Zwar beruht auch die Auslegungsregel des § 2069 BGB auf einer Lebenserfahrung. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass § 2069 BGB für sich genommen nichts zum Umfang der Bindung in gemeinschaftlichen Testamenten besagt, und die Vorschrift als solche eine Änderung der nach dieser Vorschrift berufenen Ersatzerbfolge durch den überlebenden Ehegatten nicht hindert. Eine Kumulation der Auslegungsregel des § 2069 BGB mit derjenigen des § 2270 Abs. 2 BGB würde dazu führen, dass ein – durch individuelle Auslegung nicht feststellbarer – Wille zur Bindung bezüglich einer – durch individuelle Auslegung nicht ermittelbaren – Verfügung angenommen wird. Eine dahingehende Gesetzesanwendung lässt sich nicht mehr mit einem allgemeinen Erfahrungssatz rechtfertigen (vgl. BGH und BayObLG aaO, jeweils mit weiteren Nachweisen). Für die Anwendung des § 2270 Abs. 2 BGB ist daher zu fordern, dass die dort tatbestandsmäßig vorausgesetzte „getroffene Verfügung“ auf einen Erblasserwillen gestützt werden kann, für den sich im Wege individueller Auslegung des Testaments ein konkreter Anhalt finden lässt. Die allein mit der Auslegungsregel des § 2069 BGB ermittelte Ersatzerbeinsetzung erfüllt den Tatbestand des § 2270 Abs. 2 BGB jedoch nicht.

Nachdem der Wirksamkeit der von der Erblasserin im Testament vom 27.6.2001 vorgenommenen Einsetzung der Beteiligten zu 1 als Alleinerbin im Hinblick darauf, dass die auf § 2069 BGB beruhende Ersatzerbeneinsetzung der Beteiligten zu 2 bis 4 nicht als wechselbezüglich anzusehen ist, nichts entgegensteht, kann offen bleiben, ob auch die vom Landgericht angestellte Erwägung, der Ehemann der Erblasserin habe diese nachträglich zu einer Änderung bindender wechselbezüglicher Verfügungen ermächtigt (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 63. Aufl. § 2271 Rn. 20), hier in den festgestellten Tatsachen eine hinreichende Stütze findet.

3. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich unmittelbar aus der Kostenordnung; hierzu bedarf es keiner Entscheidung. Die Anordnung der Kostenerstattung beruht auf § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG.

4. Für den gemäß § 131 Abs. 2, § 30 Abs. 1, § 31 Abs. 1 Satz 1 KostO zu bestimmenden Geschäftswert der weiteren Beschwerde ist maßgebend die Bedeutung des Rechtsmittels für den Beschwerdeführer, insbesondere das damit verfolgte wirtschaftliche Interesse. Haben mehrere Beschwerdeführer Rechtsmittel eingelegt, so ist ein einheitlicher Geschäftswert festzusetzen, wenn die Rechtsmittel dasselbe Ziel (hier: die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins) verfolgen und der Gegenstand identisch ist. Das gilt auch dann, wenn das Interesse der Beschwerdeführer auf verschiedene einander ergänzende Erbteile gerichtet ist; in diesem Fall sind die Interessen zusammenzurechnen (BayObLGZ 1994, 40/56).

Die Beschwerdeführer erstreben mit ihrem Rechtsmittel, eine Miterbenstellung von jeweils 1/6 zu erlangen, statt auf Grund des Pflichtteilsrechts (§ 2303 Abs. 1 BGB) nur zu jeweils 1/12 am Wert des Nachlasses beteiligt zu sein. Das wirtschaftliche Interesse der beiden Beschwerdeführer ist daher mit dem Unterschiedsbetrag zwischen diesen Werten, demnach zusammen 1/6 des Reinnachlasses zu bewerten. Nach den Angaben der Beteiligten zu 1 im Nachlassverzeichnis beträgt dessen Wert 40.064,25 EUR. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde war daher auf 6.677,37 EUR festzusetzen.

 

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