Bundesverwaltungsgericht
Az: 3 C 32.07
Urteil vom 21.05.2008
Vorinstanz: VG Potsdam, Az.: 10 K 881/07
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Mai 2008 für Recht erkannt:
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 14. August 2007 wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Bei einer Polizeikontrolle wurde am 11. Februar 2005 gegen 01:25 Uhr festgestellt, dass der Kläger betrunken Fahrrad fuhr. Die Blutentnahme ergab eine Blutalkoholkonzentration von mindestens 2,09 Promille (BAK-Wert im Zeitpunkt der Blutentnahme um 02:00 Uhr). Der Kläger wurde deswegen – und wegen Beleidigung der ihn kontrollierenden Polizeibeamten – vom Amtsgericht Potsdam rechtskräftig nach §§ 185, 316 Abs. 1 und 2, § 52 StGB verurteilt. In den beiden von der Beklagten angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachten wurde dem Kläger die Fähigkeit abgesprochen, zwischen Alkoholkonsum und dem Führen von Kraftfahrzeugen hinreichend trennen zu können, da er sein Trinkverhalten nicht stabil geändert habe. Daraufhin entzog die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Juli 2006 die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klasse C1E, forderte ihn unter Fristsetzung zur Herausgabe des Führerscheins auf, ordnete die sofortige Vollziehung dieser Maßnahmen an und verband dies mit der Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nichtbeachtung. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 10. April 2007 zurück.
Die Vollziehung hat das Verwaltungsgericht Potsdam mit Beschluss vom 21. August 2006 ausgesetzt. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 13. März 2007 geändert und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Es hält – anders als das Verwaltungsgericht – die Entziehung der Fahrerlaubnis auf der Grundlage der medizinisch-psychologischen Gutachten für rechtmäßig.
Mit Urteil vom 14. August 2007 hat das Verwaltungsgericht Potsdam die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Zur Begründung wird ausgeführt: Da keine Alkoholabhängigkeit belegt sei, stelle sich allein die Frage, ob beim Kläger ein seine Kraftfahreignung ausschließender Alkoholmissbrauch vorliege. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung (FeV) liege Alkoholmissbrauch vor, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen nicht hinreichend sicher von einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum getrennt werden könne. Der Verordnungsgeber nehme somit die Risiken aus einer beim Verkehrsteilnehmer bestehenden Alkoholproblematik hin, solange er noch nicht mit einem Kraftfahrzeug auffällig geworden sei. Das verbiete es, das Fehlen der Kraftfahreignung allein mit dieser Alkoholproblematik zu begründen. Nr. 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung knüpfe an einen Alkoholmissbrauch im Sinne von Nr. 8.1 an, wenn dort für die (Wieder-)Annahme von Kraftfahreignung eine gefestigte Änderung des Trinkverhaltens vorausgesetzt werde. Der Kläger sei aber nicht mit einem Kraftfahrzeug, sondern nur mit einem Fahrrad gefahren. Falle ihm damit kein Alkoholmissbrauch zur Last, könne von ihm auch keine stabile Änderung seines Trinkverhaltens verlangt werden. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV bestätige diese Wertung. Zwar werfe danach auch die Trunkenheitsfahrt mit einem anderen als einem Kraftfahrzeug Eignungszweifel auf, die durch eine Begutachtung zu klären seien. Doch dürfe nicht von vornherein unterstellt werden, dass ein Fahrerlaubnisinhaber, der bei der Fahrt mit einem Fahrrad nicht das notwendige Verantwortungsbewusstsein gezeigt habe, dies auch mit einem Kraftfahrzeug tun werde. Eine vom Gutachter prognostizierte „Rückfallgefahr“ könne nur die künftige Verkehrsteilnahme mit einem Fahrrad betreffen. Danach sei das von der PIMA GmbH erstellte Gutachten – ebenso wie das vorangegangene Gutachten der DEKRA – keine brauchbare Grundlage dafür, dem Kläger das Trennungsvermögen nach Nr. 8.1 abzusprechen. Bereits der Ansatz des Gutachtens, Alkoholmissbrauch sei insbesondere dann anzunehmen, wenn es zu einem Verlust der Kontrolle über den Alkoholkonsum gekommen sei, wovon bei einem Alkoholpegel von mehr als 1,6 Promille auszugehen sei, entspreche nicht den rechtlichen Vorgaben. Ebenso sei die Folgerung unhaltbar, die Kraftfahreignung des Klägers könne nur dann bestätigt werden, wenn er sein Trinkverhalten ausreichend und stabil geändert habe. Hierfür setze der Verordnungsgeber nämlich Alkoholmissbrauch im Sinne von Nr. 8.1 voraus. An dieser Auffassung werde trotz der gegenläufigen Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg festgehalten.
