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Fahrerlaubnisentziehung wegen Spice-Konsum

VG Neustadt (Weinstraße), Az.: 3 L 315/09.NW, Beschluss vom 07.05.2009

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung der Fahrerlaubnis vom 9. März 2009 wiederherzustellen, kann keinen Erfolg haben.

Fahrerlaubnisentziehung wegen Spice-Konsum
Symbolfoto: dolgachov/Bigstock

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in der angefochtenen Verfügung, dass es mit dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs unvereinbar wäre, wenn der Antragsteller bis zum Eintritt der Bestandskraft der Verfügung weiter als Fahrzeugführer im Straßenverkehr teilnehmen könnte, nachdem er sich als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen erwiesen hat, hält sich im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Entziehung der Fahrerlaubnis überwiegt hier das private Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können. Diesem Interesse des Antragstellers steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass Personen, die sich als ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen erwiesen haben, unverzüglich von der aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr ausgeschlossen werden, wie es die Antragsgegnerin mit ihrer Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung dargelegt hat.

Das vorrangige öffentliche Interesse folgt auch daraus, dass sich die angefochtene Verfügung beim gegenwärtigen Sachstand aufgrund der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Die Antragsgegnerin ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, was insbesondere dann der Fall ist, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorliegen. Ungeeignet sind nach Ziffer 9.1 diejenigen Fahrerlaubnisinhaber, die Betäubungsmittel i.S.d. Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) – mit Ausnahme von Cannabis – einnehmen. Hierfür genügt bereits der einmalige Konsum. Auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme und dem Führen von Kraftfahrzeugen kommt es nicht an (Bayerischer VGH, Beschl. v. 27. März 2009, – 11 CS 09.85 -, Rn. 11, juris).

Der Antragsteller hat den Regeltatbestand der Ziff. 9.1 der Anlage 4 verwirklicht. Während seiner Untersuchung im Krankenhaus, in das er in alkoholintoxikiertem Zustand nach einem Suizidversuch am 1. Januar 2009 eingeliefert wurde, räumte er gegenüber den behandelnden Ärzten ein, er habe unregelmäßig Cannabis geraucht und auch hin und wieder Spice. Gemeinsame Laboruntersuchungen des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Freiburg und des Bundeskriminalamts haben ergeben, dass die Kräutermischung Spice die synthetischen Cannabinoide JWH-018 und CP 47,497 enthält (siehe Drogen- und Suchtbericht der Drogenbeauftragten, Mai 2009, S. 61), die daraufhin mit der 22. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften (22. BtMÄndV) mit Wirkung vom 22. Januar 2009 der Anlage II des Betäubungsmittelgesetzes (verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) unterstellt wurden.

Dass Spice synthetische Cannabinoide enthält und als Cannabis-Ersatz konsumiert wird, bedeutet indessen nicht, dass es wie Cannabis zu behandeln und der Antragsteller – infolge des zugestandenen gelegentlichen Konsums – nach Ziff. 9.2.2 nur dann fahrungeeignet wäre, wenn er nicht zwischen dem Konsum von Spice und dem Fahren trennen kann. Eine solche Gleichbehandlung von Spice und Cannabis verbietet sich schon deshalb, weil die Privilegierung des gelegentlichen Cannabiskonsums auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht (vgl. VG München, Urt. v. 6. Februar 2009, – M 6b K 08.581 -, Rn. 18, juris) und als Ausnahme von der Regelvermutung entsprechend eng auszulegen ist. Gegen eine Gleichbehandlung spricht außerdem entscheidend, dass die synthetischen Cannabinoide JWH-018 und CP 47,497 eine um ein Vielfaches stärkere Wirkung haben als das in der Cannabispflanze enthaltene THC (vgl. Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit v. 21. Januar 2009) und von Spice damit ein signifikant höheres Risiko für den Straßenverkehr ausgeht als vom Cannabis-Wirkstoff THC.

Selbst wenn indessen Spice wie Cannabis zu behandeln sein sollte, wäre der Antragsteller fahrungeeignet. Ziff. 9.2.2 setzt neben dem Trennungsvermögen zugleich voraus, dass kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol vorliegt. Davon aber ist aufgrund der Einlassung des Antragstellers zu seinem Trinkverhalten – er sei etwa alle drei Wochen betrunken – und der vom Krankenhaus festgestellten „nennenswerten Alkoholintoxikation“, trotz derer er orientiert und in Auffassung und Konzentration nur leicht reduziert wirkte, nicht auszugehen.

Der Ungeeignetheit steht des Weiteren nicht entgegen, dass der Antragsteller den Konsum von Spice für einen Zeitraum zugestanden hat, in welchem die Wirkstoffe JWH-018 und CP 47,497 noch nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt waren. Bei der Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Ungeeignetheit handelt es sich nicht um eine straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktion für ein früheres Fehlverhalten, sondern um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr. Wird die vom Konsum eines bestimmten Wirkstoffes ausgehende straßenverkehrsrelevante Gefahr bekannt, darf die Behörde an einen früheren Konsum dieses Mittels anknüpfen, und zwar auch dann, wenn dieser damals legal war. Das Vertrauen auf den Fortbestand der betäubungsmittelrechtlichen Legalität vermag nicht die tatsächliche Fahrungeeignetheit auszuschließen und muss deshalb hinter dem vorrangigen Interesse der Allgemeinheit am Schutz vor ungeeigneten Kraftfahrern zurückstehen.

