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EU-Fahrerlaubnis – Wohnsitz in Deutschland

VG BERLIN

Az.: VG 11 A 690.05

Beschluss vom 12.10.2005


In der Verwaltungsstreitsache hat das Verwaltungsgericht Berlin, 11. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12. Oktober 2005 beschlossen:

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz vom 8. September 2005 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner polnischen Fahrerlaubnis der Gestalt, dass ihm das Recht aberkannt wird, von dieser Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

Der 51-jährige Antragsteller erhielt 1984 von der Volkspolizei in Görlitz eine Fahrerlaubnis nach DDR-Recht der Klassen B, C, D und M. Am 1. Juni 1994 verursachte der Antragsteller gegen 20.45 Uhr unter Alkoholeinfluss einen Verkehrsunfall; die um 23.20 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,20 Promille. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Antragsteller durch Strafbefehl vom 3. August 1994 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen, entzog ihm die Fahrerlaubnis und verhängte eine Sperrfrist von acht Monaten. Der Antragsteller nahm seinen Einspruch gegen den Strafbefehl am 7. April 1995 zurück.

Am 5. April 1995 beantragte der Antragsteller die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der früheren Klassen 2, 3, 4 und 5. Nach Aufforderung durch die zuständige Behörde unterzog sich der Antragsteller im Juli 1995 einer medizinischpsychologischen Begutachtung. Der TÜV Berlin-Brandenburg kam in seinem Gutachten vom 27. Juli 1995 zu dem Ergebnis, es müsse davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller sowohl in der Vergangenheit als auch gegenwärtig Alkoholmissbrauch betrieben habe und diese Umstände von ihm jedoch bagatellisiert bzw. verleugnet werden würden. Nach dem erhaltenen persönlichen Bild von dem Antragsteller sei zu erwarten, dass sich, wie in der Vergangenheit bereits geschehen, seine Bereitschaft zur Unterschätzung des gefährlichen Alkoholeffekts gegenüber positiven Absichten erneut und durchsetzen werde, wenn er unter dem Einfluss alkoholbedingter Auflockerung und Enthemmung stehe. Von der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis an den Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt werde abgeraten. Die Wahrscheinlichkeit neuerlicher Trunkenheitsdelikte werde als überdurchschnittlich erhöht beurteilt. Das Landeseinwohneramt Berlin lehnte daraufhin durch bestandskräftigen Bescheid vom 5. September 1995 den Antrag des Antragstellers ab.

Am 14. Februar 1996 beantragte der Antragsteller erneut die Erteilung die Fahrerlaubnis der Klassen 2 und 3 und unterzog sich einer weiteren medizinisch-psychologischen Begutachtung. Der TÜV Berlin-Brandenburg kam in seinem Gutachten vom 12. Juni 1996 wieder zu einem negativen Ergebnis und führte zur Begründung aus, der Antragsteller habe seine Alkoholkonsumgewohnheiten nicht verändert. Bei den aus gutachterlicher Sicht unverändert fortbestehenden Konsumgewohnheiten könne nicht angenommen werden, dass es sich bei dem begangenen Trunkenheitsdelikt lediglich um ein einmaliges Ereignis gehandelt habe, da das Trinkverhalten, das dem Delikt zugrunde gelegen habe und es deshalb bedingt habe, auch weiterhin bestehe. Einsicht und Erfahrungsbildung würden bei dem Antragsteller vorläufig noch erhebliche Mängel aufweisen. Zwar seien positive Ansätze und Vorsätze bei dem Antragsteller nicht von der Hand zu weisen, es verblieben aber erhebliche Zweifel, inwieweit er tatsächlich in der Lage sei, diese auch verhaltenswirksam umzusetzen. Das Landeseinwohneramt Berlin wies daraufhin den Antrag durch bestandskräftigen Bescheid vom 13. August 1996 ab.