Zur Begründung ihrer Sprungrevision macht die Beklagte geltend: Aus der Systematik von § 13 Satz 1 Nr. 2 FeV ergebe sich, dass das Führen jedes Fahrzeugs mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille ein Alkoholmissbrauch im Rechtssinne sei, da dessen Buchstabe e ergänzend auch zu Buchstabe c die Fälle erfasse, in denen sonst zu klären sei, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr bestehe. Habe ein Radfahrer mit 2,09 Promille am Straßenverkehr teilgenommen, zeige dies, dass er keine hinreichende Kontrolle über seinen Alkoholkonsum habe. Deshalb müsse durch ein medizinisch-psychologisches Gutachten geklärt werden, ob weiterhin die naheliegende Gefahr bestehe, dass der Betroffene trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit ein Kraftfahrzeug führen werde. Insbesondere müsse darauf eingegangen werden, ob ein Wandel beim Umgang mit Alkohol eingetreten und die Änderung des Trinkverhaltens hinreichend stabil sei. Zwischen den Nummern 8.1 und 8.2 der Anlage 4 bestehe kein Stufenverhältnis, demzufolge nur dann ein „Missbrauch“ und damit ein Eignungsmangel vorliege, wenn ein Kraftfahrzeug in alkoholisiertem Zustand geführt worden sei. Daher könne auch dann eine Änderung des Trinkverhaltens verlangt werden, wenn der Betreffende nur durch eine Fahrradfahrt mit mehr als 1,6 Promille auffällig geworden sei. Diesen Vorgaben werde das medizinisch-psychologische Gutachten der PIMA GmbH gerecht. Der Gutachter habe nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger sich mit seiner Trunkenheitsfahrt noch nicht so selbstkritisch und problemorientiert auseinandergesetzt habe, dass eine Verhaltensänderung zu erwarten sei. Vom Kläger geäußerte gute Vorsätze und die Behauptung von Alkoholabstinenz könnten die erforderliche langfristige Änderung des Trinkverhaltens nicht ersetzen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen und verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren. Er trägt vor, berechtigten Zweifeln an der Kraftfahreignung des Klägers stehe nicht entgegen, dass er bislang nur als Radfahrer auffällig geworden sei.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts steht nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit es angenommen hat, die Beklagte habe auf der Grundlage der zum Kläger erstatteten medizinisch-psychologischen Gutachten nicht von dessen fehlender Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgehen können. Das führt zur Änderung des angegriffenen Urteils und zur Abweisung der Klage.
1. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Diese Voraussetzungen für einen Führerscheinentzug ergänzen in negativer Hinsicht das Erfordernis der Kraftfahreignung nach § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG; danach ist zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat.
Ermächtigt § 46 Abs. 1 FeV zur Entziehung der Fahrerlaubnis somit erst, wenn die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen ist, enthält § 46 Abs. 3 FeV im Vorfeld dieser Entscheidung und mit einer niedrigeren Eingriffsschwelle die Rechtsgrundlage für Maßnahmen zur weiteren Aufklärung des Bestehens dieser Eignung. Nach § 46 Abs. 3 FeV finden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, die §§ 11 bis 14 entsprechend Anwendung. Gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV setzt nach seinem klaren Wortlaut nicht das Führen eines Kraftfahrzeuges, sondern lediglich eines Fahrzeugs unter erheblichem Alkoholeinfluss voraus. Daraus ergibt sich zugleich, dass nach der Wertung des Verordnungsgebers ein Verhalten wie das des Klägers Bedenken an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfertigt (vgl. BRDrucks 443/98 S. 6).
