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Fahrtenbuchauflage für Motorradhalter bei einmaligem Verkehrsverstoß


Oberverwaltungsgericht Lüneburg

Az: 12 LB 76/14

Urteil vom 08.07.2014


Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade – 1. Kammer (Einzelrichter) – vom 8. März 2013 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Mit dem auf den Kläger zugelassenen Motorrad mit dem amtlichen Kennzeichen F. wurde am 6. Juni 2010 in G. die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften von dort 70 km/h um (nach Toleranzabzug) 27 km/h überschritten.

Der Beklagte übersandte dem Kläger unter dem 14. Juni 2010 einen Anhörbogen mit einem Heckfoto des an dem Vorfall beteiligten Motorrades. Der Kläger nahm daraufhin zunächst durch seinen Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht und erklärte am 15. Juli 2010, er wisse nicht, wer zur fraglichen Zeit das Motorrad gefahren habe. Es werde zeitweise auch von anderen Familienmitgliedern benutzt. Der Beklagte richtete daraufhin ein Ermittlungsersuchen an die Polizeistation H.. Ausweislich eines polizeilichen Vermerks vom 23. August 2010 erklärte der Kläger, er mache keine Angaben zur Sache, er äußere sich nur über seinen Anwalt und mache von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Nachdem auch weitere Ermittlungen (Befragung in der Nachbarschaft, Anhörung der beiden Söhne des Klägers) keine Erkenntnisse erbrachten, wurde das Bußgeldverfahren am 23. September 2010 eingestellt.

Mit Verfügung vom 7. Oktober 2011 ordnete der Beklagte nach Anhörung des Klägers daraufhin für das genannte Fahrzeug oder ein Ersatzfahrzeug das Führen eines Fahrtenbuchs für die Dauer von 15 Monaten an, weil der verantwortliche Fahrzeugführer bei dem Verkehrsverstoß nicht habe ermittelt werden können. Dies wird näher erläutert. Ferner heißt es:

„Nur einmalige, unwesentliche verkehrsrechtliche Verstöße rechtfertigen nicht die Auflage zur Führung eines Fahrtenbuches. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h außerhalb einer geschlossenen Ortschaft um 27 km/h kann jedoch nicht mehr als geringfügige Verkehrsordnungswidrigkeit angesehen werden, da es sich hierbei um eine stark unfallträchtige Verhaltensweise handelt. Dieser Verkehrsverstoß wäre mit einem Bußgeld in Höhe von 80,00 Euro und der Eintragung von 3 Punkten in das Verkehrszentralregister zu ahnden gewesen.

Eine unaufgeklärte Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h ist als so gewichtig einzustufen, dass auch bei einem erstmaligen Verstoß die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches nicht unverhältnismäßig ist. Eine konkrete Wiederholungsgefahr braucht nicht festgestellt zu werden, auch wird der Nachweis einer konkreten Gefahr nicht vorausgesetzt. Eine Befristung auf 15 Monate ist der Schwere des Verstoßes angemessen. Mit der Fahrtenbuchanordnung soll dafür gesorgt werden, dass künftig die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich ist, auch wenn Sie als Fahrzeughalter den Verstoß nicht begangen haben und auch selbst bisher nicht auffällig geworden sind.“