Am 20. August 1998 stellte der Antragsteller seinen dritten Neuantrag. Das nach Aufforderung durch die Behörde von der DEKRA erstellte – im Ergebnis ebenfalls negative – MPG wurde vom Antragsteiler der Behörde erst gar nicht mehr vorgelegt; diese lehnte daraufhin durch bestandskräftigen Bescheid vom 8. März 1999 den Antrag gem. § 11 Abs. 8 FeV ab und führte ergänzend dazu aus, der Behörde sei weiterhin noch eine gerichtliche Verurteilung vom 27. Juni 1997 wegen Beleidigung bekannt geworden. Beim Tathergang habe der Antragsteller ebenfalls unter erheblicher alkoholischer Beeinträchtigung (2,61 Promille zum Zeitpunkt der Blutentnahme) gestanden.

Am 31. Juli 2003 wurde der Antragsteller als Führer eines Pkw bei der Einreise aus Polen kommend vom Bundesgrenzschutz festgestellt; das daraufhin von der Staatsanwaltschaft Görlitz eingeleitete Strafverfahren wegen Fahrt ohne Fahrerlaubnis wurde gem. § 153 Abs. 1 StPO wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Am 8. Juni 2004 stellte der Antragsteller seinen vierten Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis. Nachdem ihn das Landeseinwohneramt Berlin mit Schreiben vom 14. Juli 2004 erneut zur Beibringung eines MPG’s aufgefordert hatte, nahm der Antragsteller mit Schreiben vom 16. August 2004 diesen Antrag zurück.

Am 29. Oktober 2004 erhielt der Antragsteller in Starosta Slubicki (Polen) eine Fahrerlaubnis der Klasse B. Der Antragsteller hatte zu diesem Zeitpunkt – wie auch jetzt – seinen Wohnsitz in der ….straße 135 in 10315 Berlin.

Am 24. Dezember 2004 wurde der Antragsteller in Berlin in einen Verkehrsunfall verwickelt und legte bei der polizeilichen Unfallaufnahme seinen polnischen Führerschein vor. Nach Einholung einer Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) vom 28. Februar 2005 forderte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten den Antragsteller mit Schreiben vom 27. April 2005 auf, innerhalb einer Frist von zwei Monaten gem. § 2 Abs. 8 StVG i.V.m. § 46 Abs. 3 und 11-14 FeV, das medizinischpsychologische Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen, in dem die Frage beantworten werde, ob zu erwarten sei, dass er auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde und ob Beeinträchtigungen vorliegen würden, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges in Frage stellen würden. Zur Begründung wurde auf die Entziehung im Jahr 1994 und die wiederholten Ablehnungen verwiesen und ergänzend dazu ausgeführt, dass der Besitz einer polnischen Fahrerlaubnis den Antragsteller nicht automatisch berechtigte, in Deutschland Kraftfahrzeuge zu führen auch wenn Polen seit dem 1. Mai 2004 zur EU gehöre. Die hohe Blutalkoholkonzentration lasse auf eine überdurchschnittliche Alkoholgewöhnung schließen und es bestünden daher erhebliche Bedenken an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen. Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein, den das Landesamt durch Bescheid vom 24. Juni 2005 als unzulässig zurückwies. Die hiergegen gerichtete Klage wurde durch Urteil der Kammer vom 12. Oktober 2005 (VG 11 A 558.05) als unzulässig zurückgewiesen. Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten entzog dem Antragsteller nunmehr durch Bescheid vom 19. August 2005 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 3 Abs. 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV die polnische Fahrerlaubnis mit der Wirkung, dass ihm das Recht, von seiner ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, aberkannt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, als ungeeignet dürfe nach § 11 Abs. 8 FeV angesehen werden, wer sich weigere, sich untersuchen zu lassen oder der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht vorlege. Dies sei bei dem Antragsteller der Fall. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) stehe nicht entgegen. In Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG sei ausdrücklich geregelt, dass jedem Mitgliedstaat trotz des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung eines in einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins die Möglichkeit verbleibe, in seinem Hoheitsgebiet die nationalen Vorschriften über Entzug, Aussetzung und Aufhebung der Fahrerlaubnis zur Anwendung kommen zu lassen.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller rechtzeitig Widerspruch eingelegt und unter dem 8. September 2005 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung seines vorläufigen Rechtsschutzantrages trägt er vor, ein MPG habe nicht gefordert werden dürfen, weil die vom Antragsgegner herangezogene Verurteilung Tilgungsreif sei und nicht verwertet werden dürfe. Außerdem habe er gegen die Anordnung, ein MPG vorzulegen, Klage eingereicht, so dass insoweit die Vollziehung gehemmt sei. Die Entziehung sei schließlich deshalb rechtswidrig, weil die polnische Zulassungsstelle seine Eignung durch Erteilung der Fahrerlaubnis festgestellt habe. Der Antragsgegner verkenne die Rechtsfolgen dieser Anerkennung und berücksichtige sie in keiner Weise. In der Richtlinie 91/439/EWG sei nicht nur die wechselseitige Anerkennung der erteilten Fahrerlaubnisse geregelt, sondern ebenfalls, unter welchen Voraussetzungen überhaupt in den Mitgliedstaaten eine Fahrerlaubnis erteilt werden dürfe. In Anhang III Nr. 1.1 i.V.m. Nr. 14.1 sei geregelt, dass Bewerbern oder Fahrzeugführern, die das Führen eines Fahrzeuges und Alkoholgenuss nicht trennen könnten, eine Fahrerlaubnis weder erteilt noch erneuert werden dürfe. Da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass die polnische Zulassungsstelle gegen die ihr durch die Richtlinie auferlegten Prüfungspflichten verstoßen habe, seien etwaige vor Erteilung der Fahrerlaubnis bestehende Zweifel an seiner Eignung ausgeräumt. Im Übrigen lägen keine Gründe für einen Sofortvollzug vor. Der Antragsgegner schließe aus der Nichtvorlage des MPG schematisch, dass er – der Antragsteller – einen Eignungsmangel verbergen wolle. Dies treffe jedoch nicht zu. Seit der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis am 30. Oktober 2004 bis zum Zugang des angefochtenen Bescheides vom 19. August 2005 sei keine Änderung hinsichtlich eines vermeintlichen Gefährdungspotentials eingetreten. Nach dem er fast ein Jahr lang ein Kraftfahrzeug geführt habe, ohne dass Umstände bekannt geworden seien, die Zweifel an seiner Eignung hierzu aufkommen lassen würden, könne von einer von ihm ausgehenden Gefahr keine Rede sein.

