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Erwerbsausfall einer Prostituierten

LG Hamburg

Az: 81 O 555/74

Urteil vom 04.07.1975


Tatbestand

Die Klägerin begehrt Ersatz des ihr entgangenen Dirnenlohns und ein weiteres Schmerzensgeld wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 27. Juli 1974 zwischen 2.00 und 3.00 Uhr in …..ereignet hatte. Bei diesem Unfall war die Klägerin als Fußgängerin auf dem Gehweg der …..-Straße von einem bei der Beklagten gegen Haftpflicht versicherten Pkw angefahren worden, der ins Schleudern gekommen war. Der Fahrer … des bei der Beklagten versicherten Pkw wurde um dieses Vorfalls willen in der Folge wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung infolge geistiger und körperlichen Mängel (§ 315c Abs 1 Nr 1b, Abs 3 StGB) bestraft. Dabei ging der Strafrichter nach dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens davon aus, daß … zur Unfallzeit einen Herzanfall erlitten hatte. Er sah jedoch ein Verschulden des … darin, daß dieser sich ans Steuer gesetzt hatte, obwohl er schon seit längerem herzleidend war und am Unfalltage dennoch an einer Feier teilgenommen und dabei einem ärztlichen Verbot zuwider erhebliche Mengen Zigaretten geraucht hatte.

Die damals 23jährige Klägerin war vor dem Unfall der Prostitution nachgegangen. Bei dem Unfall wurde sie vom Pkw gegen die Hauswand gedrückt. Sie erlitt eine Schrägfraktur des linken Oberschenkels, eine Außenknöchelfraktur des linken Fußes und multiple Schürfwunden am linken Unterschenkel. Sie wurde deswegen bis mindestens zum 10. September 1973 im Hafenkrankenhaus stationär behandelt. Ihr linker Oberschenkel wurde genagelt. In der Zeit vom 2. bis zum 23. Oktober 1973 wurde die Klägerin von dem Arzt .. … weiter ambulant behandelt. Dieser schätzte die Minderung ihrer Erwerbsfähigkeit durch den Unfall für die Zeit vom 27. Juli bis zum 10. September 1973 auf 100%, für die Zeit vom 11. September bis zum 31. Oktober 1973 auf 80% und für eine unbestimmte Zeit nach dem 1. November 1973 auf 20%; dazu führte er in seinem Arztbericht an die Beklagte vom 4. Januar 1974 aus, die weitere Entwicklung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin könne er nicht übersehen, da die Klägerin sich bei ihm nicht mehr vorgestellt habe. Die Klägerin war nach dem 23. Oktober 1973 nicht mehr bei ihrem Arzt erschienen, obwohl nach dessen Urteil eine weitere Behandlung noch erforderlich gewesen wäre, insbesondere der Nagel in ihrem Oberschenkelknochen noch nicht entfernt worden und ihre Gelenke noch nicht wieder völlig frei beweglich waren.

In der Folge zahlte die Beklagte der Klägerin 5.500,– DM zur Abgeltung möglicherweise begründeter Ansprüche wegen des Unfalls.

Die Klägerin behauptet, der Unfall sei durch rücksichtsloses Fahren des Fahrers … verursacht worden. Für die nähere Darstellung des Unfallhergangs bezieht sie sich auf die wegen des Unfalls erwachsene Strafakte des Amtsgerichts Hamburg (Az: …), bestreitet aber, daß … etwa einen Herzinfarkt während der Fahrt erlitten habe; dagegen spreche, daß er nach dem Unfall eine Verkehrsunfallflucht begangen habe.

Die Klägerin trägt vor, sie sei bis zum 11. September 1973 stationär behandelt worden (Beweis: Auskunft des …..). An den Folgen des Unfalles leide sie heute noch. Es sei eine Gehschwäche im linken Bein zurückgeblieben, die ua zur Folge gehabt habe, daß sie am 19. Februar 1974 gestürzt sei und sich einen Schlüsselbeinbruch zugezogen habe. Sie hält auch im Hinblick auf die rücksichtslose Fahrweise des Fahrers … ein Schmerzensgeld von mindestens 8.000,– DM für angemessen.

