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Fahrradunfall trotz Hinweisschild – Straßenverkehrssicherungspflicht

OLG STUTTGART

AZ.: 4 U 118/03

Urteil vom 01.10.2003

Vorinstanz: Landgericht Stuttgart, AZ.: 15 O 507/02


In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatz hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2003 für Recht erkannt:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 09.05.2003, Az. 15 O 507/02, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Streitwert der Berufung:

Berufungsantrag Ziff. 1: 16.991,60 EUR

Berufungsantrag Ziff. 2: 4.000,00 EUR

Berufungsantrag Ziff. 3: 25.000,00 EUR

Berufungsantrag Ziff. 4: 6.000,00 EUR (§ 17 Abs. 2 GKG)

Berufungsantrag Ziff. 4: 200,00 EUR

Insgesamt: 52.191,60 EUR

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten wegen einer behaupteten Verletzung der Straßen-Verkehrssicherungspflicht Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Die Klägerin stürzte mit ihrem Fahrrad am 04.07.2001 gegen 20.05 Uhr mit ihrem Fahrrad im Gemeindegebiet der Beklagten auf der A-Straße vor dem Gebäude Nr. …. An der gut einsehbaren Unfallstelle verläuft diagonal über die Fahrbahn in Richtung der Fahrtrichtung der Klägerin ein Industriegleis, dessen Aussparungen mit einer Gummieinlage versehen sind. Rd. 45 m vor der Unfallstelle befindet sich u. a. ein Warnschild wegen des unbeschrankten Bahnübergangs und ein Hinweis „Industriegleise bei Nässe Rutschgefahr für Radfahrer“; ca. 25 m vor der Unfallstelle befindet sich ein Andreaskreuz und eine zweiflammige Warn-Ampel. Vor dem aus der Fahrtrichtung der Klägerin gesehen ersten Schienenstrang befand sich zum Unfallzeitpunkt ein Aufriss des Asphalts, der ausweislich der Lichtbilder eine unregelmäßige Breite hatte und sich in Fahrtrichtung der Klägerin verjüngte. Nach den Feststellungen der polizeilichen Unfallaufnahme war der keilförmige Riss ca. 83 cm lang, bis zu 8 cm tief und wies eine Breite bis zu 10 cm auf.

Die Klägerin behauptet, obwohl sie nur langsam gefahren sei, habe sie die Gefahrenstelle nicht erkennen können, weshalb sie völlig überraschend mit dem Vorderrad ihres Fahrrads in den Riss eingefädelt habe und steckengeblieben sei, worauf sie über das Fahrrad hinweg auf die Fahrbahn geschleudert worden sei. Durch den Sturz sei am rechten Auge eine Spenderhornhaut losgerissen und die Linse und der Glaskörper abgesprengt worden. Trotz Fahrradhelms habe sie eine Gehirnquetschung mit einer 7 cm langen Platzwunde über dem linken Auge, eine Prellung ihres linken Oberschenkels und der Schulter links sowie erhebliche Schürfungen auf der linken Körperseite erlitten. Das aufgrund der Oberschenkelprellung entstandene Hämatom habe in der Folge punktiert werden müssen. Durch die Verletzungen sei sie heute noch gravierend in ihrer Lebensführung beeinträchtigt. Sie ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt, weil sie auf die Gefahrenstelle nicht hingewiesen und diese nicht beseitigt habe.

Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt, weil die Gefahrenstelle durch einen aufmerksamen Fahrradfahrer zu erkennen gewesen wäre und bei nahezu täglichen Kontrollen keinerlei Schäden in diesem Streckenabschnitt festgestellt worden seien.

Mit Urteil vom 09.05.2003 hat das Landgericht die Klage auf Schadensersatz und Feststellung abgewiesen, weil die behauptete Schadstelle der Fahrbahn nach der Überzeugung des Gerichts mit dem Fahrrad gefahrlos zu überfahren gewesen sei und deshalb eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht vorliege. Vor der Klägerin hätten fünf Mitglieder ihrer Fahrradgruppe die Gefahrenstelle problemlos passiert.