Der Antragsteiler beantragt,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 19. August 2005 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückzuweisen.

Der Antragsgegner verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und den Inhalt des den Antragsteller betreffen den Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners Bezug genommen, der vorgelegen hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen ist.

Der auf § 80 Abs. 5 VwGO gestützte Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung keine ernsthaften Zweifel, so dass das Vollziehungsinteresse des Antragsgegners das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.

Rechtsgrundlage für die nach Anhörung erfolgte Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 und 2 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 FeV. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die (ausländische) Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Der Antragsgegner durfte auf die Nichteignung des Antragstellers schließen.

Die Anordnung des Antragsgegners zur Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens auf der Grundlage der §§ 20, 13 Nr. 2 c und e FeV ist rechtmäßig, weil der Antragsteller 1994 ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille geführt hatte und ihm deshalb die Fahrerlaubnis entzogen worden war. Da der Antragsteller innerhalb der ihm gesetzten Frist kein positives Eignungsgutachten vorgelegt hat, durfte der Antragsgegner, der den Antragsteller zuvor entsprechend belehrt hatte, auf dessen Nichteignung schließen (§11 Abs. 8 FeV) und dasselbe gilt auch für das gerichtliche Verfahren, in dem der Antragsteller auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung sich weiterhin weigert, dass vom Gericht für erforderlich gehaltene medizinisch-psychologische Gutachten beizubringen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers durfte die Behörde und auch das Gericht die Alkoholfahrt aus dem Jahr 1994 berücksichtigen. Ein Verwertungsverbot, wie es der Antragsteller für sich in Anspruch nimmt, besteht nach der geltenden Rechtslage nicht.

