Landgericht Saarbrücken
Az: 13 S 75/14
Urteil vom 18.07.2014
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Völklingen vom 12.03.2014 – 16 C 273/13 (11) – wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 30.04.2013 auf dem Parkplatz des Aldi-Marktes „…“ in … ereignet hat.
Der Kläger hatte sein Fahrzeug in einer Parktasche des Einkaufsmarktes abgestellt. Beim Versuch, das Fahrzeug rückwärts auszuparken, kollidierte er mit der linken Vorderseite des in der Fahrgasse vorbeifahrenden Fahrschulfahrzeugs des Zweitbeklagten, das mit dem Erstbeklagten als Fahrschüler und dem Zeugen … als Fahrlehrer besetzt war.
Mit seiner Klage hat der Kläger auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens 50% des unstreitig an seinem Fahrzeug eingetretenen Schadens in Höhe von 2.042,76 €, mithin 1.021,38 €, und eine Unkostenpauschale von 25,- €, demnach insgesamt 1.046,38 € nebst Zinsen sowie vorgerichtlichen Anwaltskosten geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagten treffe ein Mitverschulden. An der Unfallstelle gebe es keine vorfahrtsberechtigte Fahrbahn, so dass der Erstbeklagte zusammen mit dem Zeugen … bei entsprechender Aufmerksamkeit den Unfall hätte vermeiden können.
Die Beklagten sind dem entgegengetreten und haben vorgetragen, das Beklagtenfahrzeug sei lediglich mit 7 bis 8 km/h im 1. Gang gefahren, als der Kläger mit zu hoher Geschwindigkeit und völlig unachtsam aus der Parklücke herausgefahren sei. Der Unfall sei für den Erstbeklagten unabwendbar gewesen.
Das Amtsgericht hat den Kläger angehört und den Zeugen … vernommen. Danach hat es die Klage abgewiesen. Der Erstrichter hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger trage die alleinige Verantwortung für den Unfall, weil er gegen das auf Parkplätzen bestehende allgemeine Rücksichtnahmegebot verstoßen habe und ein Verschulden des Erstbeklagten nicht feststehe.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiter.
Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
1. Die Abweisung der Klage gegen den Erstbeklagten erweist sich im Ergebnis als richtig, weil der Erstbeklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt für die Unfallfolgen einzustehen hat.
a) Eine Haftung des Erstbeklagten als Fahrschüler nach § 18 Abs. 1 StVG (Ersatzpflicht des Fahrzeugführers) kommt nicht in Betracht, da der Erstbeklagte nicht als Kraftfahrzeugführer im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist. Nach § 2 Abs. 15 StVG gilt bei einer Ausbildungs-, Prüfungs- und Begutachtungsfahrt – wie hier – ausschließlich der Fahrlehrer als Kraftfahrzeugführer. Eine Haftung des Fahrschülers nach § 18 StVG ist mithin ausgeschlossen (stellv. für alle: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 2 StVG Rn. 2).
b) Zwar bewirkt § 2 Abs. 15 StVG keinen generellen Haftungsausschluss. Vielmehr gilt für Fahrschüler im Außenverhältnis zu dritten Verkehrsteilnehmern die allgemeine Verschuldenshaftung gem. § 823 BGB. Sie greift aber nur durch, wenn ein Fahrschüler einen Fahrfehler begeht, den er auch unter Berücksichtigung seiner Ausbildungssituation nach Maßgabe seines subjektiven Wissens und Könnens unschwer hätte vermeiden können (vgl. OLG Koblenz, VersR 2004, 1283; Hentschel aaO § 2 StVG Rn. 43 m.w.N.). Davon kann hier schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil nicht nachgewiesen ist, dass der Erstbeklagte von seinem Ausbildungsstand überhaupt in der Lage gewesen wäre, den Unfall zu vermeiden.
2. Der Erstrichter hat auch zu Recht die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) abgewiesen, weil die nach § 17 Abs. 1, 2 StVG gebotene Haftungsabwägung zu einer Alleinhaftung des Klägers führt. Der Kläger hat den Unfall allein verschuldet und das Verschulden des Klägers wiegt unter den gegebenen Umständen so schwer, dass dahinter die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurücktritt. Auf die Frage, ob der Unfall für den Führer des Beklagtenfahrzeugs bereits nach § 17 Abs. 3 StVG unabwendbar gewesen ist, kommt es daher nicht an (zum Unabwendbarkeitsnachweis auf Parkplätzen vgl. Kammer, Urteile vom 09.07.2010 – 13 S 61/10, ZfS 2011, 494, und vom 10.02.2012 – 13 S 181/11, NZV 2012, 288).
