LG Heilbronn, Az.: 8 Qs 39/17, Beschluss vom 14.08.2017
1. Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Heilbronn wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwäbisch Hall vom 25. Juli 2017, durch welchen der Antrag auf vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis zurückgewiesen wurde, aufgehoben.
2. Der Beschuldigten wird die Fahrerlaubnis gemäß § 111a Abs. 1 StPO vorläufig entzogen.
Der Entzug der Fahrerlaubnis wirkt gemäß § 111a Abs. 3 StPO zugleich als Anordnung der Beschlagnahme des Führerscheins.
3. Für den Fall, dass die Beschuldigte den Führerschein nicht freiwillig herausgeben und dessen Aufbewahrungsort nicht preisgeben sollte, wird bereits jetzt die Durchsuchung ihrer Person und ihrer Wohnung gemäß den §§ 111b Abs. 4, 102 StPO angeordnet.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Heilbronn, Zweigstelle Schwäbisch Hall, führt gegen die Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs.
Der Beschuldigten wird zur Last gelegt am 30. Juni 2017 gegen 14:55 Uhr auf der B 19 von Westernach nach Untermünkheim/Kupfer mit ihrem Fahrzeug (amtliches Kennzeichen) gefahren und aufgrund ihrer Übermüdung auf die Gegenfahrbahn der gerade verlaufenden Straße gekommen zu sein.
Ihre Fahruntüchtigkeit habe sie bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt zuvor erkennen können. Nachdem der Fahrer der entgegenkommenden Sattelzugmaschine mit Auflieger die Lichthupe betätigt und zudem die der Beschuldigten nachfolgende Zeugin gehupt habe, sei es der Beschuldigten gelungen ihr Fahrzeug auf ihre Fahrspur zurück zu lenken. Hierbei habe sie jedoch mit ihrem Fahrzeug das entgegenkommende Gespann gestreift, wobei an diesem ein Schaden in Höhe von etwa 500,- € entstanden sei.
Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin beim Amtsgericht Schwäbisch Hall beantragt der Beschuldigten die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen.
Mit Beschluss vom 25. Juli 2017 hat der Ermittlungsrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft mit der Begründung abgelehnt, der eingetretene Gefährdungsschaden erreiche vorliegend nicht die Wertgrenze von 750,- €.
Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde erhoben.
Der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Schwäbisch Hall hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer beim Landgericht Heilbronn vorgelegt.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Heilbronn ist zulässig und begründet.
Die Beschuldigte ist eines Vergehens der zumindest fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1b, Abs. 3 Nr. 2 StGB dringend verdächtig. Ferner liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass ihr gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB die Fahrerlaubnis entzogen werden wird.
Der dringende Tatverdacht ergibt sich vorliegend aus der Aussage der Zeugin, die mit ihrem Pkw direkt hinter der Beschuldigten fuhr und aus kurzer Entfernung beobachten konnte, wie die Beschuldigte auf gerader Strecke, ohne verkehrsbedingten Anlass, auf die Gegenfahrbahn steuerte, wo ihr der besagte Sattelzug entgegenkam. Ferner hat die Zeugin im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung noch an der Unfallstelle bekundet, die Beschuldigte habe ihr gegenüber ihre Übermüdung als Unfallursache angegeben, was sich mit dem konkreten Ablauf des Unfallgeschehens widerspruchsfrei in Einklang bringen lässt.
Ob durch das Fehlverhalten der Beschuldigten eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet wurde ist stets und auch dann in zwei Schritten zu prüfen, wenn es zu einem tatsächlichen Schaden gekommen ist, da dieser geringer sein kann, als der maßgebliche Gefährdungsschaden (BGH NStZ 2010, 216; NStZ-RR 2017, 123).
Dass es sich bei der vom Zeugen gelenkten Sattelzugmaschine mit Auflieger um eine fremde Sache von bedeutendem Wert i.S.v. § 315c StGB handelt ist vorliegend eindeutig. Die seitens der Staatsanwaltschaft vorgenommene Schätzung mit weit über 100.000,- € erscheint insoweit realistisch.