Die Frage der Verwertbarkeit von Eintragungen im Verkehrszentralregister, die – wie hier – vor dem 1. Januar 1999 eingetragen worden sind, wird durch § 65 Abs. 9 Satz 1 Abs. 2 StVG geregelt. Nach der Rechtsprechung hierzu (vgl. Urt. d. OVG des Saarlandes v. 24. Mai 2004 – 1 R 25/03 – BA 2005, 82, 83) sind die vor dem 1. Januar 1999 eingetragenen Entscheidungen längstens bis zu dem Tag, der einer 10-jährigen Tilgungsfrist entspricht, verwertbar. Was einer 10-jährigen Tilgungsfrist entspricht, ergibt sich aus § 29 StVG n.F. und dazu gehört auch die Regelung über den Beginn der Tilgungsfrist im § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG. Nach § 29 Abs. 5 Satz 1 StVG n.F. beginnt bei der Versagung oder Entziehung der Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung die Tilgungsfrist erst mit der Erteilung oder Neuerteilung der Fahrerlaubnis, spätestens jedoch fünf Jahre nach der beschwerenden Entscheidung. Dies bedeutet, dass bei der Versagung der Fahrerlaubnis der Beginn der Tilgungsfrist bis zur Erteilung der Wiedererteilung der Fahrerlaubnis hinausgeschoben, bei Unterbleiben einer Fahrerlaubniserteilung allerdings nur fünf Jahre seit der Versagung (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl. § 29 StVG Rdnr. 7). Da die letzte Versagung im März 1999 erfolgt ist, begann die Tilgungsfrist erst im Jahr 2004 und ist demzufolge noch nicht abgelaufen (auch das OVG des Saarlandes war in seinem Urt. v. 24. Mai 2004 a.a.O. der Auffassung, dass eine 1990 begangene Trunkenheitsfahrt im Jahr 2004 noch berücksichtigt werden konnte).

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Der Antragsgegner durfte bei Erlass der angefochtenen Entziehungsverfügung vom 19. August 2005 auch berücksichtigen, dass der Antragsteller das von ihm zu Recht geforderte Gutachten nicht beigebracht hatte, obwohl der Antragsteller hiergegen Widerspruch eingelegt und gegen den ergangenen Widerspruchsbescheid sowie die Gutachtenaufforderung Klage erhoben hatte. Da es sich bei der Aufforderung des Landesamtes vom 27. April 2005 nicht um einen mit Widerspruch und Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO anfechtbaren Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Verwaltungsverfahrensgesetzes – VwVfG – handelte, konnte der Klage VG 11 A 558/05 auch keine aufschiebende Wirkung i.S.v. § 80 Abs. 1 VwGO zukommen (vgl. dazu Thüringer OVG, Beschl. v. 11. Mai 2004, BA 2005, 183, 186). Insoweit wird hinsichtlich der weiteren Begründung auf das Urteil der Kammer vom 12. Oktober 2005 in dem vorgenannten Klageverfahren Bezug genommen.

Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, seine Kraftfahreignung sei bereits von den polnischen Behörden anlässlich des dortigen Erteilungsverfahrens geprüft und als nunmehr gegeben festgestellt worden. Insoweit fehlt es an jedem substantiierten Vortrag und an einer entsprechenden Glaubhaftmachung dazu, dass die seit langem bei dem Antragsteller bestehende erhebliche Alkoholproblematik in dem Erteilungsverfahren in Polen bekannt gewesen und von den dortigen Behörden geprüft worden ist. Angesichts der Tatsache, dass bei dem Antragsteller 1994 eine Blutalkoholkonzentration von 2,20 Promille und fünf Jahre später sogar eine solche von 2,61 Promille festgestellt worden ist, muss von einem gravierenden Alkoholproblem bei dem Antragsteller über einen langen Zeitraum ausgegangen werden, wie dies auch in den beiden vorliegenden Sachverständigengutachten vom Juli 1995 und Mai 1996 detailliert beschrieben worden ist. Gerade die Steigerung von 1994 auf 1997 lässt erkennen, dass der Kläger nicht nur sein Trinkverhalten positiv im Sinne einer Reduzierung verändert, sondern seinen exzessiven Alkoholkonsum noch weiter gesteigert hat. Ein solch gravierendes Alkoholproblem entfällt nicht durch bloßen Zeitablauf; um ein solches Trinkverhalten grundlegend zu ändern bedarf es einer wesentlichen Verhaltensänderung die nur in Ausnahmefällen ohne fremde Hilfestellung Erfolg hat; hierzu fehlt es im Vortrag des anwaltlich vertretenden Antragstellers an jedem nachvollziehbaren Vortrag.

