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EU-Führerschein – Nutzungsuntersagung wegen Auslandsangaben

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

Az.: 3 C 16/09

Urteil vom 25.02.2010


Tatbestand:

Die Klägerin, eine deutsche Staatsangehörige, wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von ihrer in Polen erworbenen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen. Ihr wurde in Deutschland mehrfach wegen Trunkenheitsfahrten die Fahrerlaubnis entzogen, zuletzt durch Urteil vom 27. März 2002, mit dem sie wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr (BAK von 2,32 Promille) zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, sowie durch Urteil vom 22. Dezember 2004, mit dem gegen sie eine Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung (BAK von über 1,1 Promille) verhängt wurde; die im zweiten Urteil festgelegte Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis lief am 21. Juni 2005 ab.

Am 2. November 2005 erwarb die Klägerin in Polen eine Fahrerlaubnis der Klasse B; im dort ausgestellten Führerschein ist als Wohnsitz eine Adresse in Polen angegeben. In Deutschland ist die Klägerin seit Mai 1994 ununterbrochen mit alleinigem Wohnsitz in W. (Kreis S., NRW) gemeldet.

Das Kraftfahrt-Bundesamt teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 20. März 2006 mit, dass es der Fahrerlaubnisbehörde in Szczecin/Polen die von dort erbetene Auskunft aus dem Verkehrszentralregister und dem Zentralen Fahrerlaubnisregister zur Klägerin erteilt und zugleich darauf hingewiesen habe, dass sie in Deutschland keine gültige Fahrerlaubnis besitze und nur aufgrund eines medizinisch-psychologischen Gutachtens eine neue Fahrerlaubnis erhalten könne. Auf einen möglichen Verstoß hinsichtlich des Wohnsitzerfordernisses sei bereits hingewiesen worden. Trotz dieser Hinweise sei der Klägerin dort eine Fahrerlaubnis erteilt worden.

Der Beklagte forderte die Klägerin am 23. März 2006 auf, ihre Fahreignung durch die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nachzuweisen. Dieser Aufforderung kam die Klägerin nicht nach.

Daraufhin erkannte ihr der Beklagte mit Bescheid vom 9. Mai 2006 unter Anordnung des Sofortvollzugs das Recht ab, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis im Bereich der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Er gab ihr zugleich auf, den Führerschein abzugeben, damit er über das Kraftfahrt-Bundesamt an die ausstellende Behörde übersandt werden könne. Für den Fall, dass die Klägerin dieser Anordnung nicht fristgerecht nachkomme, wurde ihr ein Zwangsgeld angedroht. Zur Begründung heißt es, es habe ohne Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht auf ihre fehlende Fahreignung geschlossen werden dürfen, nachdem sie das angeforderte Gutachten nicht beigebracht habe. Der von der Klägerin dagegen eingelegte Widerspruch wurde nicht beschieden.

Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage mit Urteil vom 26. Juli 2007 abgewiesen. Zur Begründung heißt es: Durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei die Rechtslage in den Fällen noch nicht geklärt, in denen – wie hier – Zweifel an der Fahreignung fortbestünden und in denen es zugleich Hinweise auf eine Umgehung der gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung gebe. Mit der EU-Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG sei der Annahme des Europäischen Gerichtshofes die Grundlage entzogen, Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG sei als Ausnahme vom Anerkennungsgrundsatz eng auszulegen. Die bestehenden Zweifel an ihrer Fahreignung habe die Klägerin nicht ansatzweise ausgeräumt.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. April 2009 den Bescheid aufgehoben, soweit der Klägerin aufgegeben wurde, den Führerschein abzugeben, ihr ein Zwangsgeld angedroht und eine bestimmte Verwaltungsgebühr festgesetzt wurde; im Übrigen ist die Berufung zurückgewiesen worden. Zur Begründung heißt es: Der Beklagte habe gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die fehlende Fahreignung der Klägerin schließen dürfen, da sie das medizinisch-psychologische Gutachten nicht beigebracht habe, dessen Vorlage er wegen ihres früheren Alkoholkonsums zu Recht von ihr gefordert habe. Der Fahrerlaubnisentziehung stehe die Richtlinie 91/439/EWG nicht entgegen. Der Europäische Gerichtshof habe in seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 klargestellt, dass das Wohnsitzerfordernis in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie (auch) die Funktion habe, den Führerscheintourismus zu bekämpfen. Die Führerscheinrichtlinie verpflichte einen Mitgliedstaat nicht zur Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststehe, dass der Inhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seines Führerscheins keinen ordentlichen Wohnsitz im Ausstellermitgliedstaat gehabt habe. Das Gleiche müsse gelten, wenn aufgrund eines Eingeständnisses des Fahrerlaubnisinhabers oder aufgrund ihm zurechenbarer Angaben auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis geschlossen werden könne. Der Europäische Gerichtshof habe die Unbestreitbarkeit der Informationen als gleichrangiges Kriterium neben deren Herkunft aus dem Ausstellermitgliedstaat gestellt. Es gebe keinen Grund, bei einem offenkundigen Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip danach zu differenzieren, ob sich die Offenkundigkeit aus einem Dokument des Ausstellermitgliedstaates oder aus Verlautbarungen oder Verhaltensweisen des Fahrerlaubnisinhabers ergebe. Das Wohnsitzerfordernis diene dem Schutz von Leib, Leben und Gesundheit der anderen Verkehrsteilnehmer. Diese Rechtsgüter hätten ein solches Gewicht, dass der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz dahinter zurücktreten müsse. Die Schutzwürdigkeit von Führerscheintouristen, die einen Scheinwohnsitz im Ausstellermitgliedstaat angegeben hätten, sei nicht höher, sondern geringer als die derjenigen, die gegenüber der ausländischen Fahrerlaubnisbehörde ehrlich gewesen seien und deshalb nur einen Führerschein mit Angabe eines deutschen Wohnsitzes erhalten hätten. Bei der Klägerin liege der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aufgrund ihrer eigenen Einlassungen und ihres Verhaltens deutlich zutage. Maßgeblich hierfür seien insbesondere die dem Senat vorliegenden melderechtlichen Erkenntnisse, die auf ihren Angaben gegenüber den Meldebehörden beruhten und ihr daher als eigene Verlautbarungen zurechenbar seien. Danach sei die Klägerin seit 1994 ununterbrochen mit alleinigem Wohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Sie habe trotz einer entsprechenden Aufforderung nicht dargetan, in Polen einen Wohnsitz begründet zu haben. Dagegen sprächen auch die familiären Bindungen der Klägerin in ihrem Heimatort. Dass die Klägerin zwischenzeitlich ihre Fahreignung wiedererlangt haben könnte, sei nicht erkennbar. Begründet sei die Klage, soweit sich die Klägerin gegen die ihr im Bescheid vom 9. Mai 2006 auferlegte Verpflichtung wende, ihren Führerschein binnen drei Tagen beim Beklagten abzugeben, damit er an die ausstellende Behörde zurückgesandt werden könne. Bereits nach dem Wortlaut von § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG und § 47 Abs. 2 FeV spreche viel dafür, dass im Falle eines Verbots, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, nur die Vorlage zur Eintragung dieses Verbots verlangt werden könne; jedenfalls ergebe sich eine solche Beschränkung aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Rechtswidrig seien dementsprechend auch die Androhung des Zwangsgeldes zur Durchsetzung der Herausgabepflicht und die Gebührenfestsetzung, soweit der Beklagte die zu vergütende Amtshandlung auch in der Aufforderung zur Herausgabe des Führerscheins und in der Zwangsgeldandrohung gesehen habe.