Die Klägerin behauptet weiter, sie habe infolge des Unfalls der Prostitution mindestens 4 Monate lang nicht nachgehen können; infolge der Verletzungen habe sie nicht für längere Zeit stehen können, wie es nun einmal für die Ausübung dieser Tätigkeit erforderlich sei. In dieser Zeit sei ihr ein Verdienstausfall von monatlich mindestens 3.000,– DM entstanden (Beweis: Sachverständigengutachten; als Sachverständige schlägt die Klägerin vor: … , … oder den Gastwirt ..). Es werde gerichtsbekannt sein, daß der von ihr geltend gemachte Schaden nicht übersetzt sein könne.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1.) an sie anläßlich des Unfalls vom 27. Juli 1973 ein Schmerzensgeld unter Anrechnung des von der Beklagten diesbezüglich geleisteten Betrages von 5.500,– DM zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt werde,

2.) für den durch den oa Unfall erlittenen Verdienstausfall einen angemessenen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichtes gestellt werde.

Die Beklagte beantragt Klagabweisung, hilfsweise: Berufung.

Die Beklagte hat ihre zunächst erhobenen Einwendungen zum Haftungsgrund ausdrücklich fallen lassen. Sie ist jedoch der Ansicht, daß die Klägerin aus Rechtsgründen einen Verdienstausfall nicht geltend machen könne, da entgangener Dirnenlohn wegen der Sittenwidrigkeit der Prostitution nicht erstattungsfähig sei. Die Beklagte bestreitet, daß die Klägerin länger als 3 Monate der Prostitution wegen des Unfalls nicht habe nachgehen können, und verweist im übrigen auf die von ihr bereits gezahlten 5.500,– DM.

Für die Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird ergänzend verwiesen auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften vom 17. Januar und 23. Mai 1975 sowie auf die wegen des Unfalls erwachsene Strafakte des Amtsgerichts Hamburg ( … ), auf die die Parteien sich bezogen haben.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist abzuweisen. Der Klägerin steht wegen der von ihr im Rechtsstreit anhängig gemachten Schadenspositionen ein über die bereits von der Beklagten geleistete Zahlung hinausgehender Schadensersatzanspruch nicht zu. Zwar sind sich die Parteien angesichts des im wesentlichen unstreitigen Unfallhergangs mit Recht darüber einig, daß die Klägerin nach §§ 823, 847 BGB, 7, 17, 18 StVG iVm § 3 PflVersG gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz des vollen ihr aus dem Unfall vom 27. Juli 1973 entstandenen Schadens hat. Soweit jedoch die von der Klägerin im Rechtsstreit geltend gemachten Schadensposten als berechtigt anzuerkennen sind, sind sie durch Erfüllung nach § 362 Abs 1 BGB erloschen. Die von der Beklagten gezahlten 5.500,– DM reichen als Schmerzensgeld aus (I.). Ein Verdienstausfallschaden der Klägerin ist nicht anzuerkennen (II.).

I.

Selbst wenn die Klägerin nicht nur, wie es im Arztbericht des … heißt, bis zum 10. September, sondern, wie sie im Rechtsstreit behauptet, bis zum 11. September 1973 stationär im ….. behandelt worden ist, ist ihr immaterieller Schaden durch die von der Beklagten gezahlten 5.500,– DM ausreichend ausgeglichen. Auch dann ist für den Verletzungsvorgang selbst und die rund 1 1/2 Monate währende stationäre Behandlung ein Sockelbetrag von 2.500,– DM angemessen. Zur Abgeltung der weiteren Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, die die Klägerin bis zu einem ordnungsgemäßen Abschluß des ärztlichen Heilverfahrens einschließlich der Entfernung des Marknagels in ihrem Oberschenkelknochen erlitten hätte, reichen die darüber hinaus gezahlten 3.000,– DM mit Sicherheit völlig aus. Nach dem von der Klägerin insoweit nicht konkret bestrittenen Arztbericht des … war der Heilverlauf unkompliziert, solange die Klägerin sich in ärztlicher Behandlung befand. Der von ihr jetzt behauptete Dauerschaden kann für die Entscheidung nicht berücksichtigt werden. Abgesehen davon, daß sie ihr Vorbringen nicht ausreichend substantiiert und insbesondere den von ihr angeblich am 19. Februar 1974 infolge dieses Schadens erlittenen weiteren Unfall nicht unter Beweis stellt, muß sich die Klägerin insoweit entgegenhalten lassen, daß sie die ärztliche Heilbehandlung vorzeitig abgebrochen hat. Dadurch hat sie gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs 2 BGB) verstoßen. Dies ist auch nicht durch einen etwaigen Geldmangel der Klägerin zu entschuldigen. Zum einen hat die Klägerin von der Beklagten einen großzügigen Vorschuß erhalten. Selbst wenn dies erst später geschehen sein sollte, so besteht doch angesichts der gerichtsbekannten Regulierungspraxis der Haftpflichtversicherer kein Zweifel, daß die Beklagte der Klägerin auch schon früher die für eine Heilbehandlung erforderlichen Kosten vorgeschossen hätte, wenn die Klägerin einen solchen Bedarf konkret glaubhaft gemacht haben würde. Aber selbst dann, wenn die Beklagte dies wider Erwarten abgelehnt haben würde, hätte die Klägerin jederzeit die Möglichkeit gehabt, die Hilfe des Sozialamts in Anspruch zu nehmen; daß in einem Sozialstaat wie der Bundesrepublik Deutschland eine ärztliche Heilbehandlung an Geldmangel nicht scheitern kann, muß jedermann bekannt sein. Daß Geldmangel nicht der Grund für den vorzeitigen Abbruch der Behandlung gewesen sein kann, ist im übrigen auch daraus zu schließen, daß die Klägerin die ihr durch die durchgeführte Behandlung entstandenen Kosten im Rechtsstreit nicht geltend macht; daraus ist zu folgern, daß die Klägerin krankenversichert ist.

