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Fahrerlaubnisentzug und Erwerb einer ausländischen Fahrerlaubnis

Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstrasse

Az.: 3 L 1568/07.NW

Beschluss vom 14.01.2008


In dem Verwaltungsrechtsstreit wegen Entziehung der Fahrerlaubnis hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom 14. Januar 2008 beschlossen:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung der Antragsgegnerin vom 3. Dezember 2007, mit der dem Antragsteller das Recht aberkannt wird, von der am 12. Oktober 2005 erworbenen tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, kann keinen Erfolg haben.

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in der angefochtenen Verfügung, es sei mit dem öffentlichen Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs unvereinbar, wenn der Antragsteller bis zum Eintritt der Bestandskraft der Verfügung weiter als Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehmen könnte, nachdem seine Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gegeben sei und er deshalb auf die deutsche Fahrerlaubnis verzichtet habe, hält sich im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis überwiegt vorliegend das private Interesse des Antragstellers, von der tschechischen Fahrerlaubnis bis zur Entscheidung im Verfahren zur Hauptsache Gebrauch machen zu können. Diesem privaten Interesse des Antragstellers steht nämlich das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass Personen, die sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen haben, unverzüglich von der aktiven motorisierten Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr ausgeschlossen werden, wie es die Antragsgegnerin in ihrer Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung dargelegt hat.

Das vorrangige öffentliche Interesse folgt auch daraus, dass sich die angefochtene Verfügung beim gegenwärtigen Sachstand aufgrund der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 3. Dezember 2007 in rechtlich nicht zu beanstandender Weise die ihm erteilte tschechische Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – in Verbindung mit § 46 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – entzogen, d.h. das Recht aberkannt, von dieser Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch zu machen. Denn der Antragsteller kann sich nicht darauf berufen, die ihm am 12. Oktober 2005 erteilte tschechische Fahrerlaubnis sei gemäß § 28 Abs. 1 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/437/EWG in Deutschland anzuerkennen und könne ausschließlich von einer tschechischen Behörde entzogen werden.

Die Berufung des Antragstellers auf diesen grundsätzlich gegenseitigen Anerkennungsgrundsatz ist allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil er auf die tschechische Fahrerlaubnis verzichtet hätte. Das Gericht vermag insoweit der Auffassung der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe nicht nur auf die ihm erteilt gewesene deutsche Fahrerlaubnis, sondern auch auf die tschechische Fahrerlaubnis verzichtet, nicht zu folgen.

Zwar ist eine Verzichtserklärung auf eine Fahrerlaubnis rechtlich zulässig (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 4 StVG, Rn. 39) und bringt die Fahrerlaubnis unmittelbar zum Erlöschen. In einer solchen Erklärung könnte der vollständige Verzicht auf das Recht, in Deutschland ein erlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug zu führen (vgl. § 2 Abs. 1 StVG), gesehen werden. Dies würde dann auch das diesbezügliche auf einer ausländischen Fahrerlaubnis beruhende Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen beinhalten. In der Erklärung des Antragstellers kann aber von einem derart umfassenden Verzicht nicht ausgegangen werden.

Einer solchen Auslegung der Verzichtserklärung des Antragstellers steht zwar nicht bereits der Wortlaut seines Schreibens vom 12. November 2007 entgegen, wonach er freiwillig auf den Führerschein verzichtet. Denn der juristische Laie bezeichnet mit dem Wort Führerschein die Fahrerlaubnis, die juristisch gesehen durch den Führerschein lediglich dokumentiert wird. Allerdings ist bei der Auslegung der Verzichtserklärung des Antragstellers nach § 133 BGB sein wirklicher Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Nach dem gesamten Verhalten des Antragstellers verbietet sich aber die Annahme, er habe auch auf die tschechische Fahrerlaubnis verzichten wollen. Denn er wollte auf jeden Fall im Besitz der tschechischen Fahrerlaubnis bleiben, um – nach Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis oder nach Verzicht auf letztere – in Deutschland von ihr Gebrauch machen zu können.

Allerdings führt der Verzicht auf die deutsche Fahrerlaubnis, mit dem der Antragsteller die Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Antragsgegnerin vermied, dazu, dass die von dem Antragsteller erworbene tschechische Fahrerlaubnis in Deutschland nicht nach § 28 Abs. 1 FeV anzuerkennen ist. Zwar dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 in Deutschland haben, – vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 – im Umfang ihrer Berechtigung Krafftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV gilt diese Berechtigung aber nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, denen die – inländische – Fahrerlaubnis nur deshalb nicht entzogen worden ist, weil sie zwischenzeitlich auf die Fahrerlaubnis verzichtet haben. So verhält es sich aber hier.