Ferner hat dieser Sache auch ein bedeutender Schaden gedroht, wobei die Wertgrenze nach wie vor bei 750,- € anzusiedeln ist (BGH NStZ 2011, 215).
Eine entsprechende, konkrete Gefahr setzt jedoch bereits begrifflich keinen tatsächlichen Schadenseintritt voraus. Vielmehr ist es ausreichend, aber auch erforderlich, dass sich die der Tathandlung innewohnende latente Gefährlichkeit in einer Weise konkretisiert, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Rechtsgut verletzt wird oder nicht (BGH NJW 1995, 3131). Ein unbeteiligter Beobachter muss zu der Einschätzung gelangen, dass das Ganze gerade noch einmal gutgegangen ist (OLG Rostock, Urteil vom 20. Dezember 2002 – 1 Ss 206/01 I 88/01 –, juris).
Zwar ist ein derartiger Beinahe-Unfall, bei dem das bedrohte Rechtsgut in eine hochgradige Existenzkrise gerät (OLG Koblenz DAR 2000, 371), dann nicht anzunehmen, wenn es dem entgegenkommenden Fahrer noch möglich ist auf das verkehrswidrige Verhalten des Beschuldigten durch ein im Bereich einer verkehrsüblichen Reaktion liegendes Brems- und Ausweichmanöver zu reagieren und so einen Unfall abzuwenden (OLG Hamm, Entscheidung vom 9. Dezember 2004 – 4 Ss 510/04 –, juris). Kommt es jedoch wie vorliegend zu einer tatsächlichen Kollision mit Sachschaden (ca. 500,- € am Sattelzug und ca. 2.500,- € am Fahrzeug der Beschuldigten) kann grundsätzlich vom tatsächlichen Eintritt eines Schadens auf eine vorgelagerte konkrete Gefahr geschlossen werden (König in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2008, § 315c Rdn. 150). Denn bei Eintritt eines Schadens steht die konkrete Gefahr unzweifelhaft fest, weil das Ausmaß der Gefahr nicht geringer gewesen sein kann als der tatsächlich eingetretene Schaden.
Ist jedoch – wie vorliegend – nur unbedeutender Schaden entstanden, so darf daraus nicht ohne Weiteres auf eine nur unbedeutende Gefahr geschlossen werden. Vielmehr ist für die Erfassung des Gefährdungsschadens die vollständige Realisierung der Gefahr einzustellen. Nur wenn die Prognose ergibt, dass von vornherein lediglich der tatsächlich eingetretene geringe Schaden gedroht hat, also kein „unverbrauchter Eskalationsrest“ vorhanden war, scheidet ein überschießender Gefährdungsschaden aus (König a.a.O. § 315 Rdn. 51, 57, 88).
Gemessen an diesen Erwägungen kann in vorliegender Sache, in der es beinahe zu einer Frontalkollision zweier Fahrzeuge gekommen wäre, kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Gefahr eines weit größeren, die Wertgrenze von 750,- € übersteigenden Schadens bereits in einer Weise konkretisiert hatte, als dass der tatsächlich entstandene, geringfügige Schaden nur als Realisationsdefizit begriffen und letztlich nur glücklichen Umständen, nämlich dem gerade noch rechtzeitigen Gegenlenken der Beschuldigten zugeschrieben werden kann.
Im Ergebnis liegen daher die Voraussetzungen für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StGB eindeutig vor, zumal auch keine Umstände ersichtlich sind, aufgrund derer die Regelwirkung des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfallen würde.
III.
Einer gesonderten Kostenentscheidung bedarf es nicht. Da das zu Ungunsten der Beschuldigten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg hatte, gehören die Rechtsmittelkosten zu den Verfahrenskosten, die sie nach § 465 StPO zu tragen hat. Von ihren notwendigen Auslagen wird sie nicht entlastet (Meyer-Goßner/Schmidt, StPO 60. Auflage, § 473 Rdn. 15).