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Fahrradunfall eines Kindes mit parkendem Fahrzeug

LG Saarbrücken

Az: 13 S 133/09

Urteil vom 20.11.2009

Vorinstanz: AG Saarbrücken, 04.02.2009, Az: 4 C 544/07


1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 4.2.2009 – 4 C 455/07 – abgeändert und die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Nach einem Verkehrsunfall am 4.9.2007 begehrt der Kläger vom Beklagten, einem zum Unfallzeitpunkt neunjährigen Kind, Schadensersatz wegen der Beschädigung seines PKW. Am Unfalltag parkte der Kläger sein Fahrzeug in … in … gegenüber dem an der Ecke … gelegenen Hausanwesen „…“. Das  Fahrzeug stand dabei in Fahrtrichtung gesehen am linken Fahrbahnrand Der Beklagte kam mit seinem Fahrrad aus der Gegenrichtung und fuhr frontal gegen den klägerischen PKW.

Erstinstanzlich hat der Kläger den von ihm behaupteten Sachschaden (1.647,63 EUR) auf Gutachterbasis nebst vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten (126,68 EUR) und Verzugszinsen geltend gemacht.

Der Beklagte ist dem mit der Behauptung entgegen getreten, er sei durch einen Zuruf des Zeugen … abgelenkt gewesen. Außerdem habe das Fahrzeug des Klägers im Bereich eines Park- und Halteverbots gestanden. Es sei daher mit der Verkehrssituation überfordert gewesen, so dass seine Haftung wegen § 828 Abs. 2 BGB ausscheide.

Das Amtsgericht hat zum Unfallhergang und zum Schadensumfang die Parteien angehört, Zeugen vernommen und ein Sachverständigengutachten eingeholt. Mit der angefochtenen Entscheidung hat es den Beklagten zum Schadensersatz von 1.271,65 EUR nebst vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten (126,68 EUR) und Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.11.2007 verurteilt. Zur Begründung hat die Erstrichterin ausgeführt, dass sich eine typische Überforderungssituation des beklagten Kindes infolge des behaupteten Zurufs nicht habe nachweisen lassen, und der Umstand, dass der PKW im Halteverbot gestanden habe, nicht dem Schutz des Beklagten gedient habe. Daher sei seine Haftung für den Unfallschaden, der sich auf 1.271,65 EUR belaufe, nicht ausgeschlossen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag auf Klageabweisung weiter verfolgt. Er wiederholt sein Vorbringen aus der ersten Instanz, wonach er insbesondere durch ein Rufen abgelenkt worden sei. Der Ruf könne zwar auch von einer anderen Person als dem Zeugen … gestammt haben. Jedenfalls sei er wegen des Geräuschs mit der Verkehrslage überfordert gewesen. Außerdem sei das Amtsgericht von einer falschen Beweislastverteilung ausgegangen. Bleibe es – wie vom Amtsgericht angenommen – offen, ob eine Überforderungslage bestanden habe, sei gerade keine Haftung des Kindes gegeben. Zudem sei die Feststellung des Amtsgerichts hinsichtlich des Schadensumfanges fehlerhaft, weil nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens die Schäden am PKW nicht von seinem Fahrrad herrühren könnten, sondern zum Teil Vorschäden gewesen seien.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung, behauptet jedoch weiterhin, sein Fahrzeug nicht im Halteverbot abgestellt zu haben. Er habe sein Fahrzeug zwar entgegen der Fahrtrichtung geparkt; dies habe jedoch zu keiner typischen Überforderung eines Kindes im Straßenverkehr führen können, was sachverständig nachzuweisen sei.

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und in der Sache begründet. Die erstinstanzliche Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten (§ 513 ZPO), da eine Verpflichtung des Beklagten zum Schadensersatz nach § 823 BGB nicht besteht.