Mit seinem am 12. November 2005 erklärten Verzicht auf die Fahrerlaubnis kam der Antragsteller der bereits mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 20. Oktober 2005 angekündigt gewesenen Entziehung der (deutschen) Fahrerlaubnis zuvor. Mit diesem Schreiben wurde ihm nicht nur Gelegenheit gegeben, sich zur beabsichtigten Entziehung zu äußern, sondern er wurde auch auf die Möglichkeit des Verzichts hingewiesen. Die Entziehung sollte nach § 11 Abs. 8 FeV erfolgen, weil der Antragsteller ein von ihm gefordertes medizinisch-psychologisches Gutachten, mit dessen Einholung er sich einverstanden erklärt hatte, nicht innerhalb der ihm mit Schreiben vom 30. August 2005 gesetzten Frist beigebracht hatte. Damit sind die Voraussetzungen des § 28 Abs. 4 Nr. 3 FeV erfüllt.

Die Berufung auf den sich aus Art. 1 Abs. 2 RiL 91/437/EWG ergebenden gegenseitigen Anerkennungsgrundsatz ist aber auch aus folgenden Gründen ausgeschlossen.

Für eine von einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erteilte Fahrerlaubnis gilt zwar der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (grundlegend OVG RP, Beschluss vom 21. Juni 2007 – 10 B 10291/07.OVG –). Auf dieses Anerkennungsprinzip des Art. 1 Abs. 2 RiL 91/439/EWG kann sich aber der Fahrerlaubnisinhaber nicht berufen, wenn ein Fall des offenen Missbrauchs dieses Grundsatzes vorliegt. Das OVG Rheinland-Pfalz hat hierzu in dem zitierten Beschluss ausgeführt:

„Indes lässt sich diesen beiden Entscheidungen (gemeint sind: Urteil des EuGH vom 29. April 2004 – C 476/01 – Kapper -, NJW 2004, 1726, sowie Beschluss des EuGH vom 6. April 2006 – C 227/05 – Halbritter, NJW 2006, 2173) nach Auffassung des Senates nicht mit der erforderlichen Gewissheit entnehmen, inwieweit diese Grundsätze über die beiden vom EuGH entschiedenen Einzelfälle hinaus Geltung beanspruchen bzw. in Sonderheit auch dann Anwendung zu finden haben, wenn der Erwerb der ausländischen  EU-Fahrerlaubnis nicht im Zusammenhang mit der Ausübung der durch das EU-Recht gewährleisteten Arbeitnehmer- bzw. Niederlassungsfreiheit der Art. 39 ff, 43 ff EG erfolgte, sondern um die nationalen Bestimmungen für die Wiedererteilung einer zuvor entzogenen Fahrerlaubnis zu umgehen.

Insofern ist immerhin zu sehen, dass bereits der EuGH selbst namentlich in seinem zweiten Beschluss vom 6. April 2006 gewisse ihm wesentlich erscheinende Gesichtspunkte herausgestellt und damit zugleich zur Grundlage des von ihm statuierten Anerkennungsgrundsatzes gemacht hat, die eine derartige Einschränkung in Missbrauchsfällen als nahe liegend erscheinen lassen. So hat er insbesondere betont, dass der dortige Kläger zum Zeitpunkt des Erwerbs seiner Fahrerlaubnis in dem anderen EU-Mitgliedsstaat (aus beruflichen Gründen) seinen gewöhnlichen Wohnsitz in dem anderen EU-Mitgliedsstaat gehabt hatte, so dass ihm auch nur dieser andere Staat die Fahrerlaubnis hatte erteilen können, und dass ihm demnach nicht zum Vorwurf gemacht werden könne, seine Fahrerlaubnis erworben zu haben, ohne die in Deutschland für den Erwerb einer Fahrerlaubnis nach einer vorherigen Entziehung aufgestellten Voraussetzungen beachtet zu haben. Ebenso hat der EuGH damit im Zusammenhang ausdrücklich darauf verwiesen, dass der dortige Ausstellerstaat geprüft hatte, dass der Betroffene den Mindestanforderungen in Bezug auf die physische und psychische Fahreignung entsprechend den Bestimmungen des Anhanges III der Richtlinie 91/439/EWG genügt hatte.