Soweit die Klägerin einen besonders hohen Schmerzensgeldanspruch aus der angeblich rücksichtslosen Fahrweise des Fahrers … herleiten will, geht das fehl. Das Maß des einem Schädiger anzulastenden Verschuldens spielt eine Rolle vorwiegend für die sog Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes. Diese tritt im vorliegenden Fall jedoch aus zwei Gründen hinter der Ausgleichsfunktion zurück, nämlich zum einen deshalb, weil … wegen seiner Tat bestraft worden ist, und zum anderen deshalb, weil es sich um ein Verkehrsdelikt handelt (vgl Palandt-Thomas „BGB“ 34. Aufl 1975, § 847 Anm 1b). Darüberhinaus kann eine rücksichtslose Fahrweise des … nicht festgestellt werden. Worin sie bestanden haben soll, gibt die Klägerin selbst nicht konkret an, da sie sich für den Unfallhergang lediglich auf die Strafakte bezieht; dieser sind keine anderen Feststellungen zu entnehmen, als sie der Strafrichter bereits ganz richtig getroffen hat. Demgegenüber reicht das bloße Bestreiten der Klägerin nicht aus. Zwar spricht ein Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Kraftfahrers, der aus ungeklärter Ursache von der Fahrbahn ab auf den Gehweg gerät. Einen Anscheinsbeweis für grobes Verschulden oder gar Rücksichtslosigkeit gibt es aber nicht.

II.

Ein Anspruch auf Ersatz eines ihr durch den Unfall entstandenen Verdienstausfalls steht der Klägerin nicht zu. Nach ihrem eigenen Vorbringen ist ihr ein erstattungsfähiger Verdienstausfallschaden gar nicht entstanden. Entgangener Dirnenlohn ist der Klägerin nicht zu ersetzen. Der Wegfall von durch Prostitution erzielten Einnahmen stellt keinen schutzwürdigen Schaden im Rechtssinne dar. Die Erwerbstätigkeit der Prostitution verstößt gegen das Sittengesetz im Sinne des Art 2 Abs 1 GG, nämlich gegen die grundlegenden sittlichen Wertanschauungen der Rechtsgemeinschaft. Auf unsittliche Art erzieltes Einkommen wird durch die Rechtsordnung nicht geschützt.

Zwar hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in einem Urteil vom 27. Juli 1970 (NJW 1970 S 1852) einer Prostituierten einen Anspruch auf Ersatz des ihr infolge eines Verkehrsunfalls entgangenen Dirnenlohns zugesprochen. Dieser Entscheidung ist jedoch nicht zu folgen. Sie wird schon von ihrer eigenen Begründung nicht getragen.