Die normative Wertung der Ziff. 9.1 entfaltet Bindungswirkung, solange keine Umstände des Einzelfalls vorliegen, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertigen. Dabei obliegt es dem Betroffenen, durch schlüssigen Vortrag solche besonderen Umstände nachzuweisen. Die schlichte Einwendung, es sei nicht nachgewiesen, dass das vom Antragsteller konsumierte Spice die genannten synthetischen Cannabinoide enthalten habe, genügt diesen Anforderungen nicht.

Auch seine Behauptung, er habe seit etwa vier Jahren kein Spice konsumiert, hindert nicht das Festhalten an der Fahrerlaubnisentziehung. Die verlorengegangene Fahreignung kann nach Ziff. 9.5 der Anlage 4 frühestens nach einjähriger, nachgewiesener Abstinenz wiedererlangt werden. Dies gilt nicht nur bei Betäubungsmittelabhängigkeit, sondern bei allen Fällen eines die Fahreignung ausschließenden Betäubungsmittelkonsums (Bayerischer VGH, Beschl. v. 7. Januar 2009, – 11 CS 08.1545 -, Rn. 21, juris).

Diesen Nachweis hat der Antragsteller nicht erbracht. Seine pauschale Behauptung im Krankenhaus, er habe den Konsum von Spice beendet, nachdem er über dessen drastische Wirkungen informiert worden sei, erfüllt offensichtlich nicht die Anforderungen an den Nachweis einer einjährigen Abstinenz. Soweit er im Nachgang zur Krankenhausuntersuchung vorträgt, der Konsum habe im Vorfallszeitpunkt vom 1. Januar 2009 „bereits etwa 4 Jahre“ zurückgelegen, ist dies bereits nicht glaubhaft. Es ist davon auszugehen, dass der Antragsteller, wäre er tatsächlich seit etwa vier Jahren abstinent, den damit weit zurückliegenden Konsum im Krankenhaus erst gar nicht erwähnt oder jedenfalls den Abstinenzzeitraum gegenüber den Ärzten besonders hervorgehoben hätte. Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass er zu diesem Zeitpunkt unter erheblichem Alkoholeinfluss stand, weil er trotz dessen noch wach und orientiert war. Hinzu kommt, dass er die Behauptung einer vierjährigen Abstinenz vielmehr erst aufgestellt hat, als die Antragsgegnerin unter Hinweis auf den zugestandenen Spice-Konsum den Entzug der Fahrerlaubnis angekündigt hatte. Zu keinem Zeitpunkt, auch nicht nachdem die Antragsgegnerin die Glaubhaftigkeit des behaupteten Abstinenzzeitraums angezweifelt hatte, hat er diese Behauptung durch Mitteilung eines genauen Zeitpunktes und detaillierter Hintergründe der Entsagung untermauert. Vielmehr hat er es bei der vagen Angabe eines ungefähren Abstinenzzeitraums belassen. Damit liegt es nahe, dass es sich um eine reine Schutzbehauptung handelt. Außerdem gab der Antragsteller als einziges Motiv für die Beendigung des Spice-Konsums an, dass er über dessen drastische Wirkungen informiert worden sei. Tatsächlich aber wurde die Gefährlichkeit der in Spice enthaltenen Substanzen nicht schon vor vier Jahren, sondern erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 infolge wissenschaftlicher Untersuchungen bekannt und zum Gegenstand der öffentlichen und rechtspolitischen Diskussion.

Unabhängig von der Glaubhaftigkeit genügt die pauschale Behauptung einer vierjährigen Abstinenz ohnehin nicht als Nachweis i.S.d. Ziff. 9.5. Die Einhaltung der Jahresfrist der Ziff. 9.5 für die Wiedererlangung der Fahreignung ist unverzichtbar, so dass der Betroffene tatsächliche und nachvollziehbare Anhaltspunkte für die einjährige Abstinenz, insbesondere der Mitteilung, wann genau der Konsum beendet wurde, darlegen muss (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 7. Januar 2009, – 11 CS 08.1545 -, Rn. 22, juris). Diesen Anforderungen wird die pauschale Behauptung einer „etwa“ vierjährigen Abstinenz nicht gerecht.

Selbst wenn indessen von einer Abstinenz auszugehen wäre, hätte dies keinen Einfluss auf den Ausgang des vorliegenden Verfahrens. Dann nämlich müsste die Widerspruchsbehörde durch Einholen eines Gutachtens nach § 14 FeV aufklären, ob die Abstinenzbehauptung zutrifft und die Verhaltensänderung hinreichend stabil ist (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 7. Januar 2009, – 11 CS 08.1545 -, Rn. 23, juris; ders., Beschl. v. 9. Mai 2005, – 11 CS 04.2526 -, Rn. 34 ff., juris). Infolge der sich dann möglicherweise ergebenden Wiedererlangung der Fahreignung wäre der Ausgang des Widerspruchsverfahrens offen und vom Gericht eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache unabhängige Interessenabwägung vorzunehmen. Diese würde zu Lasten des Antragstellers ausgehen, weil das Interesse der Allgemeinheit am Schutz vor ungeeigneten Kraftfahrern überwiegt und es dem Antragsteller wegen seiner unsubstantiierten Abstinenzbehauptung, seines Trinkverhaltens sowie seines zu Autoaggressionen und Suizidgedanken führenden psychischen Zustandes, der die Festigkeit des behaupteten Verhaltenswandels ebenfalls in Zweifel zieht, zumutbar ist, vorläufig bis zum Ausgang des Widerspruchsverfahrens nicht von seiner Fahrerlaubnis Gebrauch machen zu können.

Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Die Festsetzung des Streitgegenstandswertes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

 

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