Der angefochtene Bescheid verstößt auch unter Berücksichtigung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 29. April 2004 (C-476/01 Frank Kapper NJW 2004, 1725 ff.) nicht dem Gemeinschaftsrecht in Gestalt der Richtlinie 91/439/EWG.

Wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (10. Senat), Urt. v. 12. Oktober 2004 – 10 S 1346/04 zitiert nach JURIS; ebenso VG Berlin, 4. Kammer, Beschl. v. 13. Juni 2005 – VG 4 A 184/05 -; Beschl. d, 11. Kammer v. 26. August 2005 – VG 11 A 606/05 -; VG München – 6. Kammer – M 6 b S04.5543, Beschl. v. 13. Januar 2005, NJW 2005, S. 1818; VG Neustadt (Weinstraße), 4. Kammer, 4 L 389/05 – Beschl. v. 11. März 2005; VG Regensburg – 5. Kammer – 5 S 05.30 – Beschl. v . 3. Februar 2005; Geiger DAR 2004 340, 341; 690, 691; Weibrecht, VD 2004, 153, 154; Ludovisy, DAR 2005, 7, 13; Kalus, VD 2004, 147, 151; 2005, 128, 129; Haus, zfs 2004, 483, 484; Grohmann, BA 2005, 106, 112; Bräutigam, BA 2004, 441, 444) überzeugend dargelegt hat, ist die an die Mitgliedstaaten gerichtete Ermächtigung des Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht darauf beschränkt zu regeln, dass die innerstaatliche Anerkennung einer im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis nach einer im Inland erfolgten Entziehung für die Dauer der im Inland für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis ausgesprochenen Sperre ausgeschlossen ist. Durch die Regelung des § 28 Abs. 5 Satz 1 FeV ist auch entsprechend der Rechtsprechung des EuGH (Rdnr. 74-77) sichergestellt, dass einer im EU – oder EWR-Ausland erteilten Fahrerlaubnis die Anerkennung nicht auf unbestimmte Zeit versagt wird. Entscheidend ist jedoch, dass nach dem innerstaatlichen Recht der Bundesrepublik Deutschland, das in Ausübung der in Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG geregelten Ermächtigung erlassen worden ist, im Fall einer früheren Entziehung einer Fahrerlaubnis die nach Ablauf der innerstaatlichen Frist im EU – oder EWR-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis nicht automatisch im Inland gilt, sondern das Recht zur Nutzung dieser Fahrerlaubnis von einer innerstaatlichen Prüfung und einem bewilligendem Bescheid abhängt. Dem Urteil des EuGH vom 29. April 2004 (Rdnr. 74 a.E.) ist auch nicht zu entnehmen, dass das in § 28 Abs. 5 FeV verankerte Erfordernis einer innerstaatlichen Entscheidung nach Ansicht des Gerichtshofs mit Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht in Einklang steht. Bereits in den Begründungserwägungen der Richtlinie 91/439/EWG kommt der Aspekt der Verbesserung der Verkehrssicherheit als Zweck der Richtlinie 91/439/EWG deutlich zum Ausdruck. Die Europäische Kommission betont im Zusammenhang mit der Anerkennung von im EU-Ausland erteilten Fahrerlaubnissen die Überlegung, dass im Interesse der Verkehrssicherheit und damit im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten durch geeignete Maßnahmen einem Mißbrauch der gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsregel vorgebeugt werden müsse („Führerscheintourismus“). Unionsbürger könnten sich – die Möglichkeit des Gemeinschaftsrechts mißbrauchend – der Anwendung des nationalen Rechts dadurch entziehen, dass sie sich in einem anderen Mitgliedstaat niederließen, um eine Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat zu erhalten, nachdem ihnen in einem anderen Mitgliedstaat zuvor wegen eines schweren Verstoßes die Fahrerlaubnis entzogen worden sei. Hieraus folgt, dass die Regelung, wonach eine im Anschluss an eine Entziehung der Fahrerlaubnis in einem anderen Mitgliedstaat der EU erworbene Fahrerlaubnis nicht ohne weiteres im anderen Mitgliedstaat gilt, sondern eine auf die ursprünglich festgestellten Mängel ausgerichtete Prüfung vorgesehen ist, im Interesse der Verkehrssicherheit nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts geradezu geboten ist (vgl. VGH Baden-Württemberg a.a.O. S. 10).