Zur Begründung ihrer Revision macht die Klägerin geltend: Die vom Beklagten verfügte Aberkennung sei rechtswidrig, denn sie habe die Untersuchungsaufforderung zu Recht nicht befolgt. Die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes vom Anerkennungsgrundsatz abgewichen werden könne, lägen in ihrem Fall nicht vor. Es habe keine aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührende Information über eine Verletzung des Wohnsitzprinzips gegeben. Es widerspreche dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens und dem Territorialitätsprinzip, wenn das Berufungsgericht dem Aufnahmemitgliedstaat eine Überprüfung erlaube, ob im Ausstellermitgliedstaat die Voraussetzungen für die Fahrerlaubniserteilung vorgelegen hätten. Der Aufnahmemitgliedstaat sei darauf verwiesen, ihm vorliegende Informationen dem Ausstellermitgliedstaat zu übermitteln; gegebenenfalls könne er ein Vertragsverletzungsverfahren anstrengen.

Der Beklagte tritt der Revision entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung der Entscheidung des Berufungsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO). Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte habe der Klägerin das Recht zum Gebrauchmachen von ihrer in Polen erworbenen Fahrerlaubnis aberkennen dürfen, weil sie ihr nach ihren eigenen Angaben unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden sei, verletzt den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Anerkennung einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis in der Auslegung, die er in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gefunden hat (vgl. zuletzt EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 – Rs. C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217). Die Entscheidung des Berufungsgerichts würde sich jedoch im Ergebnis als richtig darstellen (§ 144 Abs. 4 VwGO), falls Ermittlungen bei den Behörden des Ausstellermitgliedstaates von dort herrührende unbestreitbare Informationen ergeben sollten, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins ihren ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte. Die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das Berufungsgericht noch zu treffen.

1.

Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Verfügung, hier also des Bescheides vom 9. Mai 2006 (vgl. u.a. Urteile vom 27. September 1995 – BVerwG 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 <250> = Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 24 S. 5 und vom 5. Juli 2001 – BVerwG 3 C 13.01 – Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 = NJW 2002, 78 m.w.N.). Zugrunde zu legen sind danach das Straßenverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, ber. S. 919), zuletzt geändert durch Art. 43 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1818), und die Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vom 18. August 1998 (BGBl I S. 2214) in der Fassung des Art. 8a der Verordnung vom 25. April 2006 (BGBl I S. 988). Der gemeinschaftsrechtliche Maßstab ergibt sich aus der Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein 91/439/EWG (ABl EG L Nr. 237 S. 1), zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl EU L Nr. 284 S. 1). Dagegen ist die sog. 3. EU-Führerscheinrichtlinie, die Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl EU L Nr. 403 S. 18), nach ihrem Art. 18 nicht anwendbar.

2.

Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Aberkennung des Rechts der Klägerin, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, gemäß § 3 Abs. 1 StVG sowie § 46 Abs. 1 und 5 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV vorliegen. Auch die Klägerin selbst stellt dies nicht in Abrede.

Die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen aber nicht seine Annahme, dass die Fahrerlaubnisbeschränkung auch mit dem gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz in Einklang steht.

a) Gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt. Dabei regelt das europäische Gemeinschaftsrecht selbst zugleich die Mindestvoraussetzungen, die für die Erteilung einer Fahrerlaubnis erfüllt sein müssen. So muss nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 91/439/EWG die Fahreignung durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden; außerdem hängt die Ausstellung des Führerscheins vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellermitgliedstaat ab (vgl. Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie). Als ordentlicher Wohnsitz gilt nach Art. 9 der Richtlinie der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher oder beruflicher Bindungen gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.

Es ist Aufgabe des Ausstellermitgliedstaates zu prüfen, ob die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung – gegebenenfalls die Neuerteilung – einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Wenn die Behörden eines Mitgliedstaates einen Führerschein gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG ausgestellt haben, sind die anderen Mitgliedstaaten nicht befugt, die Beachtung der in dieser Richtlinie aufgestellten Ausstellungsvoraussetzungen zu prüfen. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber des Führerscheins am Tag der Erteilung diese Voraussetzungen erfüllte (EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 – Rs. C-445/08, Wierer – a.a.O. Rn. 39 f.; Urteile vom 19. Februar 2009 – Rs. C-321/07, Schwarz – Rn. 76 f., vom 26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. – Slg. 2008, I-4635 = NJW 2008, 2403 Rn. 52 f. und – Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a. – Slg. 2008, I-4691 Rn. 49 f., unter Bezugnahme auf die Beschlüsse vom 6. April 2006 – Rs. C-227/05, Halbritter – Slg. 2006, I-49 Rn. 34 und vom 28. September 2006 – Rs. C-340/05, Kremer – Slg. 2006, I-98 Rn. 27).

