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Fahrradumsetzung – Unterlassungsansprüche

Verwaltungsgericht Münster

Az.: 1 K 1536/07

Urteil vom 11.07.2008


Es wird festgestellt, dass die Versetzung des Fahrrads des Klägers von dem Eingangsbereich des Hauptbahnhofs Münster zu einer Sammelstelle am 30. August 2007 rechtswidrig war.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger stellte am Morgen des 30. August 2007 sein Fahrrad an der südlichen Seitenwand des überdachten Treppenaufgangs vor der Westfassade des Hauptbahnhofs Münster ab. Das 6,25 m breite Grundstück zwischen dem Treppenaufgang und der Fahrbahn, auf dem das Fahrrad unmittelbar parallel zur Seitenwand stand, ist als Fußgängerfläche gewidmet. Hinsichtlich der Gegebenheiten der Örtlichkeit im einzelnen wird auf die Skizze auf Blatt 44 der Gerichtsakte und auf das Luftbild auf Blatt 47 der Gerichtsakte verwiesen. Im Verlaufe des Tages verbrachte der Beklagte das Fahrrad zu einer mehrere Straßen entfernten Sammelstelle. Der Kläger holte es dort am 6. September 2007 ab.

Er hat am 15. September 2007 Klage erhoben, zu deren Begründung er geltend macht: Er habe für die begehrte Feststellung ein Feststellungsinteresse, da die Gefahr einer erneuten Versetzung seines Fahrrads bei erneutem Abstellen in dieser Weise bestehe. Die Regelungen der Straßenverkehrsordnung verböten nicht die Abstellung seines Fahrrads in dieser Weise an diesem Ort, vielmehr habe er sein Fahrrad ordnungsgemäß abgestellt.

Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Versetzung des Fahrrads des Klägers von dem Eingangsbereich des Hauptbahnhofs Münster zu einer Sammelstelle am 30. August 2007 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte macht geltend, der Fußgängerbereich vor dem Hauptbahnhof werde täglich von ca. 30.000 Personen frequentiert. Durch das Abstellen seines Fahrrads habe der Kläger diese Verkehrsteilnehmer im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO mehr als nach den Umständen vermeidbar behindert bzw. belästigt und außerdem andere dazu veranlasst, ihr Fahrrad ebenfalls auf dieser Fläche abzustellen. Die gesamte Fläche müsse jedoch aus Gründen des Brandschutzes freigehalten werden. Der Kläger hätte sein Fahrrad in der unterirdisch gelegenen Radstation oder in der an der Ostseite des Bahnhofs gelegenen Abstellanlage abstellen können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat Erfolg.

Sie ist als Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft und auch sonst zulässig. Der Kläger hat an der begehrten Feststellung ein berechtigtes Interesse, da die Gefahr einer Wiederholung der erfolgten Umsetzung besteht. Der Kläger beabsichtigt weiterhin, sein Fahrrad wie am 30. August 2007 vor dem Hauptbahnhof Münster abzustellen; der Beklagte hält an der bisherigen Praxis der Umsetzung dort abgestellter Fahrräder fest.

Die Klage ist auch begründet. Der Beklagte war zu einer Umsetzung des Fahrrads nicht berechtigt. Die Voraussetzungen der §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr, 1, 59 Abs. 1 VwVG NRW, § 14 Abs. 1 OBG lagen nicht vor.

Nach §§ 55 Abs. 2, 57 Abs. 1 Nr, 1 VwVG NRW kann der Verwaltungszwang in Form der Ersatzvornahme ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet werden, wenn das zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollzugsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt.

Der Beklagte handelte jedoch nicht innerhalb der ihm nach § 14 Abs. 1 OBG zukommenden Befugnisse. Nach der vorgenannten Vorschrift können die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren. Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Bestand der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger von Hoheitsgewalt.

Die objektive Rechtsordnung als hier einzig in Betracht zu ziehendes Schutzgut der öffentlichen Sicherheit wurde durch das von dem Kläger abgestellte Fahrrad nicht gefährdet. Die Art und Weise, wie der Kläger sein Fahrrad am 30. August 2007 vor dem Hauptbahnhof Münster abgestellt hatte, verstieß nicht gegen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und war auch aus Gründen des Brandschutzes nicht zu beanstanden.