Dagegen hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2011 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem im Tenor näher bezeichneten Urteil die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der angefochtene Bescheid des Beklagten sei rechtmäßig. Gemäß § 31a StVZO könne die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich gewesen sei. Diese Voraussetzungen lägen vor. Die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 27 km/h sei ein mit drei Punkten bewerteter Verkehrsverstoß und damit so gewichtig, dass eine Fahrtenbuchauflage gerechtfertigt sei. Voraussetzung für die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage sei nicht, dass der begangene Verkehrsverstoß zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt habe, dass es sich um einen wiederholten Verstoß gehandelt habe oder eine charakterliche Unzuverlässigkeit anzunehmen sei. Die Feststellung der Person, die bei dem Verkehrsverstoß am 6. Juni 2010 das Fahrzeug des Klägers gefahren habe, sei der zuständigen Behörde nicht möglich gewesen. Nicht möglich im Sinne des § 31 a StVZO sei die Fahrerfeststellung dann, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen sei, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen habe. Angemessen seien die Maßnahmen, die die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen habe, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht würden und erfahrungsgemäß Erfolg haben könnten. Dabei könnten sich Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde an der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehne dieser erkennbar die Mitwirkung bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab oder sei er aus anderen Gründen nicht in der Lage, zur Aufklärung beizutragen, so sei es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. Der Kläger habe keinerlei Angaben zum in Frage kommenden Nutzerkreis gemacht und damit der ermittelnden Bußgeldstelle keinerlei Möglichkeiten an die Hand gegeben, die festgestellte Ordnungswidrigkeit aufzuklären. Der Tatbestand des § 31a StVZO, dass nämlich die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich gewesen sei, sei in einem solchen Fall offensichtlich erfüllt. Die Dauer der angeordneten Fahrtenbuchauflage und die hierzu durch den Beklagten getätigte Ermessensausübung seien aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Gericht halte die von dem Beklagten im Einzelnen erläuterte Verwaltungspraxis, bei Vorfällen mit einem Motorrad eine im Vergleich zu Pkw um drei bis sechs Monate längere Dauer der Fahrtenbuchanordnung auszusprechen, für nicht ermessensfehlerhaft. Die Erwägung, dass ein Motorrad in der Regel – wie auch im Falle des Klägers – nur außerhalb der Wintermonate zugelassen sei, lasse hiervon ausgehend die Entscheidung zu, eine um drei (wie hier) bzw. sechs Monate verlängerte Fahrtenbuchauflage auszusprechen. Denn die Führung eines Fahrtenbuchs, die aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen anzuordnen sei, solle ihre Wirkung für einen bestimmten Zeitraum entfalten. Diese Wirkung entfiele aber zumindest teilweise, wenn ein Fahrzeug – wie hier – in dem festgelegten Zeitraum nicht durchgängig, sondern nur zeitweise überhaupt zum Straßenverkehr zugelassen sei. Die von dem Beklagten getroffene Ermessensentscheidung sei damit durch das Gericht nicht zu beanstanden.

Auf Antrag des Klägers hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 9. April 2014 (Az.: 12 LA 95/13) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen. Dies wurde, wie folgt, begründet: Der Kläger mache geltend, die Frage, ob eine in der Verwaltungspraxis des Beklagten vorgesehene – und auch in seinem Fall vorgenommene – pauschale Verlängerung der Dauer der Fahrtenbuchauflage bei Motorrädern im Verhältnis zu Pkw mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG zulässig sei, sei klärungsbedürftig und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht geklärt. Damit habe er den Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (noch) hinreichend dargelegt.

