BUNDESARBEITSGERICHT
Az.: 10 AZR 769/05
Urteil vom 15.11.2006
Tenor:
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 21. Oktober 2005 - 9 Sa 882/05 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für die Reinigung von Toilettenanlagen ein tariflicher Erschwerniszuschlag zusteht.
Die Klägerin ist im Reinigungsbetrieb der Beklagten als Innenreinigerin beschäftigt und mit Reinigungsarbeiten im Düsseldorfer Flughafen betraut. Hierbei obliegt ihr auch die Reinigung der Toilettenanlagen außerhalb des Sicherheitsbereiches des Flughafens. Im Mai 2004 entfielen 38 Arbeitsstunden auf diese Reinigungsarbeiten. Der Flughafen Düsseldorf wird jährlich von mehreren Millionen Passagieren genutzt und von einer großen Zahl von Personen besucht. Besondere Vorkehrungen, die einen Aufenthalt von Obdachlosen oder Drogenabhängigen in den von der Klägerin zu reinigenden Toilettenanlagen des Flughafens verhindern sollen, sind nicht getroffen.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Bestimmungen des am 1. April 2004 in Kraft getretenen und für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003 (RTV 2004) Anwendung. In § 9 RTV 2004 heißt es:
„…
Der/die Beschäftigte hat für die Zeit, in der er/sie mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt wird, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten Erschwerniszuschlag, bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereiches.
…
2. Arbeiten in/an besonderen Räumen und Einrichtungen
…
2.5 Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z.B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, sanitäre Anlagen in Werkstattbereichen, öffentliche Bedürfnisanstalten, Farbspritzanlagen (Spritzkabinen), Fahrbahnen und Werkhallen im Industriebereich (ausschließlich manuelle Tätigkeiten), Inspektionsgruben in Kraftfahrzeugbetrieben, Filteranlagen, Produktionsbereiche der chemischen Industrie, in denen Farben, Säuren und Teerprodukte usw. hergestellt oder verarbeitet werden 0,75 Euro/Stunde
Nicht gemeint sind typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen sowie in Kunden- und Besuchertoiletten.
…“
§ 9 Ziff. 2.5 des bis zum 31. März 2004 gültigen Rahmentarifvertrages für die gewerblichen Beschäftigten im Gebäudereiniger-Handwerk vom 16. August 2000 (RTV 2000) hatte folgenden Wortlaut:
„Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z.B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, sanitären Anlagen in Werkstattbereichen, öffentlichen Toilettenanlagen, die der Anlage nach öffentlichen Bedürfnisanstalten gleichkommen, Farbspritzanlagen (Spritzkabinen), Fahrbahnen und Werkhallen im Industriebereich, Inspektionsgruben in Kraftfahrzeugbetrieben, Filteranlagen, Betriebsstätten der chemischen Industrie, in denen Farben, Säuren und Teerprodukte usw. hergestellt oder verarbeitet werden 15 %
Nicht gemeint sind typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen.