Dementsprechend sind die Befugnisse der Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG eingeschränkt (vgl. dazu im Einzelnen Urteil vom 11. Dezember 2008 – BVerwG 3 C 26.07 – BVerwGE 132, 315 = Buchholz 442.10 § 3 StVG Nr. 2 Rn. 30). Ein Zugriffsrecht des Mitgliedstaates besteht jedoch dann, wenn der neue Führerschein unter Missachtung der in der Richtlinie geregelten Wohnsitzvoraussetzung ausgestellt worden ist. Ein Mitgliedstaat darf es ablehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs der früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte (EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 – Rs. C-329/06 und C-343/06, Wiedemann u.a. – a.a.O. Rn. 68 ff. sowie – Rs. C-334/06 bis C-336/06, Zerche u.a. – a.a.O. Rn. 65 ff.). Diese Aufzählung der Erkenntnisquellen ist abschließend. Insoweit können die Erklärungen und Informationen, die der Inhaber dieses Führerscheins in dem im Aufnahmemitgliedstaat durchgeführten Verwaltungsverfahren oder gerichtlichen Verfahren in Erfüllung einer Mitwirkungspflicht gemacht hat, nicht als vom Ausstellermitgliedstaat herrührende Informationen qualifiziert werden, die beweisen, dass der Inhaber zum Zeitpunkt der Ausstellung seines Führerscheins seinen Wohnsitz nicht in diesem Mitgliedstaat hatte (EuGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 – Rs. C-445/08, Wierer – a.a.O. Rn. 53 ff.).

b) Gegen diese Vorgaben hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es allein aufgrund eines Eingeständnisses des Fahrerlaubnisinhabers und aufgrund ihm als eigener Verlautbarung zurechenbarer Angaben auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG geschlossen hat. Damit greift das Berufungsgericht auf andere als die in den Urteilen vom 26. Juni 2008 abschließend genannten Beweismittel zurück. Zudem ebnet das Oberverwaltungsgericht die Unterscheidung zwischen aus dem Aufnahme- und dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Informationen ein, wenn es sich zur Begründung einer Eignungsprüfungs- und Aberkennungsbefugnis der deutschen Fahrerlaubnisbehörden auf die Angaben der Klägerin gegenüber den deutschen Meldebehörden, das Fehlen substanziierter Angaben zu ihrem polnischen Wohnsitz sowie auf die familiären Bindungen der Klägerin in ihrem Heimatort gestützt hat, wie sie sich aus einem in Deutschland gegen sie ergangenen Strafurteil ergäben. Die Notwendigkeit einer Differenzierung nach der Herkunft der Informationen hat der Europäische Gerichtshof im Beschluss vom 9. Juli 2009 jedoch gerade noch einmal hervorgehoben. Schließlich müssen nach seinen Entscheidungen vom 9. Juli 2009 und vom 26. Juni 2008 die Informationen über den Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis sowohl „unbestreitbar“ sein als auch „aus dem Ausstellermitgliedstaat herrühren“. Es reicht somit nicht aus, dass es sich – ungeachtet ihres Ursprungs – um unbestreitbare oder unbestrittene Informationen handelt, wie das Berufungsgericht angenommen hat.

c) Dem Beschluss des Europäischen Gerichtshofes vom 9. Juli 2009 ist außerdem zu entnehmen, dass auch die Begründung, die der Klageabweisung in der ersten Instanz zugrunde lag, nicht tragfähig ist. Der Europäische Gerichtshof hat – ungeachtet der 3. EU-Führerscheinrichtlinie und damit entgegen der Erwartung des Verwaltungsgerichts – erneut bekräftigt, dass nur unter den engen und von ihm abschließend bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen vom gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz gemacht werden dürfen. Danach führen nicht bereits die Absicht des Fahrerlaubnisinhabers, die strengeren Erteilungsvoraussetzungen seines Heimatstaates zu umgehen, und der daran geknüpfte Einwand des Rechtsmissbrauchs dazu, dass der Aufnahmemitgliedstaat ohne Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht die Anerkennung der im Ausland erteilten EU-Fahrerlaubnis verweigern kann.