Die Klägerin greift mit ihrer Berufung die Beweiswürdigung des Landgerichts aufgrund der vorgelegten Lichtbilder an. Auf diesen sei lediglich bei einer geringsten Entfernung von 1 bis 2 m die Schadensstelle gut erkennbar, während bei einer weiteren Entfernung von schätzungsweise allenfalls 5 m von einer guten Erkennbarkeit der Schadensstelle mit einem beiläufigen Blick nicht mehr die Rede sein könne. Bei der Erkennbarkeit sei nicht auf einen Fußgänger, sondern auf einen Fahrradfahrer abzustellen. Durch die Form des Loches habe das Vorderrad des Fahrrads einen Stoß bekommen können, so dass es auch dann einfädeln konnte, wenn das Fahrrad nicht parallel zu den Schienen gelenkt wurde. Wie die Klägerin bereits unter Beweisantritt in der ersten Instanz vorgetragen habe, sei drei Jahre zuvor an dieser Stelle ein Fahrradfahrer verunglückt, weshalb seit längerer Zeit der Straßenaufbruch vorhanden gewesen sei, der trotzdem den nach dem Vortrag der Beklagten täglich kontrollierenden Mitarbeiter des Bauhofs nicht aufgefallen sei. Dies spreche gegen die Erkennbarkeit dieses Straßenaufbruchs.

Die Klägerin beantragt:

Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Stuttgart -15 0 507/02 – vom 09.05.2003 wird die Beklagte verurteilt:

1.) An die Klägerin 16.991,60 EUR zzgl. 5 % Zinsen hieraus über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2.) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen weiteren materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus dem Verkehrsunfall vom 04.07.2001, in R. entsteht, soweit die diesbezüglichen Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder übergehen.

3.) Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird.

4.) Die Beklagte wird des weiteren verurteilt, an die Klägerin ab 04.07.2001 eine Schmerzensgeldrente zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gesetzt wird.

5.) Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin sämtlichen weiteren immateriellen Schaden aus dem Verkehrsunfall vom 04.07.2001 in Remshalden-Geradstetten zu ersetzen hat.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Az. 61 Js 67173/01, war zum Zweck der Information beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 839 BGB i.V.m. Art 34 GG zu.

1.

Die Beklagte ist für die Unfallstelle verkehrssicherungspflichtig, §§ 44, 9 StrG BaWü. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich danach, für welche Art von Verkehr ein Weg nach seinem äußerem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist. Die Behörden müssen jedoch mit Rücksicht auf die vielfältigen Aufgaben der öffentlichen Hand nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Deshalb haben die Behörden regelmäßig keine weiteren Pflichten, wenn die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können (BGH NJW 1970, 1126; VersR 1979, 1055; Senat OLGR 2002, 272; OLG Hamm, ZfS 1999, 140, 141; OLGR 1993, 54; OLG Koblenz DAR 2001, 460; OLG München OLGR 1998, 183). Der Verkehrssicherungspflichtige muss also im Rahmen der Zumutbarkeit die Gefahren ausräumen und ggf. vor ihnen warnen, die für den sorgfältigen Straßenbenutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einstellen kann (Senat, a.a.O.).

2.

