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Erwerbsminderungsrente vor dem 60. Lebensjahr nur mit Rentenabschlägen

Sozialgericht Aachen

Az.: S 8 R 96/06

Urteil vom 09.02.2007


Entscheidung:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger erstrebt eine höhere Erwerbsminderungsrente.

Der am 00.00.1952 geborene Kläger ist gelernter H, zuletzt arbeitete er bis März 2004 als D bei der Firma X L. Am 05.04.2005 beantragte er Rente wegen Erwerbsminderung. Nach Einholung einer Auskunft der Arbeitgeberin über die berufliche Tätigkeit des Klägers und Durchführung medizinischer Ermittlungen bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 09.06.2005 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 01.07.2004. Sie erkannte im Versicherungsverlauf 96 Monate Zurechnungszeit vom 18.02.2004 bis zum 10.02.2012 an. Die Beklagte verminderte den Zugangsfaktor von 1,0 für jeden Kalendermonat nach dem 29.02.2012 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres um 0,003. Die Beklagte errechnete damit für 36 Kalendermonate eine Verminderung von 0,108, so dass sie die sich aus dem Versicherungsverlauf ergebenden persönlichen Entgeltpunkte von 50,2611 mit 0,892 multiplizierte und der Rentenberechnung 44,8329 Entgeltpunkte zugrunde legte. Im Widerspruchsverfahren begehrte der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese bewilligte die Beklagte nach Durchführung weiterer medizinischer Ermittlungen mit Bescheid vom 18.05.2006 für die Zeit vom 01.09.2004 bis zum 31.08.2007. Auch dieser Rente legte die Beklagte die genannte Zurechnungszeit sowie den geminderten Zugangsfaktor zugrunde. Der Kläger hielt den Widerspruch aufrecht, denn er begehrte Dauerrente anstelle der bewilligten Rente auf Zeit. Außerdem hielt er unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 16.05.2006 – B 4 RA 22/05 – die Minderung des Zugangsfaktors auf einen Wert unterhalb 1,0 für rechtswidrig. Mit Bescheid vom 14.09.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie begründete die Bewilligung der Zeitrente und ging auf das Begehren des Klägers hinsichtlich des ungeminderten Zugangsfaktors nicht ein.

Mit der am 02.10.2006 erhobenen Klage begehrt der Kläger zuletzt noch die ungekürzte Rentenbewilligung. Er beruft sich auf die genannte Entscheidung des BSG.

Der Kläger beantragt, die Bescheide vom 09.06.2005 und 18.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2006 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, Rente unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu berechnen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist nicht bereit, der Entscheidung des BSG zu folgen. Dies begründet sie wie folgt: „In dem Urteil wird eine völlig neue und in der Intention des Gesetzgebers entgegengesetzte Sichtweise formuliert. Aus der Begründung zu dem Gesetz, mit dem die Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten eingeführt wurden, ergibt sich dass die Höhe der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente für schwerbehinderte Menschen anzugleichen ist. Danach wird die Rente wegen Erwerbsminderung für jeden Monat des Rentenbeginns vor dem 63. Lebensjahr um 0,3 %, höchstens jedoch um 10,8 % gemindert. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass auch die Erwerbsminderungsrenten mit einem Abschlag zu versehen sind, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden. Außerdem hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung zum 01. Januar 2001 parallel zur Einführung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten auch eine Zurechnungszeit eingeführt. Diese Verlängerung diente gerade der Abfederung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden. Auch werden in der Gesetzesbegründung die konkreten Auswirkungen der Abschläge auf die Rentenhöhe bei Personen dargestellt, bei denen der Eintritt der Erwerbsminderung vor Vollendung des 60. Lebensjahres erfolgt. Auch dies macht die Intention des Gesetzgebers ganz deutlich. Die deutsche Rentenversicherung insgesamt folgt deshalb dem o. g. Urteil über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht. Eine Neuberechnung der Rente ohne Abschläge kommt daher nicht in Betracht.“

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässig auf die Rentenhöhe beschränkte Klage ist zulässig, nicht aber begründet. Die angefochtene Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte mit einem auf 0,892 geminderten Zugangsfaktor ist nicht rechtswidrig i. S. d. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Der Kläger hat keinen höheren Rentenanspruch.