Der Kläger macht zur Begründung seiner Berufung geltend, es sei ermessensfehlerhaft, dass der Beklagte in ständiger Verwaltungspraxis bei Vorfällen mit dem Motorrad die für die Führung eines Fahrtenbuchs für Pkw vorgesehene Dauer um drei bis sechs Monate verlängere und deshalb bei ihm statt der im Falle eines 3-Punkt-Verstoßes sonst verfügten Dauer von 12 Monaten 15 Monate vorgesehen habe. Im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung, die das individuelle Nutzerverhalten nicht exakt erfassen könne und wolle, dürften keine pauschalen „Zuschläge“ vorgenommen werden. Die Dauer der Fahrtenbuchauflage könne nämlich nicht von der individuellen Entscheidung des Halters abhängen, ob er das betroffene Motorrad in den Wintermonaten abmelde. Andernfalls müsse man immer das konkrete Nutzungsverhalten erfassen und berücksichtigen. Dies geschehe jedoch nicht. Angesichts dessen stelle die Verschärfung der Gefahrenabwehrmaßnahme für die Halter von Motorrädern im Verhältnis zu denen von Pkw durch pauschale Erhöhung der Dauer einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar. Dies gelte umso mehr, als von Motorrädern eine geringere Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgehe, Motorräder im Verhältnis zu Pkw eine geringere Jahresfahrleistung hätten und Verkehrsunfälle, an denen Motorräder beteiligt seien, deutlich seltener seien als solche mit Pkw. Angesichts dessen müsse die Dauer der Fahrtenbuchauflage nach Gefahrenabwehrmaßstäben in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz sogar reduziert werden, vorliegend auf nicht mehr als neun Monate. Aus den genannten Gründen liege jedenfalls eine fehlerhafte Ermessensausübung vor.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 8. März 2013 verkündeten Urteils des Verwaltungsgerichts Stade den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2011 aufzuheben,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er macht geltend, es werde durch die streitgegenständliche Verwaltungspraxis weder eine ungleichmäßige Rechtsanwendung begründet noch ein völlig undifferenzierter „Zuschlag“ für Halter von Motorrädern bei der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage vorgenommen. Vielmehr werde durch die – in der Regel unter Berücksichtigung der Einzelfallumstände stattfindende – Anordnung eines Fahrtenbuchs von drei bis sechs Monaten längerer Dauer den Besonderheiten der Motorradhaltung Rechnung getragen. Es dürfte unstreitig sein, dass Motorräder, anders als Pkw, in der Regel von den jeweiligen Haltern nicht ganzjährig genutzt würden, sondern eine Nutzung in den Wintermonaten regelmäßig nicht oder nur eingeschränkt erfolge. Um jedoch wie bei Haltern von Pkw im Rahmen der Gefahrenabwehr die gleiche Präventionswirkung zu erreichen, müsse die Dauer an die Besonderheiten der Motorradhaltung angepasst werden. Es müsse berücksichtigt werden, dass im Allgemeinen ein Motorrad in den Wintermonaten bis zu einem halben Jahr nicht oder nur eingeschränkt genutzt werde. Es bestehe mithin die Möglichkeit, dass beispielsweise die Anordnung, für sechs Monate ein Fahrtenbuch zu führen, u. U. gar keine gefahrenabwehrrechtliche Wirkung entfalte. Daher erscheine eine angemessene Verlängerung der Dauer sachgerecht. Im Übrigen habe der Kläger in der Zeit vor Anordnung der Fahrtenbuchauflage in den Wintermonaten sein Motorrad durchschnittlich sechs Monate außer Betrieb gesetzt. Er (der Beklagte) habe mithin sein Ermessen noch zugunsten des Klägers ausgeübt, indem er keine Verlängerung um sechs, sondern nur um drei Monate vorgenommen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.


Entscheidungsgründe

Die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers zu Recht abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die in § 31a StVZO normierten Tatbestandsvoraussetzungen für die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, liegen vor. Danach kann ein Fahrtenbuch angeordnet werden, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass zwar nicht jede, möglicherweise unbedeutende Verkehrszuwiderhandlung eine Fahrtenbuchauflage rechtfertigen kann. Erforderlich – aber auch ausreichend – ist vielmehr ein (ggf. auch erstmaliger oder einmaliger) Verkehrsverstoß von einigem Gewicht. Ein solcher liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. grundlegend: Urt. v. 17.5.1995 – 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227) vor, wenn der in Rede stehende Verstoß mit einem Punkt im Verkehrszentralregister einzutragen gewesen wäre. Auf eine konkrete Verkehrsgefährdung infolge des Verkehrsverstoßes kommt es nicht an. Ein solcher Verstoß ist hier durch die mit drei Punkten zu ahndende Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h hinreichend belegt.

Die Feststellung des Fahrzeugführers war „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die er sich zu eigen macht.