2. Auch wenn der Kläger wegen seiner Trunkenheitsfahrt rechtskräftig nach § 316 StGB verurteilt wurde, sind damit noch nicht die Voraussetzungen des § 46 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 FeV für die Entziehung seiner Fahrerlaubnis erfüllt. Das ergibt sich aus dem systematischen Verhältnis dieser Regelung zu § 46 Abs. 3 und § 13 FeV. Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist eine solche – beim Kläger bislang nur einmal festgestellte – Trunkenheitsfahrt mit einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille zunächst nur Anlass für die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zur Vorbereitung der Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde. Dies ist allerdings auch bei einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad der Fall. Erst diese Begutachtung ergibt, ob ein die Kraftfahreignung ausschließender Alkoholmissbrauch nach Nr. 8.1 und 8.2 oder gar Alkoholabhängigkeit im Sinne von Nr. 8.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung vorliegt.
3. Doch war die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 46 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 FeV i.V.m. Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung gerechtfertigt. Die Beklagte konnte auf der Grundlage des Gutachtens der PIMA GmbH davon ausgehen, dass der Kläger zum hierfür maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (vgl. dazu u.a. Urteile vom 27. September 1995 – BVerwG 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 <250> und vom 5. Juli 2001 – BVerwG 3 C 13.01 – Buchholz 442.16 § 15b StVZO Nr. 29 = NJW 2002, 78 m.w.N.) nicht hinreichend sicher zwischen dem Führen von Kraftfahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum trennen konnte.
a) In Nr. 8 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung werden Alkoholmissbrauch und Alkoholabhängigkeit als die Fahreignung ausschließende Krankheiten und Mängel benannt. Alkoholmissbrauch ist nach Nr. 8.1 dann anzunehmen, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Aus Nr. 8.2 ergibt sich, dass Eignung und bedingte Eignung nach Beendigung des Missbrauchs wieder bejaht werden können, wenn die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist.
Die der Fahrerlaubnisbehörde in diesem Zusammenhang obliegende Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ist eine Prognose. Die auf § 3 Abs. 1 StVG und § 46 Abs. 1 FeV gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis dient nicht – repressiv – der Ahndung vorangegangener Verkehrsverstöße, sondern der Abwehr von Gefahren, die künftig durch die Teilnahme von nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen geeigneten Fahrern am Straßenverkehr entstehen können. Deshalb ist die in Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung enthaltene Definition (vgl. BRDrucks 443/98 S. 260) sinngemäß dahingehend zu ergänzen, dass Alkoholmissbrauch vorliegt, wenn zu erwarten ist, dass das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Dieser Blickwinkel ist auch dem medizinisch-psychologischen Gutachten zugrunde zu legen, das nach § 13 FeV beizubringen ist. Das bestätigen die in der Anlage 15 zur Fahrerlaubnisverordnung enthaltenen Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten. Deren Buchstabe f hat speziell die Fälle der §§ 13 und 14 FeV zum Gegenstand, also die Klärung von Eignungszweifeln bei einer Alkoholproblematik oder bei der Einnahme von Betäubungs- und Arzneimitteln. Nach dessen Satz 1 ist Gegenstand der Untersuchung auch das voraussichtliche künftige Verhalten des Betroffenen, insbesondere ob zu erwarten ist, dass er nicht oder nicht mehr ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Alkohol oder Betäubungsmitteln/Arzneimitteln führen wird. Das in der Vergangenheit liegende Verhalten ist lediglich der Grund dafür, weshalb die Kraftfahreignung kritisch zu überprüfen ist. Eine negative Prognose setzt, wie der in Satz 1 von Buchstabe f als erstes genannte Fall belegt („dass er nicht ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Alkohol führen wird“), keineswegs voraus, dass es auch in der Vergangenheit bereits zu einer Trunkenheitsfahrt gerade mit einem Kraftfahrzeug gekommen ist. Eine solche Annahme rechtfertigt auch Satz 5 nicht, wonach zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis Bedingungen vorliegen müssen, die zukünftig einen „Rückfall“ als unwahrscheinlich erscheinen lassen. Dieser Satz erfasst erkennbar nur einen Ausschnitt möglicher Fallgestaltungen, wie bereits aus der Bezeichnung des maßgeblichen Zeitpunkts deutlich wird. Dies hat das Verwaltungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt, wenn es darauf abstellt, dass eine Rückfallgefahr hier nur die künftige Verkehrsteilnahme mit einem Fahrrad betreffen könne.
b) Nach der Wertung des Verordnungsgebers begründet, wie § 13 Satz 1 Buchst. c FeV zweifelsfrei zu entnehmen ist, auch die Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad bei Vorliegen eines Blutalkoholgehalts von mindestens 1,6 Promille Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen. Dies beruht darauf, dass nach dem aktuellen Stand der Alkoholforschung eine Blutalkoholkonzentration ab 1,6 Promille auf deutlich normabweichende Trinkgewohnheiten und eine ungewöhnliche Giftfestigkeit hindeutet (vgl. BRDrucks 443/98 S. 6).