Allerdings entspricht die Entscheidung der Beklagten nicht dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 – B 4 RA 22/05 R -. Nach dieser Entscheidung unterliegen Erwerbsminderungsrentner, die – wie der Kläger – bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur, wenn sie Rente über das 60. Lebensjahr hinaus beziehen. Das BSG interpretiert die für die Berechnung des Zugangsfaktors maßgebende Vorschrift des § 77 SGB VI entsprechend: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist gemäß § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI die Vollendung des 60. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahres des Versicherten gilt gemäß § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme. Nach der Rechtsprechung des 4. Senates des BSG seien Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres vom Gesetz gerade nicht als Zeiten eines „vorzeitigen Rentenbezuges“ bestimmt. Allein eine derartige Interpretation sei verfassungsgemäß. Die Verminderung des Zugangsfaktors durchbreche das „Prinzip der Vorleistungsbezogenheit der Rente“. Dieses Prinzip werde technisch im Gesetz dadurch verwirklicht, dass der Zugangsfaktor grundsätzlich als Faktor 1,0 anzusetzen und damit rechnerisch ohne Bedeutung für Rentenberechnung sei. Jede Durchbrechung des Prinzips der Vorleistungsbezogenheit der Rente bedürfe der ausdrücklichen Bestimmung durch ein verfassungsgemäßes Gesetz. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Erwerbsminderungsrente „vorzeitig“ in Anspruch genommen wird, könne ohne verfassungswidrige Willkür eine Nichtbeachtung der Vorleistung, die der Versicherte für die Rentenversicherung erbracht hat, in Betracht kommen. Nur eine vorzeitige Inanspruchnahme sei ein Sachgrund für die „Nichtberücksichtigung eines Teils der Vorleistung“. Die am 01. Januar 2001 in Kraft getretene Neufassung des § 63 Abs. 5 SGB VI, wonach Vorteile und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer durch einen Zugangsfaktor vermieden werden, beziehe sich nur auf die Zeit ab Vollendung des 60. Lebensjahrs. Erst ab diesem Zeitpunkt seien Ausweichreaktionen aus der nur bei Inkaufnahme von Abschlägen in Anspruch zu nehmenden vorzeitigen Altersrente auf die Erwerbsminderungsrente denkbar. Da prägender Leitgedanke für die Einbeziehung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit in die Regelungen über den Zugangsfaktor gewesen sei, die Höhe der Erwerbsminderungsrente an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente anzupassen, werde auch durch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes zur Reform der Erwerbsminderungsrenten bestätigt, dass eine Reduzierung des Zugangsfaktors erst ab Vollendung des 60. Lebensjahrs in Betracht kommt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass ebenfalls ab 01.01.2001 die Zurechnungszeiten für die Versicherten, die bereits vor Vollendung des 60. Lebensjahrs erwerbsgemindert sind und Rente beziehen, verlängert wurden.

