OVG Koblenz
Az.: 10 B 10412/09.OVG
Urteil vom 16.06.2009
In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Verlängerung einer ausländischen Fahrerlaubnis hier: einstweilige Anordnung hat der 10. Senat des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 16. Juni 2009 beschlossen:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 16. April 2009 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abgeändert und dem Antragsgegner wird aufgegeben, dem Antragsteller einen vorläufigen Nachweis der Fahrberechtigung nach § 22 Abs. 4 Satz 7 Fahrerlaubnisverordnung für die Fahrerlaubnisklassen CE und C1E auf die Dauer von drei Monaten zu erteilen; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens haben der Antragsteller und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,– € festgesetzt.
G r ü n d e
Die Beschwerde ist gemäß §§ 146, 147 VwGO zulässig und hat aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) auch teilweise Erfolg. Hiernach liegen ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO mit dem im Tenor bezeichneten Inhalt vor.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Bei der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung sprechen gewichtige Gründe dafür, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren einen Anspruch auf Verlängerung einer britischen Fahrerlaubnis der Klassen CE und C1E hat. Als Rechtsgrundlage für diesen Anspruch kommt § 2 Abs. 2 Satz 4, Abs. 11 Straßenverkehrsgesetz – StVG – i.V.m. §§ 30 Abs. 2 Satz 1, 24 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – in Betracht. Gemäß § 30 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FeV wird in entsprechender Anwendung des § 24 Abs. 2 FeV eine deutsche Fahrerlaubnis erteilt, wenn die Geltungsdauer einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen C oder D oder einer Unter- oder Anhängerklasse im Inland berechtigt hat, nach Begründung des ordentlichen Wohnsitzes in der Bundesrepublik Deutschland abläuft. Gemäß § 24 Abs. 2 FeV finden in diesem Fall §§ 24 Abs. 1 Satz 1 und 3 sowie 23 FeV entsprechende Anwendung. Danach wird die Geltungsdauer der Fahrerlaubnis unter anderem der Klassen CE und C1E auf Antrag des Inhabers jeweils um die in § 23 Abs. 1 Satz 2 FeV genannten Zeiträume verlängert, wenn er seine Eignung nach Maßgabe der Anlage 5 und die Erfüllung der Anforderung an das Sehvermögen nach Anlage 6 nachweist und keine Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass eine der sonstigen aus den §§ 7 bis 19 ersichtlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis fehlt. Nach diesen Vorschriften wird der Inhaber einer EU- und EWR-Fahrerlaubnis der Klassen CE und C1E mithin in Bezug auf die Verlängerung seiner im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis mit dem Inhaber einer nach deutschem Recht erworbenen befristeten Fahrerlaubnis dieser Klassen gleichgestellt.
Diese Verlängerung – in Verbindung mit der Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis – setzt eine wirksam erworbene, von einem EU- oder EWR-Staat erteilte ausländische Fahrerlaubnis voraus, (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 30 Rdnr. 3), wofür der Betreffende beweispflichtig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 1994, DVBl. 1994, 1192, zitiert nach juris, zum früheren § 15 StVZO). Im jetzigen Erkenntnisstand kann indessen schwerlich davon ausgegangen werden, dass die am 13. Januar 2000 auf den Antragsteller ausgestellte britische „driving licence“, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, keine wirksame Fahrerlaubnis für die genannten Fahrerlaubnisklassen war, sondern nur ein Dokument über die bereits zuvor in Deutschland erworbene (und im Jahr 1999 entzogene) Fahrerlaubnis.
Zwar ist über die tatsächlichen Umstände, die zur Ausstellung der „driving licence“ in England geführt haben, derzeit nichts bekannt und auch vom Antragsteller werden hierzu keine näheren Einzelheiten dargelegt und glaubhaft gemacht. Dies ändert aber nichts daran, dass er sich zunächst auf die von ihm vorgelegte ausländische Urkunde (den britischen Führerschein) berufen kann, die das Bestehen der Fahrerlaubnis für bestimmte Klassen bescheinigt, auch wenn aus ihr noch keine Beweislastumkehr in Bezug auf die wirksame Erteilung einer Fahrerlaubnis in England folgen mag (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. April 1994, a.a.O.). Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist zugleich als Nachweis dafür anzusehen, dass dessen Inhaber am Tag der Erteilung die im Gemeinschaftrecht aufgestellten Mindestanforderungen, insbesondere diejenigen hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllte (vgl. Urteil des Senats vom 31. Oktober 2008 – 10 A 10851/08 –, ESOVGRP, S. 11). Dementsprechend ging auch das Amtsgericht Rockenhausen im Urteil vom 5. August 2004 von einer gültigen englischen Fahrerlaubnis aus. Die Fahrerlaubnisbehörde ist an diese Entscheidung zwar nicht gemäß § 3 Abs. 4 StVG gebunden, ihr kann dennoch im vorliegenden Eilverfahren mangels abweichender Erkenntnisse eine indizielle Bedeutung für das Vorbringen des Antragstellers nicht abgesprochen werden.