Dass mit einer entsprechenden Alkoholgewöhnung ein erhöhtes Gefährdungspotenzial einhergeht, bestätigen auch die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung, die als Niederschlag sachverständiger Erfahrung von Gewicht sind (vgl. Urteil vom 27. September 1995 – BVerwG 11 C 34.94 – a.a.O.S. 252). In ihrer Nr. 3.11 befassen sich diese Leitlinien mit Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit als Mängeln, die die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausschließen. Danach ist die Annahme eines chronischen Alkoholkonsums mit besonderer Gewöhnung und Verlust der kritischen Einschätzung des Verkehrsrisikos gerechtfertigt, wenn bei Kraftfahrern im Straßenverkehr Werte um oder über 1,5 Promille angetroffen werden. Bei solchen Menschen pflege in der Regel ein Alkoholproblem vorzuliegen, das die Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr in sich berge. Häufiger Alkoholkonsum führe zur Gewöhnung an die Giftwirkung und damit zur Unfähigkeit einer realistischen Einschätzung der eigenen Alkoholisierung und des dadurch ausgelösten Verkehrsrisikos. Wegen der durch die allgemeine Verfügbarkeit von Alkohol begünstigten hohen Rückfallgefahr seien strenge Maßstäbe anzulegen, bevor eine positive Prognose zum Führen von Kraftfahrzeugen gestellt werden könne. Voraussetzung sei eine ausreichende Veränderung des Trinkverhaltens, die stabil und motivational gefestigt sein müsse. Diesen Erkenntnissen tragen die Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung Rechnung.
Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht anerkannt, dass ein stark alkoholisiert angetroffener Fahrradfahrer zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichtet werden kann. Bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der sich mit hoher Blutalkoholkonzentration am Straßenverkehr beteilige und damit eine Verkehrsstraftat nach § 316 StGB begehe, sei in der Regel bei vernünftiger lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründet, er werde in alkoholisiertem Zustand nicht stets die nötige Selbstkontrolle aufbringen, vom Führen eines Kraftfahrzeuges abzusehen. Die Teilnahme am Straßenverkehr in erheblich alkoholisiertem Zustand lasse häufig den Schluss zu, dass der Betreffende auch künftig, und zwar auch mit einem Kraftfahrzeug, betrunken am Straßenverkehr teilnehmen könnte (Beschluss vom 24. Januar 1989 – BVerwG 7 B 9.89 – Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 85; Urteil vom 27. September 1995 – BVerwG 11 C 34.94 – a.a.O.S. 253; Beschluss vom 9. September 1996 – BVerwG 11 B 61.96 – juris).
Dabei ist zu beachten, dass die Teilnahme am Straßenverkehr unter erheblicher Alkoholisierung mit jedem Fahrzeug eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bedeutet. Diese Einschätzung liegt auch § 316 StGB zugrunde, der nicht nur die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug unter Strafe stellt. Insbesondere wenn der Betreffende eine solche Gefährdung in der Vergangenheit bereits verursacht hat, muss sichergestellt werden, dass er das Risiko für die Verkehrssicherheit nicht noch dadurch erhöht, dass er in der Zukunft möglicherweise sogar ein Kraftfahrzeug in alkoholisiertem Zustand fährt.