…“
Die Klägerin hat gemeint, ihr stehe gemäß § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 für die Reinigung der Toilettenanlagen der tarifliche Erschwerniszuschlag iHv. 0,75 Euro pro Stunde zu und somit für Mai 2004 der Betrag von 28,50 Euro brutto. Bei den von ihr gereinigten Toilettenanlagen habe es sich um eine öffentliche Bedürfnisanstalt im Tarifsinne und nicht um Kunden- oder Besuchertoiletten gehandelt. Außerhalb des Sicherheitsbereiches sei der Flughafen öffentlicher Raum.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 28,50 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 8. September 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Ansicht vertreten, die Klägerin habe keine Innenreinigungsarbeiten in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt verrichtet. Auf die Anzahl der potentiellen Benutzer der Toiletten komme es nicht an. Maßgebend sei, dass die Toiletten nicht auf Grund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung für jedermann zur Verfügung gestellt worden seien. Es handele sich um Kunden- und Besuchertoiletten, für deren Reinigung nach der ausdrücklichen Regelung in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 kein Erschwerniszuschlag zu zahlen sei.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht nach § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 der beanspruchte Erschwerniszuschlag nicht zu.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, mit der Reinigung der Toilettenanlagen außerhalb des Sicherheitsbereiches des Flughafens Düsseldorf habe die Klägerin keine öffentliche Bedürfnisanstalt gereinigt. Der Begriff „Bedürfnisanstalt“ entspreche dem Begriff „öffentliche Toilette“. Da der Begriff „Bedürfnisanstalt“ bereits den Begriff der Öffentlichkeit umfasse, bedeute der Tarifbegriff „öffentliche Bedürfnisanstalt“ nur eine Verstärkung des Begriffs der Bedürfnisanstalt. Die Toilettenanlagen des Flughafens seien nicht auf Grund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung für jedermann, sondern nur den Passagieren, deren Begleitern und den Besuchern des Flughafens zur Verfügung gestellt worden. Sie seien deshalb keine öffentlichen Toiletten. Eine außergewöhnliche Verschmutzung der von ihr zu reinigenden Toiletten habe die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr geltend gemacht.
II.
Diese in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfende Auslegung des Tarifbegriffes „öffentliche Bedürfnisanstalten“ in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 durch das Landesarbeitsgericht ist frei von Rechtsfehlern.
1.
Nach den Grundsätzen der Tarifauslegung ist bei der Auslegung eines Tarifbegriffes in erster Linie der Wortlaut maßgebend (st. Rspr. vgl. BAG 31. Juli 2002 - 10 AZR 578/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Wohnungswirtschaft Nr. 3 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 167; 27. Juni 2002 - 6 AZR 209/01 - AP BAT § 29 Nr. 18; 27. Juni 2002 - 6 AZR 378/01 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Musiker Nr. 18). Die Auslegung des Tarifbegriffes „öffentliche Bedürfnisanstalten“ in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 nach dem Wortlaut ergibt, dass Toilettenanlagen eines Flughafens die Merkmale von Bedürfnisanstalten im Tarifsinne nicht erfüllen.
a) Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff „öffentliche Bedürfnisanstalt“ nicht selbst bestimmt, so dass davon auszugehen ist, dass sie diesen Tarifbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verstanden wissen wollen (vgl. BAG 8. März 2006 - 10 AZR 392/05 -; 5. April 2000 - 10 AZR 47/99 -; 28. Januar 1987 - 4 AZR 258/86 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 4). Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist eine Bedürfnisanstalt eine öffentliche Toilette (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3.Aufl. Stichwort „Bedürfnisanstalt“; Wahrig Deutsches Wörterbuch 7. Aufl. Stichwort „Bedürfnisanstalt“). Da der Begriff der Bedürfnisanstalt bereits den Begriff der Öffentlichkeit umfasst, bedeutet der Begriff der „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 insoweit nur eine Verstärkung des Begriffs der Bedürfnisanstalt (BAG 28. Januar 1987 - 4 AZR 258/86 - aaO).