Soweit dem gegenüber das OVG Rheinland-Pfalz in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. Beschl. v. 4. Mai 2005 – 7 B 10431/05 OVG -, Beschl. v. 15. August 2005 – 7 B 11021/05 OVG und Beschl. v. 29. August 2005 – 7 B 10956/05 OVG; ebenso VG Frankfurt am Main – 6. Kammer – 6 G 2485/05, Beschl. v. 15. September 2005; VG Neustadt (Weinstraße) – 3. Kammer – 3 L 1031/05, Beschl. v. 4. Juli 2005; VG Karlsruhe -11. Kammer – 11 K 1167/05, Beschl. v. 6. September 2005; Becker, 43. VGT 2005, DAR 2005, 154; Lempp, Der Verkehrsjurist 2004 Nr. 3 S. 1; Brenner, DAR 2005, 363, 364; Otte/Kühner NZV 2004, 321, 327) von einer Europarechtswidrigkeit bei Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörden des Heimatstaats ausgeht und der Auffassung ist, dass der Heimatstaat als Anerkennungsstaat keine Überprüfungsbefugnis im Hinblick auf die durch das Wohnsitzprinzip begründete Zuständigkeit des Ausstellungsstaates hat, vermag die Kammer dieser Auffassung aus mehreren Gründen nicht zu folgen.

Wie bereits dargelegt, zwingt das Kapper-Urteil des EuGH vom 29. April 2004 keineswegs zu einer solchen engen Interpretation der Richtlinie 91/439/EWG und diese Auffassung nimmt – wie alle insoweit bekannt gewordenen Entscheidungen erkennen lassen – die inzwischen erfolgte rechtstatsächliche Entwicklung in keiner Weise zur Kenntnis. Bräutigam (vgl. BA 2004 S. 441) berichtet davon, dass nach dem Kapper-Urteil die Nürnberger Internationale Ferienfahrschule (IFF) auf großflächigen Plakaten für den Führerscheinerwerb, so billig wie nie, dazu drei Wochen in einem erstklassigen Hotel in Stettin mit Ferienspaß an der polnischen Ostsee und zwar alles für 999,– Euro Werbung machte (vgl. Berliner Morgenpost v. 2. Juli 2004 S. 18). Kalus (VD 2004 147) beschreibt die Situation wie folgt:

„Bei Verwaltungsbehörden und Rechtsanwälten summieren sich die Anfragen von Betroffenen, die im Ausland nun ihre Fahrerlaubnis erwerben wollen. Termine bei Verkehrspsychologen werden abgesagt, diese seien nicht mehr erforderlich, da man ja nun im Ausland seine Fahrerlaubnis „erwerben“ könne. Sogar der medizinisch-psychologischen-Untersuchung als Überprüfungsmaßnahme wird das Ende vorausgesagt. Selbst in den Medien werben Firmen nun verstärkt für den Erwerb der Fahrerlaubnis im Europäischen Ausland. Ganz offen wird dabei auch die Tatsache beworben, wie einfach es ja sei, dem Wohnsitzerfordernis aus dem Weg zu gehen.“

Auch Otte/Kühner (NZV 2004, 321, 325) berichten davon, wie leicht es ist, via Internet Fahrschulen im Ausland ausfindig zu machen, die nicht nur das erforderliche Antragsverfahren bei den nationalen Fahrerlaubnisbehörden samt eventuell erforderlicher Fahrprüfung besorgen, sondern sogar die notwendige Briefkastenanschrift im Antragsstaat zur Verfügung stellen. Im Internet sind inzwischen sogar Seiten deutscher Anwaltssozietäten zu finden, die mit der Kapper-Entscheidung werben.