Die Klägerin wendet sich insbesondere gegen die Beweiswürdigung des Ausgangsgerichts. Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn die beweiswürdigenden Darlegungen nachvollziehbarer Grundlagen entbehren oder wenn sie gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen Bedenken. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Lichtbild, die den Straßenaufbruch aus einer Entfernung von über 5 m zeigt, ist der Straßenaufbruch völlig problemlos zu erkennen. Selbst auf dem von der Beklagten vorgelegten Farbkopie eines Lichtbilds, das vor dem Andreskreuz und damit über 25 m vor dem Straßenaufbruch aufgenommen wurde, ist eine Unregelmäßigkeit im Straßenbelag erkennbar. Bestätigt wird die Erkennbarkeit durch in der beigezogenen Ermittlungsakte befindlichen guten Kopien der Lichtbilder Nr. 1 u. 2. Das Lichtbild Nr. 1 wurde weit vor dem Schild „unbeschrankter Bahnübergang“ und damit weit mehr als 45 m von der Unfallstelle entfernt aufgenommen. Bereits hier zeichnet sich der Aufbruch als kleiner dunkler Fleck vor der Schiene ab. Das Bild 2, das aus einer Entfernung von deutlich mehr als 5 m aufgenommen worden sein muss, ist der Straßenaufbruch leicht als solcher und mit seinen Ausmaßen erkennbar. Dies gilt auch für einen sich in Bewegung befindlichen Fahrradfahrer. Von einem auf die Straße und deren Zustand achtenden Fahrradfahrer wäre nicht nur zu erwarten gewesen, dass er zumindest aus der Entfernung, aus der das Bild 2 gemacht wurde, den Straßenaufbruch und die daraus sich ergebende Gefahr erkennt, sondern es wäre zu erwarten gewesen, dass er sich auf diese Gefahr in der Weise einstellt, dass ein Unfall vermieden wird. Dabei hätte ein sorgfältiger Fahrradfahrer entweder den Straßenaufbruch in einem Winkel überquert, dass er in diesen nicht einfädeln konnte, oder eine Geschwindigkeit eingehalten, die bei einem Einfädeln Schäden vermeidet, oder er hätte zwanglos seitlich an diesem Straßenaufbruch vorbeifahren und die Schiene überqueren können. Bei letzterem wäre hier einem Fahrradfahrer zugute gekommen, dass er die Fahrbahn nach rechts vollständig ausnutzen konnte, weil sich auf der Höhe der Unfallstelle auf der rechten Seite kein Bordstein, sondern eine durchgängige Asphaltdecke befand.

Angesichts der guten Erkennbarkeit der Schadensstelle aus einer Entfernung, die eine angemessene, unfallvermeidende Reaktion des Radfahrers zugelassen hätte, bestand gegenüber der Klägerin keine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten durch einen Warnhinweis oder eine Beseitigung des Straßenaufbruchs.

3.

Selbst wenn eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten bejaht werden

würde, müsste deren Haftung gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen eines weit überwiegenden Mitverschuldens der Klägerin am Unfall und ihren daraus entstandenen Verletzungen ausscheiden.

Bereits durch die Beschilderung, aber auch durch die von weitem erkennbaren Schienen war die Klägerin als Radfahrerin hier auf eine besondere Gefahrenstelle aufmerksam gemacht worden. Im Bereich von Schienen ist durch die Schienen selbst, erfahrungsgemäß aber häufig auch durch die Anbindung des Straßenbelags an die Schienen mit besonderen Gefahren zu rechnen, auf die sich ein Radfahrer mit seiner Geschwindigkeit einstellen muss.

Aus der Nähe war der Straßenaufbruch mit einer Breite von bis zu 10 cm so gut erkennbar, dass zumindest ein Ausweichen der Klägerin zu erwarten gewesen wäre. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass der Unfall vermieden worden wäre, wenn sie ihr Fahrrad nur wenige Zentimeter weiter rechts oder links an der breitesten Stelle des Straßenaufbruchs vorbeigelenkt hätte.

Auch das folgenlose Passieren der Unfallstelle durch fünf vor der Klägerin fahrende Fahrradfahrer spricht für einen individuellen Fahrfehler, den möglicherweise der als Zeuge benannte Herr H. drei Jahre zuvor in ähnlicher Weise begangenen haben mag. Die Klägerin beruft sich auf die blendende Abendsonne. Wenn die Klägerin von der Sonne geblendet wurde, hätte sie sich mit ihrer Geschwindigkeit hierauf einstellen müssen.

4.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision wird nicht zugelassen, § 543 Abs. 2 ZPO.

 

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