a) Nach der Rechtsprechung der Kammer findet – wie der Erstrichter zutreffend ausgeführt hat – § 9 Abs. 5 StVO und der dem rückwärts Fahrenden auferlegte Gefährdungsausschluss auf Parkplätzen keine unmittelbare Anwendung, da die Vorschrift vorrangig den fließenden Verkehr schützen will. Auf einem Parkplatz, dem – wie im Streitfall – der eindeutige Straßencharakter fehlt und der daher allein dem ruhenden Verkehr dient, ist der Schutzzweck des § 9 Abs. 5 StVO nicht unmittelbar betroffen; denn es muss dort anders als im fließenden Verkehr jederzeit mit rangierenden und damit auch rückwärts fahrenden Fahrzeugen gerechnet werden (vgl. Kammer, Urteile vom 09.07.2010 aaO und vom 10.12.2010 – 13 S 80/10, jeweils m.w.N.). Stattdessen ist hier das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme gemäß § 1 Abs. 2 StVO zu beachten. Nach dieser Vorschrift muss sich ein Verkehrsteilnehmer so verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Dabei ist die besondere Gefährlichkeit des Rückwärtsfahrens, die allein durch das eingeschränkte Sichtfeld des Rückwärtsfahrenden für den rückwärtigen Verkehr besteht, mit einzubeziehen mit der Folge, dass die Wertung des § 9 Abs. 5 StVO sinngemäß Anwendung findet. Der Rückwärtsfahrende muss sich daher so verhalten, dass er bei Erkennbarkeit der Gefahr sein Fahrzeug notfalls sofort anhalten kann. Kollidiert er beim rückwärtigen Ausparken mit einem anderen Fahrzeug, spricht ein Anscheinsbeweis für sein Verschulden, wenn ihm – wie der Erstrichter zutreffend und in der Berufung nicht angegriffen festgestellt hat – der Nachweis nicht gelingt, dass er vorkollisionär angehalten hat (vgl. Kammer, Urteile vom 09.07.2010 aaO; vom 10.12.2010 aaO und vom 27.05.2011 – 13 S 25/11, jeweils m.w.N.). Umstände, die diesen Anscheinsbeweis erschüttern oder widerlegen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
b) Demgegenüber ist ein Verschulden des Zeugen … als Führer des Beklagtenfahrzeugs nicht nachgewiesen. Zwar traf den Zeugen … die Pflicht, in ständiger Bremsbereitschaft zu fahren (§ 1 Abs. 2 StVO; vgl. Kammer, st. Rspr.; vgl. Urteile vom 27.05.2011 aaO und vom 10.02.2012 aaO). Die Berufung verkennt allerdings, dass ein unfallursächlicher Verstoß des Zeugen … gegen diese Pflicht nicht festgestellt werden kann. Denn es lässt sich schon aufgrund dessen, dass die Geschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs beim Rückwärtsfahren nicht mehr eingrenzbar ist, nicht mehr beweissicher nachvollziehen, wann eine entsprechende Reaktionsaufforderung an den Zeugen … ergangen ist. Damit bleibt aber offen, ob der Zeuge … bei entsprechender Sorgfalt den Unfall durch eine rechtzeitige Reaktion hätte vermeiden können. Der Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens bedurfte es insoweit mangels geeigneter tatsächlicher Anknüpfungspunkte nicht.
c) Im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 17 Abs. 1, 2 StVG wiegt der Verkehrsverstoß des Klägers unter den gegebenen Umständen so schwer, dass dahinter die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurücktritt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer trifft den Rückwärtsfahrenden eine vergleichsweise höhere Sorgfaltspflicht als den Vorwärtsfahrenden, da wegen der eingeschränkten Sichtverhältnisse dem Rückwärtsfahren eine höhere Gefahr innewohnt als dem Vorwärtsfahren (Kammer, st. Rspr.; vgl. zuletzt Urteil vom 19.07.2013 – 13 S 61/13, ZfS 2013, 564 m.w.N.). Diese begründet regelmäßig eine überwiegende Haftung des Rückwärtsfahrenden, wenn zulasten des Vorwärtsfahrenden lediglich die einfache Betriebsgefahr seines Fahrzeugs in Ansatz gebracht werden kann (vgl. Kammer, st.Rspr.; vgl. Urteil vom 19.07.2013 aaO). Ein Zurücktreten der Betriebsgefahr kommt bei Parkplatzunfällen wie dem vorliegenden nur ausnahmsweise in Betracht, wenn das Verschulden des Rückwärtsfahrenden durch besondere Umstände erschwert ist (Kammer, st. Rspr.; zuletzt Urteil vom 19.07.2013 aaO m.w.N.). Solche außergewöhnlichen Umstände liegen hier aber vor. Denn der Zeuge … ist auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts, die von der Berufung nicht konkret angegriffen werden, im 1. Gang mit Schrittgeschwindigkeit gefahren (hier: 6 km/h) und hat zudem sofort gebremst, wohingegen der Kläger „zügig“ aus seiner Parkbucht nach hinten ausgefahren und dabei ohne die gebotene Rückschau in das Beklagtenfahrzeug hineingefahren ist. Unter diesen Umständen ist aber die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs so gering, dass sie gegenüber dem schweren Sorgfaltsverstoß des Klägers haftungsmäßig nicht mehr ins Gewicht fällt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).