c) Ausgehend hiervon ist die Eignung für das Führen von Kraftfahrzeugen wegen Alkoholmissbrauchs zu verneinen, wenn nach der zurückliegenden Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad und ihren Begleitumständen sowie dem bisherigen und zu erwartenden Umgang des Betroffenen mit Alkohol die Gefahr besteht, dass er künftig auch ein Kraftfahrzeug unter unzulässigem Alkoholeinfluss führen wird. Dies ist nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung dann anzunehmen, wenn er zwischen dem Führen von Kraftfahrzeugen und einem die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholgenuss nicht hinreichend sicher trennen kann. Wird beim Betroffenen ein chronisch überhöhter Alkoholkonsum und eine damit einhergehende Alkoholgewöhnung und die Unfähigkeit zu einer realistischen Einschätzung des eigenen Alkoholpegels sowie der daraus bei einer Teilnahme am Straßenverkehr drohenden Gefahren festgestellt, setzt die Bejahung der Kraftfahreignung regelmäßig eine gefestigte Änderung des Trinkverhaltens voraus. Dies ist Nr. 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung zu entnehmen, die auf die Beendigung des (Alkohol-)
Missbrauchs und damit auf das Entfallen der sich aus dem mangelnden Trennungsvermögen ergebenden Gefahren abstellt. Sie setzt hierfür eine gefestigte Änderung des Trinkverhaltens voraus.
Diesen Fragen ist in dem medizinisch-psychologischen Gutachten nachzugehen, das nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV einzuholen ist. Dabei sind die Umstände der in der Vergangenheit bereits zu verzeichnenden Trunkenheitsfahrt, das Trinkverhalten des Betroffenen anhand seiner Vorgeschichte und Entwicklung sowie sein Persönlichkeitsbild unter dem Blickwinkel näher aufzuklären und zu bewerten, ob für die Zukunft auch die Gefahr einer Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug besteht. Insoweit kommt es darauf an, ob die Trunkenheitsfahrt mit einem Fahrrad Ausdruck eines Kontrollverlustes war, der genauso gut zu einer Verkehrsteilnahme mit einem Kraftfahrzeug führen kann. Ist danach vom Betroffenen eine Änderung seines Trinkverhaltens zu fordern, muss diese hinreichend stabil sein, damit die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bejaht werden kann. Dies setzt unter anderem ein angemessenes Problembewusstsein und eine hinreichende Integration der Änderung in das Gesamtverhalten voraus. Der Änderungsprozess muss vom Betroffenen nachvollziehbar aufgezeigt werden (vgl. auch Nr. 3.11.1 Buchst. b der Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung).
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Verordnungsgeber nehme unterhalb der Schwelle der Alkoholabhängigkeit die Risiken für den Straßenverkehr ausdrücklich hin, die allein auf einer Alkoholproblematik eines bislang nicht mit einem Kraftfahrzeug auffällig gewordenen Kraftfahrers beruhen, findet in der Fahrerlaubnisverordnung keine Stütze, wie schon § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV zu entnehmen ist. Freilich genügt, wie diese Regelung ebenfalls zeigt, ein in der Vergangenheit festgestellter Alkoholpegel von 1,6 Promille oder mehr allein noch nicht dazu, um automatisch die Kraftfahreignung zu verneinen.
4. Danach trägt das von der PIMA GmbH erstellte medizinisch-psychologische Gutachten die Annahme der Beklagten, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids wegen künftig zu befürchtendem Alkoholmissbrauch im Sinne von Nr. 8.1 und 8.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen war.
a) Es unterliegt uneingeschränkt der Nachprüfung im Revisionsverfahren, ob die Vorinstanz zu Recht den Einwand erhoben hat, ein Sachverständigengutachten habe den zutreffenden rechtlichen Ansatzpunkt verfehlt oder für die Beurteilung der Kraftfahreignung wesentliche Fragen unbeachtet gelassen. Ergibt diese revisionsgerichtliche Überprüfung, dass das Tatsachengericht seinerseits den zugrunde zu legenden rechtlichen Maßstab verkannt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und ein Sachverständigengutachten deshalb unter einem unzutreffenden Blickwinkel gewürdigt und danach zu Unrecht für untauglich gehalten hat, kann das Revisionsgericht nun selbst, ausgehend vom richtigen rechtlichen Maßstab, eine Würdigung dieses Gutachtens vornehmen, wenn es – wie hier – vollständig vorliegt und weitere Tatsachenermittlungen nicht erforderlich sind (vgl.u.a. Urteil vom 12. Dezember 2001 – BVerwG 8 C 17.01 – BVerwGE 115, 302 <309> m.w.N.).
b) Im vorliegenden Fall erweisen sich – wie bereits gezeigt – die rechtliche Prämisse und damit der Haupteinwand des Verwaltungsgerichts als unzutreffend, das annimmt, die Bejahung der Kraftfahreignung des Klägers könne nicht von einer stabilen Änderung seines Trinkverhaltens abhängig gemacht werden, da es bislang nur zu einer Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad gekommen sei. Damit ist aber auch dem daraus vom Verwaltungsgericht hergeleiteten Schluss, die Gutachten seien nicht verwertbar, die Grundlage entzogen.