Tatsächlich wird denn in diesem Zusammenhang in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass diese beiden Entscheidungen – auch wenn sie mit ihren grundsätzlichen Erwägungen über die entschiedenen Einzelfälle hinausweisen -  nur entsprechend gleich gelagerte Sachverhalte erfassen können und somit schon aus diesem Grunde nicht etwa auf Fälle eines offenen Missbrauchs übertragbar sind (vgl. dazu VG Münster, Beschluss vom 26. Juni 2006, BA 2007, S. 62, VGH  Mannheim, Beschluss vom 21. Juli 2006, BA 2006, S. 432 sowie Deszö, DAR  2006, S. 643 mit  weiteren Nachweisen).

Dessen ungeachtet bestehen aber auch deshalb Bedenken gegen die  Anwendung des vom EuGH in den beiden in Rede stehenden Entscheidungen entwickelten weitreichenden Anerkennungsgrundsatzes in derartigen Umgehungsfällen, weil nach der übrigen eigenen Rechtsprechung des EuGH die Anwendung von Gemeinschaftsrecht auch sonst ausgeschlossen ist, wenn die Berufung darauf einen Rechtsmissbrauch darstellt, der der Umgehung nationalen Rechts dient. Ein hiernach nicht schutzwürdiger Missbrauch ist dabei im Allgemeinen dann anzunehmen, wenn eine Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergibt, dass trotz formaler Einhaltung gemeinschaftsrechtlicher Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wird, und ein subjektives Element in Gestalt der Absicht vorliegt, sich einen gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Vorteil dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden (vgl. dazu EuGH,  Urteile vom 3. März 1993, EuGHE, I – 487, vom 2. Mai 1996,  EuGHE  1996, I -  2357 bzw. vom 9. März 1999, EuGHE 1999, I – 1459 mit weiteren Nachweisen). Übertragen auf den Bereich des Fahrerlaubnisrechts bedeutet dies, dass von einer  derartigen Sachlage insbesondere dann auszugehen ist, wenn sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass der Fahrerlaubnisinhaber angesichts bei ihm bestehender schwerwiegender Eignungsmängel die nationale Fahrerlaubnis nach Maßgabe des in seinem Herkunftsland geltenden Rechts nicht hätte wiedererlangen können und er sich offensichtlich nur deshalb – ohne jeglichen Zusammenhang mit einem gemeinschaftsrechtlichen Vorgang im Übrigen bzw. ohne  dem Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und des Art. 9 der Führerscheinrichtlinie auch nur ansatzweise zu genügen – an die Behörden eines Mitgliedsstaates gewandt hat, um dort – ohne die bei ihm bestehenden Eignungsmängel zu offenbaren – eine Fahrerlaubnis zu erlangen. Dass bei einer solchen Konstellation die Regelungsziele der Führerschein-Richtlinie bzw. des dort verankerten Anerkennungsgrundsatzes mit seiner Auslegung durch den EuGH – nämlich unter Wahrung oder gar Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr die Freizügigkeit von Personen zu fördern, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat niederlassen als dem, in dem sie ihre Fahrprüfung abgelegt haben – nicht erreicht werden kann, liegt auf der Hand.“

Weiter wird in diesem Beschluss ausgeführt:

„Damit schließt sich der Senat – zugleich unter Aufgabe der Rechtsprechung des vormals für Fahrerlaubnisverfahren zuständigen 7. Senates des  beschließenden Gerichts (vgl. dazu dessen  Beschluss vom 15. August 2005, DAR 2005, S. 650 sowie die hiergegen vom Senat bereits in seinen Beschlüssen vom 14. Juni 2006 – 10 B 10477/06.OVG sowie vom 11. September 2006 – 10 B 10734/06.OVG – angeführten Bedenken) – der auch sonst in der Rechtsprechung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ganz überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach es Fahrerlaubnisinhabern in Fällen  eines offenen Missbrauchs im Einzelfall verwehrt ist, sich auf den Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 RiL 91/439/EWG und dessen Auslegung durch den EuGH zu berufen. Diesbezüglich bedarf es auch nicht etwa gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag einer neuerlichen Vorlage an den EuGH (vgl. dazu VGH Mannheim, Beschluss vom 29. Juni 2006, BA 2006, S. 432, OVG Weimar, Beschluss vom 28. Juni  2006, DAR 2006, S. 583, OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 29. August 2006, BA 2006, S. 501, OVG  Brandenburg, Beschluss  vom 8. September 2006, BA 2007, S. 193  sowie OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. September 2006, BA 2006, S. 507; a.A.: OVG Hamburg, Beschluss vom 22. November 2006, NJW 2007, S. 1160).

