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Fahrerflucht – Voraussetzungen einer Entziehung der Fahrerlaubnis

LG Berlin – Az.: 534 Qs 23/19 – Beschluss vom 01.04.2019

Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 20. Februar 2019 aufgehoben.

Der Antrag der Amtsanwaltschaft Berlin vom 18. Februar 2019, dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, wird abgelehnt.

Dem Beschuldigten ist der vom Landkreis Potsdam-Mittelmark am 26. April 1966 unter der Listennummer … erteilte Führerschein herauszugeben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse Berlin zur Last.

Gründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten über die vorläufige Entziehung der Erlaubnis des Beschuldigten zum Führen von Kraftfahrzeugen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die vorläufige Entziehung ist nicht geboten gemäß § 111 a Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 69 Abs. 1 StGB. Es sind keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit demnächst durch Urteil entzogen werden wird.

Das der Akte zu entnehmende Schadensbild trägt nach vorläufiger Bewertung nicht die Annahme, dass der Beschuldigte von der Entstehung eines bedeutenden Schadens im Sinne § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB wusste oder wissen konnte. Gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB besteht die Vermutung der mangelnden Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs bei einem Vergehen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nur dann, wenn bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an einer fremden Sache ein bedeutender Schaden entstanden ist und der Täter von den Unfallfolgen bei der Tatbegehung wusste oder wissen konnte, d.h. sie vorwerfbar nicht kannte (vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 69 Rn. 27). Die Grenze, ab wann von einem bedeutenden Sachschaden, der sich nach wirtschaftlichen Kriterien bemisst, auszugehen ist, wird derzeit bei etwa 1.300 € anzusetzen sein (vgl. Fischer, a. a. O., Rn. 29 m. w. N.). Werden mehrere Sachen beschädigt, sind die Schäden zu addieren (vgl. Fischer, a. a. O., Rn. 29 a. E.).

Vorliegend besteht der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte mit seinem PKW BMW mit dem amtlichen Kennzeichen B – …gegen die Fahrzeuge PKW Audi mit dem amtlichen Kennzeichen B – …und PKW Daimler Chrysler mit dem amtlichen Kennzeichen B – …stieß und diese beschädigte. Ausweislich der Reparaturkalkulation der … Kfz-Sachverständigen GmbH vom 20. Dezember 2018 beläuft sich die Reparatur des an dem zuvor genannten PKW Audi festgestellten Schadens auf 3.370,66 € inklusive Mehrwertsteuer. Demzufolge wäre zwar die Grenze zum bedeutenden Sachschaden (objektiv) überschritten. Es ist aber nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellbar, dass der Beschuldigte (subjektiv) mit dem Eintritt eines derart hohen Schadens rechnete oder rechnen musste, und zwar aus folgenden Gründen: Maßgeblich für die subjektive Voraussetzung der Entziehung der Fahrerlaubnis ist gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist die Erkennbarkeit des bedeutenden Schadens für den Beschuldigten zum Zeitpunkt der Tat. Die Einschätzung des ersten Polizeibeamten vor Ort ist hierfür ein wichtiges Indiz. Polizeibeamte, die Verkehrsunfallanzeigen aufnehmen, verfügen berufsbedingt über ein besonderes Erfahrungswissen für die Bewertung der Kosten der Reparatur eines beschädigten Fahrzeugs. Dies hat zur Folge, dass die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten vor Ort in der Regel ein wichtiges Indiz dafür ist, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat subjektiv erkennen konnte, ob ein bedeutender Schaden entstanden war. Allein aus der nachträglichen Feststellung eines höheren Schadens ergibt sich daher nicht, dass dieser bei laienhafter Betrachtung ursprünglich erkennbar sein konnte. Nur ausnahmsweise, wenn die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten vor Ort völlig abwegig ist, weil sie im krassen, auch für den technischen Laien erkennbaren Widerspruch zu dem Schadensbild steht, entfaltet die Einschätzung keine Indizwirkung.

Im vorliegenden Fall hatte der Zeuge PK K., der die erste Besichtigung der geschädigten Fahrzeuge am 19. Dezember 2018 vorgenommen hatte, zur Höhe des an dem PKW Audi festgestellten Schadens lediglich einen Betrag in Höhe von 500 € notiert. Die von dem Zeugen beschriebene Art des Schadens (Kratzer an der Heckschürze linksseitig) spricht ebenfalls für einen Schaden in dieser Größenordnung. Auf den zur Akte genommenen Fotos des beschädigten PKWs ist zu erkennen, dass der linke hintere Stoßfänger im Lack verkratzt war. Da dieser abgebildete Schaden auch verhältnismäßig gering erscheint, ist die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Polizeibeamten nachvollziehbar. Sie ist daher ein Indiz dafür, dass der Beschuldigte weder wusste noch hätte wissen können, dass ein bedeutender Schaden entstanden war.

Zu einer anderen Bewertung gab auch nicht der an dem oben genannten PKW Daimler Chrysler festgestellte Schaden Anlass. Die Reparatur dieses Schadens hat der Zeuge PK K. auf 100 € geschätzt. Sowohl die von dem Zeugen beschriebene Art des Schadens (Lackkratzer im Bereich der Frontschürze) als auch die bei der Akte befindlichen Fotos des beschädigten PKWs, auf denen keine Schäden erkennbar sind, lassen die Einschätzung der Reparaturkosten durch den Zeugen als plausibel erscheinen.

Nach alledem kann dem Beschuldigten nach der im vorliegenden Verfahren allein maßgeblichen Aktenlage nicht mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, dass er wusste oder hätte wissen können, an einer fremden Sache einen bedeutenden Schaden verursacht zu haben.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

 

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