Wie dem Beklagten bekannt ist (vgl. den Aufsatz des Leitenden Städtischen Direktors Schulze-Werner, Zu den Möglichkeiten der Reglementierung des Fahrradparkens, VD 2006, 236), ist das Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen oder anderen dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen öffentlichen Verkehrsflächen eine straßenverkehrsrechtlich grundsätzlich zugelassene Nutzung und deshalb einer generellen – einzelfallunabhängigen – städtischen Regelung oder Praxis nicht zugänglich.

Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 3 C 29/03 -, DVBI. 2004, 519 = NJW 2004,1815 = Buchholz 441.151 § 41 StVO Nr. 9; Nds. OVG, Urteil vom 6. Juni 2003 – 12 LB 68/03, NdsVBI. 2003, 265 = NordÖR 2003, 375; VG Braunschweig, Urteil vom 25. Januar 2005 – 5 A 216/03 -, juris.

Die Art und Weise, wie der Kläger sein Fahrrad am 30. August 2007 vor dem Hauptbahnhof Münster abgestellt hatte, verstieß auch nicht gegen § 1 Abs. 2 StVO. Hiernach hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Dass Fußgänger durch das von dem Kläger abgestellte Fahrrad geschädigt oder gefährdet wurden, ist nicht ersichtlich. Auch Belästigungen, d.h. Verhaltensweisen, die gegen andere Verkehrsteilnehmer gerichtet und objektiv geeignet sind, körperliches oder seelisches Unbehagen hervorzurufen,

vgl. Heß in: Jagow, Burmann, Heß, Straßenverkehrsrecht, 20. Aufl. 2008, § 1 StVO, Rn. 82,
sind in dem Parkverhalten des Klägers nicht zu erblicken.

Ebenso wenig gingen von dem Fahrrad des Klägers Behinderungen für Fußgänger, die den Hauptbahnhof Münster durch den Haupteingang betreten oder verlassen wollten, aus. Behinderungen im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO liegen in Verhaltensweisen eines Verkehrsteilnehmers, die anderen die Möglichkeit nehmen, sich im Verkehr ihren Wünschen entsprechend zu bewegen.

Vgl. Kuckuk in: Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. 1996, § 1 StVO, Rn. 26.

Dies setzt voraus, dass der andere Verkehrsteilnehmer zu einem von ihm nicht beabsichtigten Verkehrsverhalten gezwungen wird.

Vgl. Heß in: Jagow, Burmann, Heß, a. a. 0., § 1 StVO, Rn. 79.

Eine derartige, von dem Fahrrad des Klägers ausgehende Beeinträchtigung lässt sich nicht feststellen.

Nach dem Standort des Fahrrads ist bereits nicht ersichtlich, dass die Bewegungsrichtung von Fußgängern überhaupt beeinflusst wurde. Es befand sich nicht nördlich des Treppenaufgangs auf dem Bahnhofsvorplatz, der den wesentlichen Teil des Fußgängerstroms von und zum Haupteingang des Hauptbahnhofs aufnimmt, sondern südlich des Treppenaufgangs. Diese Fläche wird im wesentlichen von Fußgängern genutzt, die von den westlich der Radstation am Berliner Platz gelegenen Bushaltestellen oder von den südlich des Treppenaufgangs gelegenen Taxiständen zum Haupteingang gehen oder umgekehrt. Da Fußgänger in der Regel den kürzesten Weg zu ihrem Ziel einschlagen, das Fahrrad aber nicht auf dem direkten Weg zwischen den vorbezeichneten Punkten, sondern abseits am Rand dieser Fußgängerfläche stand, ist nicht ersichtlich, dass Fußgänger sich nicht ihren Wünschen entsprechend bewegen konnten.