Die Erwägung, ein Schädiger dürfe doch keine Vorteile daraus ziehen, daß die Erwerbstätigkeit einer Prostituierten gegen die guten Sitten verstößt, ist im Schadensersatzrecht fehl am Platze. Sie beruht auf rein strafrechtlichen Gedankengängen. Das Schadensersatzrecht ist aber ein Bestandteil des bürgerlichen Rechts. In ihm geht es nicht darum, einem Schädiger möglichst viele Nachteile zuzufügen oder ihm möglichst wenige Vorteile einzuräumen, sondern um einen angemessenen Ausgleich des entstandenen Schadens. Für die Frage, ob ein Schaden überhaupt entstanden und wie er gegebenenfalls angemessen auszugleichen ist, spielen die Verhältnisse des Schädigers in aller Regel keine Rolle. Maßgeblich dafür sind vielmehr die Verhältnisse des Geschädigten, auf die der Schädiger jedenfalls im Falle eines fahrlässig herbeigeführten Verkehrsunfalls kaum Einfluß hat. Hat er etwa einen Rentner angefahren und verletzt, dem seine Rente auch während eines Krankenhausaufenthalts weitergezahlt wird, so braucht er diesem einen Verdienstausfall nicht zu erstatten, weil ein solcher nicht entstanden ist. Bisher ist, soweit ersichtlich, noch nirgends die Ansicht vertreten worden, in einem solchen Falle müsse ein – womöglich wohlhabender – Schädiger die – womöglich kärgliche – Rente des Geschädigten aufbessern, weil er aus dem Umstand keine Vorteile ziehen dürfe, daß diesem die Rente weitergezahlt wird.

An der Sittenwidrigkeit der Prostitution hilft auch nicht der Gedanke vorbei, daß die Hingabe des Dirnenlohns ein rechtswirksames, weil wertneutrales dingliches Übereignungsgeschäft ist. Das Abstraktionsprinzip, nämlich die begriffliche Trennung zwischen schuldrechtlichem Verpflichtungsgeschäft und dinglichem Erfüllungsgeschäft leistet für das Gebiet der Rechtsdogmatik, in dem es entwickelt worden ist, wertvolle Dienste, nämlich für die Lehre von den Rechtsgeschäften. Für das Schadensersatzrecht ist es aber ohne Bedeutung. Dort kommt es vielmehr auf den gesamten Lebenssachverhalt des Erwerbsvorgangs als wirtschaftlicher Einheit an. Das folgt schon daraus, daß die Fähigkeit der Klägerin zur Vornahme wertneutraler Übereignungsgeschäfte, dh zur Entgegennahme von Geldscheinen, durch den Unfall nicht in nennenswerter Weise beeinträchtigt worden ist. Nicht hieran knüpft die Klägerin denn auch ihre Ersatzforderung, sondern beruft sich darauf, daß sie infolge des Unfalls längere Zeit außerstande war, auf der Straße stehend Männer anzulocken und mit ihnen gegen Entgelt den Geschlechtsverkehr auszuüben. Gerade diese Tätigkeit aber ist sittenwidrig.

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Dieser Wertung steht nicht entgegen, daß die Prostitution von der Rechtsordnung geduldet wird. Zwar ist es richtig, daß sie nicht unter Androhung strafrechtlicher Sanktionen verboten ist. Prostituierte werden gesundheitsamtlich betreut. Gelegentlich kommt es sogar, wie allgemeinkundig ist, zu behördlicher Förderung der Einrichtung von bordellartigen Betrieben – in ….. etwa des …. und des ….. Das alles läßt jedoch keinen Schluß auf eine Billigung der Prostitution durch die Rechtsordnung zu. Vielmehr dient es ausschließlich der Eindämmung der von ihr ausgehenden gesundheitlichen und sittlichen Gefahren für die Bevölkerung. Der bewußt in bestimmten Bereichen geschaffene Freiraum soll es lediglich ermöglichen, die grundsätzlich unerwünschte Prostitution in anderen Bereichen wirksamer zu unterbinden, und im übrigen ihre Überwachung erleichtern. Innerhalb des Freiraums wird ihre Ausübung als geringeres Übel deshalb in Kauf genommen, weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, daß ein völliges Verbot der Prostitution nicht durchsetzbar ist, sondern nur zu ihrem unkontrollierten Fortwuchern und damit zu einer größeren Gefahr der Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten führt. Daß die Duldung der Prostitution durch die Rechtsordnung nur eine widerwillige ist, kommt im übrigen hinreichend deutlich dadurch zum Ausdruck, daß sie gegenüber anderen „Gewerbe“-Arten eine erheblich benachteiligte rechtliche Stellung hat. Soweit ersichtlich, sind Sperrgebietsverordnungen gegenüber anderen Gewerbezweigen nicht in gleichem Maße zulässig. Von Sperrzeitverordnungen ist – abgesehen von dem völlig andersartigen Sonderfall des Nachtbackverbots – außer der Prostitution nur noch das Gaststättengewerbe stärker betroffen.