Ebenso wenig ist der im verwaltungsgerichtlichen Urteil erhobene Vorwurf gerechtfertigt, im Gutachten der PIMA GmbH seien die charakterlichen Einstellungen des Klägers, wie sie insbesondere vor dem Hintergrund der individuellen Verkehrsvorgeschichte abzuleiten seien, nicht hinterfragt und ausgewertet worden. Das medizinisch-psychologische Gutachten enthält hierzu die erforderlichen Feststellungen und Wertungen. Bei der etwa 50minütigen psychologischen Exploration des Klägers durch den von der PIMA GmbH eingesetzten Diplom-Psychologen ging es gerade um Fragen seines bisherigen Trinkverhaltens, dessen Gründe und Umfang, die Einstellung des Klägers hierzu und um die Motivation für die vom Kläger behauptete Verhaltensänderung. Es wurde auch gezielt danach gefragt, wie es zur Trunkenheitsfahrt am 11. Februar 2005 gekommen war. Bei der Auswertung der Angaben des Klägers konnte der Gutachter allerdings – trotz intensiver Nachfragen – nicht nachvollziehen, durch welche persönlichen Gründe die beim Kläger problematische Alkoholbeziehung entstehen konnte, ebenso wenig konnte er eine hinreichend realistische und kritische Selbsteinschätzung erkennen. Der Gutachter vermisste eine nachvollziehbare Auseinandersetzung des Klägers mit seiner Alkoholbeziehung und den persönlichen Faktoren für deren Entstehung und Aufrechterhaltung und damit eine Gewähr für die Stabilität der vom Kläger behaupteten Verhaltensänderung. Nach all dem sah der Gutachter die aus dem früheren Trinkverhalten begründbaren erhöhten Risiken nicht als nachhaltig reduziert an; dabei war er sich bewusst, dass Anlass für die Zweifel nicht die Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug, sondern mit einem Fahrrad gewesen war.
Ebenfalls zu Unrecht hält das Verwaltungsgericht das Gutachten für untauglich, weil die Sachverständigen der Frage nicht nachgegangen seien, ob der Kläger bewusst ein Fahrrad benutzt habe, um eine Trunkenheitsfahrt mit einem Kraftfahrzeug zu vermeiden. Inwieweit der Gesichtspunkt einer Vermeidungsstrategie vom Grundsatz her tragfähig ist, kann offenbleiben. Selbst wenn dem zuzustimmen wäre, könnte daraus jedenfalls für den vorliegenden Fall kein Defizit des Gutachtens hergeleitet werden, das dessen Verwertung entgegensteht. Der Kläger war nach seinen eigenen Angaben nämlich zu Fuß zu der Feier gegangen, bei der er in der Folge den kritischen Alkoholpegel erreichte. Damit stellt sich die Trunkenheitsfahrt mit dem Fahrrad aber nicht als mögliches Entlastungselement und Ausfluss einer Strategie zur Vermeidung der Fahrt mit einem Kraftfahrzeug dar, sondern weckt zusätzliche Zweifel, ob der Kläger, selbst wenn er in nüchternem Zustand einen entsprechenden Vorsatz gehabt hat, auch unter Alkoholeinfluss vom Führen eines Fahrzeuges absehen wird. In diesem Sinn hat auch das DEKRA-Gutachten das Verhalten des Klägers gewürdigt.
Auch ansonsten ist das von der Beklagten herangezogene medizinisch-psychologische Gutachten nicht zu beanstanden. Insbesondere ist kein Verstoß gegen die in der Anlage 15 zur Fahrerlaubnisverordnung aufgestellten Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten ersichtlich. Die Wertungen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen sind ohne Weiteres nachvollziehbar. Sie können, nachdem weitere tatsächliche Feststellungen nicht getroffen werden müssen, der revisionsgerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.