Selbst wenn es Fußgänger gegeben haben sollte, die nicht den direkten Weg hätten nutzen wollen, wären diese nicht behindert worden. Durch das von dem Kläger abgestellte Fahrrad wurde die 6,25 m breite, für den Fußgängerverkehr bestimmte Verkehrsfläche unter Berücksichtigung der Breite des Fahrrads und seines neigungsbedingten Hineinragens in den Verkehrsraum um maximal einen Meter verkürzt. Berücksichtigt man außerdem den Umstand, dass Fußgänger zu einer Wand üblicherweise mindestens ca. 30 cm Abstand halten, wurde die für den Fußgängerverkehr bestimmte Verkehrsfläche durch das von dem Kläger abgestellte Fahrrad nur um ca. 70 cm verkürzt. Die eingetretene Verkürzung ist jedenfalls nur unwesentlich. Fußgänger hätten an dem Fahrrad des Klägers vorbeigehen können, ohne auf die Fahrbahn ausweichen oder ihre Bewegungsrichtung wesentlich ändern zu müssen. Die dem Fußgängerverkehr verbliebene Fläche war auch noch breit genug, um das Passieren einer größeren Anzahl von Personen, behinderten Menschen und Eltern mit Kinderwagen zu ermöglichen. Fußgänger, die aufgrund eines Gedränges am Fahrrad des Klägers nicht hätten ungehindert vorbeigehen können, hätten ihren Weg jedenfalls innerhalb weniger Augenblicke fortsetzen können. Eine solche Beeinflussung des Fußgängerverkehrs wäre jedenfalls nicht als Behinderung im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO zu qualifizieren gewesen.

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Vgl. zu einer vergleichbaren Fallgestaltung: OLG Köln, Beschluss vom 3. Oktober 1980 – 3 Ss 851/80 -, VRS 60, 467.

Dass die dem Fußgängerverkehr verbliebene Fläche in dem Zeitpunkt des Einschreitens des Beklagten durch weitere, neben dem Fahrrad des Klägers abgestellte Fahrräder verkürzt wurde, ist in Ermangelung einer entsprechenden Dokumentation des Beklagten nicht festzustellen. Selbst wenn dies der Fall gewesen und Fußgänger hierdurch im Sinne von § 1 Abs. 2 StVO behindert worden sein sollten, hätte diese Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit ein Versetzen des Fahrrads des Klägers nicht gerechtfertigt. Abgesehen davon, dass diese Beeinträchtigung dem Kläger nicht als Zweckveranlasser hätte zugerechnet werden können, wäre ein Versetzen des Fahrrads des Klägers nicht geeignet gewesen, die von anderen Fahrrädern ausgehenden Behinderungen zu beseitigen. Dem Beklagten ist es möglich und vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen bundesrechtlichen Rechtslage zur Nutzung von Gehwegen und anderen Fußgängerbereichen sowie des dadurch in einer „Fahrradstadt“ zwangsläufig gegebenen großen Konfliktpotentials zwischen den betroffenen Verkehrsarten zumutbar, die Situation auf stark frequentierten Fußgängerflächen fortlaufend zu beobachten und für den Fall, dass durch das Abstellen von Fahrrädern Behinderungen entstehen sollten, diese durch Digitalaufnahmen zu dokumentieren und zu beseitigen.

Die Art und Weise, wie der Kläger sein Fahrrad am 30. August 2007 vor dem Hauptbahnhof Münster abgestellt hatte, verstieß auch nicht gegen brandschutzrechtliche Vorschriften. Durch das von dem Kläger abgestellte Fahrrad wurden Zufahrten und Aufstellflächen für Fahrzeuge der Feuerwehr nicht blockiert. Dass derartige Zufahrten und Aufstellflächen an dieser Stelle nicht benötigt werden, wird bereits dadurch deutlich, dass der Beklagte den überdachten Treppenaufgang baurechtlich genehmigt und südlich dieses Aufgangs, etwa in der Mitte der für den Fußgängerverkehr bestimmten Verkehrsfläche einen Laternenpfahl und zwei weitere Pfosten aufgestellt hat. Dieser, von dem Fahrrad des Klägers belegte Bereich ist auch nicht in entsprechender Anwendung von § 23 VKStättV ständig freizuhalten. Er ist nicht als Teil eines Rettungswegs zu qualifizieren, da er nicht unmittelbar vor dem Haupteingang des Hauptbahnhofs und – wie bereits ausgeführt – auch nicht auf dem direkten Weg aus dem Bahnhofsgebäude liegt. Der Eingangsbereich des Hauptbahnhofs beginnt an seinem südlichen Ende auf gleicher Höhe mit der südlichen Seitenwand des überdachten Treppenaufgangs, so dass lediglich dieser, zwischen Treppenaufgang und Haupteingang gelegene Bereich als Rettungsweg freigehalten werden muss, nicht jedoch die südlich des Treppenaufgangs befindliche Fläche.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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