Daß die Prostitution ungeachtet ihrer Duldung durch die Rechtsordnung gegen die in der Rechtsgemeinschaft geltenden sittlichen Grundwerte verstößt, ist denn auch seit jeher allgemein anerkannt; auch das Oberlandesgericht Düsseldorf geht (aaO) ohne weiteres davon aus. Hieran hat sich durch die in jüngerer Zeit erfolgte Entwicklung nichts geändert. Zwar haben sich Bestrebungen durchgesetzt, die auf eine freiere Entfaltung der Persönlichkeit auch auf dem Gebiet des Geschlechtlichen hinzielen; einschränkende Strafbestimmungen sind aufgehoben worden. Eine Billigung der Prostitution wird jedoch nirgends angestrebt. Vielmehr wenden sich gerade die entschiedensten Verfechter einer „Enttabuisierung der Sexualität“ am nachdrücklichsten gegen ihre „Kommerzialisierung“.

Gerade hierin aber, in der Vermarktung der Geschlechtlichkeit, nämlich darin, daß geschlechtliche Handlungen wie eine Ware gegen Entgelt feilgeboten und geschäftsmäßig vorgenommen werden, liegt das eigentliche Verwerfliche an der Prostitution. Das verletzt die Menschenwürde sowohl des „Kunden“ als auch der Prostituierten selbst, weil durch den Wegfall aller seelischen und Gefühlsbeziehungen der menschliche Körper dabei zum reinen Gebrauchsobjekt erniedrigt wird.

Daß die sittliche Mißbilligung der Prostitution auch nach der Reform des Sexualstrafrechts einen eindeutigen Niederschlag in der Rechtsordnung behalten hat, wird zur Genüge durch die §§ 180a bis 181a StGB nF belegt. Daß dagegen Verstöße gegen die Sperrgebietsverordnungen und Zeitverordnungen von strafbaren Übertretungen zu bloßen Ordnungswidrigkeiten herabgestuft worden sind, beruht allein auf allgemeinen Bestrebungen zur Entkriminalisierung des sog Polizeiunrechts.

Der Wegfall des Dirnenlohns in der Zeit der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stellt einen rechtsschutzwürdigen „Schaden“ iS der §§ 823, 252 BGB nicht dar. Hätte die Klägerin in dieser Zeit der Prostitution nachgehen können, so hätte sie nämlich auch keinen Anspruch auf seine Zahlung gehabt, weil die darauf gerichtete Vereinbarung gem § 138 BGB wegen ihrer vorstehend dargestellten Sittenwidrigkeit nichtig gewesen wäre. Ein Anspruch auf den Dirnenlohn darf der Klägerin nun nicht auf dem Umweg über das Schadensersatzrecht verschafft werden.

Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin denjenigen Dirnenlohn, der ihr einmal bezahlt gewesen wäre, hätte behalten dürfen. Das beruht lediglich darauf, daß auch ein Versuch des „Kunden“, das einmal trotz fehlender Rechtspflicht Gezahlte zurückzuerlangen, den Schutz der Rechtsordnung nicht verdient, weil er ebenfalls an der Sittenwidrigkeit des ganzen Vorgangs beteiligt war (vgl § 817 Satz 2 BGB). Das trifft weder auf … noch auf die Beklagte zu. Zwar hat sich … nach § 315 C StGB strafbar gemacht, was natürlich mit den guten Sitten auch nicht vereinbar ist. Die deswegen gegen ihn zu verhängenden Sanktionen sind jedoch im Strafgesetzbuch abschließend vorgesehen; wie bereits ausgeführt, ist es nicht Aufgabe des Schadensersatzrechts, ihn dafür nochmals zu bestrafen. An den besonderen Umständen, die die spezifische Sittenwidrigkeit des Dirnenvertrags begründen, haben jedenfalls weder … noch gar die Beklagte teil. Zum anderen besteht der Sinn der Regelung der §§ 138, 817 Satz 2 BGB gerade darin, jeder Vermögensverschiebung im Zusammenhang mit dem Prostitutionsvorgang den Rechtsschutz zu versagen und es bei der einmal bestehenden Vermögenslage zu belassen, weil die Rechtspflegeorgane mit solchen Vorgängen überhaupt nicht behelligt werden sollen (vgl A. Weingart, Anm zu OLG Düsseldorf aaO, NJW 1970 S 2248f). Im vorliegenden Falle ist es aber die Klägerin, die eine Änderung der zur Zeit bestehenden Vermögenslage erstrebt und dabei das Gericht dazu veranlassen will, sich eingehend mit der Frage zu befassen, welche Einkünfte sie ohne den Verkehrsunfall durch Prostitution hätte erzielen können. Eben dies ist ihr nach dem Sinn der §§ 138, 817 BGB verwehrt.