Die Entscheidung des BSG ist zu Recht in der Literatur auf Kritik gestoßen (Plagemann, in: JurisPR-SozR 20/2006; von Koch/Kolakowski, SGb 2007, 71 f.) und die Rentenversicherungsträger folgen der Entscheidung zu Recht nicht: Die Entscheidung steht im Widerspruch zur – soweit ersichtlich – unbestrittenen Auffassung in der gesamten Rentenliteratur (vgl. nur Polster, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 77 SGB VI Rdnr. 21; Silber in: LPK-SGB VI, § 77 Rdnr. 8; Plagemann a.a.O. mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Kammer entnimmt bereits der gesetzlichen Formulierung, dass die auch im angefochtenen Bescheid angewandte Verwaltungspraxis der Beklagten durch den Gesetzgeber angeordnet ist, so dass bei Annahme einer Verfassungswidrigkeit eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG geboten gewesen wäre: Gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI ist die Verminderung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Diese Vorschrift ist für sich genommen nicht ausreichend, weil sie zur Folge haben könnte – wie auch das BSG in der genannten Entscheidung darlegt -, dass der Zugangsfaktor auf 0 absinkt und deshalb keine Rente bewilligt würde. Deshalb musste das Gesetz eine Regelung dazu vorsehen, welcher Abschlag maximal vom Versicherten in Kauf genommen werden muss. Diese Regelung ist in § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI enthalten: Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 60. Lebensjahres, ist die Vollendung des 60. Lebensjahrs für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend. Hieraus ergibt sich, dass die Verminderung des Zugangsfaktors bei Inanspruchnahme einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahrs auf 36 x 0,003 = 0,108 begrenzt ist. Nur insoweit – also hinsichtlich der Berechnung der höchstmöglichen Reduzierung des Zugangsfaktors – bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI, dass die Zeit des Bezugs einer Rente vor Vollendung des 60. Lebensjahrs des Versicherten nicht als Zeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme gilt (in diesem Sinne auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13.12.2006 – L 2 R 466/06 ER -; zur Bedeutung von § 77 Abs. 2 S. 3 SGB VI für § 77 Abs. 3 SGB VI näher von Koch/Kolakowski a.a.O.). Diese sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebende Interpretation wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt: Durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 (BGBl. I, 1827) sollte die Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit an die der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten angepasst werden (BT-Drucksache 14/4230 Seite 1, 26). Zwar war Sinn der Neuregelung auch, Ausweichreaktionen von den Altersrenten, die nur bei Inkaufnahme von Abschlägen vorzeitig in Anspruch genommen werden können, in die Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit entgegen zu wirken (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 22). Insofern ist dem BSG dahingehend Recht zu geben, dass eine solche Ausweichreaktion nur bei Personen stattfinden kann, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Dennoch hat der Gesetzgeber generell zum Ziel gehabt, Vorteile eines längeren Rentenbezuges durch einen verminderten Zugangsfaktor auszugleichen (BT-Drucksache 14/4230, Seite 26 zu Nr. 16). Der Gesetzesbegründung ist an keiner Stelle zu entnehmen, dass ein solcher verminderter Zugangsfaktor lediglich für Versicherte gelten soll, die das 60. Lebensjahr vollendet haben. Im Gegenteil geht die Gesetzesbegründung generell davon aus, dass die Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrenten in der Weise angeglichen wird, dass die Renten mit einem Abschlag von höchstens 10,8 % versehen werden (BT-Drucksache 14/4230 Seite 24). Aus dieser Formulierung ist zwar nur indirekt aber dennoch zwingend zu entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass die Verringerung des Zugangsfaktors auch Erwerbsminderungsrenten erfasst, die vor Vollendung des 60. Lebensjahrs in Anspruch genommen werden. Denn eine Begrenzung des „Abschlags“ auf höchstens 10,8 % braucht nur dann ausdrücklich erwähnt zu werden, wenn sich ohne eine ausdrückliche entsprechende Formulierung ein höherer Abschlag errechnen könnte. Dies ist bei isolierter Betrachtung von § 77 Abs. 2 Nr. 3 SGB VI – wie dargestellt – der Fall. Schließlich ist das Ergebnis der Rechtsprechung des BSG nicht mit der ebenfalls durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eingeführten, ab 01.01.2001 geltenden Verlängerung der Zurechnungszeit – von der auch der Kläger profitiert – zu vereinbaren. Bis zum 31.12.2000 endete gemäß § 59 Abs. 3 SGB VI a. F. die Zurechnungszeit mit dem Zeitpunkt, der sich ergibt, wenn die Zeit bis zum vollendeten 55. Lebensjahr in vollem Umfang, die darüber hinausgehende Zeit bis zum vollendeten 60. Lebensjahr zu einem Drittel hinzugerechnet wird. Seit dem 01.01.2001 endet die Zurechnungszeit gemäß § 59 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erst mit Vollendung des 60. Lebensjahrs. Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (BT-Drucksache 14/4230 Seite 24, 26) sollten die Auswirkungen der Verminderung des Zugangsfaktors dadurch abgemindert werden, dass die Zeit zwischen dem vollendeten 55. und 60. Lebensjahr künftig voll als Zurechnungszeit angerechnet wird. Die Kammer hält es nicht für angängig, entgegen dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei einem Regelungskomplex – hier dem Zusammenspiel der Verlängerung der Zurechnungszeit mit der Verminderung des Zugangsfaktors – einen Teil des Regelungskomplexes für verfassungswidrig zu erklären, den anderen – begünstigenden – Teil hingegen unangetastet zu lassen (ebenso Plagemann a.a.O.). Dann nämlich würde – vollständig entgegen der Intention des Gesetzgebers – anstelle einer Verminderung der vorzeitigen in Anspruch genommenen Erwerbsminderungsrenten deren Erhöhung die Folge sein.