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Für diese Sicht der Dinge lässt sich endlich auch Art. 11 Abs. 4, Unterabsatz 2 der
3. Führerscheinrichtlinie der Europäischen Gemeinschaften (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 – ABl. L 403 vom 30. Dezember 2006, S. 18) anführen, der in Erkenntnis dieser Missbrauchsproblematik und zur Bekämpfung des so genannten Führerscheintourismus vorsieht, dass ein Mitgliedsstaat – zwingend – die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnt, der von einem anderen Mitgliedsstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Fahrerlaubnis im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedsstaates eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist (vgl. dazu Geiger, DAR 2007, S. 126).“

Auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist anerkannt, dass die missbräuchliche Berufung auf das Gemeinschaftsrecht nicht gestattet ist (vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 1999, Rs. C-212/97 – Centros -, NJW 1999, 2027 [Rn. 24 f., m. w. N.]) und dass die nationalen Gerichte das missbräuchliche Verhalten des Betroffenen zu seinen Lasten berücksichtigen können, um ihm gegebenenfalls die Berufung auf die geltend gemachte, für ihn allgemein gültige Bestimmung des Gemeinschaftsrechts, zu verwehren (EuGH, Urteile vom 23. März 2000, Rs. C-373/97 – Diamantis – [zitiert nach juris, Rn. 34] und vom 2. Mai 1996, Rs. C-206/94 – Paletta – [zitiert nach juris, Rn. 25]).

Auf der Grundlage dieser rechtlichen Darlegungen spricht vorliegend nach Überzeugung des Gerichts alles für einen rechtsmissbräuchlichen Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis durch den Antragsteller. Die rechtsmissbräuchliche Berufung auf Art. 1 Abs. 2 RiL 91/439/EWG ergibt sich aus folgenden Umständen:

Am 12. Oktober 2005 durfte dem Antragsteller von keinem Mitgliedsstaat der Europäischen Union eine Fahrerlaubnis der Klasse AB erteilt werden, weil er zu diesem Zeitpunkt noch im Besitz der ihm am 24. April 1999 – Listen-Nr. K 2000214721 – von der Antragsgegnerin erteilten Fahrerlaubnis der Klassen B, C1, BE, C1E, M und L  gewesen war, auf die er erst mit Schreiben vom 12. November 2005 verzichtete. Der Besitz dieser Fahrerlaubnis steht der Erteilung einer weiteren Fahrerlaubnis durch einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union entgegen. Denn nach Art. 7 Abs. 5 RiL 91/439/EWG, § 8 FeV kann eine Person nur Inhaber eines einzigen von einem Mitgliedsstaat ausgestellten Führerscheins sein. Auf diesem Grundsatz – nur eine einzige Fahrerlaubnis für einen Bürger eines Mitgliedsstaats der Europäischen Union – beruht die grundsätzlich gegenseitige Anerkennung der Fahrerlaubnisse in diesem Rechtsraum, der keinen Raum lässt für die Erteilung einer Fahrerlaubnis, wenn der Betreffende bereits im Besitz einer EU-Fahrerlaubnis ist. Für den Fall einer Wohnsitzverlegung in einen anderen Mitgliedsstaat sieht die Richtlinie 91/439/EWG in ihrem Art. 8 Abs. 1 den Umtausch des Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein des neuen Wohnsitz-Staates vor. Der umtauschende Mitgliedsstaat leitet dann gemäß Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie den abgegebenen Führerschein an die zuständige Stelle des Mitgliedsstaats, der ihn ausgestellt hat, zurück und begründet dieses Verfahren im Einzelnen. Diese europarechtlichen Vorgaben wurden in Deutschland in §§ 8, 21, 28 30 FeV entsprechend umgesetzt. So ist nach § 30 Abs. 3 FeV der Führerschein nur gegen Abgabe des ausländischen Führerscheins auszuhändigen. Mit dieser Vorschrift und der Regelung in Art. 7 Abs. 5 RiL 91/439/EWG soll gerade dem Missbrauch nach Umschreibung einer Fahrerlaubnis, die den Besitz der ausländischen Fahrerlaubnis entbehrlich macht, begegnet werden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 30 FeV Rn. 1).