Aus dem Dokument selbst ergibt sich kein eindeutiger Hinweis, dass es sich lediglich um die Ersetzung eines deutschen Führerscheins handelt, wie dies beispielsweise Art. 8 Abs. 5 der Richtlinie 91/439/EWG bei einem Führerscheinverlust vorsieht. Aber auch die im Führerschein eingetragenen Daten, auf die das Verwaltungsgericht entscheidend abgestellt hat, lassen nach Auffassung des Senats für sich allein den Schluss auf einen schlichten „Umtausch“ eines Führerscheins nicht zu: In Feld 10 auf der Rückseite des Führerscheins werden die Daten wiedergegeben, zu denen der Antragsteller jeweils seine damalige deutsche Fahrerlaubnis der Klassen B und C einschließlich Unter- und Anhängerklassen erworben hatte. Allerdings wird hier die Klasse A (früher 1) über die der Antragsteller in Deutschland seit 1981 ebenfalls verfügte, nicht aufgeführt, so dass insoweit jedenfalls keine vollständige Inhaltsgleichheit zwischen der früheren deutschen Fahrerlaubnis und dem britischen Dokument besteht. Im Unterschied zur deutschen Fahrerlaubnis der Klassen B und C, die dem Antragsteller damals unbefristet erteilt wurde (vgl. den in der Verwaltungsakte befindlichen ungültigen Führerschein), wird zudem im britischen Führerschein vom 13. Januar 2000 jeweils eine unterschiedliche Befristung bezüglich dieser Fahrerlaubnisklassen vorgenommen, was ebenfalls dagegen spricht, dass hier lediglich eine bereits bestehende Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen bescheinigt werden sollte.
Ob der Führerschein des Antragstellers ohne eigenständige Prüfung der Fahreignung in Großbritannien „umgetauscht“ wurde, lässt sich ohne eine hierüber erteilte Auskunft der zuständigen britischen Behörden nicht feststellen. Ein vergleichender Blick auf die Regelung des § 30 Abs. 1 FeV, der in Deutschland der Umsetzung von Art. 8 der Richtlinie dient, zeigt jedenfalls, dass hier bei der „Umschreibung“ ausländischer Führerscheine (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O. Rdnr. 2) zwar von bestimmten Nachweisen und Prüfungen abgesehen wird, die weitergehenden Vorschriften über die Prüfung der Fahreignung des Betroffenen aber anwendbar bleiben und von den Fahrerlaubnisbehörden bei gegebenem Anlass heranzuziehen sind (vgl. Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 30 Rdnr. 7). Demnach ermöglicht das deutsche Fahrerlaubnisrecht gerade keinen völlig ungeprüften Umtausch eines Führerscheins, sondern spricht ausdrücklich von der „Erteilung einer Fahrerlaubnis“, die auf der Grundlage einer ausländischen Fahrerlaubnis erfolgt und konstitutiv wirkt. Stellt sich nämlich nach einer erfolgten Fahrerlaubniserteilung gemäß § 30 Abs. 1 FeV heraus, dass die umgeschriebene ausländische Fahrerlaubnis nicht gültig war, so bleibt die deutsche Fahrerlaubnis dennoch wirksam und ist durch die deutsche Fahrerlaubnisbehörde zurückzunehmen (vgl. Hentschel, a.a.O., Rdnr. 3). Auch bei der Umschreibung einer ausländischen Fahrerlaubnis in Deutschland ist schließlich gemäß § 30 Abs. 4 FeV auf dem Führerschein in Feld 10 der Tag zu vermerken, an dem die ausländische Fahrerlaubnis für die betreffende Klasse erteilt worden war. Hieran wird deutlich, dass allein die Angabe dieser Daten in einem europäischen Führerschein nicht bedeuten muss, dass die Fahrerlaubnisbehörde keinerlei Eignungsprüfung vorgenommen und keine eigenständige Fahrerlaubnis erteilt, sondern lediglich einen Führerschein umgetauscht hat. Läge der Ausstellung des britischen Führerscheins an den Antragsteller eine vergleichbare nationale Regelung zugrunde, käme dieser mithin ebenfalls konstitutive Wirkung zu. Dem ist im Hauptsacheverfahren weiter nachzugehen.