Anders als der Kläger erstinstanzlich geltend gemacht hat, folgt aus dem zwischen dem Verkehrsverstoß und der Fahrtenbuchauflage verstrichenen Zeitraum nicht die Rechtswidrigkeit der Fahrtenbuchauflage. Zwar ist denkbar, dass für die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage der zwischen der Begehung der Verkehrsordnungswidrigkeit und der Anordnung der Fahrtenbuchauflage verstrichene Zeitraum relevant sein kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286) und eine Fahrtenbuchauflage als Mittel der Gefahrenabwehr nach Ablauf eines erheblichen Zeitraums als unverhältnismäßig anzusehen ist. Welche Fristen hierfür in Erwägung zu ziehen sind, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beantworten. Dabei sind etwa die Dauer der notwendigen Ermittlungen, die Geschäftsbelastung der betroffenen Behörde und das Verhalten des Fahrzeughalters zu berücksichtigen (BVerwG, Beschl. v. 16.12.1991 – 3 B 108.91 -, zfs 1992, 286, juris Rdn. 3). Da bei der Berechnung des Zeitraums diejenigen Zeiten außer Acht bleiben, in denen der Fahrzeughalter etwa die sich aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten ausschöpft und dadurch selbst Anlass zu einer Verzögerung des Erlasses der Fahrtenbuchauflage bietet (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.1995 – 11 C 3.94 -, NZV 1995, 370, juris Rdn. 9; Beschl. v. 12.7.1995 – 11 B 18.95 -, NJW 1995, 3402, juris Rdn. 3; Beschl. d. Sen. v. 14.1.2013 – 12 LA 299/11 -, m.w.N.), ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzustellen. Die hier zwischen der Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens (23. September 2010) und dem Erlass des angefochtenen Bescheids (7. Oktober 2011) verstrichene Zeit von 12 1/2 Monaten, kann (noch) nicht als derart erheblich angesehen werden, dass sich schon deswegen die erlassene Fahrtenbuchauflage als unverhältnismäßig darstellte (vgl. Urt. d. Sen. v. 23.1.2014 – 12 LB 19/13 -, NJW 2014, 1610, das einen Zeitraum von ca. 18 Monaten zwischen Verfahrenseinstellung und Fahrtenbuchauflage betraf). Anhaltspunkte dafür, dass die Fahrtenbuchanordnung zwischenzeitlich funktionslos geworden sein oder eine Verwirkung vorliegen könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Ermessensentscheidung des Beklagten hinsichtlich des „Ob“ und der Dauer der Fahrtenbuchauflage ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei Ermessensentscheidungen sind gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG die für die Abwägung maßgeblichen Erwägungen sowie die Gründe, die dazu geführt haben, dass bestimmten Gesichtspunkten der Vorrang gegeben wurde, anzugeben (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl., § 39 Rn. 25). Das Fehlen einer ausreichend substantiellen, nachvollziehbaren Begründung oder die „Vagheit“ einer Begründung, der nichts Wesentliches zur Sache entnommen werden kann, ist bei Ermessensentscheidungen an sich schon ein Mangel, der als solcher den Verwaltungsakt rechtswidrig macht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 114 Rn. 48). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.

Die Entscheidung für die Auferlegung eines Fahrtenbuchs hat der Beklagte im angefochtenen Bescheid damit begründet, dass vorliegend eine mit drei Punkten in das Verkehrszentralregister einzutragende Verkehrszuwiderhandlung vorliege und schon eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h als so gewichtig einzustufen sei, dass sie selbst bei einem erstmaligen Verstoß und ohne zusätzliche Umstände die Auferlegung eines Fahrtenbuchs rechtfertige. Diese Darlegungen sind nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich der Dauer hat der Beklagte ausgeführt, die Befristung auf 15 Monate sei der Schwere des Verstoßes angemessen. Damit lässt der angegriffene Bescheid nicht erkennen, dass sich die Dauer der Fahrtenbuchauflage in der Verwaltungspraxis des Beklagten neben der Schwere des Verstoßes auch danach richtet, ob dieser mit einem Pkw oder einem Motorrad begangen wurde. Im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte die diesbezüglichen Ermessenserwägungen dann gemäß § 114 Satz 2 VwGO jedoch in noch zulässiger Weise ergänzt. Er hat erläutert, dass er bei einem mit drei Punkten zu ahndenden Verkehrsverstoß in der Regel die Führung eines Fahrtenbuchs für die Dauer von 12 Monaten anordne. Handele es sich bei dem betroffenen Fahrzeug jedoch um ein Motorrad, werde der Zeitraum um drei bis sechs Monate verlängert, weil dieses in den Wintermonaten nicht oder nur eingeschränkt genutzt werde. Im vorliegenden Fall habe er, da der Kläger in der Vergangenheit sein Motorrad im Winter immer für durchschnittlich sechs Monate abgemeldet habe, eine Verlängerung der Fahrtenbuchauflage um drei Monate (15 statt der sonst bei einem 3-Punkt-Verstoß üblichen 12 Monate) für sachgerecht erachtet. Die so ergänzten Ermessenserwägungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.