Wegen der Verlängerung der Zurechnungszeit hält die Kammer schließlich den verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt der Argumentation des BSG nicht für stichhaltig (ebenso von Koch/Kolakowski a.a.O.): Das BSG hält den Zugangsfaktor von 1,0 wohl aufgrund des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG für verfassungsrechtlich geboten. Voraussetzung für einen Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nach Art. 14 Abs. 1 GG ist eine vermögenswerte Rechtsposition, die nach Art eines Ausschließlichkeitsrechtes dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet ist. Diese genießt den Schutz der Eigentumsgarantie dann, wenn sie auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten beruht (zum Schutz sozialversicherungsrechtliche Ansprüche durch Art. 14 Abs. 1 GG vgl. BVerfG, Urteil vom 16.07.1985 – 1 BvL 5/80 = BVerfGE 69, 272 (300 f.); Lenze, NRW 2003, 1427; Neumann, NZS 1998, 401). Das BVerfG hat hierbei einen abgestuften Eigentumsschutz entwickelt: In dem durch Beitragsäquivalenz geprägten Leistungsbereich ist der Eigentumsschutz intensiver, als im sonstigen Bereich der Bewilligung von Leistungsanteilen ohne oder mit nur geminderter Beitragsleistung, hier verfügt der Gesetzgeber über einen weiteren Gestaltungsspielraum (zu Ausbildungs-Ausfallzeiten: BVerfG, Beschluss vom 01.07.1981 – 1 BvR 874/77 = BVerfGE 58, 81 = SozR 2200 § 1255a Nr. 7). Das Prinzip der Beitragsbezogenheit des Eigentumsschutzes rentenversicherungsrechtlicher Positionen wurde jüngst durch das BVerfG in der Entscheidung vom 13.06.2006 (1 BvL 9/00 ) bestätigt. Nach dieser Entscheidung unterliegen die durch das Fremdrentengesetz begründeten Anwartschaften nicht dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, wenn ihnen ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugrunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden. Bei der Anerkennung der Zurechnungszeit und insbesondere auch deren Verlängerung handelt es sich um dem Kläger zugute kommende rentenrechtliche Zeiten, die nicht auf Beitrags- und Beschäftigungszeiten beruhen. Wenn auch für einen Versicherungsverlauf, in dem derartige Zeiten enthalten sind, der ungeminderte Zugangsfaktor von 1,0 verfassungsrechtlich geboten wäre, würden auch diese Zeiten dem uneingeschränkten Eigentumsschutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterworfen. Ein derartiges Ergebnis lässt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG zum abgestuften Eigentumsschutz sozialversicherungsrechtlicher Positionen nicht ableiten.

Abschließend bemerkt die Kammer, dass in der Literatur darauf hingewiesen wird, dass gemäß einer vorläufigen Schätzung des Bundesarbeitsministeriums aus dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 eine jährliche Differenz von rund 500 Millionen Euro Rentenaufkommen resultiert. Eine Milliarde Euro käme hinzu für eventuelle Nachzahlungen für die Zeit von 2002 bis 2006 (Plagemann a.a.O.; von Koch/Kolakowski a.a.O. verweisen auf die Beitragsrelevanz der Entscheidung). Die Sozialverbände formulieren Ratschläge an alle Erwerbsminderungsrentner, die jünger als 60 Jahre sind, Rechtsmittel einzulegen bzw. Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X zu stellen (VdK, in: SuP 2006 Seite 449 f.; Schaller, Soziale Sicherheit 2006, Seite 215 f.). Eine Entscheidung mit derart weitreichenden volkswirtschaftlichen Auswirkungen kann nach Überzeugung der Kammer nicht durch die Judikative mittels „verfassungskonformer Interpretation“ einer Vorschrift, die nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers anders gemeint war, erfolgen. Die Kammer hält sich vielmehr im vorliegenden Fall an den aus dem Gewaltenteilungsprinzip resultierenden Grundsatz der richterlichen Selbstbeschränkung und meint, dass der Gesetzgeber für den Fall, dass eine Verminderung des Zugangsfaktors für Rentenbezieher, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht gewollt ist, eine entsprechende ausdrückliche Regelung schaffen müsste.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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