b) Bei öffentlichen Anlagen ist der Begriff „öffentlich“ im Sinne von „allgemein, allen zugänglich, für die Allgemeinheit bestimmt“ zu verstehen (vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3.Aufl. Stichwort „öffentlich“; Wahrig Deutsches Wörterbuch 7. Aufl. Stichwort „öffentlich“). Allgemein zugänglich in diesem Sinne sind Toilettenanlagen aber nur, wenn sie auf Grund entsprechender Widmung und Zweckbestimmung für jedermann zur Verfügung gestellt werden. Dies trifft auf Toilettenanlagen in Verwaltungsgebäuden, Theatern, Kaufhäusern, Bädern, Krankenhäusern, Schulen und Turnhallen nicht zu (BAG 28. Januar 1987 - 4 AZR 258/86 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 4) und auch nicht auf Toilettenanlagen in Flughafengebäuden. Solche Toiletten sind nicht der Allgemeinheit gewidmet und haben nicht den Zweck, jedermann zur Verfügung zu stehen. Auch wenn die von der Klägerin gereinigten Toiletten nicht im Sicherheitsbereich des Flughafens lagen und von einer Vielzahl konkret nicht bestimmter Personen benutzt werden konnten, sind sie doch nur für Personen bestimmt, die sich befugt in den Flughafengebäuden aufhalten, also vor allem für Passagiere, die als Kunden von Fluggesellschaften deren Dienstleistungen in Anspruch nehmen, sowie für Besucher des Flughafens. Damit ist das Tätigkeitsbeispiel „Reinigung von Kunden- und Besuchertoiletten“ in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 erfüllt, das nach dem ausdrücklichen Willen der Tarifvertragsparteien ungeachtet des Verschmutzungsgrades der Toiletten als typische Arbeit der Unterhaltsreinigung keinen Anspruch auf den Erschwerniszuschlag auslösen soll.
2.
Obschon es auf Grund des eindeutigen Tarifwortlautes auf die Tarifgeschichte nicht mehr ankommt (BAG 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308), könnte die Klägerin auch aus dieser nichts herleiten. Die Tarifvertragsparteien haben den im normalen Sprachgebrauch und in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2000 verwendeten Begriff „öffentliche Toilettenanlagen“ in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 wieder durch den vor dem Änderungstarifvertrag für das Gebäudereinigerhandwerk vom 25. Februar 1981 verwendeten Begriff der Bedürfnisanstalten ersetzt. Eine inhaltliche Änderung zu Gunsten der Toilettenreinigungsarbeiten ausführenden Arbeitnehmer war damit jedoch nicht verbunden (vgl. zur Ersetzung des Tarifbegriffes „öffentliche Bedürfnisanstalten“ durch den Tarifbegriff „öffentliche Toilettenanlagen“ BAG 28. Januar 1987 - 4 AZR 258/86 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 4). Mit dem Begriff der „öffentlichen Bedürfnisanstalten“ in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 haben die Tarifvertragsparteien den Begriff der Bedürfnisanstalt verstärkt und damit besonders hervorgehoben, dass nach ihrem Willen nur die Reinigung öffentlicher Toiletten den Anspruch auf den tariflichen Erschwerniszuschlag auslösen soll. Ferner haben sie diesen Anspruch in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2004 eingeschränkt, indem sie anders als in § 9 Ziff. 2.5 RTV 2000 die Reinigung von öffentlichen Toilettenanlagen, die der Anlage nach öffentlichen Bedürfnisanstalten gleichkommen, nicht mehr als Beispiel für Innenreinigungsarbeiten mit außergewöhnlicher Verschmutzung genannt, sondern ausdrücklich bestimmt und damit klargestellt haben, dass die Reinigung von Kunden- und Besuchertoiletten keinen Anspruch auf den Erschwerniszuschlag begründet. Deshalb trägt auch der Hinweis der Klägerin auf die große Anzahl der Passagiere und Besucher des Flughafens nicht. Die Tarifvertragsparteien haben für den Anspruch auf den Erschwerniszuschlag weder auf die Anzahl der Toiletten noch auf die Zahl der potentiellen Benutzer der Toiletten abgestellt. Das Schwergewicht der Tätigkeit des Gebäudereinigerhandwerks liegt seit jeher auf Großprojekten. Wenn die Tarifvertragsparteien einen Erschwerniszuschlag für das Reinigen von Toiletten, die von einer Vielzahl von Personen benutzt werden, hätten gewähren wollen, hätten sie den Zuschlag generell für das Reinigen von Toiletten vorgesehen und nicht auf die Reinigung öffentlicher Bedürfnisanstalten beschränkt (vgl. BAG 28. Januar 1987 - 4 AZR 258/86 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Gebäudereinigung Nr. 4).