Eine Fahrtenbuchauflage verfolgt das Ziel, die Ordnung und Sicherheit des Straßenverkehrs bei gegebenem Anlass dadurch zu gewährleisten, dass in Zukunft der Täter einer Verkehrsordnungswidrigkeit über das Fahrtenbuch alsbald ermittelt werden kann (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 7.12.1981 – 2 BvR 1172/81 -, NJW 1982, 568; BVerwG, Beschl. v. 23.6.1989 – 7 B 90.89 -, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 20; Urt. d. Sen. v. 10.2.2011 – 12 LB 318/08 -, DAR 2011, 339). Stellt die Behörde – wie der Beklagte – im Regelfall hinsichtlich der Dauer zunächst auf das Gewicht des Verkehrsverstoßes ab, so ist es zulässig, anhand dieses Kriteriums zu staffeln. Da das Interesse der Allgemeinheit, bei weiteren Zuwiderhandlungen vergleichbarer Schwere den Fahrer nicht ermitteln zu können, wächst, je schwerer der Verstoß wiegt, ist es bei einem schweren Verstoß gerechtfertigt, dem Halter eine längere Überwachung der Nutzung seines Fahrzeugs zuzumuten. Dabei darf sich die Behörde – wie hier der Beklagte – bei der Bemessung des Gewichtes einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften an dem Punktsystem nach der Anlage 13 zu § 40 FeV orientieren (vgl. Urt. d. Sen. v. 10.2.2011 – 12 LB 318/08 -, a. a. O.) und bei einem 3-Punkt-Verstoß (nach bisheriger Systematik) im Regelfall eine Dauer von 12 Monaten vorsehen.

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Anders als der Kläger meint, war der Beklagte dabei nicht gehalten, bei Motorrädern wegen der geringeren Gefährdungsaspekte die Dauer der Fahrtenbuchauflage im Verhältnis zu Pkw zu verkürzen. Die vorliegenden Zahlen sprechen bereits gegen die These des Klägers, das von Motorrädern ausgehende Gefährdungspotential sei geringer als das von Pkw. Soweit der Kläger insoweit auf eine Statistik verweist, wonach 2011 etwa 370.000 Pkw an Unfällen mit Personenschaden beteiligt waren, aber nur etwa 30.000 Motorräder, belegt dies seine Annahme jedenfalls nicht. Setzt man diese Zahl nämlich in Relation zu der Zahl der zugelassenen Pkw bzw. Motorräder (am 1. Januar 2014 etwa 43.850.000 zu 3.100.000, Quelle: Fahrzeugstatistik des Kraftfahrt-Bundesamts http://www.kba.de/cln_031/nn_125398/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/2014__b__ueberblick__pdf,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/2014_b_ueberblick_pdf.pdf), so zeigt sich, dass Motorräder im Verhältnis durchschnittlich nicht weniger, sondern häufiger in Unfälle mit Personenschaden verwickelt sind als Pkw (0,97 % zu 0,84 %) und dies trotz der durchschnittlich geringeren Laufleistung, auf die der Kläger ebenfalls hinweist. Angesichts dessen kann jedenfalls von einem erheblich geringeren Gefährdungspotential von Motorrädern im Verhältnis zu Pkw, dem der Beklagte durch eine Verkürzung der Dauer der Fahrtenbuchauflage bei Motorrädern hätte Rechnung tragen müssen, nicht die Rede sein.

Es ist rechtlich auch vertretbar, dass der Beklagte in seiner Verwaltungspraxis üblicherweise für Motorräder eine drei bis sechs Monate längere Dauer der Fahrtenbuchauflage als bei Pkw vorsieht (im Ergebnis ebenso: VG Würzburg, Urt. v. 23.1.2012 – W 6 K 12.87 -, juris). Insbesondere verstößt diese Praxis nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Ermessensrichtlinien müssen – wie auch die hier vom Beklagten angewandte „Verwaltungspraxis“ – sachgerecht sein, insbesondere vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben (vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 23.2.1961 – II C 75.58 -, NJW 1961, 1323). Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches nach seiner Eigenart verschieden zu behandeln. Es muss mithin für die Unterscheidungen und Nichtunterscheidungen ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund angegeben werden können (BVerwG, Urt. v. 5.7.2012 – 8 C 22.11 -, BVerwGE 143, 240). Ein Verstoß gegen dieses Gleichheitsgebot läge vor, wenn der Beklagte für die im Regelfall verfügte „Verlängerung“ der sonst üblichen Fahrtenbuchdauer keinen sachlich gerechtfertigten Grund anführen könnte (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.5.2012 – 6 C 22.11 -, Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr 64). Dies ist vorliegend jedoch der Fall.