Zwar entspricht es einem modernen Verständnis der Funktion von Staatsorganen nicht mehr, diesen eine „höhere Weihe“ beizumessen, mit der die Aufklärung unsittlicher Vorgänge nicht vereinbar wäre. Eine Aufklärung des von der Klägerin behaupteten Verdienstausfalls käme aber gerade dann, wenn sie geeignet sein sollte, die Angaben der Klägerin zu untermauern, einem Eindringen in die Intimsphäre der Klägerin gleich und müßte zur Feststellung von Tatsachen führen, die für die Klägerin demütigend wären, auch wenn die Klägerin selbst das Empfinden dafür verloren haben sollte. Das wäre unzulässig. Es würde bedeuten, daß sich das Gericht an der Verletzung der Menschenwürde der Klägerin beteiligt. Das darf das Gericht nicht, auch wenn die Klägerin selbst ihre eigene Menschenwürde nicht zu achten wünscht. Denn die Klägerin kann auf ihre Menschenwürde nicht rechtswirksam verzichten.

In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, daß eine Anerkennung entgangenen Dirnenlohns als erstattungsfähigen Verdienstausfallschadens im Hinblick auf die Schadensminderungspflicht des § 254 Abs 2 BGB zur Folge haben müßte, daß die Klägerin gehalten wäre, wieder der Prostitution nachzugehen, sobald es ihr Gesundheitszustand irgend zulassen würde. Denn nur für die Zeit, in der sie hierzu erweislich nicht imstande wäre, könnte ihr ein solcher Verdienstausfallschaden überhaupt zugebilligt werden. Unter gar keinen Umständen aber darf die Klägerin rechtlich so behandelt werden, als träfe sie eine Obliegenheit, der menschenunwürdigen Tätigkeit einer Prostituierten nachzugehen. Es bedarf aber wohl auch keiner näheren Erörterung, daß dies nicht etwa umgekehrt dazu führen kann, daß die Klägerin auf unabsehbare Zeit einen Anspruch auf Erstattung eines hypothetischen Dirnenlohns hätte. Das wäre eine durch nichts zu rechtfertigende, grob unbillige Belastung der Beklagten. Diese ist nicht dafür verantwortlich, daß die Klägerin vor dem Unfall einer Tätigkeit nachgegangen ist, bei der sich die Annahme einer Schadensminderungspflicht im erörterten Sinn verbietet.

Schon die Erstattung des der Klägerin in der Zeit ihrer unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit entgangenen Dirnenlohns entspräche nicht der Billigkeit. Vielmehr würden dadurch der Klägerin, mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar eher noch dem hinter ihr stehenden Zuhälter, unbillige Vorteile eingeräumt, die wirtschaftlich auf Kosten der Beklagten und damit letztlich auf Kosten der Solidargemeinschaft der Versicherten gingen. Wäre die Klägerin nämlich nicht verletzt worden, so hätte sie mit großer Wahrscheinlichkeit von dem Geld, das sie dann in den folgenden Monaten durch Prostitution eingenommen hätte, jetzt auch nichts mehr, weil sie es längst wieder im Rahmen einer aufwendigen Lebensführung ausgegeben hätte. Daß Prostituierte in der Regel einen aufwendigen Lebensstil haben, ist allgemein bekannt.

Zwar steht es gewöhnlich der Erstattungsfähigkeit von entgangenem Gewinn nicht entgegen, daß dieser – wäre er erzielt worden – in der Regel alsbald jedenfalls zum Teil wieder ausgegeben worden wäre. Denn normalerweise soll es nicht dem Schädiger zugute kommen, daß der Geschädigte sich, eben weil er den Gewinn nicht erzielen konnte, in seiner Lebensführung einschränken mußte. Diese Erwägungen sind jedoch auf den Sonderfall entgangenen Dirnenlohns nicht anwendbar. Hier spricht nämlich alles dafür, daß zwischen der sittenwidrigen Art der Gewinnerzielung und der aufwendigen Lebensführung ein innerer Zusammenhang besteht, der es rechtfertigt, die Kosten der letzteren wie „Betriebsunkosten“ zu behandeln.