1. Gemäß § 828 Abs. 2 BGB haften Kinder, die das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für einen Schaden, den sie bei einem Verkehrsunfall mit einem Kraftfahrzeug verursacht haben, grundsätzlich nicht. Nach diesem Grundsatz scheidet auch die Haftung des Beklagten aus, da er zur Unfallzeit das zehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

2. Auch besteht im Streitfall kein Anlass, von der grundsätzlichen Haftungsbefreiung, den das Gesetz Kindern unter zehn Jahren im Straßenverkehr zubilligt, ausnahmsweise abzusehen.

a) Nach den maßgeblichen Grundsätzen des Bundesgerichtshofs zum Anwendungsbereich des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. zuletzt BGH VersR 2009, 1136) ist zwar eine teleologische Reduktion der Vorschrift vorzunehmen, wenn sich keine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Hiernach ist die Haftungsfreistellung etwa in Fällen verneint, in denen Kinder der privilegierten Altersgruppe mit einem Kickboard oder Fahrrad gegen ein ordnungsgemäß geparktes Fahrzeug gestoßen sind und dieses beschädigt haben (vgl. BGH VersR 2009,  1136; BGHZ 161,  180; BGH VersR 2005, 380 und VersR 2005, 378). Demgegenüber ist eine typische Überforderungssituation für einen Minderjährigen unter zehn Jahren in mehreren Fällen bejaht worden: So für einen achtjährigen Jungen, der mit dem Fahrrad gegen einen in einer Straßeneinmündung anhaltenden PKW stieß, wobei die Sicht für ihn durch eine Hecke beeinträchtigt war (vgl. BGH VersR 2009, 1136; BGHZ 172, 83 ff.); bei einem Zusammenstoß zwischen dem führungslos rollenden Fahrrad eines achtjährigen Jungen und dem Fahrzeug des Geschädigten, das in diesem Augenblick vorbeifuhr (vgl. BGH VersR 2009, 1136 und VersR 2007, 1669) und für das Fahren mit dem Fahrrad gegen die geöffneten hinteren Türen eines am Straßenrand stehenden PKW (vgl. BGH VersR 2009, 1136 und VersR 2008, 701). Daraus ergibt sich, dass für das Eingreifen des Haftungsprivilegs nicht etwa zwischen dem fließenden und dem ruhenden Verkehr zu unterscheiden ist, wenn es auch im fließenden Verkehr häufiger als im sogenannten ruhenden Verkehr eingreifen mag. In besonders gelagerten Fällen kann sich auch im ruhenden Verkehr eine spezifische Gefahr des motorisierten Verkehrs verwirklichen (vgl. BGH VersR 2009, 1136; BGHZ 161, 180, 185). Für die Frage, ob der Haftungsausschluss nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB überhaupt in Betracht kommt, ist maßgebend darauf abzustellen, ob eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr gegeben war. Allerdings kommt es nicht darauf an, ob sich die Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten. Um eine klare Grenzlinie für die Haftung von Kindern zu ziehen, hat der Gesetzgeber die Fallgestaltungen vielmehr einheitlich in der Weise geregelt, dass er die Altersgrenze der Deliktsfähigkeit von Kindern für den Bereich des motorisierten Verkehrs generell auf die Vollendung des 10. Lebensjahres heraufgesetzt hat (vgl. BGH VersR 2009, 1136 m.w.Nw).

b) Im Rahmen des § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB geht das Gesetz mithin im Regelfall von der fehlenden Verantwortlichkeit des Minderjährigen unter den dort genannten Voraussetzungen aus. § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB enthält somit eine Vermutung für die Deliktsunfähigkeit des Minderjährigen im Alter zwischen sieben und zehn Jahren im motorisierten Straßenverkehr (vgl. BGH aaO). Demzufolge haften Minderjährige in der Regel vor Voltendung des 10. Lebensjahres nicht bei einem Unfall mit den in § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB genannten Fahrzeugen, es sei denn, dass sie – wie hier nicht – vorsätzlich gehandelt haben (§ 828 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Darlegungs- und Beweislast für die nach dem Gesetzeswortlaut erforderlichen tatsächlichen Voraussetzungen für das Eingreifen von § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB liegt nach den allgemeinen beweisrechtlichen Grundsätzen beim Schädiger und somit beim Kind. Deshalb trägt der Minderjährige die Beweislast für die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung seiner fehlenden Deliktsfähigkeit nach § 828 Abs. 2 Satz 1 BGB. Er muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er im Zeitpunkt des Unfalls im motorisierten Verkehr noch nicht das 10. Lebensjahr vollendet hatte. Dies steht vorliegend außer Streit. Hingegen handelt es sich um die Ausnahme vom Regelfall, wenn die nach dem Normzweck erforderliche besondere  Überforderungssituation fehlt und  deshalb die  Haftungsfreistellung nicht zur Anwendung kommt (vgl. BGH aaO.). Der Geschädigte, der sich darauf beruft, hat deshalb darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass sich nach den Umständen des Falles die typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs bei einem Unfall nicht realisiert hat (vgl. BGH aaO.).