Der Antragsteller wollte diese Vorschriften unterlaufen, indem er in einem Zeitpunkt, als er noch im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis war, allerdings ein behördliches Verfahren zur Entziehung dieser Fahrerlaubnis eingeleitet war, eine tschechische Fahrerlaubnis erworben hat, ohne seinen deutschen Führerschein bei der tschechischen Behörde abzuliefern, wie es Art. 8 RiL 91/437/EWG vorsieht. Es wäre vollkommen lebensfremd anzunehmen, dass hinter dieser Vorgehensweise des Antragstellers nicht bereits die Absicht gestanden hat, sich gerade für den Fall der bevorstehenden Entziehung der deutschen Fahrerlaubnis eine ausländische Fahrerlaubnis zu besorgen, um auf diese Weise die Folgen der Fahrerlaubnisentziehung zu umgehen, d.h. in Deutschland unter Ausnutzung dieser Fahrerlaubnis  auch künftig Kraftfahrzeuge zu führen. Für diese Absicht spricht des weiteren, dass der Antragsteller bei dem Verzicht auf seinen deutschen Führerschein den Besitz der am 12. Oktober 2005 erteilten tschechischen Fahrerlaubnis nicht offenbart hat. Denn es hätte sich sonst für einen juristischen und nicht anwaltlich vertretenen Laien die Frage an die Antragsgegnerin aufdrängen müssen, ob von der tschechischen Fahrerlaubnis weiterhin Gebrauch gemacht werden dürfe. Ausweislich der Verwaltungsakten der Antragsgegnerin wurde dies von dem Antragsteller nicht angesprochen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist davon auszugehen, dass der Antragsteller beim Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis den Besitz der deutschen Fahrerlaubnis verschwiegen hat, so wie er anschließend beim Verzicht auf die deutsche Fahrerlaubnis den Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis nicht mitgeteilt hat.

Es sind aber noch weitere Umstände gegeben, die für einen Rechtsmissbrauch durch den Antragsteller sprechen.

Er hatte für den maßgeblichen Zeitraum keinen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien begründet, so dass eine offensichtlich unzuständige Behörde gehandelt hat. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der RiL 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 hängt die Ausstellung des Führerscheins unter anderem ab vom Vorhandensein eines ordentlichen Wohnsitzes im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedsstaats. Der ordentliche Wohnsitz ist dort, wo der Betreffende mindestens 185 Tage im Kalenderjahr wegen persönlicher und beruflicher Bindungen wohnt. Bei fehlenden beruflichen Bindungen genügt es, dass persönliche Bindungen enge Beziehungen zum Wohnort erkennen lassen (§ 7 FeV; Art. 9 Abs. 1 RiL 91/439/EWG). Hält sich der Betreffende abwechselnd in verschiedenen EU-Staaten auf, so ist für den ordentlichen Wohnsitz der Ort seiner persönlichen Bindungen maßgebend, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt.

Der Antragsteller war nach diesen Kriterien zu keinem Zeitpunkt in Tschechien wohnhaft.

Auf sein Rechtshilfeersuchen hin um Überprüfung der Fahrerlaubnis erhielt das Bundeskriminalamt Wiesbaden am 14. März 2007 von Interpol Prag zunächst die Auskunft, in den polizeilichen Datenbanken seien weder Informationen über die Person des Antragstellers noch über dessen tschechische Fahrerlaubnis vorhanden. Nach Übersendung einer Fotokopie des Führerscheins teilte Interpol Prag verbunden mit der Bitte um Übermittlung der Fahrerlaubnis mit, der Antragsteller sei in der Tschechischen Republik nie registriert gewesen. Bei seiner Bewerbung um einen Führerschein am 20. September 2005 habe er als Adresse angegeben „P., Na R. 12″. Bei Abholung des Führerscheins am 12. Oktober 2005 habe er als Wohnanschrift genannt „D. 56″. Bei der vom Bundeskriminalamt Wiesbaden mitgeteilten Anschrift „U T. 56″ in D., einem Stadtteil von N., handele es sich um die Anschrift eines Einkaufszentrums, wo niemand lebe. Aufgrund dieser Feststellungen (innerhalb kürzester Zeit verschiedene Adressen, keine Wohnadresse) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller in Tschechien keinen Wohnsitz begründet hatte, erst recht nicht für die Dauer von mindestens 185 Tagen im Jahr. Im Einklang hiermit steht, dass er ausweislich des Schreibens der Antragsgegnerin vom 11. Januar 2007 seit seiner Geburt durchgehend mit Hauptwohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet ist.