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3.

Allerdings kann sich die Entscheidung des Berufungsgerichts aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweisen (§ 144 Abs. 4 VwGO). Dazu bedarf es aber weiterer tatsächlicher Feststellungen.

a) Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Beschluss vom 9. Juli 2009 ausdrücklich gebilligt, dass die zuständigen Behörden und Gerichte des Aufnahmemitgliedstaates Informationen vom Ausstellermitgliedstaat darüber einholen, ob bei der Erteilung der Fahrerlaubnis gegen das Wohnsitzerfordernis verstoßen wurde (a.a.O. Rn. 58). Der Aufnahmemitgliedstaat ist danach nicht auf solche Informationen beschränkt, die ihm ohnehin vorliegen (z.B. unmittelbar aus dem ausländischen Führerschein ersichtlich sind) oder die ihm unaufgefordert zugehen. Er ist vielmehr berechtigt, den Ausstellermitgliedstaat, namentlich die dortigen Meldebehörden, um Auskunft zu ersuchen; der Ausstellermitgliedstaat ist aufgrund seiner gemeinschaftsrechtlichen Kooperationspflicht (vgl. Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/439/EWG) zur zeitnahen Erteilung der erbetenen Auskünfte verpflichtet. Dabei ist – wie dem Beschluss vom 9. Juli 2009 ebenfalls zu entnehmen ist – mit dem Gemeinschaftsrecht auch vereinbar, dass solche Erkundigungen gegebenenfalls erst vom Verwaltungsgericht im Rahmen eines Rechtsstreites über die Fahrerlaubnisentziehung eingeholt werden. In Beantwortung der Vorlagefragen werden in Tenor und Begründung des Beschlusses ausdrücklich auch solche Informationen als verwertbar bezeichnet, die durch Ermittlungen von Gerichten des Aufnahmemitgliedstaates – und damit nach dem Erlass der Aberkennungsverfügung – gewonnen wurden.

Ergeben sich durch solche Nachforschungen vom Ausstellermitgliedstaat stammende unbestreitbare Informationen, die beweisen, dass der Führerscheininhaber seinen ordentlichen Wohnsitz im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie zum Zeitpunkt der Erteilung dieser Fahrerlaubnis nicht im Gebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte, ist es dem Aufnahmemitgliedstaat nicht verwehrt, für sein Hoheitsgebiet die Anerkennung der Fahrberechtigung einer Person abzulehnen, der er eine frühere Fahrerlaubnis mangels Kraftfahreignung entzogen hatte (a.a.O. Rn. 63). Dabei weist der Europäische Gerichtshof ausdrücklich dessen Gerichten die Prüfung zu, ob die unter diesen besonderen Umständen erlangte Information die genannten Kriterien erfüllt (a.a.O. Rn. 60). Er schließt nicht aus, die bei den Einwohnermeldebehörden des Ausstellermitgliedstaates erlangten Informationen als solche Informationen anzusehen; dagegen sind bei Privatpersonen, wie Vermietern oder Arbeitgebern, eingeholte Informationen keine Informationen, die das genannte doppelte Kriterium erfüllen (a.a.O. Rn. 61).

b) Auch das innerstaatliche Recht hindert eine solche nachträgliche Einholung von Informationen im Ausstellermitgliedstaat, sei es durch die Fahrerlaubnisbehörden selbst oder das Verwaltungsgericht, und deren Verwertung als Beweismittel für einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis nicht.

