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Fahren ohne Fahrerlaubnis und Fahrerlaubnis eines anderen EU- oder EWR-Mitgliedsstaates

OLG Karlsruhe

Az.: 3 Ss 103/04

Beschluss vom 26.08.2004

Vorinstanz: Amtsgerichts S., Az.: 50 Cs 51 Js 23772/03/04


Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts S. vom 21. April 2004 aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden von der Staatskasse getragen.

Gründe:

I.
Das Amtsgericht S. verurteilte den Angeklagten am 21.04.2004 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 28 €. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg. Einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.

II.

1. Das Amtsgericht S. hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte ist deutscher Staatsangehöriger. Nachdem ihn das Amtsgericht S. mit Urteil vom 21.10.1996 – rechtskräftig seit dem 26.11.1996 – wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt und ihm zudem – bei Verhängung einer Sperrfrist für die Neuerteilung – die Fahrerlaubnis entzogen hatte, verlegte der Angeklagte seinen Wohnsitz nach Spanien, wo er am 06.11.1997 – nach Ablauf der gegen ihn festgesetzten Sperrfirst am 20.06.1997 – die spanische Fahrerlaubnis erwarb. Den Antrag des Angeklagten, von seiner spanischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch machen zu dürfen, lehnte das Landratsamt K. am 18.06.2001 ab, weil der Angeklagte sich einer von dort geforderten medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht unterziehen wollte. Der gegen den Bescheid vom 18.06.2001 gerichtete Widerspruch des Angeklagten wurde vom Regierungspräsidium F. am 21.02.2002 – bestandskräftig seit dem 22.03.2002 – abschlägig verbeschieden.

Am 19.10.2003 befuhr der Angeklagte mit seinem PKW öffentliche Straßen in G.

Das Amtsgericht S. vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte dies ohne gültige Fahrerlaubnis tat und er sich dessen auch bewusst war. Die spanische Fahrerlaubnis berechtige ihn wegen § 4 Abs. 3 Nr. 3 IntVO nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik, weswegen der Angeklagte nach § 21 Abs. 1 Nr.1 StVG strafbar sei.

2. Das angefochtene Urteil hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand, weil die uneingeschränkte Anwendung von § 4 Abs. 3 Nr. 3 IntVO auf den vorliegenden Fall gegen übergeordnetes Europarecht verstößt.

Nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439 EWG des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (ABl. L 237 Seite 1) in der Fassung der Richtlinie 97/26/EG des Rates vom 02. Juni 1997 (ABl. L 150 Seite 41) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine anzuerkennen. Diesem Grundsatz trägt § 4 Abs. 1 IntVO Rechnung, indem dort bestimmt ist, dass Inhaber ausländischer Führerscheine im Umfang ihrer Berechtigung im Inland Kraftfahrzeuge führen dürfen (- soweit sie im Inland keinen ordentlichen Wohnsitz haben; für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis mit Wohnsitz im Inland gilt die entsprechende Regelung des § 28 Abs. 1 FeV).

Art. 8 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 der genannte Richtlinie erlaubt es einem Mitgliedstaat, die Anerkennung der Gültigkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis abzulehnen, wenn gegen den Inhaber dieser Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet dieses Staates innerstaatliche Vorschriften über die Einschränkung, Aussetzung, den Entzug oder die Aufhebung der Fahrerlaubnis angewandt wurden. Diese Regelung stellt einen Ausnahmetatbestand zu dem in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie genannten allgemeinen Grundsatz dar, der mit § 4 Abs. 3 Nr. 3 IntVO in konkretisierter Form in nationales Recht umgesetzt wurde. Nach dem Wortlaut dieser Norm darf – u.a. – der Inhaber eines ausländischen Führerscheins nicht im Inland fahren, dem zu irgendeinem früheren Zeitpunkt im Inland von einem Gericht – rechtskräftig – die Fahrerlaubnis entzogen worden war. Noch im Jahr 2002 hatte der Bundesgerichtshof (BGHSt 47, 335, 342) keine Bedenken gegen die Vereinbarkeit von § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV (der wortgleich mit § 4 Abs. 3 Nr. 3 IntVO ist) – und insbesondere auch nicht gegen eine Auslegung, die deren Geltung auch auf sog. Altfälle vor Inkrafttreten der FeV erstreckte – mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaften. Der Senat teilte diese Auffassung (so bereits der 2. Strafsenat des OLG Karlsruhe: vgl. Urteil v. 14.10.2002 – 2 Ss 206/01 -, VRS 105, 374) und sah deswegen in einem ähnlich gelagerten Fall von einer Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV ab (Senat B. v. 13.05.2003 – 3 Ss 60/03).

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht mehr fest: In seinem am 29.04.2004 (C-476/01) auf Vorlageverfügung durch das Amtsgericht Frankenthal im Wege der Vorabentscheidung ergangenen Urteil hat der Europäische Gerichtshof (veröffentlicht in NJW 2004, 1725 ff) eine der an ihn gestellten Vorlagefragen dahingehend beantwortet, „dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist“ (Rdnr. 78 des Urteils).

Begründet (Rdnr. 70 ff des Urteils) wird die Entscheidung damit, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der von Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine aufgestellt worden sei, um die Freizügigkeit von Personen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niederlassen, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben, als Ausübung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit zu erleichtern. Jede Einschränkung dieses Grundsatzes müsse, um die Gemeinschaftsziele der Freizügigkeit der Arbeitnehmer, der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs nicht zu gefährden, eng ausgelegt werden. Eine Beachtung dieser Grundsätze verbiete eine Auslegung von Art. 8 Absatz 4 der Richtlinie 91/439 dahingehend, dass ein Mitgliedstaat befugt sei, einer Person, der auf seinem Hoheitsgebiet eine früher von ihm erteilte Fahrerlaubnis entzogen worden sei, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines (möglicherweise) später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu versagen.
Diese Argumentation führt dazu, dass eine entsprechend einschränkende Auslegung auf das innerstaatliche Recht – § 4 Abs. 3 Nr. 3 IntVO – übertragen werden muss (allgemein zur Verbindlichkeit der Entscheidungen des EuGH nach Art. 234 EGV vgl. Wissmann in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht 4. Auflage (2004) Art. 234 EGV Rdnr. 37).

Damit kann eine strafgerichtliche Verurteilung nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 3 IntVO keinen Bestand haben, wenn – wie hier – der inländische Kraftfahrzeugführer im Besitz einer ausländischen Fahrerlaubnis ist, die ihm nach Ablauf einer im Inland verhängten Sperre nach § 69 a StGB erteilt wurde (ebenso OLG Stuttgart B. v. 24.05.2004 – 2 Ss 129/2004 -), wobei unerheblich ist, dass im vorliegenden Fall ein Antrag des Angeklagten auf Erteilung der Erlaubnis nach § 4 Abs. 4 IntVO, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch machen zu dürfen, bestandskräftig abgelehnt wurde, da dies die Gültigkeit der Argumentation des Europäischen Gerichtshofs nicht berührt.

Die Revision ist damit begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts S., die nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen erfolgt, weswegen der Senat den Angeklagten – mit der entsprechenden Kostenfolge – freispricht (§ 354 Abs. 1 StPO.

Die Entscheidung ergeht einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO.

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