Erweist sich dort, dass dem Antragsteller die britische – in Feld 8 einen Wohnsitz in London ausweisende – Fahrerlaubnis im Jahr 2000 wirksam erteilt wurde, müsste sie im derzeitigen Erkenntnisstand nach den vom EuGH entwickelten Grundsätzen in Deutschland anerkannt werden (vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 – C-329/06 – u.a., juris) mit der Folge, dass bei der Entscheidung über die Verlängerung der britischen Fahrerlaubnis gemäß §§ 30 Abs. 2, 24 FeV an Umstände, die vor ihrer Erteilung lagen, nicht mehr angeknüpft werden könnte. Insbesondere käme danach wohl die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung allein wegen der Trunkenheitsfahrt im Jahr 1998 nicht in Betracht, nachdem der Antragsteller nach Erwerb der britischen Fahrerlaubnis nicht mehr einschlägig aufgefallen ist. Sollte sich dagegen im Hauptsacheverfahren erweisen, dass die „driving licence“ vom 13. Januar 2000 tatsächlich nur den Umtausch des (ungültigen) deutschen Führerscheins dokumentiert, bestünde ein Anspruch für die begehrte Verlängerung weder aus §§ 30 Abs. 2, 24 FeV noch aus europäischem Recht. Denn in diesem Fall würde es, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, an einem tauglichen Verlängerungsgegenstand fehlen. Auch die Rechtsprechung des EuGH über die gegenseitige Anerkennung der im Ausland erworbenen Fahrerlaubnisse wäre dann nicht einschlägig (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 – 3 C 31/07 –, juris). Im Rahmen der allein möglichen Wiedererteilung der Fahrerlaubnisklassen CE und C1E nach den allgemeinen Vorschriften müsste der Antragsgegner allerdings die Verwertbarkeit der Tat vom 27. Dezember 1998 und ihrer Folgen unter Beachtung des § 29 StVG und der Rechtsprechung zur Bedeutung lange zurückliegender Ereignisse für die aktuelle Fahreignung (vgl. BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2005 – DVBl. 2005, 1333 und 1337; Beschluss des Senats vom 3. Juni 2008 – 10 B 10356/08.OVG –, ESOVGRP; BayVGH, Beschluss vom 6. Mai 2008 – 11CS 08.551 – juris) im Hinblick auf das geforderte medizinisch-psychologische Gutachten im sodann maßgeblichen Zeitpunkt nochmals prüfen.
Bis zur Klärung der Frage, welche Rechtsqualität der vom Antragsteller inne gehabten „driving licence“ zukommt, ist ihm trotz der letztlich offenen Hauptsache unter Abwägung aller beteiligten Interessen und Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles zur Abwendung wesentlicher Nachteile auch weiterhin ein vorläufiger Nachweis der Fahrberechtigung für die Klassen CE und C1E gemäß § 22 Abs. 4 Satz 7 FeV zu erteilen. Dies wird von seinem im Eilverfahren gestellten Antrag als minus mit umfasst. Der Antragsteller ist unbestritten zur Sicherung seiner beruflichen Existenz als Lkw-Fahrer auf die Fahrerlaubnis der Klassen CE und C1E angewiesen. Durch die getroffene vorläufige Regelung wird die Hauptsache – die beantragte Verlängerung bzw. Erteilung der Fahrerlaubnis – nicht vorweggenommen, sondern ihm lediglich, wie dies bis 31. März 2009 auch vom Antragsgegner zugebilligt wurde, die Möglichkeit eingeräumt, weiter Fahrzeuge der betreffenden Klassen im Straßenverkehr zu führen. Dass diese Form der vorläufigen Regelung für ihn nicht mehr ausreicht, hat er nicht dargelegt. Das öffentliche Interesse an der Verkehrssicherheit gebietet es zwar, dass nur Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen. Der Antragsteller kann sich aber bis zu einer eventuellen Änderung der Erkenntnislage im Hauptsacheverfahren auf seine britische „driving licence“ berufen, mit der er mehr als 8 Jahre während ihrer Gütigkeitsdauer als Lkw-Fahrer am Straßenverkehr teilgenommen hat und deren Verlängerung er rechtzeitig beantragt hat. Die Dauer der Ermittlungen im Ausland kann nicht zu seinen Lasten gehen. Von Januar 2000 bis 31. März 2009 ergaben sich zwar vier punktebewertete und im Verkehrszentralregister eingetragene Verkehrsverstöße, aber keine Eignungszweifel, die eine vorläufige weitere Verkehrsteilnahme verbieten würden. Da auch die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung aus den oben dargelegten Gründen jedenfalls bei einer wirksamen Fahrerlaubniserteilung in Großbritannien ernstlichen Zweifeln begegnet, kann aus dem Umstand, dass er ein solches Gutachten nicht vorgelegt hat, nicht auf seine Ungeeignetheit geschlossen werden.
Der Antragsteller hat eine vorläufige Regelung nur für drei Monate begehrt, weshalb die einstweilige Anordnung entsprechend zeitlich zu begrenzen ist. Zur Vermeidung weiterer Streitigkeiten weist der Senat indessen darauf hin, dass ein vorläufiger Nachweis der Fahrberechtigung bei gleichbleibendem Sachverhalt bis zur Erteilung der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Auskunft über die Rechtslage in Großbritannien auf Antrag verlängert werden muss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, da der Antragsteller mit seinem Begehren nur teilweise Erfolg hat. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52, 53, 47 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit Ziffern 46.4 und 46.8 (Kopp, VwGO Anhang § 164).
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.