Insbesondere kann dem nicht entgegengehalten werden, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Fahrerlaubnisentziehung auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung ankommt. Das besagt nur, dass die Voraussetzungen für die Fahrerlaubnisentziehung zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben müssen. Dementsprechend kommt es – unter anderem – darauf an, dass zum genannten Zeitpunkt der gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsgrundsatz der Beschränkung des Rechts, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen, nicht entgegenstand. Soweit der ordentliche Wohnsitz des Bewerbers um eine Fahrerlaubnis im Sinne von Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG in Rede steht, kommt es auf den Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen EU-Fahrerlaubnis an; auf diesen Zeitpunkt müssen sich demgemäß die beim Ausstellermitgliedstaat zu erhebenden Informationen beziehen. Eine andere Frage ist dagegen, auf welche Erkenntnisse sich das Gericht bei seiner Entscheidung darüber stützen kann, ob die Voraussetzungen für ein rechtmäßiges Handeln der Fahrerlaubnisbehörde erfüllt waren. Insofern erlaubt und gebietet das deutsche Verwaltungsprozessrecht, der gerichtlichen Entscheidung auch solche Erkenntnisse zugrunde zu legen, die erst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren aufgrund der gebotenen Ermittlung des Sachverhaltes von Amts wegen nach § 86 VwGO gewonnen wurden, die aber über die Sachlage zum maßgeblichen Zeitpunkt Auskunft geben. Dabei ist hier allerdings zu berücksichtigen, dass aus den dargestellten Gründen des Gemeinschaftsrechts auch insoweit nur unbestreitbare Informationen verwertbar sind, die aus dem Ausstellermitgliedstaat herrühren.

c) Ermittlungen der Fahrerlaubnisbehörde (§ 24 VwVfG) oder des Verwaltungsgerichts (§ 86 VwGO) zum ordentlichen Wohnsitz des Betroffenen zum Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung bei den Behörden des Ausstellermitgliedstaates sind mit Blick auf den gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz allerdings nicht „ins Blaue hinein“, sondern nur dann veranlasst, wenn ernstliche Zweifel daran bestehen, dass der Erwerber der Fahrerlaubnis bei deren Erteilung seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Ausstellermitgliedstaat hatte. Im vorliegenden Fall sind ernstliche Zweifel dadurch begründet, dass die Klägerin im gerichtlichen Verfahren trotz Nachfrage keine substanziierten Angaben zu ihrem angeblichen Wohnsitz in Polen gemacht und auch gegenüber den deutschen Meldebehörden nur einen Wohnsitz in Deutschland angegeben hat; weitere Zweifel ergeben sich aus ihren familiären Bindungen im Bundesgebiet.

Da das Berufungsgericht bislang keine Informationen des Ausstellermitgliedstaates zum damaligen Wohnsitz der Klägerin eingeholt hat – etwa durch eine Nachfrage bei den polnischen Einwohnermeldebehörden – und dem Revisionsgericht eine solche Sachverhaltsaufklärung verwehrt ist (§ 137 Abs. 2 VwGO), kann noch nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Aberkennung entschieden werden. Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Tatsachenfeststellungen nachgeholt werden.

Es kann hier zunächst offenbleiben, welche Konsequenzen sich ergeben, wenn ein in diesem Sinne berechtigtes Auskunftsersuchen trotz der gemeinschaftsrechtlichen Kooperationspflicht unbeantwortet bleibt. Es liegt nicht fern, dass in einem solchen Fall die Handlungsmacht der deutschen Behörde im Angesicht ernstlicher Zweifel an der Fahreignung auch aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht auf Dauer beschränkt sein kann. Gemeinschaftsrechtlich unbedenklich dürfte jedenfalls eine vorläufige Aberkennung des Rechts sein, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, bis die Wohnsitzfrage geklärt ist. Eine solche vorläufige Maßnahme kennt das deutsche Recht jedoch bisher nur bei dem dringenden Verdacht einer Verkehrsstraftat (§ 111a StPO). Es ist daher Sache des deutschen Gesetzgebers zu regeln, ob und unter welchen Voraussetzungen die Fahrerlaubnisbehörden zu derartigen vorläufigen Maßnahmen befugt sein sollen.

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