Auch in dem ihm ausgestellten tschechischen Führerschein ist auf Seite 1 unter Nr. 8 Ludwigshafen am Rhein vermerkt. Nach Anhang I „Bestimmungen zum EG-Muster des Führerscheins“ zur RiL 91/439/EWG kann unter dieser Nummer in einem Führerschein der Wohnort, der Wohnsitz oder die Postanschrift eingetragen werden, ohne dass es sich insoweit nach europarechtlichen Vorgaben um eine obligatorische Angabe handelt. Der Ausstellerstaat Tschechien hat hier durch die Eintragung des deutschen Wohnortes in dem Führerschein selbst offenkundig gemacht, dass er das Wohnsitzerfordernis nicht beachtet hat. Damit ist der Verstoß gegen die Richtlinie 91/439/EWG derart offensichtlich, dass sich der Fahrerlaubnisinhaber nicht auf den gemeinschaftsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz berufen kann (so auch Hentschel, a.a.O., § 28 FeV, Rn. 6).

Es ist im Fall des Antragstellers auch absolut nichts für eine Inanspruchnahme der gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsregeln, deren Inanspruchnahme die gemeinschaftsrechtliche Anerkennungsverpflichtung erleichtern soll, ersichtlich. Weder hat er in dieser Richtung etwas vorgetragen noch bestehen nach den vorliegenden Verwaltungsvorgängen oder sonst Anhaltspunkte dafür, dass dem Erwerb der Fahrerlaubnis in der Tschechischen Republik ein irgendwie gearteter gemeinschaftsrechtlich relevanter Vorgang zugrunde läge, der über die bloße Erlangung des Führerscheins hinausginge. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall ganz erheblich von demjenigen Sachverhalt, der dem Beschluss des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 6. April 2006 (Rs. C-227/05 – Halbritter -, Rn. 5 und 30) zugrunde lag, in dem der Betreffende aus beruflichen Gründen seinen Wohnsitz in den Ausstellungsmitgliedsstaat verlegt hatte.

Der Aufenthalt des Antragstellers in Tschechien und seine „Rückkehr“ nach Deutschland nach Erteilung der Fahrerlaubnis sind somit nicht als Ausübung der Freizügigkeit als Arbeitnehmer oder der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit anzusehen, die durch die Anerkennung der dort erlangten Fahrerlaubnis gefördert werden könnte.

Nicht zuletzt mit Blick auf die gebotene Aufrechterhaltung der Verkehrssicherheit kann auch unter Beachtung von Sinn und Zweck des Art. 1 Abs. 2 RiL 91/439/EWG der Antragsteller sich nicht auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von EU-Führerscheinen berufen, wenn weder dem Erwerb des Führerscheins in der Tschechischen Republik noch seiner anschließenden „Rückkehr“ mit dem in der Stadt Nepomuk ausgestellten Führerschein in die Bundesrepublik Deutschland ein gemeinschaftsrelevanter Vorgang zugrunde liegt und der Führerschein unter Umgehung der Vorschriften der Fahrerlaubnis-Verordnung in Deutschland genutzt wird.

Nach Überzeugung des Gerichts liegt damit ein eindeutiger Fall des Rechtsmissbrauchs des in Art. 1 Abs. 2 RiL 91/437/EWG normierten Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung ausländischer Fahrerlaubnisse vor, der es dem Antragsteller – auch nach der Rechtsprechung des EuGH – verwehrt, sich auf diesen Grundsatz zu berufen.

Die Antragsgegnerin kann somit, wenn der Antragsteller sich ohne Zusammenhang mit einem gemeinschaftsrechtlich relevanten Vorgang an die Behörden in der Tschechischen Republik gewandt hatte, um dort antragsgemäß eine Fahrerlaubnis zu erlangen, die er dann in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel nutzt, den Folgen zu entgehen, die das innerstaatliche Recht an die Nichtvorlage eines seine Fahreignung bestätigenden medizinisch-psychologischen Gutachtens (vgl. § 11 Abs. 3, 8 FeV) und den von ihm erklärten Verzicht auf die inländische Fahrerlaubnis knüpft, dem Betreffenden das Recht zum Gebrauch der EU-Fahrerlaubnis in Deutschland absprechen.

Abschließend sei angemerkt, keiner der von dem Bevollmächtigten des Antragstellers in das Verfahren eingeführten Gerichtsentscheidungen lag der Fall des Erwerbs einer EU-Fahrerlaubnis bei gleichzeitigem Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis und des anschließenden Verzichts auf die deutsche Fahrerlaubnis zugrunde. Eine rechtliche Auseinandersetzung mit diesen Entscheidungen war daher nicht geboten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 GKG.

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