Es ist allgemein bekannt, daß die Prostitution vorwiegend in einer sozialen Umgebung gedeiht, die durch eine besonders verdichtete „Freizeit“-Atmosphäre oder „Vergnügungs“-Atmosphäre gekennzeichnet ist und in H. gewöhnlich „……-Milieu“ genannt wird. Ein in dieser Atmosphäre ständig Tätiger wird sich auf Dauer den von ihr ausgehenden Einflüssen nicht entziehen können; ihm muß das dort ständig vorherrschende Freizeitverhalten, nämlich der Aufenthalt in Gaststätten, Alkoholgenuß und der großzügige Umgang mit Geld, der für die dort nur vorübergehend anwesende zahlende Kundschaft ein Ausnahmezustand, nämlich eine bewußt gesuchte Abwechslung vom durch ganz andere Verhaltensformen gekennzeichneten Alltag ist, nach einiger Eingewöhnung als die einzig „normale“ Daseinsform erscheinen. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, daß Prostituierte in der Regel eine aufwendige Lebensführung psychisch brauchen, um eine Kompensation für ihre demütigende Tätigkeit zu haben. Deren sittliche Mißachtung durch die Gesellschaft kann ihnen nicht unbekannt sein; häufig teilen sie sie sogar selbst, da sie gemeinhin in denselben Wertvorstellungen erzogen sind wie die anderen Mitglieder der Gesellschaft auch. Hinzu kommt schließlich, daß Prostituierten gewöhnlich die geistigen Voraussetzungen für den sinnvollen Umgang mit so großen Geldsummen fehlen, wie sie sie nur durch ihre sittenwidrige Tätigkeit einnehmen können. Im allgemeinen können sie den Wert dieser Summen nicht richtig einschätzen, weil sie den Umgang damit nicht gewohnt sind. Denn in aller Regel haben sie sich gerade deshalb für die Ausübung der Prostitution entschieden, weil ihre Begabung und Vorbildung nicht ausreichen, ein vergleichbares Einkommen durch eine gesellschaftlich geachtete Tätigkeit zu erzielen.

Würde nun der Klägerin von der Beklagten der entgangene Dirnenlohn einschließlich derjenigen Beträge erstattet, die sie ohne den Unfall für ihre im Zweifel aufwendige Lebensführung aufgewendet hätte, so würde sie besser gestellt, als sie ohne den Unfall dastünde, nämlich so, als sei sie in der Lage gewesen, ihre Einnahmen sinnvoll zur Vermögensbildung zurückzulegen, obwohl sie hierzu gerade als Prostituierte schwerlich fähig gewesen wäre, und ihr überdies eben die demütigende Tätigkeit durch den Unfall erspart geblieben ist, durch die allein sie ein ihren Verhältnissen sonst nicht entsprechendes Einkommen unter Verstoß gegen das Sittengesetz hätte erzielen können.

Hiernach ist nur noch in Kürze darauf hinzuweisen, daß die Schwierigkeiten, die Höhe des der Klägerin durch den Unfall entgangenen Dirnenlohns zu ermitteln, die sich schon aus der ungewöhnlichen Art des Beweisantritts der Klägerin dafür ergeben, ihren Ursprung nicht zuletzt gerade in den durch ihre Sittenwidrigkeit bedingten Begleiterscheinungen der Prostitution haben. Diese ist nämlich eben kein „Beruf wie jeder andere auch“, sondern eine besondere Lebensform innerhalb einer am Rande der Legalität angesiedelten Subkultur, bei der der „berufliche“ und der „private“ Lebensbereich kaum voneinander zu trennen sind. In diesen Zusammenhang gehört es auch, daß Prostituierte in aller Regel nicht ohne einen Zuhälter auskommen, dem sie – ob sie wollen oder nicht – den Großteil ihrer Einnahmen abzuliefern haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde auch ein selbst im Hinblick hierauf bereits gekürzter Schadensersatz für den der Klägerin entgangenen Dirnenlohn letztlich in der Tasche eines Zuhälters enden, der darauf unter gar keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Anspruch hat.

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