c) Diesen Nachweis konnte der Kläger nicht führen, und zwar ungeachtet der in der ersten Instanz als maßgeblich erachteten Frage, ob der Beklagte infolge eines Zurufs abgelenkt war oder nicht. Dass der Unfall auf einer typischen Überforderungssituation des Beklagten beruht hat, ist schon deshalb nicht auszuschließen, weil der Kläger sein Fahrzeug verkehrswidrig abgestellt hat.

aa) Im Unterschied zu den Fallgestaltungen, in denen das Eingreifen des Haftungsprivilegs im ruhenden Verkehr verneint worden ist, kann man unter den hier gegebenen Umständen nicht davon ausgehen, dass der Kläger sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Ein Parkverstoß lässt sich zwar nicht wegen eines durch Verkehrszeichen angeordneten Halte- oder Parkverbots feststellen. Die dahin gehende Feststellung des Amtsgerichts, wonach das Klägerfahrzeug im Parkverbot gestanden habe, ist für die Kammer nicht bindend i S.d. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, weil die Frage erstinstanzlich umstritten blieb, gleichwohl aber keine Beweiserhebung darüber stattgefunden hat. Allerdings ergibt sich ein verkehrswidriges Parken des Klägers bereits daraus, dass er sein Fahrzeug entgegen § 12 Abs. 4 StVO in Fahrtrichtung gesehen nicht am rechten Fahrbahnrand abgestellt hat, sondern am linken Rand. Zulässig ist das Linksparken gemäß § 12 Abs. 4 StVO allerdings nur in Einbahnstraßen, da dort kein Gegenverkehr stattfindet, oder dort, wo infolge rechtsseitig verlegter Schienen keine andere Parkmöglichkeit besteht. Beides ist vorliegend nicht der Fall gewesen.

bb) Das verkehrswidrige Parken am linken Fahrbahnrand führt dazu, dass auch im hier vorliegenden ruhenden Verkehr jedenfalls eine generelle Überforderungssituation des beklagten Kindes nicht auszuschließen ist. Durch das in § 12 Abs 4 StVO normierte Rechtsparkgebot soll gerade der Gegenverkehr, dem auch der Kläger angehörte, vor den Gefahren bewahrt werden, die ansonsten das Linksparken mit dem Überqueren der Fahrbahn durch ein- und ausparkende Fahrzeuge in Richtung des Gegenverkehrs mit sich bringen würde. Wird gleichwohl links geparkt, erfordert dies bereits von einem erwachsenen Verkehrsteilnehmer erhöhte Aufmerksamkeit, um sich auf die damit einhergehende Gefahrenlage hinreichend einzustellen. Erst recht kann eine solche Situation zu einer Überforderung eines Kindes unter zehn Jahren führen, das gerade noch nicht über genügende Erfahrungen im Straßenverkehr verfügt, um sein Verhalten auf dessen Gefahren ausreichend einzustellen. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, ob das verkehrswidrig abgestellte Fahrzeug mit Insassen besetzt oder – wie im Streitfall -unbesetzt war. Bereits der Umstand des Linksparkens genügt, um eine besondere Aufmerksamkeit für das Fahrzeug zu erfordern, um sich jedenfalls zu vergewissern, ob das Fahrzeug unbesetzt ist und damit keine weitere Gefahr darstellt oder ob mit einem plötzlichen Anfahren in die eigene Fahrtrichtung gerechnet werden muss. Da die Frage der generellen Überforderung allein auf einer rechtlichen Bewertung des Falles beruht, bedurfte es für deren Beantwortung auch nicht der vom Kläger beantragten Beweiserhebung durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Ob sich die generelle Überforderungssituation dabei im Unfallgeschehen konkret ausgewirkt hat, ist – wie zuvor dargelegt – ohne Belang (vgl. BGH aaO), so dass der Beklagte für die Unfallfolgen nicht zur Verantwortung zu ziehen ist.

III

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs 2. ZPO).

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