Der Beklagte hat zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Motorrädern im Verhältnis zu Pkw auf die Besonderheiten der Motorradhaltung verwiesen, die darin lägen, dass Motorräder anders als Pkw in der Regel von den jeweiligen Haltern nicht ganzjährig genutzt würden, sondern eine Nutzung in den Wintermonaten regelmäßig unterbleibe oder nur eingeschränkt erfolge. Dies ist nicht zu beanstanden.

Am 1. Januar 2013 – wie auch sonst – verfügte fast ein Drittel aller zugelassenen Krafträder über ein Saisonkennzeichen, vorzugsweise für den Zeitraum April bis Oktober (vgl. http://www.kba.de/DE/Statistik/Fahrzeuge/Bestand/Saisonkennzeichen/2013_b_saison_kurzbericht.html?nn=645902) mit der Folge, dass sie nur in einem begrenzten Zeitraum des Jahres überhaupt genutzt werden können. Dazu kommen die Motorräder, die jedes Jahr – wie im Fall des Klägers – im Winter abgemeldet werden. Ob und in welchem Umfang die übrigen – dauerhaft angemeldeten – Motorräder während der Wintermonate gefahren werden können, hängt von den jeweiligen Witterungsbedingungen ab. Typisierend ist jedoch davon auszugehen, dass eine Nutzung auch dieser Motorräder in der Regel im Winter nicht oder jedenfalls nur deutlich eingeschränkt stattfindet. Vor diesem Hintergrund geht die an den Halter eines Motorrads gerichtete Auflage, für sein Fahrzeug etwa ab Oktober sechs Monate ein Fahrtenbuch zu führen, u. U. ins Leere, wenn das Fahrzeug in diesem Zeitraum gar nicht oder nur zum Teil betrieben wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 17.5.1995 – 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227), der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, ist aber eine nur sechsmonatige Verpflichtung als im unteren Bereich der für eine effektive Kontrolle der Fahrzeugbenutzung erforderlichen Dauer angesiedelt. In den genannten Fällen wird mithin ggf. schon der untere Bereich der für die effektive Kontrolle erforderlichen Dauer von sechs Monaten nicht erreicht. Darin liegt ein wesentlicher, die Differenzierung rechtfertigender Unterschied im Verhältnis zu Pkw, die in aller Regel ganzjährig und gleichmäßig genutzt werden. Angesichts dessen liegt ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung von Motorrädern im Verhältnis zu Pkw vor und ist es nicht ermessensfehlerhaft, den Zeitraum, in dem das Fahrtenbuch geführt werden soll, bei Motorrädern in der Regel typisierend zu verlängern. Ist – wie vorliegend – für Pkw in der Regel ein Zeitraum vorgesehen, der über den für die effektive Kontrolle sachgerechten Zeitraum von sechs Monaten hinausgeht (hier: 12 Monate bei einem mit drei Punkten zu ahndenden Verstoß), ist eine (wie hier maßvolle) Verlängerung der Dauer rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden, wenn diese das Ziel verfolgt, die Zeiten der Abmeldung zu kompensieren.

Es kann offenbleiben, wie die Sach- und Rechtslage zu beurteilen ist, wenn der Halter des Motorrads etwa im Rahmen der Anhörung substantiiert geltend macht, sein Motorrad im Winter nicht abzumelden, sondern ganzjährig zu nutzen. Der Kläger hat sein Fahrzeug in den vergangenen Jahren nämlich nach den unwidersprochenen Angaben des Beklagten stets für durchschnittlich sechs Monate stillgelegt bzw. außer Betrieb gesetzt. Mithin ist im konkreten Fall die Verlängerung um drei Monate nicht unverhältnismäßig und ein Ermessensfehler nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Der Senat lässt nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Revision zu. Die Frage, ob es zulässig ist, in der Verwaltungspraxis die Dauer der Fahrtenbuchauflage bei Motorrädern im Verhältnis zu Pkw in der Regel typisierend zu verlängern, ist ungeachtet des Umstandes, dass immer auch die konkreten Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen sind, von grundsätzlicher Bedeutung.


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