Im Hinblick auf die erheblichen, aber nicht hinnehmbaren Gefahren, die mit einer Teilnahme von Kraftfahrern am öffentlichem Straßenverkehr mit einer Alkohol- und/oder Drogenproblematik verbunden sind, kann auf eine Überprüfung durch die Behörden des Heimatstaates in keiner Weise verzichtet werden. Alle Versuche, über Art. 7 der Richtlinie 91/439/EWG auf die Behörden des Ausstellerstaates einzuwirken und eine Rücknahme/Entziehung der erschlichenen Fahrerlaubnis hinzuwirken sind – insbesondere bei der niederländischen Behörde – gescheitert.

Dies belegt in eindrucksvoller Weise, dass der Führerscheintourismus sich nicht auf wenige einzelne Fälle beschränkt, sondern im Zeitalter der Globalisierung auch insoweit angesichts einer steigenden Zahl von bekannt gewordenen und bekannt werdenden Fällen immer mehr an Bedeutung erlangt, wie auch eine steigende Zahl von gerichtlichen Verfahren erkennen lässt.

Der Fall des Antragstellers erscheint dem Gericht exemplarisch zu sein für viele gleich gelagerte Fälle, in denen deutsche Staatsangehörige aufgrund der Teilnahme am Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss oder nach Drogenkonsum die Fahrerlaubnis verloren und nicht wiedererhalten haben. Wenn der Antragsteiler tatsächlich in der Zwischenzeit sein gravierendes Alkoholproblem in den Griff bekommen hätte, wäre es ihm auch möglich gewesen, entweder die Fahrerlaubnis in Deutschland zu erwerben oder der Aufforderung des Antragsgegners nachzukommen, das MPG beizubringen. Der Antragsteller hat sich vielmehr unter Umgehung der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Erwerb einer Fahrerlaubnis im EU-Ausland in Polen illegal einen Führerschein beschafft, denn er war zum Zeitpunkt des Erwerbs durchgehend in Berlin gemeldet und aufhältlich wie auch seine Korrespondenz mit der Behörde im Zeitraum August/Oktober 2004, in dem er die Fahrerlaubnis in Polen erworben hat, belegt.

Die Berufung auf seine in Polen unter Missachtung der Wohnsitzvorschrift des Art. 9 Richtlinie 91/439/EWG erworbene Fahrerlaubnis ist dem Antragsteller auch im Hinblick auf den Grundsatz des Verbots des Rechtsmissbrauches verwehrt, denn er wusste genau, dass er nicht die Voraussetzungen für einen Erwerb nach dem Gemeinschaftsrecht erfüllte.

Der Antragsgegner hat mit zutreffenden Erwägungen die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides angeordnet, denn angesichts der erheblichen Gefahren, die ungeeignete Fahrerlaubnisinhaber für die übrigen Verkehrsteilnehmer begründen und angesichts der offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Entziehung der Fahrerlaubnis überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides das private Interesse des Antragstellers. Soweit dieser auf die Dauer seiner Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr ohne Auffälligkeiten seit dem Erwerb der polnischen Fahrerlaubnis verweist, ist zu bemerken, dass dieser Zeitraum relativ kurz ist und im Übrigen zwischen dem erstmaligem Erwerb der Fahrerlaubnis 1984 und der festgestellten Trunkenheitsfahrt im Juni 1994 auch ein Zeitraum von 10 Jahren lag. Wenn der Antragsteller wirklich davon überzeugt ist, aufgrund welcher Entwicklungen auch immer, trinken und fahren trennen zu können, ist es ihm jederzeit unbenommen, dies durch ein entsprechendes Gutachten nachzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 39 ff, 52 f GKG.

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